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Als die Trauerfeierlichkeiten vorüber gegangen waren, wurde Arbogast in Anerkennung seiner Tapferkeit über einen Kriegshaufen von hundert Mann gestellt. Alle Ländereien, mit welchen sein verstorbener Oheim belehnt war, wurden gleichzeitig auf ihn übertragen.
Arbogast weinte, als ihm der König diese besonderen Gnaden ertheilte. Diese Thränen entsprangen sowohl der Rührung, als seinen Gewissensbissen. Arm und verlassen, aus einer mit der Acht belegten, aus der Heimath fortgejagten Familie stammend, nun plötzlich zu Reichthümern, Ehren und einem festen, sicheren Wohnsitze gekommen, unterlag er dem überwältigenden Eindruck, daß er dem Geber aller dieser Wohlthaten mit einer vermessenen, freventlichen, von bösen Mächten eingegebenen Liebe zu dessen Tochter lohne.
Da jetzt im ganzen Königreiche Frieden herrschte, wie wenn die Heiden rings herum seit der letzten großen Niederlage vollständig eingeschüchtert worden seien, stand Arbogast nichts im Wege, eine Wallfahrt anzutreten, um seine Seele so schnell als möglich zu reinigen, und er kam in der That, wenn auch nicht ganz geheilt, so doch mit einem mehr beruhigten Gemüthe und einem gestärkten Willen nach Lissabon zu seinen Dienstpflichten zurück.
Da berief ihn der König eines Tages und sagte zu ihm: »Eine theure Verwandte von mir will eine Himmelsbraut werden und wird demnächst durch feierliche Anlegung der Ordenskleider in den Orden der Nonnen von Odoleyte aufgenommen werden. Meine Tochter Diafanta muß der heiligen Handlung beiwohnen, da ich es selbst nicht thun kann, weil kein Mann in die heiligen Räume zugelassen wird. Sammle zwanzig Deiner erlesensten Leute und geleite Dona Diafanta nach dem Katharinen-Kloster auf dem heiligen Berge von Odoleyte. Wähle in meinem Marstall die edelsten Rosse für Dich und Deine Leute und erscheine morgen in aller Frühe vor dem Palaste.«
Arbogast war wie vom Blitze getroffen und erblaßte. Er hatte die Prinzessin seit dem Austritt aus ihren Diensten nicht wiedergesehen, noch wiederzusehen gewünscht; aber er mußte dem königlichen Befehle gehorchen.
Seine Aufregung war unbeschreiblich groß, als er die Prinzessin am anderen Morgen erblickte, während er mit seiner Leibwache salutirte und mit seiner Mannschaft den Wagen, in welchem Dona Diafanta mit zwei Begleiterinnen saß, in die Mitte nahm. Sie hatte ihm mit dem süßesten Lächeln einen Gruß zugenickt.
»Kann es sein, kann es sein?« sagte Arbogast zu sich, als er auf der staubigen Straße dem Zuge voransprengte. »Sie ist so wunderschön, schöner als alle Weiber auf der Welt! Sollte es wirklich böser Zauber bedürfen, um sie so toll zu lieben? Ich kann es fast nicht glauben; dennoch aber will ich von dieser Liebe nichts wissen ...«
Nach mehrstündigem Ritte waren sie am Fuße des Bergkegels angelangt, auf welchem das Kloster, von Wällen umgeben, wie eine Feste stand.
Von da an führte ein steiler, doch nicht allzu schmaler Saumpfad an der Bergwand einer jäh und wild herabfallenden Schlucht in die Höhe empor. In Folge eines furchtbaren Ungewitters war jedoch der Pfad an mehreren Stellen durch Abrutschung des Gesteines so stark beschädigt, daß er seit einigen Tagen nur zu Fuße zu begehen war. Wagen, Pferde und Maulthiere wurden also zurückgelassen, und man begann frohen Muthes hinanzusteigen. Mit jedem Schritte, den man vorwärts that, wurde der Abgrund zur Seite tiefer und tiefer, und endlich, als man schon in die Nähe des Klosters emporgeklommen war, schwindlig tief. Hier gelangte man zu der schwierigsten Stelle. Der Weg, der sich am äußersten Rande hinzog, wo der Fels weit über seine Grundveste hinausragte, war eine ziemliche Strecke ganz hinweggerissen, beinahe verschwunden, sodaß man nur einen Fuß vor den anderen setzen konnte.
Die Männer der Leibwache gingen unbedenklich weiter, aber auch die beiden Hofdamen. Nur die Prinzessin schien sich wider alles Erwarten zu besinnen und zu fürchten. Plötzlich wandte sie sich zu Arbogast, der noch mit einigen Leuten hinter ihr stand, und sagte: »Willst Du mir nicht die Hand geben und mich über die böse Stelle hinübergeleiten?«
Und ehe Arbogast antworten konnte, hatte sie ihn an der Hand ergriffen und preßte dieselbe stärker und stärker. Die Berührung ging Arbogast durch Mark und Bein.
»Das läßt sich nicht ausführen, Euer Gnaden,« sagte er. »Da würde Eins das Andere in die Tiefe reißen.«
»Du bist so stark,« versetzte die Prinzessin mit der lieblichsten Miene. »Du kannst mich wie eine Feder hinübertragen.«
Arbogast bückte sich und nahm sie auf den Arm, während sie ihn am Halse mit beiden Armen fest umschlang und, wie um den gefürchteten Abgrund nicht zu sehen, ihr Gesicht an sein weit herniederwallendes Haar drückte. Wie in einem Taumel schritt Arbogast mit seiner Last dahin; er richtete seine Augen bald vorwärts auf den möglicherweise unterhöhlten Boden, bald hinab in die Tiefe, von wo die Hütten der Menschen fast unkenntlich zu ihm heraufschauten; alles schwirrte vor seinen Blicken, ihm war, als wenn er es nicht länger ertragen könnte. Er war sich kaum bewußt, daß ihn die Prinzessin auch noch auf die Wange geküßt hatte und ihm dabei in's Ohr lispelte: »Ich liebe Dich bis zum Sterben!«
Als sodann Arbogast die Stelle passirt und seine Bürde abgesetzt hatte, wunderte er sich, daß er nicht in den Abgrund gefallen war. Jubel und Bestürzung kämpften in seiner Brust; aber der Jubel überwog.
Nach einem kurzen Marsche war das Ziel zu rechter Zeit erreicht; die Einkleidung der Nonne sollte eben stattfinden. Arbogast, der mit seinen Leuten die Rückkehr der Prinzessin draußen vor der Klosterpforte erwarten mußte, konnte sich jetzt ungestört das Geschehene, das ihm lange wie ein Traum vorgekommen war, zum Bewußtsein bringen und klar machen.
»Wie blöde ich war!« sagte er, mit sich in's Reine gekommen, endlich zu sich. »Sie hat mich schon längst geliebt! Es ist, als wenn ich es zuvor nicht gewagt hätte, sie zu verstehen. Aber was nun, Arbogast? Soll ich, oder soll ich nicht? Und wenn ich auch sonst keine Bedenken hätte, als daß sie eine Königstochter ist, so sollte ich doch einsehen, daß es kein gutes Ende nehmen kann und in's Verderben führt! Doch was liegt daran! Man stirbt für seinen Fürsten; man stirbt, um Haus und Herd zu vertheidigen; man stirbt, schuldig und unschuldig, auf alle Art! Sollte ich nicht für das Theuerste und Liebste auf der Welt sterben können? Sagte sie denn nicht auch selbst zu mir, daß sie mich bis zum Sterben liebe? Sie hat mir das Herz mit eigener Hand wieder geöffnet, und ich fühle weder die Lust noch die Macht, es vor ihr zu verschließen. Ich bin der seligste Mensch unter der Sonne!«
Unter solchen Gedanken war die Zeit schnell verstrichen; die Prinzessin kam von der heiligen Ceremonie mit ihren beiden Damen aus den Klosterhallen wieder hervor.
Es war schon Nachmittag; man konnte Lissabon nicht vor Mitternacht erreichen. Mit erröthenden Wangen und niedergeschlagenen Augen ging die Prinzessin an Arbogast vorüber, eilte aber sodann mit lustigen Sprüngen den Saumpfad hinunter. Arbogast lief ihr nach, von dem süßen, glühenden Wunsche und der einschmeichelnden Hoffnung erfüllt, sie wieder über die schmale Stelle auf den Armen tragen zu dürfen; aber er war bitter enttäuscht, als er sah, daß die Prinzessin, ohne zu zaudern und sich zu bedenken, den gefährlichen Weg mit der Raschheit und Sicherheit einer Gemse dahinschwebte.
Ohne weitere Zwischenfälle wurde die Landstraße erreicht, wo die Frauen den Wagen, die Männer die Pferde bestiegen. Vor dem Einsteigen erhaschte die Prinzessin eine Gelegenheit und sagte zu Arbogast, der erwartungsvoll, doch bescheiden, zur Seite stand, mit schüchternem Geflüster: »Was wirst Du von mir denken? Ich schäme mich, Dir in's Gesicht zu sehen ...«
»Ihr habt ein Werk der Barmherzigkeit an mir gethan,« erwiderte Arbogast. »Ich liebe Euch im Stillen schon lange, sehr lange, und nächst Gott am meisten. Ihr habt einen Todten zum Leben wieder zurückgerufen.«
Freudestrahlend warf sich die Prinzessin in den Wagen, und nun ging es in scharfem Trabe vorwärts.
Die Nacht war schon lange hereingebrochen; schwere Wolken, vom Westen gekommen, verstärkten die Dunkelheit. Die Landstraße näherte sich ab und zu dem Meere, von welchem ein frischer, stoßweise heftiger Wind dem Lande zuwehte.
Bald wurde von Allen auf dem vor ihnen befindlichen Wege ein eigentümlicher Schein am Himmel bemerkt, dessen Farbe fortwährend an Stärke zunahm und sich endlich bis zur Gluth steigerte. Es war kein Zweifel, daß in einem, hinter einem hohen Felsvorsprunge liegenden Orte ein arger Brand wüthe. Es konnte dies nur ein kleines Fischerdorf sein, das hart am Ufer in einer Meeresbucht stand.
Als die Stelle, an welcher auch die Straße nach Lissabon weiterführte, erreicht war, sah man alle Häuser in Flammen und hörte trotz des Geprassels des Feuers und des lauten Tobens der Meereswogen Angst- und Hilferufe von Männern und Weibern. Alle Pferde wurden unruhig; einzelne scheuten, aber am wildesten geberdeten sich jene, die vor den Wagen gespannt waren. Sie hätten den Wagen umgeworfen oder in einen Graben geschleudert, wenn nicht schnell einige Männer aus den Sätteln gesprungen wären und sie am Zügel erfaßt hätten, um sie mit Gewalt vorüber zu führen.
Als Alles auf diese Art mit sich zu thun hatte, fiel es doch Diesem und Jenem auf und konnte kaum unbemerkt bleiben, daß mehrere, in weiße Mäntel und Kapuzen gekleidete Gestalten von der Brandstätte her hervorhuschten und aus dem dicken Rauche, den der heftige Wind zuweilen ebenso rasch theilte, als zusammenballte, zum Vorschein kamen.
Es waren Sarazenen, die hier, von der Dunkelheit der Nacht begünstigt, gelandet und seither ihr Werk der Plünderung und Zerstörung beendet hatten.
Im Nu waren die Reiter und sogar der etwas seitwärts haltende Wagen von ihnen umringt. Der Kampf brach los. Arbogast, der nahe dem Wagen stand, metzelte sogleich einige der Gesellen, welche die Königstochter, seine Geliebte, anzutasten wagten, nieder, während mehrere von seiner Mannschaft mit der gleichen Geistesgegenwart und demselben Erfolge dreinhieben. Der Wagen war frei, die scharfgepeitschten Rosse griffen mächtig aus, brausten von dannen und brachten den Wagen aus dem Bereich der Gefahr glücklich hinaus.
»Aber wo bleibt Arbogast? Ich sehe ihn nicht!« rief Diafanta.
»Er wird nachkommen, wenn er diese Teufel gehörig gezüchtigt,« war die Antwort.
Aber Arbogast erschien nicht.
Als die Prinzessin in unbeschreiblicher Aufregung und Angst Lissabon erreicht hatte, wurde auf die Schreckenskunde hin sofort eine starke Reiterschaar abgesandt, um den bedrängten Waffengefährten zu Hilfe zu eilen. Die Reiterschaar erreichte die Wahl- und Brandstatt, – Niemand, auch kein Flüchtiger, kam ihr entgegen. Dies wurde als ein bedenkliches Zeichen betrachtet; man war von böser Ahnung erfüllt.
Sie bestätigte sich: die Hilfe war zu spät gekommen. Die Häuser waren niedergebrannt; da und dort glomm und rauchte irgend ein Balken. Der Platz war mit Leichen bedeckt. Die ganze Leibwache bis auf den letzten Mann lag todt dahingestreckt. Die doppelte Anzahl der erschlagenen Feinde zeigte auf die überzeugendste Weise, daß sich Jeder tapfer gehalten und die Schaar einer erdrückenden Uebermacht unterlegen sei.
Nur Arbogasts Leichnam fand sich nicht vor. Wohl lag sein Roß da, mit aufgeschlitztem Bauche, aber weder sein Helm, noch eine seiner Waffen war aufzufinden. Das war ein Trost, aber ein gar schrecklicher. Es mußte als eine, über jeden Zweifel erhabene Thatsache angenommen werden, daß Arbogast bis auf's Aeußerste gekämpft habe, sodann aber entwaffnet, gefangen genommen und auf dem Piraten-Schiffe fortgeschleppt worden sei.