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XXIII.
Schon schlägt die Festung Chamade, doch hat die neue Sibille in einem Punkte sich geirrt.

Ich besuchte Miß Arabellen in den nächsten vierzehn Tagen noch einigemal, sowohl mit als ohne Gürtel; fast immer fand ich Sir James bei ihr. Im Herzen überzeugt, daß eine höhere Fügung ihn zu ihrem Gatten ausersehen habe, gab sie sich bald nicht die geringste Mühe mehr, ihre Neigung für ihn zu unterdrücken. Mit iedem Tage ward sein Betragen ungezwungener und zutrauungsvoller. Schon sah ihn alles im ganzen Hause als den künftigen Gebieter an. An ieden öffentlichen Ort begleitete er Arabellen. An seinem Arm erschien sie auf Spaziergängen; in der Loge war er ihr Gesellschafter, Mittags und Abends ihr Gast. Nur in den Stunden, wo es der äußerste Wohlstand verbot, war er noch abwesend.

Bald war dies Betragen Arabellens ein Stadtgespräch. Ihre Bekannten staunten darüber. Ihre nähern Freunde und Anverwandten geriethen in einige Unruhe. Niemand kante diesen Günstling. Alles fragte nach seinem Wie? und Woher? Beides blieb ein Räthsel. Endlich wagten einige, die ein längerer Umgang und genaue Blutsfreundschaft dazu berechtigten, mit ihr selbst davon zu sprechen; Aber die Geschichte, die sie ihnen dann erzählte, fand nicht die gute Aufnahme, die sie bei ihr gefunden hatte. Einige sagten ihr grade heraus: sie habe es mit einem Betrüger zu thun; andre begnügten sich mit dem Wunsche, daß er es nicht seyn möge. Alle riethen ihr, sich doch erst genauer nach seinen Umständen zu erkundigen. Aber auch allen gab sie zur Antwort: Sie kenne bereits ihre Bestimmung, sei entschlossen ihm ihre Hand zu geben, und bäte, sie mit fernern Weisheitregeln zu verschonen. Ein gewisser hartnäckiger Zug ihres Karackters machte sogar, daß sie denienigen, gegen welchen so viele sich verschworen, eben deswegen noch lieber gewann.

Eines Tages, als ich sie wieder im Gewande meiner Unsichtbarkeit besuchte, sie wieder ganz allein beisammen fand, schien er mir etwas düstrer als gewöhnlich zu seyn, und sie selbst war grade im Begrif, ihm seiner mismuthigen Laune wegen, einen halb scherzhaften, halb zärtlichen Vorwurf zu machen. Er ließ sie ausreden, ergrif dann aber ihre Hand, küßte sie, und sprach mit einem Tone, der allerdings – wenn auch nicht von Herzen kommend, doch zum Herzen gehen konnte.

Ja, meine englische Miß, ich gesteh' Ihnen, daß ich zuweilen traurig – selbst in Ihrer mir so unendlich theuren Gegenwart traurig bin. Sie haben mir versprochen, mich zum Glücklichsten aller Menschen zu machen, und fester, als hätt' es eine Stimme vom Himmel mir zugesagt, trau ich auf dieses mir theure Wort. Dennoch, wenn ich bedenke, welch' ein langer Zwischenraum noch die Erfüllung meiner Wünsche aufschiebt, – erlaubt mir dann die Ungedult meiner Leidenschaft wohl heiter zu seyn?

Arab. Daß ihr Männer doch so gern in allem rasch zu Werke geht!

James. O Miß, wie niederschlagend ist der Gedanke, daß auf unsichren Winden und Wellen mein ganzes Glück beruht? Kann es nicht noch zwei Monate dauern, eh meine Güter von Philadelphia kommen?

Arab. Und nennen Sie denn zwei Monate eine so gar lange Zeit?

James. Ach, es ist eine halbe Ewigkeit für die Liebe! – Selbst für die gewöhnliche menschliche Rechnung ist es eine mehr als erträgliche Qual. Acht ganzer Wochen, sechs und funfzig angstvolle Tage und eben so viel noch trostlosere Nächte! Mehr als dreizehn hundert Stunden der bangsten Erwartung – und o so zahllose Minuten in Kummer hingebracht, da iede einzelne dem süßesten Entzücken gewidmet seyn könnte.

Arab. In der That, Sir, Sie machen Ihrem Rechenmeister Ehre. Ich selbst stellte mir die Zahlen nicht so gar fürchterlich vor. – Aber was wollen Sie, daß ich thun soll?

James. Was Sie thun sollen, Miß! O wenn Sie mich wahrhaft liebten, würden Sie so nicht fragen. Edelmüthig würden Sie selbst den Zeitpunkt meiner Wünsche beschleunigen.

Arab. Sie begehren doch nicht mich zu ehlichen, eh Ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht worden? Eh alles zur wechselseitigen Zufriedenheit eingerichtet ist?

James. Ich versteh Sie, Miß. Die Sitten unsrer Zeit und unsres Standes erfordern Heirathsgut und Ehestiftung. Doch die Leidenschaft, mit der meine ganze Seele für Sie brennt, ist von höherer Natur, als mit Kleinigkeiten dieser Art sich lange zu verweilen. Nie hab' ich nach nach Ihrem Vermögen gefragt, und nie werde ich es thun. All' das meinige hingegen soll Ihnen gehören. Ihre liebenswürdige Person ist der einzige Schaz, nach dessen Besitz ich geize. Der Ueberrest hänge von Ihrer Bestimmung ab!

Arab. Das ist fürwahr sehr gütig; ist mehr, als ich begehre und annehmen kann.

James. Daß Sie doch kein andres Gut, als diese himlischen Reize besäßen! Dann könt' ich Ihnen ganz die Redlichkeit meiner Absichten beweisen – das Feuer meiner Liebe, das alles, alles Ihnen überliefert! – O Sie wissen nicht, wie innig, wie glüend ich Sie anbete.

Arab. Ich bin eitel genug, mir mit einem Plaz in Ihrem Herzen zu schmeicheln.

James. Mit einem Plaz in ihm? O es gehört Ihnen ganz! Gehört in der ganzen weiten Welt Ihnen allein. Aber wenn Sie es sehen könten, dies liebevolle, nur für Sie schlagende Herz, dann würden Sie auch – und wär' es aus Mitleid nur – seine Qualen mindern.

Arab. Hab' ich denn nicht schon gesagt, daß ich die Ihrige seyn will? Wiederhol' ich es nicht noch iezt?

James. Aber wenn, mein Engel, wenn?

Er warf sich bei diesen Worten auf die Knie vor ihr. Ein Strom zur rechten Zeit aufgebotner Thränen ergoß sich über seine Wangen. Mit einer, dem Anscheine nach, sich kaum bewußten, tödtlichen Verzweiflung ergrif er ihr Gewand, umfaßte ihre Knie, und sprach:

»Nur in der Hofnung Sie zu besizzen, ertrug ich bisher ein freudenloses Leben. Wird auch diese Hofnung schwächer, und immer weiter entfernt, so ertrag ich es nicht länger. Anbetungswürdige Miß Arabella, bald werden Sie von dem zärtlichsten, feuervollsten Verehrer nichts als einen kalten Ueberrest noch erblicken. Das Licht meines Lebens wird erlöschen, und die schaudrichte Ruhe des Todes mein brechendes Herz besänftigen.«

Arab. Es ist mir unmöglich, Sie länger so zu sehn und anzuhören. – Stehn Sie auf, Sir! diese Stellung ziemt sich nicht für meinen künftigen Gemahl.

James. Und doch, beim Himmel, will ich Sie nicht eher verlassen, bis ich meines Glücks gewiß versichert bin. – Sagen Sie – Sagen Sie, welcher Tag soll mir den Besiz des Himmels auf Erden verschaffen?

Arab. Wenn es dann so seyn soll, so gescheh' es, wenn es Ihnen selbst – doch nein! fast hätt' ich etwas noch vergessen.

James. Und was? Gütiger Gott, was noch?

Arab. Ich gab einem meiner nächsten Vettern, der ein Priester ist, einst das Wort drauf: Er, oder sonst Niemand solte mich trauen. Er ist iezt auf dem Lande; doch nächsten Sontag kömt er wieder in die Stadt, und den Dienstag drauf – wenn wir dann nicht vor dem Altar erscheinen, soll die Schuld wenigstens nicht mein seyn!

James. O bezaubernde Worte! Und kann ich auf dieses himmlische Versprechen mich gewiß verlassen?

Arab. Gewiß! – hier haben Sie eben dieienige Hand drauf, die ich Ihnen bald auf eine feierlichere Art in Gegenwart des Priesters zu reichen gedenke. – Von nun an betrachte ich mich ganz als die Ihrige.

James. Engel! – Göttin! O lassen Sie mich das Siegel dieses Bundes den reizenden Lippen aufdrücken, die mein Glück verkündigten.

Arab. Ein solcher Vertrag, hab' ich immer gehört, ist nur dann gültig, wenn er von beiden Seiten besiegelt wird.

Ein äußerst liebenswürdiges Lächeln begleitete diese Worte; sie schlang ihren schönen Arm um seinen Nacken, erwiederte feurig seinen empfangenen Kuß, und fügte mit zärtlichstem Tone hinzu:

»Mein liebster, liebster James, ich schäme mich nicht länger zu gestehen, daß vom ersten Augenblick an, wo Sie Ihre Liebe mir erklärten, mein Herz Ihren Wünschen entsprach, und diese Minute mir verkündete, von der – ach, von der ich wünschte, daß sie ewig dauern möchte.«

James nahm ein Entzücken an, das, der Worte unfähig, nur durch Kuß und Umarmung zu antworten vermöge. Immer glüender, immer freier in seinen Liebkosungen fand er bei Arabellen keinen Unwillen, keinen Widerstand mehr. Sie hing eben so feurig, ia, gewiß noch inniger an seinen Lippen; und ich möchte nicht verbürgen, wie weit der Glückliche seinen Vortheil getrieben haben dürfte, wenn nicht zum Heil des unbedachtsamen Mädchens diese gefährliche Unterhaltung durch einen Zufall abgebrochen worden wäre. – Denn ganz unerwartet trat ein Bedienter ins Zimmer, und meldete den Besuch von Lädi Gravelot, einer Tante Arabellens, an. – »Und hättet ihr nicht sagen können, daß ich ausgefahren sei!« erwiederte Miß mit sichtlichen Unwillen, wandte sich aber sogleich wieder zärtlich zu ihrem Geliebten und fragte:

»Wollen Sie wohl mit meiner Tante in Gesellschaft seyn? Oder soll ich Ihnen ein Buch geben, sich die Zeit bis zu ihrem Weggehn zu vertreiben?«

James. Wenn ich aufrichtig sprechen soll, schönste Arabella, so wähl' ich keins von beiden. Schon neulich betrachtete mich Ihre Lädi Tante mit sichtlich ungünstigen Augen. Warum solt' ich sie iezt wieder durch meine Gegenwart ärgern? – Doch auch zum Lesen ist in diesem Augenblicke meine Seele nicht gestimt. Das Uebermaas der Freude hat alle meine Lebensgeister in stürmende Bewegung gesetzt. Ich will daher, da ich doch Ihrer himlischen Gesellschaft iezt entbehren soll, ein wenig in die freie Luft hinaus.

Arab. Auch das! – doch erwart' ich Sie beim Abendtisch. Meine Tante bleibt nie über die Theestunde da; und länger nöthigen werd' ich sie sicher nicht.

Sie umarmten sich nochmals, und gingen dann durch verschiedne Thüren von einander. –

Schon lange hatte ich mir gewünscht, von Sir James eigentlicher wahren Beschaffenheit genauere Kundschaft einzuziehen; denn an seine Amerikanische Geburt, und an seine Philadelphische Erbschaft glaubt' ich noch minder, als an den Mann im Monde. Nie hatte mir es noch so gut werden wollen. Jezt, indem ich neben ihm die Treppe hinunter ging, hört' ich, daß er ganz leise in sich selbst hinein sagte: »Kann ia hingehn, und die gute Post ihnen bringen! Brauch ohnedem wieder Geld!« – Diese Worte ließen mich hoffen, iezt ganz ihm in die Karte sehn zu können; und von dem Augenblick an, wäre eher sein Schatten, als ich von ihm gewichen.

Sein Weg ging nach Drury Lane; als er an die Straße kam, die nach Wildstreat führt, blieb er eine Minute stehen, und sah sich aufmerksam auf allen Seiten um; wahrscheinlich, um zu sehen, ob irgend iemand, der ihn kenne, in der Nähe sei; denn noch war es nicht dunkel genug. Da er niemanden wahrnahm, und an einen unsichtbaren Begleiter nicht dachte, ging er eine gute Ecke weiter; blieb abermals in voriger Absicht stehen, und schlüpfte dann hurtig in ein kleines Queergäßchen, wo er an die Thüre eines niedrigen Bierhauses dreimal anklopfte, und von einem alten Mütterchen, das ihm aufmachte, die Versicherung erhielt: daß seine Freunde alle, im bewußten Stübchen beisammen wären. So hurtig, daß ich kaum ihm zu folgen vermochte, sprang er nun die Treppe hinauf, und öfnete die Thür' eines Zimmers, welches zwar geraum genug, aber auch mit allen Kennzeichen der Armuth ausmeublirt war.

Hier saßen an einem runden Tisch fünf bis sechs, zwar leidlich gekleidete Männer, deren Gesichtszüge aber, eh ich noch ein Wort von ihnen hörte, mich hinlänglich belehrten: worinnen ihr Gewerbe bestehe? Eine große Punschschale dampfte auf der Mitte der Tafel, und sie waren eben im Begrif ihr herzhaft zu zusprechen, als der Eintritt des sogenannten Sir James – dessen sie sich iezt nicht versehen mochten – sie sämtlich von ihren Sitzen auftrieb. – »Woher? Woher des Landes?« riefen sie ihm alle zu.

»Wünscht mir Glück, Herzens-Jungen! Wünscht mir Glück, brave Kamraden! antwortete er, und schwenkte den Hut. Ich habe meine Karte gewonnen. Es ist nun entschieden.«

Einer von ihnen. Wie? Bist du schon verheirathet?

James. Das noch nicht! doch ist es so gut, als schon geschehen. Das Mensch und ihre zwölftausend Guineen sind so gewiß schon mein, als ob ich das erstere bereits im Bette, und die leztern in der Tasche besäße. – Der Dienstag ist festgesetzt. – Aber, bei Gott, ich muß noch mehr Geld haben. Mein Beutel ist bis auf ein paar Sechs-Pence Stücke leer.

Ein zweiter. Wie? die funfzig Guineen – sind sie schon ausgeflogen?

James. Nicht ausgeflogen, sondern ausgeliehen! Und ich hoffe, sie sollen herrliche Zinsen bringen. Ihr solt alle euren Antheil dran haben, und in kurzen meinetwegen das Weib obendrein! – Aber sagt doch: Wie stehen denn eure Aktien?

Ein dritter. Verteufelt schlecht! Wir sind alle Tage auf den Fang aus gewesen, und haben kaum ein dreißig Guineen und vier goldne Uhren für uns gebracht; auch diese leztern müssen erst in Stücken gebrochen und die Gehäuse eingeschmolzen werden, wenn uns die Namen der Uhrmacher nicht verrathen sollen.

Ein vierter. Die Heerstraße wird von Tage zu Tage kärglicher.

James. Aber ließ sich denn von den vier Lädis nichts erbeuten, die nach dem Bericht der Wahrsagerin des Morgens früh nach Barnes fahren wolten?

Ein fünfter. Ich hatte sie schon in meinem Garne. Aber indem sie eben ihre Börse leeren wolten, muste der T– – grade drei Herren mit Feuergewehr und zu Pferde herführen. Kaum, daß ich selbst mich flüchten konnte; an Beute war nicht zu gedenken.

James. Ein verdamter Unfall!

Erster. Dergleichen stoßen uns altäglich vor. Ich meines Theils bin fast des ganzen Handels satt; und ich glaube, das ist auch der Fall bei euch allen.

Zweiter. Warlich, wenn man abrechnet, was wir an Schenkwirthe, Lohnkutscher und Wahrsagergeschmeis abgeben müssen, um die nöthige Kundschaft einzuziehen, so bleibt uns für unsre Mühe blutwenig, oder gar nichts übrig.

Vierter. Eben deswegen wünscht' ich, James wäre schon verkuppelt, und wir könnten unter der Lädi Namen Spielgesellschaften halten. – Spielen ist doch ein weit sichrer und einträglicher Gewerbe, als Beutel abschneiden. Drum haben es auch die vornehmen Leute für sich behalten.

James. Das war vom Anfang her mein Plan, und ihr könnt mir's auf Ehre glauben, daß ich ihn nächstens ausführe.

Dritter. Herrlich! Herrlich! – Glaube mir's, seit die Abgaben so steigen, und alles Gewerbe so fällt, besuchen auch von den sogenannten ehrlichen Leuten so viele die Heerstraße, daß die alten Kunden drüber zu Grunde gehn.

James. Richtig, sehr richtig! Aber, liebe Jungen, Klagen allein machts nicht besser. – Mein Beutel muß wieder voll werden, oder, ich leide, schon halb im Hafen, noch Schifbruch. Wolt' ihr Rechnung haben, wozu ich die funfzig Guineen verwandte?

Zweiter. Es braucht deren nicht. – Wir sind schon überzeugt, daß du uns nicht betrügen wirst.

James. Dem ohnbeschadet will ich es mit wenig Worten thun. Fünf Guineen hab' ich der Wahrsagerin auf Abschlag der hundert gegeben, die ihr den Tag nach meiner Hochzeit ausgemacht sind. Zwanzig kostet die goldne Dose, die ich dem Vorgeben nach aus Philadelphia mitgebracht, und meiner Braut geschenkt habe. Mehr als zehn kosten mich die Spazierfahrten, die ich mit ihr nach Richmond, Windsor und Greenwich angestellt; und der Ueberrest? – Wenn ihr rechnet, was die wöchentliche Miethe von zwei Guineen, was Trinkgelder, Miethwägen, Lohnlakaien und andre dergleichen unumgängliche Ausgaben kosten, so biet' ich euch allen Troz, wer besser gewirthschaftet haben könnte.

Dritter. Vollkommen wahr! das müssen wir alle bezeugen! Auf dein Wohlsein James! – (sie trinken).

Vierter. Ich hätte, auf Ehre, wenigstens zweimal so viel durchgebracht – Aber wie viel brauchst du wohl noch?

James. Ich hoffe mit zwanzig Pfund auszukommen. Doch gebt mir lieber dreißig, damit ich nirgends ein Mangel verrathe. Eh acht Tage vergehn, Brüder, habt ihrs doppelt zurück.

Jeder leerte nun seine Taschen, und in der nächsten Minute, war die Summe beisammen. James füllte seine Börse damit; erzählte ihnen, wie wenig noch dran gefehlt, daß er nicht heute schon die Hochzeit vor der Trauung gefeiert; beschrieb, welche Mühe der viele Zwang ihm koste; erhielt manchen derben Lobspruch deswegen; und das Gespräch ging nun auf Materien über, die für iedes züchtige Ohr Beleidigung wären. Endlich, nachdem er zwei Stunden bei ihnen zugebracht, erinnerte er sich, daß nun Arabella ihn zum Abendessen erwarten werde; und ging, von den Seegenswünschen seiner Spieskameraden begleitet, von dannen.

Diesmal ließ ich ihn allein seinen Weg machen, und nahm zu meinen gewöhnlichen Ort, wenn Sorgen mich drückten, zum Lehnstuhl, meine Zuflucht. Alles, was ich diesen Tag über, zumal was ich seit einigen Stunden erfahren hatte, betrübte mich wahrhaft. – Wenn auch Arabella für ihren Aberglauben, ihren Eigensinn, ihre Unbesonnenheit eine kleine Züchtigung wohl verdiente, so konnte ich sie doch ihrem entschiednen Untergange nicht ohne Bedaurung zueilen sehn. Wäre ihr künftiger Gemal blos ein Mann von falsch angegebener niedriger Geburt gewesen, so hätte dies noch hingehen mögen. Doch da er ein Niederträchtiger, ein eben so verworfner als heuchlerischer Bösewicht war; da er sie, die in Begrif stand, sich ihm ganz hinzugeben, nicht einmal liebte; da ihre Güter, ihr guter Name, wohl ihre Ehre sogar, der Raub einer schändlichen Bande werden sollte; da glaubt' ich, es sei nicht nur Verdienst, – es sei selbst Menschenpflicht, sie zu warnen.

Aber wie dies anzustellen, daß es nüzze? Hatte sie nicht schon die Warnungen ihrer Verwandten, mit Bitterkeit sogar, zurück gewiesen? – Zwar konnt' ich allerdings ihr mehr erzählen, als alle bisherige auch nur gemuthmaßt hatten? Doch wie solt' ich das beweisen? wie ihr die Anhörung des ganzen leztern Gesprächs nur glaublich machen? Dadurch etwa, daß ich ihr das Geheimnis des Gürtels anvertraute? – Würksam wäre dies Mittel freilich wohl gewesen; doch daß ich tausend Bedenklichkeiten dagegen hatte, wird man hoffentlich meiner Selbstliebe verzeihen. – Endlich entschloß ich mich, einen Brief an sie zu schreiben. Ich stelte mich, als ob ich einer seiner Genossen wäre; als ob mich ihr Schicksal rühre; als ob ich aus Mitleid blos ein Verräther an meinen Kamraden würde. Ich erzählte ihr den ganzen Auftritt im Wirthshause, seine Reden, seine bisher getrofenen Maasregeln, seine künftigen Pläne; und rieth ihr, wenigstens ihre Heirath noch aufzuschieben, ihn beobachten zu lassen, und ihn zu überraschen, wie und wenn es die Gelegenheit gäbe.

Um zu wissen, was diese Nachricht auf sie für einen Eindruck mache, wolt' ich selbst zugegen seyn, wenn sie meinen Brief läse; und hatte es so eingerichtet, daß sie ihn bald nach ihrem Aufstehn, zu einer Zeit, wo sie noch ohne Gesellschaft, ohne Geschäfte und des Nachdenkens um so fähiger war, erhalten muste. – Doch leider, meine Besorgnis war gegründet. Er würkte auf ihren Unwillen, aber er erschütterte ihren Vorsaz nicht. – Sie zerriß voll Zorn den ganzen Brief in kleine, kleine Stückchen, warf sie in den Camin und rief:

»Sah man wohl iemals noch eine Unverschämtheit dieser Art? – Wie gering muste der Schreiber dieses elenden Pasquills von meinem Kopf und meinem Verstande denken! Hatt' er nicht wenigstens eine bessre Lüge in Bereitschaft, wenn er mich mistrauisch machen wolte? – Sir James ein Betrüger – ein Mitgenoß von Straßenräubern und Beutelschneidern? – Lächerlich! Und einer seiner Gefährten verräth ihn? – Unsinnig! – Ja, ia, ein Nichtswürdiger hat allerdings diesen Zettel geschrieben; doch sicher nicht mit James, sondern mit einer meiner Tanten war er im Bunde! – Gar zu gern möchten sie diese Heirath stören; vielleicht gar, weil er sie nicht zuerst begrüßte! Vielleicht gar, weil sie mich einst zu beerben hoffen. – Doch nein! nein! das soll ihnen nicht gelingen. Wäre nicht der Dienstag ohnedem schon so nahe, ich schickte auf der Stelle nach James. Ich gäbe ihm noch heute meine Hand! Nur um zu zeigen, wie sehr ich alle diese niedrigen Ränke verachte.«

Sie wiederholte diese Gesinnungen noch oft, wiewohl mit andern Worten; und ich blieb wohl eine Stunde bei ihr, in der Hofnung: Ihr würdiger Bräutigam würde sie besuchen, und aus ihrem eignen Munde einige Nachricht von diesem Briefe erhalten. Ich war neugierig: welche Mine er dann machen, und ob er die Rolle des Heuchlers vollkommen spielen werde? Doch da Arabella den Wagen zu einer Spazierfahrt anzuspannen befahl, ging ich endlich, voll Mismuth über meinen fehlgeschlagenen Entwurf, hinweg und war entschlossen, die ganze Sache dem Schicksal zu überlassen.

Nur Langeweile und Mangel an andern Geschäften bewogen mich Abends, gleichsam verloren, noch einmal hinzusehn. – Ich fand ihn richtig wieder in ihrer und zweier Freundinnen Gesellschaft. Es herschte in seinem ganzen Wesen eine so ungezwungene Heiterkeit, daß ich schloß, Arabella habe ihm von der ganzen Epistel kein Wort gesagt; und man wolte so eben zum Spiel sich niedersezzen, als ein Bedienter bei Arabellen, ihren Vetter, den Hauptmann Platoon meldete, der von Carlisle angekommen sei, und ihr aufzuwarten wünsche. Diese Leztere befahl ihn sogleich herein zu führen; aber James, so wie er diesen Namen ansprechen hörte, fuhr, ich sah es deutlich, zusammen; ward kreideweis im Gesichte, schob seinen Stuhl zurück, und sagte zu Arabellen: »Um Vergebung, Miß, ich besinne mich so eben, daß ich ein wichtiges Geschäfte heut aus der Acht gelassen habe. – Entschuldigen Sie daher, wenn ich nur auf einige Minuten lang mich entferne. – Es ist etwas äußerst nöthiges, wovon ich auch Ihnen nachher Rechnung ablegen will.«

Sie wolte eben einige Einwendungen dagegen machen; als die Thüre schon aufging, und der Hauptmann ins Zimmer trat. Während, daß derselbe seiner Muhme und den andern zwei Damen sein Kompliment machte, hatte James seinen Hut ergriffen, und war eben im Begrif heimlich fortzuschlüpfen, als Arabella dies gewahr ward, ihm nachlief, und ihn gleichsam schon zwischen der Thüre zurückhielt. – »Wenigstens, sprach sie, dürfen Sie nicht eher weggehn, bis ich Sie meinem Vetter hier vorgestellt habe!« und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich auch zu den Capitain mit den Worten: Hier, lieber Cousin, hab' ich das Vergnügen, Ihnen einen Herrn aufzuführen, dessen Bekanntschaft Ihnen hoffentlich selbst in der Folge Freude machen wird.

Der Hauptmann stand im Begrif, eine Person, die ihm von seiner Muhme so vortheilhaft geschildert ward, aufs verbindlichste zu bewillkommen und zu umarmen, als er plözlich genauer ihn ansah, ganz erstaunt einen Schritt zurück trat, und ausrief: »Wem, Miß – wem glauben Sie mich hier aufzuführen?« – Schon wolte sie den Mund zu einer Antwort öfnen, als James sich so nahe als möglich zur Thür zurück zog, und äußerst betreten, kaum die Worte heraus zu stottern vermochte: »Madame – dieser Herr scheint mir heute nicht in der Laune zu seyn, um Bekantschaften zu machen. – Auch ich – gewisse Verhältnisse – Morgen, Morgen hoff' ich Ew. Gnaden alles genau zu erklären.«

Bei diesen Worten öfnete er schnell die Thüre, war mit zwei großen Schritten bei der Treppe, und würde wahrscheinlich mit noch größern herunter gelaufen seyn, wäre der Hauptmann nicht noch schneller als er gewesen; indem er ihm rasch den Weg vertrat, ihn beim Koller faßte, und ins Zimmer zurück schob, rief er: »Nein, Schelm, so solst du nicht von dannen kommen, bis du bekennst: welcher Teufel dir die Frechheit eingab, in solcher Gesellschaft, und in solcher Tracht zu erscheinen! Wahrscheinlich um wieder ein Bubenstück auszuführen.« – Starr hatte Arabella bei diesem ganzen Auftritt gestanden. – »Madam, kehrte sich iezt der Hauptmann zu ihr, für was sich dieser feine Herr bei Ihnen ausgegeben hat, weiß ich nicht. Aber das weiß ich wohl, und sezze meine Ehre zu Pfande: daß er vor zwei Monaten noch gemeiner Soldat bei der Kompagnie vom Hauptmann Cutcomb war; verschiedner Diebereien halber durchging, als Schelm ausgetrommelt ward, und dem Stricke blos durch seine Flucht entwich.«

Diese allerdings schrecklichen Worte schienen Arabellens Betäubung wenigstens auf einen Augenblick zu zerstreuen. – »Gütiger Himmel, rief sie, ist es möglich, daß ein solcher –« Sie sank ohnmächtig zu Boden, eh sie den Ausruf noch vollenden konte. Die beiden Lädies brachen in ein gleiches Geschrei aus. Der Hauptmann ließ seinen Gefangnen fahren, um ihnen beizuspringen; auch James nüzte diesen Vorfall, um in einem Augenblick aus Zimmer und Hause zu seyn. – Arabella, als sie wieder zu sich gebracht worden, brach in einen Strom von Zähren aus, der wenigstens das Gute hatte, ihrem gepreßten Herzen Luft zu machen. Der Hauptmann schien freilich neugierig zu seyn; woher sie zu dieser Bekantschaft gekommen? aber sie entschuldigte sich auf seine Fragen mit der Versicherung: daß sie sich immer noch übel befinde, niederzulegen wünsche, und seine Gegenwart auf Morgen ausbitte; wobei sie doch noch die Bitte hinzufügte: Es würde sie freuen, wenn weder Er, noch sonst Jemand, von dem heutigen Ereignis etwas sprächen.

Daß dieser lezte Wunsch Arabellen gewährt werden würde, zweifelte ich gleich Anfangs stark. Eine Begebenheit, die in der Gegenwart von drei Frauenzimmern sich zuträgt und verschwiegen bleibt! – Müste nicht die Welt untergehn, wenn ein solches Wunder sich iemals zutragen solte? Schon an der Thüre flüsterte eine von den zwei fremden Damen dem Hauptmann, als er wegging, mit einigen wenigen, aber kraftvollen Worten die Hauptumstände von der Liebe ihrer Freundin zu diesen ausgetrommelten James ins Ohr. Und des andern Tages lief die Novelle von Munde zu Munde. Wohl vier Wochen lang sah sich Miß Sorming, wenn sie in einer Gesellschaft oder an einem öffentlichen Orte erschien, mit einer gewissen Aufmerksamkeit, einem gewissen freundlichen Lächeln bewilkomt, dessen sie gern überhoben gewesen wäre. Aber immer noch muste sie ihrem guten Geschick tausendfachen Dank abstatten: daß sie so wohlfeilen Preises und so ganz ohne ihr eignes Zuthun dem nahen Verderben entrissen worden war.

Einige Jahre nachher, als ich dieses ganzen Vorfalls kaum mehr gedachte; als mit mir, meinem Gürtel und meiner Schreibtafel schon so manches sich abgeändert hatte, und Miß Arabella bereits seit geraumer Zeit die Gemahlin eines bessern Mannes geworden war, begegnete mir, als ich nicht weit von Tyburn etwas zu verrichten hatte, ein Wagen, auf welchem fünf Unglückliche ihre lezte Fahrt anstelten. Indem ich meine Augen genauer auf sie richtete, kam mir eines dieser Gesichter auffallend bekant vor, und in der nächsten Minute besann ich mich, daß es Niemanden anders, als dem ehemaligen Sir James Walcoot angehören könne. – »Also hat er doch seiner erstern Bestimmung nicht zu entgehn vermocht!« rief ich halblaut aus; entschlos mich einen Zuschauer seines lezten Auftrits abzugeben; und kann ihm wenigstens das Zeugnis nicht versagen, daß er bei dieser, allerdings schwürigen Katastrophe, sich viel gelaßner, viel herzhafter als bei iener Erkennungs-Szene betrug. – Er erwähnte noch in seiner lezten Rede ans Volk: daß das Schicksaal einst sehr nahe dran gewesen sei, aus ihm einen vornehmen, oder mindestens reichen Mann zu machen; daß nur ein äußerst unvermutheter Zufall ihn wieder auf den Weg zu dieser hölzernen Erhöhung hingestoßen habe; daß er aber selbst gestehen müsse, dieses strenge Gericht durch den Undank verdient zu haben, mit welchem er eine edle weibliche Seele für ihre Liebe belohnen wollen. – Immer besorgt' ich heimlich, Miß Arabellens Namen von ihm genennt zu hören; aber er behielt ihn bei sich; und wenige Augenblicke später hatte er für dieses Leben nicht nur ausgeredet, sondern auch ausgeathmet.


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