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Es war in Helbigsdorf. Seit dem Tage, an welchem jene entflohenen Gefangenen hier wieder dingfest gemacht worden waren, hatte eine Zeit von zehn Jahren den Verhältnissen eine vorgeschrittene Gestalt ertheilt.
Der General saß in seinem Zimmer und arbeitete. Sein Haar war ergraut, und seine Gestalt hatte eine nach vom geneigte Richtung angenommen. Aber wie früher stets, so war er auch heut von dichten Tabakswolken umgeben, welche seiner langen Pfeife entströmten.
Da ertönten draußen eilige Schritte und die Thür wurde geöffnet. Unter derselben erschien eine Dame. Sie war ganz in Blau gekleidet und trug ein kleines Kätzchen auf dem Arme. Ihre lange hagere Gestalt neigte sich ebenso wie die des Generals nach vorn, und ihr Haar zeigte jene Farbe, deren Erscheinen keiner Dame Freude zu bereiten pflegt.
»Guten Morgen, Emil!« grüßte sie.
»Guten Morgen!« antwortete er, indem er sie durch eine Bewegung der Hand einlud, auf einem neben ihm stehenden Stuhle Platz zu nehmen.
»Aber bitte, lieber Bruder – –!«
»Was?«
»Deine Pfeife – dieser Dampf und Qualm – – puh!«
»Hm, das ist mir die angenehmste Atmosphäre!«
»Aber ich ersticke darin!«
»Wenn sie Dir so schädlich wäre, würdest Du längst zu Deinen Vätern versammelt sein, meine liebe Freya. Wer mich in meinem Zimmer aufsucht, muß geneigt sein, sich dieser allerdings etwas dichten Atmosphäre anzubequemen.«
Da hörte man wieder Schritte, die Thür öffnete sich zum zweiten Male, und es trat eine zweite Dame ein. Sie war klein und hager, ganz in Grün gekleidet und trug ein Meerschweinchen auf dem Arme.
»Guten Morgen, Bruder!« grüßte sie.
»Guten Morgen, liebe Wanka,« antwortete er.
»O weh! Meine kleine Lili!«
»Was ist mit dem Meerschweinchen? Ist es krank?«
»Nein, aber es wird dennoch ersticken.«
»Wie so?«
»Dieser Qualm – dieser Geruch – –!«
»Ist mir ganz angenehm!«
»Aber meine süße Lili kann ihn nicht vertragen! Bitte, lieber Emil, öffne doch die Fenster!«
»Es ist bereits eines offen, mehr, das würde nicht gut sein, denn ich weiß, daß Deine zarte Konstitution sich sehr leicht erkältet.«
Wieder ertönten Schritte, und es trat eine Dame ein, deren Körperumfang ein sehr ungewöhnlicher war. Sie war ganz in Purpurroth gekleidet und trug ein Eichhörnchen auf dem Arme.
»Guten Morgen!« pustete sie.
»Guten Morgen, Schwester! Setze Dich!«
Sie nahm Platz, und zwar mit einem solchen Gewichte, daß der Stuhl in allen seinen Fugen prasselte.
»Ah, oh, Luft!«
»Luft?« frug der General.
»Ja? O, dieses Asthma, diese Athemnoth!«
»Daran ist das Fett schuld!« meinte er mit einem leisen Lächeln.
»Das Fett? O Emil, Du hast wieder einmal Deine garstige Stunde!«
»Du irrst, ich muß Dir vielmehr sagen, daß ich mich in einer außerordentlich guten Stimmung befinde.«
»Aber Fett – Fett –! Wer kann nur so ein unästhetisches Wort aussprechen! Fett ist ein Schwein, ein Rind, höchstens auch eine Waschfrau oder eine Hökerin, aber dieses Wort zu mir, zur Schwester einer Excellenz! Ich bitte Dich! Uebrigens ist mein kleiner Embonpoint nicht so sehr außerordentlich, und ich konstatire, daß er seit einiger Zeit ganz bedeutend abgenommen hat. Aber die Luft, die Luft ist gefährlich, ist unerträglich, die Du hier in Deinem Zimmer hast!«
»Ich halte sie im Gegentheile für sehr zuträglich!«
»Ja Dir mit Deiner Bärenkonstitution scheint sie nichts zu schaden. Wir aber, wir Drei vom schönen zarten Geschlechte, wir ersticken! Sieh nur meine gute Mimi an!«
»Dein Eichhörnchen? Das befindet sich ja ganz wohl!«
»Ganz wohl? Emil, Du bist wahrhaftig ein Barbar! Siehst Du denn nicht, wie schnell die kleine Mimi athmet!«
»Meine Lili auch!« rief Wanka.
»Und meine Bibi auch!« fügte Freya hinzu.
»Kinder, bringt mich nicht in Harnisch! Wenn meine Atmosphäre Euren Thieren nicht behagt, so bringt sie nicht mit! Solcher Kreaturen wegen kann ich auf meine Pfeife nicht verzichten. Uebrigens bitte ich Euch, mich über den Grund Eures Morgenbesuches aufzuklären!«
»Unser Grund? O, das ist ein sehr triftiger,« antwortete Freya.
»Ja, ein triftiger!« fügte Wanka bei.
»Außerordentlich triftig!« bestätigte Zilla.
»Nun!«
»Wir kommen, uns zu beschweren!« erklärte die Blaue.
»Und zwar sehr!« gestand die Grüne.
»Sogar ungewöhnlich sehr!« meinte die Rothe.
»Beschweren?« frug der General. »Ueber wen?«
»Das kannst Du Dir denken!«
»Ich ziehe es vor, jetzt noch nichts zu denken, sondern zunächst zu hören, was Ihr mir zu sagen habt.«
»So muß ich Dir es sagen: Wir beschweren uns über Kunz!« erklärte Freya sehr entschieden.
»Ueber den einäugigen Heuchler,« schimpfte Wanka.
»Ueber diesen Verräther und Empörer,« pustete Zilla.
Der General lachte.
»Mein alter Kunz ein Heuchler, ein Verräther und Empörer? Das ist doch wohl zu viel gesagt! Uebrigens scheint es mir nicht an der Zeit, sein Gebrechen in eine solche Erwähnung zu bringen. Er hat das Auge im Dienste für das Vaterland und an meiner Seite verloren. Was hat er denn begangen, daß Ihr Euch hier in corpore versammelt, um ihn anzuklagen?«
»Er hat uns verleumdet,« meinte Zilla.
»Verrathen!« zürnte Wanka.
»Beschmutzt!« vervollständigte Freya.
»In wie fern?«
»Gegen Herrn von Uhle.«
»Ah, den neuen Nachbar?«
»Ja, der so liebenswürdig ist, besonders gegen mich.«
»Und so zart, besonders gegen mich.«
»Und so freundlich und achtungsvoll, besonders gegen mich.«
»Da scheint Herr von Uhle doch ein wahrer Phönix zu sein!«
»Das ist er auch! Ich frug ihn, ob er heirathen werde – –«
»Auch ich habe ihn gefragt!«
»Ich ebenso!«
Der General blies eine dichte Wolke von sich und meinte dann sichtbar belästigt:
»Ich konnte mir denken, daß der neue Herr Nachbar diese wichtige Frage sehr bald zu beantworten haben werde. Was hat er gesagt?«
»Er heirathet!« meinte Freya triumphirend.
Die andern Beiden bestätigten das und Wanka erklärte:
»Er scheint eine zarte angenehme Figur bevorzugen zu wollen!«
Freya machte eine abweisende Bewegung und entgegnete sehr entschieden:
»Herr von Uhle ist ein Mann von Charakter; eine hohe imposante Figur wird ihm wohl sympathischer sein!«
Zilla schüttelte den Kopf.
»Beides ist falsch,« behauptete sie. »Er sagte mir noch vorgestern erst, daß eine Dame nur dann interessant und reizend sei, wenn ihre Formen eine angenehme und appetitliche Fülle besäßen. Und darin hat er Recht! Aber das ist es nicht, was wir hier zu besprechen haben.«
»Nein,« stimmte Freya bei. »Wir haben von Kunz zu reden.«
»So sprecht!« gebot der General. »Was hat er Euch gethan?«
»Er hat uns beleidigt. Wir alle Drei haben es gehört.«
»Wenn?«
»Soeben.«
»Wo?«
»Im Garten.«
»Gegen Herrn von Uhle; der ist im Garten?«
»Er ist dort. Er wird Dir einen Besuch abstatten wollen und die frühe Stunde doch für noch nicht dam geeignet halten. Daher ist er zunächst einstweilen in den Garten gegangen.«
»Er ist aber nicht allein,« ergänzte Wanka. »Es ist ein Herr bei ihm.«
»Wer?«
»Wir kennen ihn nicht, obgleich sein Gesicht bekannte Züge trägt.«
»Civil oder Militär?«
»Er ist in Civil, doch hat er eine ganz militärische Haltung. Gewiß ist er ein Offizier!«
»Und zwar ein schöner!« fügte Freya bei.
»Ein hoher!« vermuthete Zilla. »Er hat einen Blick – einen Blick! Und Herr von Uhle nahm ihm gegenüber eine sehr devote Haltung an.«
»Ihr habt mit Beiden gesprochen?«
»Nein; aber wir haben sie – wir haben sie – – –«
»Belauscht?« frug der General.
»Ein wenig nur, aber nicht mit Absicht. Sie saßen auf der Bank, und wir standen hinter derselben im Gebüsch.«
»Wovon sprachen sie?«
»Von einem Inkognito und von verschiedenen anderen, aber sehr gleichgiltigen Dingen. Da kam Kunz hinzu. Er hatte Blumen begossen und trug die Spritze noch in der Hand. Die Herren hielten ihn an und der Fremde frug nach Dir und uns.«
»Und da hat er Euch verleumdet?«
»Schändlich!«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat uns mit einem Namen genannt, den ich Dir nicht wiederholen kann.«
»Das thut mir leid. Dann hättet Ihr mich gar nicht belästigen sollen!«
»Aber wir mußten es Dir doch sagen, damit Du ihn bestrafen kannst!«
»Ich bestrafe ihn nicht!«
»Nicht?«
»Nein!«
»Schrecklich! Aber warum nicht?«
»Weil ich sein Verbrechen nicht kenne.«
»Wir haben es Dir ja bezeichnet!«
»Nichts habt Ihr, gar nichts! Wenn ich ihn bestrafen soll, so muß ich unbedingt das Wort hören, das er ausgesprochen hat!«
»Nun wohl! Wenn Du darauf bestehst, so muß ich es sagen. Der Fremde fragte ihn nämlich, ob die Schwestern des Herrn Generals jung oder verheirathet seien, und da sagte ihm Kunz, daß wir – –«
»Nun, daß Ihr – –?«
»Daß wir – – daß wir alte Jungfern seien.«
»Schrecklich!« zürnte der General in komischem Tone.
»Ja, schrecklich!« meinte die Blaue.
»Fürchterlich!« grollte die Grüne.
»Entsetzlich!« echoete die Rothe. »Du mußt ihn bestrafen!«
»Du bist gezwungen dazu!« entschied Wanka.
»Du wirst ein Exempel statuiren!« rief Freya.
»Den Teufel werde ich!« lachte der General.
»Was! Du willst ihn nicht bestrafen?«
»Nein!«
»Kein Exempel statuiren?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er hat Euch alte Jungfern genannt und das seid Ihr auch. Er hat also die Wahrheit gesagt, und so kann ich ihn unmöglich bestrafen.«
»Aber Emil!«
»Aber Bruder!«
»Aber General!«
»Nennt mich Bruder oder Emil oder General, das ändert an der Sache, nicht das mindeste. Ich bin überzeugt, daß er das Wort gebraucht hat ohne die geringste Absicht, Euch zu beleidigen. Stellt Euch anders zu ihm, so wird er sich auch zu Euch anders verhalten. Uebrigens wundert es mich sehr, daß Ihr mir die Zumuthung aussprecht, diese Angelegenheit gegen ihn in Erwähnung zu bringen!«
»Was? Du wunderst Dich auch noch?«
»Sogar sehr!«
»Warum?«
»Wenn ich darüber reden soll, so muß ich ihm doch auch sagen, daß Ihr ihn und die beiden Herren belauscht habt, und dann wäret Ihr ja fürchterlich blamirt.«
Da klopfte es an der Thür und der, von dem soeben die Rede gewesen war, trat ein: der Diener Kunz. Ueber ihn schienen die Jahre spurlos vorübergegangen zu sein, und seine Stimme hatte die alte Kraft, als er meldete:
»Der Herr von Uhle, Herr General, und ein fremder Herr.«
»Herr Jesus!« rief Freya; »da sind sie ja schon! Wir müssen schleunigst gehen. Komm, Wanka; komm, Zilla!«
Sie verschwanden. Der General blickte den Diener forschend an.
»Du sprachst das Wort ›fremd‹ mit einer ganz eigentümlichen Betonung aus. Hatte dies eine Bedeutung?«
»Es hatte eine! Verstanden?«
»Welche?«
»Herr von Uhle hat mir den Namen des Andern nicht gesagt. Es wird ein Inkognito sein.«
»Du kennst ihn nicht?«
»Ich kenne ihn sehr gut. Verstanden?«
»Wer ist es?«
»Sie werden erstaunen, Excellenz. Es ist ein Prinz.«
»Ein Prinz? Alle Teufel! Welcher?«
»Der tolle!«
»Der tolle Prinz? Donnerwetter, das ist allerdings sehr erstaunlich! Aber, Du hast Dich vielleicht geirrt!«
»Ich irre mich niemals. Verstanden?«
»Sag, die Herren seien mir willkommen!«
Kunz verließ das Zimmer, und sogleich traten die beiden Herren ein. Der Eine war ein bereits ältlicher Mann, dem man den Landjunker auf den ersten Blick anmerkte, der Andere zählte über dreißig und hatte ein zwar distinguirtes aber ermüdetes Aussehen. Die Farbe seines Gesichtes und die Scharfheit seiner Züge verriethen, daß er schneller gelebt habe, als sich mit der Gesundheit des menschlichen Körpers vereinbaren läßt. Er war mit einem Worte ein jugendlicher Greis zu nennen.
Der General empfing ihn mit einer sehr tiefen und respektvollen Verbeugung. Er erwiderte dieselbe nur flüchtig und frug:
»Sie kennen mich, Exzellenz?«
»Ich habe diese Ehre, königliche Hoheit.«
»So ist es nicht nöthig, mich vorstellen zu lassen. Erlauben Sie uns Platz zu nehmen! Ich reise inkognito und würde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie es verständen, das Lautwerden meines Namens zu vermeiden. Herr von Uhle ist mir bekannt. Mein Weg berührte sein Gut, und ich stieg bei ihm ab. Da ich hörte, daß Sie auf Helbigsdorf anwesend sind, so nahm ich mir vor Sie zu sehen, General.«
»Ich weiß diese Ehre zu schätzen, Hoheit –«
»Um so mehr werden Sie sich beeilen, mich mit den Gliedern Ihrer Familie bekannt zu machen. Ich bin erfreut, sie begrüßen zu können.«
»Gestatten mir Hoheit, die darauf bezüglichen Befehle zu ertheilen!«
Er klingelte, und Kunz trat ein.
»Wo ist Magda?«
»Sie war ausgeritten.«
»Noch nicht wieder zurück?«
»Soeben abgestiegen. Verstanden?«
»Ich bitte sämmtliche Damen, in den Salon zu kommen!«
»Schön. Noch etwas?«
»Diese Herren sind unsere Gäste.«
»Werde es ausrichten. Verstanden?«
Er ging ab. Draußen traf er auf eine junge Dame, welche im Begriffe stand, bei dem General einzutreten. Es war Magda, die Tochter desselben. Aus dem kleinen zehnjährigen Mädchen war eine Jungfrau von außerordentlicher Schönheit geworden. Die Rose hatte erfüllt, was die Knospe verheißen hatte.
»Ist Papa allein?« frag sie den Diener.
»Nein.«
»Wer ist bei ihm?«
»Herr von Uhle und ein Inkognito. Verstanden?«
»Ein Inkognito? Ein Herr?«
»Ja.«
»Kennst Du ihn?«
»Sehr.«
»Wer ist es?«
»Der tolle Prinz.«
»Ah!« rief sie erstaunt. »Was will er hier in Helbigsdorf?«
»Hm!«
»Nun?«
»Soll ich es sagen, Fräulein?«
»Natürlich!«
»Ganz deutlich?«
»Versteht sich!«
»Ich war im Garten und sah sie kommen. Ich erkannte den Prinzen sofort und trat hinter einen Strauch, um sie vorüberzulassen. Da hörte ich, was sie herbeigeführt hat. Sie setzten sich dann auf eine Bank, und da kam auch die Schreia, die Zanka und die Brülla, um die Unterhaltung der beiden Männer zu belauschen. Ich ging dann wie zufällig vorüber und wurde von ihnen angesprochen. Dabei habe ich den drei gnädigen Fräuleins einen kleinen Hieb versetzt. Ich habe sie, als ich nach ihnen gefragt wurde, alte Jungfern genannt.«
»Kunz, das ist ja Nebensache! Die Hauptsache ist, was sie hier wollen.«
»Das kann ich nun allerdings sagen, wenn es auch nicht sehr gut klingen mag. Im Vorübergehen frug nämlich der Prinz, ob Sie wirklich eine so außerordentlich reizende Dame seien –«
»Kunz!«
»Was denn? Ich muß ja doch genau erzählen, was sie gesagt haben. Sie haben es mir ja befohlen!«
»Weiter!«
»Sehr reizend!« antwortete der Nachbar. »Hat sie ein Verhältniß?« frug dann der Prinz. »Ich glaube nicht,« berichtete ihn der Andere. »Ist sie zurückhaltend, oder liebt sie die Herren?« erkundigte sich die Hoheit weiter. »Ich glaube, daß das Erstere der Fall ist,« lautete die Antwort.«
»Wie? So wagen diese Herren von mir zu sprechen, Kunz?«
»So! Verstanden?«
»Weiter!«
»Sie waren bereits an mir vorüber, aber ich hörte doch noch sehr deutlich, was dieser Prinz noch sagte.«
»Was?«
»Er meinte: »Desto besser! Wir haben es also mit einer kleinen Unschuld, mit einer liebenswürdigen Unerfahrenheit zu thun. Sie haben mir eine Plaisir versprochen, Herr von Uhle, und ich bin überzeugt, daß ich siegen werde. Ich nehme mir vor, einige Tage hier zu bleiben und mich ganz köstlich zu amüsiren.«
»Ah! Das ist Alles, was Du hörtest?«
»Alles. Verstanden?«
»Ich danke Dir! Werden sie unsere Gäste sein?«
»Ja. Ich habe dies den Fräuleins zu sagen und zugleich sämmtliche Damen nach dem Salon zu bestellen.«
»Ich werde kommen!«
Sie kehrte mit einer energischen Bewegung ihres reizenden Köpfchens wieder um, und Kunz schritt nach der Küche zu, wo sich die drei Schwestern des Generals befanden.
»Was will Er?« frug Freya, als er eintrat.
»Ich bringe einen Befehl. Verstanden?«
»Von Seiner Excellenz dem Herrn General.«
»An wen?«
»An die drei Schwestern.«
»An uns? Einen Befehl? Er ist wohl nicht recht bei Sinnen.«
»Sehr bei Sinnen hin ich. Verstanden?«
»Mein Bruder kann wohl Ihm oder einem der andern Bedienten einen Befehl geben, aber doch nicht uns. Merke Er sich das!«
»Herr von Helbig ist General, und was ein General sagt, das ist allemal ein Befehl. Verstanden? Also er befiehlt Ihnen, sofort in dem Salon zu erscheinen.«
»Ah! Sofort! Warum?«
»Er will Sie dem fremden Herrn vorstellen.«
»Du willst wohl sagen, daß im Gegentheile dieser Herr uns vorgestellt werden soll?«
»Das ist hüben wie drüben, das ist ganz egal, eins wie das Andere, denn Vorstellung ist Vorstellung. Verstanden?«
Er wollte die Küche verlassen, wurde aber von Zilla zurückgehalten.
»Wer ist der fremde Herr?«
»Ein hoher Offizier, der im Lande umherreist, um sich eine Frau zu suchen,« antwortete er mit einem boshaften Lächeln.
»Ah! Ist dies wahr?«
»Sehr.«
»Woher weißt Du es?«
»Er hat mir es soeben selbst gesagt. Er frug dabei nach Ihnen.«
»Nach mir?«
»Nach allen drei Fräuleins.«
»Was sagte er, mein Heber Kunz?«
»Er fragte mich, wie alt die Damen seien.«
»Oh! Was hast Du da geantwortet?«
»Die volle Wahrheit!«
»Nun?«
»Ich sagte: die Freya ist hundert, die Wanka zweihundert und die Tilla dreihundert Jahre alt.«
Sie erhob die Hand und wollte auf ihn zu, aber er war schon hinaus und schloß die Thür fest hinter sich.
»Hat man jemals so etwas gehört?« zürnte sie. »Das ist mehr als grob und ungezogen, das ist frech!«
»Wir zeigen ihn an!« drohte Wanka.
»Beim Bruder!« fügte Freya hinzu.
»Der ihn niemals bestraft!« bemerkte Zilla. »Uebrigens glaube ich es wirklich, daß er dem Fremden diese boshafte Antwort gegeben hat.«
»Es ist ihm zuzutrauen. Aber, wer ist dieser Fremde? Also ein sehr hoher Offizier!«
»Von vornehmem Adel jedenfalls.«
»Der sich eine Frau sucht.«
»Eine junge wohl!«
»Von – von unserem Alter ungefähr. Nicht, meine liebe Wanka?«
»Natürlich! Ob er wohl das Aetherische liebt?«
»Oder das Imposante?« frug Freya.
»Oder die Rundung der Formen?« säuselte Zilla, indem sie ihr Eichhörnchen liebkoste. »Kommt, laßt uns zum Salon gehen.«
Sie standen im Begriff die Küche zu verlassen, als sich die Thür derselben nochmals öffnete. Kunz steckte den Kopf herein.
»Habe noch etwas vergessen.«
»Was?«
»Die beiden Herren sollen hier speisen.«
»O weh, welche Arbeit! Kunz, lieber Kunz!«
»Was?«
»Kommen Sie noch einmal herein!«
»Warum?«
»Ich habe Ihnen noch eine Frage vorzulegen.«
»Welche?«
»Wer ist dieser hohe Offizier? Wie ist sein Name? Wie heißt er?«
»Das darf ich nicht sagen.«
»Weil es ein Geheimniß ist.«
»Wir werden es nicht verrathen.«
»Sie werden es ausplaudern.«
»Ich verspreche Ihnen, daß wir schweigen werden wie das Grab.«
»So darf ich reden?«
»Wir bitten sehr darum!«
»So hören Sie: Es ist ein verwunschener Prinz!«
»Wie? Oh! Unsinn!«
»Unsinn? Ich sage die reine Wahrheit!«
»Packe Er sich! Halte Er für den Narren wen Er will, aber uns nicht, Er Naseweis!«
»Danke bestens! Stehe später wieder zur Verfügung. Verstanden?«
Er ging, und die drei Damen rauschten nach dem Salon, wo bereits Magda an einem der Fenster saß.
»Guten Morgen, Herzchen!«
»Guten Morgen, Kindchen!«
»Guten Morgen, mein Liebchen!«
Mit diesem dreistimmigen Gruße wurde das Mädchen in ihre Mitte genommen und geküßt. Man sah, daß eine Jede der drei wunderlichen Damen das Mädchen in das Herz geschlossen hatte. Sie war der Liebling Aller, die auf Helbigsdorf wohnten.
»Du wartest auch auf ihn?« frag Freya.
»Auf wen?«
»Auf den fremden Offizier.«
»Warten? Nein, liebe Tante, ich warte nicht auf ihn, Papa wünscht, daß ich im Salon sein möge, und so bin ich gekommen.«
»Weißt Du, was er will?«
»Was?«
»Heirathen.«
»Ah! Wen denn, liebe Tante?«
»Das ist noch unbestimmt. Vielleicht Tante Zilla.«
»Oder Tante Wanka!« antwortete Zilla.
»Oder Tante Freya!« antwortete Wanka.
»Oder Euch alle Drei!« lachte Magda. »Wer hat Euch gesagt, daß er heirathen wolle?«
»Kunz.«
»So! Hat er Euch auch gesagt, wer dieser Fremde ist?«
»Ja.«
»Nun?«
»Ein sehr hoher Offizier.«
»Das ist er allerdings.«
»Wie? Du weißt dies?«
»Natürlich! Ihr kennt doch jedenfalls auch seinen Namen?«
»Nein. Wer ist es?«
»So hört: Es ist der tolle Prinz von Süderland.«
»Der tolle – – –«
Zilla stand im Begriffe, dieses Wort in höchster Ueberraschung hinauszukreischen, doch blieb es ihr im Munde stecken, denn die Thüre öffnete sich, und der General trat mit seinen beiden Gästen ein. Der Prinz wurde den Damen unter einem einfacheren Namen vorgestellt und gab sich alle Mühe, auf Magda einen angenehmen Eindruck hervorzubringen, was ihm aber nur schwer zu gelingen schien. –
Ganz um dieselbe Zeit rollte ein offener Reisewagen auf Helbigsdorf zu. In demselben saßen drei Personen. Ein langer hagerer, aber überaus kräftig gebauter Mann, eine sehr dicke rothwangige Frau und ein junger Mann, der die Zügel der Pferde führte. Dieser Letztere trug die kleidsame Uniform eines Marinelieutenants, und ein Ehrenzeichen auf der Brust bewies, daß er trotz seiner Jugend bereits Gelegenheit hatte sich auszuzeichnen.
»Pin doch pegierig, op der General zu Hause sein wird!« meinte der Lange.
»Er ist da, lieber Onkel,« antwortete der Lieutenant.
»Und was er für eine Apsicht hat, mich und meine liepe Parpara zu sich zu rufen.«
»Das ist mir auch ein Räthsel.«
»Hat er Dir nichts davon geschriepen, Kurt?«
»Nein. Er schrieb mir einfach, heut bei ihm einzutreffen und Euch mitzubringen. Das habe ich befolgt, und nun werden wir wohl sehen, welcher Grund diese Einladung hervorgebracht hat.«
»Ist das dort nicht Helbigsdorf?« frug jetzt die Frau.
»Ja, Parpara, das ist Helpigsdorf,« antwortete der Hofschmied. »Aper wir fahren nicht hinauf auf das Gut.«
»Warum nicht?«
»Der General hat dem Kurt geschriepen, daß er uns in dem Wirthshause apladen soll. Da sollen wir warten, pis wir geholt werden.«
»Das klingt ja sehr geheimnißvoll!«
»Ja; gerade wie pei einer Christpescheerung. Na, er hat es pefohlen, und so werden wir Gehorsam leisten müssen.«
Sie langten im Dorfe an und stiegen vor dem Wirthshause ab. Die Pferde wurden untergebracht; der Schmiedemeister trat mit seiner Frau in die Gaststube, und Kurt machte sich allein auf den Weg nach dem Schlosse.
Ganz unwillkürlich verließ er dabei die gewöhnliche Richtung. Er ging quer über die Wiesen und trat in den Park, durch welchen sich der Garten des Schlosses in den Wald verlief. Er war noch nicht sehr lange unter den Bäumen dahingeschritten, als er Stimmen vernahm. Es waren drei weibliche und eine männliche; er kannte sie alle vier; sie gehörten dem neuen Nachbar und den Tanten an. Er mochte diesen Herrn von Uhle nicht gern leiden, und daher vermied er jetzt, mit ihm zusammenzutreffen. Er bog links ab, nach dem kleinen Gartenhäuschen zu, in welchem Magda gern zu sitzen pflegte. Wie viele glückliche Stunden hatte er dort an ihrer Seite zugebracht!
Als er die Lichtung erreichte, von welcher aus das Häuschen zu sehen war, bemerkte er, daß Magda sich allerdings dort befand. Zu gleicher Zeit aber nahte sich ihr auch von der andern Seite ein Mann. Sie erhob das Köpfchen und erblickte diesen. Sofort erhob sie sich, um sich zu entfernen. Ihr schnelles Gehen konnte beinahe eine Frucht genannt werden. Diese Bemerkung machte auch Kurt. Er trat von dem Saume des Gehölzes zurück, um, hinter dem Stamme einer Eiche verborgen, den Grund zu beobachten, der das Mädchen veranlaßte, eine Begegnung mit jenem Manne zu vermeiden.
Dieser verdoppelte seine Schritte und erreichte Magda beinahe gerade an der Stelle, an welcher Kurt vorher gestanden hatte.
Wo doch hatte Kurt dieses widerwärtige Gesicht bereits einmal gesehen? Es war ihm bekannt, aber er wußte und fühlte, daß er dem Manne persönlich noch nicht begegnet sei, sondern ihn nur im Bilde gesehen haben könne.
»Sie fliehen mich, mein Fräulein?« frug der Fremde, indem er Magda bei der Hand erfaßte.
Sie entzog ihm dieselbe augenblicklich wieder.
»Fliehen?« frug sie stolz. »Was berechtigt Sie zu dieser Annahme, welche, wie ich Ihnen versichere, eine sehr irrige ist?«
»Ihr schneller Schritt, mit dem Sie sich bei meinem Nahen entfernten.«
»Sie vergessen, daß man nur vor einem Feinde flieht!«
»Ah! Sie wollen sagen, daß ich mich als Ihren Feind bekenne, wenn ich annehme, daß Sie vor mir flüchteten.«
»So ist es.«
»Dann muß ich mich allerdings geirrt haben, denn es gibt wohl keinen Menschen, dessen Herz den Wunsch, Ihr Freund sein zu dürfen, so glühend empfindet wie das meinige.«
»Ich danke Ihnen. Ich habe der Freunde bereits genug!«
»Man kann nie zu viel Freunde haben!«
»Doch, mein Herr, denn wenn die Zahl derselben zu bedeutend wird, so kann es allerdings vorkommen, daß man gezwungen ist, seine Freunde zu fliehen, weil sie lästig fallen.«
»Gilt dies mir, meine Gnädige?«
Sie warf die Locken aus der Stirn zurück und blitzte ihm entgegen:
»Ja. Sie sehen, daß ich sehr aufrichtig bin und weder den Freund noch den Feind fürchte!«
»Ah, Fräulein, das ist mehr als aufrichtig, das ist – ja, das ist, mit dem gelindesten Ausdrucke bezeichnet, ein sehr bedeutender Verstoß gegen die Gebräuche der Höflichkeit!«
»Man ist höflich oder unhöflich, ganz nach der Art und Weise, wie man veranlaßt wird.«
»So habe ich Ihnen Veranlassung gegeben, unhöflich gegen mich zu sein?«
»Sie fragen noch?!«
»Ja, ich frage noch!«
»Sie sahen, daß ich wünschte, allein zu sein, und dennoch folgten Sie mir. Ich ersuche Sie, mich meinen Weg allein fortsetzen zu lassen!«
»Eine Dame von solcher Schönheit hat nicht das Recht, sich abzuschließen.«
»Ich habe gar nicht die Absicht, mich abzuschließen, aber ich habe das Recht, das von mir zu weisen, was mir unangenehm ist.«
»Ah! So bin ich Ihnen unangenehm?«
»Ja.«
»Das sagen Sie mir?«
»Sie hören es!«
»Dem Gaste Ihres Vaters?«
»Allerdings!«
»Was würde der General sagen, wenn er dies erführe?«
»Er würde mir Recht geben.«
»Ah!«
»Und mich in seinen Schutz nehmen.«
»Ah! Das können Sie nur sagen, weil Sie mich nicht kennen!«
»Sie wurden mir ja vorgestellt!«
»Vielleicht trage ich einen andern Namen.«
»Desto schlimmer!«
»Wie so?«
»Ein ehrlicher Name braucht niemals verleugnet zu werden!«
»Das ist sehr richtig; aber es gibt Verhältnisse, unter denen es sogar nothwendig wird, die bedeutendsten und berühmtesten Namen ungenannt zu lassen. Denken Sie an die Inkognitos der Fürsten!«
»Diese Fürsten, haben einen andern Zweck als derjenige ist, welcher Sie nach Helbigsdorf führte.«
»Ich bin erstaunt, mein Fräulein. Sie kennen mich nicht, wie ich wohl behaupten darf, und wollen Kenntniß von meinen Zwecken haben!«
»Ich kenne Sie und Ihren Zweck!«
»Ah! Wer bin ich?«
»Pah! Adieu!«
Sie wollte sich von ihm wenden, er aber hielt sie bei der Hand fest.
»Halt, so entkommen Sie mir nicht!«
»Prinz!«
Dieses Wort war drohend gesprochen, und ihre kleine Rechte ballte sich zornig, während er ihre Linke fest umschlossen hielt.
»Ah, wirklich; also doch!« lächelte er. »Sie kennen mich! Dann sprachen Sie bisher doch nur im Scherz!«
»Warum im Scherz? Ist man gezwungen, eine Zurechtweisung nur aus dem Grunde zurückzuhalten, weil sie gegen einen Prinzen gerichtet ist? Sie sind mir unangenehm, und das habe ich Ihnen aufrichtig mitgetheilt; das ist Alles. Geben Sie meine Hand frei!«
»Dieses Händchen soll ich freigeben? Fällt mir nicht ein. Sie sind das schönste, das herrlichste Wesen, welches mir jemals begegnet ist, und nun ich diesen Engel vor mir habe, soll ich mich freiwillig aus seiner Nähe verbannen? Das ist zu viel verlangt.«
»Sie werden es thun!«
»Wer will mich zwingen?«
»Ich.«
»Womit? Sie wollen rufen?«.
»Rufen? Pah!« antwortete sie verächtlich.
»Was sonst?«
»Das werden Sie erfahren, sobald Sie fortfahren, zudringlich zu sein. Ich ersuche Sie zum letzten Male, meine Hand loszulassen!«
»Ich halte sie fest.«
»Nun denn. Sie wollen es nicht anders!«
Sie holte mit der Rechten blitzschnell aus und schlug ihm damit so kräftig in das Angesicht, daß er zurückwich und ihre Hand fahren ließ. Im nächsten Augenblicke aber trat er wieder auf sie zu und schlang die Arme um sie.
»Ah, Du kleiner süßer Teufel; das sollst Du mir bezahlen!«
Sie versuchte von ihm loszukommen, aber ihre Kraft reichte der seinigen gegenüber nicht aus. Schon spitzte er die Lippen zum Kusse, als er einen Schlag gegen den Kopf erhielt, unter welchem er zu Boden taumelte.
»Kurt!« rief das Mädchen, ihm die Hände entgegenstreckend. »Du bist es!«
»Ich bin es, Magda,« antwortete er ruhig. »Ich stand hinter dieser Eiche und habe Alles gehört.«
Der Prinz hatte sich schleunigst wieder erhoben. Er glühte vor Scham und Wuth.
»Mensch, wer sind Sie?« frug er bebend.
»Fragen Sie einen der Diener, er wird Ihnen meinen Namen sagen. Er ist zu gut und zu ehrlich, als daß ich ihn einem Unverschämten gegenüber nennen sollte.«
»Kerl, was wagst Du!«
»Herr, Sie sehen, ich bin Offizier!«
»Ich ebenso!«
»Das erkenne ich weder an Ihrer Kleidung noch an Ihrem Betragen. Das letztere ist ganz dasjenige eines Schurken.«
»Herr, wissen Sie, wer ich bin?«
»Möglich!«
»Ich bin ein königlicher Prinz von Süderland!«
»Möglich! Wenigstens soll es dort einen Prinzen geben, welcher wie ein Bube lebt und jedenfalls auch wie ein Bube enden wird.«
»Bursche, ich zermalme Dich!«
Er wollte den Lieutenant fassen, aber dieser wich ihm aus.
»Prinz, sehen Sie sich vor. Ein Seemann greift anders zu als eine Landspinne!«
»Das werden wir sehen. Ich fordere Genugthuung!«
»Doch nicht von mir? Ich schlage mich nur mit Ehrenmännern!«
»Auch das noch? Da, nimm!«
Er holte aus, schon aber hatte Kurt ihn gepackt, hob ihn empor und schmetterte ihn zu Boden, daß er liegen blieb.
»Komm, Magda; er hat genug!«
Sie blickte mit leuchtenden Augen auf das schöne ruhige Gesicht des jungen Mannes.
»Kurt, fürchtest Du ihn nicht?«
»Nein. Für Dich kenne ich keine Furcht!«
»Wird es ihm schaden?«
»Das laß seine Sache sein. Komm! Wo ist Papa?«
»Er wird in seiner Stube sein. Er hat in letzter Zeit sehr viel korrespondirt und scheint sehr zahlreiche Geheimnisse zu haben.«
»Du wußtest, daß er mich erwartet?«
»Ich wußte es. Darum bin ich ja auch –«
Sie schwieg, während ein tiefes Roth ihr schönes Antlitz überflog.
»Darum bist Du ja auch – nun, was denn?«
»Das darf ich Dir nicht sagen.«
»Wirklich nicht, Magda? Auch nicht, wenn ich Dich recht herzlich bitte?«
»Vielleicht, Kurt.«
»Bitte, bitte, Magda!«
»Ich wollte, sagen, daß ich darum ja auch bereits ausgeritten war.«
»Ich danke Dir! Du wolltest den Weg sehen, der mich zu Dir bringen würde?«
»Ja, obgleich ich wußte, daß Du erst nach Stunden kommen konntest.«
»Ja, es scheint, ich habe ein recht ungeduldiges Schwesterchen! Herr von Uhle ist mit den Tanten im Garten?«
»Hast Du sie gesehen? Er brachte den Prinzen nach Helbigsdorf.«
»Was will er hier?«
»Frage Kunz; er wird es Dir sagen!«
»Du weißt es wohl nicht?«
»Doch!«
»Warum kannst Du es mir nicht sagen?«
»Weil es mich selbst betrifft.«
Er blieb erschrocken stehen und starrte sie an.
»Dich selbst?! Ah, doch nicht – nein, das ist ja unmöglich!«
Sie erglühte bis zum Nacken herab.
»Kurt, ich weiß nicht, was Du meinst!«
»Ich meine – ich denke – Magda, sollst Du von hier fort?«
»Nein, bewahre. Frage nur Kunz. Du kannst ganz ruhig sein!«
Jetzt bekam sein erbleichtes Gesicht wieder Farbe.
»Also war es nur ein roher Angriff! Ah, er soll es noch einmal wagen; dann werde ich diesen Schurken zu züchtigen wissen!«
Sie hatten das Schloß erreicht. Er führte Magda nach ihrem Zimmer und ging dann, den General aufzusuchen. Im Korridore stand Kunz.
»Der junge Herr!« rief dieser erfreut, indem er auf ihn zueilte. »Willkommen auf Helbigsdorf, Herr Kurt! Aber man hat Sie doch gar nicht kommen sehen?«
»Ich komme durch den Park.«
»Ah! Haben Sie die Gäste bemerkt?«
»Herrn von Uhle und den tollen Prinzen?«
»Sie kennen ihn?«
»Ich habe mit ihm gesprochen und – höre, Kunz, weshalb ist er eigentlich nach Helbigsdorf gekommen?«
»Fragen Sie Fräulein Magda!«
»Die hat zu mir gesagt, daß ich Dich fragen soll.«
»Ach so! Hm, ja, sie kann es freilich nicht gut selbst sagen.«
Er erzählte dem Lieutenant das, was er erlauscht hatte und nahm ihm durch diese Mittheilung einen Stein vom Herzen. Dieser theilte ihm sein kleines Renkontre mit dem Prinzen mit und frug dann:
»Ist der General in seinem Zimmer?«
»Ja.«
»Melde mich an!«
»Ist nicht nöthig. Der Herr General sagten, daß Sie unangemeldet eintreten dürfen.«
Kurt trat ein. Der General empfing ihn wie einen Sohn.
»Kurt, da bist Du ja! Sei mir willkommen!«
Er reichte ihm die Hand und zog ihn an sich.
»Ich bat um Urlaub, weil Du mir schriebst, daß ich kommen solle,« meinte der junge Seemann.
»Wie lange darfst Du bleiben?«
»Ich habe Erlaubniß für unbestimmte Zeit.«
»Das ist gut, denn Du wirst eine längere freie Zeit nöthig haben.«
»Wozu?«
»Ich erwarte Besuch, der Dir sehr willkommen sein wird.«
»Wann?«
»Noch heute.«
»Wer ist es?«
»Zwei Seemänner mit einigen Bekannten.«
»Offiziere?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Das laß mich jetzt noch verschweigen. Es soll eine Ueberraschung für Euch Alle werden, eine Ueberraschung, auf welche Keines von Euch gefaßt sein wird.«
»Gehört auch der Besuch dazu, welcher jetzt im Garten war?«
»Der Prinz?«
»Ja.«
»Nein. Seine Ankunft war uns allerdings auch eine Ueberraschung.«
»Wie kommt er nach Helbigsdorf?«
»Er hat Herrn von Uhle aufgesucht und ist mit diesem herübergekommen.«
»Wer ist dieser Herr von Uhle?«
»Ein süderländischer Edelmann, der sich kürzlich hier angekauft hat. Er ist mir nicht sympathisch, aber man muß auf Nachbarschaft halten.«
»So ist dieser Prinz Dein Gast?«
»Ja.«
»Und ich habe ihn beleidigt!«
Kurt erzählte. Der General runzelte die Stirn.
»Du hast zwar etwas kräftig, aber doch sehr recht gehandelt,« meinte er. »Dieser Mensch soll nicht wagen, Magda zu belästigen, weil er sich auf seinen Rang verläßt. In meinen Augen ist er ein Roué, der sich in der öffentlichen Meinung ruinirt hat und vielleicht an seinem Hofe einmal vollständig unmöglich sein wird. Sein heutiges Betragen ist ein solches, daß ich ihn nicht wieder sehen mag. Ich werde ihm eine Lektion ertheilen, die ebenso derb sein wird wie die Deinige.«
»Welche?«
»Das sollst Du gleich sehen!«
Er klingelte, und der Diener trat ein.
»Kunz, der Prinz ist im Garten oder im Parke?«
»Mit den Fräuleins.«
»Du gehst ihn zu suchen und sagst ihm, daß ich für ihn nicht wieder zu sprechen sei.«
Der alte Diener lachte am ganzen Gesichte.
»Werde es ausrichten, Excellenz, und sicher nichts vergessen! Verstanden?«
Er ging. Im Garten traf er den Prinzen bei den drei Schwestern. Er redete ihn ohne alle Einleitung und Titulation an.
»Hören Sie!«
»Was?« frug der Prinz, sich erstaunt über diese respektlose Ausdrucksweise zu ihm drehend.
»Seine Excellenz der Herr General lassen Ihnen sagen, daß sie sich entfernen mögen.«
»Ich?«
»Ja, Sie!«
»Mensch, Du bist verrückt!«
»Leider nein. Verstanden?«
»Du wagst es, in diesem Tone zu einem – zu mir zu reden Ich werde mich sofort beim General beschweren und Dich bestrafen lassen!«
»Reden Sie etwas höflicher, sonst gehen Sie nicht, sondern Sie werden gegangen! Verstanden? Seine Excellenz haben befohlen Sie nicht wieder vorzulassen, und wenn Sie trotzdem das Vorzimmer betreten, so werde ich unser Hausrecht gebrauchen. Verstanden?«
»Kunz!« rief die Blaue.
»Mensch!« rief die Purpurne.
»Unhöflicher!« rief die Grüne.
»Bin ich unhöflich, wenn ich den Auftrag des Herrn Generales wörtlich ausführe?«
»Das hat er nicht befohlen!« behauptete die Lange.
»Unmöglich!« rief die Kleine.
»Ganz und gar unmöglich!« stimmte auch die Dicke bei. »Warum sollte er eine so krasse Unschicklichkeit begehen?«
»Weil dieser Mann eine noch viel krassere Unschicklichkeit begangen hat.«
»Welche?«
»Er hat Fräulein Magda angefallen, insultirt wie ein Bube.«
»Magda insultirt? Als unser Gast? Pfui!« rief Zilla.
Die drei Schwestern sahen sich an ihrer schönsten Seite, welche sie besaßen, an der Liebe zu Magda angegriffen.
»Pfui!« rief auch Wanka.
»Pfui!« schloß Zilla, und alle drei wandten sich ab und ließen den Prinzen stehen, um dem sich entfernenden Diener nachzugehen.
»Wie hat er sie insultirt?« frug ihn die Blaue.
»Hm!« antwortete er achselzuckend.
»Sagen Sie es!« befahl die Purpurne.
»Das geht nicht!«
»Warum nicht?«
»Von solchen Sachen spricht man nicht,« meinte er, innerlich belustigt.
»Aber ich befehle es Ihnen!« sagte die Grüne sehr entschieden.
»So muß ich gehorchen!«
»Nun?«
»Er wollte ihr etwas geben.«
»Was?«
»Etwas, was Sie alle Drei wohl noch nie empfangen haben.«
»Einen Kuß.«
»Schrecklich!« rief die Lange.
»Entsetzlich!« sekundirte die Rothe.
»Abscheulich!« lamentirte die Grüne, indem sie die Hände zusammenschlug. »Ist es ihm denn gelungen?«
»Nein.«
»Sie hat sich gewehrt?«
»Sehr! Und Kurt hat ihr beigestanden.«
»Kurt?«
»Ja. Er hat diesen Menschen niedergeschlagen.«
»Kurt? Der ist ja gar nicht da!«
»Der Herr Lieutenant sind vorhin gekommen und befinden sich jetzt bei seiner Excellenz.«
»Ist das wahr?« rief Freya erfreut. »Dann müssen wir ihn ja sofort begrüßen. Kommt!«
Um diese Zeit kam von der entgegengesetzten Seite ein Wagen gefahren, der im Trabe durch das Dorf rollte und nach dem Schlosse fuhr. Als er im Hofe desselben hielt, stiegen vier Männer aus. Bill Holmers, der Riese, Friedrich von Walmy, der Steuermann Schubert und der Oberbootsmann Karavey. Einer der Knechte eilte herbei.
»Ist der General daheim?« frug Walmy.
»Ja.«
»Wo meldet man sich an?«
»Das Vorzimmer liegt eine Treppe hoch.«
»Schirren Sie die Pferde aus. Wir bleiben hier.«
Die vier Ankömmlinge traten in das Schloß und trafen oben auf Kunz.
»Ist der Herr General zu sprechen?« erkundigte sich Walmy.
»Er hat soeben Besuch, aber ich werde anfragen. Wen soll ich melden?«
»Sagen Sie ihm, daß die Erwarteten hier seien.«
Er sah die Vier prüfend an.
»Die Erwarteten? Er weiß, daß Sie kommen?«
»Ja; er hat uns für heute eingeladen.«
»So werde ich Sie melden. Verstanden?«
Er trat in das Zimmer des Generals.
»Excellenz!«
»Was?«
»Es sind vier fremde Männer draußen.«
»Wer ist es?«
»Sie nannten keinen Namen. Ich soll sagen, daß es die Erwarteten sind.«
»Ah! Laß sie eintreten!«
Kurt erhob sich um zu gehen, und auch die Schwestern, welche noch zugegen waren, wollten dasselbe thun.
»Bleibt!« bat der General. »Dieser Besuch wird Euch Alle sehr lebhaft interessiren. Besonders Dich, Kurt.«
»Inwiefern?«
»Das wirst Du bald sehen!«
Die vier Männer traten ein. Walmy grüßte mit vollendeter kavaliermäßiger Höflichkeit:
»Excellenz?«
»Ja.«
»Verzeihen der Herr General, daß wir es unternehmen, von Ihrer so freundlichen Einladung Gebrauch zu machen!«
»Ich habe nichts zu verzeihen, da ich Sie im Gegentheile recht herzlich willkommen heißen muß. Sie sind der Prairiejäger Fred?«
»Ja,« antwortete Walmy lächelnd.
»Dann vermuthe ich, daß dieser andere Herr den Namen führt, den Sie in Ihrem Briefe nannten: Bill Holmers?«
»So ist es.«
»Die andern beiden Herrn kenne ich nun ja auch. Dieser Herr hier ist mein Sohn, und diese Damen sind meine Schwestern. Nehmen Sie Platz!«
Als sie sich niedergelassen hatten, wandte sich der General an seine Schwestern:
»Diese Herrn kommen zu mir in der Mylungenschen Angelegenheit.«
»Ah!« meinte Freya. »Hat sich etwas herausgestellt?«
»Nein. Aber es sind Vermuthungen vorhanden, daß sich etwas herausstellen wird. Laßt Euch diesen Herrn vorstellen! Es ist der Herr Baron Friedrich von Walmy.«
»Nicht möglich!« rief die Blaue.
»Unmöglich!« rief die Grüne.
»Nicht zu glauben!« rief die Purpurne. »Dieser Herr ist ja in Amerika, wie man hört!«
»Und doch bin ich es,« meinte Friedrich mit einem leichten Lächeln. »Ich bin seit einigen Tagen wieder zurückgekehrt.«
»Man sagt, Sie seien gegangen, um –«
»Um,« vervollständigte er; »um nach meinem verschwundenen Bruder zu forschen? Man hat Sie recht berichtet, meine Damen.«
»Haben Sie eine Spur von ihm gefunden?«
»Von ihm nicht. Wohl aber haben wir seinen Diener getroffen, und was wir von diesem erfuhren, läßt uns vermuthen, daß der Bruder nicht in Amerika, sondern in der Heimath zu suchen sei, wenn er überhaupt noch lebt.«
»Und diese Verhältnisse stehen mit der Mylungenschen Angelegenheit in einer Beziehung?« forschte Zilla.
»Ja.«
»Inwiefern?«
»Das weiß ich selbst noch nicht, aber einer unserer Freunde behauptet es. Er hat eine Reise unternommen, um, wie ich glaube, über diese Dinge Erkundigungen einzuziehen; aber er weiß, daß wir uns hier befinden und wird noch heut oder morgen auch eintreffen.«
»Sie müssen nämlich wissen, daß wir mit der Familie Mylungen eng befreundet sind,« erklärte Wanka. »Mein Bruder hat sich an Sie gewandt?«
»Nein, sondern ich mich an ihn, und zwar in Folge eines Rathes, welcher mir von dem Kommandeur des berühmten Kriegsschiffes »der Tiger« ertheilt wurde.«
»Ah! Kennen Sie ihn?«
»Ich war bei ihm, da diese beiden Herren Offiziere dieses Schiffes sind.«
Da erhob sich Kurt sehr schnell.
»Was höre ich!« meinte er. »Sie sind Kameraden von mir?«
Der General lächelte befriedigt. Er wußte, was nun erfolgen werde.
»Allerdings, Herr Lieutenant,« antwortete Schubert. »Ich gab Ihnen das nur deshalb noch nicht zu erkennen, weil der Herr General nicht die Güte hatte, uns einander vorzustellen.«
»Dieser Mann, der beste Freund, welchen ich besitze, ist Hochbootsmann auf dem »Tiger«. Er heißt Karavey und –«
»Was? Karavey? Ists möglich!«
»Kennen Sie ihn?«
»Noch nicht persönlich; aber seinen Namen hörte ich sehr oft nennen.« Und sich an den Hochbootsmann wendend frug er: »Der Steuermann des »Tiger« heißt Balduin Schubert?«
»Ja.«
»Sie sind ein Freund von ihm?«
»Ja.«
»Wo ist der Tiger jetzt?«
»Er ist unterwegs auf einer kurzen Bedeckungsfahrt.«
»Und der Steuermann befindet sich an Bord?«
»Nein.«
»Nicht? Wo ist er?«
»Hier steht er!«
»Sie –! Sie sind es? Du – Du –!«
Er öffnete die Arme und wollte auf den Steuermann zustürzen, blieb aber bei dem überraschten Gesichte desselben auf halbem Wege halten und wandte sich gegen den General:
»O, ich danke Dir! War dies die Ueberraschung, welche Du meintest?«
»Allerdings! Steuermann, ich habe diesen jungen Mann meinen Sohn genannt. Er ist nicht mein leiblicher Sohn, sondern mein Pflegekind, und sein Name lautet Kurt Schubert.«
»Kurt Schu –!«
Der Steuermann erstarrte, aber der Lieutenant umfaßte ihn und küßte ihn.
»Vater! Ich bin ja Dein Sohn!«
»Du – Sie – ein Lieutenant! Oh!«
Es erfolgte nun eine Scene, welche sich unmöglich beschreiben läßt. Die drei Schwestern fanden zuerst wieder Worte:
»Sein Vater!« rief die Kleine.
»Der Steuermann!« rief die Dicke.
»Welche Ueberraschung!« rief die Lange. »Sie müssen dableiben!«
»Das versteht sich!« stimmte die Grüne bei.
»Ganz natürlich!« ließ sich auch die Purpurne vernehmen.
»Ihr hattet einen Sohn?« frug Bill den Reisegefährten. »Das haben wir ja gar nicht gewußt, Alter!«
»Du hast Urlaub?« meinte endlich der Steuermann, bei dem die wiedergefundene Sprache sich zunächst des Dienstlichen bemächtigte.
»Ja, und zwar auf unbestimmte Zeit.«
»O, ich werde mit dem Kommodore reden, und mein Bruder muß es auch dem Könige sagen, daß Du mit auf den »Tiger« darfst!«
»Thue das, Vater! Bei Dir zu sein ist ein Glück, und auf diesem Schiffe zu dienen die größte Ehre für einen Seemann. Aber warte einmal, wen ich Dir jetzt bringen werde!«
Er eilte hinaus und in die Küche, in welcher sich Frau Hartig befand.
»Mutter, rathe schnell, wer da ist!«
»Vier Herren.«
»Ja, aber wer befindet sich unter ihnen?«
»Wie soll ich das wissen!«
»Komm mit zum General! Ich will sehen, ob Ihr Euch erkennen werdet!«
»Wer ist es?«
»Ein – ein alter Bekannter von Dir.«
»Wie heißt er?«
»Das werde ich Dir jetzt nicht sagen. Komme doch schnell!«
Sie legte die Küchenschürze ab und folgte ihm. In dem Zimmer des Generals angekommen, stellte Kurt die beiden Leute einander gegenüber. Der Steuermann blickte sie forschend an; sie hatte sich zu sehr verändert, aber sie, sie sah ihm in das breite ehrliche Gesicht und in die blauen treuen Augen, welche sie niemals vergessen hatte.
»Balduin!« rief sie, indem sie die Hände vor glückseligem Staunen zusammenschlug.
»Es ist die Mutter!« erklärte der Lieutenant.
»Wa – wa – was!« rief Schubert, und im nächsten Augenblicke hatte er sie an der Brust liegen.
Kurt aber eilte hinaus und über den Hof, in das Dorf hinab. Dort ging er in den Gasthof, wo er den Schmied und dessen Frau gelassen hatte.
»Onkel, Tante, kommt schnell auf das Schloß!« rief er.
»Was ist denn los?« frug Thomas.
»Eine Ueberraschung.«
»Eine Ueperraschung? Was denn für eine?«
»Frage nicht, sondern komme nur!«
»Gut, Du sollst Deinen Willen hapen! Soll die Parpara auch mit?«
»Versteht sich!«
Die Wirthin hatte bereits gewußt, daß sich dies ganz von selbst verstand. Sie, die dickste Person von allen Dreien, war doch die schnellste. Sie stand bereits unter der Thüre.
Nun ging es in möglichster Eile nach dem Schlosse und zwar in das Arbeitszimmer des Generales, welches von Tabaksqualm und Menschen angefüllt war. Aus diesem Qualm heraus war zunächst die breite Gestalt des Steuermannes zu erkennen.
»Palduin!« rief der Schmied.
Der Seemann drehte sich um.
»Thomas! Du bist hier in Helbigsdorf?«
»Ja, ich pin da, wie ich leipe und lepe. Aper Du? Ist es Dein Geist oder pist Du es wirklich selper?«
»Ich bin es selbst.«
»Ich denke, Du pist auf dem Meere und in Ostindien!«
»Frage nicht!« befahl Barbara. »Umarme ihn und gib ihm einen Schmatz.«
»Wirst Du da nicht eifersüchtig, Parpara?«
»Fällt mir nicht ein!«
»So komm, Pruder Palduin. Du sollst die Umarmung hapen und auch den Schmatz dazu!«
Sie nahmen sich beim Kopfe und küßten sich herzhaft ab. Dann kam auch die Wirthin an die Reihe. Während dieser Zeit hatte der Schmied Muße, sich im Zimmer weiter umzusehen.
»Karavey, Du pist auch da?«
»Auch!« antwortete dieser.
»Willst Du auch umarmt sein?«
»Natürlich!«
»Mit Schmatz oder ohne?«
»Mit!«
»Schön! Die Parpara wird es wohl erlaupen!«
Auch diese Begrüßung wurde vollbracht. Dann ging es an diejenigen der andern Personen.
Unterdessen schritten zwei Männer von dem Schlosse abseits in den Wald hinein, auf dem Wege, welcher zum Nachbargute führte. Es war der Prinz mit Herrn von Uhle. Keiner sprach ein Wort. Herr von Uhle ließ zuweilen auf seinen Begleiter einen verstohlen forschenden Blick fallen, wobei sich ein leises verhaltenes Lächeln um seinen Mund legte. Der Prinz hielt den Blick gesenkt. Er schien über etwas nachzusinnen, aber es konnte nichts Angenehmes sein, denn seine Stirn lag in düsteren Falten, und seine Hand fuhr von Augenblick zu Augenblick ärgerlich nach den Spitzen seines Schnurrbartes, um diese sehr energisch in die Luft hinauszuwirbeln. Endlich spitzte er den Mund zu einem raschen energischen Pfeifen und wandte sich an Uhle:
»Sie kennen dieses Helbigsdorf?«
»Ja.«
»Genau?«
»So genau, wie es bei meinem noch nicht langen Aufenthalt hier möglich ist.«
»Sind Ihnen die Familienverhältnisse bekannt?«
»Ich glaube.«
»Ist die Tochter des Generals verlobt?«
»Nein.«
»Hat sie eine Bekanntschaft, welche man Liäson nennen könnte?«
»Schwerlich! Wenigstens habe ich nichts von einer solchen gehört.«
»Einen Sohn hat der General nicht?«
»Nein.«
»Aber es begegnete mir im Garten ein junger Mensch, welcher sich mit der Tochter des Generales duzte.«
»Civil?«
»Militär, von der Marine.«
»Das war sein Pflegesohn.«
»Hm! Pflegesohn! Wohl ursprünglich verwandt mit ihm?«
»Ich glaube nicht. Es gehen darüber sehr verschiedene Gerüchte. Man sagt sich sogar, daß er ein Fallkind sei, und zwar von einem sehr obskuren Vater.«
»Wer ist dieser?«
»Pah! Ein Matrose.«
»Unmöglich! Der Pflegesohn eines Generales der uneheliche Sohn eines Matrosen!«
»Wenigstens zu glauben ist die Sache doch, denn die Mutter dieses jungen Menschen ist die Wirthschafterin des Generales.«
»Der Kerl hatte Züge, welche mir einigermaßen bekannt vorkamen. Wenigstens war es mir ganz so, als ob ich ihm bereits einmal begegnet sein müsse. Woher stammt die Frau?«
»Der General hat sie, wie man sich sagt, in einem Seebade kennen gelernt.«
»In einem Seebade? In welchem?«
»Ich glaube, man nannte Fallun.«
»Fallun? Hm! Donnerwetter! Wie heißt die Frau?«
»Man nennt sie Frau Hartig.«
»Hartig? Ah! Und wie heißt ihr Sohn?«
»Der Marineoffizier?«
»Ja doch!«
»Kurt.«
Der Prinz schnalzte mit dem Finger. »Jetzt habe ich es! Ah, bist Du es, mein Junge!«
»Hoheit kennen ihn?«
»Ja; sehr sogar.«
»Aber von keiner angenehmen Seite, wie ich glaube annehmen zu dürfen?«
»Möglich! Aber ich denke, daß –«
Er wurde unterbrochen. Am Rande des Waldfahrweges, welchen sie eingeschlagen hatten, saß ein Mann, welcher sich bei ihrer Annäherung erhob und den alten Hut vom Kopfe nahm, um ihnen denselben entgegen zu halten. Es war ein Bettler.
Herr von Uhle griff in die Tasche und gab ihm ein Geldstück, der Prinz aber sah ihn mit strenger Miene an.
»Man bettelt sogar hier in dem Walde?« frug er. »Das ist denn doch etwas zu stark!«
»Verzeihen Sie, Herr!« entschuldigte sich der Fremde. »Ich bin nicht aus dieser Gegend und habe kein Reisegeld.«
»Wer bist Du?«
»Ich bin ein armer Schiffer.«
»Ein Schiffer? Und läufst hier in den Bergen herum!«
»Ich will nach Süderland.«
Der Mann sah sehr verhungert und verkümmert aus. Er mußte krank gewesen sein oder sonst irgendwie gelitten haben.
»Woher kommst Du?«
»Da unten von der See.«
»Da konntest Du doch zur See nach Süderland?«
»Es nahm mich niemand mit.«
»Warum?«
»Ich konnte nicht bezahlen.«
»Als Schiffer hättest Du ja arbeiten können!«
»Ich war zu schwach dazu. Ich bin lange Zeit krank gewesen.«
»Hast Du keine Freunde, keine Verwandten?«
»Ich reise eben um sie zu besuchen.«
»Wo? In Süderland?«
»Nein. Sie wohnen hier in der Nähe.«
»Wo denn da?« frug Herr von Uhle.
»In Helbigsdorf.«
»Wer ist es?«
»Die Wirthschafterin des Generales.«
»Ja, sie ist meine Frau.«
»Ah!« rief der Prinz. »Woher bist Du?«
»Aus Fallun.«
»Wie heißest Du?«
»Hartig.«
»Stimmt! Herr von Uhle, gehen Sie immerhin weiter! Ich komme nach und habe mit diesem Manne noch Einiges zu reden.«
»Dauert es lange?«
»Ich weiß das noch nicht. Gehen Sie immerhin, ich werde mich nicht im Walde verirren.«
Uhle ging, und der Prinz wandte sich wieder an Hartig.
»Weißt Du warum Du so schlecht aussiehst?«
»Weil ich krank gewesen bin.«
»Nein! Weißt Du, warum Du nicht daheim bleiben kannst und warum Du Niemand gefunden hast, der Dich mit auf sein Schiff nehmen wollte?«
»Weil ich zu schwach bin.«
»Nein, sondern weil Du aus dem Zuchthause kommst.«
»Herr!«
»Leugne nicht. Aber sei unbesorgt. Ich mache Dir keinen Vorwurf. Habe ich es errathen?«
»Ja,« antwortete der Mann zögernd.
»Kanntest Du zwei Männer im Zuchthause, welche früher Aerzte an einer hiesigen Irrenanstalt waren?«
»Ja. Sie sind in der Gefangenschaft gestorben.«
»Kanntest Du einen gewissen Raumburg?«
»Den Sohn des alten Herzoges?«
»Ja.«
»Er hat sich in seiner Zelle die Pulsader aufgeschnitten.«
»Und Du – Du bist entsprungen?«
»Nein, Herr. Ich bin entlassen.«
»Weißt Du, was Deine Frau jetzt ist?«
»Wirthschafterin bei dem General. Zu ihr will ich.«
»Glaubst Du, daß sie oder der General Dich unterstützen wird?«
»Ich bin ihr Mann. Sie muß mich aufnehmen oder mir nach Süderland folgen. In Norland finde ich kein Fortkommen mehr.«
»Kennst Du mich?«
»Nein.«
»Aber wir haben uns einst in Fallun gesehen.«
»Das ist möglich. Es gab dort viele Badegäste, die fuhren in meinem Boote spazieren.«
»Ich bin nicht nur mit Dir, sondern auch mit Deinem Sohne gefahren.«
»Es war nur mein Stiefsohn.«
»Ja, der Sohn eines Matrosen. Ich bin sogar mit ihm zusammengefahren, das heißt, mit ihm zusammengerannt.«
»Ah!« rief Hartig, aufmerksam werdend.
»Und mußte deshalb vor Gericht erscheinen – –«
»Sie sind –!«
»Und wurde bestraft trotz meines Standes, der mich eigentlich gegen eine solche Behandlung schützte.«
»Herr, jetzt weiß ich wer Sie sind! Sie sind – –«
»Still! Wir wollen hier keinen Namen nennen. Aber ich interessire mich für Dich. Auf Helbigsdorf findest Du wohl nicht das, was Du suchest.«
»Das ist sehr wahrscheinlich.«
»Ich bin vielleicht in der Lage, für Dich sorgen zu können.«
»Herr, wenn dies wahr wäre!«
»Es ist wahr.«
»O, königliche Hoheit, solch ein – –«
»Still! Laß mit dem Namen auch den Titel fort. Ich werde jetzt ein Stück mit Dir gehen und vor Helbigsdorf auf Dich warten. Du kehrst zu mir zurück und sagst mir, wie Dein Besuch ausgefallen ist. Dann werden wir ja sehen, was sich thun läßt. Willst Du?«
»Gern.«
»Aber von mir hast Du kein Wort zu erwähnen!«
»Nicht eine Silbe werde ich sagen!«
Sie gingen mit einander fort, und zwar nicht auf dem gebahnten Wege, sondern sie schritten quer durch den Wald, um eine jede unliebsame Begegnung zu vermeiden. Als sie das Schloß erblickten, hielt der Prinz an.
»Das ist Helbigsdorf. Nun gehe allein weiter. Ich werde hier warten.«
»Ich kehre auf jeden Fall zurück, Herr.«
»Solltest Du mich hier nicht sehen, so brauchst Du nur zu pfeifen. Es könnte ja der Fall sein, daß ich mich verstecken müßte.«
Hartig ging weiter. Am Eingange des Schlosses fand er einen Diener.
»Ist das Schloß Helbigsdorf?« frug er.
»Ja,« antwortete der Gefragte etwas reservirt.
»Ich danke.«
Er wollte weiter gehen, doch der Diener hielt ihn zurück. »Warte Er! Hier hat Er etwas, und nun kann Er umkehren.«
Er hielt ihm eine kleine Münze entgegen. Hartig nahm sie nicht und blickte ihn stolz an.
»Ich bin kein Bettler!«
»Nicht? Was will Er sonst im Schlosse?«
»Darnach hat Er nichts zu fragen.«
Er war jetzt auf einmal ein ganz Anderer geworden. Er schritt an dem halb und halb verblüfften Diener vorüber und in den Schloßhof hinein. Da ging er sofort auf das Portal zu, und stieg, da sich hier Niemand zeigte, die Treppe empor. Droben kam eben Kunz aus dem Zimmer des Generals.
»Was will Er?«
»Ich will mit der Wirthschafterin sprechen.«
»Mit Frau Hartig?«
»Ja!«
»Was sucht Er bei ihr?«
»Das geht blos mich und sie an!«
»Und mich, wenn Er nämlich nichts dagegen hat! Ich habe alle Fremden anzumelden. Also was will Er?«
»Ich habe ihr etwas zu sagen.«
»Was?«
»Wenn ich es Ihm sagen wollte, brauchte ich nicht zu ihr!«
»Er ist ein Grobian. Packe Er sich fort!«
»Er hat mich nicht abzuweisen! Wo ist die Wirthschafterin?«
»Ich habe gesagt, daß Er gehen soll!«
»Und ich habe gefragt, wo die Wirthschafterin ist!«
»Wenn Er nicht sofort geht, werde ich Ihn fortbringen.«
»Er wäre mir der Kerl dazu! Ich glaube – –«
»Wer zankt hier!« rief eine strenge Stimme.
Als sich die Beiden umsahen, stand der General bei ihnen.
»Dieser Mann macht Spektakel, Excellenz!« antwortete Kunz.
»Wer ist er?«
»Er gibt keine Auskunft. Verstanden?«
»Was will Er?«
»Ich suche die Wirthschafterin, Herr General,« antwortete Hartig.
»Was will Er bei ihr?«
»Ich will mit ihr sprechen!«
»Ich frage ihn ja eben nach Dem, was Er mit ihr zu reden hat.«
»Ich werde doch mit ihr reden dürfen! Ich bin ihr Mann.«
»Ihr Mann?« frug der General.
»Donnerwetter!« fluchte Kunz.
»Ja. Sie ist meine Frau!«
»So ist Er der Schiffer Hartig aus Fallun?«
»Ja.«
»Er ist wohl entlassen worden?«
»Ich bin frei.«
»Komme Er. Ich selbst werde Ihn zu seiner Frau führen.«
Er ging voran nach der Küche. Dort befanden sich neben der Wirthschafterin auch die drei Schwestern.
»Fran Hartig,« sagte der General, »es ist heut ein Tag der Ueberraschungen. Dieser Mann will zu Ihnen.«
»Wer ist es?«
Sie drehte sich herum nach dem Fremden und erblaßte.
»Kennst Du mich?« frug er.
»Hartig!« rief sie, tief erschrocken.
Er wartete einige Augenblicke, dann frug er:
»Du heißest mich nicht willkommen?«
»Nein,« stöhnte sie. »Du kommst aus – aus – –«
»Aus dem Zuchthause!« ergänzte er frech und höhnisch.
»Aus dem Zuchthause?« kreischte Freya. »Mein Gott!«
»Mein Himmel!« ächzte Wanka.
»Herrjeh!« rief Zilla.
»Und zu mir kommst Du,« fuhr die Wirthschafterin fort.
»Zu Dir, denn ich wußte, daß Du nicht zu mir kommen würdest. Kannst Du mich nicht bewillkommnen? Hast Du keinen Gruß, keinen Platz für Deinen Mann?«
»Nein. Nie!« wehrte sie ab.
»Ja, das glaube ich! Während ich kargte und darbte, während ich im Zuchthause hungern und spinnen mußte, genossest Du das Leben und hast darüber mich natürlich vollständig vergessen. Ich bin Dein Mann, und Du gehörst zu mir. Wenn Du hier keinen Platz für mich hast, so wirst Du dieses Haus verlassen und mit mir gehen.«
»Er sieht ganz so aus, als ob sie mit Ihm gehen würde,« meinte Kunz, der aus Neugierde mit eingetreten war.
»Das geht Ihm den Teufel an.«
»Oho! Er ist grob und wird mir daher wohl erlauben, es auch zu sein. Verstanden?«
Der General wandte sich zu seiner Wirthschafterin:
»Frau Hartig, wollen Sie mit diesem Mann wieder beisammen sein?«
»Niemals!« antwortete sie.
Sie hatte heut den wiedergefunden, dem ihre erste Liebe gehörte, den ihr Herz nie vergessen hatte, sie konnte dem Andern nicht mehr gehören.
»Er hört es!« sagte Helbig zu Hartig.
»Ja, ich höre es. Aber sie wird sich wohl noch anders besinnen.«
»Nein!« antwortete sie.
»Du bist meine Frau, Du wirst mir folgen müssen!«
»Da irrt Er sich!« sagte der General. »Sie bleibt hier bei mir, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr baldigst geschieden werdet.«
»Er wird gezwungen werden sie loszugeben. Es ist aber für Ihn besser, dies freiwillig zu thun. Wenn Er sich dazu bereitfinden läßt, so werde ich mich vielleicht entschließen, etwas für Sein Fortkommen zu thun.«
»Ich brauche Niemand, und am allerwenigsten Sie!«
»So! Dann kann Er also gehen!«
»Es kann mich Niemand hier gehen heißen, so lange sich meine Frau hier befindet!«
»Er hat gehört, daß sie nichts von Ihm wissen will. Nun gehe Er!«
»Und meine Kinder. Wo sind sie?«
»Die sind gut versorgt. Er hat sich früher nicht um sie bekümmert und jetzt wird die Sehnsucht nach ihnen wohl auch nicht übermäßig vorhanden sein.«
»Ich will sie aber sehen. Ich habe das Recht dazu!«
»Sie sind nicht hier.«
»So wird man sie mir ausantworten.«
»Darüber hat das Gericht zu entscheiden. Jetzt gehe Er!«
»Ich fordere meine Frau!« rief er hartnäckig.
»Kunz!«
»Excellenz!«
»Bringe diesen Mann vor das Schloß!«
»Zu Befehl, Excellenz! Komm Bursche! Verstanden?«
Er nahm Hartig beim Arme, und als dieser sich zur Wehr setzen wollte, faßte er ihn am ganzen Leibe und schob ihn zur Thür hinaus. Kunz war stark und der Schiffer nicht bei Kräften; er flog zur Treppe hinab und über den Hof hinüber, wo ihn der hier noch verweilende Lakai in Empfang nahm und zum Thore hinausspedirte.
Ein Anderer wäre vielleicht stehen geblieben, um zu schimpfen und zu räsonniren, Hartig aber ballte nur heimlich die Faust. Doch desto grimmiger sah es in seinem Innern aus, wo der Gedanke an Rache und Vergeltung seine verderblichen Wurzeln schlug.
Im Walde traf er auf den Prinzen.
»Schon zurück?« frug dieser.
»Hm! Du siehst nicht aus, als ob es Dir übermäßig gut gegangen sei.«
»Das ist auch ganz und gar nicht der Fall gewesen. Erst wollte man mich nicht einlassen, und dann konnte man mich nicht schnell genug wieder los werden.«
»Man hat Dich nicht willkommen heißen?«
»Bewahre!«
»Vielleicht gar expedirt?«
»Sehr!«
»Das ist liebenswürdig. Was sagte Deine Frau?«
»Daß sie nichts von mir wissen möge.«
»Mit wem sprachst Du noch?«
»Mit dem General. Er ließ mich einfach hinauswerfen.«
»Das ist ja eine ganz außerordentliche Freundlichkeit!«
»Nicht einmal meine Kinder bekam ich zu sehen.«
»Auch Deinen Stiefsohn nicht?«
»Nein. Ist er hier?«
»Ja. Weißt Du, was er jetzt ist?«
»Nein.«
»Er ist Marinelieutenant.«
»Was! Marinelieutenant! Dieser Mensch, der mich auf das Zuchthaus gebracht hat? Himmeldonnerwetter, dem möchte ich etwas am Zeuge flicken!«
»Nur ihm?« frug der Prinz lauernd.
»Ihm, dem General – Allen, dem ganzen Volke dort!«
»Das könntest Du!«
»Wie?«
»Hm! Ueber solche Dinge läßt sich schwer sprechen!«
»Herr, ich bin verschwiegen!«
»Ich will mich Deiner annehmen. Willst Du in meinen Dienst treten?«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja. Aber ich erwarte die allergrößte Treue und Verschwiegenheit. Dafür bezahle ich gut und weiß in andern Dingen ein Auge zuzumachen.«
»Als was soll ich bei Ihnen eintreten?«
»Als mein Vertrauter geradezu.«
»Unmöglich!«
»Aber doch wirklich! Ich bin Menschenkenner und weiß, daß ich Dich gebrauchen kann, Du sollst Dich bei mir nicht anstrengen, denn mit gewöhnlichen Diensten werde ich Dich verschonen. Du sollst nur diejenigen Aufträge ausrichten, von denen Niemand etwas wissen darf. Willst Du?«
»Ja, Herr. Sie sollen einen Mann in mir finden, der Ihnen bis in den Tod ergeben ist und Alles thun wird, was Sie von ihm verlangen.«
»Auch wenn es etwas – etwas – Verbotenes ist?«
»Auch das!«
»Selbst wenn eine Strafe darauf gesetzt wäre?«
»Selbst dann. Sie würden mich beschützen.«
»Das versteht sich! Bei jedem solchen Dienst, den Du mir leistest, hast Du übrigens außer Deinem Gehalte, der nicht karg bemessen sein wird, eine extra Gratifikation zu erwarten.«
»Ich danke, Herr!«
»Ich werde Dich natürlich erst einmal auf die Probe stellen, ob Du zu gebrauchen bist.«
»Thun Sie es. Ich werde die Probe bestehen.«
»Gleich heut?«
»Ja.«
»So höre! Ich wünsche dem General einen kleinen Schabernak zu spielen.«
»Spielen Sie ihm einen großen, so groß wie möglich!«
»Willst Du helfen?«
»Von ganzem Herzen!«
»Ich möchte nämlich etwas thun, was eine tüchtige Aufregung und Verwirrung in Helbigsdorf hervorbringt.«
»Blos das? Keinen Schaden?«
»Meinetwegen auch Schaden. Aber wie?«
»Man müßte ihm den Stall vergiften.«
»Pah!«
»Oder das Schloß anbrennen.«
»Das wäre schon eher etwas.«
»Du brächtest es nicht fertig!«
»Nicht? Für Sie und diesen Menschen zur Strafe thue ich Alles!«
»Also Du willst?«
»Ja.«
»Heut Nacht?«
»Ja.«
»Aber es ist gefährlich!«
»Gar nicht.«
»O! Es wohnen sehr viele Leute im Schlosse. Wenn man Dich ertappte, so würde es Dir sehr schlecht ergehen.«
»Man wird mich nicht erwischen. Darauf können Sie sich verlassen!«
»Aber ich wünsche nicht etwa ein kleines Feuerchen, verstehest Du? Das ganze Schloß mit allen Nebengebäuden müßte verbrennen.«
»Natürlich. Sonst wäre es ja gar keine Rache!«
»Und das macht die Sache nicht nur gefährlich, sondern auch schwer.«
»Wie so?«
»Man müßte das Feuer an vielen Stellen anlegen.«
»Das soll auch geschehen.«
»Wie aber willst Du Zeit und Gelegenheit dazu finden, ohne ertappt zu werden?«
»Das ist sehr leicht, Herr. Man brennt vorher im Dorfe eines oder zwei der Häuser an.«
»Alle Teufel, ich sehe, daß Du wirklich einen Kopf hast, wie ich ihn brauche!«
»Brennt es im Dorfe, so werden die ganzen Bewohner des Schlosses, wenigstens die männlichen, hinabrennen, um zu retten, und dann hat man hier oben leichtes Spiel.«
»Ganz gut! Also Du willst das wirklich übernehmen?«
»Ja.«
»So sind wir einig, und Du stehst von jetzt an in meinem Dienste. Aber, da fällt mir ein, daß ich dabei noch einen andern Zweck erreichen könnte! Wenn wir diesen erreichten, so wäre Deine Rache an dem General eine noch tiefere und vollständigere.«
»Reden Sie, Herr! Vertrauen Sie mir, denn Sie können sich auf mich verlassen!«
»Er hängt ganz gewaltig an seiner Tochter.«
»Soll sie mit verbrennen? Das wäre am Ende möglich zu machen aber doch wohl etwas zu schlimm.«
»Nein, verbrennen soll sie nicht. Aber – man könnte ein wenig Raubritter spielen, weißt Du, wie es früher im Mittelalter war: Man könnte mit ihr spazieren reiten.«
»Sie meinen, man könnte sie ein wenig entführen, damit der Alte recht Angst um sie bekäme?«
»Ja.«
»Wollen wir es thun?«
»Bist Du bereit, auch hierbei zu helfen?«
»Sofort!«
»Nun gut! Ich habe meinen eigenen Wagen mit und einen Kutscher, der mir treu ergeben ist. So sind wir zu Dreien. Wir suchen das Mädchen in einem unbeobachteten Augenblicke zu fassen und tragen sie in den Wald. Dann sage ich Herrn von Uhle, daß ich abreisen werde – ich bin nämlich heut sein Gast – und während wir durch den Wald fahren, bringen wir sie in die Kutsche.«
»Und wohin geht die Reise?«
»Direkt und schnell nach der Grenze.«
»Hinüber nach Süderland?«
»Ja, nach Burg Himmelstein.«
»Man wird uns an der Grenze anhalten und den Wagen vielleicht untersuchen wollen!«
»Pah! Meinen Wagen sicherlich nicht!«
»So reisen Sie nicht inkognito?«
»Doch! An der Grenze aber kennt man mich sehr genau und wird mich ungehindert passiren lassen. Uebrigens kann ich ja auch das Inkognito beliebig aufheben.«
»Das geht nicht, Herr.«
»Warum?«
»Man würde sich sehr wundern, daß ein – nun ja, daß Sie mit einem Manne reisen, der sich in einer solchen Verfassung befindet.«
Er deutete dabei auf seinen schlechten Anzug. Der Prinz lachte.
»Glaubst Du, daß ich Dich in dieser Verfassung lassen werde? Du mußt heut noch einen neuen Anzug haben. Wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?«
»Zwei Stunden.«
»So kannst Du bis zum Abend ganz gut zurück sein. Hier hast Du Geld. Kaufe Dir, was Du brauchst.«
Der Prinz zog die Börse und gab ihm eine Summe.
Hartig frug: »Wo treffen wir uns?«
»Gerade hier wieder.«
»Wann?«
»Um elf Uhr Abends. Ich werde dafür sorgen, daß mein Wagen dann bereits im Walde steht. Das ist besser, als wenn ich erst später abreise.«
Er ging, und auch Hartig schlich sich fort. Ein königlicher Prinz hatte sich mit einem Zuchthäusler vereinigt zur Ausführung eines der größten Schurkenstreiche, welche zu denken sind.
Am Abend desselben Tages war Magda im Dorfe gewesen, um eine Kranke zu besuchen. Kurt hatte sie begleitet, und nun schritten sie mit einander wieder dem Schlosse zu. Es war während ihres Verweilens bei der Kranken spät geworden, dennoch aber schlugen sie nicht den geraden Weg, sondern den Fußpfad ein, welcher durch den Park führte. Sie gingen schweigend neben einander her, es war jenes so sehr beredte Schweigen, welches dem Herzen seine Rechte gibt, während der Mund sich scheut, die Gefühle des Innern durch Worte zu bezeichnen. Seine Hand hatte unwillkürlich diejenige des schönen Mädchens ergriffen, und sie ließ ihm dieselbe, ohne den geringsten Versuch zu machen, sie ihm zu entziehen. Da vernahm sie einen tiefen, seufzenden Athemzug aus seinem Munde und blieb stehen.
»Woran denkst Du, Kurt?« frug sie.
»An Dich und an Vieles,« antwortete er.
»Magst Du mir nicht Einiges von dem Vielen sagen?«
»Das Alles, Magda, weißt Du ja bereits.«
»Ich weiß nicht, was Du meinst,« sagte sie leise.
»Daß ich so gering bin – – –«
»Gering?!«
»Und arm und klein – – –«
»Arm und klein?« wiederholte sie verwundert.
»Gegen Dich!«
»Aber Kurt, wie redest Du!«
»Ich rede die Wahrheit.«
»Du redest sie nicht, lieber Kurt. Du sagst, daß Du gering seist. Ist es gering, in Deinem Alter bereits Marinelieutenant zu sein?«
»Es ist nichts gegen das, was Du bist.«
»Und arm und klein? Bist Du nicht mein Bruder? Steht Dir nicht Alles zur Verfügung was mir und dem Vater gehört?«
»Ist dies nicht alles nur Gnade?«
»Nicht Gnade, sondern Liebe ist es, Kurt. Wie kommst Du auf solche Gedanken?«
Er schwieg. Sie aber legte die Hand auf seinen Arm und bat: »Sage mir, was Dich bedrückt!«
»Ich selbst weiß es noch nicht genau und klar. Aber als ich heute diesen Prinzen bei Dir stehen sah, da fühlte ich, daß ich einen Jeden, der Dich – –«
Er schwieg verlegen.
»Der Dich – –? Bitte, fahre fort!«
»Daß ich einen jeden zermalmen könnte, der Dich so antasten wollte, wie dieser Mensch.«
»Es wird Keiner dies wagen.«
»Wagen? Ja. Aber wenn Du es Einem erlaubtest?«
»Nie.«
»Und dennoch wirst Du diese Erlaubniß einst Jemandem ertheilen.«
»Niemals!« wiederholte sie.
»Du wirst nicht einen Jeden so hassen und so verabscheuen wie ihn, sondern Du wirst einst Einen treffen, den – –«
»Den – –? Weiter!«
Es war ihm schwer geworden, dieses Wort. Sie schwieg eine ganze Weile, dann klang es leise:
»Du würdest wohl – – eifersüchtig sein, Kurt?«
»Ja,« antwortete er zögernd, »obgleich ich keine Berechtigung dazu hätte.«
»O, lieber Kurt, vielleicht hättest Du sie dennoch.«
»Magda! Was willst Du damit sagen?«
»Darf ein Bruder nicht eifersüchtig sein?«
»Ja, aber nicht in der Art und Weise, in welcher ich es meine.«
»Wer sonst?«
»Du weißt es!« flüsterte er.
»Und das magst Du nicht sein?« frug sie in einem Tone, der scherzend sein sollte aber doch hörbar zitterte.
»O, wie gern, wie gern möchte ich es sein! Ich würde den Himmel dafür verkaufen. Aber das kann nicht sein, das ist eine Unmöglichkeit.«
»Warum? Weil Du mich zu wenig gern hast?«
»Magda, spotte nicht! Ich bin ein armer einfacher Seemann, der seine Worte nicht zu setzen versteht wie ein Salonheld, aber ich sehe ein, daß die Tochter eines Generales, eines Adeligen, eines Millionärs für mich nicht zu erreichen ist.«
Da ertönte ein helles silbernes Lachen aus ihrem Munde, und sie frug:
»Nicht erreichen? Hast Du mich nicht bereits erreicht? Hast Du mich nicht schon bei der Hand ergriffen?«
Er konnte nicht anders, er mußte in diesen scherzhaften Ton einfallen, obgleich ihm sehr ernst zu Muthe war:
»Ja, ich habe Dich, und ich halte Dich. Aber auf wie lange?«
»Für so lange, als Du willst, Kurt!«
»Für heut, den ganzen Abend?«
»Ja.«
»Für morgen?«
»Ja.«
»Für übermorgen, für die nächsten Tage und Wochen, für das ganze Jahr?«
»Für immerfort und allezeit?«
»Ja,« klang es noch leiser als zuvor.
»Also für das ganze Leben?«
»Wie Du willst!«
»Als was, Magda? Als Schwester nur? O, sage mir, ob Du mich auch anders lieben könntest, viel, viel anders, nämlich so wie meine – meine – – –«
Er schwieg. Sie aber erhob ihr Köpfchen und fügte hinzu:
»Wie Deine Braut?«
»Ja. Könntest Du das, Magda?«
»Nein!«
»Nicht? Herrgott!«
»Ich könnte es nicht, sondern ich kann es; es ist ja bereits wirklich so.«
»Wirklich?« jubelte er laut.
»Ja.«
»Und Du täuschest Dich nicht? Du sagst mir die Wahrheit?«
»Die volle!«
Da legte er die Arme um sie und zog sie innig an sich.
»So habe Dank, Du liebes süßes Wesen. Für mich gibt es weder Glück noch Heil als nur bei Dir. Du bist so groß, und ich bin so klein, aber wenn Du Dich mir zu eigen gibst, so fühle ich die Kraft in mir, mit der ganzen Welt um Deinen Besitz zu ringen und zu kämpfen.«
»Das wirst Du nicht nöthig haben, mein Kurt. Wer will mich Dir verweigern?«
»Der Vater!«
»Dieser? Glaubst Du dies wirklich?«
»Ja.«
»Aber er liebt Dich doch!«
»Ich weiß es. Aber seine Zuneigung vermag die Hindernisse nicht zu zerstreuen, welche sein hoher Rang, seine hohe Stellung mit sich bringen.«
»Dein Rang wird einst ein ebenso hoher sein.«
»Dies wünsche ich, und um dieses zu erreichen, will ich Alles lernen, Alles thun und Alles wagen, aber ich bin noch lange nicht so weit.«
»So warten wir, lieber Kurt. Nicht?«
»Ja,« lachte er fröhlich. »Was bleibt uns Anderes übrig?«
Er bog sich zu ihr nieder und küßte sie lange und innig auf die rothen Lippen, dann schritten sie, Arm in Arm und dicht an einander geschmiegt, dem Schlosse weiter zu.
Dort hatte man sie längst erwartet. Es gab in Folge der heut eingetroffenen Gäste so viel zu erzählen, daß bereits Mitternacht nahe war, als man sich trennen wollte, um zur Ruhe zu gehen. Da aber hörte man unten im Hofe ein lautes wirres Rufen.
»Was ist das?« frug der General.
»Herr Gott, man ruft Feuer!« jammerte Freya.
Auf die beiden andern Schwestern, welche ihr kreischend sekundirten, konnte man nicht hören. Freya war in ihr Fauteuil zurückgesunken, Wanka lag in der rechten und Zilla in der linken Ecke des Sophas, und alle drei hielten die Augen geschlossen. Endlich öffnete Freya die Lider. Sie hörte ein lautes Rennen und Rufen im Schloßhofe, stieß einen zweiten Schrei aus und schloß die Augen wieder. Natürlich kam nun an Wanka die Reihe, aus der Ohnmacht zu erwachen. Sie erblickte einen hellen Feuerschein, schrie laut auf und sank wieder zurück. Das war für Zilla die beste Veranlassung, ihre Betäubung für einen Augenblick zu überwinden, aber das helle Licht des Feuers warf sie in ihren Todesschlaf zurück.
»Entsetzlich!« stöhnte die Blaue.
»Gräßlich!« jammerte die Grüne.
»Fürchterlich!« ächzte die Purpurrothe.
»Habe ich meine Bibi noch?«
»Ja. Und ich meine Lili?«
»Ja. Und ich meine Mimi?«
»Ja. Aber wir sind so allein!«
»Ganz allein!«
»Ganz und gar allein!«
»Was thun wir?«
»Ich falle wieder um!«
Freya ermannte sich aber doch und erhob sich, um an das Fenster zu treten.
»Seht, diese Flamme!«
»Dieser Brand!«
»Diese Lohe!«
»Wie gut, daß es nur im Dorfe ist und nicht auf dem Schlosse!«
»Bei wem mag es sein?«
»Laß uns fragen!«
Sie eilten in den Hof hinab, durch dessen Thor soeben die Spritze rasselte. Nun war weder ein Knecht noch eine Magd zurückgeblieben. Auch der General war mit allen seinen Gästen nach dem Dorfe geeilt, Kunz mit ihnen, und sogar Magda hatte sich ihnen angeschlossen, um den Hilfsbedürftigen Trost zuzusprechen.
Es brannte eine kleine Häuslerswohnung. Man sah beim ersten Blicke, daß sie nicht gerettet werden konnte; aber die Nachbarn standen in Gefahr, und da die Leute sich einstweilen nur auf sich und nicht auf die Hilfe der Bewohner umliegender Orte verlassen konnten, so herrschte ein panischer Schreck und eine Aufregung unter ihnen, die sich erst dann legte, als der General das Kommando der Rettungs- und Bergungsarbeiten übernahm und seine feste männliche Stimme weithin zu vernehmen war.
Der Besitzer des zuerst brennenden Hauses besaß nur geringe Habe; sie war bald in Sicherheit gebracht. Man ließ das Feuer gewähren und sorgte nun nur noch dafür, daß kein weiteres Gebäude in Brand gerieth.
Zwischen dem Schlosse und dem Dorfe stand eine hohe Linde am Wege. Auf diese kamen drei Gestalten langsam zugewankt. Es waren die Schwestern des Generals.
»Ich kann nicht weiter!« klagte die Lange.
»Meine Beine tragen mich nicht mehr!« seufzte die Kurze.
»Ich sinke um!« stöhnte die Dicke.
»Ich setze mich!«
»Ich auch!«
Fräulein Zilla ließ auf dieses Wort sofort die That folgen. Sie sank in das Gras, und die beiden Andern ließen sich neben ihr nieder.
»Dieser Schreck!« rief Freya.
»Diese Angst!«
»Diese Furcht!«
»Und so allein!«
»Ganz verlassen!«
»Ohne Schutz und Schirm!«
»Wollen wir um Hilfe rufen?«
»Wer soll uns hören? Wer mag sich um uns bekümmern? O, diese Männer!«
»Es sind Barbaren und Heiden!«
»Cimbern und Teutonen!«
»Vandalen und Kirgisen!«
»Wenn nur im Schlosse nichts geschieht!«
»Was soll da geschehen?«
»Wir haben die Lichter brennen lassen!«
»Das wird nichts schaden. Seht, dieses Feuer wird immer größer! Wer es wohl angelegt hat?«
»Es kann auch anders entstanden sein.«
»Ein solches Feuer ist stets angelegt; ich kenne das. Es gibt so viele Brandstifter in der Welt. Man sollte sie alle hängen!«
»Erschießen!«
»Mit dem Schwerte umbringen. Dann gäbe es keine mehr!«
Sie hielten ihre Augen auf das Dorf gerichtet und bemerkten darum nicht, was hinter ihnen vorging. Plötzlich aber erhob sich an der Brandstelle ein verdoppeltes Lärmen und Rufen, und die drei Damen bemerkten bald, daß man vom Dorfe her den Schloßweg heraufgestürmt kam.
»Was ist das?« frug Freya.
»Sie fliehen!« antwortete Wanka.
»Warum sollen sie fliehen?« meinte Zilla. »Es muß da eben etwas geschehen sein. Sie rufen immer wieder Feuer!«
Sie drehten sich um und sanken zu dritt nach einem lauten Schrei des Schreckens wieder in Ohnmacht. Das Schloß stand in Brand. Von den Wirthschaftsgebäuden loderten ebenso wie von dem Hauptgebäude zahlreiche Flammen empor, die in der kürzesten Zeit eine riesige Höhe erreichten.
»Das ist angelegt!« rief der General, der eben im eiligsten Laufe an der Linde vorübersprang.
»Das erste Feuer sollte uns nur aus dem Schlosse locken!« antwortete Kurt, welcher sich an seiner Seite hielt. »Wo ist Magda?«
»Im Dorfe.«
»Und die drei Fräuleins?«
»Sahst Du sie nicht da an der Linde? Sie sind in Sicherheit. Komm schnell, damit ich meine Papiere rette!«
»Und die Thiere. Zu allernächst müssen die Ställe geöffnet werden!«
Es war eine wilde Jagd zu nennen, die da an der Linde vorüberstürmte. Keiner achtete auf den Andern, und ein Jeder trachtete, so schnell wie möglich das Schloß zu erreichen. Sämmtliche Dorfbewohner, welche ihr Heimwesen nicht in Gefahr wußten, eilten herbei; eine Person hinderte die andere am Vorwärtskommen, und so beschloß Magda, die sich unter den am weitesten Zurückgebliebenen befand, sich nach rechts über die Wiesen zu wenden.
Nicht weit vom Wege standen zwei Männer hinter einem Busche. Es war der Prinz mit Hartig.
»Das ging über alles Vermuthen gut!« meinte der Erstere.
»Es war aber dennoch eine Arbeit, denn ich konnte doch nicht ahnen, daß man das Schloß mit offenen Thüren und Thoren so ganz ohne Schutz lassen würde.«
»Wird man viel retten?«
»Ich glaube nicht. Ich steckte erst die hinteren Räume an, weil da das Feuer erst spät im Dorfe bemerkt werden kann. Jetzt brennen die Gebäude bereits vorn heraus. Wer weiß, ob die oberen Räume noch zu erreichen sind. Ich entdeckte im Gewölbe drei Ballons Petroleum, welche ich in den Flur geschüttet und angebrannt habe, als bereits Alles brannte.«
»Brav! So wird wohl auch das Geld des Generals zum Teufel sein!«
Hartig antwortete nicht, aber er fuhr ganz unwillkürlich mit der Hand nach der Brusttasche. Wäre es Tag gewesen, so hätte man bemerken können, daß ihr Inhalt ein sehr voluminöser sei.
»Ein Glück ist es,« fuhr der Prinz fort, »daß das Feuer den ganzen Weg erleuchtet, so daß wir Jeden erkennen können.«
»Sie wissen sicher, daß das Mädchen in das Dorf geeilt ist?«
»Ich habe sie gesehen.«
»So kommt sie jetzt zurück. Wie bekommen wir sie?«
»Hier nicht; das ist sicher. Aber wir folgen ihr, und während der Verwirrung da oben wird sich wohl ein Augenblick finden lassen, an dem es uns gelingt, sie bei Seite zu bringen.«
Noch immer fluthete der Strom der schreienden und einander zur Eile mahnenden Leute vorüber. Da bemerkten die beiden Lauscher eine weibliche Gestalt, welche vom Wege ab- und in die Richtung nach ihnen einbog.
»Wer ist das?« frug der Prinz.
»Ein Weib, das schneller vorwärtskommen will.«
»Sie muß hier vorbei.«
»Treten wir auf die Seite, Herr. Sie darf uns nicht bemerken.«
»Doch; sie soll uns sehr bemerken. Weißt Du, wer es ist?«
»Ah, jetzt kann man sie erkennen! Doch nicht etwa unsere Dame?«
»Ja. Sie ist es.«
»Fassen wir sie?«
»Versteht sich! Wir lassen sie erst vorüber, dann fassest Du sie, und ich halte ihr den Mund mit einem Tuche zu. Paß auf, sie ist da!«
Sie duckten sich Beide hinter dem Busche nieder. Magda kam rasch und ahnungslos geschritten, kaum aber war sie an ihnen vorbei, so wurde sie von Hartig gepackt und niedergeworfen. Der Hilferuf, welchen sie dabei ausstieß, verhallte ungehört in dem Feuerlärm, ein zweiter war ihr nicht möglich, da der Prinz ihr sein Tuch in den Mund gezwungen hatte. Er zog nun einige starke Schnuren aus der Tasche, um die Gefangene zu binden. Hartig half ihm dabei.
»Nicht zu fest,« gebot der Prinz. »Sie ist uns sicher, sie ist ohnmächtig, und wenn dies auch nicht der Fall sein sollte, mit einem Weibe wird man fertig.«
»So!« meinte der saubere Gehilfe. »Das wäre gethan. Soll ich sie tragen?«
»Ja. Komm!«
Hartig nahm die Besinnungslose auf und folgte seinem Herrn, der quer über die Felder und Wiesen nach dem Walde zuschritt. Sie waren zu einem ziemlich weiten Umweg gezwungen, da die Flammen des brennenden Schlosses einen weithin leuchtenden Schein über die Umgebung warfen, so daß man in dem Umkreis von einer Viertelstunde jeden Gegenstand zu erblicken vermochte.
Hinter dem Schlosse und auf der dem Dorfe entgegengesetzten Seite desselben breitete sich der Wald erst eine kurze Strecke eben aus, dann aber erstieg er die Seiten eines hier steil abfallenden Höhenzuges, von dessen Kamme die Vizinalstraße in mehreren sehr ausgezogenen Windungen zu Thale führte. Für Fußgänger war es möglich, die Höhe auf einem grade aufwärts steigenden und gut ausgetretenen Fußwege zu erreichen, der eine jede dieser Windungen durchschnitt und ebenso wie die Fahrstraße zu beiden Seiten mit dichtem Buschwerk bestanden war.
Auf der andern Seite des Passes fuhr ein von zwei müden Pferden gezogener offener Wagen langsam dem Kamme entgegen. Er enthielt außer dem Kutscher nur einen einzigen Passagier, welcher, in einen weiten Reisemantel gehüllt, sich in die Lehne seines Sitzes zurückgelegt hatte und in dieser bequemen Stellung zu schlafen schien. Zuweilen nur, wenn die Räder auf einen Stein stießen und der Wagen in Folge dessen einen derben Ruck bekam, erhob der Fahrgast den Kopf, um ihn nach einem kurzen Umblick wieder sinken zu lassen. Auf einmal stand das Gefährt ganz still und der Reisende fuhr empor.
»Was ists?« frug er.
»Wir sind oben.«
»Nun – und?«
»Herr, lassen Sie die Pferde ein wenig verschnaufen! Der Weg hier herauf ist wirklich zu abscheulich.«
»Meinetwegen! Ich komme nun doch bereits zu spät, um wecken zu dürfen. Du bist da unten bekannt?«
»Ja.«
»Wie lange fahren wir von hier nach Helbigsdorf?«
»Eine gute halbe Stunde.«
»Ist ein Gasthof da?«
»Ja.«
»So steigen wir dort ab. Ich will nicht so unhöflich sein die Bewohner des Schlosses im Schlafe zu stören. Nach welcher Richtung liegt dasselbe von hier?«
»Grad aus, da wo man den Schein über den Bäumen bemerkt.«
Auch auf dem Plateau stand der Wald mit einem so dichten, kräftigen Baumwuchse, daß man nicht zu Thale zu blicken vermochte. Der Brand war in Folge dessen von dieser Stelle aus nicht zu bemerken, aber über den Gipfeln der Bäume zeigte sich eine ungewisse Helle, ungefähr so, als ob der Morgen sich im Anzuge befinde. Der Reisende musterte den Himmel.
»Hm! Wir kommen von Osten, und es ist erst kurz nach Mitternacht. Das ist also weder der Ort noch die Zeit dazu, den Anbruch des Tages vor sich zu haben. Es muß da unten irgendwo ein Feuer sein.«
»Fast sieht es so aus, Herr. Sehen Sie die kleine Wolke, die sich da über den Bäumen erhebt.«
»Ja. Sie sieht schwarz aus, aber ihr unterer Rand glüht wie Gold. Es brennt. Wo wird das sein?«
»Der Schein eines Feuers pflegt bei Nacht zu täuschen, aber wenn wir an die erste Straßenkrümmung kommen, können wir das Thal vollständig überblicken. Soll ich weiterfahren?«
»Natürlich, und zwar schnell!«
Der Wagen rollte im Trabe über das ebene Plateau hinweg und erreichte bald den Punkt, an welchem sich die Straße abwärts senkte. Hier hielt der Kutscher ganz unwillkürlich an, deutete mit der Peitsche nach unten und rief erschrocken:
»Ja. Zwei Feuer, ein kleines und ein großes. Wo ist es?« »Das ist Schloß Helbigsdorf, und das kleinere Feuer brennt im Orte.«
»Fahr zu! Schnell, schnell, im Galoppe!«
»Das geht nicht.«
»Warum?«
»Die Straße ist steil und gefährlich, und meine Pferde sind todtmüde.«
»Ich bezahle sie Dir, wenn sie stürzen!«
»Aber das Leben können Sie mir nicht bezahlen! Es zweigen hier tiefe Schluchten von der Straße ab. Wenn wir in eine solche gerathen, so sind wir verloren.«
»Gibt es keine Barrieren?«
»Sie sind alt und verwittert.«
»Aber ich muß eiligst hinab.«
»Das können Sie, wenn Sie aussteigen wollen.«
»Wie so? Die Straße im Sturmschritt hinabrennen?«
»Nein.«
»Wie sonst? Geht vielleicht ein Richtweg ab?«
»Ja. Gar nicht weit von hier führt er rechts hinab.«
»Ist er gefährlich?«
»Gar nicht.«
»Aber bei Nacht?«
»Er ist sehr gut gehalten und führt immer zwar scharf aber auch glatt bergunter.«
»Nun wohl, so steige ich aus. Du fährst nach dem Schlosse, wo wir uns wieder treffen.«
Er warf den Mantel ab und stieg aus. Jetzt konnte man erkennen, daß seine Figur klein und schmächtig war, aber eine jede seiner Bewegungen zeigte eine seltene Gewandtheit. Nach einigen raschen Schritten harte er die Mündung des Pfades erreicht und schlug ihn ein. Der Weg war nicht breit, aber die offene Linie, welche er im Walde bildete, zog sich gerade dem brennenden Schlosse gegenüber zur Höhe, und so beleuchteten die Flammen fast jeden Schrittbreit, den der Fremde zu thun hatte.
Dieser sprang mehr vorwärts, als er ging. Er mußte im Laufen sehr geübt sein, denn er athmete trotz seiner schnellen Bewegungen ruhig und unhörbar und that trotz der Unbekanntschaft mit dem Terrain nicht einen einzigen Fehltritt. Unten angekommen, wo der Weg zum letzten Male in die Straße mündete, hielt er an. Vor ihm stand eine verschlossene Kutsche, und dabei stand in wartender Stellung der Kutscher beim geöffneten Schlage. Das kam ihm sonderbar vor.
»Guten Abend!« grüßte er.
»Guten Abend!« dankte der Mann mürrisch.
»Wem gehört dieses Fuhrwerk?«
»Mir.«
»Dir? Auf wen wartest Du?«
»Das geht keinen Menschen etwas an.«
»Wohin fährst Du?«
»Das ist meine Sache.«
»Grobian! Weißt Du, daß Du mir verdächtig bist?«
»Du mir auch.« .
Der Kleine lachte.
»Kerl, Du gefällst mir. Hier hast Du ein Andenken.«
Nach einem raschen Blicke in die Kutsche, welcher ihn überzeugte, daß dieselbe leer war, holte er aus und gab dem höflichen Kutscher eine schallende Ohrfeige. Er war bereits weit entfernt, ehe der Geschlagene an eine Erwiderung der unerwarteten Gabe denken konnte.
Die Straße zog sich in Schlangenwindungen nach dem Dorf fort. Er folgte ihr auch jetzt nicht, sondern schlug den geraden Weg durch die Büsche hindurch nach dem Schlosse ein. Er hatte bereits die Hälfte dieses Weges zurückgelegt, als er plötzlich zur Seite prallte. Er wäre beinahe mit einem Manne zusammengerannt, der in Eile zwischen zwei Sträuchern hervortrat. Hinter diesem folgte ein Anderer, der eine Last auf den Armen hatte.
Was wollten diese Leute hier? Was trugen sie vom Schlosse fort?
»Halt!« gebot er ihnen.
Da wandte sich aber auch schon der Vorderste um, riß dem Zweiten die Last aus den Händen und rief in befehlendem Tone:
»Mache es mit ihm ab!«
Nach diesen Worten verschwand er zwischen den Büschen. Der Andere trat hart an den Fremden heran und frug:
»Wer sind Sie?«
»Pah! Wer seid Ihr Beide?«
»Darnach hat kein Mensch zu fragen!«
»Aber ich frage dennoch. Was trug dieser Mann?«
»Packe Dich, Kerl, und laß uns ungeschoren.«
Er wollte seinem Gefährten nachfolgen, aber der Fremde hielt ihn fest.
»Bleib stehen, mein Schatz! Dort brennt es; hier schleicht Ihr mit einem Gegenstande durch den Wald: Du wirst mit mir zum Schlosse gehen. Verstanden?«
»Sehr gut. Du aber wirst Dich zum Teufel packen. Verstanden?«
»Auch sehr gut. Aber ohne Dich darf ich beim Teufel nicht erscheinen. Vorwärts.«
»Lächerlich! Verschwinde, Du Zwerg!«
Er faßte den Fremden und wollte ihn zu Boden schleudern, hatte sich aber sichtlich an der Körperkraft desselben verrechnet, denn in demselben Augenblicke lag er selbst am Boden, und der Kleine kniete auf ihm.
»Bist ein fürchterlicher Riese!« lachte dieser. »Komm her, ich werde Dir die Hände ein wenig binden und Dich am Schlosse etwas näher betrachten lassen!«
Er zog ein Taschentuch hervor, um dasselbe als Fessel anzuwenden, mußte aber dabei die eine Hand Hartigs freigeben. Dieser langte blitzesschnell in die Tasche, riß ein Terzerol hervor, spannte mit dem Daumen den Hahn und drückte los.
Der Kleine hatte kaum noch Zeit, den Kopf zur Seite zu wenden, die Kugel flog hart an demselben vorüber.
»Ah, Du stichst, Natter!« rief er. »Gib dieses Spielzeug her.«
Er faßte nach dem Terzerol, um ihm dasselbe aus der Hand zu winden.
»Stirb, Hund!« brüllte Hartig wüthend.
Er machte eine schnelle angestrengte Bewegung, es gelang ihm den zweiten Hahn aufzudrücken. Aber als er den Drücker berührte, drehte ihm der Kleine das Terzerol nach unten, der Schuß ging los.
»Ah!« ächzte Hartig. »Ich habe mich selbst getroffen.«
»Geschieht Dir recht, Bursche!«
Der Sprecher fühlte, daß der Widerstand des Verwundeten erlosch; es gelang ihm sehr leicht, ihm die Hände zusammenzubinden.
»Jetzt kommst Du mit mir!« gebot er ihm.
»Ich kann nicht!« war die stöhnende Antwort.
»Auf mit Dir!«
»Es geht nicht. Ich bin in das Auge getroffen.«
Seine Stimme klang dabei wie im Verlöschen, und seine Glieder fielen schlaff zur Erde zurück.
»So mußt Du sterben, Kerl. Sage, wer Du bist und was Du hier treibst!«
Der Gefragte antwortete nicht, sondern ließ nur ein schmerzliches Wimmern hören.
»Wer bist Du?«
»Ich sage nichts.«
»So trage ich Dich fort!«
»Lassen Sie mich liegen. Ich sterbe.«
»Liegen lassen? Daß Dein Kumpan Dich fortholen kann? Papperlapapp!«
Er hob ihn wie ein Kind empor und warf ihn über seine Schulter. Hartig wehrte sich nicht. Der Kleine trug ihn mit schnellen Schritten durch die Büsche in das freie Feld, wo er den Brand in seiner ganzen erschreckenden Größe vor sich liegen sah. Er eilte darauf zu. Die ersten Bekannten, welche er erblickte, waren Friedrich von Walmy und Bill Holmers. Er warf den Verwundeten vor ihren Füßen zur Erde.
»Good evening, Mesch'schurs!« grüßte er. »Verdammte Ueberraschung das Feuer da!«
»Der Bowie-Pater!« rief Holmers erstaunt.
»Ja, alter Bill, ich bin es. Wollte noch am Tage kommen, konnte es aber nicht fertig bringen. Von da oben erblickte ich das Feuer und bin dem Wagen schnell vorausgesprungen. Brennt es bereits lange Zeit?«
»Eine halbe Stunde.«
»So ist es angelegt. Das Schloß brennt ja an allen Ecken und Enden!«
»So ein Schreck! Wir waren unten im Dorfe mit dem Retten beschäftigt, als es auch hier oben losging.«
»So ist das unten nur die Einleitung gewesen. Gibt es keine Vermuthung, wer der Thäter ist?«
»Keine.«
»Vielleicht vermag dieser hier Licht in die Sache zu bringen.«
»Wer ist es?«
»Traf ihn da drüben in den Büschen. Es war noch ein Anderer dabei, der mir aber entkommen ist. Er trug etwas.«
Holmers blickte sich nieder, um den Gefangenen zu betrachten.
»Donnerwerter, der Mensch ist ja todt!«
»Todt?« frug der Pater gleichmüthig. »Möglich, aber er ist selbst schuld daran.«
»Wie so?«
»Wollte mich erschießen. Der erste Schuß ging fehl und der zweite ihm in das Auge.«
In diesem Augenblicke kam der General in ängstlicher Eile herbeigeschritten.
»Hat Jemand hier meine Tochter gesehen?« frug er.
»Nein,« lautete die Antwort.
»Sie ist nicht zu finden.«
»Sie war unten im Dorfe,« meinte Walmy, »und wird dort zurückgeblieben sein. Der Schreck ist für Damen fast stets lähmend.«
»Das tröstet mich einigermaßen. Wer ist dieser Herr?«
»Der, welchen wir erwarten, Excellenz.«
»Willkommen, Herr, obgleich ich Ihnen kein Obdach anbieten kann! Nicht blos mein Haus, sondern auch mein sämmtliches Vermögen wird von den Flammen verzehrt. Ich bin ein ruinirter Mann. Wer liegt hier?«
»Ein Mensch, welcher mir im Busche begegnete.«
»Wie kommt er nach hier?«
»Er kam mir, als ich das Feuer erblickte und meinem Wagen vorauseilte, verdächtig vor. Er schoß nach mir, als ich mit ihm rang und traf sich selbst in das Auge. Er ist todt.«
Der General bückte sich nieder.
»Hartig!« rief er überrascht.
»Sie kennen ihn, Excellenz?«
»Ja. Es ist der Mann meiner Wirthschafterin. Er kam aus dem Zuchthause zu uns und mußte das Schloß verlassen. Er ist der Thäter! Ich ahne es.«
»Wollen ihn einmal aussuchen!« meinte der Pater.
Er kniete nieder und durchsuchte die Taschen des Todten. Er fand dabei in der Brusttasche des Rockes ein Papierpaket, welches er öffnete.
»Geld! Papiergeld! Excellenz, sehen Sie nach!«
Der General griff hastig zu und sah die Staatsanweisungen durch.
»Dieses Geld gehört mir!« rief er. »Ich pflege an die Ecke eines jeden größeren Kassenscheines meinen Namen zu setzen. Hier lesen Sie! Und auch die Summe stimmt. Der Mensch ist wahrhaftig der Thäter gewesen!«
»Gott sei Dank!« meinte Walmy. »So ist wenigstens Ihr Vermögen gerettet.«
»O nein! Das hier ist nur die laufende Kasse. Alles Uebrige befand sich in der Bibliothek, zu welcher nicht mehr zu kommen war. Herr von Walmy, bitte, eilen Sie in das Dorf und sehen Sie, ob Sie Magda finden können!«
Walmy folgte augenblicklich dieser Bitte. Er begegnete den Spritzen mehrerer Nachbardörfer, welche nun allerdings zu spät kamen. Das Feuer bildete eine einzige gewaltige Lohe, welche empor bis zu den Wolken leckte und den Himmel mit dickem schwarzem Rauche bedeckte. Sie versengte die Kleider der sich ihr Nahenden auf viele hundert Schritte und warf eine förmliche Tageshelle über die ganze Gegend.
Als er das Dorf erreichte, war die Häuslerswohnung bereits ganz niedergebrannt. Nur einzelne kleine Flämmchen leckten noch an der stehen gebliebenen Umfassungsmauer. Die beiden Nachbarhäuser hatte man unversehrt erhalten. Da hier nichts mehr zu befürchten war, so hatten sich weitaus die meisten Dorfbewohner nach dem Schlosse begeben, und es waren nur wenige Leute zu sehen.
Er fragte einen Jeden, den er traf, nach der Vermißten, aber Niemand konnte ihm Auskunft ertheilen. Er ging von Haus zu Haus, von Gut zu Gut und fand hier oder da einen alten Mann, ein schwaches Mütterchen oder eine Kranke, die er ausforschen konnte, aber er mußte unverrichteter Sache wieder zurückkehren.
Erst wieder draußen vor dem Dorfe stieß er auf eine Frau, die vom Schlosse zurückkehrte, um nach ihren zurückgelassenen Kindern zu sehen.
»Halt, Frau! Haben Sie heut Abend etwa das gnädige Fräulein bemerkt?«
»Fräulein Magda?«
»Ja.«
»Sie war erst im Dorfe und rannte dann mit uns dem Schlosse zu, als dieses brannte.«
»Wissen Sie dies genau?«
»Ja. Sie ging gerade vor mir, und weil wir einander stießen, bog sie dort rechts nach der Wiese ab.«
»Ich danke!«
Er eilte weiter. Er fand, da jede Arbeit zur Dämpfung des Brandes vergeblich gewesen wäre, alle Bewohner des Schlosses und ihre Gäste bei einander versammelt.
»Gefunden?« frug ihn der General.
»Dann würde ich nicht ohne sie zurückkehren.«
»Also fort! Herrgott, wo mag sie sich befinden?«
»Sie ist aus dem Dorfe zum Schlosse zurückgekehrt, und da unten bei den Büschen über die Wiese gegangen, wie mir eine Frau sagte, die es ganz genau gesehen hat.«
»Sie ist den Andern vorangeeilt und im Schlosse eingedrungen.«
»Sie ist verbrannt!« jammerte Freya.
»Elend verglüht!« schluchzte Wanka.
»Jämmerlich verkohlt!« weinte Zilla.
»Beruhigen Sie sich!« bat Kurt. »Eine Dame kann nicht so schnell gehen wie ich mit Papa gelaufen bin. Wir Beide kamen als die Ersten hier an und müßten sie gesehen haben.«
»Vielleicht ist sie unterwegs in Ohnmacht gefallen und liegt nun irgendwo,« meinte der General. »Kommt und laßt uns nach ihr suchen!«
In diesem Augenblicke kam der Kutscher, welcher den Bowie-Pater gefahren hatte, auf dem Platze an. Bei der hellen Beleuchtung, welche der Brand verbreitete, sah man, daß er blutete.
»Was ist mit Dir geschehen?« frug der Pater.
»Ich wurde gestochen.«
»Von wem?«
»Von einem Manne, der mir in einer Kutsche begegnete.«
»Wie kam das?«
»Auf der halben Höhe da oben kam mir eine Kutsche entgegen, und weil die Straße schmal und abschüssig war, stieg ich und der andere Fuhrmann vom Bocke, um die Pferde zu führen. Gerade als ich vorüber wollte, rief Jemand in dem andern Wagen um Hilfe – – –«
»Alle Teufel!« rief der Pater. »Was war es für eine Stimme? Eine männliche oder eine weibliche?«
»Eine weibliche, wie ich glaube. Aber ich konnte das nicht genau unterscheiden, weil die Stimme in einem Röcheln erstarb. Der Mund der Rufenden wurde vielleicht zugehalten oder verstopft.«
»Was thatest Du?«
»Ich gebot dem Kutscher Halt. Als er nicht gehorchte, hielt ich ihn fest. Wir rangen mit einander. Er stach mich mit einem Messer in den Arm, und dann öffnete sich die Kutsche und ein Zweiter stieg aus, der mir von hinten einen Schlag versetzte, daß ich besinnungslos zusammenbrach. Als ich erwachte, waren sie fort.«
»Wie lange hast Du gelegen?«
»Ich weiß es nicht. Es muß lange gewesen sein.«
Die Zuhörer starrten einander an.
»Eine Entführung!« rief Wanka.
»Nein, sondern ein Menschenraub!« erklärte Zilla.
»Wir müssen sofort nach!« gebot der General.
»Halt, übereilen wir uns nicht!« bat der Pater. »In solchen Dingen ist Kaltblütigkeit besser als Aufregung. Die Last, welche ich gesehen habe, kann allerdings ein menschlicher Körper gewesen sein, aber eine solche That wäre hier zu Lande ja etwas ganz und gar Unerhörtes. Wer sollte es sein, der die Dame raubte?«
»Ja, wer?« frug auch der General.
»Ein gewöhnlicher Mann jedenfalls nicht,« meinte der Pater. »Haben Sie einen Feind hier in der Gegend, Excellenz?«
»Nicht daß ich wüßte. Ich habe Niemand beleidigt.«
»Aber ich,« fiel Kurt ein. »Doch halte ich eine solche Rache geradezu für eine Unmöglichkeit. Er kann es nicht gewesen sein.«
»Wer?«
»Der Prinz.«
»Welcher Prinz?«
»Der tolle.«
Da fuhr der Pater empor.
»Der tolle Prinz war hier?« frug er hastig.
»Ja.«
»Wann?«
»Heut.«
»Und Sie haben ihn beleidigt?«
»Ich habe ihn sogar zu Boden geschlagen.«
»Weshalb?«
»Er betrug sich dort im Parke wie ein Schurke gegen Magda.«
»Bei Gott, so ist er es gewesen!« rief der Pater. »Aber wie kommt er mit dem Todten hier zusammen?«
»Er wird ihn unterwegs getroffen haben.«
»Aber mit einem Unbekannten, dem man zufällig begegnet, verabredet man nicht einen so gefährlichen Plan!«
»Sie kannten einander von früher her, von Fallun aus.«
»Das ist etwas Anderes. Der Prinz wußte wohl auch, daß dieser Hartig in dem Zuchthaus gewesen ist und sah in ihm einen Mann, den er als Hilfswerkzeug gebrauchen konnte.«
»Wir müssen ihm sofort nachjagen!« wiederholte der General.
»Warten wir noch einige Augenblicke!« bat der Pater. »Es ist besser wir verschaffen uns vorher die nöthige Gewißheit.«
»So wird er uns entkommen!«
»Der Räuber Ihrer Tochter wird uns nur dann entkommen, wenn wir zu hastig vorgehen. Verlassen Sie sich ganz auf mich. Wir haben da drüben in den Prairien Nordamerika's noch manchen anderen Kerl eingeholt und bestraft. Zunächst müssen wir uns überzeugen, ob wir uns nicht vielleicht täuschen. Die junge Dame kann ja noch da unten liegen.«
»Dann wollen wir schnell suchen!« rief der General und wollte augenblicklich forteilen.
»Halt!« gebot der Pater. »Hier gilt es, die Spuren nicht zu verwischen. Bleiben Sie Alle hier; nur Holmers und Herr von Walmy mögen mich begleiten. Sie wissen mit einer Fährte umzugehen. Haben Sie Pferde gerettet?«
»Nur zwei.«
»Gute Läufer?«
»Die besten.«
»Gibt es Sättel?«
»Sie hingen im offenen Schuppen und sind nicht mit verbrannt.«
»So lassen Sie sofort satteln. Wir werden bald zurück sein.«
Die drei Prairiejäger gingen. Sie schritten den Weg nach dem Dorfe hinab und beobachteten aufmerksam den Rand dieses Weges. Die Tageshelle, welche das Feuer verbreitete, gestattete ihnen, den kleinsten Gegenstand genau zu erkennen. Den Büschen gegenüber angekommen blieb Holmers halten.
»Hier ist es!« meinte er, auf das niedergetretene Gras deutend.
Sie bückten sich zu Boden, um die Spuren zu untersuchen.
»Ein kleiner Damenfuß,« meinte der Pater. »Es ist die richtige Fährte; sie führt hier rechts ab, ganz so, wie die Frau gesagt hat. Kommt!«
Sie schritten langsam weiter, der Pater voran. Als sie bei den Büschen vorüber waren, blieb dieser stehen.
»Alle Teufel, hier sind noch andere Fußtritte. Das Gras ist förmlich niedergestampft.«
»Wie viele Personen?« frug Walmy.
»Wollen sehen!«
Sie untersuchten die Eindrücke genau.
»Zwei Männer!« entschied Holmers. »Hier hinter diesem Busche haben sie gestanden und gewartet.«
»Und da von rechts herüber sind sie gekommen,« stimmte der Pater bei.
»Sehen wir, woher sie kamen?« frag Walmy.
»Nein,« antwortete der Pater. »Das würde zu nichts führen. Wir brauchen den Spuren nur zu folgen, die von hier fortführen. Seht, hier sind die Beiden über sie hergefallen, und von da an hören die Spuren des kleinen Fußes auf.«
»Sie haben die Dame fortgetragen.«
»Ja, und ich zweifle nun nicht mehr, daß es die zwei Männer sind, denen ich begegnete. Kommt weiter!«
Es wurde ihnen nicht schwer, der Fährte bis an den Ort zu folgen, an welchem der Pater auf die Entführer getroffen war.
»Halt!« sagte er. »Jeder weitere Zeitverlust würde zwecklos sein. Sie sind es. Kehren wir zum Schlosse zurück.«
Es waren, als sie dort ankamen, seit ihrem Fortgehen kaum zehn Minuten verflossen. Der General trat ihnen um einige Schritte entgegen.
»Nun?« frug er in ängstlicher Spannung.
»Erschrecken Sie nicht, Excellenz,« antwortete Walmy. »Sie ist wirklich geraubt worden.«
»Dann rasch nach!«
Er wollte sich sofort auf das Pferd werfen. Der Pater hinderte ihn daran.
»Bitte, General, bleiben Sie noch! Wir müssen noch überlegen.«
»Zum Teufel mit Ihrem Ueberlegen! Mittlerweile entkommt uns der Kerl.«
»Er entkommt uns nicht. Zunächst müssen allerdings zwei Mann der Kutsche folgen, aber Sie bleiben da.«
»Ich? Warum?«
»Sie werden hier an dieser Unglücksstätte nöthiger gebraucht als ein jeder Andere.«
»Zunächst braucht meine Tochter mich am nöthigsten!«
»In dieser Beziehung können Sie von uns vertreten werden, hier an der Brandstelle aber nicht.«
»Ich habe meinen Verwalter!«
»Das mag sein. Aber um nach Ihrer Tochter zu forschen, müssen wir uns vielleicht zerstreuen, und wir bedürfen also dann eines Mittelpunktes, um uns gegenseitig verständigen zu können.«
»Zerstreuen? Wozu?«
»Bis jetzt wissen wir nur, daß die Dame sich in der Gewalt eines Mannes befindet, wer aber dieser Mann ist, das wissen wir nicht.«
»Es ist der Prinz!«
»Das vermuthen wir nur, beschwören aber könnten wir es nicht. Kam er direkt zu Ihnen?«
»Nein. Er kam inkognito und wurde mir von einem Nachbar vorgestellt.«
»Wie heißt dieser?«
»Es ist ein Herr von Uhle.«
»Kenne ihn nicht. Wie weit ist es von hier bis an die Grenze?«
»Mit schnellen Pferden drei Stunden.«
»Wie heißt der Grenzort?«
»Wiesenstein.«
»Die Straße, welche ich gekommen bin, führt dorthin?«
»Ja, wenn man sich eine Stunde von hier an der dortigen Abzweigung nach links hält.«
»Nun gut, so hören Sie meinen Plan, der uns ganz sicher zum Ziele führt: Ist der Prinz wirklich der Räuber, so wird er schleunigst die Grenze zu erreichen suchen. Zwei Mann reiten ihm also dorthin nach – –«
»Das werde ich thun!« unterbrach ihn der General.
»Nein. Sie werden hier bleiben. Zu dieser Verfolgung gehören Leute, welche sich auf Spuren und Fährten verstehen. Das werde ich selbst übernehmen und mein Freund Holmers wird mich begleiten.«
»Sie kennen die Wege nicht!«
»Das ist gleichgiltig. In den Prairien gibt es gar keine Wege, und trotzdem haben wir uns stets zurechtgefunden. Es bleibt dabei, daß ich und Holmers reiten. Jemand geht unterdessen zu diesem Nachbar und erkundigt sich nach den Verhältnissen, unter denen der Prinz ihn verlassen hat. Er könnte sich ja auch noch dort befinden. Das Ergebniß dieser Erkundigung theilen Sie mir telegraphisch mit, und zwar nach Wiesenstein.«
»Unter welcher Adresse?«
»Holmers, Station restante. Fassen Sie aber das Telegramm vorsichtig ab. Gibt es von hier aus Fußpfade über die Grenze?«
»Ja.«
»Auch ihnen müßten wir eigentlich folgen. Aber wer kennt sie?«
»Ich,« antwortete der Steuermann.
»Ich,« antwortete auch Karavey zu gleicher Zeit.
»Ihr?« frug der Pater verwundert. »Woher?«
»Von früher.«
»Genau?«
»Ja.«
»Das ist gut. Macht Euch auf den Weg, um nachzuforschen. Ihr telegraphirt nach hier, wenn Ihr etwas erforscht oder etwas wissen wollt. Braucht Ihr lange Vorbereitung?«
»Wir gehen schon!« antwortete der Steuermann.
»Aber – –«
»Schon gut! Wir wissen und haben Alles, was wir brauchen.«
Er eilte mit langen Schritten davon, und Karavey folgte ihm.
»Wackere Kerls!« meinte der Pater. »Nun aber brauche ich noch wenigstens Zwei.«
»Wozu?« frug der General.
»Der Prinz, nämlich wenn er es wirklich ist, hat immerhin bereits einen bedeutenden Vorsprung. Man kann eine Stunde rechnen, und so ist es möglich, daß wir ihn nicht vor der Grenze einholen. Aber in diesem Falle werden wir doch seine Spur finden und ihm folgen. Ich glaube zu wissen, wohin er die Geraubte bringt.«
»Wohin?«
»Nach Burg Himmelstein.«
»Ah! Den Ort kenne ich,« meinte der General.
»Sie waren dort?«
»Nein. Kurt war dort. Sein Lehrer, welcher hier in Helbigsdorf wohnte, hatte eine Braut dort, welche spurlos verschwunden ist.«
»In Himmelstein verschwunden?«
»Aus der Höllenmühle verschwunden.«
»Merkwürdig. Hat der Prinz sie gekannt?«
»Er sah sie einmal und machte einen Angriff auf sie, erhielt aber eine Ohrfeige und wurde von dem Müller fortgewiesen.«
»So weiß ich genug. Hat der Herr Lieutenant lange Urlaub?«
»So lange es ihm beliebt.«
»Er mag mit Herrn von Walmy sofort nach Himmelstein abreisen und dort genau beobachten. Wenn der Prinz uns entgeht, kommt er ganz sicherlich nach dort.«
»Sie scheinen die Verhältnisse des Prinzen gut zu kennen?«
»Ich kannte sie einst sehr genau.«
»Auch seine Person?«
»Ja. Dazwischen aber liegen viele Jahre, und so kommt es, daß ich ihn heut im Dunkel des Gebüsches und bei der Augenblicklichkeit unserer Begegnung nicht wieder erkannt habe. Sie also, Excellenz, bleiben hier, um unsere gegenseitigen Mitteilungen zu vermitteln, und gehen erst dann ab, wenn Sie gerufen werden. Adieu!«
Die beiden Pferde waren vorgeführt worden. Er schwang sich auf, und Holmers that dasselbe.
»Aber, meine Herren,« frug der General, »sind Sie denn auch mit den nöthigen Mitteln versehen?«
»Danke, Excellenz,« antwortete der Pater. »Wir brauchen nichts.«
In einigen Augenblicken waren die Reiter verschwunden. Die Uebrigen blieben in einer nicht geringen Aufregung zurück.
»Wann geht der Zug ab, den wir benutzen müssen, um nach Süderland zu kommen?« frug Walmy.
»In vier Stunden,« antwortete Kurt.
»Wer wird zu dem Nachbar gehen?«
»Ich selbst,« meinte der General. »Sie können mich begleiten, Sie und Kurt. Ihr Weg nach dem Städtchen, an welchem sich der Bahnhof befindet, führt dort vorbei, und so wird eine jede Zeitversäumniß vermieden.«
»Ihr wollt uns verlassen?« frug Freya.
»Kunz bleibt doch hier.«
»Kunz? Fi! Er ist kein Beschützer für Damen.«
»Glauben Sie, daß ich Sie fressen werde?« frug der Diener.
»Da hörst Du es!« jammerte Zilla.
»Geht hinab in das Dorf zur Frau Pastorin,« meinte der General. »Dort seid Ihr gut aufgehoben und könnt mich erwarten. Hier kann kein Mensch mehr etwas thun. Wir sind alle überflüssig und müssen das Feuer ruhig brennen lassen.«
Er gab noch einige weitere Befehle an die Umgebung und entfernte sich dann mit Kurt und Walmy. Diese Beiden brauchten sich jetzt um ihre Reiseausrüstung nicht zu sorgen, denn es war ihnen Alles verbrannt, womit sie sich hätten equipiren können.
Der Weg führte sie wohl eine Stunde lang durch den Wald, dann senkte er sich nieder in ein tiefes Thal, auf dessen Sohle die Besitzung des Herrn von Uhle lag. So kam es, daß hier Niemand etwas von dem Feuer bemerkt hatte. Der Tag begann bereits zu grauen, aber es lag noch Alles im tiefen Schlafe, so daß die Ankommenden pochen mußten.
Der Verwalter erhob sich und öffnete, als er den General erkannte.
»Herr von Uhle schläft noch?« frug dieser.
»Ja.«
»Bitte, wecken Sie ihn.«
»Sogleich! Treten Sie in das Sprechzimmer, Excellenz.«
»Haben Sie nichts von dem Feuer bemerkt?«
»Nein. Wo brennt es?«
»Bei mir. Sie hatten gestern einen Gast?«
»Ja.«
»Wer war es?«
»Ich weiß nicht, ob ich den Namen nennen darf.«
»Es ist gut! Ist er noch hier?«
»Nein.«
»Wann ging er fort?«
»Gestern Abend.«
»Wecken Sie den Baron.«
»Aber Excellenz sagen, daß es bei Ihnen brennt. Ich werde stürmen lassen.«
»Ist nicht mehr nöthig.«
»Das Feuer ist bereits wieder erloschen?«
»Bitte, wecken Sie den Baron! Ich habe keine Zeit.«
Der Mann ging und bald trat Uhle ein, erstaunt über diesen so überraschenden Besuch.
»Verzeihung, daß wir Sie stören,« begann der General nach der ersten Begrüßung. »Ist der Prinz bereits fort?«
»Ja.«
»Wann?«
»Noch am Abend.«
»Er wollte doch bleiben.«
»Er hatte sich, wie er sagte, plötzlich anders entschlossen.«
»Er fuhr natürlich?«
»Ja.«
»Wie viel Uhr?«
»Sie begleiteten ihn?«
»Nein. Er hatte sich das verbeten.«
»Wer war bei ihm?«
»Nur sein Kutscher.«
»So gehörte der Wagen ihm?«
»Ja.«
»Sie waren mit ihm bei mir. Kehrte er in Ihrer Begleitung nach hier zurück?«
»Nein.«
»Ah!«
»Wir gingen nur eine Strecke zusammen. Dann blieb er zurück.«
»Warum?«
»Wir trafen einen Menschen, einen Bettler, bei dem er verweilte.«
»Er schickte Sie fort?«
»Ja.«
»Welche Zeit später kam er wieder?«
»Gegen drei Stunden.«
»Mit diesem Bettler?«
»Ohne ihn.«
»Bitte, beschreiben Sie mir den Mann!«
»Er konnte fünfzig Jahre zählen und sah angegriffen aus. Er trug eine graue Hose, einen zerrissenen schwarzen Rock und eine braune Mütze mit breitem Deckel. Sein Gesicht – –«
»Es ist genug. Ich danke! Es stimmt.«
»Was?«
»Dieser Mensch hat mein Schloß und vorher bereits die Wohnung eines Häuslers in Helbigsdorf in Brand gesteckt.«
»Nicht möglich!«
»O, wirklich!«
»Ich erschrecke. Aber Ihre Gegenwart sagt mir, daß die Gefahr bereits vorüber ist.«
»Meine Gegenwart mag Ihnen im Gegentheile sagen, daß Alles verloren ist.«
»Um Gottes willen, General, was soll das heißen?«
»Daß mein Schloß noch brennt. Ich habe nichts gerettet als zwei Pferde.«
»Erlauben Sie, daß ich sofort anspannen lasse!«
»Thun Sie das, aber bitte, besorgen Sie zwei Wagen: einen für Sie und mich und einen für diese Herren, welche zur Station fahren müssen.«
»Sind Menschenleben zu beklagen?«
»Nein. Aber meine Tochter ist verschwunden.«
»Ah!« Er erschrak. »Spurlos?«
»Nein. Wir haben ihre Spur.«
»Wohin führt sie?«
»Dahin, wo diese Herren sich per Bahn begeben werden.«
Der General schien kein volles Vertrauen zu dem Baron zu haben, da er ihn so unvollständig unterrichtete.
»Ich werde Alarm schlagen lassen!« sagte Uhle.
»Bitte, thun Sie auch das. Zwar kann nichts mehr gerettet werden, aber Handreichungen werden dennoch nöthig sein.«
Uhle verließ das Zimmer.
»Der Prinz ist es!« meinte der General.
»Es ist kein Zweifel!« rief Kurt. »Papa, ich wollte, er würde da oben an der Grenze nicht getroffen.«
»Warum?«
»Damit er in Himmelstein mir in die Hände läuft. Ich werde ihn zermalmen, diesen Schurken ohne gleichen!«
»Ich wünsche mein Kind so bald wie möglich zurück. Bedenke, was Magda in solcher Gesellschaft zu leiden hat!«
»Ich könnte ihn zerreißen. Wehe ihm, wenn ich ihn treffe.«
»Und dennoch müssen wir vorsichtig sein. Er ist ein Prinz, und es gilt da also Rücksicht zu nehmen.«
»Zum Teufel mit der Rücksicht!«
»Du wirst Dich beherrschen, mein Sohn! Ich als Vater muß es auch, obgleich mich der Zorn übermannen möchte. Ihr werdet Nachmittag in der Höllenmühle sein?«
»Bereits um Mittag.«
»So werde ich telegraphiren, was ich erfahre. Ihr antwortet mir. Aber laßt jetzt den Baron nichts merken. Er ist ein Freund des Prinzen.«
»Vielleicht kennt er den ganzen Plan.«
»Das allerdings glaube ich nicht von ihm, doch ist es immerhin besser, wir theilen ihm nur das Allernothwendigste mit. Jetzt will ich für Euer Reisegeld sorgen. Wie gut, daß der Schurke meine Tageskasse zu sich steckte.«
Da legte Walmy ihm die Hand auf den Arm.
»Excellenz, behalten Sie einstweilen das Wenige, was Ihnen erhalten blieb. Ich bin mit der nöthigen Summe versehen.«
Der General blickte ihn lange an.
»Sind Sie reich, Herr von Walmy?«
»Ja. Reicher als Sie, wie ich glaube.«
»Aber ich hörte, daß die Familie Wal – –«
»O bitte,« unterbrach ihn Friedrich; »ich habe von meiner Reise mehr mitgebracht, als ich jemals brauche.«
»So will ich mich einstweilen Ihrer Güte bedienen, mein edler junger Freund. Aber ich stelle die Bedingung, daß Sie sich jede Ausgabe ganz genau notiren. Ist mir mein Vermögen auch verbrannt, so wird mir wohl doch so viel übrig bleiben, um die Kosten zu decken, welche die Wiedererlangung meiner Tochter verursacht.«
Bereits nach einigen Minuten fuhren die beiden Wagen in entgegengesetzter Richtung vom Hofe ab, der eine nach der Station und der andere nach Helbigsdorf. Als der General dort anlangte fand er das Schloß bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt; aber noch immer stiegen die Flammen hoch empor, da das viele zusammengestürzte Holzwerk ihnen eine mehr als reichliche Nahrung bot. Seine Schwestern befanden sich beim Pastor; aber die dicke Frau Barbara wirthschaftete muthig an der Seite des Hofschmiedes, der mit dem Verwalter und Kunz die Leute beaufsichtigte, die sich abmühten, dem gefräßigen Feuer hier und da noch eine Kleinigkeit zu entreißen.
Bereits am frühen Vormittage kam von einer kleinen diesseitigen Telegraphenstation eine Depesche an. Sie lautete:
»Sind nicht nach Wiesenstein, sondern links abgebogen. Immer fest auf der Spur. Werden Weiteres bald melden. Holmers.« –
Hoch oben im Gebirge, nicht gar weit von der Grenze, gab es mitten im tiefen Walde und seitwärts von der Straße, welche sich längs der Grenze hinzieht, eine ziemlich geräumige Blöße, auf welcher ein kleines Häuschen stand, welches der alte Waldhüter Tirban bewohnte.
Vor demselben saß auf einem Reisigbündel eine eigenthümliche menschliche Gestalt. Sie gehörte einem Weibe an. Bekleidet war sie mit einem grell roth gefärbten Rocke, einem alten schmutzigen Hemde und einem gelben Tuche, welches um den Kopf geschlungen war. Die nackten Arme und Unterbeine blieben unverhüllt, hatten eine schwarzbraune Färbung und waren so fürchterlich dürr, daß man die Gestalt der Knochen deutlich erkennen konnte. Obgleich das Gesicht Runzel an Runzel zeigte, waren die Züge doch so scharf, als seien sie mit dem Messer geschnitten. Das Weib hielt die Augen geschlossen, aber ein unausgesetztes Spiel der Mienen verrieth, daß die Alte sich nicht im Schlafe, sondern in fortwährender wacher Seelenthätigkeit befinde.
Da trat ein Mann aus der Hütte. Er war klein gebaut und womöglich noch hagerer als das Weib. Seine kleinen Augen lagen tief in ihren Höhlen, und sein Kinn war so aufwärts, seine Nase so abwärts gebogen, daß sich die beiden beinahe berührten. Er ging an einem Stocke. Auch die Frau hatte einen Stock neben sich liegen. Er ließ seinen Blick über die Blöße schweifen und dann auf der Alten ruhen.
»Zarba!« klang es dumpf aus seinem zahnlosen Munde.
Sie antwortete nicht.
»Zarba!«
Auch jetzt schwieg sie. Sogar die Augen blieben geschlossen, aber eine langsame Bewegung ihrer Mumienhand deutete an, daß sie ihren Namen gehört habe.
»Zarba, ich gehe,« sagte er zum dritten Male.
Sie richtete jetzt den Kopf ein wenig empor.
»Gehen?« frug sie. »Alles geht – – die Sonne, die Sterne, die Jahre, die Tage, die Blume, der Mensch. Ja, gehe, Tirban; ich gehe auch!«
»Willst Du mit?«
»Mit? Nein. Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Ich kann erst dann gehen, wenn ich ihn gesehen habe.«
»So meine ich es nicht. Gehst Du mit in den Wald?«
»Ich bin im Walde. Was soll ich im Wald?«
»Kräuter suchen, Zarba.«
»Kräuter? Wozu? Um Kranke zu heilen? Was hilft ihnen das? Sie müssen dennoch gehen, früher oder später.«
»Auch ist Versammlung im Walde – –«
Jetzt öffnete sie für einen kurzen Augenblick die Lider und frug:
»Versammlung? Wer?«
»Die Deinen. Du bist ja die Königin und heute ist Freitag!«
»Die Meinen? Wo sind sie? Sie sind Könige und Fürsten geworden; sie brauchen mich nicht. Und der, welcher mich braucht, ist weit fort auf dem Meere. Vielleicht haben ihn die Fluthen verschlungen – er ist gegangen.«
Da theilte sich ihnen gegenüber das Gebüsch. Zwei Männer traten auf die Blöße und kamen auf das Haus zugeschritten. Tirban legte die Hand über die Augen, um die Nahenden besser betrachten zu können.
»Wer ist das?«
Die Alte hörte das Geräusch der Schritte.
»Tirban, wer kommt?« frag sie.
»Zwei Leute.«
»Kennst Du sie?«
»Noch nicht. Meine Augen sind schwach geworden.«
Der Vordere der Beiden hielt den Schritt an und blickte scharf nach den zwei Alten; dann kam er in raschen Sprüngen herbei.
»Zarba!« rief er, die Hände ausstreckend.
Da fuhr sie mit einem schnellen Rucke in die Höhe. Ihre Augen öffneten sich groß und weit, und ihre Stimme klang hell und jubelnd:
»Karavey! Bruder!«
Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen, doch war sie so schwach, daß er sie wieder auf das Bündel niederlassen mußte.
»Er ist da,« hauchte sie. »O, nun kann ich gehen – wie die Sterne, wie die Stunden und wie die Blumen.«
»Sei stark, Zarba,« bat er sie. »Blicke mich an!«
Sie sah ihn lange, lange mit ihren großen glanzlosen Augen an.
»Fandest Du die Insel?« frug sie dann wie sich besinnend.
»Ja.«
»Und die Schätze, das Gold, die Diamanten und Steine?«
»Ja.«
»So sind die Geister erlöst, die sie bewachen sollten. Hast Du Alles mitgebracht, Karavey?«
»Alles! Zarba, es sind Millionen!«
Sie nickte gleichgiltig mit dem Kopfe.
»Thue Gutes mit ihnen, Karavey, damit es ein heller Stern sei, auf dem wir uns wiedersehen werden!«
»Ja, Zarba, Gutes will ich thun, zunächst an Dir. Ich nehme Dich fort aus dem Walde. Du sollst in einem Palaste wohnen, wo Deine Füße über die herrlichsten Teppiche gleiten und hundert Diener Deine Befehle erfüllen sollen.«
Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Das werde ich nicht. Zarba wird den Wald nicht verlassen, sondern da liegen und ruhen, wo sie gewandelt hat. Ich habe die Göttin gebeten auf Dich warten zu dürfen; heut bist Du gekommen und heute wird sie mich zu sich rufen. Reiche mir Deine Hand; ich gehe fort!«
»Das wirst Du nicht, Zarba. Ich brauche Dich.«
»Mich? Was soll ich?«
»Du sollst Deinen Leuten befehlen uns zu helfen.«
»Hilfe willst Du? Wobei?«
»Wir suchen den tollen Prinzen.«
Jetzt öffnete sie die Augen wieder.
»Ihn? Ihn? Wo war er? Was hat er gethan?«
»Er war in Helbigsdorf und hat das Schloß abgebrannt, um die Tochter des Generals zu entführen.«
Da richtete sie sich wieder empor.
»Entführen? Sie, die Taube? Er, der Geier? Ist es ihm gelungen?«
»Ja. Er ist in einem Wagen mit ihr entflohen. Wir glaubten, er würde bei Wiesenstein über die Grenze gehen und haben ihm zwei tüchtige Männer nachgesandt; ich aber bin mit dem Steuermanne zu Dir geeilt um auch die andern Wege besetzen zu lassen.«
Da griff sie zum Stocke. Ihre Gestalt stand aufrecht wie in ihren früheren Jahren; ihre Augen bekamen Glanz und Leben; eine plötzliche Energie schien sie um fünfzig Jahre zu verjüngen.
»Kommt! Schnell!«
Sie schritt kräftig über die Blöße dahin, die Andern folgten ihr. Sie drang in den Wald ein, ohne sich um die Aeste und Zweige zu bekümmern, welche ihr in das Gesicht schlugen, bis sie eine enge Schlucht erreichten, in welcher zwölf Männer saßen, denen es beim ersten Blicke anzusehen war, daß sie Zigeuner seien. Sie erhoben sich bei dem Anblicke Zarba's.
»Ihr Männer der Zingaren, habt Ihr Waffen bei Euch?« frug sie.
»Ja.«
»So folgt mir: Es gibt einen großen Fang zu machen.«
Sie wandte sich seitwärts wieder in den Wald hinein. Die Andern alle schritten hinter ihr her. Es war keine Spur der vorigen Mattigkeit mehr in ihr vorhanden. Sie schritt wohl über eine Viertelstunde lang rüstig vorwärts, bis sie an eine Stelle gelangte, wo sich die aus dem Niederlande kommende Straße nach zwei verschiedenen Richtungen theilte. Hier blieb sie unter den Bäumen stehen und wandte sich an Karavey. Den Steuermann hatte sie bisher gar nicht beachtet.
»Wenn er nicht über Wiesenstein ist, so muß er hier vorüber,« meinte sie. »Wir besetzen – –«
Sie hielt inne, denn in diesem Augenblick ließ sich das leichte und schnelle Rollen von Rädern vernehmen, und gleich darauf erschien eine mit zwei Pferden bespannte Kutsche. Einer der Zigeuner war in unvorsichtiger Weise etwas vorgetreten, der Kutscher bemerkte ihn und wandte sich um, indem er an das vordere Wagenfenster klopfte. Sofort öffnete sich das Fenster auf der einen Seite und es erschien ein Kopf, der mit einem durchdringenden Blicke die Gegend musterte.
»Ah, Zarba!« murmelte er. Dann fügte er halblaut hinzu: »Kutscher, ein Ueberfall. Schnell anfahren, wenn sie kommen!«
Es war der Prinz. Vor ihm saß Magda. Die Hände waren ihr gebunden, und ein Tuch verschloß ihr den Mund, so daß sie nicht reden oder rufen konnte. Aber sie hatte die Worte des Prinzen vernommen, und ihre Augen leuchteten hoffnungsfreudig auf. Er bemerkte es und lächelte ihr höhnisch zu.
»Habe keine Sorge, Schatz,« meinte er; »man wird unser schönes tête-à-tête nicht zerreißen; dafür garantire ich!«
Er zog eine Doppelpistole aus der Tasche und spannte die Hähne. Es war gerade die höchste Zeit, denn soeben trat Zarba zwischen den Bäumen hervor, hinter und neben ihr die Zigeuner nebst Karavey und dem Steuermanne. Sie wußten natürlich nicht ob sie die richtige Kutsche vor sich hatten, aber Zarba trat vor und erhob den Stock.
»Halt!« gebot sie dem Kutscher mit lauter Stimme.
Dieser schlug auf die Pferde ein. Sie zogen aus allen Kräften an; in demselben Augenblicke krachten aus dem geöffneten Wagenschlage zwei Schüsse; Zarba und einer der Zigeuner stürzten zu Boden und der Wagen schoß mit einer Schnelligkeit davon, daß er unmöglich einzuholen war.
An dieses letztere dachte man auch gar nicht, denn alle hatten sich über Zarba gebeugt, welcher die Kugel in die Brust gedrungen war. Der Zigeuner war blos am Arme verwundet. Karavey kniete neben ihr, um die Verletzung zu untersuchen. Sie hielt die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Es war, als ob sie bereits todt sei.
»Zarba!« rief der Bootsmann. »Sprich, rede! Lebst Du noch?«
Sie behielt die Augen geschlossen, aber sie antwortete:
»Er war es.«
Die Stimme klang leise wie im Verlöschen.
»Wer? Der Prinz? Hast Du ihn erkannt?«
»Ja.«
Da stemmte sie den einen Arm auf die Erde und versuchte, sich emporzurichten. Es gelang ihr nicht. Sie fiel wieder zurück. Aber aus ihren jetzt geöffneten Augen schoß ein Strahl ausgesprochenster Rache hervor.
»Ja, Karavey, Blut gegen Blut! Er hat die letzte Königin der Zingaren getödtet; er möge doppelt und dreifach sterben. Er ist entkommen, aber Du wirst ihn finden.«
»Wo? Sage es!«
»Auf Burg Himmelstein.«
»Wir werden nicht eingelassen!«
»Ich kenne die Verließe der Burg und des Klosters. Der geheime Eingang ist im oberen Steinbruche unter den Brombeerranken.«
»Wie erkennt man ihn?«
»Es ist ein viereckiger Rasenflecken, in dessen Mitte sich ein Wurzelstummel befindet. O, Karavey, ich gehe – wie der Stern, wie die Blume, ich sagte es. Bhowannie ruft. Leb wohl, und räche mich!«
»Zarba, Du darfst nicht sterben, Du mußt leben!«
»Ich gehe! Begrabe mich im Walde – unter Felsen und Tannen. Ich versinke und verschwinde wie unser Volk, ohne Heimath, im Windesrauschen, leb wohl, leb wohl!«
Die seit langen Jahren gekrümmten Glieder streckten sich aus. Noch einmal öffnete sie groß und voll die Augen, um mit dem brechenden Blicke das dunkle Grün der Tannen einzusaugen, dann schlossen sie sich für immer. Karavey warf sich über sie hin. Sein Körper zuckte unter dem Schmerze, der ihn durchzitterte, aber über seine Lippen kam nicht ein einziges Wort. Die Andern standen schweigend um ihn her.
Da erschallten rasche Schritte. Zwei Männer kamen mit erhitzten Gesichtern die Straße daher.
»Der Pater!« rief der Steuermann überrascht. »Der Pater und Holmers!«
Da erhob sich Karavey. Wer nicht wußte, was soeben geschehen war, der hätte jetzt in seinem Gesichte nicht die geringste Spur davon bemerkt.
»Hollah!« rief der Pater. »Treffen wir uns hier! Was ist geschehen?«
»Blickt her! Da liegt sie!« antwortete Schubert.
Die Beiden traten herzu.
»Ein Mord! Wer ist sie?«
»Die Schwester des Bootsmanns.«
»Alle Wetter! Wer hat sie erschossen?«
»Der Prinz.«
»So kam er hier vorüber, so haben wir uns also nicht geirrt?«
»Er war es.«
»Wann?«
»Vor einigen Minuten.«
»Alle Teufel! Wir waren ihm hart auf den Fersen.«
»Wo habt Ihr die Pferde?«
»Das eine lahmte. Wir ließen sie in einem Dorfe stehen, da sie uns mehr hinderlich als förderlich waren. Wir folgten der Spur des Prinzen und mußten oft quer durch den Wald, um die Krümmungen abzuschneiden, welche die Straße machte, die er fuhr. Das ging zu Fuße besser. Wie weit ist es von hier bis zur Grenze?«
»Eine Viertelstunde,« antwortete Tirban.
»So ist er uns entkommen!«
»Allerdings!« nahm Karavey jetzt auch das Wort. »Aber nur für kurze Zeit. Wir werden ihn wieder bekommen.«
»Wo?«
»Auf Burg Himmelstein.«
»Dort? Wer sagte es?« frug der Pater überrascht.
»Die Todte hier.«
»Kannte sie Himmelstein?«
»Sie kannte Alles und wußte Alles.«
»Sie war eine Zigeunerin?«
»Ja.«
»Ihr werdet mir von ihr erzählen müssen. Was gedenkt Ihr jetzt zu thun?«
»Ich muß bei der Schwester zurückbleiben.«
»Das versteht sich ganz von selbst. Ihr wollt sie begraben?«
»Wo?«
»Hier im Walde. Das war ihr letzter Wunsch.«
»So bleibt mit dem Steuermanne hier!«
Schubert machte ein sehr unentschlossenes Gesicht.
»Meint Ihr etwas anderes?« frug ihn der Pater.
»Braucht Ihr mich nicht?«
»Gegenwärtig nicht. Wir Beide, ich und Holmers, sind Manns genug, den Mörder nicht aus den Augen zu lassen.«
»So bleibe ich bei dem Bootsmanne.«
»Gut! Wenn Ihr hier fertig seid, so kehrt nach Helbigsdorf zurück. Ich werde dorthin telegraphiren was Ihr machen sollt.«
Die beiden Prairiejäger eilten auf der Straße weiter. Sie hatten keine Zeit, sich in zeitraubenden Erkundigungen und Beileidserzeugungen zu ergehen.
»Wohin schaffen wir sie?« frug Karavey.
»Nach meiner Hütte,« antwortete der Waldhüter. »Dort hat sie schon seit langer Zeit ihren Sarg stehen.«
»So hat sie wohl auch bereits in Beziehung auf ihren Tod und ihr Begräbniß irgend welche Verfügungen getroffen?«
»Ja.«
»Was?«
»Sie will in der Schlucht begraben sein, wohin sie uns heute führte.«
»Sonst nichts?«
»Nur solche Dinge, die nur ihr Bruder wissen darf.«
»Du sollst mir das später sagen. Sie soll in der Schlucht begraben werden, unter Felsen und Tannen, wie sie vorhin sagte. Ich werde ihr ein Grabmal von Felsblöcken aufführen lassen und dunkle Tannen darauf pflanzen. Die Gebeine ihres Mörders aber sollen keine Stelle finden, an denen man sie suchen kann. Bhowannie ist die Göttin der Rache: sie wird mir helfen.«
Die Männer fertigten aus Zweigen eine Bahre und legten den Leichnam darauf. Lautlos setzte sich der Zug nach der Waldhütte in Bewegung, vor deren Thüre sie heute noch gesagt hatte: »Ich gehe, wie die Sonne, wie die Sterne, wie die Tage und wie die Stunden!« – – –