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Zwölftes Kapitel

Auf Rhodus

Diese rücksichtslos offenen, theilweise stürmischen Erklärungen hatten das Verhältniß zwischen dem Grafen und der Prinzessin völlig umgestaltet. Bald standen Beide mit einander in häufigem, vertraulichem Verkehre. Der Graf kam bei der Besprechung der schwierigen Lage mit immer neuen Rathschlägen heran, welche der Prinzessin einen klugen Geist und einen aufrichtigen, hingebenden Freund verriethen.

Die Seefahrt ging unterdessen auf's Glücklichste von Statten. Keines der zahllosen Caperschiffe der Seeräuber-Staaten der afrikanischen Küste, von welchen es auf dem mittelländischen Meere wimmelte, nahte sich der Galeere; kein Sturm beschwor Gefahren herauf. Millionen und aber Millionen von Wogen waren an das Fahrzeug herangerollt, nicht aber, um es zu schädigen, sondern hilfreich vorwärts zu treiben. So hatte man Sicilien umsegelt und durchschiffte jetzt die griechischen Gewässer ihrer ganzen Länge nach.

Als endlich die langgestreckte Küste von Kleinasien mit der Insel Rhodus, die nur wenige Meilen entfernt von derselben liegt, zum Vorschein gekommen war, gab die Prinzessin die Gewohnheit, die Kajüte nur zur Nachtzeit zu verlassen, auf und zeigte sich auch bei Tage, häufig selbst für längere Zeit, auf dem Verdecke. Stundenlang saß sie da, die Augen auf den kleinen Punkt am fernen Horizont unverwandt gerichtet, welcher sich zusehends vergrößerte, bald zu einem Gebirge heranwuchs und in seiner wahren Gestalt immer deutlicher hervortrat. Wie oft mußte Graf Albrecht, wenn er Dona Diafanta still beobachtete, aufseufzen und es beklagen, daß eine so große Liebe und Sehnsucht einem Anderen gelte!

Noch eine Nacht, und endlich war Rhodus in früher Morgenstunde erreicht. Im Lichte der aufgehenden Sonne glänzte die berühmte, ehemals dem Sonnengotte geweihte Rosen-Insel mit ihren Bergen und Thälern, ihren Palmen und Cypressen, den weißschimmernden, malerisch an einen Hügel gelehnten Gebäuden und dem Castell, dessen gewaltige Mauern und Wälle trotzig von schroffer Felsenhöhe herabblickten.

Man landete, und Graf Albrecht, der den Plan über das weitere Vorgehen bis in alle Einzelheiten mit der Prinzessin verabredet hatte, sandte ungesäumt eine Botschaft an den Ordensmeister, den Grafen von Pfirt, diesem seinen Besuch anzumelden.

Die Antwort kam so rasch als möglich und war in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßt. Zahlreiche Abgesandte erschienen zur Begrüßung des Gastes auf dem Schiffe und gaben ihm ein feierliches Geleite zu dem Schlosse, wo sich der Ordensmeister aufhielt.

Graf von Pfirt, ein Fünfziger von Ehrfurcht gebietendem, kriegerischem Aussehen, empfing seinen Gast mit großer Herzlichkeit und sagte, nachdem sich Beide über allerlei nah und fern liegende Gegenstände, über des Grafen Albrecht große Reisen und die Verhältnisse im deutschen Reiche längere Zeit unterhalten hatten:

»Graf Albrecht, ich wünschte freilich, Euch hier so lange zu behalten, als es geht. Dennoch muß ich Euch fragen, wohin Ihr Eure Fahrt von hier zu lenken gedenkt?«

»Ich habe viel im Sinne,« erwiderte Graf Albrecht. »Zunächst will ich nach dem heiligen Lande gehen, dem ich so nahe bin.«

»Ihr kommt noch zur rechten Zeit,« versetzte der Ordensmeister. »Denn Ihr müßt wissen, die neuen christlichen Königreiche von Jerusalem und Antiochia stehen auf einem so unsicheren, wankenden Boden, daß zu befürchten steht, sie werden bald wieder zu Grunde gehen. Leider sind es nicht sowohl die Heidenvölker, die den Bestand derselben bedrohen, als die geheimen Zwistigkeiten und Eifersüchteleien unter den christlichen Machthabern. Doch wir haben vollauf Gelegenheit, davon noch ausführlich zu sprechen. Laßt es Euch jetzt auf Rhodus wohl behagen und ruhet von Eurer langen Seereise gehörig aus. Ihr bleibt mein werther Gast; ich habe für Quartier gesorgt und Euch eine bequeme Wohnung im Schlosse Panagiri einräumen lassen.«

»Ich würde Eure Gastfreundschaft ohne Bedenken annehmen,« gab Graf Albrecht zur Antwort; »aber ich muß Euch sagen, daß zwei Frauen, welche das Gelübde gethan haben, das heilige Grab zu besuchen, sich meinem Schutze anvertraut haben und mit mir reisen.«

»Was thut das?« rief Graf von Pfirt. »Mir stehen sie nicht im Wege, noch haben sie zu besorgen, von mir gestört zu werden. Laßt sie getrost kommen, – an Platz fehlt es nicht bei mir.«

Nunmehr hochbefriedigt, nahm Graf Albrecht den Antrag an und kam auf die wichtige Angelegenheit, die ihm am Herzen lag, zu sprechen, indem er nach kurzem Besinnen sagte:

»Ich kann mich wohl an keinen kundigeren Mann, als Euch, edler Graf, wenden, um eine Auskunft zu erhalten, die mir viel Sorge und Mühe macht. Es handelt sich um einen jungen Mann von ritterlicher Geburt, der viele Jahre verschollen war und von seinen Angehörigen für todt gehalten worden ist. Allein gewissen, nicht ganz unglaubwürdigen Berichten zufolge soll er aus der heidnischen Gefangenschaft, in welcher er lange geschmachtet, glücklich entflohen und vor wenigen Monaten hier auf Rhodus gesehen worden sein.«

»Sein Name?«

»Er heißt Arbogast.«

»Arbogast, Arbogast! Ein junger Mann,« erwiderte der Ordensmeister, »ungefähr wie Ihr ihn beschreibt, befindet sich allerdings seit etlichen Monaten hier, und Ihr hättet Euren Mann gefunden, wenn sein Name zu dem Uebrigen stimmt. Ich meine, der junge Mann, den wir hier haben, heißt Arbogast!«

»Er ist es!« rief Graf Albrecht aus.

»Das freut mich,« versetzte der Andere. »Euch scheint viel an ihm gelegen zu sein, weil sich Euer Gesicht beim Aussprechen des Namens ganz verfärbt und verzogen hat ...«

»Ich leugne es nicht,« gab Graf Albrecht zur Antwort. »Es sind da die seltsamsten Umstände im Spiele, und die Nachricht, die Andere noch mehr als mich selbst berührt, wird die größte Freude erwecken. Die beiden edlen Frauen, die mich begleiten, nehmen gleichfalls den größten Antheil an dem Schicksale des Jünglings.«

»Nun, das trifft sich gut,« rief der Graf von Pfirt. »Der junge Mensch, den wir meinen, – ja gewiß, sein Name ist Arbogast, – hat in seiner langen Gefangenschaft viel ausgestanden. Er befindet sich jetzt wieder ganz wohl, doch ist er immer sehr traurig, sehr niedergeschlagen; er scheint mir ein gar unruhiger Geist.«

»Was treibt er hier?« fragte Graf Albrecht.

»Alles und Nichts,« war die Antwort. »Bald ergreift er Dies, bald Jenes. Mehrmals war er schon nahe daran, von hier abzusegeln, kam aber niemals dazu.«

»Man hat gehört,« bemerkte Graf Albrecht, »daß er hier in Kriegsdienste eintreten wollte?«

»Er wollte, wollte, – that es aber schließlich nicht. Man weiß nicht, woran man mit ihm ist. Ich glaube, er hat etwas Besonderes im Kopfe und will nicht Farbe bekennen. Etwas Geheimnißvolles hängt um ihn, – was, das kann nur die Zeit lehren. Soll ich ihn aufsuchen lassen und zu Euch schicken, oder wollt Ihr Euch selbst zu ihm begeben? Er wohnt in einer Hütte am Strande.«

»Laßt ihn hierher zu mir kommen! Bis zur sechsten Abendstunde sind wir in unserem Quartiere eingerichtet: um diese Zeit werde ich ihn erwarten.«

Das war abgemacht. Graf Albrecht kehrte auf das Schiff, das im Hafen vor Anker lag, zurück und theilte der Prinzessin getreulich mit, was er vernommen. Hierauf wurde die Umsiedelung rasch bewerkstelligt. Die beiden Frauen wurden in Tragsesseln, das Gepäck auf Maulthieren in's Schloß befördert. Graf Albrecht ging, in tiefe Trauer versunken, eine Strecke hinter den Frauen her. Die letzten Täuschungen, die allen vernünftigen Erwartungen entgegen den Unglücklichen verleiten, zu hoffen, hatten seine Brust verlassen. Er fühlte kaum die Lust mehr, mit der Prinzessin zu sprechen, und hatte ihr nichts mehr zu sagen, als ein Lebewohl.

Als Alle auf dem Schlosse angelangt waren und von ihrer Wohnung Besitz ergriffen hatten, äußerte die Prinzessin an den Gemächern, der Einrichtung, der Fernsicht, kurz an Allem das größte Wohlgefallen, aber sie wäre unter solchen Umständen wohl auch von der traurigsten Hütte ebenso entzückt gewesen. Lange schon, bevor Arbogast kommen konnte, stand sie am Fenster und blickte durch die Lücke des Vorhangs auf den geschlängelten Weg, der zum Schlosse herauf führte. Als endlich die schlanke, hohe Gestalt eines jungen Mannes mit langem, buschigem Haar leichten, raschen Schrittes daher kam und sich dem Hause auf eine kleine Entfernung genaht hatte, war ihre Freude grenzenlos.

»Er kommt, er ist es!« schrie sie laut auf, indem sie mit beiden Händen an die Thür des anstoßenden Gemaches schlug, in welchem Graf Albrecht trübselig dem Ausgange der Dinge entgegen harrte.

Bald darauf öffnete ein Schloßdiener, der von seinem Gebieter, dem Ordensmeister, den Befehl hatte, Arbogast zu erwarten und zum Grafen von Werdenberg hinauf zu führen, die Thür des Gemaches, und der junge Mann trat ein.

Seine Tracht war halb deutsch, halb griechisch. Er hatte eine Jacke von grobem Tuche, mit Silberknöpfen besetzt, ohne Aermel, die Arme vom Hemde bedeckt, darüber einen Mantel. Beinschienen von braunem Leder reichten vom Knöchel des Fußes bis an's Knie. Ein Schwert hing an seiner Seite, daneben ein krummes, türkisches Messer. Sein langes, blondes Haar fiel bis tief auf die Schultern herab.

Sobald sich die Thür hinter ihm wieder geschlossen, hätte sich ihm die Prinzessin gleich an die Brust geworfen, wenn sie nicht von seiner tiefernsten, melancholischen Miene und seinen unruhigen, finster rollenden Augen zurückgeschreckt worden wäre.

»Mein Gott, wie Ihr mich anseht,« rief sie, an allen Gliedern erbebend, während ihre Blicke fest auf dem jungen Manne hafteten und sein seltsames Aussehen vom Kopfe bis zum Fuße prüften. »Ach, wie seid Ihr so verändert, Arbogast!«

»Kein Wunder,« erwiderte der junge Mann, »wenn nach so vielen Leiden, nach einer so grausamen Gefangenschaft auch meine Haare ausgefallen oder ergraut wären! Aber auch Ihr, edle Frau, habt Euch sehr verändert! Wenn ich Euch einst gekannt habe, heute kenne ich Euch nicht mehr. Ihr seid die Gemahlin des Grafen von Werdenberg?«

»Nein, nein!« rief die Prinzessin, die ihm diesen Gedanken auf's Schnellste aus dem Kopfe schlagen wollte, mit der entschiedensten Verneinung. »Das bin ich nicht, – ich bin noch keines Mannes Weib! Doch auch Eure Stimme,« fuhr sie erbleichend und sich über die Stirne fahrend fort, »Eure Stimme, die ich höre, klingt so sonderbar, so fremd! Seid Ihr wirklich Ritter Arbogast von Wolfegg?«

Der Gefragte antwortete mit trübem Lächeln: »Arbogast heiße ich, ein Deutscher bin ich, aber nicht von ritterlicher Geburt, – bin nicht der Ritter, mit welchem Ihr mich zu verwechseln scheint. Ich bin der Sohn eines Waffenschmiedes zu Mainz am Rheine.«

Die Prinzessin that einen durchdringenden Schreckensschrei, wankte einige Schritte zurück und sank auf eine gepolsterte Ruhebank. Von ihrem Rufe aufgescheucht, kam Graf Albrecht, der das laut geführte Gespräch vernommen hatte, aber doch seiner Sache nicht ganz sicher war, in größter Eile aus dem Seitengemache herein.

»Er ist es nicht, er ist es nicht!« jammerte die Prinzessin.

Der junge Mann, der jetzt leicht errieth, um was es sich handelte, sagte zum Grafen: »Arbogast ist mein Name, doch bin ich nicht Derjenige, den dieses arme Fräulein mit soviel Herzensangst sucht!«

Der Graf, der den Fremdling neugierig von oben bis unten gemustert hatte, fragte: »Seid Ihr nicht hier auf Rhodus mit einem griechischen Maler zusammengetroffen?«

»Allerdings,« lautete die Antwort, »mit dem Meister Demetrios, – es ist schon längere Zeit her. Wir haben uns in einer Trinkstube unten im Hafen getroffen, und er hat dort ein Bild von mir gemacht. Es war nur wenige Augenblicke vor seiner Einschiffung nach Portugal.«

»Seht,« sprach der Graf, »dieses Bild hat uns getäuscht und die Verwechselung herbeigeführt. Es muß unleugbar eine Aehnlichkeit zwischen Euch und jenem Arbogast, den wir wiederzufinden hofften, bestehen. Wie lange seid Ihr in der Gefangenschaft der Heiden gewesen, und wo?«

»Ich war fünf Jahre in Algier,« erwiderte der Sohn des Mainzer Waffenschmiedes.

»Das ist eine lange, lange Zeit,« sprach der Graf. »Sind dort unter den Gefangenen auch Deutsche?«

»Ich glaube kein einziger,« lautete die Antwort.

»Auch Euer Namensbruder,« fuhr der Graf fort, »der Ritter von Wolfegg, schmachtet schon seit drei Jahren in der Gefangenschaft der Heiden, aber wenn man nur wüßte, wo! Keiner der vielen Kundschafter, die man unter alle möglichen Heidenvölker aussandte, hat es herausgebracht; auch die Aussetzung eines großen Lösegeldes hat nicht verfangen. Habt Ihr nie etwas von ihm gehört?«

»Niemals,« erwiderte der junge Mann. »In Algier ist er keinesfalls. Uebrigens wundert es mich gar sehr daß er in so langer Zeit nicht im Stande gewesen sein sollte, Kunde von sich zu geben. Bei den Heiden wandern die Sclaven aus einer Hand in die andere, gar leicht auch auf die entferntesten Plätze und Märkte, wenn sich ein hoher Kaufpreis für sie erzielen läßt. Denn wenn auch diese mohamedanischen Hunde sehr grausam sind, so geht doch bei ihnen die Geldgier über den Blutdurst! Ein Gefangener von vornehmer Geburt, der sich auf die Hilfe so viel vermögender Freunde, wie Ihr, hochgeborener Herr Graf, stützen kann, hätte kein so schweres Spiel, sich durch große Versprechungen und das Angebot eines hohen Kaufpreises von seinem Herrn frei zu machen. Wenn Ihr bisher nichts von ihm gehört habt, so ist das verdächtig. Jener Arbogast, den ihr so eifrig sucht, ist vermuthlich längst nicht mehr am Leben ...«

Die Prinzessin seufzte laut auf.

»Das ist wenigstens meine Meinung,« fuhr der Namensbruder Arbogasts fort. »Es ist vielleicht hart, eine solche Vermuthung auszusprechen; aber die schlimmste Wahrheit ist in diesem Falle besser, als die schönste Täuschung! Ihr seid sicherlich der weit berühmte regierende Graf von Werdenberg?«

»Das bin ich,« versetzte der Graf.

Der junge Mann verneigte sich tief, ohne die geringste Ahnung davon, wie dieser hohe und mächtige Herr eben noch vor ihm gezittert hatte.

»Wir danken Euch für Eure Mühe und die gegebene Auskunft,« fuhr der Graf fort. »Ihr könnt jetzt gehen, kommt aber vor meiner Abreise noch einmal zu mir und besinnt Euch inzwischen, was ich etwa für Euch thun kann. Schließlich ersuche ich Euch noch, über das, was Ihr hier gesehen und gehört, das vollständigste Stillschweigen zu bewahren.«

»Als Schwätzer und Plauderer bin ich auf dieser Insel nicht bekannt,« erwiderte der junge Mann und zog sich, einen mitleidsvollen Blick auf die Prinzessin werfend, mit einer tiefen Verbeugung aus dem Gemache zurück.

Laut schluchzend rief, als der junge Mann verschwunden war, Dona Diafanta: »Alles ist verloren, Alles ist hin! Ich unglückliches Geschöpf! Hier will ich sterben!«

Aller Trost, aller Zuspruch, alle Theilnahme fruchteten nichts, sondern schienen nur ihre Aufregung zu steigern. Graf Albrecht zog sich endlich zurück; die Prinzessin wurde von ihrer Begleiterin zu Bette gebracht, in welchem sie sich die ganze Nacht hindurch, von Schmerzen geschüttelt, schlaflos umher warf.


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