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Lieutenant von Hornberg hatte dem Rittmeister von Hohenthal gemeldet, wie er empfangen worden war und welchen Bescheid er erhalten hatte.
»Gut!« sagte der Rittmeister. »Wollen sehen, ob er es so weit bringt, in der angegebenen Zeit seinen Besuch zu machen.«
Er schickte nach dem General.
»Excellenz,« sagte er, als dieser kam. »Eigentlich ist es meine Pflicht, mich aller Personen, welche das Schloß bewohnen, zu versichern. Ich glaube aber überzeugt sein zu dürfen, daß dies nicht nöthig ist. Ich bitte Sie um Ihr Ehrenwort, daß Keiner von Ihren Leuten Etwas unternimmt, was nicht mit meinen Absichten in Einklang zu bringen ist.«
»Ich gebe es für mich und für alle die Meinigen.«
»Ich danke! Darf ich Sie bitten, sich in das oberste Stockwerk zurück zu ziehen?«
»Ich gehorche natürlich.«
»Aber Sie werden die Güte haben, mir Ihren Beschließer zu senden. Ich bedarf natürlich sämmtlicher Schlüssels, welche vorhanden sind.«
»Er steht draußen schon bereit. Aber, Herr Rittmeister, in welcher Weise glauben Sie, daß der Angriff erfolgen wird?«
»Das werde ich erst nach näherer Beobachtung wissen. Auf alle Fälle wird man nur das Parterre angreifen. Natürlich werde ich mir Mühe geben, daß Ihr Eigenthum möglichst geschont wird. Bitte, kehren Sie zu den Damen zurück, um sie zu beruhigen!«
Melac mußte sämmtliche unteren Räumlichkeiten öffnen. Hohenthal ließ die Läden aufmachen und auch die Fenster aufwirbeln, um selbst die Glastafeln möglichst zu schonen. Dann gab er Befehl, im Falle eines Angriffes zuerst eine Salve zu geben, dann aber jeden Eindringling mit dem Säbel zurückzuweisen. Auf diese Weise wurde die Munition gespart. Auch durfte sich Keiner am offenen Fenster sehen lassen. Hinter dem Fensterpfeiler stehend, war der Vertheidiger gedeckt und konnte doch den Säbel nach Kräften gebrauchen.
Während der Rittmeister das Kommando der vorderen Front übernahm, übergab er den anderen Offizieren die übrigen Seiten in Vertheidigung. Dann waren sie gerüstet, den Feind zu empfangen. – – –
Richardt von Königsau war, nachdem er mit Fritz Schloß Ortry verlassen hatte, nach der Gegend von Metz geritten, wo die deutschen Heere im Begriff standen, den Marschall Bazaine einzuschließen.
Die beiden Ulanen kamen erst am Morgen nach Servigny, wo man sich zum Kampfe vorbereitete. Um zu ihrer Truppe zu gelangen, mußten sie noch weiter, nach Ars Laquenexy. Dort erfuhren sie, daß andere Dispositionen getroffen worden seien. Das Gardeulanenregiment war noch in der Gegend von Gorze zu suchen.
Dorthin gelangten sie erst am Nachmittage, während seit Vormittag im Norden die Kanonen gedonnert hatten, zum Zeichen, daß da eine Schlacht geschlagen werde.
In Gorze erfuhren sie endlich, daß drei Schwadronen nach Chambley detachirt worden seien. Ueber den Aufenthalt der übrigen Schwadronen konnten sie nichts erfahren.
»Verteufelte Geschichte!« meinte Fritz. »Wir wollen und wir müssen nach Schloß Malineau, um die Machinationen dieses alten Capitäns zu Schanden zu machen. Dazu bedürfen wir der Erlaubniß. Wo aber den Oberst finden?«
»Es bleibt uns nichts übrig, als eben nach Chambley zu reiten,« meinte Königsau mißmuthig.
»Hm! Könnten wir denn nicht auf eigene Faust handeln?«
»Das ist zweifelhaft.«
»Warum? Es ist uns ja weder Zeit noch Ort bestimmt, wann und wo wir zu dem Regimente zu stoßen haben.«
»Aber unsere Instruction lautet, sofort einzutreffen, wenn wir unser Arrangement in Schloß Ortry getroffen haben.«
»Nun, mit diesem Arrangement sind wir ja noch nicht fertig!«
»Wieso?«
»Der alte Capitän gehört doch auch dazu. Er ist entflohen. Wir müssen ihn suchen und finden!«
»Diese Art der Auslegung hat allerdings etwas für sich. Warten wir, wie es in Chambley aussieht. Dort können wir uns ja weiter entschließen.«
Wenn sie gewußt hätten, daß der alte Capitän nicht so schnell fortgekonnt hatte und noch in der Gegend von Ortry bei einem Bauern steckte, so hätten sie sich keine solche Sorge gemacht.
»Uebrigens,« meinte Fritz, »scheint es mir, als ob wir auf diese Weise nicht mehr sehr weit kommen würden. Mein Gaul ist so müde, daß ich ihn per Kutsche weiter transportiren lassen möchte.«
»Bis Chambley muß er wohl oder übel aushalten. Mein Pferd lahmt schon seit einer Viertelstunde. Müssen wir heute noch weiter, so wird es nothwendig sein, uns nach anderen Pferden umzusehen.«
Sie waren noch nicht weit gekommen, so erkannten sie, daß es ihnen sehr schwierig sein werde, das angegebene Ziel zu erreichen. Straßen und Wege waren von Theilen des dritten und zehnten Armeecorps bedeckt, welche nach Tronville und Vionville dirigirt wurden. Es blieb ihnen nichts übrig, als von der Richtung abzuweichen und den Umweg über Saint Julien de Gorze einzuschlagen.
Als sie dort ankamen, war es Nacht geworden. Sie konnten unmöglich weiter. Sie fanden kein anderes Nachtlager, als unter einem alten Schuppen, wo sie glücklicher Weise etwas Stroh entdeckten.
Am anderen Morgen ging es weiter. Sie erreichten aber, weil es überall von Militär wimmelte, Chambley, welches so nahe lag, doch ziemlich spät.
Dort fand Königsau endlich Gardeulanen, aber auch nur eine einzige Schwadron. Die anderen beiden waren nach Troyon beordert worden, dem Heere des Kronprinzen entgegen.
Wie gern hätte der Major sich sofort an die Spitze dieser Leute gesetzt, um sie nach Malineau zu führen, aber das war unmöglich. Er hatte mit dem Etappencommandanten sich in's Einvernehmen zu setzen, und dann waren noch andere Schritte zu thun, so daß es sehr spät wurde, als er endlich von Buxieres, wohin er gesandt hatte, die Erlaubniß bekam, die Schwadron zu dem angegebenen Zweck zu verwenden.
Mittler Weile hatte er sich und Freund Fritz neu beritten gemacht. Der Ritt begann.
Aber Etain lag weit von hier, und er sah sich ganz zu denselben Vorsichtsmaßregeln gezwungen, welche auch Hohenthal angewendet hatte, um nicht bemerkt zu werden.
Er vermied so viel wie möglich alle bewohnten Orte, ritt endlich auch um Etain in einem weiten Bogen herum und kam mit seiner Schwadron auf dieselbe Straße, auf welcher Oberst Rallion sich mit seinen drei Escadrons dem Schlosse genähert hatte.
Sie hatten vielleicht noch fünf Minuten zu reiten, ehe es möglich war, aus dem Waldwege in's Freie zu debouchiren; da hörten sie vor sich Schüsse fallen.
»Sapperment, dort ist man bereits engagiert!« meinte Fritz.
»Das sind wohl die Franctireurs!« bemerkte der Rittmeister, welcher die Schwadron commandirte.
»Schwerlich,« antwortete Königsau. »Das war eine so ordnungsmäßige Salve, daß ich unbedingt annehme, es befinde sich Militär vor uns.«
»So müssen wir recognosciren.«
»Gewiß. Bleiben Sie mit den Leuten zurück. Fritz, steig mit ab! Wir gehen unter den Bäumen vor und werden sehen, was es giebt. Hören Sie meinen Revolver, drei Schüsse hinter einander, Herr Rittmeister, so eilen Sie herbei, denn dann befinden wir uns in einer Gefahr.«
Er stieg ab und Fritz ebenso. Sie begaben sich unter die Bäume und schlichen vorwärts.
Dort, wo man den Waldesrand niedergeschlagen hatte, fanden sie hinter den Reisighaufen ein sicheres Versteck, aus welchem sie Alles ganz genau und völlig ungefährdet beobachten konnten.
»Ah!« flüsterte Fritz. »Das sind allerdings keine Franctireurs! Das sind Gardecavalleristen!«
»Kürassire und Dragoner. Sie wollen das Schloß stürmen.
Warum?«
»Hm! Man stürmt doch nur einen Ort, wenn sich der Feind da befindet!«
»Richtig! Welchen Feind könnten die Franzosen da haben?«
»Das weiß der Kukuk, ich aber nicht. Schau, wieder eine Salve! Das sind brave Kerls, welche dort drin stecken!«
»Wer aber ist's? Wollen sehen.«
Königsau nahm seinen Feldstecher heraus und richtete ihn nach den Fenstern des Schlosses.
»Kein Mensch ist zu sehen.«
»Natürlich!« meinte Fritz. »Ließe sich Einer sehen, so wäre er ja auch verloren. Das Schloß ist umzingelt, und auf jedes Fenster sind einige Gewehre gerichtet. Es hat ganz den Anschein, als ob da ein alter, schlauer Fuchs ausgeräuchert werden solle. Schau, Richardt, dort hinter der Baumgruppe hält der Stab des Belagerungsheeres. Die Herren kommen jetzt ein wenig zur Seite. Wollen doch einmal sehen, mit welchen Chargen wir es zu thun haben.«
Auch er nahm den Krimstecher vor's Auge.
»Alle Teufel!« stieß er hervor.
»Was?«
»Da hält ein Oberst, ein ganz junger Kerl. Ich kann das Gesicht nicht genau sehen; aber ich möchte wetten, daß es unser lieber Herr von Rallion ist.«
»Das wäre! Warte! Ah, jetzt wendet er sich nach rechts. Ich sehe ihn genauer. Bei Gott, er ist es! Und, Fritz, siehst Du den Menschen in Civil neben ihm?«
»Ja; der Graukopf? Höre, sollte das vielleicht gar der alte Capitän sein?«
»Ich möchte es fast annehmen, obgleich er uns den Rücken zukehrt. Aber, wenn er es wirklich ist, so möchte ich fast schließen, daß sich Deutsche da im Schlosse befinden.«
»Sakkerment!«
»Ja. Man wird doch nicht etwa Franzosen belagern! Wäre der Alte nicht dabei, so dürfte man vermuthen, daß man eine Bande Franctireurs cernirt habe, um sie wegen irgend einer Schurkerei ad coram zu nehmen; aber weder Rallion, noch der Capitän würden das thun.«
»Da, da, da!« sagte Fritz schnell hinter einander. »Siehst Du es? Da, am Giebel!«
»Ja. Schnell nieder mit den Köpfen! Das soll ein Zeichen für uns sein, und diese Franzosen könnten daraus auf unsere Anwesenheit schließen.«
Sie bückten sich hinter den Reißighaufen nieder; aber sie bemerkten auch sogleich, daß sie nicht gefährdet seien.
»Weißt Du, was das war?« fragte Königsau.
»Natürlich! Ein rother Husarendolman.«
»Gewiß! Man hat uns vom Schlosse aus bemerkt und will uns sagen, wer sich dort befindet.«
»Also preußische Husaren!«
»Ganz sicher!«
»Wie kommen sie nach Schloß Malineau?«
»Wer weiß es. Jedenfalls eine Streifpatrouille. Wir müssen ihnen unbedingt zu Hilfe kommen!«
»Natürlich! Es sind brave Kerls! Und scharfe Augen haben sie! Uns hier zu bemerken!«
»Vom oberen Stockwerke ist das nicht sehr schwer. Wenn das Auge zufällig diesen Punkt streift, versteht es sich fast ganz von selbst, daß man uns sieht. Komm!«
Sie traten wieder unter die Bäume und kehrten zur Schwadron zurück.
»Nun?« fragte der Rittmeister neugierig.
»Drei Schwadronen französischer Gardekavallerie belagern eine preußische Husarenpatrouille, welche im Schlosse Schutz gesucht hat,« antwortete Fritz.
»Da kommen wir zur rechten Zeit. Oder –?«
Er warf einen fragenden Blick hinter sich auf seine Leute. Königsau verstand ihn und sagte:
»Ob wir zu schwach sind, diesen drei Schwadronen gegenüber, Herr Rittmeister?«
»Es ist meine Pflicht, diesen Gedanken anzuregen.«
»Gewiß! Aber wir werden uns doch nicht fürchten!«
»Ganz gewiß nicht! Horch!«
Man hörte von der Gegend des Schlosses her Signal blasen.
»Ah!« meinte Fritz. »Diese Herren sehen ein, daß es auf diese Weise mit der Belagerung nicht vorwärts geht. Sie rufen ihre Leute wieder zusammen. Man wird einen Kriegsrath halten.«
»Das benutzen wir und hauen auf sie ein!« ergänzte Königsau. »Nämlich die Kerls sind, außer den Offizieren, abgesessen. Ihre Pferde befinden sich links von der Mündung dieses Weges unter der Obhut von sehr wenigen Leuten. Kommen wir zwischen Beide, nämlich zwischen die Reiter und die Pferde, so sind die Ersteren verloren. Herr Rittmeister, es sind nämlich ein Drittel Dragoner und zwei Drittel Kürassiere. Sind sie zu Fuß, so haben wir leichte Arbeit. Wir reiten sie nieder und spießen sie mit den Lanzen fest. Gehen wir näher, daß auch Sie recognosciren können!«
Oben an einem Fenster des Dachstockes hatte nämlich Melac gestanden. Dieses Fenster ging nach der Seite hinaus, von welcher die Feinde gekommen waren. Das Auge des Schließers streifte ganz zufällig und absichtslos den Waldesrand und blieb auf einem Punkte haften, an welchem sich etwas Farbiges zeigte, was eigentlich nicht an diesen Ort zu gehören schien.
Er blickte schärfer hin, aber er war alt und konnte das, was sich dort befand, nicht deutlich erkennen. Darum begab er sich in das Zimmer, in welchem sich die Anderen befanden.
»Bitte, wo sind Seine Excellenz, der Herr General?« fragte er, als er den Genannten nicht bemerkte.
»Warum?« fragte Ella, welche dem Tone seiner Stimme eine gewisse Aengstlichkeit anmerkte.
»Ich glaube, es kommen neue Feinde.«
»Gott! Doch nicht!«
»Es war mir, als ob ich drüben hinter dem Reißig etwas Buntes, etwas Militärisches gesehen hätte.«
»Großpapa ist für einige Augenblicke fortgegangen. Komm, liebe Marion, wollen sehen, was es ist.«
Melac führte sie nach dem betreffenden Fenster. Kaum hatten sie einen Blick hinausgeworfen, so sagte Ella:
»Soldaten! Ja! Man erblickt sie nur nicht genau. Herrgott, was thun wir, liebe Marion?«
Diese behielt ihre Fassung.
»Sind es Franzosen oder Deutsche?« fragte sie.
»Wer weiß das!«
»Ich auch nicht. Aber, liebe Ella, wollen wir als Freunde oder als Feinde dieses tapferen Grafen und Rittmeisters von Hohenthal handeln?«
»Als Freunde natürlich!«
»Gut! Das denke ich auch. Monsieur Melac, Sie dürfen es dem Herrn General nicht wissen lassen, aber eilen Sie hinab, um den Herrn Rittmeister schleunigst zu holen.«
Das war dem Alten sehr lieb. Er war ja ein Freund der Deutschen. Nach wenigen Sekunden brachte er Hohenthal, welchen einer seiner Leute begleitete.
»Wo ist es?« fragte er ohne alle Einleitung.
»Dort, gerade meinem Arme nach, hinter dem Reißighaufen,« antwortete Ella, indem sie den Arm ausstreckte.
Sein Auge folgte der angegebenen Richtung. Ein Blitz der Freude zuckte über sein schönes Gesicht.
»Herunter mit Deinem Dolman!« gebot er dem Husaren. »Halte ihn zum Fenster hinaus, damit Die da drüben merken, daß Husaren sich hier befinden.«
Der Mann gehorchte. Der Rittmeister zog sein Rohr hervor und nahm es an das Auge.
»Alle Wetter!« entfuhr es ihm.
Er warf noch einen kurzen Blick hinüber und gebot dann dem Husaren:
»Zurück wieder! Sie haben es bemerkt. Sie verbergen sich, weil unser Zeichen den Feind auf sie aufmerksam machen könnte. Entschuldigung, meine Damen, daß in der Ueberraschung mir ein etwas kräftiges Wort entfuhr.«
»Dürfen wir erfahren, wer es ist, Herr Rittmeister?« erkundigte sich Marion.
»Eigentlich nicht,« antwortete er lächelnd. »Es ist mir aber vollständig unmöglich, Sie als feindliche Wesen zu betrachten. Darum will ich Ihnen mittheilen, daß ich zwei preußische Ulanenoffiziers gesehen habe.«
»Was wird das bedeuten?«
»Daß in wenigen Minuten Ihnen Gelegenheit geboten wird, den tapfersten Ulanenoffizier kennen zu lernen. Ich habe ihn mit Hilfe meines Glases erkannt. Ein Freund von mir, Herr Richardt von Königsau, kommt, diesen Herren da unten eine Lehre zu geben.«
»Königsau –?« hauchte sie.
Sie war tief bleich geworden.
»Ja. Wenn ich recht vermuthe, so befindet er sich nicht allein in der Nähe. Bitte, treten Sie in das Eckzimmer, so werden Sie Zeuginnen eines höchst interessanten Kampfes sein. Ich aber muß nach unten.«
Er eilte mit seinem Begleiter fort.
Ella legte den Arm um Marions Schulter.
»Du bist erschrocken?« fragte sie liebevoll.
»Sehr!«
»Nicht wahr, Königsau hieß jener Offizier, den Du in Dresden erblicktest?«
»Ja. Und dessen Photographie ich besitze.«
»Ob er es wirklich ist?«
»Jedenfalls. Der Rittmeister wird kein schlechtes Fernrohr besitzen, denke ich.«
»So werden wir ihn zu sehen bekommen.«
Marion strich sich mit der Hand über die Stirn und antwortete nicht. Ella aber meinte:
»Wirst Du nicht mit ihm sprechen können?«
Da antwortete das schöne Mädchen:
»Es war ein Traum; ich aber gehöre der Wirklichkeit. Seine Anwesenheit kann keinen Einfluß auf mich haben.«
Da hörte man das Signal, welches auch Königsau mit den Seinigen vernommen hatte. Einige Augenblicke später kam der General herbei.
»Wo seid Ihr? Ich habe Euch gesucht!« fragte er. »Die Gardereiter ziehen sich zurück. Der Kampf scheint ein Ende zu haben.«
»O nein!« entfuhr es Ella.
Das fiel dem General auf.
»Warum nicht? Weißt Du es anders?« erkundigte er sich.
»Liebe Marion, wollen wir es ihm nicht lieber sagen?« fragte sie die Freundin.
»Ja. Der General wird es ja unbedingt erfahren.«
»Was?« fragte er neugierig.
»Es sind preußische Ulanen im Walde.«
»Doch nicht!«
»Ja. Der Rittmeister Hohenthal sagte es.«
»Dann wehe unseren Kürassieren! Dürfte ich sie doch warnen!«
»Würdest Du das?«
»Unbedingt, wenn ich dabei nicht mein Leben riskirte. Ich würde als Spion erschossen werden.«
»Thue es um Gotteswillen nicht, lieber Papa!«
»Nein, nein! Aber, wo befinden sich die Ulanen?«
»Sie sind fort; man sieht sie nicht mehr.«
Da waren wieder Schritte zu vernehmen. Rittmeister Hohenthal trat ein. Er erblickte den General und fragte:
»Die Damen haben Ihnen Mittheilung gemacht?«
»Ja.«
»Es thut mir leid, daß es mir nicht vergönnt ist, Ihren Patriotismus zu schonen, Excellenz. Es ist eben Krieg. Uebrigens werden Sie jetzt, wenn ich mich nämlich nicht irre, ein seltenes Reiterstück zu sehen bekommen.«
»Sie haben bereits ein Unvergleichliches geliefert.«
»Oh, Königsau kommt! Das ist etwas ganz Anderes!«
»Königsau? Diesen Namen habe ich einmal gehört. So hieß ein preußischer Offizier, welcher sich der außerordentlichen Protection Ihres Marschall Blücher erfreute.«
»Der, welchen ich meine, ist der Enkel dieses Veteranen. Sie verzeihen meine Gegenwart hier. Von hier aus kann ich den Plan besser überblicken als von irgend einem anderen Zimmer aus.«
»Bitte! Sie sind Schloßcommandant. Die Belagerer haben sich zurückgezogen. Man wird das Schloß cerniren und nach weiteren Truppen senden.«
»Das steht zu erwarten; aber sie werden in der Ausführung dieses Vorhabens leider gestört werden. Hören Sie das Pferdegetrappel im Parterre?«
»Ja. Sie werden doch nicht –«
Der General blickte den Rittmeister erschrocken an.
»Was, Excellenz?« fragte dieser.
»Sie werden doch nicht einen Ausfall machen?«
»Gewiß werde ich das.«
»Welch ein Wagniß! Sie dürfen die Deckung, welche Sie hier finden, nicht aufgeben!«
»Warum nicht? Ah! Excellenz, da drüben!«
Er deutete mit der Hand durch das Fenster. Der General blickte hinüber.
»Bei Gott! Preußische Ulanen!«
»Gardeulanen! Die tête läßt sich ganz vorsichtig erblicken. Jetzt ist meine Zeit gekommen. Ich muß die Aufmerksamkeit des Feindes auf mich lenken, damit Königsau sich unbemerkt nahen kann. Auf Wiedersehen!«
Er eilte fort, hinab.
»Gott, mein Gott!« klagte der General. »Und ich darf unseren Gardereitern kein Zeichen geben! Es will mir das Herz abdrücken!«
Da schmetterte ein Signal durch die Räume des Hauses.
»Was bedeutet das?« fragte Ella.
»Ein preußisches Signal,« antwortete der General. »Es wird wohl heißen sollen: fertig zur Attacke! Ich weiß es nicht genau.«
»Unsere Reiter erstaunen. Sie blicken alle nach dem Schloßthore!«
»Dieser Rittmeister ist wahrhaftig so tollkühn, das Thor öffnen zu lassen. Ich glaube gar, er hat seine Husaren im Inneren des Hauses aufsitzen lassen. Hört!«
Von drüben her, wo die Franzosen hielten, hörte man ein schallendes Gelächter. Die Dragoner und Kürassiere machten Front gegen den Eingang des Schlosses und nahmen die Carabiner auf.
»Die Husaren sind verloren, wenn sie jetzt wirklich die Attacke ausführen!« sagte der General.
Ella legte die Hände auf die Brust.
»Herrgott, wende das ab!« flüsterte sie.
Drüben, wo Oberst Rallion hielt, ertönten laute Commandorufe. Seine Gardereiter dehnten sich aus. Das vordere Glied legte das Gewehr im Knieen an, und das hintere Glied zielte im Stehen. So erwarteten sie die Husaren, welche aber nicht so dumm waren, im Vordergrunde des Flures zu erscheinen.
»Jetzt, im nächsten Augenblicke werden unsere Reiter Feuer geben!« sagte der General. »Und heiliger Himmel! Da drüben, da drüben!«
Er deutete nach dem Waldesrande hinüber, den ihre Augen in den letzten Minuten vernachlässigt hatten. Dort debouchirten die Ulanen hervor, nahmen Front und – voran die Officiere, von denen Einer, nämlich Königsau, den Degen schwenkte; sie kamen herangedonnert, erst im Trab, dann im Galopp, und dann in voller, sausender Carriere.
Das war so schnell gegangen, daß die Franzosen gar nichts bemerkt hatten. Jetzt, da der Boden unter den Hufen der feindlichen Rosse erdröhnte, wendeten sie die Köpfe.
»Hurrah! Hurrah! Preußen hoch!«
Mit diesem Rufe waren sie da, die braven Ulanen. Wie ein Wettersturm brachen sie in den Feind herein.
»Hurrah! Hurrah! Preußen hoch!«
So ertönte es auch vom Schlosse her. Durch das geöffnete Portal drangen die Husaren. Mit hoch geschwungenem Säbel stürzten sie sich von dieser Seite her auf die Franzosen.
»Herr, mein Heiland!« stöhnte Mama Melac. »Das kann ich nicht ersehen!«
»Herrlich, herrlich!«
Dieser Ruf entfuhr dem Munde des Generals. Er konnte nichts dafür, er mußte dem Feinde Bewunderung zollen.
Die Anführer der Gardereiter hatten sich bisher ziemlich fern gehalten, so daß ihre Gesichtszüge nicht zu unterscheiden gewesen waren. Und da Rittmeister von Hohenthal nichts über die Unterredung des Parlamentärs mit dem Obersten Rallion geäußert hatte, so wußte Marion gar nicht, wer Diejenigen eigentlich waren, die in das Schloß dringen wollten.
Sie hatte wohl bemerkt, daß sich ein Civilist bei den Officieren befand und daß dieser ein alter Herr sein müsse. Jetzt, als die Ulanen herangestürmt kamen und die Franzosen diesen unerwarteten Feind bemerkten, gab der Alte seinem Pferde die Sporen und riß es plötzlich zur Seite. Es stieg in die Höhe und galoppirte dem entgegengesetzten Theile des Waldes zu. Hierbei sah der Alte voller Angst zurück, so daß Marion sein Gesicht erkennen konnte.
»Himmel! Der Capitän!« rief sie aus.
»Welcher?« fragte Ella.
»Richemonte!«
»Dein Peiniger? Wo?«
»Dort – der Alte, welcher eben im Walde verschwindet!«
»So ist es auf Dich abgesehen gewesen!«
»Jedenfalls! Allen Heiligen sei Dank! Er ist fort!«
Die Attacke war auf das Glänzendste gelungen; aber die Uebermacht war doch zu groß. Die Franzosen wehrten sich wie die Teufel. Zuerst waren sie einfach überritten worden, wobei die Lanzen entsetzlich gewirkt hatten. Nun aber stellten sie sich zur Wehr. Sie ergriffen die ihnen entfallenen Carabiner, oder sie zogen blank. Es gelang ihnen zwar nicht, zu ihren Pferden zu gelangen, aber sie kämpften zu Fuße. Das Gefecht löste sich in Einzelkämpfe auf.
»Dort, der Oberst!« rief der alte General begeistert. »Er vertheidigt sich gegen zwei Husaren. Ein tüchtiger Fechter! Ah, wirklich, den kenne ich! Das ist Rallion!«
»Rallion?« fragte Marion.
»Ja, ja, gewiß! Jetzt erkenne ich ihn auch! Es war also wirklich auf mich abgesehen. Wie wird das enden!«
»Welcher mag denn wohl Königsau sein?« flüsterte ihr Ella zu.
»Der Anführer, welcher voranritt!« antwortete sie.
»Wo ist er?«
»Der Anführer?« fragte der General. »Da ist er, mitten im Knäuel drin. Er trägt die Abzeichen eines Majors. Mille tonnerres ist das ein Kerl! Seht, wie er mit dem Säbel umzugehen versteht! In der Rechten den Degen, und in der Linken den Revolver!«
Marion faltete die Hände. Sie sah ihn; sie stieß einen lauten Angstschrei aus.
»Herrgott!« rief sie. »Er ist verloren!«
Ein Dragoner hatte sich von hinten an das Pferd Königsaus gedrängt und holte mit dem Säbel aus. Der Major aber bemerkte es, drehte sich um und schoß ihm eine Kugel durch den Kopf.
»Gerettet!« stöhnte Marion.
»Er läßt sein Pferd steigen!« rief der General. »Da, da bekommt er Hilfe! Ein Lieutenant, ein riesiger Kerl, mit noch Mehreren! Alle Teufel, hauen die zu!«
»Rallion ist seine beiden Husaren noch nicht los!« bemerkte Ella jetzt, indem sie auf den Genannten deutete. »Paß auf, Marion! Der feindliche Ulanenmajor hat ihn erblickt. Er fegt auf ihn zu. Sieh, er ruft den Husaren etwas zu. Sie lassen von dem Obersten ab. Der Major will ihn für sich allein haben! Die Anführer im Kampfe mit einander!
»Ich brenne vor Begierde!« rief Latreau.
Sie hatten die Worte Königsaus nicht hören können. Diesem war es bis jetzt noch nicht gelungen, an Rallion zu kommen. Er hatte sich mitten im Kampfesgewühl befunden. Jetzt aber, da er mit Hilfe Fritzens, den der General als den ›riesigen Kerl‹ bezeichnet hatte, seine Dränger losgeworden war, spornte er sein Pferd auf ihn zu.
»Halt! Zurück! Dieser gehört mir!« herrschte er den beiden Husaren zu.
Sie wendeten sich sofort von Rallion ab und suchten sich andere Arbeit. Der Oberst erblickte jetzt den neuen Feind.
»Heiliges Donnerwetter!« rief er. »Wer ist denn das?«
»Ich hoffe, Sie kennen mich!«
»Doctor Müller!«
»Oder ein Anderer!«
»Ah, ich weiß! Königsau! Verdammt! Fahre zum Teufel, verfluchter Hallunke!«
Er drängte sein Pferd an dasjenige seines Feindes, holte zum fürchterlichen Hiebe aus, gab aber eine Finte und modulirte zum tödtlichen Stoße. Königsau aber war ihm überlegen; er parirte glücklich.
»Geh voran! Andere mögen Dir folgen!«
Mit diesen Worten richtete er sich in den Bügeln auf. Ein Hieb aus hoher Luft – Rallion sank mit gespaltenem Kopfe vom Pferde.
Droben im Dachzimmer ertönte ein lauter, mehrstimmiger Schrei.
»Ein fürchterlicher Mann!« stieß der General hervor.
»Rallion ist todt!« fügte Marion hinzu.
Sie athmete tief auf und ließ den Kopf ermattet auf die Schulter Ella's sinken, welche selbst an allen Gliedern zitterte, da sie im tiefsten Herzen für den Rittmeister Hohenthal bangte, welcher die Gefahr förmlich aufzusuchen schien.
»Ich kann nicht mehr!« stöhnte sie.
»Ja, es ist zu viel!« stimmte Marion bei. »Das werde ich nie, nie, niemals vergessen!«
Beide wendeten sich vom Fenster ab. Mama Melac war längst in einen Stuhl gesunken, der in einer Ecke stand. Auch der General fühlte sich angegriffen. Er wischte sich den rinnenden Schweiß von der Stirn und sagte:
»Gehen wir wieder in unser Zimmer. Hier ist es zu fürchterlich, besonders für Euch! Sie folgten seinen Worten.
Als Königsau den Obersten niedergeschlagen hatte, wendete er sein Pferd wieder zurück. Er sah den Rittmeister bedrängt und eilte ihm zu Hilfe. Er hatte bisher noch gar keine Gelegenheit gehabt, ihn näher zu sehen.
»Was!« rief er nun. »Arthur, Du?«
»Ja, ich! Komm! Hauen wir diese Kerls in Kochstücke! Sie sind wie die Wespen!«
Aber die schwerste Arbeit war bereits gethan. Noch eine kurze Zeit, und der Sieg war errungen – zwei Schwadronen leichter Reiter gegen diesen überlegenen Feind! Und glücklicher Weise war der Sieg gar nicht theuer bezahlt worden.
Gleich anfangs hatte sich eine kleine Abtheilung der Ulanen auf diejenigen Franzosen geworfen, denen die Pferde anvertraut waren. Dieser Coup war gelungen.
Niedergeritten, niedergestochen und niedergesäbelt, hatten die Feinde es nicht vermocht, wieder zu ihren Thieren zu kommen. Wer nicht todt war, der war gefangen, und nur Wenigen war es geglückt, zu entkommen.
Königsau und Hohenthal schüttelten einander die Hände.
»Das war Hilfe zur rechten Zeit!« meinte der Letztere. »Wie aber wußtest Du, daß ich hier belagert wurde?«
»Kein Wort wußte ich davon!«
»Nicht? Und kommst doch nach Malineau! Jedenfalls wohl aus reinem Zufalle?«
»Nein. Ich komme von Ortry, wo ich erfuhr, daß der Kapitän nach hier wollte, um Marion zu holen. Ich glaubte Franctireurs zu treffen, nicht aber Dich.«
»O, diese Kerls habe ich gezüchtigt. Ich habe eine tüchtige Zahl gefangen genommen.«
»Marion ist doch da?«
»Ja.«
»Ist sie wohl?«
»Gewiß. Ich erkannte Dich, als Du da drüben hinter dem Reisig stecktest. Sie stand bei mir, und ich sagte ihr, daß Herr von Königsau mich befreien werde.«
»Was sagte sie?«
»Nichts. Aber ich sah, daß sie erbleichte –«
»Ich muß zu ihr!«
»Bitte, nicht so stürmisch! Du kannst Dir denken, daß ich dabei sein möchte. Uebrigens haben wir zunächst hier unsere Pflicht zu thun. Wir müssen tabula rasa machen und dann die weiteren Schritte berathen. Doch, wo ist der Capitän?«
»Entkommen, wie es scheint.«
»Verdammt!«
»Ich hatte das Auge fest auf ihn; aber, er uns sehen und im Galopp fliehen, das war Eins. Doch habe ich einige Ulanen auf seine Spur gebracht. Sie sind ihm nach.«
Und nicht weit von diesen Beiden hielten noch zwei Andere neben einander, nämlich Fritz und Martin Tannert. Als dieser Letztere den Ersteren erblickte, machte er möglichst große Augen und rief:
»Ist's möglich, Fritz?«
»Daß ich hier bin?«
»Nein, das nicht. Aber, Donnerwetter! Epauletten!«
»Thut nichts zur Sache!«
»O, das thut sogar sehr viel, denke ich!«
»Du wirst Dir sie auch holen.«
»Schwerlich! Was will ich mit ihnen machen! Na, gratulire von Herzen!«
Die Bewohner des Schlosses hatten sich, wie bereits gemeldet, in ein Zimmer zurückgezogen, von welchem aus sie vor dem Anblicke des Kampfplatzes bewahrt blieben. Sie verhielten sich vollständig passiv und warteten der Dinge, die nun kommen würden.
Da endlich trat Hohenthal ein.
»Entschuldigung, Excellenz,« sagte er, »daß ich Sie versäumte. Es galt zunächst, unsere Pflicht zu thun.«
Ella's Augen waren ängstlich auf ihn gerichtet, ob er vielleicht verwundet sei. Er bemerkte dies und fühlte sich ganz glücklich über diese Sorge.
»Sie sind Sieger, wie ich bemerkt habe,« antwortete Latreau. »Hoffentlich gab es nicht zu viele Opfer!«
»Wir sind sehr glücklich davongekommen. Leider aber ist dies mit unserem Gegner nicht der Fall!«
»Man muß es tragen!«
Er blickte dabei traurig, schmerzvoll vor sich nieder.
»Sie dürfen meiner Versicherung glauben, daß ich nicht ein Freund roher Gewaltthätigkeiten bin; aber man muß thun, was die strenge Pflicht gebietet.«
»Sie haben Gefangene?«
»Zahlreiche.«
»Was thun Sie mit ihnen?«
»Sie befinden sich im Keller bei den Franctireurs. Wir werden sie abzuliefern haben.«
»Wie viel hat es Todte gegeben?«
»Wir haben noch nicht gezählt. Uebrigens wird man in Beziehung auf sie noch Bestimmung treffen.«
»Aber eine Frage gestatten Sie wohl noch! Wird Schloß Malineau besetzt bleiben?«
»Darüber habe ich noch mit Herrn Major von Königsau zu sprechen. Er steht einen Grad höher, und so muß ich ihm das Commando abtreten.«
»Wo befindet sich dieser Herr?«
»Er wird baldigst um die Erlaubniß bitten, sich Ihnen vorzustellen. Vor allen Dingen hatte er die nothwendigen Dispositionen zu treffen, welche sich auf unsere Sicherheit und Anderes beziehen.«
»Wie ich bemerkte, befand Oberst Rallion sich bei den Truppen, von denen Sie angegriffen wurden?«
»Ja. Er hatte einen Capitän Richemonte bei sich. Beide beabsichtigten, sich des Fräuleins von Sainte-Marie zu bemächtigen. Sie sagten dies dem Offizier, welchen ich zu ihnen sandte; ich aber hielt es für gerathen, es zu verschweigen, bis die Gefahr vorüber sei.«
»Also wieder Retter gewesen!«
»O nein. Diesesmal hatte ein Anderer dieses Amt übernommen, nämlich – ah, da kommt er ja! Meine Herrschaften, gestatten Sie mir, Ihnen meinen Kameraden, Herrn Major von Königsau, vorzustellen.«
Richardt war eingetreten. Er begrüßte die Anwesenden mit einem militärischen Honneur, wartete, bis ihm die Namen genannt worden waren, und wendete sich dann an den General:
»Ich habe um Verzeihung zu bitten, Excellenz, daß ich durch die Verhältnisse gezwungen bin, meinen Eintritt hier auf eine Weise zu halten, welche nicht die gewöhnliche ist. Hoffentlich ist es uns von den Umständen gestattet, Sie baldigst von der Anwesenheit ungebetener Gäste zu befreien.«
»Sie sind zwar ungeladen, aber nicht unwillkommen. Ich bin zwar Offizier, aber nicht mehr activer Militär und werde Sie nicht hindern, Ihre Pflicht zu thun.«
Marions Augen waren auf Königsau gerichtet, als ob sie ein Gespenst erblicke, groß, offen und mit einem Ausdrucke, welchen man Angst hätte nennen mögen. Sie zitterte, und ihr Gesicht war so blaß wie dasjenige einer Leiche.
Königsau that, als ob er dies nicht bemerke, und gab der Unterhaltung eine allgemeine Richtung. Als sie sich aber dann von ihrem Sitze erhob und, wie ganz ermüdet, hinauswankte, konnte er es doch nicht aushalten. Als sie bereits sich unter der Thüre befand, sagte er in bittendem Tone:
»Fräulein de Sainte-Marie, bitte! Es giebt in meiner Schwadron Einen, welcher behauptet, Sie zu kennen. Er wünscht, Ihnen vorgestellt zu werden. Gestatten Sie dies vielleicht?«
Sie hatte sich umgedreht und fragte:
»Wie ist sein Name, Herr Major?«
»Goldberg. Er ist ein Sohn des Generals der Infanterie, Graf Kunz von Goldberg.«
»Ich erinnere mich nicht, einen Herrn dieses Namens zu kennen.«
»Vielleicht doch! Er behauptet, Grüße nach Ortry mitgebracht zu haben, ist auch vorgestern dort gewesen, hat aber nicht die Ehre gehabt, Sie zu treffen.«
»Grüße? Von wem?«
»Von Fräulein Nanon Köhler, welche allerdings, wie er mir mittheilte, jetzt einen anderen Namen trägt.«
Da rötheten sich ihre Wangen.
»Von Nanon?« sagte sie. »O, bitte, lassen Sie diesen Herrn zu uns kommen!«
»Sogleich!«
Er trat an das Fenster, öffnete dasselbe und rief hinab:
»Piquet, der Herr Lieutenant von Goldberg wird gebeten, zu mir zu kommen.«
Der Genannte schien bereit gestanden zu haben, denn kaum war der Befehl erklungen, so öffnete sich die Thür und der ›riesige Kerl‹ trat ein.
»Dieser Herr ist es,« stellte Königsau vor.
Marion hatte sich nicht wieder gesetzt. Sie stand noch in der Nähe der Thüre. Als sie Fritzens Gesicht erblickte, fuhr sie fast erschrocken zurück.
»Mein Gott!« sagte sie – »das ist ja – –!«
Er schlug die Sporen zusammen und sagte, die Hand zum Salut erhebend:
»Zu Befehl – der Pflanzensammler Schneeberg.«
»Ist's möglich – ist's – –«
Sie stockte. Sie blickte rathlos um sich. Sie hatte diesen Mann bei Doctor Müller gesehen. Jetzt befand er sich bei Königsau. Sie konnte den Gedanken gar nicht erfassen.
»Ja,« meinte der Major lächelnd. »Der Herr Lieutenant hat in der Gegend von Thionville ein Wenig Maskerade gespielt. Werden Sie es ihm verzeihen, gnädiges Fräulein?«
»Verzeihen? Ich habe ja nicht das Recht, über ihn zu richten,« stammelte sie.
Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen.
»Dann darf ich die Hoffnung hegen, daß Sie auch einem Anderen verzeihen werden, welcher ebenso gezwungen war, seinen eigentlichen Namen zu verbergen.«
Da schoß eine tiefe, tiefe Röthe in ihr Gesicht.
»Was sagen Sie? Was ist's? Ist's möglich!«
Er hielt ihre Hand noch immer fest.
»Ich meine mich,« sagte er.
»Sie – Sie – sind, Sie waren – Gott, Sie waren Doctor Müller?«
»Ja, gnädiges Fräulein. Werden Sie mir verzeihen?«
»Gott! Gott! – Ella!«
Sie streckte die Arme aus. Ihr schwindelte. Sie wankte und sank der herbei eilenden Freundin an die Brust. Diese führte sie fort, damit sie sich erholen könne.
Als Ella dann nach einiger Zeit zurückkehrte, trat der Major ihr draußen auf dem Corridore entgegen.
»Bitte, gnädigste Comtesse, hat sie sich beruhigt?«
»Ja, Sie Böser, Unvorsichtiger!«
»Wo befindet sie sich?«
»Dort im hintersten Gemache, welches die Franctireurs am Wenigsten zerstört haben.«
»Zürnt sie mir?«
»Ich – ich weiß es nicht. Fragen Sie die Aermste selbst!«
Er ging und klopfte an der bezeichneten Thür an. Ein halblautes »Herein« ertönte, und er öffnete.
Sie saß auf dem Sopha, das Köpfchen in die Hände gestützt.
Er zog die Thür hinter sich zu und fragte:
»Darf ich?«
Sie gab ihm einen langen, langen Blick entgegen und antwortete:
»Sie sind Commandant dieses Schlosses, Niemand darf Ihnen den Zutritt versagen!«
»Und doch gehe ich sofort, wenn meine Gegenwart Ihnen wehe thut.«
Und als sie nicht antwortete, trat er näher und fragte:
»Soll ich bleiben oder gehen?«
»Bleiben Sie!« flüsterte sie erröthend.
Da ließ er sich an ihrer Seite nieder und sagte:
»Marion, ich konnte nicht anders; es ist mir schwer, sehr schwer geworden, aber ich durfte nicht anders. Wollen Sie mir Ihre Hand geben, zum Zeichen, daß Sie mir verzeihen?«
»Hier, Herr – – Doctor!«
Sie lächelte dabei, halb glücklich und halb wehmüthig.
»Verzeihen macht Freude, Marion. Sie aber sind traurig. Und doch möchte ich in Ihren Augen ein freudiges Licht sehen, welches mich so glücklich machen würde!«
Da legte sie ihr Köpfchen an seine Brust und weinte. Er zog sie noch inniger an sich.
»Marion!«
»Richardt!«
»Warum bist Du traurig?«
»Weil Du mir kein Vertrauen geschenkt hast!«
»Ich war nicht als Privatperson in Ortry. Ich mußte mein Geheimniß wahren, selbst vor Dir. Ich durfte Dir nichts sagen, obgleich ich so unendlich glücklich war, Dich gefunden zu haben.«
Da ging es wie heller Sonnenschein über ihr Gesicht.
»So hättest Du mich gesucht?« fragte sie.
»Ja. Ich hatte Dich ja in Dresden gesehen, auf der Straße nach Blasewitz, im Vorüberreiten. Es war nur einen Augenblick lang, daß ich Dich erblickte, aber Deine Züge waren mir doch unauslöschlich in das Herz geschrieben. Ich fühlte, daß ich Dein sein müsse, daß ich nur Dein sein könne, und doch warst Du mir so unbekannt wie ein Stern, den man am Himmel niederfallen sieht. Du freilich kanntest wenigstens meinen Namen.«
»Ich?«
»Ja.«
»Du vermuthest das?«
Sie war glühend erröthet. Er drückte sie liebevoll an sich um sagte:
»Sollte Dir der Photograph nicht den Namen gesagt haben?«
Da barg sie ihr Angesicht noch tiefer an seiner Brust und antwortete leise:
»Ja, er sagte mir ihn.«
»Nun, Gott hat es gewollt, daß ich Dich wieder fand – doch als Braut eines Andern.«
»Dem ich niemals angehört haben würde. Du trugst mich aus dem Sturm und aus den Wassern. Ich war Dein.«
»Aber ich war Doctor Müller, als ich Dich an das Land getragen hatte.«
»Ich liebte dennoch den Mann, der so kühn, so kenntniß- und gemüthvoll war!«
»O weh!«
»Was?«
»Der arme Major Königsau!«
Da schlug sie die Arme um seinen Nacken und sagte:
»Gott sei Dank, daß es so gekommen ist! Ja, ich wäre Müllers Frau geworden, gern, von Herzen gern; aber jene Begegnung in Dresden hätte ich doch nie vergessen.«
»Ich danke Dir. Also ich darf Dir sagen, wie lieb, wie unendlich lieb ich Dich habe?«
»Ja, Richardt.«
»Und Du willst mir gehören, willst bei mir sein und für immerdar, meine Marion?«
»Ich bin Dein Eigen; ich kann ohne Dich nicht sein!«
»So segne Dich der Herrgott tausend und abertausend Male. Dieses Wort giebt meinem Herzen eine Fülle unendlichen Glückes! Und nie hätte ich gedacht, in Ortry, dem Wohnsitze unseres Todfeindes, ein solches zu finden.«
»Todfeind?«
»Ja. Erinnerst Du Dich jener Familie, von welcher ich Dir erzählte, als wir mit einander im Steinbruche saßen?«
»Ja; der Capitän hat sie um all ihr Glück gebracht.«
»Es ist die Familie Königsau, die meinige.«
»O Himmel! Nie kann ich gut machen, was er an Euch verbrochen hat! Und heute wollte er mich zwingen, mit ihm von hier fortzugehen.«
»Ich wußte es, daher kam ich.«
»Du? Du wußtest es?«
»Ja. Ich war bei ihm in Ortry.«
»Wie ist es jetzt dort?«
»Das Schloß befindet sich in unseren Händen. Alle Verschwörer sind unsere Gefangenen und – doch das weißt Du nicht, und ich werde es Dir später erzählen. Jetzt denke ich daran, daß Du den braven Pflanzensammler gar nicht nach den Grüßen gefragt hast, die er Dir zu bringen hat.«
»Er ist – Nanons Verlobter?«
»Ja. Er ist Nanons Verlobter und Graf Lemarchs Bruder. Du kennst ja den Grafen.«
»Lemarch's Bruder? Wie ist das möglich?«
»Auch das werde ich Dir später erklären, meine süße Marion. Jetzt möchte ich nichts erzählen und nichts sagen. Jetzt möchte ich nur Dir in Deine herrlichen, klaren Augen blicken und –«
Er hielt inne und blickte ihr mit herzlicher Innigkeit in das glücklich lächelnde Angesicht.
»Und –« fragte sie.
»Und das hier machen!«
Er legte seine Lippen auf ihren Mund. Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn noch inniger an sich.
»Richardt, mein Richardt! Wie glücklich, wie selig bin ich! Ich habe nicht gedacht, daß das Menschenherz eine solche Wonne zu fassen vermöge.«
»Ja, es ist ein großes, großes Glück. Wir Alle haben viel, sehr viel gelitten, und es ist eine Gnade von Gott, daß er das Herzeleid nun endlich in Freude kehrt. Wie lieb, wie herzlich lieb werde ich Deine Mutter haben! Wo befindet sie sich? Ich sah sie noch nicht!«
»Sie war bei uns, bis Du mit den Deinen erschienst. Dann hat sie ihr Zimmer aufgesucht. Wenn Du sie liebst, werde ich doppelt glücklich sein. Aber die Deinen! Was werden sie sagen, wenn sie erfahren, daß gerade ich Dein Herz besitze?«
»Sie werden sich freuen. Meine Schwester kennt Dich bereits und hat Dich tief in ihr Herz geschlossen.«
»Deine Schwester?«
»Ja.«
»Wie heißt sie?«
»Emma.«
»Und Du sagst, daß sie mich kenne?«
»Gewiß. Sie hat Dich gesehen!«
»Wo?«
»In Thionville und Ortry.«
»Unmöglich!«
»O doch! Du hast sogar mit ihr gesprochen, und sie hofft, daß Du sie auch ein klein Wenig lieb haben werdest.«
»Aber Richardt, ich besinne mich nicht im Mindesten.«
»Bedenke, daß ich incognito bei Euch war!«
»Ah, sie war also auch –?«
»Incognito!« nickte er lächelnd.
»Unter welchem Namen?«
»Miß de Lissa.«
»Mein Gott! Diese ist Deine Schwester?«
»Ja. Ich hatte ihr voller Glück geschrieben, daß ich meine einzige, wahre Liebe gefunden habe. Das trieb sie herbei, sie wollte Dich kennen lernen. Sie lernte Dich nicht nur kennen, sondern auch lieben von ganzem Herzen.«
»Richardt, wie wunderbar! Wie unendlich glücklich machst Du mich! Ich habe sie so lieb!«
Da klopfte es leise, und die Thür wurde ein wenig geöffnet.
»Darf ich stören?« fragte Ella.
»Ja. Komm, komm!«
Bei diesen Worten sprang Marion auf und eilte ihr entgegen.
»Verzeihung!« sagte die schöne Comtesse. »Aber, Herr Major, Sie werden gesucht.«
»Wo?«
»Im vorderen Zimmer.«
Er begab sich vor und fand einen der Ulanen, welche er dem Capitän nachgeschickt hatte.
»Zurück von der Verfolgung!« meldete er.
»Aber nicht gefangen?«
»Nein.«
»So ist er leider hin!«
»Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister, nein!«
»Wie? Nicht?«
»Er kommt wieder zurück.«
»Selbst? Freiwillig?«
»Ja.«
»Was? So kommt er nicht allein!«
»Mit einer Truppe afrikanischer Reiter.«
»Spahis?«
»Ja, so heißen sie.«
»Erzähle!«
»Wir konnten dem Alten nicht auf die Fersen kommen. Er hatte einen großen Vorsprung, und wir kannten ja die Gegend nicht, daß wir ihm den Weg hätten abschneiden können. Aber seine Spur fanden wir. Sein Pferd hatte im Galopp den Waldboden so sehr aufgerissen, daß wir gar nicht irren konnten. Wir folgten ihm durch verschiedene Waldwege, dann hinaus auf das Feld. Es ging, wie ich aus meiner kleinen Karte bemerkte, auf Samognieux zu. Wir kamen wieder in einen Wald, welcher sich über eine Höhe zog. Oben angekommen, so daß wir das Thal überblicken konnten, bemerkten wir einen Zug Spahis, der uns gerade entgegenkam. Auf ihn traf der Alte. Wir sahen deutlich, daß er mit dem Anführer sprach und dann mit ihnen umkehrte.«
»So führt er sie hierher?«
»Ja. Wir jagten schleunigst zurück, um von ihnen in offener Gegend nicht gesehen zu werden. Nicht weit von hier, jenseits des Waldes, sahen wir sie im Hintergrunde der Gegend von der Höhe herabreiten.«
»Konntet Ihr sie zählen?«
»Nein. Aber einige Hundert sind es.«
»Hm! Wie weit von hier darf man sie jetzt noch schätzen?«
»Sie können in einer halben Stunde da sein.«
»Schön! Fertig?«
»Fertig!«
»Abtreten!«
Der Ulane ging. Der General hatte diese Unterhaltung oder vielmehr Meldung mit angehört. Er fragte:
»Herr Major, was werden Sie thun?«
»Hier bleiben!«
»Ich darf mir nicht zumuthen, auf Ihre Entschließungen bestimmend einzuwirken; aber meinen Sie nicht, daß Sie sich in Gefahr begeben?«
»Ich habe jetzt nur zu bedenken, daß ich die Bewohner des Schlosses nicht gewissen Eventualitäten preisgeben darf. Uebrigens scheint Schloß Ortry bestimmt zu sein, kriegerische Wichtigkeit zu erlangen. Der Kronprinz von Preußen befindet sich weit im Westen von hier. Wenn ein feindlicher Truppenkörper sich unserer Verbindungslinie nähert, muß das eine gewisse Veranlassung haben, die ich kennen lernen möchte.«
»Aber es wird wieder zum Kampfe kommen.«
»Möglich.«
»Ihre Kräfte sind geschwächt. Die zersprengten Franctireurs und Gardereiter können sich sammeln und mit den Spahis den Angriff erneuern!«
»Wir werden sie empfangen.«
»Ganz gewiß!« meinte Hohenthal. »Ich bin noch nicht veranlaßt worden, Dir zu sagen, daß ich Verstärkung erwarte.«
»Woher?«
»Aus Tronville. Ich sandte zwei Boten ab, als ich von der Ankunft der Gardereiter hörte.«
»Sehr schön. Wann können diese Leute kommen?«
»Vielleicht bereits am Abende, jedenfalls aber noch während der Nacht.«
»Nun, so ist ja ganz und gar nichts zu befürchten. Die Sonne ist hinab; in einer Viertelstunde ist es dunkel. Die Außenposten sind bezogen und werden den Spahis beweisen, daß wir auf unserer Hut sind. Das Weitere werden wir ruhig abwarten.«
Er traf seine Vorkehrungen, und diese erwiesen sich als ganz vortrefflich.
Es war kaum dunkel geworden, so hörte man auf der Seite, von welcher der Feind erwartet wurde, ein ziemlich lebhaftes Gewehrfeuer, und es kam die Meldung, daß die Spahis versucht hätten, sich dem Schlosse zu nähern. Als aber das Feuer auf sie eröffnet wurde, zogen sie sich zurück.
Sie versuchten es dann auf der anderen Seite, doch auch da waren die Deutschen wachsam. Man hörte bald hier, bald dort einen Schuß fallen. Königsau, dessen Vorposten einen Kreis um das Schloß bildeten, zog dieselben mehr an sich, um keine Lücken zu bilden, zwischen denen die Angreifer einzudringen vermochten. Die Spahis folgten, und als später der Major recognosciren ging, konnte er sich überzeugen, daß außerhalb seiner Vorposten sich ein feindlicher Vorpostenkreis gebildet hatte, der es ihm unmöglich machen sollte, zu entkommen.
Es fiel ihm gar nicht ein, an Flucht zu denken, vielmehr freute er sich darüber, daß der Feind ihn hier festhalten wolle. Die Verstärkung war ihm ja von Hohenthal als ganz bestimmt in Aussicht gestellt worden.
Es gab keinen Mondschein, und man vermochte selbst im freien Felde kaum einige Schritte weit zu sehen. Hinter dem Dorfe zogen sich ein Erbsen- und ein Kartoffelfeld neben einander hin. Sie waren durch einen mit Gras bewachsenen Rain von einander getrennt. Ein aufmerksamer Beobachter hätte, wenn er sich in der Nähe befand, hier eine Bewegung bemerken können. Zwei menschliche Körper schoben sich mit äußerster Vorsicht längs des Raines hin.
Da fiel vom Walde her ein Schuß.
»Wieder einer!« flüsterte eine der beiden Gestalten.
Der, welcher voran kroch, hielt inne, richtete den Kopf zurück und antwortete ebenso leise:
»Es ist ganz gewiß so, wie ich sagte, unsere Husaren sind eingeschlossen. Nicht?«
»Ganz meine Meinung, Herr Feldwebel.«
»Schön! Aber mir sollen sie doch keinen Riegel vorschieben; das ist so gewiß wie Pudding. Vorwärts!«
Sie verfolgten ihre Richtung, bis sie an das Ende des Raines gelangten. Dieser stieß an den Wald.
»Jetzt links am Waldesrande hinauf!« kommandirte der, welcher Feldwebel genannt worden war.
Er war von sehr kurzer, außerordentlich dicker Gestalt, schien aber trotzdem eine ungemeine Behendigkeit zu besitzen.
Es dauerte eine ziemliche Weile, bis der Wald eine Spitze bildete, hinter welcher sich eine Straße vom Schlosse her verlor. Es war dieselbe, auf welcher heute Oberst von Rallion mit seinen Gardereitern gekommen war. Eben waren die beiden Geheimnißvollen hier angekommen, so ließ sich der Hufschritt eines Pferdes vernehmen.
»Halt! Nicht weiter!« flüsterte der Dicke. »Ducke Dich ganz an die Erde; da sehen sie uns nicht.«
Das Geräusch kam näher.
»Es sind Leute dabei. Man hört es!« bemerkte der Andere mit ganz leiser Stimme.
»Dummkopf! Das versteht sich ganz von selbst, daß ein Pferd nicht allein spazieren geht! Schweige jetzt!«
Zwei Männer nahten. Einer hatte einen weißen Paletot umhängen. Der Andere war dunkel gekleidet und führte das Pferd am Zügel.
»So! Hier können Sie aufsteigen!« sagte der Erstere. »Die Vorpostenkette dieser verfluchten Deutschen zieht sich dort nach rechts hinüber. Hier nun merken sie also nicht, daß sich Jemand entfernt. Haben Sie den Brief gut versteckt? Das ist die Hauptsache.«
»Ja. Er steckt im Stiefelfutter.«
»Ganz wie bei mir. Mac Mahon ist ein Schlaukopf. Er gab mir zwei gleichlautende Schreiben. Kommt das eine nicht an das Ziel, so daß es vernichtet werden muß, so wird wenigstens das Andere in Bazaine's Hände kommen. Sie glauben also, daß sie den Weg zu ihm noch völlig frei finden?«
»Ganz bestimmt. Ich bin überzeugt, daß der Feind heute zurückgedrängt wurde. Und selbst, wenn das nicht der Fall wäre, so würde ich mich durchzufinden wissen.«
»Gerad deshalb vertraue ich Ihnen diesen einen Brief an. Sie kennen hier ja alle Wege. Also Sie wissen nicht, ob Oberst Rallion entkommen ist?«
»Nein. Ich war so klug, den Kampf gar nicht abzuwarten. Freilich hatte ich keine Ahnung, daß Sie, Oberst, so nahe seien.«
»Machen Sie sich keine Sorge. Wenn er gefangen ist, so werden ihn die Deutschen herausgeben müssen. Mit Tagesanbruch greife ich den Feind an; dann setze ich den Ritt weiter fort, um den Brief zu übergeben. Jetzt, gute Nacht, Herr Capitain!«
»Gute Nacht, Oberst!«
Der Reiter stieg auf; ehe er aber fortritt, meinte er:
»Und Sie halten Wort in Beziehung auf das Mädchen?«
»Gewiß.«
»Sie liefern es ab?«
»Ich gab Ihnen mein Wort. Diese Mademoiselle de Sainte-Marie werde ich mir nicht entgehen lassen!«
Der Weiße kehrte zurück, und der Reiter trabte der Straße entlang in den Wald hinein.
Die beiden Lauscher verhielten sich einige Minuten ganz ruhig. Dann flüsterte der Dicke:
»Verdammt! Den Kerl sollte ich kennen!«
»Nein. Der war ein afrikanischer Menschenfresser. Ich meine den Andern. Er wurde Capitain genannt und hatte ganz die Stimme eines Capitains, an dem ich meinen Narren gefressen habe. Also ein Brief von Mac Mahon an Bazaine! Sehr hübsch! Höre, hier wartest Du. Bin ich in zwei Stunden noch nicht wieder da, so haben sie mir den Kopf auf den Rücken gedreht und mich einbalsamirt. Dann schleichst Du Dich zurück und sagst, daß bei Tagesanbruch der Tanz losgehen soll.«
Er bewegte sich wie eine Schlange, immer an der Erde über die Straße hinüber. Es war, als ob er sich zeitlebens in dieser Fortbewegungsart geübt habe.
Drüben kam er wieder unter die Bäume und schwenkte links ab, in der Richtung des Schlosses. Bald erkannte er einen mattglänzenden Punkt vor sich.
»Schau! Da steht so ein Bärlappsamenhändler!« flüsterte er vor sich hin. »Der will Vorposten sein?!«
Er kroch weiter, kaum einige Schritte an dem Weißen vorüber. Sein Auge hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt, und so sah er nach einiger Zeit eine andere Gestalt, aber dunkel gekleidet, an einem Baume lehnen.
»Das ist ein Deutscher,« dachte er. »Will doch sehen, ob er mich merken wird!«
Ergab sich so außerordentliche Mühe, daß er auch hier nicht entdeckt wurde. Nun glaubte er, die Postenkette vollständig passirt zu haben. Darum erhob er sich und verfolgte seine Richtung gehend weiter. Er kam aus dem Walde hinaus. Da lag Reißig und Scheuholz. Noch war er nicht weit gekommen, so erklang es vor ihm:
»Halt! Werda!«
»Gut Freund!«
»Die Parole!«
»Unsinn! Ich kann doch gar nicht wissen, was Ihr hier für eine habt!«
»Also stehen bleiben, sonst schieße ich!«
»Schrei nicht so, Dummkopf! Die Franzmänner brauchen nicht zu wissen, daß ich da bin.«
»Schweigen, sonst schieße ich!«
»Verdammt! Ich habe nothwendig. Wann wirst Du abgelöst, Gevatter?«
»In fünf Minuten. Nun aber still, sonst schieße ich wirklich! Ich mache keinen Spaß.«
Der Dicke sah ein, daß er sich darein ergeben müsse. Er stand fünf lange Minuten lang auf derselben Stelle, während der Andere den Karabiner auf ihn gerichtet hielt. Endlich kam die Ablösung.
»Herr Sergeant, hier ein Spion!« meldete der Posten.
»Donnerwetter! Ist's wahr?«
»Ja. Er hat sich da vorn wirklich hereingeschlichen.«
»Schön, mein Bursche. Mit solchem Volke macht man kein Federlesens. Vorwärts, Anton!«
Mit diesem »Anton« war der Dicke gemeint. Er mußte in Reih und Glied treten und mitgehen. Er that dies, ohne nur eine Sylbe dagegen zu sagen.
Im Schlosse angekommen, wurde er dem Ulanenwachtmeister abgeliefert:
»Ein Spion, Herr Wachtmeister. Herr Oberwachtmeister von Königsau wird sich freuen.«
Als der Gefangene diesen Namen hörte, zuckte es lustig über sein fettes Gesicht.
»Mensch, wie heißen Sie?« fragte der Wachtmeister.
»Pudding!« lautete die Antwort.
»Hübscher Name! Was sind Sie?«
»Pudding.«
»Donnerwetter! Dick und fett genug sind Sie dazu. Aber Pudding heißen und Pudding sein! Wo sind Sie her?«
»Pudding.«
»Kerl, glauben Sie etwa, daß Sie sich im Casperletheater befinden? Hier handelt es sich um Leben oder Tod! Also, woher sind Sie?«
»Pudding!«
Kurz und gut die Frage konnte lauten, wie sie wollte, der Gefangene antwortete stets mit dem Worte Pudding. Der Wachtmeister gerieth in fürchterlichen Grimm und ging endlich, die Meldung zu machen. Zwei Mann mußten ihm den Gefangenen nachführen.
Die Herren Offiziere befanden sich mit den Bewohnern des Schlosses im Salon.
»Herr Oberwachtmeister, es ist ein Spion eingefangen!« lautete die Meldung.
»Ein Spion? Ah! Wann?«
»Vor fünf Minuten.«
»Wo?«
»Der Ulane Scheumann hat ihn festgehalten. Da hat er ganz gut Deutsch gesprochen. Auf meine Fragen antwortete er aber nur mit dem einen Worte Pudding.«
»Herein mit ihm!«
Die Thür öffnete sich, und die beiden Soldaten traten mit dem Gefangenen ein. Dieser marschirre in strammer Haltung auf Königsau zu, salutirte und sagte:
»Herr Oberwachtmeister, melde mich als Spion, durch die französischen Linien glücklich gekommen, von unsern Leuten aber fest genommen!«
»Schneffke!« sagte der Major erstaunt.
»Zu Befehl! Hieronymus Aurelius Schneffke, Thiermaler und Feldwebel der königlich preußischen Landwehr.«
»Wie kommen Sie hierher?«
»Auf meinem Bauche.«
»Das müssen Sie erzählen!«
»Zu Befehl!«
Zu dem Wachtmeister sagte Königsau:
»Dieser Mann ist kein Spion. Abtreten!«
Die Drei folgten diesem Befehle, indem sie sehr verdutzte Mienen zogen.
»Also, woher, lieber Schneffke?« fragte der Major.
»Aus Tronville. Der Herr Rittmeister von Hohenthal hat Verstärkung verlangt. An hoher Stelle vermuthet man Wichtiges; daher wurden zwei Schwadronen Husaren und zwei Compagnien Infanterie abgesandt, die Letztere natürlich per Wagen. Wir haben Etain besetzt, und ich bin mit einem Kameraden, welcher mich im Walde erwartet, vorgegangen, um dem Herrn Oberwachtmeister unsere Ankunft zu melden und mir etwaige Befehle zu erbitten.«
»Welch' eine Verwegenheit!«
»O, mir geschieht nichts. Höchstens falle ich einmal; weiter aber kann es nichts geben.«
»Es ist wirklich ein Wunder, daß Sie vom Feinde nicht bemerkt wurden. Je zwanzig Schritte ein Posten.«
»Ich bin zu dick, um gesehen zu werden. Ich passe in die heutige dicke Finsterniß.«
»Woher haben Sie denn diesen Anzug?«
»Ein dicker Lohgerber in Etain hat ihn herborgen müssen. Er ist mir viel zu enge. Aber, ich habe gehorsamst sehr Wichtiges zu melden.«
»Schießen Sie los!«
»Es ist ein Brief von Mac Mahon an Bazaine unterwegs, Herr Oberstwachtmeister.«
»Was Sie sagen!«
»Ja, oder vielmehr sogar zwei Briefe.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe es belauscht. Der eine der Briefe ist jetzt auf dem Wege nach Metz, und der andere befindet sich in dem Stiefelfutter des Obersten, der Sie belagert.«
»Ich hoffe nicht, daß Sie grad in diesem Augenblicke sich in spaßhafter Stimmung befinden!« .
»Herr Oberstwachtmeister, ich kenne meine Pflicht. Das ist so fest wie Pudding!«
»Erzählen Sie!«
Der dicke Thiermaler erstattete Bericht. Als er geendet hatte, fragte Königsau:
»Capitain wurde der Andere genannt?«
»Zu Befehl!«
»Und geflohen ist er bei unserm Angriffe?«
»Ja.«
»Sollte es etwa gar der alte Richemonte sein?«
»Jedenfalls.«
»Sie kennen den doch auch!«
»Werde ihn nicht vergessen. Habe ihn vorhin trotz der Dunkelheit erkannt, an der Stimme sogleich. Uebrigens hat er sich von dem Andern ausbedungen, daß dieser Fräulein de Sainte-Marie festnehmen und abliefern soll.«
»Wohin?«
»Das wurde nicht gesagt.«
»Hm! Eine neue Teufelei, die ihnen aber nicht gelingen soll! Wer commandirt Ihr Detachement?«
»Der Herr Major von Posicki.«
»Hat er Ihnen irgend Etwas anvertraut?«
»Nein. Ich habe mir Ihre Befehle zu erbitten.«
»Wann ist er disponibel?«
»An jedem Augenblick.«
»Getrauen Sie sich denn, wieder glücklich durchzuschlüpfen?«
»Ich denke, daß sie mich nicht bekommen werden.«
»Schön! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Muth Anerkennung findet. Sagen Sie dem Major, daß er noch während der Nacht den Feind umstellen soll. Mit Tagesanbruch werde ich angegriffen; dann befinden sich die Herren Spahis zwischen zwei Feuern. Haben Sie Hunger oder Durst?«
»Nein, danke! Aber eine Bitte habe ich.«
»Welche?«
»Darf ich, ehe ich aufbreche, zuvor erst einmal mit dem Beschließer Melac sprechen?«
»Hm! So, so! Ich habe nichts dagegen und gestatte Ihnen eine halbe Stunde. Sollte Herr Melac nicht zu finden sein, so wenden Sie sich an seine Tochter oder vielmehr Enkelin, Fräulein Marie Melac.«
»Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister!«
Er wendete sich ab und schritt steif und grad zur Thür hinaus. Unten würdigte er die Ulanen und Husaren keines Blickes. Er klopfte bei Melac an und hörte die Stimme Mariens antworten. Als er eintrat, sah er, daß Vater und Mutter zugegen waren; trotzdem aber stieß Marie einen lauten Freudenschrei aus und flog an seinen Hals.
Droben aber, im Salon, sagte der General, indem sich in seinem Gesichte ein eigenthümliches Lächeln zeigte:
»Es ist wirklich wunderbar, wie diese preußische Armee sich rekrutirt! Doctors der Philosophie werden Majors; Weinhändler werden Rittmeisters und Wachtmeisters, und aus dem dicksten Maler wird immer noch ein höchst brauchbarer Feldwebel der Landwehr.«
Die beiden Offiziere zuckten lächelnd die Achseln; sie wollten seine Vaterlandsliebe nicht noch mehr tangiren, als es so bereits geschehen war.
Der General zog sich später zurück und seine Tochter that dasselbe. Sie war aber noch nicht fünf Minuten lang in ihrem Zimmer, als es leise klopfte. Sie glaubte, daß es die Zofe sei und sagte »Herein«; erröthete aber bis in den Nacken herab, als sie Hohenthal erkannte.
»Gestatten Sie, Comtesse?« fragte er, unter der Thür stehen bleibend.
»Treten Sie näher!« antwortete sie, allerdings erst nach einer ziemlichen Weile.
Er zog die Thür hinter sich zu, blieb in ehrerbietiger Haltung an derselben stehen und sagte:
»Die gegenwärtigen Verhältnisse mögen mich entschuldigen, wenn ich es wage, unangemeldet bei Ihnen zu erscheinen, Comtesse!«
Sie war sehr ernst; das sah man ihr an.
»Der Vertheidiger dieses Hauses hat das Recht, Zutritt zu nehmen, wenn es ihm beliebt,« meinte sie. »Bitte, nehmen Sie Platz!«
Er setzte sich, und sie ging zu einem Sessel, der in weiter Entfernung von dem seinigen stand. Er mußte von dieser Absichtlichkeit Notiz nehmen. Er blickte einige Augenblicke lang wie verlegen vor sich nieder; dann begann er:
»Ich bin durch die Verhältnisse gezwungen gewesen, gegen Sie unwahr zu sein, gnädiges Fräulein. Es liegt mir sehr am Herzen, zu erfahren, ob Sie mir dies verzeihen können oder nicht.«
»Sie thaten Ihre Pflicht, oder vielmehr Sie gehorchten der Ihnen gewordenen Weisung!«
»So allerdings ist es gewesen. Darf ich also annehmen, daß Sie mir nicht zürnen?«
»Ich hätte kein Recht dazu.«
»Ich danke Ihnen! Ihre Freundlichkeit nimmt mir eine schwere Last vom Herzen. Sie haben mich für einen Franzosen gehalten und mich nun so plötzlich als einen Deutschen, als einen Feind Ihres Vaterlandes kennen gelernt. Es ist mir, als ob meine Gegenwart eine Beleidigung für Sie sein müsse, als ob ich die heilige Pflicht habe, Ihre Nähe für jetzt und für immer zu meiden, und doch ist mir das eine Unmöglichkeit. Ich stehe als Sieger in Feindes Land, und dennoch bin ich heute nicht siegesfroh. Comtesse, ich weiß nicht, ob ich morgen um diese Zeit noch unter den Lebenden weile; bitte, geben Sie mir ein Wort mit hinaus in den Kampf, ein Wort, welches mich glücklich machen wird!«
Er hatte sich wieder erhoben und sich ihr um einige Schritte genähert. Auch sie stand auf.
»Welches Wort meinen Sie?« fragte sie.
»Die Versicherung, daß Sie mich nicht als Ihren Feind betrachten.«
Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sie legte die ihrige hinein und versicherte:
»Sie waren mein Retter wiederholt; Sie können niemals mein Gegner sein.«
»Darf ich das wirklich glauben?«
»Ja.«
»Und wenn der Krieg beendet ist und die Erbitterung, welche den Deutschen von den Franzosen trennt, gewichen ist, darf ich dann, wenn ich in Ihre Nähe komme, Sie aufsuchen mit der Ueberzeugung, daß es zwischen uns Beiden nie nöthig war, Frieden zu schließen?«
»Kommen Sie, Herr Rittmeister. Sie werden mir und Papa stets willkommen sein!«
»Ich danke, danke Ihnen!«
Er zog ihr Händchen an seine Lippen und wendete sich ab, um zu gehen. Ihr Blick folgte ihm; es kam eine Angst über sie, als ob sie ihn verlieren werde, wenn sie ihn jetzt so gehen lasse. Aber, konnte sie ihn halten? Er hatte ja nur beinahe Gleichgiltiges gesagt!
Schon hatte er die Thür in der Hand. Da war es, als ob es mit einem kräftigen Rucke ihn herumdrehe. Sein Auge fiel auf sie; er sah das ihrige in voller Angst auf sich gerichtet. Da kehrte er rasch zurück, erfaßte ihre beiden Hände und fragte:
»Soll, muß ich so gehen, Comtesse?«
Was sollte sie antworten? Ihr Blick schimmerte feucht und feuchter zu ihm empor; eine Thräne hing sich an ihre Wimper. Da zog er sie an sich, legte die Hände auf ihr Haupt und sagte, beinahe selbst auch weinend:
»Herrgott! Wie lieb, wie unendlich lieb habe ich Sie, Ella! Ich könnte Sie vom Himmel herab holen, ich könnte tausend Leben für Sie opfern, wenn das möglich wäre! Wie selig war ich, wenn ich Sie in der Oper erblickte! Welche Wonne, wenn ich mir dachte, daß auch Sie vielleicht einmal an mich denken könnten! Es wäre mir kein Opfer und keine That zu groß, Sie zu erringen. Und nun ich vor Ihnen stehe, will es mir scheinen, daß ich doch bin, wofür ich mich nie gehalten habe – ein Feigling. Der Besitz, nach welchem ich meine Hand ausstrecken möchte, ist zu herrlich, zu köstlich für mich. Habe ich Recht, Ella?«
Sie antwortete nicht, aber sie legte ihren rechten Arm um ihn, ergriff mit der Linken seine Hand, blickte in inniger Liebe zu ihm auf und flüsterte dann:
»Arthur!«
Da zog er sie an sich und küßte sie, sich zu ihr niederbeugend, wieder und immer wieder auf den Mund.
»Ist's wahr?« fragte er jubelnd. »Du sagst meinen Namen? Du liebst mich?«
»So sehr!«
»Wirklich? Wahrhaftig?«
»Glaube es!«
»Dann sei der Tag gesegnet, an welchem ich in feindlicher Abwehr Dein Vaterland betrat! Du sollst ein anderes finden, ein Vaterland, ein Vaterhaus, in welchem Du die Königin bist, welche angebetet und verehrt wird wie keine andere auf Erden.« – –
Und unten bei Papa Melac hatte das Gespräch auch eine innigere Wendung genommen, nämlich zwischen Marie und ihrem Hieronymus. Der gute, alte Beschließer aber befand sich nicht mehr in den Jahren, in denen man Liebe speist und Mondschein trinkt. Er meinte:
»Also, mein bester Herr Schneffke, Sie sagen, daß Sie unsere Marie lieb haben?«
»Fürchterlich!« betheuerte der dicke Feldwebel, indem er seine Rechte wie zum Schwur erhob.
»Gehören Sie zu den Menschen, bei denen ein solches Gefühl von längerer Dauer ist?«
»Ich pflege ewig zu lieben!«
»So! Nun, ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß Sie mir gleich im ersten Augenblicke gefallen haben. Aber jetzt sind Sie Soldat; da dürfen Sie nicht an die Erfüllung privater Wünsche denken.«
»Warum nicht? Wenn ich jetzt zum Beispiel Appetit zu einem Glase Wein habe, so ist das wohl jedenfalls auch ein privater Wunsch. Oder nicht, Monsieur Melac?«
»Ja, gewiß.«
»Nun, wer will Etwas dagegen haben, wenn ich mir diesen Wunsch erfülle, Monsieur?«
»Ich nicht.«
»Schön! Warum sind Sie denn da so streng in Beziehung meines ersten Wunsches?«
»Weil das eine ganz andere Sache ist. Ich will Ihnen sagen, mein bester Herr Schneffke: Glauben Sie, daß die Deutschen so fortsiegen werden wie jetzt?«
»Ja, gewiß!«
»Nun, dann seien Sie getrost! Kommen Sie an dem Tage, an welchem Napoleon fortgejagt wird, zu mir, um Marie von mir zu verlangen. Ich werde Sie nicht fortjagen.«
»Wirklich nicht?«
»Nein.«
»So ist mir Mariechen sicher!«
»Oho!«
»Ja, ja! Fortgejagt wird er!«
»Etwa von Ihnen?«
»Ja, auch mit! Er soll nicht etwa mit mir besonders anfangen, sonst ist ihm sein Brod gebacken! Wir brauchen in Europa keinen Napoleon und in Frankreich keinen Neffen des Onkels. Er muß abdanken, damit ich eine Frau bekomme; das ist so sicher wie Pudding. Also, Sie geben mir Ihr Wort, Monsieur Melac?«
»Ja, mein Wort und meine Hand. Hier!«
Sie schlugen ein; dann verabschiedete sich der Maler.
Er mußte natürlich den Weg wieder zurücklegen, auf welchem er gekommen war. Einer der Unteroffiziers brachte ihn zu dem betreffenden Posten. Bei demselben angekommen, legte er sich auf die Erde nieder, um seine Kriechparthie zu beginnen. Noch aber war er nicht weit gekommen, so war es ihm, als ob er hart vor sich zwei ganz eigenartige Punkte erblicke.
»Sind das Menschenaugen?« dachte er.
Er kroch schnell zur Seite und wartete. Ja, wirklich, da schob sich eine menschliche Gestalt leise und langsam an ihm vorüber.
Wer war das? Freund oder Feind? Irrte er nicht, so trug der Mensch weite Pluderhosen, so wie sie bei den Orientalen getragen werden. Was thun?
Kurz entschlossen, kehrte Schneffke wieder um, hart hinter dem Andern her. Es gelang ihm, demselben zu folgen, ohne von ihm bemerkt zu werden.
Der Fremde kam an dem Posten vorüber; aber nun hielt Schneffke es für an der Zeit, einzugreifen. Er schlug einen kurzen Bogen, traf Kopf an Kopf mit dem Anderen zusammen und faßte ihn an der Kehle, die er ihm so zusammendrückte, daß er keinen Laut von sich zu geben vermochte.
»Pst!« machte er dann leise.
Der Posten hörte es nicht.
»Pst, Ulane!«
»Was? Wer? Was?« antwortete der Angeredete.
»Leise, ganz leise! Ich habe einen Spion!«
»Donnerwetter! Wer sind Sie denn?«
»Der Dicke.«
»Der soeben hier war?«
»Ja.«
»Das glaube der Teufel! Der ist ja fort!«
»Unsinn! Ich bin noch da! Hier, überzeugen Sie sich! Ich begegnete diesem Kerl einige Schritte weit von hier und bin also wieder umgekehrt.«
Der Posten bückte sich nieder und überzeugte sich mit den Händen, da die Augen nicht genügten.
»Wirklich!« sagte er. »Das ist der dicke Klumpen!«
»Mensch, ich bin Feldwebel!«
»Wer's glaubt! Und Der da, wie der zappelt! Halten Sie ihn nur fest!«
»Er reißt mir nicht aus. Haben Sie nicht eine Schnur?«
»Einen Riemen.«
»Her damit! Wir binden ihn, und dann schaffe ich ihn zum Wachtkommandanten.«
Der Gefangene war wohl auch ein kräftiger Mensch, aber er war überrascht worden; er fand keinen Athem; dies raubte ihm sowohl die Besinnung als auch die Körperkraft. Er ließ sich die Arme fesseln, ohne sich zur Wehr zu setzen.
»So, Gevatter, nun steh auf!« meinte Schneffke. »Wir gehen spazieren.«
Er zog den Andern vom Boden auf und schaffte ihn fort.
»Verzeihung, Herr Major!« meldete einige Zeit später der Ulanenwachtmeister. »Ein Spion.«
»Wieder?« fragte Königsau.
»Ja.«
»Wohl wieder ein Pudding?«
»O nein. Jetzt ist's ein wirklicher Spion.«
»Kein Feldwebel?«
»Nein, Herr Oberstwachtmeister. Der dicke Feldwebel hat ihn sogar gefangen genommen.«
»Wo?«
»Da, wo er passiren sollte. Er bittet um die Erlaubniß, ihn vorführen zu dürfen.«
»Herein also!«
Schneffke brachte den Gefangenen herein. Kaum hatte Königsau einen Blick auf den Letzteren geworfen, so fuhr er erstaunt empor.
»Der Zauberer!«
Der Gefangene hatte starr vor sich niedergeschaut. Bei diesen Worten erhob er den Blick.
»Abu Hassan!« sagte der Major.
Der Beduine blickte ihn forschend an.
»Herr, kennst Du mich?« fragte er.
»Ja.«
»Wo hast Du mich gesehen?«
»Das ist jetzt Nebensache.«
»Deine Stimme klingt mir bekannt; ich muß bereits mit Dir gesprochen haben.«
»Möglich. Was thust Du hier?«
»Ich bin Dein Gefangener. Tödte mich!«
»Wie? Du verlangst nach dem Tode?«
»Ich bin in Deiner Hand!«
»Du willst sterben, ohne Liama gesehen zu haben!«
»Liama? Allah! Was weißt Du von ihr?«
»Mehr als Du!«
»Du hast mich zufällig gesehen und ebenso zufällig von Liama gehört. Nun sprichst Du von ihr.«
»Du irrst. Vorher aber sage, wie Du hierher nach Malineau kommst.«
»Man hat mich gezwungen unter die Spahis zu gehen.«
»Ach so! Du befindest Dich draußen bei Denen, welche uns eingeschlossen haben?«
»Ja. Man nahm uns fest und steckte uns in das Regiment, mich und meinen Bruder – – –«
»Saadi heißt er? Nicht?«
»Herr, was weißt Du von Saadi Ben Hassan?«
»Genug. Aber erzähl weiter!«
»Wir sind in den Krieg gezogen bis heut und bis hierher. Sollen wir weiter mit? Sollen wir unser Blut und unser Leben geben für Diejenigen, mit denen wir eine ewige Blutrache haben? Nein. Während mein Bruder Wache stand, ging ich, um zu forschen, ob uns der Feind der Franzosen beschützen werde, wenn wir unsere Zuflucht bei ihm suchen.«
»So bist Du also nicht ein Spion?«
»Nein.«
»Sondern ein Ueberläufer?«
»Ja. Herr, darf ich meinen Bruder holen?«
»Wo befindet er sich?«
»Ich sagte Dir bereits, daß er Wache steht.«
»Das weiß ich. Aber wo?«
»Da, wo dieser Mann mich fast erwürgte.«
»Wärst Du ein Spion, so müßte ich Dich tödten lassen; aber ich will Dir glauben, denn ich kenne Dich. Du bist also gezwungen worden, Deine Heimath zu verlassen?«
»Ich hätte sie auch verlassen, aber nicht als Soldat.«
»Wohin wolltest Du?«
»Ich bin Hassan der Zauberer; ich zeige den Leuten die Kunststücke, welche sie mir bezahlen.«
»Ist Saadi auch ein Zauberer?«
»Nein.«
»Warum nahmst Du ihn mit?«
»Er sollte sehen – – –«
Er stockte.
»Ich weiß, was Du sagen willst,« meinte Königsau. »Er sollte sehen Marion, die Tochter Liama's.«
»Herr, woher weißt Du das?«
»Ich kenne Deine Gedanken. Wie lange Zeit hat Saadi, Dein Bruder, Wache zu stehen?«
»Eine Stunde; dann löse ich ihn ab.«
»Komm! Ich will Dir Jemand zeigen!«
Während der Maler warten mußte, begab sich Königsau mit dem Gefangenen eine Treppe höher. Dort blieb er an einer Thür halten und lauschte. Drin hörte man eine weibliche Stimme sprechen.
»Hier sollst Du eintreten,« sagte der Major.
»Wer befindet sich da?«
»Eine Frau.«
»Ich höre sprechen!«
»Sie spricht mit sich selbst. Geh hinein!«
Er öffnete, ohne anzuklopfen, und schob den Beduinen in das Zimmer. Erst war Alles still; dann aber hörte er Hassans Stimme:
»Liama! Allah ist groß und allmächtig! Bist Du Liama, oder bist Du es nicht?«
»Hassan!« antwortete sie. »Hassan!«
»Sie kennt mich. Sie ist kein Geist, keine Fata morgana; sie lebt; sie ist wirklich Liama!«
Es folgten sich Ausrufe des Erstaunens, des Entzückens, der Verwunderung, der Klage. Aber Königsau hatte keine Zeit; er öffnete die Thür und sagte:
»Hassan, komm! Die Zeit ist abgelaufen.«
»Herr, sei gnädig! Laß mich noch einige Zeit bei der Herrin der Beni Hassan! Sie soll mir erzählen –«
»Nein, nein; jetzt nicht. Du sollst sie wiedersehen, noch heut; jetzt aber mußt Du gehorchen!«
Hassan warf einen bedauernden Blick auf Liama und ging mit Königsau zurück.
»Also, Du willst mit Deinem Bruder zu uns kommen?« fragte er.
»Ja, Herr, wenn Du es erlaubst.«
»Wie heißt Dein Oberst?«
»Parcoureur.«
»Was ist er für ein Mann?«
»Er ist ein Mann, den Alle hassen.«
»Kämpft er selbst mit in der Gefahr?«
»Ja; muthig ist er.«
»Das ist gut, denn sonst könnte ich ihn nicht gefangen nehmen.«
»Wie? Du willst ihn gefangen nehmen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich habe mit ihm zu reden.«
»Herr, nimmst Du mich mit meinem Bruder hier auf, wenn wir Dir den Obersten mitbringen?«
»Ja. Ich behalte Euch auch ohne ihn. Aber, wie wollt Ihr ihn in Eure Gewalt bringen?«
»Sehr leicht. Er selbst sieht nach, ob die Posten wachsam sind. Wenn er kommt, bringen wir ihn zu Dir.«
»Gut. Gehe jetzt, und hole Deinen Bruder! Feldwebel, bringen Sie ihn wieder dahin, wo Sie ihn festgenommen haben! Sie haben es sehr gut gemeint; aber ein Spion ist dieser Mann ebensowenig wie Sie.«
»Hm!« meinte Schneffke zu sich selbst, indem er sich mit Hassan entfernte. »Ein Spion also nicht! Aber was denn sonst? Na, er wurde in's Regiment gezwungen. Kein Wunder, wenn er es eigenmächtig wieder verläßt!«
Als sie bei dem Posten ankamen und der Feldwebel nicht wieder umkehrte, flüsterte Hassan ihm zu:
»Du gehst nicht wieder in das Schloß?«
»Nein; ich muß weiter.«
»Hinaus, über die Wächter hinaus?«
»Ja.«
»Du brauchst nicht so zu schleichen wie vorhin. Du kannst aufrecht gehen wie ich. Mein Bruder wird Dich nicht anhalten. Komm, folge mir!«
Schneffke wagte es, sich ihm anzuvertrauen, und hatte es nicht zu bereuen. Er wurde von ihm durch die Kette der Vorposten gebracht und traf seinen Kameraden an derselben Stelle, an welcher er ihn verlassen hatte.
Fast eine Stunde war vergangen, da erkannte der Posten, welcher an der betreffenden Stelle stand, eine Gruppe von zwei oder drei weißen Männern, welche sich auf ihn zu bewegten. Es war nicht der frühere Posten, sondern der, welcher diesen abgelöst hatte; aber er hatte seine Instructionen erhalten.
Er fragte weder nach der Loosung, noch nach dem Feldgeschrei; er legte das Gewehr schußfertig an, um im Falle eines Verrathes gerüstet zu sein.
Sie gingen geräuschlos an ihm vorüber. Zwei Männer trugen einen Dritten. Sie schafften ihn nach dem Schlosse.
Am Eingange zu demselben stand der Wachtmeister Martin Tannert. Er hatte mit Spannung auf diesen Augenblick gewartet.
»Ist's gelungen?« fragte er.
»Dem Sohne der Wüste mißlingt kein Ueberfall,« entgegnete Hassan der Zauberer.
»Bringt ihn herein!«
Er wurde in die Wachtstube gebracht. Sie hatten ihm die Gurgel zugeschnürt und, als er den Mund öffnete, um Athem zu bekommen, einen Knebel hinein gesteckt. Die Hände waren mit einer Schnur gefesselt, und um den Kopf hatten sie ihm ein Turbantuch gewunden. Im Uebrigen war ihm nichts geschehen. Er trug sogar alle seine Waffen noch.
Diese wurden ihm natürlich abgenommen. Man ließ Hassan und Saadi in ein Nebengemach treten, damit er sie nicht sofort erblicken möge; dann nahm man ihm die Fesseln ab. Er holte erst sehr tief Athem, blickte sich dann um und stieß einen grimmigen Fluch aus.
»Wo bin ich?« fragte er.
»In Schloß Malineau.«
»Donnerwetter! Wer waren die Hallunken, welche es wagten, sich an mir zu vergreifen?«
»Das interessirt uns nicht, Herr Oberst. Uns interessirt vielmehr der Besuch, welchen Sie uns machen.«
»Besuch? Ja. Denn ich hoffe doch nicht, daß man die Kühnheit haben wird, mich als Gefangenen zu betrachten!«
»Wir betrachten Sie zunächst als einen Mann, welchen der Herr Oberwachtmeister von Königsau zu sprechen wünschte. Bitte, folgen Sie uns!«
»Zu einem Major? Schön! Aber wo ist mein Degen? Her mit ihm! Ich muß ihn haben!«
»Später, später!«
»Nein, nicht später, sondern jetzt!«
»Bitte, verkennen Sie nicht Ihre Lage! Ich handle nach dem mir gewordenen Befehle, und diese Kameraden hier sind bereit, Dem, was ich sage, Nachdruck zu geben!«
»Verdammniß über Euch! Also, vorwärts zu diesem Major von Kö- Königsau! Dummer Name!«
Königsau empfing ihn höflich aber kalt. Es befanden sich nur die Offiziere bei ihm.
»Herr Kamerad,« begann der Oberst, »ist es in Deutschland Gebrauch, Menschen zu stehlen?«
»Wohl schwerlich. Sind Sie gestohlen worden?«
»Ja!«
»Dann scheinen Ihre Freunde keinen großen Werth auf Sie zu legen, sonst hätte man Sie besser bewacht.«
»Herr Major!« rief der Franzose drohend.
»Schon gut! Spione und ähnliche Leute weiß man zu behandeln, Monsieur.«
»Halten Sie etwa mich für einen Spion?«
»Ja.«
»Donnerwetter!«
»Pah! Vielleicht sind Sie sogar noch mehr als das! Was haben Sie mit Capitain Richemonte in Beziehung auf Mademoiselle de Sainte-Marie besprochen?«
Der Oberst erschrak; aber er antwortete:
»Nichts, gar nichts.«
»Wo ist der Capitain gegenwärtig?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das ist Lüge!«
»Nein, es ist Wahrheit! Ich weiß es nicht.«
»Ach so! Sie haben ihn nicht nach Metz zu dem Marschall Bazaine geschickt?«
»Wie käme ich dazu!«
»Sie haben ihm keinen Brief anvertraut?«
»Nein.«
»Aber vielleicht besitzen Sie selbst einen solchen Brief an den Marschall?«
»Herr Major, ich verstehe und begreife Sie nicht! Von wem sollte ich einen solchen Brief haben?«
»Von dem Marschall Mac Mahon.«
Der Franzose wurde sichtlich unruhig. Er gab sich die möglichste Mühe, dies zu verbergen, und antwortete:
»Wie kommen Sie zu dieser Vermuthung?«
»Das ist Nebensache. Ich habe Grund, zu behaupten, daß Sie von Marschall Mac Mahon einen Brief an Bazaine haben. Wollen Sie dies bestreiten?«
»Und wenn ich einfach sage, daß ich Ihnen gar nicht zu antworten brauche, Herr Major?«
»So würde dies ein Zugeständniß sein. Machen wir es kurz! Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie einen solchen Brief nicht bei sich haben?«
Der Offizier schwieg.
»Gut!« fuhr Königsau fort, »Sie sind also im Besitze eines solchen Schreibens. Ich muß Sie ersuchen, es mir auszuhändigen.«
»Das würde ich auf keinen Fall thun, selbst wenn ich es hätte.«
»So zwingen Sie mich, Sie durchsuchen zu lassen!«
»Thun Sie das! Aber ich protestire auf das Energischeste gegen eine solche Behandlung eines Stabsoffiziers, welcher nicht einmal das Unglück hat, Ihr Gefangener zu sein.«
»Ach! Darf ich vielleicht fragen, was Sie sonst sind?«
»Haben Sie mich etwa gefangen genommen?«
»Wie Sie in unsere Hände gerathen sind, darauf kommt es nicht an. Sie befinden sich eben in unserer Gewalt.«
»Ich bin Offizier. Ich trage die Uniform meines Kaisers. Ich kann nur durch einen Sieg Ihrerseits in Ihre Hände gerathen.«
»Nicht durch Arretur?«
»Nein; denn ich bin mir keiner That bewußt, welche eine solche polizeiliche Maßregel rechtfertigen könnte.«
»Sie sind uns als Spion eingeliefert.«
»Von wem? Etwa von einem Ihrer Leute?«
»Sie sind mir eingeliefert worden auf meine Veranlassung. Das ist genug. Werden Sie mir den Brief geben?«
»Nein.«
»Nun wohl! Ich werde Sie also aussuchen lassen. Ob sich dies mit Ihrer Offiziersehre verträgt, das ist mir nun sehr gleichgiltig; ich habe Ihnen Gelegenheit gegeben, die Durchsuchung zu vermeiden.«
»Wollen sehen, Herr Oberst!«
Es klingelte, und eine Ordonnanz erschien.
»Haben Sie einen Stiefelknecht!« befahl er. »Dieser Herr wünscht, es sich bei uns bequem zu machen.«
Der Oberst erbleichte. Das hatte er nicht erwartet. Er mußte erkennen, daß Königsau nur zu gut unterrichtet sei. Aber er sagte kein Wort. Er preßte die Lippen zusammen und wartete, was man beginnen werde. Noch immer glaubte er, daß man sich hüten werde, einem französischen Oberst Gewalt anzuthun.
Der Soldat brachte den Stiefelknecht.
»Bitte,« meinte Königsau zu dem Franzosen.
»Tausend Donner!« antwortete dieser. »Meinen Sie wirklich, daß ich die Stiefel ausziehen werde?«
»Ja, gewiß! Ich meine, daß Sie so klug sein werden, mich nicht zu Gewaltmaßregeln zu zwingen.«
»Die werden Sie unterlassen!«
»Pah! Meine Zeit ist gemessen. Wollen Sie, oder wollen Sie nicht?«
»Fällt mir nicht ein!«
»Holen Sie noch zwei Mann!« befahl Königsau der Ordonnanz. »Sie ziehen diesem Herrn die Stiefel aus.«
Der Befehl war in einer Minute vollzogen.
»Herr Major, ich mache Sie verantwortlich!« knirrschte der Oberst. »Ich werde Sie zur Rechenschaft ziehen. Ich bin keineswegs der Mann, den man ungestraft wie einen Dieb behandeln und aussuchen kann!«
»Haben Sie keine Sorge um mich!« lächelte Königsau. »Ich kenne meine Pflicht und weiß sie zu erfüllen. Also, vorwärts!«
Dieser letztere Befehl galt den Soldaten. Sie traten zu dem Franzosen. Der Eine setzte ihm den Stiefelknecht hin und sagte:
» Allons, Monsieur! Travaillez!«
Die deutschen Offiziere mußten sich Mühe geben, bei diesem komischen Befehle ein Lachen zu unterdrücken.
»Also wirklich!« stieß der Oberst hervor.
» Oui, oui!« antwortete der Mann.
Zugleich faßte er ihn beim Arme.
»Fort, Mensch!« schrie der Franzose. »Wenn es denn einmal sein muß, so thue ich es selbst.«
Er zog die Stiefel aus und setzte sich dann auf einen Stuhl, das Gesicht so abwendend, daß er die Deutschen gar nicht sah.
»Hier, mein Herr Oberstwachtmeister!«
Bei diesen Worten hielt die Ordonnanz Königsau die Stiefel hin. Dieser aber sagte:
»In diesen Stiefeln befindet sich ein Brief versteckt, jedenfalls hinter dem Futter. Sehen Sie nach!«
»Hm, gefüttert sind sie allerdings! Wollen sehen!«
*