Johannes Richard zur Megede
Von zarter Hand
Johannes Richard zur Megede

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Viertes Kapitel.

Vorläufig versilbere ich meine Pretiosen. Schön ist's nicht! Vor einem halben Jahre hätte ich's noch für unmöglich gehalten. Eine brillantenbesetzte Tabatiere, die Friedrich der Große meinem Urgroßvater für eine ganz tolle Attacke höchst eigenhändig verlieh, einem Edelsteintrödler zu verschachern? . . . Nimm dich in acht, Graf Carén! Wenn der Adel seine Traditionen verkauft, dann wird ihm auch bald die Ehre feil. Und was für ein Spottgeld diese Kerls bezahlen! Was mir von Jugend auf ein unschätzbares Juwel schien, dafür bietet man tausend Mark. Ich ekle mich, diese Scheine anzufassen; sie sind schmutzig und gemein. Ob meine Hände jemals wieder rein werden? Ich fürchte, nein.

Ich wohne nicht mehr im Kaiserhof, ich esse nicht mehr im Monopol. Nicht als ob ich der Gesellschaft überdrüssig wäre! Ich schäme mich vor ihr, wie ich mich fast vor meiner Tante schäme, die ich noch nicht aufgesucht habe. Dafür verkehre ich eifrig bei Le Forts. Da giebt's keine Tradition, keinen Botschafter, der mich auf meinen Gesundheitszustand anredet – dennoch herrscht die eisige Kühle der höchsten Regionen. Und ich brauche diese Eiskühle, diese Form, die nie den Inhalt erraten läßt. Ich bin auch schon lange nur Form!

73 Aber ich will mich von katzenjämmerlichen Stimmungen nicht unterkriegen lassen. Wenn's ex ist, giebt's noch gefällige Wucherer, und wenn das ex, wozu giebt's denn in Friedenszeiten Pistolen?

Die schöne Asta lockt mich nicht. Sie wird von Tag zu Tag kälter gegen mich, zieht sich zusammen wie eine Meduse. Warum hast du eigentlich so tiefe grüne Augen, Mädchen? Zuweilen sehne ich mich doch nach dem rätselhaften Glanz. Es muß was dahinter sein! Merkwürdig, daß uns immer nur das Geheimnis reizt. Und es ist ein feindlicher Reiz auch bei mir. Wenn ein großes Feuer der Leidenschaft hinter der Smaragdhülle flammt, bin ich enttäuscht. Ich will wissen, daß ein Nichts dahinter ist! – Im übrigen bin ich ein schlechter Menschenkenner. Nicht von Madame Le Fort geht die Kühle aus, sondern von der grünäugigen Asta. Im Gegenteil – gerade Madame ist's, die mir diese Ausländervilla angenehm macht. Sie ist die Gleichmäßigkeit, die unentwegte Liebenswürdigkeit, deren Wert ich erst jetzt erkenne. Sie ist klug, sehr klug. Wir unterhalten uns brillant. Dennoch erkenne ich auch in der Konversation wieder die hübsche, charakterlose Linie, die es mir so schwer macht, eine Unterhaltung von uns beiden zu fixieren. Von dem Kanarienvogel hat sie nichts wieder erwähnt.

*

Ich habe mich entschlossen, der Tante meinen Knicks zu machen. Die spindeldürre Mamsell empfängt mich fast feierlich. Item ist die Schildkröte nicht zu Hause oder krank, der Kanarienvogel aber gesund.

»Die gnädige Comtesse sind noch im Zoologischen Garten.«

»Na, da müßte sie doch schon lange zurück sein. 74 Meine Tante bleibt doch immer bis genau zwölf Uhr da.«

»Herr Graf haben ganz recht, aber seit einigen Tagen verweilt die gnädige Comtesse regelmäßig etwas länger.«

Ich habe immer gleich lasterhafte Ideen. Vielleicht hat sie sich in einen Wärter von der Vogelabteilung verliebt. Hysterischen älteren Jungfern trau' ich alles zu.

Da es aber bis zum Zoologischen Garten bloß drei Schritte sind und ich à tout prix den liebevollen Neffen spielen will, opfere ich die Mark Entree. Die Tante hockt wirklich noch in ihrem Krankenstuhl an der alten Stelle dicht am Ententümpel und freut sich über das widerwärtige Gekreisch der Wasservögel. Der Dicke steht in respektvoller Entfernung. Die Nase ist bedeutend blauer geworden. Ich will doch mal die Schnapsrechnung bei der Schildkröte revidieren. Die Schildkröte selbst ist wieder sehr hoheitsvoll, bekrittelt mein Aussehen.

»O Louis, du hast gewiß nicht gut gethan in der ganzen Zeit! Du läßt vom Leichtsinne nicht.«

»Aber Tantchen! – Ich lebe ja völlig wie ein Klausner. Wenn es je einen reuigen Sünder gab, so bin ich's.«

Aber sie winkt mit der dicken, gichtischen Pfote ab. »Ich traue dir nicht mehr, Louis, seit dem Augenblicke, wo du Lola so angesehen hast. Du weißt schon . . . Ja, dein Vater war ein ausgezeichneter Mann – aber deine Mutter, deine Mutter! Louis, die hat mich nie verstanden, immer herzlos über meinen verstorbenen Mops gewitzelt. Wenn ich noch daran denke, wie sie sagte: ›Liebe Jeannette, die Biche wird ja aber gräßlich dick! Nimm sie nur in acht vor den Hundefängern. Das wäre so ein willkommener Sonntagsbraten . . .‹ 75 Natürlich, sie mußte russische Windhunde halten, ritt alle Hetzen mit . . . Jetzt ist sie tot – sie war deine Mutter und gewiß eine gute Frau – aber sie hatte kein Herz!«

Nun besitze ich allerdings berufsmäßig ein sehr geschmeidiges Rückgrat, aber wenn die scheinheilige Bestie meine Mutter schlecht machen will . . . dumme alte Jungfer! Als wenn nicht gerade sie ein gutes Herz gehabt hätte! Von meinem Vater habe ich die guten braunen Augen nicht. Freilich, meine Mutter war eine Lasis-Taetz aus dem böhmischen Hochadel mit dem riesigen Grundbesitz, wo sie schon von Jugend auf die Hetzen mitreiten. »Liebe Tante, du übertreibst sehr stark,« antwortete ich endlich.

Da winkte sie wieder hoheitsvoll und gemessen wie eine Pagode. »Ich und übertreiben? – Louis, du hast nicht einmal Pietät für die alte, einzige Schwester deines Vaters. Du hast für nichts Pietät. Wie konntest du nur im bodenlosen Leichtsinne das wunderschöne Carénsche Stammgut verkaufen?«

Das war mir nun etwas zu scheinheilig. »Hab' ich's dir nicht vielleicht, Tante, zu einem sehr zivilen Preise zuerst angeboten? Du danktest. Und was im übrigen meine Mutter anbelangt, so tadelst du etwas, was die ganze Welt an ihr bewunderte: Sie war eine Dame von Welt, eine ganz große Dame, und hatte nun einmal für Möpse kein Interesse.«

Darauf bekam die Tante einen Hustenanfall. Der Dicke stob heran: »Die gnädige Comtesse haben sich gewiß aufgeregt.« Das war nun allerdings der Fall, aber die Antwort wollte sie mir doch nicht schuldig bleiben: »Dame von Welt? – Nun, ich sage dir, Louis, es giebt auch Damen von Welt, die ein rührendes Herz für Tiere haben. Lola hat schon eine Freundin, die ihn liebt allein auf Grund 76 meiner Erzählungen.« – Wenn ich gemein gewesen wäre, hätte ich gesagt: ›Jawohl, Tante, auch einen Freund, der ihn sobald wie möglich in den Vogelhimmel spedieren möchte.‹ Dafür sagte ich wieder: »Das freut mich, Tante! – Wer ist die Dame? . . . Du kultiviertest doch sonst keine Bekanntschaften . . .«

In dem Augenblicke war ich stark in Versuchung, die Tante für geistig krank zu halten, da sie plötzlich mit beiden Armen wie eine gichtische Windmühle wehte und sich im Stuhle zu verneigen suchte. Ich war so perplex über diese Anzeichen beginnender Weichhirnigkeit, daß ich die Tante bloß anstieren konnte. Auf einmal beginnt die Schildkröte zu lächeln und mit den falschen Zähnen zu spielen, was ich schon als Kind an ihr bewunderte. Sie verbeugte sich wieder. »Louis!«

»Tante?«

»Gestatten Sie, gnädige Frau, daß ich Ihnen meinen Neffen, Grafen Carén, vorstelle.«

Ich drehte mich um. Es war Madame Le Fort.

Ein Blick, fragend von mir, glasig von ihr – wir haben uns noch nie gesehen! O, Madame ist wirklich meine Freundin. Der träge Geist der Schildkröte ahnt natürlich nichts von der Komödie – aber auch ein sehr scharfer würde die Dame mit der charakterlosen Linie nicht entlarvt haben.

Die Tante ist unausstehlich liebenswürdig, der Dicke springt sofort nach einem Stuhle für die gnädige Frau; bei mir würde er's nie gethan haben. »Sie kommen spät, gnädige Frau, ich hatte schon ganz die Hoffnung aufgegeben,« flötet die Tante.

Madame lächelt. Sie ist so ganz Dame von Welt, daß sie gleichmütig über alles lächeln kann.

Darauf wendet sich die Schildkröte triumphierend an mich. »Sieh mal, Louis, das ist die Dame! – 77 Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich ihm erzähle, wie wir zu unsrer merkwürdigen ersten Begegnung gekommen sind. Louis hat nämlich kein Herz für Tiere – ich fürchte, auch nicht für Menschen!« Ich senkte ergeben mein wohlfrisiertes Haupt. Was soll man auf solche Dummheit sagen? – »Also denke dir, Louis: Ich sitze vorigen Sonnabend wie gewöhnlich hier, freue mich an dem Sonnenschein und der köstlichen Luft, und wie die kleinen Entchen sich amüsieren. Wenn nur nicht die Kinder von dem Spielplatze so 'rüberlärmten! Kinder sind schrecklich. – Und da geht eine Dame langsam an dem Einfriedigungsgeländer entlang, dort, wo der kleine Teich ist. Sie waren mir, ehrlich gesagt, im Anfange zu elegant, gnädige Frau, und ich traute Ihnen nur die gewöhnliche Neugierde der Gartenbesucher zu – aber gnädige Frau blieb sehr lange, konnte sich von einem jungen Pelikan nicht trennen, der so ganz hilflos 'rumwatschelte. Sie muß entschieden eine Tierfreundin sein, dachte ich. Aber der Pelikan – thöricht wie alle Jugend – versteht das nicht, watschelt immer weiter rechts von ihr weg. Gnädige Frau folgt ihm voll Interesse, ohne natürlich an die niedere Außenwelt zu denken. Und dabei stößt sie ganz leicht an meinen Stuhl. Sie erschrickt – entschuldigt sich. Und ich nehme mit Freuden die Gelegenheit wahr, eine neue Bekanntschaft zu machen. Nicht wahr, gnädige Frau, Sie bedauern doch auch nicht?«

»Aber im Gegenteil, Frau Gräfin, ich bin entzückt.« Die Schildkröte hat es nämlich trotz ihrer Jungfräulichkeit sehr gern, wenn man sie fälschlich des Verheiratetseins beschuldigt.

»Von Lola habe ich der gnädigen Frau erzählt,« fuhr die Tante mit einem Basiliskenblick auf mich fort. »Sie hat die gelben, treuen Geschöpfe auch lieb 78 – hat selbst eines« . . . O Madame Le Fort, wie trefflich können Sie Komödie spielen! – »Nicht wahr, gnädige Frau, Sie werden Ihr Versprechen wahr machen und mich einmal in meinem Kloster besuchen? Lola wird gleich zu Ihnen Vertrauen haben. Lola ist so klug und kennt seine Freunde . . .«

Ich sah die Tante harmlos an, wurde aber sofort mit einem »O nein, Louis, du gehörst nicht zu ihnen!« geduckt. Die Tante himmelte ordentlich und hätte am liebsten Madame Le Fort nie wieder losgelassen. Aber die Gnädige ist Gott sei Dank pressiert, muß unbedingt um halb zwei in der Händelstraße sein, und jetzt ist's gleich viertel. Madame knickst – ganz elegante Ehrfurcht, ganz Cour, es fehlt nur die Schleppe. Die Schildkröte umklammert mit den beiden Vorderflossen verliebt die schlanke weiße Hand. »Adieu – adieu, meine liebe, liebe Frau Le Fort.«

Ich begleite Madame Le Fort – die Schildkröte hat das mit einem sehr entschiedenen Blick angedeutet. Bis zum Ausgange sind wir fremd, höflich – ich wie ein Lakai vom Dienst, den Madame für selbstverständlich hält. Aber im Augenblicke, als wir das Tourniquet hinter uns haben und auf dem Kurfürstendamme stehen, platze ich los wie ein Quartaner, der mit Erfolg Aepfel gemaust hat. Sie lacht auf, leise, vorsichtig. – »Gnädige Frau waren lange auf der Bühne?«

Sie straft mich mit einer eleganten Bewegung ihres Sonnenschirmes. »Was wollen Sie, Herr Graf? Ihre Tante ist eine sehr nette Dame – etwas eigentümlich . . .«

»Und Sie haben ihre Bekanntschaft ganz gegen Ihren Willen gemacht? O gnädige Frau, uns Diplomaten täuscht man so leicht doch nicht!«

»Und wenn ich ihre Bekanntschaft gesucht – 79 etwas ganz andres gefunden hätte, als Ihr böser Mund zu charakterisieren für gut hielt?«

»Na, na, gnädige Frau . . . Aber bon! Sie sind also angenehm enttäuscht. Das klärt mich aber immer noch nicht über das rätselhafte Interesse für den Kanarienvogel meiner Tante auf.«

Madame bleibt stehen und sieht mich liebenswürdig näher an: »Sie sind Diplomat, Herr Graf?«

»Wenigstens gewesen, gnädige Frau.«

Unsre Blicke kreuzen sich. Zuweilen muß ich sehr stechende Augen haben können, denn Madame senkt die ihren, lacht auf; liebenswürdige Fältchen spielen um den schmalen Mund. Wir gehen weiter auf der breiten, vornehmen Straße, über deren blühenden Vorgärten und prunkenden Balkons das Millionenparfüm liegt. Endlich fängt Madame wieder an, diesmal einfach, fast herzlich: »Sie kennen eben Ihre wahren Freunde noch nicht, Herr Graf Carén . . . Passen Sie mal auf! Ich kenne Sie schon lange par renommée, Herr Graf – nicht gerade von der guten Seite. aber wie man einen Menschen kennt, dessen tolle Extravaganzen in aller Munde sind. Sonst wollen wir von Ihrer Vergangenheit lieber nicht sprechen! Man braucht nicht gerade prüde zu sein, um auch als Frau eine gewisse Aversion gegen gewisse Sachen zu empfinden. Aber dieser Graf Carén stand in dem Rufe, klug, reich zu sein und eine glänzende Carriere vor sich zu haben. – Und wenn man dem dann in der ›Krone‹ in Ragaz begegnet? Ich war doch etwas enttäuscht! – Nun, wir waren nicht lange zusammen, und ich hatte immer noch die Hoffnung, es handle sich um eine abenteuerliche Liebelei, wobei man den ›Grafen‹ besser zu Hause läßt – oder vorübergehende Schwierigkeiten. Jetzt weiß ich, daß sie nicht vorübergehend sind.«

80 Ich räusperte mich etwas scharf. Madame sah mich sehr ruhig an. »Ich bin etwas direkt?«

»Das nicht, gnädige Frau! Aber meine Tante scheint unverantwortlich geschwatzt zu haben.«

»Nehmen Sie das der alten Dame nicht so übel! Denken Sie lieber auf einen Ausweg . . . Der Kanarienvogel wird sterben, Ihre Tante wird sterben – und Sie werden wieder die Millionen besitzen.«

»Woher wissen Sie diese Reihenfolge so genau, gnädige Frau?« erwiderte ich, doch merklich kühl.

»Genau? Bah! – Aber sie wird kommen . . .«

»Nun, dann fange ich eben das alte Leben von vorn an,« antwortete ich trotzig.

»Das sollen Sie nicht!« bemerkte sie bestimmt. »Denken Sie weder an den Kanarienvogel noch an Ihre Tante – denken Sie an die Millionen und die Zukunft. Sie müssen verständig werden, Herr Graf! Dazu gehört, daß Sie sich einen ganz bestimmten Lebensplan machen . . . Heiraten werden Sie natürlich nicht! Oder doch erst dann, wenn der unverheiratete Gesandte die Verpflichtung fühlt, ein sehr großes Haus zu machen. Fürchten Sie deshalb nicht, daß die liebende Mutter aus mir spricht. Bei meiner Tochter Asta würden Sie so wie so kein Glück haben: Asta giebt Ihnen einen Korb. Und die kleine Ethel würden Sie in Grund und Boden verderben. Das würde ich wieder nie zugeben. Sie sehen, ich empfinde Ihnen gegenüber mütterlich, freundschaftlich, wenn Sie wollen. Darum habe ich Ihre Tante aufgesucht, habe gethan, als wenn ich Sie nie gesehen hätte. Und wenn Sie nicht spätestens in einem Jahre Ihrer Carriere zurückgegeben sind, genau wissen, was Sie wollen – garantiere ich für nichts.«

Das war deutlich. Aber ich bin viel zu gut 81 erzogen, um auch dreiste Einmischungen in meine Angelegenheiten nicht mit Anstand zu tragen. Außerdem bemächtigte sich Madame Le Fort der nächsten vorüberfahrenden Droschke, lud mich zu Sonntagmittag ein, und ein sehr freundliches Lächeln sollte mir jede Beschämung ersparen. Darauf bin ich noch 'ne halbe Stunde nachdenklich im Tiergarten 'rumgebummelt. Klüger bin ich nach der Unterredung auch nicht. Was interessiert die Dame an mir? Irgend etwas muß doch dabei im Spiele sein. Freundschaft? Du lieber Gott! – Ich werde doch nicht auf meine alten Tage anfangen, an die Uneigennützigkeit der Menschen zu glauben. Das ist wieder die verfluchte charakterlose Linie, die auch im Gespräche durch kein Zucken etwas verrät! Wahrscheinlich gehört sie zu den Frauen, die ihre Hand in allem haben wollen. – Mag sie!

Und das hochmütige Ding, die Asta – mich nicht nehmen wollen! Habe ich ihr vielleicht schon Avancen gemacht? – Aber gerade das reizt mich. Asta Le Fort will nicht – Louis Carén will. Wir wollen doch sehen! Und zu heiraten brauchen wir uns deswegen noch lange nicht.

Aber . . . Graf Carén will, und Graf Carén kann nicht!

*

Ich habe fünfzig Soubretten den Kopf verdreht, auch anständigen Mädchen. Es war nicht immer der Graf, der Attaché, der hübsche Kerl, der den Finish entschied – es war das undefinierbare Abc der Verführung, der eisig kalte Blick, der falsche Schimmer von Gemüt – je nach Bedarf. Ob die Zeit kurz, die Gelegenheit schwer – wir machten's. Und dabei war's frivole Laune, im seltenen Falle ein verliebtes Aufflackern. Jetzt aber, wo ich will, energisch will, mit ganz kaltem Herzen, da . . . O, 82 Madame Le Fort weiß ganz genau, warum sie zwei junge, hübsche Menschen so strafbar leichtsinnig allein läßt. Die Gelegenheit ist da, das schöne Mädchen in meine Hand gegeben. Jawohl!

Gestern war ich wieder da. An der Bellevuestraße sah ich eine Droschke vorüberflitzen: das Nilpferd und sie. Niemand bemerkte mich. Also sind nur die beiden Mädels zu Hause, kalkuliere ich. Taxameter: »Händelstraße.« Nicht einmal der Diener ist da. Fräulein Asta empfängt mich selbst. Wir beide sind ganz allein in der Etage.

Und sie führt mich nicht etwa in das kalte Rokokozimmer, sondern in ihr eignes kleines, reizendes Gemach. Das Nilpferd hat ihr's neulich eingerichtet. Ob sie's freut? Es scheint nicht. Sie kennt ja nur den Luxus. Daß es nun ein ausgesucht echter Türke ist, der den Laut ihres Fußes verschlingt, daß ein echter Eisbär sein weiches Riesenfell hat lassen müssen, um mit funkelnden Augen und dräuendem Gebiß ihre Chaiselongue zu zieren, erscheint ihr selbstverständlich. Und wie schön mag der schöne Körper sich auf dem schönen Pelze ausnehmen! Aber ihr Blick gleitet fast gelangweilt über alles, über die Amazone von Kiß, die mit geschwungenem Speer den kleinen, zierlichen Modeschreibtisch beschützt, über den Antinouskopf auf plüschverhülltem Postament. Auf dem Mitteltische liegen die bekannten Kunstwerke: Ebers' Aegypten, Scherrs Germania. Sie sind so ungebraucht, so unangenehm neu wie die kleine, goldschimmernde Bibliothek im Nußbaumschrank, in die sie vielleicht nie einen Blick thut, weil sie weiter nichts ist als Dekoration – und Asta Le Fort verachtet die Dekoration. Auch als ich sie bitte, die Herrlichkeiten näher besehen zu dürfen, alles nur, um zu schmeicheln, zu glänzen, um sagen zu können: »Solche Bronzen sah 83 ich nicht mal bei Barbedienne in Paris. Gnädiges Fräulein sind Kennerin? Ich merk's an den beiden Blumenstücken über Ihrem Sofa,« – läßt sie mich mit einem ironischen Lächeln gewähren. Nur als ich mit einem seltsam geschnitzten Elefantenzahn an der Wand liebäugle, wird sie lebhaft: »Nehmen Sie ihn ans Fenster, Herr Graf. Es ist wundervolle Arbeit, die Scheide eines Yatagans – sehen Sie?« Und sie zieht mit der schlanken, kräftigen Hand das blinkende Eisen heraus.

Ich markiere natürlich die zärtliche Besorgnis: »Um Gottes willen, gnädiges Fräulein, seien Sie nicht unvorsichtig! So ein Ding ist scharf – vielleicht vergiftet.«^

Und sie läßt als Antwort den schlanken Finger über die haarscharfe Schneide gleiten: »Ich habe keine Angst, Herr Graf. Mich verletzt's nicht. Es ist ja ein Geschenk meines Onkels. Er hat's aus Hinterindien mitgebracht, und das Schnitzwerk, eine Löwenjagd mit Hunderten merkwürdiger Figuren, soll außerordentlich wertvoll sein. Aber wenn's eine Million wert ist, so gilt's mir zwei, weil's von meinem Onkel ist.«

Wieder dieser Onkel, der das Lächeln auf die schönen roten Lippen zaubert. Vielleicht beneide ich im Augenblick diesen Onkel um diese Macht zu zaubern. Wenn du so lächeln kannst, schöne Asta, als Botschafterin bei der Cour, beim Knicks vor den königlichen Herrschaften, so müßtest du meinen diplomatischen Erfolgen sehr bekömmlich sein. Und als ob sie irgend etwas von meinem Gedankengang erriete, wiegelt sie gleich ab: »Möchten Sie meinen Onkel kennen lernen? – Wünschen Sie's lieber nicht! Er würde gar nicht zu Ihnen passen; er ist so ganz anders wie andre Menschen.«

»Ist er Ihnen ähnlich, gnädiges Fräulein?«

84 »Man sagt.« Darauf stößt sie den Yatagan hart in die Scheide – knacks.

Ich lächle. »Sie werden sich doch noch schneiden!«

»Und wenn ich mich schneide! Meinen Sie, Herr Graf, daß ich kein Blut sehen kann? Ich kann sehr gut Blut sehen . . .«

Solcher Art sind nun unsre Unterhaltungen. Ich habe nie den richtigen Anschluß, weder in Schwer noch in Leicht. Auf eine elegante Phrase giebt sie nichts, und wenn ich von der Gemütsseite komme, sieht sie mich kühl an. Ihrer Ansicht nach habe ich kein Gefühl, nur Berechnung. Sie glaubt mich zu durchschauen und sagt sich angesichts des ruinierten Attachés, der geisteslahm sich in ihrem weichen Fauteuil lümmelt: »Sie wollen meine Millionen, Herr Graf – ich will Sie aber nicht.« Vielleicht ist das von mir nur übermäßiges Mißtrauen, vielleicht ist sie so herzenskalt wie meine Tante, oder hat nur die perverse Nervenzuckung für geschundene Ziehhunde.

Aber was du auch denken magst, grünäugige Statue, du denkst immer falsch. Die Millionen locken mich nicht – der königliche Nacken noch weniger. Und wenn ich dich haben will, so ist's ein Spiel der Eitelkeit, dessenungeachtet ein scharfes Spiel. Ich möchte dich in Grund und Boden verderben, dich elend, unglücklich machen aus Liebe zu mir. Und dann möchte ich sagen, schadenfroh, gemein: »Also so weit wären wir, gnädiges Fräulein! Das ist schlimm für Sie, denn ich habe bei Ihnen niemals weder an die Liebe noch an die Ehe gedacht.«

Es ist ein häßlicher Wunsch – ich habe ihn noch nie einem Weibe gegenüber gefühlt. Und wenn ich's erreichte? Wer weiß, ob ich glücklich wäre. Ich kenne mich selbst noch nicht: das wird mir täglich klarer. Vielleicht bin ich gar nicht hohl, so 85 wenig wie sie. Vielleicht sind's nur die Verhältnisse, die mich nicht ausreifen ließen, vielleicht steckt in dem Modenarren, dem Verschwender nach ein ganz andrer Kerl. Vielleicht liegt der gefesselt, stumm im ewig finsteren Verließ seit meiner Geburt – und eines Tages dringt zu ihm doch das Licht. Er reckt sich, sprengt die Fesseln, und ich – bin ich! Thörichter Traum!

Die Wirklichkeit ist, daß ich Asta Le Fort gegenübersitze und meinen schmalen Fuß im Lackschuh bewundere. Zu einer Konversation langt's nicht. Das ist der beginnende Marasmus, das eintrocknende Gehirn eines jungen Greises, der so ziemlich alles gekostet und alles fade gefunden hat. Junger Greis . . . halt! Da stellt sich ja der Kontakt meiner Gehirnnerven von selbst wieder her. – Graf Serner? Natürlich!

»Haben gnädiges Fräulein gar keine Bekannten in Berlin?«

Asta Le Fort, die weder stickt noch Zigaretten raucht und eine Stunde lang bewegungslos auf den grünen Tiergarten starren kann, fragt höflich: »Wie meinen Sie?«

»Ob Sie Bekannte haben, gnädiges Fräulein? Sie wohnten doch lange im ›Bristol‹. Ein Graf Serner erzählte mir von Ihnen.«

»Serner? . . . Serner?« – Sind wir eine so große Komödiantin wie die Mutter, oder müssen wir uns wirklich das Gehirn zermartern, ehe wir uns des Grafen Serner erinnern? – Endlich! Jetzt dämmert's. Eine leichte Röte flammt über den klaren, gesunden Teint: »Er hat mich, wie sie hierzulande sagen, sogar ›ausgezeichnet‹. Mama findet ihn nett – ich finde ihn gar nicht.«

Also sehr groß sind deine Chancen auch nicht, Karlchen. Wenn sich Serner an derselben Quelle 86 über mich orientieren würde? Ich höre Fräulein Asta beinahe: ».Graf Carén zeichnet mich aus – die Mutter findet ihn nett – ich finde ihn gar nicht.« Es wäre ganz wunderbar, wenn sie etwas andres sagen würde, aber der Gedanke ärgert mich doch. Graf Serner – Graf Carén – der eine etwas dummer, der andre etwas leichtsinniger; beide im Grunde dasselbe Kaliber. Ich war auf dem Punkte, eine unmotivierte Ungezogenheit zu sagen. Da klingelt's. »Es wird Ethel sein. Sie verzeihen, nur einen Augenblick, Herr Graf.«

Gott sei Dank, nun kommt doch wieder Sonne in das Zimmer. Ich bin nicht mehr maulfaul, ich bin angenehm angeregt. Ethel hat einen Bummel im Tiergarten gemacht, ein Abenteuer erlebt. »Denken Sie, Herr Graf, wie ich an dem Goldfischteich stehe und mir die blanke Gesellschaft ansehe, kommt ein alter Herr auf mich zu und sagt leise: ›So allein, schönes Kind? Wir wollen eine Stunde spazieren fahren und dann im Ausstellungspark essen.‹«

Die grünen Augen flackern auf: »Ethel – was redest du für Unsinn.«

Darauf verzieht sich der reizende Mund: »Warum nicht? Er wird mich für eine Konfektioneuse ohne Stellung gehalten haben und wollte mir ein Vergnügen machen. Du denkst auch gleich alles mögliche, Asta. Ich habe ihm ins Gesicht gelacht. Da zog er den Hut und sagte: ›Verzeihung, gnädiges Fräulein, ich habe mich geirrt.‹ Es war ein so uralter, steifbeiniger Herr mit einer braunen Perücke und gelben Lackstiefeln – und alte Leute sollten keine gelben Lackstiefeln tragen!«

Und Asta bemerkt bestimmt: »Es war frech! Mama sollte dich nie mehr allein spazieren gehen lassen.«

Wie verschieden doch die beiden Schwestern sind, 87 auch im Dialekt. Bei der Kornblumenfee der Anklang an alle möglichen Mundarten, die Erinnerung an die fünf oder sechs deutschen Hauptstädte, in denen die Familie gelebt. Sie hat von allem etwas mitbekommen, und das steht ihr reizend. Das kann man der Grünäugigen nicht nachsagen. Das ist korrektes, fast hartes Deutsch, nicht der Schatten eines Dialektes. Sie war immer der Diamant, an dem sich andre Kiesel schliffen.

Und dann kommt die blonde Ethel mit der Hauptneuigkeit. »Raten Sie mal, Herr Graf, wen ich gesehen habe?« Sie sieht mich schelmisch an, und die blauen Augen leuchten. Ich rate auf den Kaiser, einen exotischen Bonzen, der zurzeit in Berlin ist – auf den Grafen Serner, zuletzt auf meine Tante. Selbstverständlich immer das Geistreichste! Aber sie, mitleidig, erbarmt sich meiner Schwäche. »Falsch, falsch, wieder falsch – ganz falsch! Den Leutnant habe ich gesehen, den Herrn von Jaromir, bei der Siegesallee; er fuhr die Charlottenburger Chaussee in der Pferdebahn herauf. Er sah mich nicht. Ich wollte ihm schon mit dem Sonnenschirm winken. Aber das wäre doch etwas dreist gewesen. Ich ging nur schneller und rief auch: ›Herr von Jaromir!‹ Er hörte mich nicht. – Er sah lange nicht mehr so elegant aus wie in Ragaz. Sehen Sie ihn noch manchmal, Herr Graf? . . . Sie schämen sich seiner wohl etwas? Das wäre aber gar nicht nett! Sie gehören auch nicht zu einander. Glauben Sie, daß er auch immer zehn Mark Trinkgeld giebt, wie ein gewisser Jemand? Ich glaube, höchstens eine Mark oder fünfzig Pfennig . . .«

Darauf natürlich die Gouvernante: »Ethel, dir muß noch der Mund verboten werden. Was soll der Graf denken? Du bist ein solches Kind!«

88 Ich verteidige, wie sich's gehört, die Kornblume: »Aber, gnädiges Fräulein, lassen Sie doch! Ich bin als Verschwender erkannt, ich werde mich bessern.«

Asta zuckt die Achseln: »Ich glaube, das beabsichtigt Ethel gar nicht.«

Die Kleine lacht: »Nun sag' ich's gerade! Asta ist empört über die zehn Mark und mich. Und ich frage immer nach den Gesellschaften den Diener, wieviel er von jedem Trinkgeld bekommen hat. Da erlebt man so komische Sachen. Die viel haben, geben wenig oder sehr viel, wie Sie, Herr Graf – und die wenig haben, geben immer zu viel. Ein alter Justizrat in Dresden, der Junggeselle ist und viele Millionen besitzt, hat nach einem großen Diner zwei Pfennig und nach einem Ball sogar einen Knopf gegeben.«

Sie ist wirklich naiv; aber diese Jugend, diese Frische ist reizend an ihr. Asta fragt den Diener sicher nicht. Die Angelegenheit mit dem Kleinen beunruhigt mich. Ich versuche, sie irrezuführen: »Er ist gewiß nicht in Berlin, gnädiges Fräulein – Sie haben sich versehen.«

»Versehen? Ich?« – Die Kleine ist ihrer Sache sehr sicher. »Und wenn Sie ihn treffen, Herr Graf, grüßen Sie ihn. Er soll uns besuchen und sich um keine kalten Gesichter kümmern.«

»Grüßen Sie ihn auch von mir.« Es ist fabelhaft, daß die Grünäugige so menschliche Anwandlungen hat.

Zuletzt spielt Ethel, die mir wohl etwas mißtraut, den letzten Trumpf aus. »Wenn Sie's nicht thun, bringe ich ein Inserat im Lokalanzeiger:

»›Derjenige schwarze Herr, der vom 15. bis 17. April in Ragaz (Hotel Krone) wohnte und mit einer blonden jungen Ausländerin am Rheindamm 89 bekannt wurde, wird gebeten, seine Adresse unter »Ethel« hauptpostlagernd anzugeben.‹

Und das inseriere ich so lange, bis er's gelesen hat.«

Wir lachen alle, Asta auch. Und lieb müssen sich doch die Schwestern haben, denn die ältere küßt die jüngere und sagt: »Du gute kleine Ethel.« – Der herbe Mund kann so anmutig küssen. Dennoch . . .

Ich werde Jaromir nichts mitteilen. Das Inserat wird ja auch nie verbrochen werden. Das hieße zwei junge, im Grunde unschuldige Menschen auf einen Turm mit wundervoller Aussicht führen und sie dann 'runterstürzen – den Leutnant wenigstens. Vielleicht ist's auch etwas Eifersucht bei mir.

Ein Sonnenstrahl fliegt durchs Zimmer, gleitet über das silberige Bärenfell, die dunkeln Nußbaummöbel, die Fruchtstücke über dem Sofa, so daß die rotbäckigen Aepfel glänzen – bis zu dem Elefantenzahn an der Wand, dessen winzige Figürchen durcheinander zu wimmeln scheinen wie weiße Ameisen. Auch über Asta Le Forts schwarzes, raffiniert einfaches Kostüm gleitet er, aber ohne Freudigkeit. Als wenn er sagen wollte: »Da habe ich nichts zu suchen.« Doch in das Goldhaar der Kleinen wühlt er sich ordentlich ein. Es ist ein wollüstiges Glänzen. Ich verstehe den Sonnenstrahl. Ich hätte Lust, meine Taktik zu ändern, mich in diese wonnige Jugend zu verlieben. Ihr kann ich das Köpfchen verdrehen: das weiß ich. Ich kann mir ganz gut denken, daß wir in diesem eleganten Zimmer stundenlang geschwatzt, gelacht haben, und daß ich plötzlich lautlos aufstehe, die Kleine um die schlanke Taille fasse, sie küsse auf das wirre Goldhaar, auf die rosigen Ohren, auf den Schönheitsfleck – und ganz zuletzt auf die unschuldigen Lippen. Sie wird ganz stille sitzen, nur 90 lächeln wie verzaubert – und dann wieder küssen, ganz weich, ganz süß. Den Leutnant fürchte ich nicht – er wäre so schnell vergessen!

Und wäre ich dann glücklich? Wenn ich früher, sehr viel früher vom Glück geträumt habe, da war's immer blond und jung und lachte aus lichten blauen Augen. Das Glück sieht genau so aus wie Ethel Le Fort. Dennoch – es ist nicht mein Glück.

Auch die grünäugige Asta ist mein Glück nicht; kann es nicht sein! Immer würde sich der Sklave gegen diesen königlichen Nacken empören, das Rätsel der Augen fürchten. Das Weib, das ihr Schicksal an das meine kettet – dem will ich Herr sein und nicht Knecht . . . Ja, so ist das Leben. Da sitzt neben mir das blonde Glück, da sind die Millionen, ich brauche mich nicht zu verkaufen und sie sich auch nicht. Aber der Schatten von Tragik, der auf dem schönen Gesichte der grünäugigen Asta liegt, reicht bis zu mir. Ich mag das Glück nicht mehr, dieses Weib reizt mich; der Mann, der brutale Mann wird in mir lebendig. Ich liebe Asta Le Fort nicht, werde sie nie lieben, aber ich will sie unterkriegen und dann – var victis! 91

 


 


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