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Der Bootfahrt Anfang. – Die Nebelinsel. – Der Bootfahrt Ende.
Die aufgehende Sonne sah das Boot mit einer Fahrt von sieben Knoten über die von einer langen, sanften Schwell fast unmerklich bewegte tiefblaue See dahinstreichen.
»Dat lütte Ding segelt fein,« sagte Towe, »wenigstens mit so 'ne Backstagsbris' Eine Brise, die etwa vier Strich (45 Grad) achterlicher als Dwars zum Kurse weht.. Bleibt der Wind so, dann müssen wir auf der Rückfahrt dagegen ankreuzen, un dennso wird dat fraglich sünd, ob wi denn ok so drög sitten, as nu!«
Der echte Seemann kennt kein höheres Vergnügen, als solch eine Bootsegelfahrt bei flotter Brise und glatter See. Was auf Erden läßt sich auch mit solch einer Fahrt vergleichen? Kein Glücksgefühl, geboren aus der Empfindung der Freiheit, der Fortbewegung, übertrifft die Wonne, in schwankem Nachen mit straffgeblähten Segeln und scharfem, das Wasser schäumend und rauschend durchschneidendem Steven gleichmäßig, unaufhaltsam über die schwellende See Hinzugleiten, droben der Himmel, drunten die blaue Flut und dazwischen der helle Wohlklang der freudigen Brise.
»Junge, Junge, dat Boot löppt as de gläunige Brand!« rief Towe fröhlich. »Kiek de dusend un dusend Pinguinen da up de Felsen, in Reih' un Glied, just as de Soldaten. Wo gruglich wild dat Land von hier utsüht! Kein Baum, kein Strauch, alles schwarz un grau, blot de Pinguinen sünd witt. Ich wollt', ich säh' uns' dütschen Nordseestrand mal erst wieder.«
»Dahin kommen wir auch noch,« entgegnete Paul. »Was meinst du, Towe, wollen wir nach der Insel segeln, die wir von dem Berg in Sicht hatten, du weißt schon, an dem Tage, wo du mir den Fuß zerschnittest?«
»Fuß zerschnittest!« knurrte der Matrose. »Du meinst, wo ich dich das Leben gerettet habe. Ich denk', wir sollten Fisch' fangen?«
»Das können wir auch noch. Aber zuerst laß uns mit diesem feinen Wind nach der Insel segeln. Wer weiß, ob sich noch einmal eine so gute Gelegenheit bietet.«
Towe äußerte zwar noch einige Bedenken wegen der Stetigkeit der Brise, war dann aber einverstanden, und so jagten sie in brausender Fahrt immer weiter hinaus über die schimmernde, jetzt mit unzähligen kleinen, schneeweißen Schaumkämmen bedeckte See, der sonnigen Ferne zu. Sie hatten ihre innige Freude an dem Gebaren des Bootes, an dem Anblick der bewegten See und an dem schönen Wetter, und ließen sich das mitgebrachte Fleisch und Brot trefflich munden.
Paul saß am Ruder, Towe auf der Ducht am Mast.
»Land!« rief jetzt der erstere. »Über dem Steuerbordbug! Siehst du's?«
»Jowoll,« sagte Towe. »Wi möten en beten nah Süden afholln. Ick mein', wir hätten dat Land all früher in Sicht kreegen, wenn dar nich Nebel vör west wer.«
»Etwas Nebel ist da noch immer. Das Land ist nicht hoch, die Eberinsel kann's nicht sein, denn die ist die größte der ganzen Gruppe.«
»Wollen dat Eiland Nebelinsel nennen, denn Nebel un dicke Luft is dor woll ümmer, süs hadden wi dat Land all längst von Robbenkap ut sehn müßt. Wenn du mit din Frühstück klor büst, denn wüllt wi äwer Stag gähn un wedder torügg loopen; wi möt noch Fisch' fangen.«
»Mir recht,« antwortete Paul. »Auf der Eberinsel wäre ich gern an Land gegangen, an der da aber liegt mir nichts. Die Rückfahrt wird länger dauern; ich denke, in drei Stunden werden wir's geschafft haben.«
Es sollte aber anders kommen. Er kaute noch an dem letzten Bissen und schaute dabei nach dem Eiland hinüber, da legte sich plötzlich der Wind, die See glättete sich, das Segel hing schlaff, kurz, unsere Seefahrer sahen sich auf einmal ganz unerwartet in einer vollkommenen Stille. Sie schauten erst einander an und dann rings um sich. Die Halliginsel war verschwunden, ebenso die Nebelinsel; von allen Seiten kam ein dicker, weißer Nebel herangekrochen, und nach wenigen Minuten war das Boot so dicht davon eingehüllt, daß man kaum noch von einem Ende bis zum anderen sehen konnte.
»Just so en Daak, as in de engelsche Kanal,« brummte Towe, indem er das Segel wegnahm. »Nu hewwt wi dat Vergnügen, torügg to rojen. Schöne Aussicht! Wer weet, ob wi hüt abend noch to Hus kamt. Hoffentlich fangt dat nich ook noch an to weihen.«
Sie legten die Remen aus. Der Nebel war naß und kalt, so daß unsere Helden froh waren, sich durch die Anstrengung des Rojens warm erhalten zu können.
Towe blickte auf den Taschenkompaß, den der Schiffer ihm mitgegeben hatte.
»Wi wüllt West-Nordwest stüern,« sagte er. »Denn kriegt wi dat Land en beten südwärts von Robbenkap. Wenn dat aber all vörher finster ward, dennso möt wi irgendwo anners an Land gähn, denn im Dustern könt wi Jaspersenhafen nich binnenloopen. An Füermaken is up Halligeiland nich to denken, wil dat dor keen Holz nich vorhann' is, da wird uns nix übrigbleiben, mein Sohn Paul, als die heele Nacht herümtorennen, um de Blutzirklatschon nich infreeren to laten.«
»Wenn wir tüchtig rojen, dann sind wir noch vor Abend da,« erwiderte der Jüngling zuversichtlich. »Im Notfalle können wir uns übrigens aus dem Segel ein Zelt machen, das hält dann wenigstens den Tau ab.«
Sie mochten eine halbe Stunde gerojt haben, da machte sich von Westen her Wind auf. Schnell zogen sie die Remen ein und setzten das Segel.
»Hurra!« rief Towe. »Ein kurzer Schlag und ein langer Schlag, dann haben wir Robbenkap!«
Trotz der Brise blieb der Nebel so dicht wie zuvor. Es wehte stärker und stärker; das Boot legte sich soweit nach Lee über, daß das Wasser über die Reling hereinstürzte. Das Segel wurde dicht gerefft; inzwischen hatte sich jedoch auch die See aufgemacht, das Boot arbeitete schwer und nahm so viel Wasser über, daß es weggesackt wäre, wenn Paul nicht unter größter Anstrengung mittelst einer alten Konservendose die gurgelnde Salzflut wieder ausgeschöpft hätte.
Die See erhob sich immer wilder, der Wind wurde zum Sturme. Es blieb nichts übrig, als das Boot platt vor dem Winde laufen zu lassen. Die beiden Maaten saßen nebeneinander in den Sternschoten und redeten kein Wort. Sie schauten voraus in den Nebel hinein, den ihre Blicke jedoch kaum einige Meter weit zu durchdringen vermochten.
Nach und nach wurde es finster. Die Nacht brach herein. Sie liefen wieder auf die Nebelinsel zu, die ihrer Schätzung nach etwa noch fünf Seemeilen entfernt sein mochte. Das kleine Boot kämpfte wacker mit den hohen Seen und nahm jetzt nur wenig Wasser über; es erklomm die mächtigen Wasserberge und glitt in die jenseitigen Täler wieder hinab wie ein Pinguin.
Die sturmverschlagenen Genossen waren fast erstarrt vor Kälte. Towe hielt die Ruderpinne; Paul drängte sich so dicht als möglich an ihn heran.
»Laß mich jetzt steuern!« schrie er ihm durch das Sturmgebraus ins Ohr. »Deine Hand muß ja schon ganz erfroren sein!«
»Nee, Sohn, lat mi man. Wi sünd all dicht unter Land, glöw ick. Hör'! Is dat nich Brandung?«
Es war der Donner der Brandung. Er übertönte sogar das Tosen des Sturmes und der Wogen. Er kam von vorn, das Boot raste gerade daraufzu. Towe hielt nach Süden ab, Paul bediente das Segel. Der Orkan faßte jetzt das winzige Fahrzeug von der Seite und warf es so weit nach Lee über, daß das Segel Wasser schöpfte. Im nächsten Moment rollte eine mächtige Woge heran und begrub es unter sich.
Als Paul wieder an die Oberfläche kam, sah er sich allein und inmitten der betäubenden Brandung, die wie ein weißgrünes Feuermeer um ihn lohte, toste und zischte. Wohl ruderte und rang er mit Armen und Beinen, allein er war ein willenloses Spielzeug der rasenden Flut, die ihn jetzt in die Tiefe warf und dann wieder hinaufriß in das weiße Chaos. Wild um sich greifend, erfaßte er ein treibendes Holzstück – einen der Bootsremen. Zweimal wurde er dem Strande zugetragen, zweimal wieder zurückgerissen; schon meinte er, daß alles vorbei sei, da warf ihn ein mächtiger Roller weit hinauf an das Land. Instinktiv klammerte er sich an das Gestein, um von dem zurückweichenden Wasser nicht wieder in die See gespült zu werden; dann raffte er sich auf und rettete sich so schnell er konnte aus dem Bereiche der Wogen.
Es war stockfinstere Nacht. Sein einziger Gedanke war, Schutz vor dem kalten Winde und dem Schnee- und Schloßentreiben zu finden. Blindlings stolperte er landeinwärts. Plötzlich erhielt sein Kopf einen harten Stoß; er war gegen einen Felsen gerannt. Er taumelte zur Seite und stürzte in ein tiefes Loch, nicht auf Gestein, sondern auf eine weiche und trockene Masse. Er blieb stilliegen, denn weder Wind noch Schnee erreichten ihn hier.
Jetzt gedachte er Towes, seines treuen Schiffsmaaten. Der war sicherlich ertrunken; hatte ihn selber doch nur ein Wunder dem Rachen der See entrissen. Er weinte bitterlich und schluchzte sich endlich in den tiefen Schlaf der äußersten Erschöpfung.