Johannes Richard zur Megede
Von zarter Hand
Johannes Richard zur Megede

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Zehntes Kapitel.

Was anständig ist und nichts thut, hat der Reichshauptstadt den Rücken gewendet. Wenn ich die Kurlisten in der Bäderzeitung durchstudiere, wimmelt's von Bekannten. Gräfin Lagrange mag auch darunter sein. Das waren schöne Zeiten, Louis Carén! – Ob das Heimweh nach dem Gewesenen ganz echt ist? Ich bezweifle es. Die Erinnerungen sind immer schön oder häßlich. Meine Vergangenheit aber war weder das eine noch das andre, sondern mausegrau. Nur halbwegs angefüllt war sie. Und das ist's, was ich so schwer vermisse, was mich von Tag zu Tag stumpfsinniger macht. Die roten Lippen der Saphirkönigin locken mich auch in der Erinnerung nicht – auch nicht die Toilette – auch nicht ihre beispiellose Verschwendung. Der Gedanke an Juchtenparfüm ist mir sogar widerlich. Aber ich wurde um sie beneidet, mußte immer auf dem Quivive sein, daß ein noch Leichtsinnigerer sie mir ausspannte, was denn auch geschah. Vielleicht hat sie den Neuen schon kaput gemacht. Schlecht kann's ihr ja nicht gehen, denn ihre Sparbüchse waren die Juwelen. Der ruppigste Wucherer würde ihr für meine allein ein großes Vermögen auf den Tisch legen . . . Und dann hatte man seine Carriere, 223 wenigstens den Schemen eines Berufes. Nach den höchsten Ehren, für die Talent und Arbeit zugleich erforderlich sind, geizte ich nicht. Ehrgeiz kostet Schweiß – und ich begnügte mich mit der bescheidenen Wärme, die Eitelkeit schafft. O, wie ich damals die Arbeit gehaßt habe! – Und wie ich sie jetzt entbehre! Viel mehr noch als das Geld. Man hat nichts mehr, an das man sich klammern könnte, nichts als den Stumpfsinn, der von Stunde zu Stunde fortschreitet. Dieses Nichtsthun frißt einen an wie die Motten ein Stück Tuch. Der Gott, der der Welt die Arbeit nähme, wäre ein Teufel!

Und absolut unthätig bin ich nicht einmal. Ich habe meine Pistolen und mein Tagebuch.

Das Schießen betreibe ich wie einen Sport täglich mit einer verbissenen Wut, die mir unbegreiflich ist. Ganz im Osten, in der Nähe von Köpenick, ist ein Pistolenschießstand. Dort verschwende ich meine Kugeln. Es ist eine erbliche Krankheit, die der unglückliche Jaromir zum Ausbruch gebracht hat. Ich habe mich famos eingeschossen. Der Arm ist wie Holz so starr. Das geht den Strich 'rauf und 'runter, pedantisch gerade, ohne eine Spur von Zittern – und jeder Schuß Strich. Ich brauche gar nicht mehr hinzusehen. Wenn ich's mache wie beim Duell – Kehrt! – Front! – Schuß! – fliegt die Hand nur so hoch. Bums! Spiegel oder eine kleine Abweichung nach oben oder unten. So weit wie der Doktor Stein in den »Problematischen Naturen«, der Tannenzapfen – knacks – aus jede beliebige Entfernung, Stück für Stück vom Baum holt, bin ich noch nicht. Dazu bringe ich's auch nie. Der Mann hatte ja bei dem Schießen ganz andre Vorstellungen. Worauf er auch zielt, das ist für ihn das Herz eines Adligen, das ausgezuckt haben muß, ehe der Rauch verflogen. Mich, den 224 Edelmann, reizen die Aristokratenherzen nicht. Ich müßte es denn auf die Plebejer abgesehen haben – und deren sind mir zu viele. Aber zuweilen frage ich mich doch: steckt hinter dieser Passion nicht ein heimlicher Haß, der vom Gefühl sich noch nicht zum Gehirn durchgearbeitet hat? – Ich hasse niemand. So oft ich mir auch Mühe gebe, bei dem schwarzen Scheibenspiegel mir etwas Menschliches vorzustellen – bis zum Tintenfleck und Astloch reicht die Phantasie – aber sich den Todfeind vorzuzaubern? Unmöglich! – Einmal zuckte mir freilich so eine ganz blödsinnige Idee durch den Kopf. Serners schwarzgefaßtes Monocle ist ungefähr ebenso groß wie das Zentrum, und zuweilen baumelt es ihm ja auch am Herzen. Der Gedanke war noch nicht ausgedacht, da sank mir bereits die Pistolenhand. Nee, auf so was wie Serner schießt Graf Louis Carén nicht! Es ist eben der Stumpfsinn, der das Schießvergnügen mir schuf und das Wahngebilde.

Bei meinem Tagebuch ist der Stumpfsinn auch der legitime Vater. Aber ich liebe dieses Tagebuch wirklich – nicht wie ein siebzehnjähriger Jüngling, der ihm seine überschwenglichen Verse und seine holperigen Gedanken anvertraut. Mir ist es thatsächlich der Strohhalm des Ertrinkenden, die letzte alberne Möglichkeit, mich nicht selbst zu verlieren. Denn es ist doch Arbeit, wenn auch eine fruchtlose, undankbare Arbeit sogar für mich selbst. Aber wie ein Atom von Selbstachtung in dem Menschen stecken muß, der schwarz auf weiß sich Rechenschaft giebt, so steckt auch wirklich ein winziger Kern in diesen Auszeichnungen – das Letzte, was ich besitze: die dilettantenhafte Charakterisierungskunst, die alles gern scharf wie in der Silhouette sehen möchte. Es ist wohl die Narrheit des Müßiggangs, die Marionetten schafft, während sie Gestalten zeichnen möchte. Manchmal widert mich 225 der beschriebene Wisch an. Alles scheint mir Karikatur drin, selbst das Gefühl . . . Bevor ich die berühmte Feder ergreife, weiß ich, warum. Und dann wird etwas ganz andres draus, die Individualität geht mir durch. Mich will ich doch schildern – und ich schwatze von andern! Zuweilen blättere ich ein paar Seiten zurück und frage mich: ›Warum gerade diese Menschen, dies Geschaute? Solltest du wirklich damals so gedacht haben? Aber das ist ja dumm!‹ . . . Und ich kehre für fünf Minuten reuevoll zur Selbstsektion zurück, unter der meine Eitelkeit zuckt. Aber das andre, das außer mir, ist immer wieder das Mächtigere, es zieht mich förmlich. Ich muß mein Gift weithin ausspritzen.

Das nennt sich nun Tagebuch – das soll ich sein. Es ist nicht ich, es ist der Roman meines Müßigganges, dem ich Kapitel aus Kapitel hinzufüge, ohne zu wissen warum.

Dennoch schreibe ich weiter – ich muß es! Dieser unleserlich geschmierte Fetzen ist mein Freund und mein Feind zugleich. Freund, weil ich mich ihm ungestraft anvertrauen, mich verhöhnen, belächeln darf – Feind, sobald ich objektiv zu sein versuche, weil ich gern kühl dem Karussell des Lebens von fern zuschauen möchte . . . und dafür urplötzlich auf ein Holzpferd springe, begeistert mitreite wie der dümmste Junge. Der Ritt ist dumm wie das ganze Leben. Man glaubt zu jagen, und die Holzpferde stehen unbeweglich – nur das Karussell dreht sich. Wir aber merken nicht, daß es rund ist, ohne Ziel. Wenn wir absteigen, sind wir nur verwundert, daß es derselbe Punkt, wo wir aufgesessen.

Ich glaube, das Beste in einem Tagebuch ist, was Fremde zwischen den Zeilen lesen. Wenn ich doch zwischen diesen Zeilen lesen könnte! Vielleicht kann ich's später.

*

226 Heute habe ich wenigstens etwas Positives zu berichten. Man hat den Grafen Louis Carén unter die Haube zu bringen versucht. Verwandte und Bekannte vermittelten. Tadellose Familie mit siebenzinkiger, nie beanstandeter Krone – klobige Zechinen. Ich war sehr bereit, mein Herz zu entdecken, sintemalen es sich um eine einzige Tochter handelte. Montag beim jour fix wurde ich vorgestellt. Voßstraße, erste Etage – wohnen erst ein paar Monate in Berlin, weil die herzkranke Mutter immer eine Autorität um sich haben muß. Sie ist kurz vor dem Adieusagen. Auch dagegen habe ich nichts einzuwenden.

Jour fix mit Tanz, Provinzodeur – ich vertrag's nicht mehr! – Wo ein Aas ist, sammeln sich natürlich die Adler, und ich fand eine Menge Rivalen. Uebrigens muß ich als Löwe noch sehr wohl accreditiert sein, denn ich hörte so im Vorüberstreifen: »Das ist also Carén? Na, der wird den fetten Happen bald intus haben.« – Die Propheten! Als ob man nur ein Esel mit einer guten Figur und einer Grafenkrone zwischen den langen Ohren zu sein brauchte, um zu reüssieren!

Hier scheint's fast der Fall zu sein. Als ich die Kleine zum erstenmal sah, guckte sie mich so verschüchtert an, als wenn sie sagen wollte: ›Dich muß ich also heiraten?‹ – Nein, liebes Kind, das mußt du nicht!

Es ist ja alles ganz gut und schön mit der Vernunftehe, dem Geld, der Wohlanständigkeit . . . aber da steht das Mädel vor mir: Neunzehn ist sie, Sommersprossen hat sie und ein gutes Herz – natürlich noch schlank, bleichsüchtig, wohlerzogen. Und ich? Ich möchte ja für mein Leben gern meine Finanzen aufbessern, ein ehrlich Gewerb in Ruhe treiben. Und wenn man sich da nun so anäugt, sich absolut nichts zu sagen hat!

227 Drei Worte – eine Eloge. Drei Worte – eine Dummheit. Dann Pause.

»Sind Sie schon lange in Berlin, Herr Graf?«

»Ja, leider!«

»Berlin ist doch reizend!«

»Ja, wenn man's nicht schon über hat.«

»Ich liebe Konzerte so sehr, das Schauspielhaus.«

In dem Ton geschlagene fünfzehn Minuten weiter. Ich kann nicht mehr. Ich bin doch bekannt als flacher und guter Causeur, wie es der Beruf selbstverständlich macht. Daß ich es hier nicht mehr sein kann, das liegt vielleicht an der Verbitterung, an der gar zu gründlichen Schule, die mir das Leben bescherte.

Sie ist eine Provinzunschuld. O Gott! Mir stand früher immer etwas Leichtsinniges dem Herzen nahe, da gaben sich denn ganz andre Konversationen, sehr ungeschminkte, viel ungeschminkter als meistens die Wangen. Die Großstädterin unsrer Kreise geht noch, sie kennt unsre Schliche! . . . Was ich doch mit der rotblonden Tochter von dem einen exotischen Gesandten für anmutige Ballgespräche geführt habe!

Zu diesen Provinzheiligen aber sollen sie Linieninfanteristen kommandieren, die finden das noch reizend . . . Wenn ich nun erst an eine solche Zukunft denke – nichts als Herzensgüte und Langweile! Ich würde ja die Unglückliche in den ersten acht Tagen mit der Reitpeitsche maltraitieren, bloß um einen kurzweiligeren Ton in die Ehe zu bringen. Zuletzt würde mich die Provinz doch unterkriegen, wie Langweile mit Migräne wechselnd die Nervosität immer unterbekommt. Und wenn ich noch weiter denke: diese Blutarmut und meine strotzende Jugend. Gott sei uns gnädig! Mir beginnt vor solcher Legitimität zu grauen, sie muß ja Kretins züchten!

Als ich stark vor Thoresschluß mich trollte, sehr 228 zur Unzufriedenheit meiner Freunde, die alles so hübsch arrangiert hatten, hörte ich noch eine wispern: ›Carén ist wohl etwas blasiert?‹

Etwas, liebes Kind? – Ich möchte mal einen noch Blasierteren sehen.

Nennen wir es übrigens mit seinem wahren Namen: Stumpfsinn!

Wenn's nicht Stumpfsinn wäre, würde ich den Gifthauch des Hochsommers in dem geliebten Berlin fliehen. Ich könnte mich in den Seesand einwühlen und dem Wogenschwall lauschen – es ist eine so köstliche Nervenmedizin. Ich könnte mich in irgend ein Waldesdickicht begraben, die Buchen flüstern hören oder die Fichtennadeln singen – mir thäte gute Luft so wohl! – Aber ich mag nicht. Ich ziehe mit wahrer Wollust den Pesthauch ein, der aus dem glühenden, stickigen Asphalt steigt, der wie Qualm die Straßen entlang streicht. Auch die schwüle, stille Nacht bannt ihn nicht. Er wogt durch mein Zimmer, kriecht in meinen Pfühl, ist mein Schlafmittel, das mich zu dem bleiernen, traumlosen Schlaf ohne Erquickung betäubt. Nur nichts Reines – nur immer mehr Gift! Die Nerven fressen ihren langsamen Tod so gierig.

Und wenn's nicht Stumpfsinn wäre, würde ich die Händelstraße meiden. Mein Herz pocht da nicht etwa stärker. Alles ruhig am Schipka! – Die Mädels sind mir so gleichgültig. Nur die Mutter fesselt mich. Ich liebe sie beinahe, weil ihr stummes Sehnen meiner Eitelkeit schmeichelt. In dem Hause geh' ich so regelmäßig aus und ein wie der Bäckerjunge. Man verlangt da keinen Geist von mir. Man ehrt meinen Stumpfsinn. Serner hält auch noch in dem stickenden Höllenpfuhl Berlin aus und erscheint so regelmäßig wie ich. Es ist wohl Eifersucht dabei, die bebende Angst, der pauvre Lion könnte 229 sich auch einmal seines Katzengeschlechts erinnern, die Pranke heben. Keine Angst, frühreifes Karlchen! Der Löwe hebt sie nicht. Ich fühle ja auch keine Abneigung gegen den Serner, er ist mir nur gleichgültig.

Gestern war ich wieder da, er nicht – und ich vermißte ihn beinahe.

*

Heute regnet's, Gott sei Dank, nicht der sogenannte erfrischende Regen! Es ist fast noch heißer, noch schwüler. Die spärlichen lauen Tropfen sprühen auf das kochende Pflaster, das wie Leim zu duften beginnt. In der dicken, grauen Staubschicht der Blätter des Tiergartens haben die Tropfen sich kleine, schnellversiegende Rinnsale gegraben; das Laub sieht aus wie gestreift. Es abzuwaschen bis zum frischen Blinken, vermag dieses schüchterne Rieseln nicht. Nur die glasierten Ziegel der Kaiser Friedrich-Gedächtniskirche beginnen matt zu schimmern. Wer eine Loggia hat, sitzt drin und sieht mit Wollust das feine Sprühen. Die phantastische Vorstellung, es könnten schwere Tropfen, Wasserstrahlen, ein Wolkenbruch folgen, erfrischt schon die meisten. Dabei dringt der Schweiß aus allen Poren. Ich bin wie Rothschild in dem bekannten jüdischen Witz: immer Hemd aus, Hemd an! – Es ist eine tropische, infernalische, unbewegliche Glut. Da drüben soll sich in ihr das Blut der Europäer verschlechtern, dünner werden, aber heißer, bis es die Despotenvorstellungen zeitigt, den grausamen Sinnenkitzel, der irgend etwas Bestialisches heischt. Hinterher sitzt man über die Armen in Potsdam zu Gericht.

Auch mir wird das Blut noch schlechter (wenn das überhaupt denkbar ist), doch es siedet nicht – es kühlt sich immer mehr.

Da sitze ich nun wieder im Rokokosalon, das 230 Liebespaar wie immer kaum fünf Schritte von mir. Ich döse wieder über derselben Bildermappe, höre das leise Zischen der Tropfen am Fenster. Ich träume nicht mal, denke auch nicht – die trockene, rissige Haut scheint den Schwitzsport aufgegeben zu haben, sie macht nicht mehr mit. Das besorgt Serner für mich – mit tausend kleinen Perlen auf seiner Idiotenstirn. Wenn ich ihn übrigens genauer besehe . . . er sieht nicht mal so dumm aus, wie er ist, und wenn ich ihn sprechen höre, ist er nicht mal so dumm, wie er aussieht.

Ist es nicht merkwürdig – obgleich ich es längst aufgegeben habe, diese werdende Liaison zu beobachten, wie mir mein Phantasiebotschafter befahl, oder sie gar zu durchkreuzen, was wohl der zweite Teil dieser Diplomatenmission war, – dennoch höre ich, ohne zu wollen, jedes Wort, was die beiden sprechen! Dabei flüstert das frühreife Karlchen oder stammelt abgebrochen, wie alle Sinnlosverliebten – sie aber spricht laut, accentuiert, damit ich nur ja kein Wort verliere. Das regelmäßig schöne Gesicht sehe ich nur an, wenn ich muß. Meistens sitze ich geduckt. Manchmal stockt das Gespräch, dann ist's mir, als fühlte ich das grüne Auge heiß auf meiner Stirn brennen. Wenn ich vorsichtig wie ein Raubtier aufblicke, sehe ich ein böses Flimmern. Zuweilen fühle ich auch den Blick des rätselhaften Geschöpfes schmerzlich, als wenn Wehmut drin läge, das Flehen um Mitleid. Dann fahre ich plötzlich auf – die grünen Augen gleiten an mir vorüber, immer kälter. Und das Mädel haßt mich nicht mal, ich bin ihr bloß schnuppe. Das will dem frühreifen Karlchen nicht in den Kopf. Und der pauvre Lion hat doch nicht mehr die Kraft zu fascinieren – er hat nicht einmal Lust.

Mir wird nach und nach die Plauderei der 231 beiden langweilig. Es ist wie beim griechischen Friedensschluß. Sie hocken zusammen, sie haben den besten Willen – und kommen nicht vorwärts. Serner hat sich schon so weit bekehrt, daß er vom Landleben schwärmt, einer vornehmen Zurückgezogenheit auf seinem Dutzend Gütern. Nicht mal übel. wie er das malt! Die Prahlerei, die Großmannssucht kennt er so wenig wie ich. Es klingt bescheiden, schlicht, mit durchzitterndem heißem Gefühl. Sein Stammschloß liegt am Rhein. Von dem alten Herrn schwärmt er . . . »Es würde Ihnen auch gefallen, gnädiges Fräulein. Von der Terrasse sieht man den ganzen Strom – breit, langsam, majestätisch . . . Lastschiffe, die nach Holland gehen, pfeilschnelle Dampfer. Ich werde mir eine Barkasse anschaffen . . . Und Früchte haben wir am Spalier! Der Gärtner schickt mir immer pflichtschuldigst . . . bei mir verkommt das Zeug natürlich, und es sind wahre Prachtstücke, Pfirsiche wie die Kinderköpfe!«

Sie nickt ihm freundlich zu: »O, das würde mir ganz gewiß gefallen!« Sie will ihn ja verstehen, giebt sich alle Mühe, Frau Gräfin Serner zu werden.

Und wenn sie wieder einmal auf so einem Punkte angelangt sind mit der berühmten Verlegenheitspause, der die Erklärung folgen müßte – dann will ich auch nicht stören, verflüchtige mich unter irgend einem Vorwand in das gotische Eßzimmer, obgleich dieser Stil gläubiger Phantasie gar nicht mein Geschmack ist und mir ebenso auf das Gemüt drückt wie das ewige Dämmerlicht der gotischen Dome. – Ich spiele nicht etwa noch nebenbei den Horcher, aber zuweilen beschäftigen sich meine Gedanken mit den beiden. ›Also sie wird mit ihm an demselben Rhein wohnen, der in Ragaz unsre Bekanntschaft vermittelte?‹ – Und ich kann's doch nicht 232 glauben, und es erscheint mir alles wie Komödie. Sie spielt mit ihm, weil er so absolut ungefährlich ist – sie nimmt ihn nie – so weit kann sich doch die Grünäugige nicht vergessen! . . .

Nach einer Anstandspause komme ich wieder, bin bereit, zu gratulieren, mich ganz zu trollen, je nach der Situation. Und da sitzen sie noch immer, schweigen sich aus. Er findet das Wort nicht, das so selbstverständlich: ›Und wenn ich Sie anflehen würde, die angebetete Herrin dieses Schlosses zu sein – würden Sie da nein sagen?‹ – O, sie würde nicht nein sagen! Nur jetzt . . .

Und du hast recht, Grünäugige, daß du deine heiligsten Gefühle nicht preisgiebst, wenn vielleicht ein Carén im Nebenzimmer horcht . . . Das Wunderbare ist nur, daß du sie überhaupt nicht preisgeben zu wollen scheinst.

Heute habe ich nun wieder zehn Minuten die Gotik des Eßzimmers entheiligt. Inzwischen hat sich Ethel eingefunden. Sie schwelgt zurzeit in Pleinairstudien, trägt einen Atelierrock und hat himmelblaue Fingerspitzen.

»Nein, das halte ich nicht aus, Asta!« höre ich noch gerade im Tone reizender Empörung. »Diese Hitze! – Warum gehen Sie eigentlich in kein Bad, Herr Graf Serner? – Ich hatte mich so auf Spitzbergen gefreut – und jetzt wird's wieder nichts!«

Das frühreife Karlchen schüttelt geistesabwesend das schöne Haupt. »Aber gnädiges Fräulein, in der Händelstraße zu wohnen, ist doch schon Sommerfrische!«

Asta versucht zu lächeln. »Doch nicht ganz, Herr Graf. – Ich wäre auch recht gern fort. Aber du weißt doch, Ethel, daß Papa geschäftlich nicht kann und Mama allein nicht will!«

Die Blonde empört diese Logik noch mehr. »Ja, 233 warum kann er nicht? – Kohlenstaubverbrennung und die Hitze! Bei dreißig Grad im Schatten soll sich eine Gesellschaft zur Erreichung noch höherer Temperaturen bilden! Schon der Gedanke muß ja die Leute verrückt machen.«

»Vielleicht wird das beabsichtigt . . .« unterbreche ich ironisch.

Ethel thut erstaunt. »Ach, da sind Sie ja auch, Herr Graf Carén! Und ich dachte, Sie wenigstens wären so verständig gewesen, schon lange in der Ostsee zu schwimmen. Aber Sie haben mich enttäuscht – Sie enttäuschen mich überhaupt immer!« Seit der Jostybeichte behandelt mich die Kleine etwas übers Handgelenk oder hat Spitzen bereit.

»Ja, gnädiges Fräulein, Verstand dürfen Sie beim hohen Adel nicht suchen,« gebe ich zurück.

Asta mißt mich mit einem kühlen Blick. »Wenn Ihnen alles so wenig fehlte, Herr Graf Carén!«

»Zu Befehl, gnädiges Fräulein. Metternichnatur . . . Hier fehlt's vielleicht noch mehr.« Ich markiere die Stelle, wo es zurzeit bei Serner schneller, bei mir langsamer tickt.

»Vielleicht, Herr Graf. Aber das interessiert mich nicht.«

Da habe ich die unparierte Quart drin. Serner könnte aufjubeln. Mich schmerzt der Hieb nicht. Es war vom Anbeginn der Grünäugigen Art, so mit mir zu verkehren. Leute, die sich lieben oder hassen, sollen wider besseres Gefühl so kämpfen. Ja, die Psychologen! – Vielleicht hätte es vor drei Wochen meiner Eitelkeit weh gethan, jetzt spritzt darum kein Blut. Wenn einem ein schönes Mädchen weiter nichts ist als ein sogenanntes Problem . . . Gut, daß sie noch eine Mutter hat!

Ich liebe diese Mutter, ich verehre sie ungefähr, wie man ein geistreiches Buch verehrt, nicht mit dem 234 Herzen, sondern mit dem Kopfe. Der leise Peau d'Espagneduft, der sie umfließt, thut mir wohl. Ich sehne mich nach ihm, weil er die praktische Vernunft, die wunderbare Herzenskühle auszuströmen scheint – die thut wohl in dieser Hitze! Ethel wird nächstens behaupten, die Alte und ich seien wie Mutter und Kind; ein andres Verhältnis wäre passender. Für meine Erfahrung ist Madame auch die richtige Wahl. Wenn sie im Salon erscheint, verstummt allmählich das Gespräch. Sie fühlen alle den Meister. Ein warmer, aufmunternder Blick für Asta – ein liebenswürdiger für mich – ein höflicher für Serner – für Ethel gar keiner. Die Gnädige stimmt merklich ab. Sie will sogar ihr Gefühl markieren, das einzige, was sie vielleicht besitzt: die Liebe für ihre älteste Tochter. Das ist keine Schauspielerei. Sie liebt die Statue, soweit sie vermag. Sie liebt diesen wundervollen Körper, dies kaltvornehme Gesicht; sie liebt diese sichere Ruhe, diese aristokratische Art, die nur dieser königliche Nacken, diese grünen Augen auszuströmen vermögen – sie liebt in Asta Le Fort sich selbst.

Und doch empört sich mein Verstand gegen diese Wahrheit. Mutter und Tochter sind nicht die Gleichen! Die Tochter erscheint nur, was die Mutter ist: Maske. Bei jeder andern würde ich an diese Maske glauben – bei Asta Le Fort vermag ich's nicht, so gern ich wollte . . .

Dennoch muß ich's glauben! – Madame, die so scharf sieht, wie nur je ein Weib, hätte sonst mich nicht für ihre Tochter ausgesucht, die Maske für die Maske. Meiner Eitelkeit könnte diese Wahl schmeicheln, thut es sogar. Madame will ihre Tochter glücklich machen. Dazu braucht sie einen kalten, klugen, vornehmen Menschen, der sich von Tag zu Tag mehr abkühlt bis zur Pommerytemperatur. 235 Solchen Menschen gehört bekanntlich die Zukunft. Hätte ich die nicht, würde eine so nüchterne Rechnerin doch Serner vorziehen, den schwachen, verliebten, anständigen, dummen Jungen mir schräg à vis. Mit dem könnte ihre schöne Tochter machen, was sie wollte. Sie würde vielleicht das frühreife Karlchen beherrschen, maltraitieren, – und das wäre ihm recht! Aber Madame ist es nicht recht. Bei ihrem Auserwählten ist sie sogar mit der zweifelhaften Aussicht auf meine Millionen zufrieden, da die Grünäugige ja deren selbst genügend besitzt, aber sie verlangt von ihm die große Carriere, die fabelhafte Zukunft, an der sie sich selbst mitlaben möchte, an der sie sich jetzt schon in Gedanken labt. Daß wir uns gleichgültig sind, übersieht sie gern, weil uns ihr überlegener Wille doch zusammenzwingen wird. Könnten Sie sich nicht am Ende, Frau Le Fort, in unsrer beider Herzen irren?

Ich durchschaue das Spiel. Die Gnädige ist fünf Minuten da – alles schweigt. Jetzt beginnt mein Debüt. Ohne daß ich es will, werde ich von ihr aus meinem Stumpfsinn emporgehoben, wie ein Kranker aus seinem Rollstuhl. Sie zwingt meine Gedanken herbei, die kluge Replik. Anfangs sträube ich mich, der russische Windhund knurrt, will nicht elegant über den vorgehaltenen Stock springen. Dann wedelt er bittend: ›Laß mich doch! . . . Ich bin müde‹ – Da bekommt er einen leichten Schlag, der ihn elektrisiert. Zuletzt setzt er, sich selbst vergessend, mit heiserem Geheul über das Hindernis – in einem so weitausholenden, unnötig hohen Sprung, daß alles staunt.

Hat mich Madame so weit (nicht immer gelingt's ihr), dann ist sie glücklich. Die Konversation fließt, die Ideen strömen zu, die klugen, sarkastischen . . . Und der Windhund springt immer höher, immer 236 toller, mit einer Art Wut – denn er haßt seine Bändigerin. Dies Rasen ist Selbstbetäubung . . . Plötzlich hört er auf, legt sich knurrend nieder. Die Gnädige hat's ihm nicht befohlen! – Die blonde Ethel giebt mich der Wirklichkeit, dem Stumpfsinn zurück. Ihre blauen Augen ruhen mit schmerzlichem, fast angstvollem Ausdruck auf mir, als wenn sie sagen wollten: ›Warum thust du mir das an? Ich streichle dein langes zottiges Fell viel lieber, wenn du zu meinen Füßen liegst. Wenn du springst, wirst du so wild, deine Augen glänzen kalt und gierig zugleich wie echte Raubtieraugen. Meine Mutter bändigt dich doch, das weiß ich. Warum läßt du dich von ihr bändigen?‹

Auch Serners Blicke können sich nicht von mir losreißen. Das ist der stumpf verwunderte Ausdruck, das unsichere Gefühl, hier einem Stärkeren gegenüberzustehen, der nur blank zu ziehen braucht, um ihn zu schlagen. Er ist zum Lachen und zum Weinen, der Tropf, der in solchen Augenblicken sein zermalmendes Schicksal in mir sehen mag! Und wie er sein Leben lang zwischen dem Blasierten und dem Philister hin und her geschwankt hat, empört er sich gegen dieses Schicksal, soweit es ein Waffenloser vermag. Er liebt die Grünäugige mit der stummen Devotion eines Hundes, die Frauen so gern haben. Der Narr ahnt gar nicht, daß ich ihn gar nicht schlagen kann, wenn ich auch möchte, ahnt nicht, daß nicht nur Abwehr, sondern etwas Fascinierendes in seiner Hingabe liegt. Gerade den Hund verlangt der königliche Nacken, die kurzsichtige, fanatische Liebe, die durch kein zwiespältiges Gefühl je entkräftet wird. Bei der Blonden würde ich sagen: sie wird ihn lieben lernen, weil er ihr leid thut. Bei der Statue sage ich: sie liebt ihn schon jetzt. Sie liebt das Tier, das sich demütigt, 237 windet, kriecht, wie es ein kaltes Aufleuchten in den Nixenaugen gerade befiehlt – Asta wird den Hund schlagen mit einer feinen biegsamen Gerte, deren Hiebe peinigen und aufstacheln zugleich, so daß er leise winselt – sie wird ihn auch mit dem Fuße stoßen, so daß er wild aufheult, obgleich es nur ein dumpfes Schmerzgefühl war. Er wird immer glücklich sein, ob geschunden oder gehätschelt, wenn er nur den Saum ihres Kleides fühlt. Vielleicht mißhandelt sie ihn nicht mal, verlangt nur stummes Gehorchen, an dem sich's ihre Mutter genügen lassen würde, deren Menschenverachtung sie vor Grausamkeit beschützt, weil die ihre Nerven weder kitzeln noch empören könnte. Nein, die Asta, die Ziehhunde beschützt, will Herrin sein oder Sklavin mit allen Konsequenzen – die weise Diplomatie der Mutter behagt ihr nicht. Und weil sie den ehernen Fuß nicht findet, unter den sie den königlichen Nacken beugen muß – den ehernen Fuß, nach dem jedes Weib doch wollüstig bebt, weil sie geborene Sklavin ist –, gelüstet sie zu herrschen.

Ich weiß nicht, wie weit der Prozeß vorgeschritten ist, aber Serner hat Chancen, und ich habe sie nicht. Denn was ich mit der Mutter causiert – die Prunkleistung des Tages –, ist an Asta abgeglitten wie ein Holzbolzen an einem Harnisch. Sie hört mich nicht, weil sie nicht will, sie sieht mich nicht, weil sie an mir nichts zu sehen hat. Und diese Gleichgültigkeit reizt mich so wenig wie die Abwehr. Nur das Zuschauen reizt mich noch: die Doppelkomödie, in der ich meine Statistenrolle weiter zu spielen gedenke, bis der Vorhang sich langsam auf die klingenden Sektkelche, die begeisterten Gesichter, diese Doppelhochzeit senkt und ich auch als Statist fertig bin.

Die andern wollen es nicht glauben, daß ich mich mit dieser Rolle begnüge.

238 Serner ist unruhig geworden, wie so manchmal, wenn er zum vergleichenden Studium unsrer Gräflichkeiten gezwungen war. »Was doch die Zeit vergeht, gnädiges Fräulein! Ich habe noch einen dringenden Brief zu schreiben an meinen . . .« Nicht mal die albernste Lüge vermag er auszudenken.

»Haben Sie dazu heute abend keine Zeit mehr, Herr Graf?« Das ist Asta. Madame ermuntert nicht. Der gute Serner ist beinahe ebenso ihr Liebling wie Jaromir, nur daß man einen Grafen mit sieben Rittergütern nicht so markant abweisen lassen kann durch den Diener wie den Versicherungsagenten mit achtzig Mark monatlich. Bomulunder und ich sind ihre Schützlinge. Schönes Gespann, das! – Aber Serner ist gar nicht mehr hochmütig, er läßt sich gern halten von den Mädels, zumal auch meine Feindin Ethel bittet: »Bleiben Sie doch, Herr Graf!« – Sie wird mir auch rätselhaft mit dieser aufkeimenden Feindschaft, die Blonde.

Und so scheiden wir uns in zwei Lager. Die Jugend, mit dem frühreifen Karlchen als Nachhut, geht in Astas Boudoir, um etwas ganz Wunderbares von einer patentierten Trense zu begutachten. Das Alter bleibt.

*

. . . Wir sind allein.

Madame zuckt die Achseln. »Verstehen Sie, Herr Graf?«

»Vollkommen, gnädige Frau.«

»Dann verstehe ich Sie nicht, Herr Graf!«

Darauf halte ich es für genügend, mit der Achsel zu zucken.

»Aber ist das möglich? Dieser Graf Serner ist eine komplette Null.«

»Sagen Sie viele Nullen, gnädige Frau, und 239 setzen Sie irgend eine Ziffer davor, so werden Sie sein Vermögen annähernd taxiert haben.«

»Das ist Spielerei!«

»Zu der bin ich zu alt?«

»Ich finde, ja, Herr Graf.« Die Gnädige giebt's ihm darauf nicht zu knapp. »Meine Tochter bekommt den Serner nicht, meine Tochter bekommt überhaupt nur den, den ich wünsche.«

»Und der wäre?«

»Vorläufig kenn' ich ihn nicht . . . Vielleicht existiert er überhaupt nicht.« Sie lügt mal wieder wunderbar, die Gnädige, ohne Wimpernzucken.

Ich hätte wirklich die Neigung, ehrlich wie ein Spitzbube zu sagen: ›Und wenn ich selbst um Ihre Protektion bitten würde?‹ – Daß sie darauf antwortet: ›Seien Sie erst etwas, Herr Graf, und kommen Sie dann wieder,‹ – dessen bin ich gewiß. Statt zu sprechen, gähne ich aber. Madame reizt das. Ich wüßte nicht, was mir gleichgültiger wäre.

»Sie sind müde, Herr Graf?«

»Das bin ich stets, gnädige Frau.«

»Sie sollten etwas thun . . .«

»Ich führe ein konfuses Tagebuch, schieße mit Pistolen . . .«

Fast mütterlich antwortet sie darauf: »Wann werden Sie verständig, Graf Carén?«

»Das ist eine Gewissensfrage.«

So dreht sich die Unterhaltung wie ein verrückt gewordener Brummkreisel. Das ist nichts nach Madames Geschmack, die trotz aller konventionellen Glätte den Kern der Dinge liebt und gerade unserm heutigen Gespräche etwas Positives geben möchte. Darum rückt sie auch zufällig näher, damit wir die Stimme nicht übermäßig anzustrengen brauchen. Das Weib wird ekelhaft, sie kommt mir vor wie die Versuchung. Peau d'Espagne duftet aufdringlich.

240 »Also, Sie wollen nichts thun . . . Natürlich, jeder wie er will,« . . . das sagt sie.

Als ob seit Noahs Zeiten die Leute etwas mehr empört hätte, als wenn man ihnen in diesem Ton und auf diese Art den Willen läßt! Louis Carén geht selbstverständlich auf den Leim. »Will, gnädige Frau – nein, muß! Da ich von Schulden lebe, kann ich meine Carriere nicht aufnehmen; und weil ich sie nicht aufnehmen kann, werde ich stumpfsinnig.«

»Und dennoch wäre es Ihnen so leicht, Herr Graf . . .«

Wie einem Madame die Zügel wieder anzulegen sucht – würde es auch der weichmäuligste Schinder nicht empfinden. Dennoch scheue ich zur Seite. »Ja, zum Beispiel, gnädige Frau, würde es mich sehr reizen, in einer Spekulation meine Verhältnisse zu verbessern. Ich war mit dem sogenannten Doppeldoktor neulich zusammen, und nach allem, was mir der doch sehr gerissene Kerl erzählt hat . . .«

»Ist bei der Kohlenstaubverbrennung viel zu holen,« unterbricht sie feindlich. »Lassen Sie sich eines Besseren belehren, Herr Graf! Erstens ist dieser Doppeldoktor bei der Sache eine sehr untergeordnete Persönlichkeit, einer von den Leuten, die mein Mann nötig hat. Sie wissen: man liebt den Verrat und haßt den Verräter. – Zweitens ist die Gesellschaft noch lange nicht fertig. Wenn alles all right wäre, ich hielte sicher nicht in diesem Bratofen aus. – Und, was die Hauptsache: soweit ich's hindern kann, werden Sie sich nie in solche Angelegenheiten einmischen. Ueberlassen Sie das andern! Ich bin sehr offen. Wenn Bomulunder oder Serner von der Partie sein wollen, sehe ich's nicht ungern; der eine ist bei der Inscenierung des Unternehmens nicht unwichtig, der andre wirkt durch den Namen. Das sind eben Leute, die mir im Grunde 241 gleichgültig sind – wenn auch der eine mehr als der andre. Bomulunder ist zum Beispiel gar nicht so übel! – Sie aber, Herr Graf, sollen sich nicht mit Dingen befassen, von denen Sie (Pardon!) absolut nichts verstehen, und bei denen ein Graf sich vielleicht die Finger beschmutzen könnte. Ueberlassen Sie das Menschen ohne Namen, wie wir, die sich sicher die Finger nicht beschmutzen werden – oder solchen, an denen die Welt nichts zu verlieren hat.«

»Es waren auch nur aufsteigende Blasen, gnädige Frau.« Ich kusche wieder vor dieser Logik.

Das paßt Madame erst recht nicht in den Kram, und sie fährt beinahe dringend fort: »Wo ich hinaus will, wissen Sie so gewiß wie ich, Graf Carén. Versöhnen Sie sich mit Ihrer Tante.« Und da sie das empfindliche Aufzucken meiner Nerven sieht, wiegelt sie gleich klug ab: »Wer verlangt eine wirkliche Versöhnung? Mit Ihrer scheinbaren unüberwindlichen Abneigung hat das nichts zu thun – nur mit Ihrer Klugheit. Denken Sie doch: ein Diplomat empfindlich! . . . Außerdem ist die Comtesse Carén eine Dame, die ich sehr schätzen gelernt habe.«

Darauf beginne ich mit dem Fuß zu wippen – bei mir immer ein Zeichen wachsenden Grolles. Schweigen ist Weibern wie der Le Fort gegenüber die einzige Waffe. Die würde einen sonst kalt lächelnd überzeugen, daß Mord – erlaubt – Pflicht – Großthat ist.

Leider Gottes hält Madame meine Reserve für eine Pause des Nachdenkens. »Und wenn die Versöhnung perfekt ist, – ich garantiere Ihnen, daß Sie mit offenen Armen aufgenommen werden . . .«

Meine Fußspitzen geraten in Schwingungen. Dies Peau d'Espagne kriecht mit seiner süßlichen 242 Schwere ordentlich in einen hinein. Jetzt bin ich wirklich nervös . . . »Nicht wahr, dann würde mir die Tante ungezählte Zechinen zum beliebigen Gebrauch anvertrauen? Ha!«

»Warum nicht! Bleibt sie hartnäckig, so sind andre dutzendweise da. Ich will nicht von mir sprechen, weil das aufdringlich erscheinen könnte. Zur Verfügung stehe ich Ihnen jedenfalls ganz, Herr Graf.«

Ich werde wieder eiskalt. »Dank, unterthänigst, gnädige Frau. Aber ich wünsche keine Hilfe! – Vor noch nicht vierzehn Tagen machte mir mein Vetter Lasis das kavaliermäßigste Anbieten derart – er kann's, und von ihm nähme ich's noch am liebsten, meine tote Tante ausgenommen – aber ich habe auch ihn refüsiert.«

Madame könnte beleidigt sein. Sie sieht mich aber nur scharf an. »Damit Sie glücklich werden – sollte also Ihre unglückliche Tante sterben?«

»Das mit dem Tod mag der Herrgott mit ihr ausmachen. Und ich hoffe fest, sie wird sich im Fegefeuer nicht mehr über kalte Füße zu beklagen haben, wie hier unten auf Erden so oft. Ich warte eben, bis sie hinüber ist. Enterbt sie mich – mir soll's auch recht sein. Dann lebe ich wenigstens nicht mehr von vagen Hoffnungen, weiß, daß ich des Geldes halber heiraten muß, und heirate auch.«

Die Gnädige fixiert mich scharf, die Festigkeit meines Entschlusses zu prüfen. Und während sie wie ein Automat: ›Ist das nicht sehr unchristlich gedacht – nicht sehr unchristlich gedacht?‹ herleiert, bin ich überzeugt, daß sie weder an den Himmel noch an die Moral, sondern ganz etwas Irdisches denkt. Der starre, leere Blick, der ihr dann eigentümlich, wird mir wieder unheimlich. Dämonisches ist nicht drin – nur die furchtbare Leere . . . Von einem 243 Automaten scheinen auch die Worte zu kommen: ›Soll die alte Jungfer Ihretwegen sterben? – Vielleicht thut sie Ihnen den Gefallen . . .‹

Nachträglich bin ich überzeugt, daß mir dieser Satz nur geträumt hat. Es liegt da schon eine Art Sentimentalität darin – die Gnädige versucht doch jetzt gerade den letzten Vorstoß, läßt ihre unerbittliche Logik spielen.

Erst ganz zuletzt kommt auch Gefühl – lau für mich, für irgend eine andre heiß . . . ›Ich solle doch gehen – ich verkäme ja sonst! Und wenn ich das nicht wolle, möchte ich wenigstens die Le Fortsche Hilfe annehmen, nicht weiter von der Gnade eines schmutzigen Wucherers leben . . .‹ Sie kämpft, wie meine eignen Glaubensgenossen, die Jesuiten, kämpfen sollen, denen der Zweck jedes Mittel heiligt . . . ›Ich würde eine große Intelligenz im Müßiggang morden . . .‹ Die Schmeichelei muß also auch herhalten.

Was ich dagegen einwende, versteht sie nicht. Daß ich vor der Schildkröte und ihrem Gelde mich nicht erniedrigen will, weil ich mich nicht vor mir selbst erniedrigen will, ist ihr unbegreiflich. Von dieser Gnade zu leben? Niemals! Lieber von der Gnade des schmutzigsten Wucherers! – Es ist keine Spur von ihrer zwingenden Logik in meinen Worten – nur unklares, bis zur Tollheit eigensinniges Gefühl, über das ich nicht hinweg will und auch nicht hinweg kann.

Und jetzt erlebe ich das Wunder. Madame bittet, fleht beinah. Doch das ist nicht ihre ureigenste Waffe; die ist stumpf vom langen Nichtgebrauch. Dazwischendurch guckt immer wieder, wie ein Kasperle, das Leitmotiv: ›Gehen Sie, Herr Graf! . . . Ihre Tante enterbt Sie sonst – und Ihre Tante soll Sie nicht enterben.‹

244 Dennoch lasse ich mich weder überzeugen noch überreden. Louis Carén geht nicht zur Schildkröte – er wartet – und sollte er bis dahin ganz blödsinnig geworden sein.

*

Nun hat sie's verwunden, die Dame mit der charakterlosen Linie. Vielleicht erkennt sie auch dabei, daß ich die schlechteste Acquisition für ihre grünäugige Tochter sein würde. Thäte sie es doch! Dann wäre ich ihre Protektion los.

Ich sitze spät nach Mitternacht noch an meinem Schreibtisch, um dies Kapitel zu schließen. Denn ein Kapitelschluß ist hier: das fühle ich . . . Am Ende verschwimmt mir alles, nur die trostlose Leere der blauen Augen verschwimmt mir nicht – auch nicht der Satz, den ich nur geträumt habe: ›Soll die alte Jungfer Ihretwegen sterben? Vielleicht thut sie Ihnen den Gefallen.‹ 245

 


 


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