Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVI.
O daß wir oft wüßten, was zu unserm Frieden dient!

Allerdings kränkte mich das Unrecht, welches ein heuchlerischer Gemal der ihn so herzlich liebenden Deidamia zufügte; doch war ich eben so wenig mit Eutraciens Plauderei und mit ienem Anschlag, den sie ihrer Freundin gab, zufrieden. Daß Meroveus überrascht werden könne, glaubt' ich gern; doch ob diese Ueberraschung ihn bessern, oder nur noch mehr in seiner Strafbarkeit abhärten würde? dies wagt' ich nicht zu entscheiden; und fürchtete das leztere, mehr, als ich das erste hofte.

Nur wenig Menschen können Verweise, und noch wenigere bittre Vorwürfe ertragen. Sie erkennen ihr Unrecht; aber sie wollen diese Erkentnis nur sich selbst, nicht andern verdanken; und wenn sie einer Thorheit entsagen, soll diese Besserung von ihnen selbst herzurühren scheinen. Ein gewisser, der menschlichen Natur eigner Stolz, verschmäht iede fremde Ermahnung; und auf eben denienigen Fehler, den er sich selbst überlassen, endlich eingesehen und abgelegt haben würde, beharrt er halsstarrig, sobald ihn der Tadel eines Dritten darauf aufmerksam machen will. Geschieht zumahl diese Vorstellung von einer Person, die wir – es sei in Betracht ihres Verstandes, oder in irgend einer andern Rücksicht, – zu übersehen glauben, so dient solche nur dazu, unsern Unwillen, wohl gar unsern Haß oder unsre Verachtung zu vergrößern.

Gewohnheit und Veriährung, – sie sei gerecht oder ungerecht! – hat nun einmal den Mann zum Haupt des Weibes erklärt. Fest hält er, wenigstens in der Regel, auf dieses erworbene Ansehn; läßt es sich zuweilen abschmeicheln oder heimlich entwenden, aber äußerst selten abtrozzen. Selbst in Fällen, die weit geringfügiger noch, als seine Vergnügungen sind, hält er ieden ofnen Tadel, ieden empfindlichen Vorwurf für einen Eingrif in seine Rechte; und weigert sich einem weiblichen Gesezgeber zu gehorchen. – Zwar kann eine Frau, auf der Seite, wie Deidamia beleidigt, allerdings für höchst gekränkt gelten, und hat gültige Ursach sich laut zu beklagen. Doch was die Billigkeit ihr erlaubt, verbietet die Klugheit. Lieb' und Sanftmuth sind für das schwächere Geschlecht die einzigen siegversprechenden Waffen; sobald dasselbe zu andern greift, verwundet es sich selbst. Die Gattin, welche die Fehltritte ihres Mannes nicht einmal zu bemerken scheint, nöthigt ihn, sie so geheim als möglich zu halten, und ihr selbst mit aller derienigen Achtung zu begegnen, die ihr Karakter und ihre gegenseitige genaue Verbindung erfordern; ia, nicht selten führt ihn ein eignes Gefühl seiner Strafbarkeit, und eine unwillkührliche Bewundrung iener Unschuld oder Nachsicht zur ersten Pflicht zurück. Ungestüm, Zank und Geschrei hingegen geben ihm einen Vorwand, ihr Gleiches mit Gleichen zu vergelten: entschuldigen ihn bei sich selbst; machen, daß ein flüchtiger Leichtsinn zur entschiedensten Untreue, und Gleichgültigkeit gegen seine ehliche Hälfte zum Haß und Abscheu übergeht. – Jene trefliche, und seitdem schon in so manches Buch eingewebte, Bemerkung eines unsrer grösten Dichter: Vergebung ist nur dem Beleidigten, nie dem Beleidiger möglich! paßt hier in ihrer ganzen Stärke.

Voll von Betrachtungen dieser und ähnlicher Art, sucht' ich am andern Morgen das Haus der Mistreß Flounceit auf. Es hatte einige Schwürigkeiten; doch welche Schwürigkeiten überwindet Neugier nicht? Ich fand nicht nur die Wohnung der Modehändlerin, sondern war kaum einige Minuten vor der Hausthüre auf und abgegangen, als ich meine beiden Lädies schon ankommen sahe. – Mistreß Flounceit empfing sie mit tausend Komplimenten, mit wiederholten Bedauren: daß sie in ein so unaufgeräumtes Zimmer kämen, – ein Kompliment, das bei einer gewissen Gattung von Menschen, auch dann gewöhnlich zu seyn pflegt, wenn man im höchsten Staat sie findet! – und holte eine große Menge ausländischer Zeuge herbei, die sie vor ihnen ausbreitete, indem sie iedem spätern Stück noch ein größres Lob als den vorhergehenden gab.

Deidamiens Gesichtszüge lieferten eine stumme Erzählung von der Geschichte der leztverflosnen Nacht. Ihr sonst so schönes, iezt getrübtes Auge, ihre sonst so reizend gefärbten, iezt gebleichten Wangen, ein halb unmerkliches Beben in ihrer ganzen Haltung, verriethen mir, wie viel sie indeß gelitten haben mochte, wann sie sich einen geliebten Verräther in andern Armen dachte. Auch Eutracie, wiewohl sie es besser verbarg, war doch in heimlicher Unruhe. Alle iene Ruhmräthigkeiten, mit welchen Mistreß Flounceit den Werth ihrer Waaren und ihre eigne Uneigennüzigkeit prieß, gingen bei fast tauben Ohren verlohren. Deidamia wuste warlich nicht, was sie sah, fühlt' und hörte. Eutracie begnügte sich mit einzelnen Silben, die oft sehr unpassend lobten. Beide waren mit ihren Gedanken nur in der Zukunft.

Indeß kam ein Dienstmädchen ins Zimmer, und brachte von dem obenwohnenden Herrn und seiner Lädi ein Kompliment an Mistreß Flounceit, und ob sie nicht Lust hätte, mit ihnen das Frühstück einzunehmen? Länger konte Deidamia sich nicht bezähmen. Schnell sprang sie vom Sofa empor, wo sie bisher gesessen hatte. Ehe die Hausfrau noch ein Wort zu erwiedern vermochte, war iene schon die Treppe hinauf; riß die erste ihr entgegenstehende Zimmer-Thüre auf, und erblickte – ihren Gemahl, der neben einem iungen Frauenzimmer dicht an einem Bette saß, von welchem sie so eben aufgestanden zu seyn schienen. – »Solt' ich nicht, rief sie in einem Ton, den man durchaus hören muste, um ganz das Schneidende, das in ihm lag, zu fühlen! – solt' ich nicht auf Meroveus Gesellschaft an iedem Ort in der Welt ein noch größeres Recht, als Mistreß Flounceit und irgend eine andre Person haben?«

Deidamien auf dem Fuße folgte Eutracie nach; wahrscheinlich um ihre Freundin von allen alzuheftigen Ausschweifungen des Zorns abzuhalten. Mit unausdrückbarem Entsezzen war Meroveus aufgesprungen. – »Himmel – Madam! – Was führt Sie hieher?« Das war alles, was er, halb heraus stotterte, halb schrie.

Deid. Warlich, eine Frage, die besser mir als Ihnen ziemte! Ich komme einen undankbaren, und doch so heiß geliebten Gemahl aufzusuchen. Komme und sehe, was ich sogern selbst meinem Gesicht abläugnen möchte! Ist es möglich, Meroveus, daß Sie mich einer so verächtlichen, nichtswürdigen Kreatur aufopfern?

Mer. Madam – Madame – dies ist kein Betragen, das Ihnen ziemt.

Deid. Und ziemt es Ihnen denn, Ihr Haus und Ihr redliches Weib zu verlassen? So elende Ausflüchte für Ihr Wegbleiben zu ersinnen, und sich in irgend einem Winkel mit solch' einer Mezze zu verbergen? – Mit Weibspersonen zu schwelgen, die für ein schändliches Sündenlohn iedem Manne feil sind?

Das Mädchen. (zitternd) Madame, – ich bin nicht, wofür Sie mich halten und schmähen! Ich wußte nicht, daß Meroveus schon verehlicht sei.

Deid. Eine schändliche Lüge! Verworfne Kreatur, du soltest nicht gewußt haben, daß Meroveus eine Frau hätte? Eine Frau, die ohne Eitelkeit gesagt, wenigsten in allem mit ihm sich messen darf! Die für ihn, für ihn allein nur lebte! Die – doch hinweg aus meinen Augen, damit ich meinen treulosen Gemahl desto ungehinderter fragen kann, was er denn in diesem feilen Dirnen-Gesicht so reizend fand, um deshalb seine rechtschafne Frau zu vernachläßigen.

Meroveus wolte hier antworten, doch Mistreß Flounceit ließ ihn nicht dazu. Erschrocken über der beiden Lädis schnelle Entfernung, war sie kaum vermögend gewesen, ihre Habseeligkeiten wieder bei Seite zu räumen, und trat nun mit dem Ausruf: Um Gottes willen, was giebts denn hier? ins Zimmer.

Deid. Wohl möglich, daß Sie selbst nicht wissen, auf welche Art man Ihr Haus zum Bordell gemacht hat.

Flounc. Mein Haus zum Bordell? Da sei Gott für –

Eutrac. Meine Freundin spricht freilich ein wenig alzu stark: doch unwahr spricht sie keinesweges. – Sie ist die rechtmäßige Gemalin dieses Herrn hier. – Schon sieben Jahr sind sie zusammen verheirathet. Ich selbst war bei der Trauung. Diese angebliche iunge Frau daher ist nichts mehr – als eine käufliche Dirne.

M. Flounc. O über das nichtswürdige Geschöpfe! Wie konte Herr Townley mir einen solchen Schimpf erwiesen! – Er wußte doch wie sehr ich dergleichen Handthirung hasse – Fort, Nickel, diesen Augenblick aus meinem Hause!

Bei diesen Worten ging sie auf die Geliebte des Meroveus los, wahrscheinlich in der christlichen Absicht, sie vor die Thüre und in die freie Luft hinaus zu befördern. Doch mit einem Gesicht, das von Zorn glühte, trat Meroveus zwischen beide, und rief:

»Halt, Madame, halt! Diese Lädi ist iezt unter meinem Schuzze. Wer nur einen Finger an sie legt, hat es mit mir zu thun. – (zu Deidamien) Was Sie betrift, Madame – so haben Sie ganz fruchtlos mich und sich selbst beschimpft. Wir sehen uns für dieses Leben nicht wieder.«

Indem er dies sprach, nahm er seine vor Schrecken und Furcht zitternde Geliebte bei der Hand, um sie die Treppe herunter zu führen. Halb sinnlos, in äußerster Verzweiflung ergrif ihn Deidamia beim andern Arm.

»Wo wollen Sie hin, Meroveus? – Wollen Sie noch Unrecht auf Unrecht häufen? Von mir wollen Sie gehen? Und zwar mit dieser hier? Ich bitte, flehe, beschwöre Sie: Bleiben Sie, und lassen Sie dieses Weib allein fortgehn!«

Mer. Nein, Madame – lassen Sie mich vielmehr! Schon Ihre bloße Berührung ist mir iezt eben so verhaßt, als sie mir iemals angenehm gewesen seyn mag. – Ich überlasse Sie dem Nachdenken und der verdienten Reue Ihrer Unbesonnenheit halber.

Auch diese grausamen Worte bewogen sie nicht, ihn loszulassen. Sie wolt' ihn noch fester umklammern; wolte an seinen Hals sich schliessen; wolte wahrscheinlich mit Bitten und Beschwörungen noch stärker in ihn dringen. Doch mit höchster Verachtung in seinen Mienen, und fast unglaublicher Stärke in seinem rechten Arme, schleuderte er sie weit von sich; und war in wenig Augenblicken mit seiner nichtswürdigen Freundin zum Hause hinaus. Denn auch diese förderte sich nach allen Kräften, um bald von einem Orte wegzukommen, wo sie immer noch einer härtern Begegnung ausgesezt zu seyn befürchtete. – Selbst diese Eil würde sie kaum befreit haben; selbst bis auf die Straße hätte wahrscheinlich Deidamia ihren unedelmüthigen Gemahl verfolgt: hätte nicht Eutracie aus allen Kräften sie zurückgehalten; ihr vorgestellt, daß sie sich und ihn unvergütlich beschimpfe; und sie dran erinnert: daß er im ersten Zorne, mithin blind und taub für Flehn und Bitten sei.

Endlich gab diese unglückliche Gattin nach; aber da blos die Wuth bisher ihre Lebensgeister in Bewegung gesezt hatte, und der Gegenstand, der iene erregt, nunmehr verschwunden war, so kehrte sie gegen sich selbst den Blick, überdachte das Gesehene, das Gesprochene, das Gehörte, und überließ sich einem fast unbegrenzten Jammer. Thränen, Händeringen, Schlagen gegen Kopf und Brust, Ohnmacht über Ohnmacht wechselten unter sich ab. Aller Trost von Eutracien und Mistreß Flounceit blieb, wohl drei Stunden hindurch, fruchtlos. – »Grausamer, barbarischer Meroveus – treuloser, unedelmüthiger Mann, – womit hab' ich dies verdient? Gütiger Himmel, was hab' ich Unschuldige gethan, daß du so hart, daß du grade in diesem Punkte mich straftest!« – So rief sie unzählichemal aus; und selbst, als sie zulezt, ein wenig gemildert, nach ihrer Kutsche gebracht wurde, um heimzufahren, konte man zum Voraus sehen, daß es nur der augenblickliche Nachlaß eines Sturmes sei, der bald von neuem und vielleicht noch stärker wüten werde.

Was ich von der thörigten Schwazhaftigkeit derienigen halte, die ihren Freunden unaufgefordert so unwilkomne Geheimnisse entdecken, das wissen meine Leser aus dem Vorhergehenden schon. Nicht Mangel an Mitgefühl daher, sondern nur der Wunsch, gewisse Dinge nicht zweimal zu sagen, macht, daß ich ohne weitere eingewebte Betrachtungen zum Schlus der Begebenheit selbst eile. – Des andern Morgens ging ich wieder in Meroveus gewöhnliche Behausung. Ganz meiner Besorgnis nach, war er nicht heim gekommen. Deidamia lag noch auf ihrem Bette; ein lebendes Bild der tiefsten Betrübnis! Eutracie, die sie seit gestern nicht verlassen zu haben schien, saß neben ihr. Ihre Trostgründe waren – die gestrigen. Der Erfolg derselben war es nicht minder. Ich wolte eben wieder weggehn, als ein Bedienter einen Brief brachte. Zitternd und hastig zugleich, erbrach ihn Deidamia; er war von Meroveus; sein Inhalt klang also:

Madame!

Mein fester Entschluß ist – ruhig zu leben. Nach dem was gestern vorgefallen, darf ich diese Ruhe nie mehr bei Ihnen zu finden hoffen. Was ich daher gestern in der Hizze der Leidenschaft sagte, wiederhole ich heute bei kaltem Blute und nach reiflicher Ueberlegung. Eine ewige Trennung ist die Folge Ihres Betragens; selbst die Beredsamkeit eines Engels würde diesen Entschlus nicht wankend machen. Solten Sie dies vielleicht für ein Misgeschick halten, so rath' ich Ihnen, es wenigstens mit Gedult zu ertragen, denn es ist ganz Ihre eigne Schuld.

Um Ihnen iedoch zu rechtmäßigern Beschwerden keinen Grund zu geben, so soll Ihnen von Stund an, iene Rente, die unser Ehkontrackt der Witwe bestimte, so pünktlich ausgezahlt werden, als wäre ich würklich todt. Alles Hausgeräth in Küch und Zimmern, alles Bett- und Leinenzeug gehöre Ihnen zu. Nur meine Bücher, meinen Kleider- und Schreibschrank nehme ich, nebst dem, was darinnen befindlich ist, aus. – Von unsern Kindern sei die Erziehung des Sohns meine Pflicht; das Mädchen behalten Sie. Hundert Pfund iährlich füge ich der Leztern halber zu ienem Witwengehalt.

Leben Sie wohl – für immer! Da Liebe zwischen uns nun undenkbar ist, so halt ich es auch für das Zuträglichste auf beiden Seiten, uns nie wieder zu sehn. Ich werde sorgfältig ieden Ort, den Sie besuchen, vermeiden, und hoffe auf gleiche Vorsicht von Ihnen; zumal da dieses der einzige Weg ist, wo Sie noch eine Verbindlichkeit sich erwerben können, um

Ihren

so hochbeleidigten Gemal
Meroveus.           

Meine schönen Leserinnen – wenn ich anders deren habe! – werden am besten urtheilen können, mit welchem schmerzlichen Gefühl Deidamia diesen Entschlus ihres Gatten las. Lieb' und Stolz zugleich sahen über sich den Stab gebrochen. Einige Minuten lang schwieg sie in sprachlosem Jammer versunken; dann reichte sie ihrer Freundin ienen Brief, und rief zugleich mit dem Tone des höchsten Schmerzens: »Lies hier, meine Theure! Lies und beklage mich. Mein unwürdiger Gatte ist doch gewiß der angreifende Theil; gleichwohl spricht er mit mir, als hätt' er den gerechtesten Grund der Rache.« – Eutracie las; voll Feuer und Geist brach sie bei ieder neuen Zeile in neue Vorwürfe gegen den Bösewicht aus, der sie – leider nicht hörte; und als sie endlich zum Schlus des Briefes kam, fragte sie rasch ihre Freundin: Was sie gesonnen sei, diesem schändlichsten, ungerechtesten aller Männer zu antworten.

Deid. (seufzend) Warlich, noch weiß ich es selbst nicht.

Eutrac. An Deiner Stelle würd' ich ihm Einen Brief schreiben, der ihm nach langen Jahren noch in beiden Ohren gellte!

Deid. (noch tiefer seufzend) Ach, man sieht, daß Du nicht Gattin bist! Aber schreiben will ich ihm; das ist gewiß.

Sie klingelte bei diesen Worten, und fragte den hereinkommenden Bedienten: Ob der Ueberbringer dieses Schreibens auf Antwort warte?

Bed. Nein. Aber er sagte mir, daß ich um zwei Uhr auf Georgens Kaffeehaus komen, und für unsern Herrn einige Wäsche mitbringen solle.

Deid.. Gut! So sagt mir es, eh ihr hingeht. Ich hab' euch ein Billet mitzugeben.

Dieses sogenante Billet, das Deidamia unter tausend Thränen schrieb, lautete also:

Grausamer, ungerechter, und doch mir theurer Gemal!

Wenn es nach dem schmachvollen Auftritte von gestern noch eines Beweises bedürfte, daß ich unglücklich genug war, Ihre Liebe gänzlich zu verlieren, so würde Ihr heutiger Brief zu diesem Beweise gnügen – Wie? – Nach sieben Jahren in so einträchtiger Ehe, mit so inniger, unbegrenzter Liebe auf meiner Seite, mit – wenigstens so scheinbarer Zärtlichkeit auf der Ihrigen hingebracht – können Sie nun auf eine Trennung denken? Wollen eine Familie zerreißen, die bisher vor den Augen der Welt, so einig, so ehrwürdig sich zeigte? – Soll ich verdamt seyn, den Verlust eines Gemals, indem der Gemal noch lebt, zu betrauern? Soll mein Sohn fremd gegen seine Mutter, Ihre Tochter fremd gegen ihren Vater erzogen werden? – O Meroveus, wenn Sie auch auf mich keine Rücksicht mehr nehmen, denken Sie wenigstens auf Ihre eigne Ehre, aufs Glück Ihrer Kinder, und ändern dann Ihren grausamen Entschlus! Lassen Sie uns nach ienen unseeligem Vorfalle wenigstens in bürgerlicher Eintracht, wenn auch nicht mit vormaliger Zärtlichkeit, zusammen leben! – Und warum nicht selbst mit dieser? – Mehr als auf halbem Wege will ich Ihnen hier entgegen gehn. – Daß Sie grade am schmerzhaftesten Orte mich verwundeten, das können Sie selbst nicht läugnen; daß ich zu rasch bei der Entdeckung verfuhr, gesteh ich ebenfalls. Wir haben also beide gefehlt. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht – – doch wohl bereut und vielleicht noch verbessert werden. Lassen Sie uns gegenseitige Vergebung ausüben, und alles vergessen, was vorging!

Es gab eine Zeit, wo der kleinste Kummer Ihrer Deidamia auch auf Sie überging. Solten Sie denn auf einmal alles Mitleiden, alle Menschlichkeit, alle Gewissensbisse aus Ihrer Brust verbant haben? Solten Sie gar nichts mehr bei dem namenlosen Jammer meines Herzens empfinden? – – Nein! Nein! das ist unmöglich. Vernunft, Ehre, Ihr weiches gutes Herz sträuben sich dagegen. Sie werden zurückkehren in die Arme Ihres Sie noch unsäglich liebenden Weibes! Sie werden die Verzeihung annehmen, die ich so von ganzer Seele Ihnen anbiete, und mir zur Vergeltung auch die Ihrige schenken! – Lassen Sie diese Hofnung nicht unerfüllt; und denken Sie selbst ernstlich allen ienen unglücklichen Folgen nach, die ganz gewiß eine Trennung von derienigen begleiten, welche lebenslang wünscht zu seyn – was sie bisher immer war,

Ihre treuste, innigste,           
unbeschreiblich Sie liebende Gattin,
Deidamia.                     

Deidamia reichte, als sie endlich fertig war, diesen Brief ihrer Freundin zum Durchlesen hin; doch er fand bei weiten nicht Eutraciens gänzlichen Beifall. Die erstere Hälfte behagte ihr allerdings; doch die leztere schien ihr viel zu nachgebend, viel zu unterwürfig. Gleichwohl blieb Deidamia auf dem, was sie geschrieben, und der Brief ging ab; auch das ward dem Bedienten eingeschärft, daß er von der Unpäßlichkeit seiner Gebieterin einige kräftige Worte solle fallen lassen. – Nach seinem Weggehn entstand zwischen beiden Lädis ein freundschaftlicher Wortwechsel über das Ansehn eines Ehmanns, und die Nachgiebigkeit, die einer Frau gebühre. Beide Damen sprachen mit Wärme und Einsicht; dennoch, da ich hier nicht alzuviel zu lernen hofte, und andre Geschäfte mich riefen, entfernte ich mich, mit dem Vorsaz: Morgen wieder hinzugehn.

Ich hielt diesen Vorsaz; aber ich erschrack beim ersten Tritt ins Zimmer; so zerstört, in fast noch größern Harm als vorher versunken, fand ich Deidamien. Ihre von Weinen verschwollne Augen, ieder Zug ihres Angesichts, die Angst, mit welcher sie iezt auf und niederging, iezt auf ihr Sofa und aufs Antliz sich warf, ihr Schluchzen und Händeringen – alles, alles zeigte, daß ihr Unglück und ihr Schmerz noch höher gestiegen seyn musten. Ich sah mich daher überall im ganzen Zimmer um, und fand bald auf dem Tische ein Antwortschreiben ihres Gatten liegen, das mir alles erklärte. Da einmal meine Leser und Leserinnen zwei Briefe schon mitgetheilt erhalten haben, so mag auch dieser dritte und lezte hier stehen.

Madame!

Ich war ein Weilchen mit mir selbst uneinig: Welches Mittel würksamer sei, uns beiderseits manche Unruhe für die Zukunft zu ersparen: Wenn ich Ihnen auf gegenwärtige Art, oder wenn ich gar nicht antwortete? Sie sehen, ich habe das erstere erwählt; aber ich hoffe, Sie werden Schonung genug haben, mich nie wieder in ähnliche Ungewisheit zu sezzen. Glauben Sie mir, eh ich den festen Entschlus unsrer Trennung faßte, überdachte ich selbst alle Folgen desselben reiflich. Sie sind wichtig genug, aber sie kommen mit meiner Gemüthsruh in keinen Vergleich. Denn ohne diese würde mein Leben mir zum Fluch, mein Bett zum Dornenlager, meine Tafel zur Einöde, mein Haus zur Hölle, und ieder freundschaftliche Besuch zur quälenden Furie werden.

Sehen Sie, allen diesen Umsturz hat Ihre thörichte Eifersucht veranlaßt! Beschuldigen Sie mich daher keines Undanks! Wie viel tausendmal gestanden Sie gegen mich selbst, so glücklich als nur irgendeine Frau zu seyn, und waren es auch würklich. Nie hatten Sie, in der Reihe von Jahren, die wir zusammen verlebten, den kleinsten Anlaß über einen Mangel meiner Lieb' und Achtung zu klagen. Jeden Ihrer Wünsche suchte ich zu erreichen und zu erfüllen; und so oft ich mir ein Vergnügen erlaubte, das Ihnen Unruh erregen konte, bestrebt' ich mich, es so geheim als möglich zu thun. Warum muste eine thörichte Neugier Sie verleiten, in Geheimnisse einzudringen, von welchen Sie nichts als Kummer erwarten, und Zertrümmerung unserer Liebe befürchten musten?

Ohne Zweifel ist es für uns beide, wie Sie sehr richtig bemerken, der vortheilhafteste Rath, alles Vorgefallene ganz zu vergessen. Nur über die Maasregeln, die Sie hierbei vorschlagen, kann ich nicht Ihrer Meinung seyn. Jenes Vergessen kann nur dann bewürkt werden, wenn wir ieden Umgang zwischen uns aufheben. Ich habe daher meinen Bedienten streng befohlen, keine Bothschaft und keinen Brief von Ihnen anzunehmen; und versichre, daß auch dieser mein lezter für immer sei. Leben Sie wohl. Ich gönne Ihnen von ganzer Seele iedes Glück, das Sie in der Entfernung genießen können, von

Ihrem         
ehmaligen Gatten
Meroveus.     

Als ich grade mit Lesen dieser, leider nicht trostreichen Epistel fertig geworden war, trat Eutracie herein, und ihr Gespräch mit Deidamien nahm seinen gewöhnlichen Gang. Eutracie bestrebte sich, den Stolz, den Unwillen, ia selbst die Rachgier ihrer Freundin gegen einen, ihrer Meinung nach, unwürdigen Gemal anzureizen. Deidamia vermocht' es nicht, sie zu widerlegen; aber immer siegte doch am Ende die alzuheftige Liebe über Vernunft und selbst über den Stolz ihres Geschlechts. – Mit wenigen Worten zusammen gefaßt, die erstere sprach, wie ein unverehlichtes Frauenzimmer, die zweite, wie eine zärtliche Gattin zu sprechen pflegt.

Ob Deidamia noch weitre Versuche anstelte, ihren hartnäckigen Gemahl zu erweichen, weiß ich selbst nicht; aber das ist wenigstens entschieden: Er blieb auf seinem Vorsaz. Die Lädi entfernte sich für einige Monate aufs Land; als sie wieder zurück nach London kam, hatte wenigstens ihre Miene und ihr äußerliches Betragen den Schein der Gleichgültigkeit gewonnen; doch blieb wahre Heiterkeit und ehmaliger muntrer Scherz ihr fremd. – Ein kräftiger Spiegel für raschhandelnde Eifersucht! Und doch wohl für die meisten, die hinein blicken sollen, noch nicht kräftig genug!


 << zurück weiter >>