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Fortsetzung 108

»Sie scheint Ihnen nicht so unbekannt zu sein, wie Sie sich stellen, Herr Untersberg!«

»Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«

»In Folge meiner Beobachtung. Habe ich nicht Recht?«

»Nein.«

»So habe ich mich also getäuscht.«

»Nun, wollen Sie den Kopf versuchen?«

»Danke! Ich habe Sie bereits zu lange belästigt.«

»O, das war keine Belästigung.«

»O, doch. Ich habe heute mit Ihnen über Dinge gesprochen, wegen denen Sie mich früher mit dem Hunde fortgehetzt hätten. Ich darf Ihre große Güte nicht mißbrauchen.«

»Das Gespräch war mir interessant.«

»Aber früher durfte ich Manches nicht erwähnen, was ich heute erwähnt habe!«

»Das liegt in der Stimmung des Augenblickes. Ich bitte Sie wirklich, den Kopf zu versuchen!«

»Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte.«

»Warum nicht?«

»Wenn mir dieser Kopf gelingen soll, so muß ich ihn mit Buntstift zeichnen. Haben Sie vielleicht solche Stifte hier?«

»Nein.«

»So sehen Sie, daß es nicht geht.«

»Es geht, es geht! Ich lasse welche holen. Welche Farben brauchen Sie?«

Er war ganz geschäftig und beweglich geworden. Schneffke wehrte ab und sagte:

»Holen lassen? Ich danke. Ein guter Zeichner besorgt sich seine Stifte stets selbst.«

»Ist dies denn so unbedingt nöthig?«

»Unbedingt zwar nicht; aber es hat ein Jeder seine Eigenthümlichkeiten. Ich arbeite mit keinem Stifte, den ich mir nicht selbst ausgewählt habe.«

»Nun, so gehen Sie doch, um welche zu holen!«

»Ich begreife Sie nicht, Herr Untersberg. Sie thun ja, als ob Leben und Tod von dieser Zeichnung abhänge.«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mich für diese Mädchens interessire, und ich bin gerade ebenso ein Sonderling wie Sie. Ich verlange es als einen Freundschaftsbeweis, daß Sie die Stifte holen!«

»O wehe! Da fassen Sie mich ja förmlich bei der Ambition an!«

»Ich hoffe, daß es nicht ohne Erfolg geschieht!«

»Nun gut, ich will Ihnen den Willen thun; aber einen Zweck kann ich dabei nicht erkennen!«

»Das kann Ihnen ganz gleichgiltig sein.«

Er ließ den Maler hinaus und verschloß sodann die Thür wieder. Als er allein war, veränderte sich sein Gesicht. Er nahm den Kopf, welchen Schneffke gezeichnet hatte, und betrachtete ihn mit Augen, aus denen ein teuflischer Haß leuchtete.

»Dich habe ich elend gemacht, und Deine Brut soll noch elender werden. Aber ihn muß ich wieder haben, ihn, meinen Sohn. Wenn dieser Maler wirklich seine Züge trifft, so muß meine Annonce den Verlorenen finden.«

Er stieß ein heiseres Lachen aus. Es klang wie das Gelächter eines Wahnsinnigen. Und wahnsinnig war er auch, dieser alte Mann. In seinem Verhalten hatte keine Consequenz gelegen.

Schneffke hatte in Malineau das Bild des Baron Guston gesehen. Er wußte, daß er dasselbe recht gut mit gewöhnlichem Bleistift wiedergeben könne; aber er hatte während seiner Unterredung mit dem Alten den Entschluß gefaßt, seinen Sohn, Deep-hill, herbei zu holen. Es galt also, nach einem Vorwande, sich zu entfernen, zu suchen, und da war er auf die Idee gekommen, farbige Stifte für nothwendig zu erklären.

Als er jetzt langsam die Treppe hinabstieg, schüttelte er den Kopf und murmelte vor sich hin:

»Daß der Alte einen kleinen Knopf im Gehirne habe, das dachte ich immer; daß dies aber ein gar so großer sei, das ist mir doch nicht beigekommen. Ich denke, wenn ich ihm seinen Sohn bringe, so schnappt er entweder vollends über, oder er geht in sich und wird ein anderer Kerl. Beides kann nichts schaden. Aber Deep-hill wird sich wundern, wohin ich ihn führe. Er hat ja gar keine Ahnung, daß er seinen alten Isegrimm heute noch sehen wird.«

Er fand Deep-hill in dem Hotel, in welchem derselbe Quartier genommen hatte. Zwar hatte Madelon ihren Vater gebeten, die ihm von der Gräfin von Hohenthal angebotene Gastfreundschaft anzunehmen; er aber hatte abgelehnt, um einerseits Niemandem beschwerlich zu fallen, und andererseits für seine Angelegenheiten freie Hand zu haben.

Nanon wohnte natürlich bei ihm. Madelon hatte es aber nicht übers Herz gebracht, ihre gütige Herrin so schnell zu verlassen. Sie war von der Gräfin nie wie eine untergeordnete Person behandelt worden. Jetzt war die Herrin ganz entzückt, zu erfahren, daß ihre Gesellschafterin eigentlich die Tochter eines französischen Barons sei, und freute sich herzlich, als sie hörte, daß Madelon noch bei ihr bleiben wolle, bis in ihre Familienverhältnisse die gewünschte Klarheit gekommen sei. Es erfüllte sie das mit der Genugthuung, nicht nur die Achtung, sondern auch die Liebe ihrer Gesellschafterin errungen zu haben.

Also Deep-hill hatte Madelon zu der Gräfin von Hohenthal gebracht, und war dann in das Hotel zu Nanon zurückgekehrt. Diese befand sich beim Auspacken ihrer Sachen. Im Koffer befand sich auch das Bild des Vaters, welches der dicke Maler bei dem Beschließer Melac auf Schloß Malineau entdeckt hatte. Sie nahm es heraus und sagte:

»Da ist Dein Portrait, lieber Vater. Wie schön wäre es, wenn wir auch ein solches von der Mutter besäßen.«

»Ja, wie schön!« antwortete er. »Zwar kann ich mich aller ihrer Züge noch sehr gut erinnern, aber ich freute mich doch, wenn ich dieselben nicht nur mit dem geistigen Auge zu erblicken brauchte. Und Du und Madelon, Ihr könnt Euch ja doch unmöglich an die Mutter erinnern.«

»Hat es kein Portrait von ihr gegeben?«

»O doch! Und zwar ein sehr gutes und kostbares. Es war von einem Meister hergestellt worden.«

»Wo mag es hingekommen sein?«

»Sie hat es leider –«

Er hielt inne. Seine Züge verfinsterten sich.

»Sprich weiter, lieber Vater!«

Er schüttelte den Kopf und antwortete in traurigem Tone:

»Es würde Dich schmerzen, liebes Kind.«

»Und dennoch bitte ich Dich, es mir nicht zu verschweigen. Es ist ja besser, wir sind aufrichtig gegen einander.«

»Meine Mittheilung würde das Andenken trüben, welches Ihr der Mutter bewahrt habt.«

»O, ich kann nicht glauben, daß es etwas gebe, was dem Andenken der Mama schaden könne.«

»O doch; es giebt etwas! »Und ich soll es nicht erfahren?«

»Es ist besser, daß ich schweige.«

Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht. Dann glitt ein Zug der Entschlossenheit über das ihrige. Sie sagte:

»Aber, lieber Vater, ich kann von Dir fordern, daß Du mir diese Mittheilung nicht vorenthältst.«

»Wieso?«

»Wenn es in der Vergangenheit etwas giebt, was im Stande ist, das Andenken meiner armen Mutter zu trüben, so ist es meine Pflicht, es zu erfahren. Du wirfst auf sie irgend eine mir unbekannte Schuld; ich aber glaube nicht an diese Schuld, und so ist es meine heilige Pflicht, die Mutter zu vertheidigen und sie von dem Flecken zu reinigen.«

»Mein Kind, das wird Dir leider nicht gelingen.«

»O doch!« behauptete sie im Tone festester Ueberzeugung. »Theile mir nur mit, welche Schuld auf ihr lasten soll.«

Er wendete sich ab und antwortete:

»Die der Untreue!«

»Das ist nicht wahr!«

Sie hatte diese Worte laut ausgerufen. Sie war dabei zu dem Vater hingetreten und hatte seinen Arm ergriffen. Sie blickte mit fast zornigem Vorwurfe zu ihm auf.

»Leider ist es wahr!« entgegnete er.

»Verleumdung, tückische Verleumdung!«

»Nein, Wahrheit, unumstößliche Wahrheit!«

»Beweise es!«

»O, dieser Beweis ist ein sehr unerquicklicher. Nennst Du es Treue, wenn ein Weib ihren Mann verläßt, um mit einem Anderen davonzugehen?«

»Das hätte sie gethan?«

»Ja.«

»O, das ist eine große, eine ungeheure Lüge, eine Niederträchtigkeit, welche ihres Gleichen sucht!«

»Du irrst Dich! Ich war verreist. Als ich zurückkehrte, war sie fort. Und mit ihr war Alles, Alles fort, was mich an die Tage des Glückes erinnerte, auch ihr Bild. Sie hatte es mitgenommen.«

»Ich glaube es nicht! Wer war der Mann, mit dem sie sich entfernt haben sollte?«

»Was nützt es Dir, seinen Namen zu wissen!«

»Er müßte doch bei ihr gewesen sein!«

»Allerdings.«

»Man hat aber nie gehört, daß sich außer uns beiden Kindern eine dritte Person bei ihr befunden habe. Sie ist mit uns Beiden nach Malineau gekommen, ganz allein mit uns!«

»Aber zwischen ihrer Flucht und der Ankunft auf Malineau liegt eine Zeit, in welcher –«

»Weiter, weiter!« sagte sie, als er zögerte, fortzufahren.

»Lassen wir diese Zeit im Dunkel liegen!

»Kennst Du den Tag ihrer Flucht?«

»Nein.«

»Und den Tag ihrer Ankunft auf Malineau?«

»Natürlich auch nicht.«

»Und dennoch nimmst Du an, daß zwischen diesen beiden Tagen eine Zeit verbrecherischen Umganges gelegen habe!«

»Muß ich nicht?«

»Nein. Ich bin überzeugt, daß sie sofort mit uns nach Malineau gegangen sei.«

»Warum aber, warum, warum? Hat sie den Verführer nicht mit nach Malineau gebracht, so ist dies nur ein Zeichen, daß er sie unterdessen verlassen habe.«

»Kannst Du denn wirklich beweisen, daß sie der Stimme eines Verführers gefolgt sei?«

»Ja.«

»Womit?«

»Mit den Aussagen meines Vaters.«

»Gut! Bringe Deinen Vater! Ich werde ihm in das Angesicht sagen, daß er gelogen hat, wenn er nicht von Anderen getäuscht worden sei! Nimmt ein ungetreues Weib ihre Kinder mit, wenn sie ihren Mann verläßt, um sich an einen Verführer zu hängen?«

»Sie liebte Euch trotz ihrer Untreue gegen mich.«

»Nimmt eine solche Frau das Portrait ihres Mannes mit, den sie in böswilliger Weise verläßt?«

»Hm! Zum Andenken! Warum nicht! Sie ist ihm doch auch einmal gut gewesen!«

Er sagte das im Tone der Ironie. Nanon aber entgegnete:

»Nein. Ich kann mir nicht denken, daß eine flüchtige Frau sich mit solchen Andenken schleppt.«

»Sie hat übrigens das Bild von sich gegeben.«

»Kurz vor ihrem Tode!«

»Mein Kind, streiten wir uns nicht! Deine Mutter hat mich verlassen. Diese Thatsache ist nicht hinweg zu disputiren. Ich habe nach ihr gesucht, lange Jahre hindurch. Sie hat sich nicht finden lassen. Das beweist und vergrößert ihre Schuld. Daran ist gar nicht herum zu deuteln. Sie war eine Verbrecherin, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen Euch.«

»Wieso?«

»Indem sie Euch mit sich nahm. Sie machte Euch zu armen Waisenkindern, Euch, die Baronessen von Bas-Montagne, die bei dem Vater eine ihres Standes würdige Erziehung erhalten hätten.«

»O, Papa, sie hat trotz ihres frühen Todes dafür gesorgt, daß wir nicht verwahrlost wurden.«

»Aber um Eure Jugend hat sie Euch betrogen. Nur einem Zufalle habe ich es zu verdanken, daß ich meine Kinder fand. Und nur demselben Zufalle habt Ihr es zuzuschreiben, daß Ihr nicht gezwungen seid, als arme Gesellschafterinnen dem Glücke des Lebens zu entsagen.«

Sie lächelte leise vor sich hin und antwortete:

»Was das betrifft, Papa, so glaube ich nicht, daß ich zur Entsagung gezwungen gewesen wäre.«

»Pah! Was hättest Du als Gesellschafterin von der Zukunft, von dem Leben überhaupt zu erwarten!«

»Viel, sehr viel!« sagte sie im Tone der Ueberzeugung.

»Willst Du mir nicht sagen, was Du unter diesem ›Sehr viel‹ eigentlich verstehst?«

Sie erröthete. Auch sein bisher so ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und er sagte:

»Denkst Du vielleicht, ich errathe es nicht?«

»Was?«

»Du hättest die Chance gehabt, eine Kräuterfrau zu werden.«

»O! Nur eine Kräuterfrau?«

»Nun, dann meinetwegen eine Frau Ulanenwachtmeisterin.«

»Vielleicht noch viel, viel mehr. Dieser gute Wachtmeister ist der Sohn vornehmer Eltern.«

»Beweise es erst!«

»Ich hoffe, daß dieser Beweis erbracht werde.«

»Was hätte es Dir genützt? Ist er der Sohn eines adeligen Geschlechtes, so hätte die arme Gesellschafterin ihm sicher entsagen müssen.«

»Da hast Du Recht, lieber Vater. Gott aber hat dies in seiner Güte und Liebe nicht gewollt, und ich bin –«

Da klopfte es. Schneffke trat ein. Er sah es den Beiden an, daß sie in einer Unterredung begriffen waren, zu welcher ein Dritter wohl nicht gehörte; darum sagte er:

»Ich störe? Entschuldigung, meine Herrschaften!«

»Sie stören nicht, mein bester Herr Schneffke!« antwortete der Baron, indem er ihm die Hand reichte.

»O doch!«

»Nein. Sie unterbrechen im Gegentheile ein Gespräch, welches für uns Beide sehr unerquicklich war.«

»Dann hoffe ich, daß Sie mir verzeihen. Ah, das Bild! Ich errathe den Gegenstand Ihres Gespräches.«

»Wirklich?«

»Ja. Sie sprachen von Der, welche dieses Bild besessen hat.«

»Sie errathen das Richtige.«

»Von ihrer vermeintlichen Schuld – –«

»Vermeintlich?«

»Ja. Ich halte die arme, gute becque-fleur nicht für schuldig, Herr Baron.«

»Ah, wenn Sie Gründe bringen könnten!«

Nanon ergriff den Dicken beim Arme und sagte:

»Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit, der Mama beizustehen. Vater ist von ihrer Schuld überzeugt. Er bemerkte es als ein Zeichen derselben, daß sie ihr Bild mitgenommen hat, welches ihn an sie erinnern konnte.«

Schneffke machte ein erstauntes Gesicht und fragte:

»Ist denn ein Bild von ihr dagewesen?«

»Ja.«

»Hm!«

»Sogar ein sehr gutes Portrait, ein Portrait von der Hand eines berühmten Meisters.«

»Welche Schlechtigkeit!«

»Was?«

»Daß sie es mitgenommen hat!«

»So sagen Sie, Herr Schneffke?«

»Ja, natürlich!«

»Ich denke, Sie wollen mir helfen, Mama zu vertheidigen!«

»Das wird uns schwer werden, wenn sie sogar dieses Portrait mitgenommen hat. Wissen Sie dies so genau?«

Diese Frage war an den Baron gerichtet.

»Ja,« antwortete dieser.

»Woher denn eigentlich?«

»Nun, es war ja weg!«

»Ach so! Weg war es! Und da ist natürlich sie es gewesen, welche es mitgenommen hat?«

»Wer sonst?«

»Na, natürlich ist sie es gewesen! Aber wo mag es doch nur hingekommen sein!«

»Das habe ich mich auch gefragt.«

»Es müßte sich doch in ihrem Besitze, in ihrem Nachlasse befunden haben. Nicht?«

»Allerdings.«

»Da ist es aber nicht dabei gewesen, folglich – –?«

»Was, folglich?«

»Folglich hat sie es gar nicht gehabt!«

»O, es ist auf diese oder jene Weise ihr abhanden gekommen.«

»Zweifle sehr. Ein Meisterwerk kommt nicht abhanden.«

»Aber es ist mit ihr verschwunden gewesen!«

»Mit ihr? Wirklich?«

»Ja.«

»Vielleicht zu derselben Zeit, ob aber wirklich mit ihr!«

»Was wollen Sie sagen?«

»Daß ich so eine leise, leise Ahnung habe, das Bild sei von einem Anderen entfernt worden.«

»Sie täuschen sich!«

»Hm! Ich bleibe bei meiner Ahnung!«

»Wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, das Bild verschwinden zu lassen!«

»Vielleicht Ihr Vater?«

»Er? Ah! Dieser Gedanke deutet allerdings auf etwas hin, was nicht ganz unmöglich ist. Hat Ihre Ahnung vielleicht einen triftigen, nachweisbaren Grund?«

»Ja, freilich.«

»Welchen?«

»Ich kann nicht behaupten, daß dieser Grund stichhaltig sei; aber er ist doch geeignet, gewisse Vermuthungen zu erregen. Ich sah nämlich vor einiger Zeit das Portrait einer Dame, welches eine frappante Aehnlichkeit mit den Mademoiselle Nanon und Madelon hatte.«

»Jedenfalls der reine Zufall.«

»O, es war von Meisterhand!«

»War der Maler bezeichnet?«

»Nein. Das Portrait besaß weder Namen, Facsimile oder Zeichen des Künstlers.«

»Hm! Das war bei demjenigen, von welchem wir sprechen, auch der Fall. Können Sie sich auf die Einzelnheiten des Portraits besinnen?«

»Sehr gut.«

»War die Dame dunkel?«

»Nein, blond, herrlich goldblond.«

»Was trug sie für ein Kleid?«

»Rosa Seide mit goldig schimmerndem Federbesatz. Die Seide war meisterhaft getroffen.«

»Mein Gott! So trug sich allerdings Amély, als sie dem Künstler zum Gemälde saß! Besinnen Sie sich vielleicht auf den Goldschmuck, den sie trug?«

»Goldschmuck gab es nicht.«

»Was sonst?«

»Das Portrait zeigte als einzigen Schmuck eine weiße Rose in der Hand und einen Kolibri im lockigen Haar.«

Da erfaßte der Baron den Dicken bei beiden Armen, zog ihn so, daß der Schein des Lichtes in sein roth glänzendes Gesicht fiel und rief:

»Mann, phantasiren Sie, oder ist's Wirklichkeit?«

»Wirklichkeit! Das ist so wahr wie Pudding!«

»Wann haben Sie dieses Gemälde gesehen?«

»Vor ganz kurzer Zeit; es ist kaum zehn Tage her.«

»In Malineau?

»Nein.«

»Wo denn?«

»Hier in Berlin.«

»Unmöglich!«

»Hm! Kann man etwas Unmögliches sehen?«

»Herr Schneffke, Sie versetzen mich in Aufregung. Das Gemälde, welches Sie beschreiben, scheint dasjenige meiner Frau zu sein. Wie kann dies nach Berlin kommen?«

»Durch Ihren Vater.«

»Ah. Haben Sie Veranlassung zu dieser Behauptung?«

»Ja.«

»Welche? Schnell, schnell!«

»Nun, ich habe mir einmal vorgenommen, die Ehre Ihres lieben Kolibri zu retten, und so will ich es auch thun. Ihr Vater hat sehr schlecht an Ihnen und Ihrer Frau gehandelt.«

»Beweisen Sie es!«

»Er hat einfach die Erzählung von ihrer Untreue erfunden.«

»Beweise, Beweise!«

»Sie ist mit keinem Andern durchgegangen.«

»Dann hätte er gelogen?«

»Ja. Sie hat auch ihr Portrait nicht mitgenommen.«

»Es war doch verschwunden!«

»Ihr Vater hat es versteckt.«

»Das wäre allerdings eine Schlechtigkeit, die ich ihm nie verzeihen könnte. Warum aber ist sie fortgegangen?«

»Er hat sie gezwungen.«

»Womit? Etwa durch Drohungen?«

»Vielleicht. Dann aber auch dadurch, daß er an ihr gutes Herz appellirte. Er hat ihr vorgestellt, daß sein Stammbaum durch die Mißheirath befleckt sei. Er hat ihr zu beweisen gesucht, daß sie durch diese Mesalliance und durch die von ihr eingegangene Mischehe Ihnen nicht nur einen unauslöschlichen Makel gebracht, sondern auch alle ihre Ansprüche an das Leben, an die Zukunft vernichtet habe. Er hat ihr keine Ruhe gelassen; er ist in sie eingedrungen auf alle mögliche Weise; er hat sie gequält, ihr wohl gefälschte Briefe, scheinbar von Ihrer Hand, gezeigt; er hat kein Mittel unversucht gelassen, sie zu überzeugen, daß sie Ihr Lebensglück vernichtet. Er hat nicht geruht und gerastet, bis sie im Widerstand ermüdete und er seinen Zweck erreicht sah.«

»Donnerwetter! Wenn dies wahr wäre!«

»Es ist wahr!«

»Haben Sie etwa sichere Unterlagen für diese Behauptung?«

»Ja.«

»Aber sie hätte mir doch eine Nachricht hinterlassen sollen, ja hinterlassen müssen, eine Zeile, eine einzige Zeile!«

»Das hat sie auch gethan.«

»Ich habe nichts erhalten.«

»Er hat ihren Brief unterschlagen.«

»Wissen Sie das?«

»Sehr genau!«

»Herr Gott! Woher wissen Sie es?«

»Durch einen Zufall. Der Brief, welchen sie damals an Sie geschrieben hat, existirt noch.«

»Wo? Wo?«

»Hier in Berlin. Bei demselben Manne, welcher auch ihr Bild noch besitzt.«

»So hat er Beides, Bild und Brief von meinem Vater?«

»Hm! Jedenfalls.«

»Ach! Dann kann ich bei ihm wohl auch eine Spur meines Vaters entdecken!«

»Das glaube ich gern.«

»Wer ist dieser Mann?«

»Ein alter Sonderling, welcher keinen Menschen zu sich läßt. Ich bin der Einzige, mit dem er verkehrt. Er ist ein Bilderfex. Er läßt sich aber nichts Anderes malen als Kolibris und immer wieder Kolibris.«

»Das ist höchst sonderbar!«

»Freilich. Bitte, Herr Baron, haben Sie wohl früher irgend ein Zeichen geistiger Störung an Ihrem Vater bemerkt?«

Der Baron machte eine Bewegung der Ueberraschung und erkundigte sich:

»Wie kommen Sie zu dieser Frage? Was wollen Sie damit sagen? Etwa – daß dieser Bilderfex – –?«

»Bitte, antworten Sie mir!«

»Nun, mein Vater war bigott und außerdem sehr zur Menschenfeindlichkeit geneigt. Er that allerdings zuweilen etwas, von dem man nicht sagen konnte, daß es leicht begreiflich sei. Es kam Vieles vor, was Andern unmotivirt erscheinen mußte. Und später, nach meiner Rückkehr von jener langen Reise und nach dem Verschwinden meiner Frau, zeigte er eine körperliche und geistige Ruhelosigkeit, welche mich für ihn besorgt machte.«

»Und noch später – –?«

»Das weiß ich nicht. Ich suchte meine Frau. Als ich nach längerer Abwesenheit einmal wiederkehrte, hatte er Alles verkauft und war spurlos verschwunden.«

»Ohne Ihnen eine Nachricht zurückzulassen?«

»Ohne eine Zeile, ohne ein Wort!«

»Das dachte ich mir. Nun, Sie haben Recht. Wir werden bei unserm alten Bildermanne jedenfalls eine Spur Ihres verschwundenen Vaters finden.«

»Wäre das der Fall, so wollte ich es Ihnen reichlich lohnen, Herr Schneffke.«

»Na, schön! Ich bin meiner Belohnung gewiß!«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Wo wohnt dieser Mann?«

»Gar nicht weit von hier. Man kann in zwei Minuten von hier aus bei ihm sein.«

»Ah! Wollen Sie hin zu ihm?«

»Haben Sie Zeit?«

»Natürlich, natürlich!«

Er langte eifrig nach Hut und Ueberrock, Schneffke bemerkte dies lächelnd und sagte:

»Aber nach seinem Namen fragen Sie nicht?«

»Nach seinem Namen? Ach wirklich, das habe ich ganz vergessen. Also, wie heißt er?«

»Untersberg.«

Da warf der Baron Hut und Ueberrock von sich, trat auf den Maler zu und rief:

»Untersberg? Habe ich recht gehört?«

»Ja, Herr Baron.«

»Das würde doch auf Französisch Bas-Montagne heißen!«

»Allerdings! Und auf Englisch Deep-hill.«

»Also mein Name?«

»Ganz genau.«

»Herr Schneffke, meinen Sie etwa – –?«

Er war außerordentlich erregt. Er sprach die Frage zwar nicht aus, aber sie war in seinen Zügen zu lesen.

»Ja, gerade das meine ich,« nickte Schneffke.

»Daß dieser Untersberg – –«

»Ja.«

»Identisch mit meinem Vater sei?«

»Ja.«

»Sind Sie des Teufels!«

»Nein.«

»Welch' eine Ueberraschung!«

»Daß ich nicht des Teufels bin?«

»Nein – – ah, scherzen Sie nicht, sondern sprechen Sie im Ernste!«

»Das thue ich ja doch!«

»Also Sie behaupten wirklich, daß mein Vater hier in Berlin lebe, unter dem Namen Untersberg?«

»Ich behaupte und beweise es.«

»So lassen Sie uns zu ihm gehen, sofort, sofort!«

Er raffte Hut und Ueberzieher wieder auf und wollte eiligst das Zimmer verlassen. Der Maler aber stellte sich ihm in den Weg und sagte:

»Halt! Nicht so schnell, Herr Baron!«

»Warum nicht?«

»Es giebt vorher noch Einiges zu erwähnen.«

»Was sollte es noch geben? Nichts, gar nichts. Ich höre, daß mein Vater hier lebe; ich gehe zu ihm. Alles, was es noch giebt, werde ich bei ihm hören!«

»Nichts, gar nichts werden Sie hören!«

»Alles, Alles! Dafür werden Sie mich sorgen lassen!«

»Nein, nichts hören Sie, denn er wird Sie nicht einlassen.«

»Oho!«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß er nur mit mir verkehrt.«

»Kann er seinen Sohn abweisen?«

»Es ist ihm zuzutrauen.«

»Ich werde ihn zwingen.«

»Wie?«

»Durch die Polizei!«

»Wollen Sie die Polizei in Ihre Angelegenheiten blicken lassen, Herr Baron?«

»Wenn ich auf keine andere Weise mit ihm sprechen kann, ja!«

»Ich werde Sie einlassen.«

»Sie?«

»Ja.«

»Ohne seinen Willen?«

»Mit oder ohne denselben. Wir gehen jetzt. Sie aber lassen sich zunächst gar nicht sehen. Sie warten vor der Thür, bis ich Ihnen öffne.«

»Gut! Einverstanden!«

»Es ist möglich, daß er mich, wenn er Sie erkennt, aus dem Zimmer weist. Das aber geben Sie nicht zu.«

»Warum nicht?«

»Er würde Ihnen gegenüber Alles leugnen; ich aber bin im Stande, ihm Alles zu beweisen, was er gegen Sie und Ihre Frau gesündigt hat; ich muß also bleiben.«

»Einverstanden! Also kommen Sie!«

Er erfaßte den Maler bei der Hand, um ihn mit sich fortzuziehen.

»Vater, sagst Du mir kein Wort?« fragte Nanon.

Sie hatte sich bis jetzt schweigend verhalten.

»Verzeihe, mein Kind! Ich glaube, daß Du auch in Aufregung bist; aber ich muß eilen, mich von der Unschuld Deiner guten Mutter überzeugen zu lassen.«

Die beiden Männer entfernten sich. Der Baron hatte kaum die Kraft, die Unruhe, welche ihn gefaßt hatte, zu bemeistern. Als sie die letzte Treppe emporstiegen, sagte Schneffke:

»Hier in dieser dunklen Ecke bleiben Sie, bis ich Sie einlasse. Er wird Sie beim Oeffnen nicht sehen.«

Er klopfte an die Thür.

»Wer ist draußen?« fragte es von innen.

»Schneffke.«

»Ah, endlich!«

Der Alte öffnete und verriegelte die Thür sofort wieder, als der Maler eingetreten war.

»Sie sind ja eine ganze Ewigkeit fortgeblieben!« zankte er ihn aus.

»Ich fand nicht eher die richtigen Stifte.«

»Jetzt aber haben Sie welche?«

»Ja.«

»Gut! Hier ist Papier!«

Schneffke hatte gar nicht nöthig gehabt, sich farbige Stifte zu kaufen. Er trug stets dergleichen in einem Etui bei sich. Er zog dieses Letztere hervor, setzte sich an den Tisch und begann zu zeichnen. Der Alte stand hinter ihm und folgte mit der größten Spannung den Bewegungen seiner Hand.

Schneffke spannte ihn dadurch auf die Folter, daß er zunächst die hinteren Theile des Kopfes zeichnete.

»Schnell, schnell! Das Gesicht!« sagte Untersberg.

»Warten Sie; warten Sie! Alles hat seine Zeit!«

Jetzt begann er mit Stirn, Nase und Mund. Als er das eine Auge beendet hatte, rief der Alte:

»Himmel! Er ists!«

»Wer?«

»Mein Sohn. So war er; so war er, ganz genau so!«

»Warten Sie noch!«

Der Alte stand hinter ihm, mit ausgestreckter Hand, bereit, das Papier sofort nach dem letzten Striche zu erfassen. Er hatte das Aussehen eines bösen Geistes, welcher im Begriffe steht, sich auf eine arme Seele zu stürzen. Sein Wunsch, sein heißer Wunsch, das Bild seines Sohnes zu besitzen, war erfüllt.

»So!« sagte Schneffke sich erhebend. »Da ist der Kopf. Sie meinen also, daß er ähnlich ist?«

»Ja, ja! Vollkommen! Zeigen Sie! Her damit!«

Seine Augen ruhten mit halb irrem Blicke auf dem Blatte; dann sagte er:

»Das ist mein; das bekommen Sie nicht wieder. Ich werde es sofort einschließen, sofort!«

Er eilte in das Nebenzimmer. Der Hund folgte ihm. Das war dem Maler lieb. Er eilte an die Thür und öffnete.

»Schnell, schnell!« flüsterte er.

»Wo ist er?« fragte der Baron, leise eintretend.

»Da draußen. Stecken Sie sich da hinter den Ofen!«

Bas-Montagne that es und der Maler trat wieder an den Tisch.

In diesem Augenblicke kehrte der Alte zurück. Er machte die Thür zum Nebenzimmer zu, ohne zu bemerken, daß der Hund draußen geblieben sei.

»Also sind Sie mit dem Kopfe zufrieden?« fragte der kleine Dicke lächelnd.

»Ja, ja!« antwortete Untersberg.

Sein Auge ruhte dabei forschend auf dem Frager.

»Das ist mir lieb.«

»Aber mir vielleicht nicht.«

»Warum nicht? Sie wollten das Bild doch haben!«

»Ist es wirklich nur Phantasie?«

»Nein.«

»Ah! Alle Donner! Also doch nicht!«

»Nein. Jeder Zeichner muß etwas Wirkliches zu Grunde legen; so ist es auch bei mir.«

»Sie haben also einmal einen solchen Kopf gesehen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Vor einiger Zeit.«

»Wo?«

»In Frankreich.«

»Donnerwetter! An welchem Orte?«

»In Thionville.«

»War die Aehnlichkeit groß?«

»Sehr. Nur war der Mann älter als ich ihn hier bei Ihnen portraitirt habe.«

»Was war er?«

»Bankier.«

»Ach so. Woher?«

»Aus Nordamerika.«

»Haben Sie seinen Namen erfahren?«

»Ja. Er hieß Deep-hill, auf Französisch Bas-Montagne und auf Deutsch Untersberg.«

Da fuhr der Alte zurück und rief:

»Mensch, ist das wahr?«

»Natürlich!«

»Wo befindet sich dieser Mann jetzt?«

»Hier ist er!« erklang es vom Ofen her.

Untersberg drehte sich erschrocken um. Dort stand sein Sohn, welcher hinter dem Ofen hervorgetreten war.

»Guston!« rief der Alte.

»Herr Baron!« antwortete der Sohn, welcher kein Zeichen der Freude gab, seinen Vater wiederzusehen.

»Guston! Wie kommst Du hier herein?«

»Durch die Thür.«

»Sie war verschlossen.«

»Ist das Alles, an was Du jetzt denkst? Denkst Du nur an den Riegel, den Du vorgeschoben hattest? Denkst Du an nichts Anderes, an nichts Wichtigeres?«

»O, ich denke daran!«

»Nun, an was denn?«

»An die Freude des Wiedersehens.«

»Fühlst Du sie wirklich?«

»Zweifelst Du daran?«

»Du hast nicht das Aussehen eines Vaters, welcher entzückt ist, von seinem Sohne überrascht worden zu sein.«

»O doch! Komm her an mein Herz!«

Er öffnete die Arme.

»Laß das!« wehrte der Sohn ab. »Spielen wir nicht Comödie!«

»Comödie? Ich freue mich wirklich, aufrichtig!«

»Wollen sehen! Ich komme zunächst nicht als Sohn zu Dir.«

»Als was denn?«

»Als Mann meines Weibes.«

»Wieso?«

»Ich habe Dich nach ihr zu fragen.«

»Ich weiß nicht mehr von ihr, als was ich Dir vor Jahren mitgetheilt habe. Ich hörte nie wieder von ihr.«

»Ich hoffe, daß Du dies zu beweisen vermagst.«

»Sicher! Setze Dich! Ich werde Wein holen und –«

»Wein? Laß den Wein! Die Familienangelegenheiten gehen vor; sie müssen wir besprechen!«

»Gut! Ganz wie Du willst. Aber hier ist ein Mann, dem diese Sachen nichts angehen. Herr Schneffke, wir sind für heute fertig. Kommen Sie morgen wieder, um sich das Honorar für Ihre Zeichnung zu holen.«

»Ihr seid noch nicht fertig!« fiel der Sohn ein.

»Wieso? Was weißt Du von unserem Geschäft?«

»Nichts; aber ich weiß, daß er grade jetzt hierher gehört. Er muß hören, was wir mit einander sprechen.«

»Ah! Warum?«

»Er kennt unsere Angelegenheiten besser als wir Beide.«

Da warf der Alte einen glühenden Blick auf den Maler und fragte diesen:

»Ist das wahr?«

»Ja,« lautete die furchtlose Antwort.

»Sie wissen, daß dieser Herr mein Sohn ist?«

»Ja.«

»Er ist's, den Sie in Thionville getroffen haben?«

»Ja.«

»Sie haben ihn zu mir gebracht?«

»Wie Sie sehen.«

»So haben Sie gewußt, daß ich eigentlich Bas-Montagne heiße, nicht aber Untersberg?«

»Ich vermuthete es.«

»Woher?«

»Davon später!«

»So haben Sie mich also getäuscht?«

»Nein. Sie wünschten das Portrait Ihres Sohnes. Ich habe ihn in Person gebracht und erwarte eigentlich dafür den Ausdruck Ihrer Dankbarkeit.«

»Der Teufel soll Ihnen danken! Sie haben mich betrogen! Wissen Sie, daß ich meinen Hund auf Sie hetzen werde?«

»Versuchen Sie es!«

»Pah!« sagte der Sohn. »Das sind Kindereien! Lassen wir sie! Wir haben Wichtigeres zu thun. Setzen Sie sich, Herr Schneffke. Wir wollen diesem Herrn Untersberg doch einmal einige Frage vorlegen!«

Er nahm Platz und der Maler that dasselbe. Der alte Baron ließ seinen Blick von dem Einen nach dem Anderen schweifen. Seine Lippen zuckten und sein Gesicht war der Spiegel der ängstlichen Besorgniß, welche er empfand.

»Ich begreife Dich nicht!« stieß er hervor.

»Du wirst mich begreifen lernen. Erinnerst Du Dich noch des Tages, an welchem meine Frau verschwunden war?«

»Ja.«

»Weißt Du, weshalb sie verschwand?«

»Natürlich!«

»Nun, weshalb?«

»Sie war Dir untreu geworden.«

»Das ist Lüge. Damals habe ich an diese Untreue geglaubt, jetzt aber nicht mehr.«

»Ich kann sie Dir beweisen.«

»Womit?«

»Durch Briefe, welche sie mit ihrem Verführer gewechselt hat.«

»Bist Du im Besitze derselben?«

»Ja.«

»Zeige Sie mir.«

»Sogleich.«

Der Alte öffnete ein Fach und zog ein Päcktchen hervor, welches er seinem Sohne mit den Worten gab:

»Da sind sie. Lies!«

Der Baron öffnete einen nach dem anderen und las sie, ohne sich merken zu lassen, welchen Eindruck der Inhalt auf ihn mache. Dann fragte er:

»Warum hast Du mir diese Briefe damals nicht gezeigt?«

»Ich hatte sie noch nicht.«

»Du bist also erst später in den Besitz derselben gekommen?«

»Ja.«

»Auf welche Weise?«

Der Alte schien verlegen zu werden, doch war er sehr schnell mit einer Erklärung da:

»Ein Fremder brachte sie.«

»So, so! Natürlich hast Du ihn gefragt, wer er sei?«

» Gewiß.«

»Und auf welche Weise er zu den Briefen gekommen war?«

»Das versteht sich.«

»Nun, was antwortete er?«

»Er war ihr Diener gewesen. Der Verführer hatte ihn engagirt, aber schlecht behandelt. Aus Rache hatte er ihm diese Briefe gestohlen.«

»Hatte ihm sein Herr denn gesagt, daß er die Herrin entführt habe?«

»Jedenfalls.«

»Und daß sie eigentlich eine Baronin Bas-Montagne sei?«

»Gewiß.«

»Ein sauberer Herr. Aber, ich gestehe aufrichtig, daß ich an diesen schlecht erfundenen Roman nicht glaube.«

»Oho!«

»Du lügst.«

»Alle Teufel! Was fällt Dir ein!«

»O, ich habe meinen guten Grund, dies anzunehmen.«

»Welchen denn?«

»Diese Briefe hat Amély nicht geschrieben, das macht mir Niemand weiß. Die Handschrift ist der ihrigen so ziemlich ähnlich, aber ich lasse mich nicht täuschen. Sie sind gefälscht.«

»Ah, was Du sagst!«

»Ich bin überzeugt davon.«

»So hätte er mich getäuscht?«

»Wer? Etwa der angebliche Diener?«

»Ja.«

»Pah! Der existirt nur in Deiner Phantasie. Uebrigens bist Du selbst in Deine eigene Falle gerathen.«

»Was meinst Du?«

»Du behauptest, diese Briefe später erhalten zu haben.«

»Ja, so ist es auch.«

»Und vorher sagtest Du, daß Du niemals wieder etwas von ihr gehört habest.«

»Ich dachte nicht daran.«

»Schon gut! Du hast mich früher täuschen können, jetzt aber gelingt es Dir nicht mehr.« .

»Donnerwetter! Du hältst mich also für einen Lügner?«

»Ja.«

»Und dies sagst Du mir in Gegenwart dieses Mannes?«

»Wünschest Du etwa, daß ich damit warte, bis wir uns unter vier Augen befinden?«

»Das ist eine Beleidigung, die ihres Gleichen sucht!«

»Pah! Spiele Dich nicht als Unschuldiger auf! Du hast ein Verbrechen an mir begangen, welches so groß ist, daß selbst Gottes unendliche Barmherzigkeit es Dir niemals zu verzeihen vermag!«

»Bist Du toll! Von welchem Verbrechen redest Du?«

»Du hast mich um das Glück meines Lebens gebracht, indem Du mein Weib beschuldigtest, ein Verbrechen begangen zu haben, an welchem sie unschuldig war.«

»Unschuldig? Ah, warum entfloh sie?«

»Von einer Flucht war keine Rede!«

»Wie willst Du ihre Entfernung sonst nennen?«

»Eine Folge Deiner Intrigue.«

»Sapperment! Also ich bin schuld daran?«

»Ja.«

»Beweise mir das!«

»Wo hast Du den Brief, den sie mir zurückgelassen hat?«

»Ich weiß von keinem Briefe.«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Herr Schneffke, jetzt sind Sie an der Reihe.«

»Ah, was will dieser Mensch!« sagte der Alte.

Schneffke stand von seinem Stuhle auf und antwortete:

»Was ich will? Ihnen beweisen, daß Sie lügen.«

»Kerl, was wagen Sie! Denken Sie an meinen Hund!«

»Zunächst muß ich an etwas Anderes denken, nämlich an dieses Bild.«

Er zeigte auf das Bild, welches er damals mit den anderen gereinigt hatte und hinter welchem nebst Amély's Portrait auch ihre beiden Briefe versteckt gewesen waren.

»Was ist es mit dem Bilde?« fragte der Alte.

»Das sollen Sie sogleich sehen.«

Er nahm es von der Wand, entfernte die hintere Seite und zog das Portrait hervor.

»Hier, meine Herren, sehen Sie!«

Der Blick des Alten fiel darauf.

»Alle Teufel! Der becque fleur!« rief er.

Mit einem raschen Sprunge warf er sich auf den Maler, um ihm das Portrait zu entreißen; aber sein Sohn kam ihm zuvor. Er faßte den Vater bei den Achseln, drückte ihn in den Stuhl zurück und sagte:

»Hierher setzest Du Dich und bleibst sitzen, bis ich mit Dir fertig geworden bin!«

»Oho! Redest Du in dieser Weise mit Deinem Vater!«

»Ja. Und wenn Du mir nicht gehorchest, werde ich in noch ganz anderer Weise mit Dir sprechen!«

»Welche wäre dies?«

»Die Polizei. Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich Dich, falls Du nicht ruhig bist, arretiren lassen werde, um Dich für das, was Du gethan hast, dem Strafrichter zu übergeben.«

»Deinen Vater!«

»Pah! Du hast nicht wie ein Vater, sondern wie ein Schurke an mir gehandelt. Hier ist das Bild meines Weibes, nach welchem ich vergebens gesucht habe. Wie kommt es hierher?«

»Ich weiß es nicht!«

»Du lügst!«

»Ich lüge nicht!«

»Sie lügen!« erklärte da der Maler.

»Mensch, schweigen Sie!«

»Und dennoch sage ich, Sie lügen. Sie haben gewußt, daß Sie dieses Bild versteckt hatten, aber Sie haben den Ort vergessen, wo es verborgen wurde.«

»Was fällt Ihnen ein!«

»Haben Sie etwa nicht nach dem Document du divorce gesucht, Herr von Untersberg?«

»Ah, dieses Document!« stöhnte der Alte, dessen Gesicht plötzlich wieder einen irren Ausdruck annahm.

»Und hat die arme Amély etwa nicht einen Brief an Sie geschrieben, bevor sie sich entfernte?«

»Ich weiß von nichts!«

»Ich meine folgenden Brief:«

Er hatte das eine der Schreiben geöffnet und las:

          »Dem Herrn Baron de Bas-Montagne.
Ihr Unterhändler ist bei mir gewesen. Sie sind ein harter, ein grausamer Mann. Ihre Forderungen zerreißen mir das Leben. Aber ich bin ein Weib, ich habe ein Herz, ich habe zwei Kinder. Ich fühle, was es heißen mag, ein Kind verlieren, einen Sohn aufgeben zu müssen. Es war nie meine Absicht, Ihnen Guston's Herz zu rauben; Sie haben es von sich gestoßen. Aber Sie haben ein älteres, vielleicht auch ein heiligeres Recht an Ihren Sohn. Ich trete zurück. Ich willige in die Scheidung unserer Ehe, obgleich ich weiß, daß ich damit mein Todesurtheil unterzeichne.
   Gott allein mag Richter sein zwischen Ihnen und
          Amély de Bas-Montagne, geb. Rénard.«

Kaum hatte der Maler geendet, so sprang der Alte wieder von seinem Sitze auf und rief:

»Das ist's, das ist's! Her damit!«

Aber sein Sohn drückte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt wieder nieder und gebot ihm:

»Bleib sitzen, wenn Du größeres Unheil verhüten willst. Ich gebe nicht zu, daß Du Dich an diesem Bilde oder an dem Briefe vergreifst.«

Und sich an den Maler wendend, fragte er:

»Das steht da auf diesem Papiere?«

»Ja.«

»Zeigen Sie!«

»Hier, lesen Sie!«

Der Baron nahm den Brief in die Hand und betrachtete Zeile für Zeile, Wort für Wort.

»Ihr Todesurtheil!« flüsterte er. »Sie hat mich geliebt; sie mußte sich von mir trennen, und sie ist daran gestorben. Gott, mein Gott! Und warum?«

»Der dort zwang sie,« sagte Schneffke, auf den Alten deutend.

Der Baron drehte sich zu diesem um und erschrak fast bei dem Anblicke, welchen sein Vater bot. Die Augen starr vor sich hin gerichtet, saß er da. Vor seinem Munde stand ein weißer Schaum und seine bleichen Lippen murmelten leise:

»Es ist's, es ist's, das Document du divorce

»Er ist verrückt!« sagte der Maler.

»Ja, er ist nicht bei Sinnen. Was thun wir mit ihm?«

»Es sieht fast wie ein epileptischer Anfall aus. Lassen wir ihn ruhig gewähren.«

»Ja, bekümmern wir uns gar nicht um ihn.«

»Gott! Und es ist Ihr Vater!«

»Leider! Wäre er das nicht, so würde ich ihn mit dieser meiner Faust zu Boden schlagen. Denken Sie sich, daß mein armes Weib gezwungen worden ist, mir zu entsagen!«

»Leider, leider!«

»Wie mag er sie gepeinigt haben! Ein jedes ihrer Worte hier ist eine Fluth von Thränen!«

»Ich war schon damals tief gerührt, als ich diesen Brief zum ersten Male las.«

»Wann war dies?«

»Am Tage meiner Abreise nach Frankreich.«

»Wie kamen Sie zu diesem Briefe?«

Der Maler erzählte es.

»Und Sie haben meinem Vater nichts davon gesagt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich bereits ahnte, daß Madelon Ihre Tochter sei. Freilich konnte ich es mir nicht träumen lassen, daß ich so bald darauf Sie treffen würde. Ich steckte also das Bild und die beiden Briefe an ihren Ort zurück, um zur geeigneten Zeit Gebrauch davon zu machen.«

»Sie sagen »die Briefe«. Waren mehrere da?«

»Ja. Ich sagte doch vorhin im Hotel zu Ihnen, daß Ihre Frau für Sie einen Brief zurückgelassen habe.«

»Ja. Ist er dabei?«

»Hier. Hören Sie!«

Er las:

          »Mein bester, mein theuerster Guston.
Wenn Du von der Reise zurückkehrst, findest Du wohl diesen Brief, nicht aber Deine Amély, Deinen süßen Kolibri, vor. Mein Herz bricht, indem ich Dieses schreibe; aber ich kann, ich darf nicht anders. Du hast mich geliebt, und ich fand den Himmel in Deinen Armen. Deine Liebe zu mir hat Dich von dem Vater getrennt, welcher unserer Verbindung fluchte. Du hast mir Alles, Alles geopfert, mir, dem armen, fremden, bürgerlichen Mädchen. Jetzt ist die Leidenschaft verschwunden, und Du beginnst zu denken und zu rechnen. Ich beobachtete Dich im Stillen und sah, daß ich Dir nicht mehr Alles bin.
   Gott ist mein Zeuge, daß mein Leben nur Dir allein gehört! Indem ich von Dir scheide, gebe ich mir den Tod, denn ich kann ohne Dich nicht sein. Aber ich gebe Dich frei; ich gebe Dich Deinem Stande, Deinem Berufe, Deiner Ehre und Deinem Vater zurück. Ich lege meine, von dem Notar contrasignirte Einwilligung zur Scheidung bei.
   Meine Hand zittert, mein Herz bebt und meine Augen stehen voller Thränen. Ich nehme nichts, gar nichts mit als meine Kinder, meine süße Nanon und meine herzige Madelon. Du hast sie mir geschenkt und sie sind mein Eigenthum. Forsche nicht nach uns, denn Du würdest uns doch nicht finden!
   Dein Kolibri entweicht. Sein Gefieder wird den Glanz verlieren, und sein Flug wird sich bald zum Grabe senken. Aber noch im Sterben werde ich dem heißen Wunsche meinen letzten Athem widmen: Sei glücklich, glücklich, glücklich!
          Dein Weib, Deine Amély, Dein armer,
                      unschuldiger Kolibri.«

Der Baron hatte wortlos zugehört. Mit weit geöffneten Augen stand er ohne Bewegung da. Dann entrang sich seiner Brust ein heiserer Schrei und er rief:

»Das steht dort, das – das?«

»Ja.«

»Alles, was Sie gelesen haben?«

»Alles.«

»Zeigen Sie her!«

Die letzten Worte kamen zischend und mühsam heraus. Er streckte die Hand aus; er war unfähig, den einen Schritt bis hin zu dem Maler zu machen. Dieser gab ihm den Brief in die Hand.

Der Baron verschlang die Zeilen, drückte dann das Papier an sein Herz und stöhnte:

»Amély, meine arme, arme, unschuldige Amély!«

Er drehte sich um, ballte die Fäuste und schrie:

»Ungeheuer! Teufel! Satan! Ah, ich zermalme Dich!«

Er that zwei Schritte auf den Vater zu, hielt aber dann erschrocken inne.

»Gott, mein Gott! Es ist doch mein Vater!« sagte er. »Mein Vater! Welch eine Qual das ist! Sehen Sie ihn, wie er sprechen möchte und doch nicht kann!«

Er warf sich auf den Stuhl nieder und weinte, weinte laut und bitterlich. Der Maler sagte nichts; er blieb still, bis das laute Schluchzen nach und nach erstarb und der Baron sich wenigstens äußerlich beruhigte.

»Jedes dieser Worte trifft wie ein Dolchstoß mein Herz,« klagte Bas-Montagne.

»Nun, geben Sie zu, daß sie unschuldig war?«

»Rein und unschuldig wie die liebe Sonne am Himmel! Und ich habe sie verurtheilt; ich habe nach ihr gesucht, um mich an ihr und an dem Verführer zu rächen!«

Er trat auf seinen Vater zu, faßte ihn bei der Schulter, schüttelte ihn und fragte:

»Mensch, hörst Du, was ich Dir sage?«

»Ja,« erklang es gurgelnd.

»War Amély unschuldig?«

Der Alte antwortete nicht.

»Hast Du gewußt, wohin sie ging?«

»Ja.«

»Und wo sich dann ihre Töchter befanden?«

»Ja.«

»So hast Du gewußt, daß Nanon in Ortry und Madelon hier in Berlin war?«

»Ja.«

»Sie waren Deine Enkelinnen, und Du hast Dich ihrer nicht angenommen! Sie konnten sterben und verderben!«

Da nahm der Alte alle seine Kräfte zusammen. Es gelang ihm mit Zuhilfenahme seiner ganzen Willenskraft, den Anfall zu besiegen. Er gewann die Sprache wieder. Er erhob sich langsam von seinem Stuhle und sagte:

»Ich mich ihrer annehmen? Warum? Wer sind sie?«

»Deine Enkelinnen!«

»Pah! Die Kinder einer Deutschen, einer Protestantin!«

»Die Kinder meines Weibes!«

»Was geht mich Dein Weib an. Ich habe sie niemals als Schwiegertochter anerkannt.«

»Aber ihre Kinder wirst Du als Enkelinnen anerkennen!«

»Nie, nie!«

»So bist Du mein Vater gewesen!«

»Oho! Noch bist Du mein Sohn! Noch habe ich Macht über Dich! Noch hast Du mir zu gehorchen!«

»Mache Dich nicht lächerlich, alter Mann! Warum bliebst Du nicht daheim? Warum verkauftest Du Alles, und warum verschwandest Du?«

»Das geht Dich nichts an!«

»Ah! Ich bin Dein Erbe. Ich kann Rechenschaft fordern!«

»Hole sie Dir! Ein Jeder thut, was ihm beliebt. Ich habe Dir nicht zu antworten. Packt Euch fort! Wenn Ihr Euch nicht augenblicklich entfernt, hetze ich den Hund auf Euch!«

Er ging zur Thür, welche in das Nebenzimmer führte, hinaus, schloß dieselbe zu, aber sie hörten dennoch die Worte:

»Tiger, komm, paß auf!«

Ein grimmiges Knurren war die Antwort. Der Hund schnüffelte jenseits an der Thür und winselte begierig, herausgelassen zu werden.

»Sollte er wirklich so wahnsinnig sein?« fragte der Baron.

»Den Hund auf uns zu hetzen?«

»Ja.«

»Ich traue es ihm zu.«

»Ich würde das Thier tödten!«

»Ah, Sie kennen die Dogge nicht! Es wäre ihr nur mit einer Schießwaffe beizukommen, und wir befinden uns nicht im Besitze einer solchen.«

»So meinen Sie also, daß wir gehen sollen?«

»Ja. Es ist das Beste, was wir thun können.«

»Gut! Aber ich werde morgen wieder hergehen, und da wird er mir beichten müssen.«

»Er wird Sie fortjagen.«

»Wohl schwerlich! Ich nehme Polizei mit und einen Gerichtsarzt. Ich kenne seine Pflicht gegen mich und die meinige gegen ihn. Ich werde ihn untersuchen lassen, ob er zurechnungsfähig oder irrsinnig ist. Kommen Sie! Das Bild und die Briefe nehmen wir natürlich mit.«

»Ja, gehen wir. Ich werde diese Wohnung nicht wiedersehen, denn wehe mir, wenn ich es wagen wollte, noch einmal vor seinen Augen zu erscheinen!«

»Ich werde Sie entschädigen. Ich bin Ihnen überhaupt zum größten Dank verpflichtet und werde das niemals vergessen. Verfügen Sie über mich und Alles, was ich habe!«

»Schön!« lachte der Dicke. »Da habe ich zum Beispiel jetzt gleich eine Bitte.«

»Welche?«

»Ich hoffe, daß Sie mir sie erfüllen werden!«

»Sehr gern! Um was handelt es sich?«

»Nur um ein kleines Geschenk, welches Ihnen aber keinen Pfennig kosten soll.«

»Was wünschen Sie?«

»Eine Ihrer beiden Töchter zur Frau.«

Der Baron blickte ihn betroffen an und fragte:

»Das ist Ihr Ernst?«

»Natürlich.«

»Ah, da thun Sie mir leid!«

»Warum?«

»Sie können keine von Beiden bekommen.«

»Weshalb denn nicht?«

»Sie sind bereits versprochen.«

»Donnerwetter! Da hat man diese Dankbarkeit!«

»Wer denkt denn aber, daß –«

»Na, na, ereifern Sie sich nicht! Ihre beiden Baronessen sind zwar wunderbar hübsch, für mich aber viel zu niedlich, zu dumm und klein. Da ist meine Marie Melac ein ganz anderes Mädchen. Die hat Knochen im Leibe und Fleisch an diesen Knochen. Wenn ich der ihr Portrait anfertigen will, brauche ich drei Centner rothe Farbe mehr als bei Mademoiselle Nanon und Madelon in Summa. Die wird meine Frau, keine Andere!«

»Gott sei Dank!« lachte der Baron. »Fast hatte ich befürchtet, daß sie sich wegen unglücklicher Liebe das Leben nehmen würden.«

»Fällt mir gar nicht ein! Unglückliche Liebe giebt es für mich nicht. Wenn Eine mich nicht mag, so läßt sie es bleiben; es ist ihr eigener Schaden, aber nicht der meinige!«

Sie schlossen die Thür auf und verließen die Wohnung des alten Isegrimms. Als sie die Straße erreichten, blieb der Baron stehen und fragte den Maler:

»Sind Sie für heute Abend irgendwo engagirt?«

»Nein.«

»So bitte, kommen Sie mit zu mir.«

»Wozu denn?«

»Ich muß Leute haben, denen ich mein Glück mit fühlen lassen kann. Ich bin so froh, daß Amély nicht schuldig gewesen ist. Kommen Sie!«

»Danke!«

»Nicht? Warum?«

»Was nützt mir Ihr Glück! Ich werde Ihnen Einen senden, dem es mehr Vortheil bringen wird als mir.«

»Wen meinen Sie?«

»Warten Sie es ab! Gute Nacht!«

Er lief davon, und zwar begab er sich nach der Wohnung der Familie der Königsau. Die Glieder derselben befanden sich in der besten Stimmung, als der Diener einen fremden Herrn meldete.

»So spät noch!« sagte der alte Hugo. »Wie heißt er?«

»Er nannte sich den Thier- und Kunstmaler Hieronymus Aurelius Schneffke.«

»Ah, unser Dicker!« lachte Richardt. »Der mag sofort eintreten.«

Und als der Maler eintrat, faßte er ihn bei der Hand, führte ihn zum Großvater und sagte:

»Hier, liebster Großvater, ist unser Freund Künstler, dem wir es zu verdanken haben, daß ich den Vater fand.«

Der greise Herr hielt Schneffke die Hand entgegen und sagte:

»Ich danke Ihnen! Seien Sie uns willkommen! Setzen Sie sich, und nehmen Sie mit Theil an der Freude, die wir wohl nur Ihnen verdanken.«

»Mir? O nein!«

»Wem sonst?«

»Meinem Peche. Ich habe nämlich das Unglück, jeden Stein, über den man stolpern und jedes Loch, in welches man stürzen kann, gerade nur immer mitten auf meinem Wege zu finden.«

»Aber Sie scheinen sich sehr wohl dabei zu fühlen,« meinte Hugo, indem er seinen Blick über die wohlbeleibte Gestalt gleiten ließ.

»Gott sei Dank, ja! Das Purzeln bekommt mir äußerst gut! Verstauchen kann ich mir nichts, brechen noch weniger, und so will ich denn so weiter fortpurzeln wie bisher.«

»Viel Glück dabei! Also nehmen Sie Platz.«

»Gern, Herr Rittmeister! Aber ich habe vorher eine Botschaft.«

»An wen?«

»An den Herrn Wachtmeister Schneeberg.«

»Bitte, Sie meinen wohl den Herrn Wachtmeister von Goldberg?«

Der Dicke verzog sein Gesicht zu einem frohen Grinsen und rief aus:

»Sakkerment! So ist diese Geschichte also bereits heute Abend zur Perfection gekommen?«

»Ja.«

»So gratulire ich aus ganzem Herzen, Herr Wachtmeister! Uebrigens wird es sich bald ausgewachtmeistert haben. Ein Herr von Goldberg kann nur als Offizier existiren. Ich bin doch neugierig, wessen verlorener Sohn ich einmal sein werde! Es muß äußerst angenehm sein, die Himmelsleiter ganz unbewußt emporzusteigen, bis man erwacht, weil man mit der Nase an einen Grafen und General gestoßen ist. Unter diesen Verhältnissen wird meine Botschaft allerdings weniger Werth besitzen.«

»Was bringen Sie denn, lieber Freund?« fragte Fritz.

»Mit den Bas-Montagne's ist es glatt geworden.«

»Wieso?«

»Der Baron hat seinen Vater gefunden.«

»Wann? Wo?«

»Heute Abend. Hier in Berlin, wo der alte Herr in größter Verborgenheit lebte, von mir aber entdeckt wurde.«

»Sie sind wirklich ein Tausendsassa!«

»Die Folge davon ist sehr erfreulich. Es hat sich herausgestellt, daß Frau Amély unschuldig ist, daß also auf den beiden jungen Damen nicht der mindeste Makel haftet. Und die Hauptsache: Es ist nun über allem Zweifel erhaben, daß die beiden Mademoiselles wirklich die Töchter des Barons sind. Dieser Letztere ist soeben von seinem Vater zu Fräulein Nanon zurückgekehrt. Beide sind allein; Beide befinden sich in der glückseligsten Stimmung, und wenn der Herr Wachtmeister Schneeb – wollte sagen von Goldberg – –«

»Schön, schön!« fiel Fritz ein. »Gut, sehr gut! Ich danke Ihnen, lieber Schneffke, und werde Ihren Wink auf der Stelle befolgen. Meine Herrschaften, Sie entschuldigen. Ich muß dem Baron de Bas-Montagne unbedingt sogleich gratuliren. In spätestens einer halben Stunde bin ich wieder zurück!«

Er hatte während der letzten Worte den abgelegten Säbel umgeschnallt und eilte zur Thür hinaus.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wir wenden uns noch einmal der Untersuchung zu, die gegen den Grafen Rallion, sowie gegen den Vater Main und Genossen schwebte.

Bei einem dieser Verhöre wurde Graf Rallion vorgeführt. Die Nachricht von dem Tode seines Sohnes hatte ihn tief getroffen; der Anblick des Capitains wirkte fast betäubend auf ihn; er vermochte nicht, die Geständnisse desselben zu entkräftigen. Er gestand, und man legte ihn in ein sehr sorgsames Gewahrsam bis zu der Entscheidung, welche Behörde die für ihn zuständige sei.

Ebenso wurde mit Vater Main verfahren. Er hatte nur in Frankreich gesündigt; er mußte nach dem Friedensschlusse dem französischen Strafrichter übergeben werden.

Der Krämer kehrte bereits nach wenigen Tagen von seiner Reise zurück. Seine Frau hat nie erfahren, welcher Ort das Ziel derselben gewesen ist.

Nach den ruhmreichen Tagen von Sedan traten die deutschen Heere den Marsch auf Paris an. Der junge Graf Lemarch oder eigentlich von Goldberg erhielt die Erlaubniß, dem Heere sich als Krankenpfleger anschließen zu dürfen. So blieb er in der Nähe seiner Madelon.

Noch am Tage nach der Schlacht von Sedan hatte Richardt von Königsau zwei Depeschen abgehen lassen. Die eine war an den Grafen von Goldberg gerichtet; in Folge derselben setzte er sich mit seiner Gemahlin sofort auf die Eisenbahn und gelangte bereits am dritten Tage nach Schloß Malineau, wo er sich dem General von Latreau vorstellte. Die zweite Depesche gelangte auf dem Umwege über die Schweiz an den Grafen Lemarch, welcher sich sofort nach demselben Ziele aufmachte.

Aber Schloß Malineau sollte noch mehrere Gäste sehen.

Die günstige Marschrichtung des deutschen Heeres brachte für die Betheiligten die Möglichkeit mit sich, einen kurzen Urlaub zu erhalten, und so kam es, daß eines schönen Tages mehrere Wagen und Reiter vor dem Portale hielten, denen als der Erste – Herr Thier- und Kunstmaler Hieronymus Aurelius Schneffke die Gäste bewillkommnend entgegentrat.

»Sie hier, Herr Feldwebel?« fragte Major Richardt erstaunt.

»Zu Befehl, ja!« antwortete er. Und auf seine angeschwollene und verbundene Stirn deutend, fuhr er fort: »Der Pudding, der mir den Schädel gestreift hat, ist von verflucht festem Teig gewesen. Um zwei Haare breit weiter nach hinten, so wäre Eins verloren gewesen, entweder mein Kopf oder die Kanonenkugel! Ich dachte, daß mir nur die Haut abgeschürft worden sei; aber die Herren Doctors behaupten steif und fest, daß ich auch noch tiefer, nämlich am Verstande gelitten habe, und so ist mir die Erlaubniß geworden, mir meine fünf Sinne von der dicken Marie Melac wieder in Ordnung bringen zu lassen. Ich glaube, das kann nur durch eine fidele Trauungsceremonie geschehen.«

Nun gab es zunächst ein Bewillkommnen, Verbeugen, Begrüßen und Händeschütteln. Dann ein wirres Durcheinander von Erkundigungen und Aufklärungen, von Fragen und Antworten. Dann setzte man sich zur Tafel, und erst dann war es den Einzelnen, welche sich zu und nach einander sehnten, möglich, sich hier oder da unter vier oder mehreren Augen zu finden, zu sprechen und – – zu küssen.

Der alte Graf und General Lemarch erfuhr, was der Bajazzo, den übrigens eine lebenslängliche Zuchthausstrafe erwartete, in Berlin über den Kindesraub ausgesagt hatte. Er war von Richemonte und Graf Rallion dazu gedungen worden. Lemarch mußte wohl oder übel zugeben, daß sein bisheriger Sohn das Kind Goldbergs sei, erhielt aber die Versicherung, daß er trotzdem Vaterrechte behalten solle, falls er zugebe, daß die beiden Brüder sich von den beiden Schwestern Nanon und Madelon die weißen Bräutigamshandschuhe schenken lassen dürften.

Richardt von Königsau stellte den Seinen die schöne Marion vor und hatte die Freude, sie von Vater und Großvater unter den innigsten Segenswünschen umarmt zu sehen.

Da stand Deep-hill oder vielmehr Baron Guston von Bas-Montagne von ferne und warf einen sehnsüchtigen Blick auf Emma von Königsau. Sie trat auf ihn zu, ergriff ihn bei der Hand und fragte:

»Hassen Sie immer noch die Deutschen?«

»Hassen?« sagte er. »O, was sind das doch für so sehr prächtige Menschen!«

»Die Männer?«

»Die Frauen und Mädchen noch tausendmal mehr!«

»Und ich?«

»Sie sind von Allen die Prächtigste. Soll ich Ihnen diese Ueberzeugung mein ganzes Leben hindurch beweisen?«

»Würde Sie das glücklich machen?«

»Unendlich!«

»Nun gut! Ich will versuchen, Ihnen alles Leid, was Ihnen das Leben gebracht hat, vergessen zu lassen.«

Sie reichten sich die Hände. Das sahen zwei Andere und sofort streckten auch sie sich ihre Hände einander entgegen: Arthur von Hohenthal und Ella von Latreau.

Nur ein Umstand warf einen leisen Schatten auf das Glück der Betreffenden. Nämlich Hassan der Zauberer und Saadi waren vorgestern von Schloß Malineau verschwunden und mit ihnen – – Liama. Der Erstere hatte, da er französisch schreiben konnte, einen Brief hinterlassen, in welchem er sagte, daß Liama zu Saadi gehöre, daß sie sich nie glücklich in abendländischen Verhältnissen fühlen würde und daß sie also mit dem Geliebten gehe, um sich eine sonnige Oase zu suchen, wo sie unter Palmen segnend an Marion denken könne, ohne dem Glück derselben hinderlich zu sein.

»Nun habe ich Niemand als nur Dich!« sagte Marion weinend und doch glücklich zu Richardt.

»Klage nicht, mein Leben,« antwortete er. »Liama war lange Jahre für Dich todt. Sie ist Dir wieder erschienen, um Dich zu segnen. Sie wäre doch hier stets und immer eine Fremde in der Fremde geblieben.«

Es versteht sich von selbst, daß an eine sofortige Vermählung dieser Paare nicht gedacht werden konnte. Noch stand das von Napoleon heraufbeschworene Gewitter donnernd am Himmel, und die Blitze zuckten ebenso drohend wie vorher. Man mußte scheiden.

Als aber dann die Friedensbotschaft durch die Gaue erklang und der neuerrichtete deutsche Kaiserthron seine Diamanten siegreich leuchten ließ, da fanden sie sich zusammen, und selbst Doctor Bertrand verließ die Mosel, um sich an der Spree eine Heimath zu gründen, welches ihm erlaubte, Denen, die er liebte und schätzte, nahe zu sein.

Agnes Lemartel, die Tochter des Lumpenkönigs, ist nicht arm geworden. Die Familie Königsau hat sie in den Stand gesetzt, ein Asyl für Obdachlose zu gründen, dessen Verwaltung sie ihr Leben weiht.

Und die Anderen, welche noch zu erwähnen wären? Denken wir lieber nicht an sie. Selbst wenn ein Mensch die härteste Strafe verdient, ist es für ein fühlendes Herz quälend, sein Schmerzgeschrei zu vernehmen. So ist Capitän Richemonte gestorben unter körperlichen und geistigen Qualen, die jeder Beschreibung spotten. Die, an denen er sündigte, haben ihm vergeben.

Wer heute hinter Bouillon am Wasser entlang geht und sich dann links hinauf zur Höhe wendet, der findet im Walde eine Stelle, deren Decke tief eingesunken ist.

»Hier hat eine Kriegskasse gelegen,« sagen die Leute.

Aber wer sie hinweggeholt hat, das weiß außer Einigen Niemand; darüber schweigt die Geschichte und also auch – – – der Verfasser. – – – –

 

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