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Gleichwohl, iemehr ich mir das Gehörte am Abend noch überdachte, iemehr stieg allmälig in mir der Argwohn auf: auch Emilia dürfe bei iener Verabredung nicht ganz unbefangen seyn. Vielleicht, dacht' ich, hegt sie würklich eine Neigung gegen diesen iungen Mann; vielleicht hat sie Korisken zu ihrer Vertrauten gemacht; vielleicht verräth diese nur eine Festung, die schon selbst sich ergeben zu können wünscht. Eine Menge kleiner Umstände bestärkten diesen Verdacht. Doch schon gewöhnt daran, daß der Schein oft trügend sei, nahm ich mir vor, nicht eher ein Urtheil zu fällen, bis ich mit eignen Augen, eignen Ohren das nähere untersucht hatte.
Schon zeitig war ich des andern Tags bei Korisken. Ich hörte, daß sie ihren Bedienten die Vorschrift gab, gegen iedermann, nur gegen Emilien, Seymour und Warwill nicht, sie zu verläugnen. Ich sah, wie die erstere eintrat, und hofte bald aus dem nun nahen Gespräch volles Licht zu schöpfen. Sie umarmten sich zärtlich, sie sagten sich wechselseitig die freundschaftlichsten Dinge; sie sprachen von tausenderlei, doch von Sir Warwill auch keine Silbe. Koriska hütete sich vielmehr, selbst bei Gegenständen, die leicht an ihn erinnert hätten, seinen Namen im Munde zu führen. Mein Argwohn gegen Emilien schwand daher ganz. Ich bat ihn ihr sogar in Gedanken ab; aber ich ward auch besorgter wegen der Arglist, die sie bedrohete. Plözlich gingen die Thüren auf. Seymour und Warwill traten in's Zimmer. Man konnte kaum verführender, als dieser leztere, gekleidet seyn. Nach einem kleinen Gespräch kam die Spazierfahrt in Vorschlag. Die Ladys gaben ihre Einwilligung; nach Miethkutschen ward sofort geschickt.
O was hätt' ich nicht in diesem Augenblick drum gegeben, die sorglose Emilie unbemerkt zu warnen. Sie kam mir vor, wie ein Kind, das unachtsam am Rande eines Abgrundes spielt, oder noch passender, wie ein Krieger, der nicht weiß, daß sein Feind den Boden unter ihm ausgehöhlt hat, und daß die Lunte schon glimmt, die ihn im nächsten Augenblick in die Höhe sprengen soll. Fest bei meinem Vorsaz verharrend, nicht eigenmächtig in's Maschinenwerk des Schicksals einzugreifen, wolt' ich wenigstens ausdauern, so lange ich konnte, und sehen: wie dann Emilie sich betragen würde, wenn sie endlich die niedrige Falle einer falschen Freundin aufgedeckt erblickte. Da das Haus, wohin man zu fahren gedachte, schon gestern mir genannt worden, da ich würklich schon einige historische Kentnis von dessen Lage und Beschaffenheit hatte, und da in allen solchen Fällen Mühe und körperliche Anstrengung am wenigsten mich verdrießt, so machte ich mich sofort, eh' iener Wagen noch ankam, auf den Weg dahin, und gelangte – Dank sei es meinen starken Schritten! – noch einige Minuten früher, als Koriska und ihre Begleiter, an den bestimmten Ort.
Ein sehr anständiger Aufwärter empfing sie beim Aussteigen. Das Zimmer, wo man ihnen Wein, Biskuit und Erfrischungen auftrug, war äußerst nett; der Garten, wo sie nachher spazieren gingen, gros und schön. Nichts verrieth auch nur die kleinste Spur von Zweideutigkeit. Lord Seymour führte beim Spaziergang Korisken, Sir Warwill Emilien; er nüzte iede Gelegenheit ihr etwas schmeichelhaftes, etwas zärtliches zu sagen; doch entwischte ihm kein Wort, das nicht auch vor dem züchtigsten Ohr hätte gesprochen werden können. Gleichwohl fing ich an für Emilien immer besorgter zu werden. Sichtlich war's, daß ihr dieser Ton nicht misfiel. Ihre Augen bekamen zuweilen etwas so schmachtendes, ihr Lächeln etwas so gefälliges; – – »Der Schmeichler, seufzt' ich bei mir selbst, schleicht sich nur alzuglücklich in ein Herz ein, auf dessen Verderben er lauert.«
Eine gedeckte Tafel erwartete sie bei der Rückkehr vom Spaziergang. Es fehlte nichts, was den Appetit reizen und den Geist ermuntern kann. Die Heiterkeit und gute Laune der Gäste selbst erhöhten noch den Werth des Nachtmals. Wiz und Champagner schäumten um die Wette. Die Damen kühlten zuweilen das Feuer des leztern mit Wasser; aber iener schien an Feuer und Reichthum zu wachsen. – Nachdem einige Stunden in Vergnügen verflossen, sah Koriska plözlich nach ihrer Uhr, und erinnerte mit angenommenem Ernst: Es dürfe Zeit seyn auf den Heimweg zu denken, denn schon sei es ein Uhr.
Seym. Des Menschen Wiz hat manches lächerliche Ding hervorgebracht. Doch das lächerlichste von allen war wohl eine Maschine zu erfinden, der er gleich darauf seine Handlungen und sich selbst unterwarf!
Kor. Als ob dies das einzige Gesez wäre, wo die thörichte Welt sich selbst Zwang auferlegte! Als ob wir nicht noch in manchen wichtigern Punkten den ersten Trieben der Natur entgegenstrebten; und nun Vergnügen gleichsam stehlen müssen, dessen freier Genuß uns angeboren war! – Indeß was hilfts. Leute von Kopf und Geist wissen auch hierin sich zu finden, um vom gemeinen Haufen nicht den Vorwurf der Unanständigkeit zu hören.
Warw. Zwar glaub' ich, daß ieder von uns über das Urtheil des Pöbels sich hinwegsezt. Doch möcht' ich nicht gern, meine Damen, über diesen Punkt Ihnen widersprechen. In meine und meines Freundes Seele versichre ich Ihnen: Ihr Dasein alhier hängt nur von Ihrer Wilkühr ab.
Emil. In der That, meine Herren, ich sorge, ein längres Hierbleiben dürfte das bisherige Vergnügen eher mindern, als mehren.
Seym. Jedes Wort Gegenrede wäre Unhöflichkeit. Ich eile, Ihnen zu gehorchen.
Bei diesen Worten entfernten sich beide aus dem Zimmer, dem Anscheine nach um Rechnung mit dem Wirth zu machen, und Befehl zum Vorfahren zu geben. Aber nach zwei oder drei Minuten kamen sie wieder, und erzählten mit verlegner Miene: Ihr Kutscher müsse trunken gewesen seyn, oder sie unrecht verstanden haben, denn, wie sie eben erfahren, sei er gleich wieder nach der Stadt zurückgefahren. Koriska stellte sich höchst bestürzt darüber, Emilia war es wirklich, und beide riefen fast in einer Sekunde aus:
Kor. Das ist fürwahr der sonderbarste Zufall in meinem Leben!
Emil. Ums Himmels willen, wie kommen wir nun nach Hause?
Warw. Für diese Nacht ist kaum dran zu gedenken. Wir fragten sogleich, ob nicht ein andres Fuhrwerk aufzutreiben sei? Aber man versicherte uns, vor Tages Anbruch sei nirgends in der Nähe herum eine Chaise, ein Kariol oder sonst ein Wagen zu bekommen. Bis dahin werden die Ladys wohl sich entschließen müssen, unsere Gäste zu bleiben.
Kor. Auch aus der Noth muß man zuweilen eine Tugend machen. Wir wollen uns die Zeit, so gut wir können, vertreiben.
Warw Unverzeihliche Eitelkeit wär' es, wenn wir uns schmeichelten, unsre Gespräche könnten ihnen den Mangel der sonst gewohnten Ruh ersezen. Wir wollen sogleich Anstalt treffen lassen, ein Bett für beide Damen aufzuschlagen; ich und mein Freund hingegen wollen bis zum Morgen wachen, um dann desto schleuniger für unser Fortkommen zu sorgen.
Kor. O nicht doch! Reisegefährten müssen ihre Abentheuer mit einander theilen. Es wäre doch traurig, wenn vier Menschen von Kopf und Geist nicht eine Nacht hindurch sich unterhalten könnten.
Das Gespräch gewann nun würklich seine vorige Munterkeit wieder, und bald darauf ließ sich in einiger Entfernung ein Konzert von Flöten, Hautbois, Bassons und andern blasenden Instrumenten hören.
»Ist das nicht eine Nachtmusik? – rief Koriska aus: Wenn diese anhält, so hat es mit dem Verlust von einigen Stunden Schlaf noch weniger Noth.«
Emil. Auch mir hätte nichts gelegners kommen können. Ich höre Musik für mein Leben gern: zumal blasende, und im Freien!
Sie lief bei diesen Worten rasch ans Fenster, und öfnete die Läden, um die Töne der verschiednen Instrumente noch genauer zu vernehmen. Sir Warwill folgte ihr; und indem sie beide einige Minuten lang mit großer Aufmerksamkeit zuhörten, oder zuzuhören schienen, nützte Seymour und Koriska diese Gelegenheit, um ganz leise aufzustehn und fortzuschlüpfen. Schon waren sie ein gutes Weilchen aus dem Zimmer, als Emilie, wahrscheinlich um ihrer Freundin etwas zu sagen, sich umwandte, und als sie sich mit Sir Warwill ganz allein erblickte, voll Verwunderung ausrief:
»Ums Himmels willen, wo ist denn Lord Seymour und Koriska geblieben?«
Warw. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sind sie in den Garten gegangen, um sich der Musik zu nähern, die mir von dorther zu kommen scheint.
Emil. Wohl möglich. Doch wär' es artig gewesen, auch uns mit zu nehmen. Kommen Sie, wir wollen ihnen folgen.
Warw . Mit tausend Vergnügen, Miß! Nur erlauben Sie mir zuvor Ihnen ein Geheimnis zu eröfnen, das schon längst aus meinem Innersten emporsteigen wolte, und ich noch immer verschwieg.
Emil. (halblächelnd) Ein Geheimnis? Welch Geheimnis könten Sie mir entdecken, das nur eine überhörte Note iener himmlischen Musik zu ersetzen vermöchte.
Warw. Vielleicht ändern Sie dann Ihre geringe Meinung davon, wenn ich Ihnen sage: das ganze Glück meines künftigen Leben, die ganze Ruh meiner Seele gründet sich drauf.
Emil. Sagen Sie, was Sie wollen! Sie sind ein Mann, und ich – glaube kein Wort davon! Lassen Sie uns zu unsern Freunden gehen!
Nicht auf die Worte des Sprechenden, weit öfterer auf seine Miene, seinen Ton kömmt es an, wenn wir über die Wahrheit oder Falschheit seiner Gesinnung ein Urtheil fällen sollen. Mit Vergnügen spürt' ich iezt, daß bei Emilien Blick und Ton ganz mit ihrer Rede überein stimten, daß es ihr ein Ernst war, Warwills so deutlich sich ankündigende Liebeserklärung iezt nicht anhören zu wollen. War es iungfräuliche Bescheidenheit, oder Verdruß über das Weggehn ihrer Freundin, oder würklicher Wunsch iezt lieber Musik als Schmeichelworte zu hören, oder war es schon ein Vorgefühl, von dem, was folgen könte; – kurz, mit einer Art von Ungeduld entriß sie ihm die Hand, die er schon gefaßt hatte, und eilte auf die Thür des Zimmers zu. Aber noch schneller stellte er sich dazwischen, warf sich aufs Knie, haschte abermals nach ihrer Hand, und rief:
»Nein, reizende Emilie, ganz ungenüzt möcht' ich doch nicht eine Gelegenheit mir entfliehen lassen, nach welcher ich schon so oft und vielfach strebte! Sie sollen, Sie müssen mich anhören! – Beim Himmel, ich liebe Sie! liebe Sie mit der höchsten Glut, die iemals diese Leidenschaft befeuerte. O schon mehrere Monate hindurch sind Ihre Reize mein Traum des Nachts, mein einziger langer Gedank' am Tage. Sie nur –«
Emil. Pfui, Sir Warwill! Ein Scherz dieser Art ist eben so zudringlich als unüberlegt. Von einem Mann' Ihres Rangs und Ihrer Einsicht war ich mir eine andere Aufführung vermuthend.
Warw: Grausame Foderung! Könnten Sie in mein Herz blicken, Sie würden es ganz Ihnen gewidmet finden. Gewidmet mit einer Zärtlichkeit, die mit nichts sich vergleichen läßt, als mit der Gewalt Ihrer Reize. Zürnen Sie nicht, reißen Sie nicht nicht los, anbetenswürdige Emilie! Alle meine Hofnung, alle meine Ansprüche auf Sie kann ich nicht so vernichtet erdulden. Ich bleibe in dieser Stellung, bis ich Sie von der Reinigkeit sowohl, als von der Stärke meiner Leidenschaft überzeugt habe.
Emil. Fast möchte Ihnen dies etwas schwer werden! Eine solche nächtliche Erklärung verträgt sich nicht gut mit der Ehrerbietung, die eine unzertrennliche Begleiterin wahrer rechtschafner Liebe zu seyn pflegt. – Hegen Sie würklich Gesinnungen dieser Art, so leb' ich nicht so eingesperrt, daß Sie nicht eine schicklichere Zeit zur Eröfnung derselben hätten finden sollen.
Warw. Nicht doch, reizende Emilie! Leidenschaft starker Art, Leidenschaft, wie ich sie fühle, unterwirft sich nicht dem thörichten Zwange, den gemeine Liebhaber beobachten. Zudem, welche Zeit kann besser zu einer Liebeserklärung sich schicken, als Nacht, die Freundin der Liebe? Wenden Sie Ihren Blick gegen iene Aussicht, gegen diesen silbernen Mond, diese tausend funkelnde Sterne! Welcher sanfte, milde Schein strömt von ihnen auf uns herab! – Hören Sie iene melodischen Töne, die noch kurz vorhin Ihnen so sehr gefielen! Erweicht dies Ihre Seele nicht? Gießt es nicht Mitleid und den Gedanken in Ihr Herz: daß eine Liebe, wie die meinige, Erwiederung verdiene?
Emil. Ich höre auf nichts mehr! Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich meiner Freundin folgen! Oder mein Geschrei ruft das ganze Haus zusammen. Er ließ ihre Hand los, sprang auf, versperrte aber dem ohngeachtet ihr den Weg zur Thür, und erwiederte mit halbem Lächeln:
»Ich gehorche zum Theil. Aber wenn ich Ihnen, schönste Emilie, auch ganz gehorchte, Sie entschlüpften deshalb meiner Gewalt noch nicht. Unsre Freunde sind iezt an einem Ort, in einer Unterhaltung, die selbst Ihr lautestes Rufen nicht stören würde; und die Leute im Hause hier – sind weit entfernt, und bei Vorfällen mancher Art volkommen taub.«
Als schlüge ein Bliz vor ihr nieder, bebte Emilie bei diesen Worten einige Schritte zurück, blickte zwei Sekunden lang stumm und starr den Sprecher an, warf sich dann auf einen Sessel, und rief, in einen Strom von Zähren ausbrechend: Gott, ist es möglich! Kann Koriska mich so gräßlich verrathen? So niederträchtig mich der Schmach und dem Verderben Preis geben?
Er eilte, indem er diesen Ausruf vernahm, hin zu ihr, setzte sich dicht neben ihr, führte ihre rechte Hand mit Ehrfurcht und mit Zärtlichkeit zugleich an seine Lippen, und sprach:
»Nein, mein Engel! Bei allem was heilig ist, diese Nacht soll ein unverletzliches Geheimnis gegen iedermann bleiben! Selbst Koriska und mein Freund sollen, wenn Sie es fordern, von dem, was hier vorgeht, keine Silbe erfahren. Ich weiß, Sie werden dann meiner spotten – sei es! Ich kann dies und tausendmal mehr erdulden, wenn meiner göttlichen Emilie damit ein Opfer geschieht. – O seyn Sie gütig! Gewähren Sie meinen sehnlichsten Wünschen Erhörung! Lassen Sie nicht durch Widerstand der Menschheit süßeste Freuden schwächen, geben Sie mir Wonne, und theilen Sie solche zugleich mit mir!«
Emiliens Bestürzung, sich von einer Person verrathen zu sehen, die sie bisher für ihre beste, ihre einzige Freundin gehalten – dieser Schmerz war so groß, daß ich glaube, sie hörte nicht einmal was iezt Warwill gesprochen hatte. – Erst eine Umarmung von ihm weckte sie aus der tiefen, gewiß nicht erkünstelten Betäubung. Rasch sprang sie auf, stieß ihn mit aller Gewalt zurück, sah mit wilden Blicken im ganzen Zimmer sich um, und ward in einer Ecke desselben zwei Degen gewahr, die dem Lord Seymour und Warwill selbst gehörten, und von ihnen abgelegt worden waren. Mit einem Sprung, als flöge sie, hatte sie sich eines derselben bemächtigt; eh Warwill ihr folgen, und in die Arme fallen konnte, ihn aus der Scheide gezogen, und indem sie ihn an ihre Brust sezte, rief sie:
»Der Himmel schüzt mich! Er selbst weist mir den lezten Zufluchtsort gegen Schmach und ehrlose Ränke. – Wage Dich Nichtswürdiger, nur einen Schritt noch mir näher, und ich durchbohrt dies. Ueber Dich komme dann mein Blut! über Dich und über die Nichtswürdige, die wenigstens dann erschrecken wird, wenn sie die Folgen ihres Verraths erblickt; wenn sie sieht, daß ich eher sterben, als ihr an Verworfenheit gleich werden konnte.«
Warwills Staunen und Schrecken bei diesem Auftritte faßt keine Sprache. Blick, Stimme und Stellung zeigten ihm, daß es Emilien wahrer Ernst mit ihrer Drohung sei. Er wagte es daher nicht sich ihr zu nahen. Starr und sprachlos stand er da. Mit Augen, als sähe er einen Geist, blickte er auf dieienige, die ihm so unvermuthet entschlüpft war. Endlich wenigstens in etwas wieder seiner mächtig, stammelte er mehr, als daß er sprach:
»Bei Gott und allen Engeln, Miß, thun Sie nichts, was Sie ewig reuen könte. Sie haben keine Ursach dazu! – Ja, ich habe Sie schon längst geliebt, innig geliebt. Doch nie hegt' ich den geringsten Gedanken, Ihre Unschuld zu verführen. Der Plan, Sie hieher zu locken, war nicht mein Plan. – Es ist wahr, ich bot die Hand dazu; und welcher Mann von meinem Alter, meinem Stande, hätte dies nicht gethan? Aber glauben Sie mir, ich bin kein Räuber, und suchte nie in thierischer Gewaltthätigkeit mein Vergnügen. Selbst gegen die Geringste Ihres Geschlechts würd' ich einer solchen Handlung mich schämen; wie vielmehr gegen eine Dame, die ich unendlich liebe! – Werfen Sie daher dies grausame Gewehr hinweg, oder kehren Sie es gegen mich selbst; und stoßen Sie es bis ans Heft in mein Herz, wenn ich ferner noch den kleinsten Versuch gegen Zucht und Tugend wage.«
War vorher Wahrheit in ihrer Drohung gewesen, so befand sich solche iezt nicht minder in seiner Betheurung. Sie fühlte es, und erwiederte:
»Sir, ich hielt Sie ehedem für einen Mann von Ehre. Ich würde mich freuen, wenn ich diese Meinung zurückrufen dürfte.«
Warw. Das dürfen Sie! Bei allem, was Erd' und Himmel heiliges in sich enthält, schwör' ich Ihnen: Auch die gröste Befriedigung meiner verwegenen Wünsche würde mir nicht ein Drittheil derienigen Freude gewähren, die ich dann fühlen werde, wenn ich die Achtung einer so erhabnen Tugend wieder erwehren kann. Reizende Emilie! An Seel' und Gestalt vollkommen; in beider Rücksicht ein Engel! Sehen Sie in mir einen Bekehrten! – Jene hieher gehegte Liebe verwandelt sich nun in Anbetung. Wollüstige Begierden schweigen; aber zärtliches Gefühl beherscht von nun an unbeschränkt mein Herz, und soll ihm auch Tugend lehren. Verzeihn Sie mir das Vergangne und nie – nie will ich wieder eine andre Sprache führen, als die so keusch und rein, wie Ihre iungfräulichen Gedanken, ist.
Emil. Kann ich diese Reue für aufrichtig annehmen?
Warw. Gewiß! Und wenn ich iemals in meinen vorigen Fehler zurück falle, so müsste Schande, Schmach, Verachtung der ganzen Welt, iedes Unglück hier, und iede Strafe dort mich treffen!
Emil. Wohlan, so suchen Sie mich sogleich hier fort und wieder nach Hause zu bringen!
Warw. Meine Bereitwilligkeit zu gehorchen soll, hoff' ich, die Lauterkeit meiner iezigen Gesinnung beweisen, und die ehmaligen wenigstens etwas aussöhnen. Zum Glück steht, was Sie begehren, sogar leichter in meiner Gewalt, als Sie selbst vielleicht glauben. – Wähnen Sie nicht länger, schöne Emilie, daß der Kutscher würklich nach London zurückgefahren sei. Er übernachtet im Wirthshause ohngefähr hundert Schritte von hier. – Wahrscheinlich schläft er iezt, denn er versteht sich erst morgen früh seiner Rückkehr. Ich schick' aber sogleich um ihn wecken zu lassen.
Er schellte. Ein Bedienter, der alsbald kam, erhielt die gehörigen Befehle. Emiliens Augen glänzten wieder von Freude. Sie stelte den Degen leise in die Ecke hin und rief: »Gut, Sir Warwill, das ist Ihrer und meiner würdig!« – Er dankte ihr stillschweigend mit einer tiefen Verbeugung, klingelte nochmals, und begehrte Dinte, Feder und Papier. Er bat, indem es ihm gebracht wurde, Emilien um Erlaubnis, seinem Freunde nur mit einigen Worten melden zu dürfen: warum er ihn ohne Abschied verlasse. Diese Bitte war zu vernünftig, als daß sie Emilie hätte abschlagen können. Warwill sezte sich daher, und schrieb also:
Liebster Seimour!
Der Ausgang meines Abentheuers weicht himmelweit von meiner Erwartung ab. Emilie ist in meinen Augen kein Weib, sondern ein Engel. So betrachte ich sie von nun an; und ieder Wink von ihr ist ein Befehl und zugleich ein Glück für mich. Das erste, was sie von mir begehrte, war: daß ich sie von hier weg, nach ihrer Wohnung brächte. Verzeihen Sie mir, daß ich dies sogleich befolgte. Die Eil, womit ich es thue, hindert mich, nach unsrer Rechnung zu fragen. Uebernehmen Sie meine Schuld auf ein paar Stunden. Morgen gegen Mittag besuch' ich Sie gewiß, und mache Richtigkeit. Korisken machen Sie meinen Empfehl und meine Entschuldigung, so gut, als – es Ihnen selbst einfällt. Ich bin mit wärmster Freundschaft
Ihr
Warwill.
Emilien, indem sie ihn so schreiben sah, fiel es ein, auch für Korisken ein paar Worte zu hinterlassen. Sie lauteten folgendergestalt:
Madame!
Was ich den vielfältigen Warnungen meiner Verwandten und Freunde nicht glauben wolte, davon haben Sie mich nun selbst überführt. Ja ich sehe, auch die schmähsüchtige Stadt urtheilt noch zu gütig von Ihnen. – Unwürdigste ihres Geschlechts, gnügte es Ihnen nicht, Ihre eigne Ehre unauslöschlich zu brandmarken? Musten Sie auch noch andre mit sich ins Verderben ziehen wollen? Musten Sie diese höllische Tücke selbst gegen eine Person ausüben, die Sie bis diese Nacht innig und wahrhaft liebte? – Wissen Sie zu Ihrer Beschämung: Ich bin der Schlinge entgangen, die Sie mir legten. Ich kehre ungekränkt, wohl aber belehrt und gebessert, nach London zurück. Ich sehe nun ein, es wäre Unvorsichtigkeit, die nahe ans Laster grenzte, mit einer Person umzugehn, die in der Länge, wenn auch nicht meine Tugend, doch meinen guten Namen unheilbar zertrümmerte. Aller Umgang zwischen uns hebt sich auf ewig auf. Ich wünsche Ihnen bei Lesung dieser Zeilen die glüendste Schaam, damit doch nicht iede Hofnung von einiger Besserung bei Ihnen verloren sei.
Emilia.
Beide Billets wurden so eben geschlossen und gesiegelt, als der Bediente zurück kam und meldete: Es habe allerdings einige Mühe gekostet, den Kutscher zu ermuntern. Er ziehe nun aber bereits die Pferde aus dem Stall, und werde in wenigen Augenblicken reisefertig seyn. – Warwill gab ihm den Brief an Seimour und sagte: Ueberreicht dies dem Herrn, der mit mir kam, sobald er aufsteht! Die Kutsche send' ich gleich, und vielleicht, noch ehe er aufwacht, zurück. – Emilie fügte ihr Schreiben an Korisken hinzu, und der Bursche versprach beides pünktlich zu bestellen.
Der kleine Zwischenraum, ehe der Wagen kam, ging ziemlich still vorüber. So viel Ursache Emilie hatte, mit Warwill nunmehr zufrieden zu seyn, so mochte sie es doch noch für unschicklich finden, ganz aufgeräumt zu scheinen. Auch würkte wahrscheinlich die gehabte Unruhe noch stark auf sie. Er, aus Furcht, ihr Mistrauen neu zu erregen, hielt sich sorgfältig in den Schranken der Ehrfurcht. Ein Chinesischer Mandarin konte nicht feierlicher sich betragen. – Als sie die Treppe herabgingen, begegnete ihnen die Wirthin dieses Gast- oder vielmehr lüderlichen Hauses, und sagte mit tiefem Knicks zu Emilien: Sie hätten sich mit der Hofnung geschmeichelt, Milädi würde ihrem Hause die Ehre hier zu übernachten erweisen. Sie wünsche wenigstens, daß nichts vorgefallen sei, was einer so reizenden iungen Dame Verdrus machen könne. – Emiliens Antwort bestand blos in einem verächtlichen Blick; Warwill aber erwiederte: die Lädi habe nicht das geringste gegen dieses Haus zu erinnern, doch sei sie dran gewöhnt, nur in dem ihrigen zu schlafen. – Gleich darauf stiegen sie in den Wagen und fuhren unaufgehalten fort.
Mein Weg nach Hause war ziemlich weit, doch trat ich ihn sofort und mit größern Vergnügen an, als ich hergekommen war. Daß Koriska beim Aufstehen eine ziemlich verwundernde Miene machen werde, konte ich mir vorstellen, hatte aber keine Neugier es selbst mit anzusehn. Der edle Sieg der Tugend über das Laster, Emiliens entschlosne Standhaftigkeit, Warwills Nachgiebigkeit freuten mich. Vielleicht, dacht' ich bei mir selbst, hat sogar Koriskens Niederträchtigkeit hier etwas Gutes bewürkt! – Und ich irrte mich nicht. Denn schon drei oder vier Tage nachher hört' ich öffentlich erzählen, daß Sir Warwill um Emiliens Hand sich bewürbe. Ich ging zu ihr hin, und fand ienes Gerücht bestätigt. Schon vorher mochte Warwill Emilien im geheim mehr geliebt haben, als er sich selbst gestand; nach dieser leztern Probe einer mehr als gewöhnlichen Tugend sezte er sich auch über den lezten Vorwurf ihres nur mittelmäßigen Vermögens hinweg. Sie, die ihm, wie Koriska wohl gemerkt, nie abgeneigt gewesen war, gab ihm alle geziemende Aufmunterung, sobald sie seine Absicht selbst geziemend erfand. Binnen vier Wochen waren sie ein Paar, und was weit mehr sagen will – eins von denienigen, die sich wechselseitig glücklich machen.
Mit Lord Seimour, der würklich im Grund des Herzens ein Mann von Ehre war, nur daß Jugend, Modesucht und lebhaftes Temperament ihn zuweilen etwas nachsichtig in Wahl und Mitteln seiner Vergnügungen machte, sezte Warwill seine Freundschaft ununterbrochen fort, und sah von ihm die Verbindung, welche er mit Emilien traf, volkommen gebilligt. Aber Koriska biß von nun an allemal neidisch in die Lippen, so oft sie Lädi Warwill nur nennen hörte. Sie sparte keine Mühe, eine Tugend, die sie nicht zu verführen vermocht hatte, wenigstens zu verläumden; doch ieder giftige Pfeil prallte auf sie selbst zurück; und grade dadurch, daß Emilie allen Umgang mit Korisken aufgehoben hatte, erwarb sie ganz die allgemeine Achtung und den guten Ruf wieder, den sie vordem fast verloren hätte.