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Trotz des aufrichtigsten Mitleides, das Graf Albrecht mit der Prinzessin hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß die erstorbene Liebeshoffnung sich von Neuem in seiner Brust regte und immer mächtiger aufloderte; aber er war schon zu gewitzigt, um mit blindem Glauben auf den Erfolg zu zählen.
Uebrigens war die Prinzessin seit dem vernichtenden Schlage, der sie getroffen, ihm gegenüber eigenthümlich verändert. Daß sie in der ersten Zeit an seiner Gesellschaft keine Lust fand und nur die Einsamkeit suchte, war begreiflich; daß sie ihn aber an den nächstfolgenden Tagen, als sie sich wenigstens körperlich wieder erholt hatte, auffallend mied und ihm thunlichst aus dem Wege ging, war schwerer zu erklären.
Stundenlang war sie wie verschwunden. Derweilen streifte sie mit ihrer Begleiterin in den entlegensten Theilen des umfangreichen Schloßgartens und darüber hinaus auf den steilen Pfaden der Felsabhänge, die den Hintergrund des Schlosses bildeten. Aber auch in der Gesellschaft ihrer Begleiterin und Vertrauten war sie nicht besonders mittheilsam. Es schien, als wenn schwere Entschlüsse in ihr reiften, die entweder nicht vollkommen ausgebildet waren oder noch verborgen gehalten werden sollten. Graf Albrecht hatte bis dahin kein Wort über den vermeintlichen, noch über den wirklichen Arbogast von Wolfegg mit ihr gesprochen. Es war, als wenn sie sich vor diesem Gespräche fürchtete und so hütete sich auch der Graf, die Wunde, die noch immer offen war, zu berühren.
Während die Prinzessin sich eines Nachmittags mit ihrer Begleiterin auf einem ihrer gewöhnlichen Ausflüge befand, verbrachte Graf Albrecht die Zeit in seinem Gemache und sagte, das Resultat eines langen Nachdenkens zusammenfassend, dann zu sich:
»Dabei bleibt es! Heute noch muß ich sie zum Sprechen bringen, und zwar, sobald sie kommt. Wer soll das länger ertragen? Die Entscheidung soll fallen! Wenn die Thörin noch jetzt, nach einer so harten Enttäuschung, an einem Verschollenen hängt, der, was das Allerwahrscheinlichste, kaum mehr am Leben ist, dann wird sie auch nicht nach drei oder vier Wochen, dann wird sie nie umgestimmt werden. Ich kann hier nicht ewig sitzen bleiben! Doch Diafanta hat jetzt Niemanden auf der Welt, der sich ihrer annimmt, als mich. Die Stimme ihrer eigenen Selbsterhaltung treibt sie mir entgegen, – kann sie sich noch sträuben? Das soll sich noch heute zeigen, möge es gut oder schlimm ausgehen!«
Er erhob sich und wollte, vom Balcon ausblickend, ihre Rückkehr erwarten. Aber seine Ungeduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Dona Diafanta blieb diesmal ungewöhnlich lange aus, und da es endlich zu dunkeln begann, war die große Ungeduld des Grafen mit ebenso großen Besorgnissen gemischt.
Endlich hörte er draußen Schritte, die aber viel zu stark und fest waren, um die ihrigen zu sein. Es war der Graf von Pfirt, der hastig bei ihm eintrat.
»Lieber Graf Werdenberg,« sagte er mit erregter Miene und Geberde, »wie könnt Ihr Euch so sorglos in Ruhe wiegen und die kostbare Zeit vertändeln? Ihr habt auf Eurem Schiffe gestohlene Waare mit Euch geführt und hier auf Rhodus an's Land gebracht. Die eine der beiden Pilgerinnen, die Ihr zum heiligen Grabe begleitet, ist die Tochter des Königs von Portugal!«
Auf's Tiefste verlegen, gab Graf Albrecht zur Antwort: »Ich hatte gute Gründe, es bisher vor Euch zu verschweigen, und gute Gründe, hier so lange zu verweilen. Wie seid Ihr hinter das Geheimniß gekommen?«
»Durch meine Kundschafter,« erwiderte der Ordensmeister. »Vorgestern ist ein Schiff unter französischer Flagge im Hafen eingelaufen. Die französische Flagge ist aber nur eine Maske, denn die Mannschaft besteht aus lauter Portugiesen. Der erste Seecommandant des Königs, Dom Bedras, befehligt das Schiff.«
»Dom Bedras befehligt das Schiff?« rief Graf Albrecht überrascht. »Den kenne ich! Wir standen in Portugal auf dem besten Fuße miteinander. Er ist ein Verwandter des Königs – eine große Narbe verunstaltet sein Gesicht–«
»Ganz richtig, das ist derselbe. Er ist abgesandt worden, Euch zu verfolgen und zur Herausgabe der Beute zu zwingen. Daß er sich bisher so still verhielt und kein Verlangen an mich stellte, die Tochter des Königs ihm auszuliefern, hat einen Grund.«
»Die Auslieferung der Prinzessin verlangen? Wie könnte er das!« rief Graf Albrecht betroffen.
»Darf nicht ein Vater mit Fug und Recht sein entlaufenes Kind zurückfordern? Wenn mir Dom Bedras, wie schon bemerkt, bisher keinen Besuch abgestattet hat und seinen hohen Rang und seinen wichtigen Auftrag verborgen hält, so hat das seinen Grund! Die Mannschaft Eurer Galeere, die im Hafen liegt, wird ihm gleich gesagt haben, daß die beiden Frauen mit Euch hier im Schlosse abgestiegen sind, und da mag er annehmen, daß ich Euer Mitwisser und Beschützer bin. Sein Besuch ist indessen nur aufgeschoben! Denkt ja nicht, daß er die Weisungen des Königs, die sehr streng sein müssen, außer Acht läßt und müßig ist! Die Schloßwache hat schon gestern und heute verdächtige Männer bemerkt, welche die nächste Umgebung des Schlosses durchstreiften und welche sogar in den Garten eindringen wollten.«
»Jesus und Maria,« rief Graf Albrecht ganz außer sich, »man will sie mit Gewalt rauben, und – der Raub ist schon vollbracht! Es ist schon dunkel, es ist Nacht, – die Prinzessin fehlt, – sie ist von ihrem Spaziergange nicht wiedergekommen!... Mein Schwert, mein Schwert! Ich habe tapfere Männer, – ich überfalle das Portugiesen-Schiff und will dort ein Blutbad anrichten ...«
Graf von Pfirt ergriff ihn mit beiden Armen und zwang ihn, sich niederzusetzen, indem er mahnend sagte: »Was würdet Ihr mit solcher Tollheit besser machen?«
Da wurde draußen auf dem Hausgange ein Geräusch vernehmbar, welches Beide schon früher gehört haben würden, wenn es von der tobenden Aufregung des Grafen Albrecht nicht übertäubt worden wäre.
Beide sprangen vor die Thüre und sahen einen Schloßdiener mit einer brennenden Oellampe aus den Gemächern der Prinzessin hervortreten.
»Was machst Du da?« rief ihm Graf von Pfirt zu.
»Die beiden Edelfrauen.« gab der Schloßdiener zur Antwort, »haben sich auf ihrem Spaziergange verirrt und sind erst in diesem Augenblicke zurückgekommen. Ich habe ihnen die Treppe hinaufgeleuchtet.«
»Da sehet!« sagte der Ordensmeister, die Thür wieder schließend.
»Das Leben kehrt in mich zurück!« rief Graf Albrecht.
»Eure Angst und Sorge war nicht unbegründet,« sprach der Ordensmeister; »aber Ihr seht jetzt selbst, daß damit nicht alle Gefahren zu Ende sind. Ihr müßt Rhodus auf der Stelle verlassen, ohne den geringsten Verzug, lange bevor noch der Morgen graut.«
»Wie kann ich das?« entgegnete Graf Albrecht.
»Ich habe schon dafür gesorgt,« lautete die Antwort. »Unweit ist eine kleine versteckte Bucht, von hier aus in zwei Stunden zu erreichen. Dort erwartet Euch eine Barke mit verläßlichen Schiffsleuten, die meine Befehle kennen und Euch auf das Schnellste in Sicherheit bringen. Dann werden sie Euch Mittel und Wege angeben, dahin zu gelangen, wohin Ihr Euch zu begeben wünscht. Das unscheinbare Fahrzeug, das ich gewählt habe, eine ganz kleine Feluke, wird keinen Verdacht erregen, falls Euch ein portugiesischer Kreuzer auf dem Wege treffen sollte. Eure Kriegsleute und Pferde müßt Ihr einstweilen zurücklassen; auch könnt Ihr des beschränkten Raumes wegen außer den beiden Frauen nur einen oder höchstens zwei Mann mitnehmen.«
»Wie soll ich Euch danken!« rief Graf Albrecht, sich ihm gerührt an die Brust werfend.
»Offen gestanden, Ihr dankt mir am besten, wenn Ihr Euch schnell entfernt!« gab der Ordensmeister lächelnd zur Antwort. »Mit Eurer Flucht sind alle ferneren Händel mit dem Könige von Portugal zu Ende. Er hat alles gute Recht auf seiner Seite, – ich aber möchte auch nicht den Büttel machen, der ihm die Tochter ausliefert. Macht Euch mit so wenig Geräusch, als möglich, reisefertig! Ich will Euch das Zeichen zum Aufbruche geben. Es giebt gar Vielerlei, was ich noch besorgen muß, um Euch fortzuschaffen.«