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Kapitel XLVIII. Schluß

Major Waring kam gegen Ende Oktober nach Wrexby Hall. Er kam, um bei Mrs. Lovell seine eigne Sache zu führen, aber sie unterbrach ihn kurz durch den Hinweis darauf, daß sein Freund Robert Gefahr laufe, seiner Liebe verlustig zu gehen.

»Sie ist ein Weib, Percy, – lassen Sie mich Ihrer Bemerkung zuvorkommen. Aber es handelt sich hier darum, daß sie sich verpflichtet glaubt, meinem Vetter, dem Squire, ihre Hand zu reichen. Es ist eine verwickelte Sache, die irgendwas mit Geldgeschichten zu tun hat. Sie macht sich nicht das Geringste aus Algy, eine Tatsache, die ihn sehr wenig anficht. Er hat ihr auf irgendwelche mysteriöse Weise einen Dienst geleistet, indem er sich eines alten Onkels von ihr angenommen hat. Algy hat ihm, glaube ich, die Stelle eines Landbriefträgers für den Distrikt verschafft, wenn es das ist, aber mir scheint, es muß sich wohl noch um andres handeln, wenn man sich ihr Benehmen erklären will. Wie sich die Sache auch verhalten mag, es scheint, daß sie sich für gebunden erachtet. Sie wissen ja, was für eine Art Mädchen es ist, für das Ihr Freund eine Neigung gefaßt hat. Überdies besteht ihr Vater darauf, daß sie »den Squire« heiraten soll, was ja natürlich am leichtesten zu begreifen ist. Glauben Sie darum nicht, lieber Percy, es wäre das beste, Sie reisten ein paar Wochen mit Ihrem Freunde aufs Festland? Ich muß ja gestehen, daß ich nie sehr viel Verständnis für die Intimität, die zwischen Ihnen beiden besteht, gehabt habe, aber auf alle Fälle scheint sie ja durchaus aufrichtig zu sein.«

»Sind Sie das auch?« sagte Percy.

»Ja, völlig, aber ich bin es vielleicht auf eine etwas weitläufige Art. Warum fragen Sie mich in diesem Moment danach?«

»Weil Sie dieser törichten Geschichte in einem Tag ein Ende machen könnten.«

»Das weiß ich wohl.«

»Und warum tun Sie es dann nicht?«

»Aus eben dem Wunsche heraus, aufrichtig zu sein. Percy, das bin ich immer gewesen, wenn Sie mich nur immer recht zu lesen verstanden hätten. Ich versuchte meinen Vetter Edward aus einer Sache zu befreien, die mir eine elende Schlinge erschien. Seine egoistische Falschheit verletzte mich, und ich zeigte ihm, daß ich ihn verachtete. Als ich herausfand, daß er ein Mann sei, der Mut und auch etwas Herz besäße, gewann er meine Freundschaft zurück, und ich stand ihm, so gut ich konnte, bei – und wie der Zufall wollte, mit Glück. Ich sage Ihnen das alles, weil ich Ihrer Achtung nicht verlustig gehen möchte, – Gott weiß, es mögen noch Tage kommen, wo ich derselben bedarf. Ich glaube, ich bin die beste Freundin, die es in der Welt geben kann, wenn ich auch zu gar nichts anderem zu gebrauchen bin. Niemand gefällt mir vollkommen, nicht einmal Sie: Sie sind ein zu kritisch veranlagter Charakter und verlangen, wie ich selbst, in ein oder zwei Punkten absolute Vollkommenheit. Aber nun hören Sie, was ich getan habe, und billigen Sie es, wenn Sie wollen. Ich habe mit meinem Vetter Algy – kokettiert, – es ist ein gräßliches Wort, aber ich muß mich schon des Wörterschatzes der jungen Damen bedienen. Ich weiß wohl – ich kann es nur allzu gut, – von Natur, so sehr ich es auch hasse. Er hat heute morgen einen Brief auf die Farm geschickt, in welchem er schreibt, er fürchte, es sei ihm nicht gelungen, Rhodas Zuneigung zu gewinnen, er entsage allen Ansprüchen etc., harre ihrer Wünsche etc. etc. Ich bezweifle, daß er viel Vergnügen von seinem Hofmachen gehabt haben kann. Meine bezaubernde Liebenswürdigkeit gegen ihn während der letzten vierzehn Tage wird ihm jedenfalls unendlich viel angenehmer gewesen sein. So kann es immerhin angehen, daß Ihr Freund Robert mit der Zeit noch glücklich wird, das heißt, wenn Rhoda nicht allzusehr ein Wesen ihres Geschlechts ist.«

»Sie sind eine Zauberin,« rief Percy aus.

»Halt,« sagte sie und wurde plötzlich ernst. »Bevor Sie mich loben, müssen Sie noch mehr hören. Percy, jenes Duell in Indien –«

Er streckte ihr die Hand entgegen.

»Ja, ich vergebe Ihnen,« begann sie aufs neue. »Sie waren damals grausam. Bedenken Sie das, und seien Sie darum jetzt gerecht. Den armen Jungen ereilte sein Geschick. Ich hätte es aufhalten können. Ich habe es bis zu einem gewissen Grade veranlaßt. Mir schien, die Ehre der Armee stehe auf dem Spiel. Mich traf die Hauptschuld damals, und mich trifft noch jetzt die Schuld, aber ich habe das Gefühl, als sei ich halbwegs zu entschuldigen, wenn Sie nicht ein allzu strenger Richter sind. Nein, ich bin nicht zu entschuldigen! Ich bin verabscheuungswürdig, aber vergeben Sie mir!«

In Percys Augen spiegelte sich staunendes Entsetzen, als Margaret das Schmuckstück, das sie am Halse trug, löste und ihm das schmutzigrote Stückchen Tuch entnahm.

»Es war zwischen uns abgemacht,« fuhr sie fort, »daß ich Ihnen dies an dem Tage zurückgeben wollte, wo ich nicht mehr meine eigne Herrin sein würde. Nennen Sie mich ein erbärmlich herzloses Weib. Ich tue, was ich kann. Sie brachten mir das Stückchen Tuch, das mit dem Herzblut des armen Jungen getränkt war, der um meinetwillen fiel. Ich habe es getragen. Es war mein Talisman. War es Ihr Wunsch, daß es mir als ein solches dienen möchte? O Percy, ich habe jeden Augenblick das Bewußtsein mit mir herumgetragen, daß Blut auf meinem Herzen laste. Ich fühlte, wie es mit mir rang. Es hat mich vor manchem bewahrt. Und jetzt lege ich es in Ihre Hände zurück.«

Er konnte nur hervorstoßen: »Warum?«

»Lieber Freund, um des Versprechens willen, welches zwischen uns bestand. Als ich Indien verließ, fragte ich Sie, wie lange ich es bewahren solle. Sie sagten: ›Bis Sie heiraten.‹ Nicht heftig werden, Percy! Dies war unvermeidlich.«

»Ist es möglich,« rief Percy aus, »daß Sie das Spiel so weit trieben, ihm zu versprechen, Sie wollten ihn heiraten?«

»Es liegt wie ein Gewitter auf Ihrer Stirn, Percy. Diesen Ausdruck kenne ich!«

»Margaret, ich glaube, eher könnte ich ertragen, eine zweite Niederlage unserer Armee zu erleben, als zu sehen, daß ich Sie verachten müßte!«

»Sie kennen keine halben Maßregeln, wenn Sie züchtigen, Percy.«

»Fahren Sie fort,« sagte er. »Sie sind noch nicht fertig. Sie haben ihm versprochen, ihn zu heiraten?«

»Ich habe ihm versprochen, den Namen ›Blancove‹ anzunehmen.«

»Für den Fall, daß er davon abstände, Rhoda Fleming mit seinen Anträgen zu verfolgen?«

»Das war wörtlich die Bedingung, die ich stellte.«

»Und Sie denken dieselbe innezuhalten?«

»Mein Wort zu halten? Ja, Percy.«

»Sie wollen Algernon Blancove heiraten?«

»Sie würden allerdings ein Recht haben, mich zu verachten, wenn ich das täte, Percy.«

»Sie wollen es also nicht?«

»Nein.«

»Und doch sprechen Sie von Wort halten? Bei allen Mächten des Himmels und der Erden, es gibt keinen größeren Wahnsinn, als sich mit einem lebendigen Rätsel einzulassen! Worauf wollen Sie hinaus?«

»Wie ich Ihnen sagte: Ich will mein Wort halten. Aber ich war ebenfalls verpflichtet, Ihrem Freunde einen Dienst zu leisten. Es ist leicht, zugleich passiv und ehrlich zu sein.«

Percys Stirn zog sich düster zusammen: »Wollen Sie damit sagen, daß Edward Blancove der Mann ist?«

»O nein! Edward wird niemals heiraten. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß Treulosigkeit niemals unter seine Fehler zählte. Er hatte eine einzige Liebe, und ihr Herz ist völlig erstorben. Für ihn gibt es kein Heiraten – denn sie weist ihn ab. Vielleicht verstehen Sie den Grund dafür nicht, – aber eine Frau wird ihn verstehen. Sie würde ihn heiraten, wenn Sie sich selbst dazu bringen könnte, – die Sache ist die: er hat ihren Stolz vernichtet. Sie hat keinen Geschmack mehr am Leben. Ihr einziger Wunsch ist der, ihre Schwester und Ihren Freund vereinigt zu sehen. Jeder andere Gedanke an eine Heirat hegt ihr fern und wird ihr immer fern liegen. Ich kenne den Zustand. Er ist dem meinen nicht unähnlich.«

Waring blickte sie fest an: »Es handelt sich um einen Mann?«

»Ja,« antwortete sie kurz.

»So will ich hoffen, daß es sich um einen handelt, dessen Bankbuch Ihnen Befriedigung verheißt?«

»Ja, Percy;« sie blickte rasch zu ihm auf, als wolle sie ihm dafür danken, daß er sie von einer schweren Notwendigkeit erlöst habe. »Sie verstehen es immer noch, die Peitsche zu handhaben, aber ich empfinde den Stachel an ihrem Ende nicht mehr. Ich heirate ein Bankbuch. Erinnern Sie sich des Tages im Park, als ich einen Reitknecht hinter Ihnen herschickte? Da hatte ich soeben erfahren, daß ich ruiniert sei. Sie kennen meine Manie zu wetten. Ich hörte es, und als mein Herz Ihnen aufs neue warm entgegenschlug, wußte ich bereits, daß ich Sie nicht würde heiraten können. Vielleicht ist das einer der Gründe, weswegen ich Ihnen ein Rätsel erschien. Ich spreche die Wahrheit, wenn ich Algy sage, daß ich den Namen Blancove annehmen will: ich heirate den Bankier. Jetzt nehmen Sie Ihre Gabe von ehemals zurück.«

Percy ergriff das Tuch und verließ ihre Gegenwart – für immer; er fühlte, daß er von dem Geschlecht genug gekostet hatte für sein ganzes Leben. Dennoch kam er mit der Zeit zu der Mutmaßung, daß sie für alle Teile am praktischsten, – ja, vielleicht am weisesten gehandelt habe. Nachdem ihre Schulden getilgt waren, wurde sie eines alten Herrn ehrbare junge Frau, eine reizende Wirtin und – was sie allezeit gewesen war – eine gute Freundin: sie blieb immer etwas wie ein Wunder für einen, der sein Lebenlang dazu geneigt hatte, eine Heldin in ihr zu sehen, obschon er ihre Mängel nur allzu deutlich sah. In Wahrheit bezahlte die Dame mit dieser Heirat den ehrlichen Preis für die Torheiten ihrer Jugend.

 

Frohe Hochzeitsglocken läuteten für Robert und Rhoda; für Dahlia und Edward läuteten keine.

Dahlia teilte sieben Jahre lang die Häuslichkeit ihrer Schwester, als Pflegerin des sich immer mehr vergrößernden jungen Nachwuchses. Sie war, wie wenige Frauen, durch ein Läuterungsfeuer gegangen, in dessen Asche sie ihr Herz gelassen hatte. Die Seele dieses jungen Wesens trat an Stelle ihres Herzens. Sie leuchtete aus ihren Augen, aus ihrer Arbeit heraus, ein helles Licht für ihre nächste Umgebung, und kein weniger helles und heiteres Licht, weil ein jeder ihrer Tage dem andern glich. In Wahrheit, sie lebte jenseits der Wolken. Als sie starb, galt es für sie kein Verzichten. Andere empfanden ihren Verlust. Zwischen ihr und Robert gab es hinsichtlich einer Sache ein tieferes Verstehen, als Rhoda je zu teilen vermochte. Beinahe die letzten Worte, die sie an ihn richtete, mit ruhiger Stimme, aber mit einem zitternden Hauch, der etwas von einem tiefen Schluchzen an sich hatte, waren diese:

»Hilf armen Mädchen!«


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