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Viertes Kapitel. Der Schatz der Begum

Es war vor langen langen Jahren, und zwar im Wunderlande von Indien. Ein von vierzehn Kulis gerudertes Boot fuhr den Ganges hinauf, dessen Wasser bei den Indiern so heilig gilt, daß sie es weithin versenden und sogar den Glauben hegen, daß Derjenige, welcher in den Fluthen des berühmten Stromes den Tod sucht oder sich von den darin befindlichen Krokodilen auffressen läßt, sofort von Brahma in den herrlichsten seiner Himmel aufgenommen wird.

Das Boot war mit zwei Mattensegeln und einem Zelte versehen, unter welchem ein Mann lag, der hier Schutz vor den glühenden Strahlen der Sonne suchte. Er hatte seine lange hagere Gestalt auf einem rothseidenen Divan ausgestreckt und sog den Duft eines köstlichen Tabakes aus einer persischen Hukah, Wasserpfeife. welche mit prächtigen Edelsteinen ausgelegt war. In der Linken hielt er die neueste aus London nach Indien gekommene Nummer der Times, welche bereits seit einer vollen Stunde seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte.

Jetzt legte er sie von sich.

»Raadi!«

»Sihdi!« ertönte eine sanfte Stimme von außen.

Der Musquitovorhang, welcher den Eingang des Zeltes verhüllte, wurde bei Seite geschoben, und der Kopf eines indischen Dieners erschien.

»Was befiehlst Du?«

»Frage den Steuermann, wie lange es noch dauert, bis wir nach Augh kommen!«

Der Kopf verschwand und kehrte nach wenigen Augenblicken wieder.

»In einer Stunde werden wir die Stadt des Rajah erreichen.«

»Dann wecke mich!«

Er schob sich ein Kissen unter den Kopf und plazirte den letzteren so, daß seine dünnen Bartkoteletten unmöglich in Unordnung gerathen konnten. Noch waren nicht zwei Minuten vergangen, so schlief er fest, wie die schnarchenden Töne bezeugten, welche er hören ließ.

Genau zu der angegebenen Zeit erschien der Diener wieder.

»Sihdi!«

Ein leises Klatschen seiner hellbraunen Hände begleitete diesen halblauten Ruf. Der Engländer erwachte.

»Die Stadt ist da. Willst Du Dich erheben, Sahib?«

»Yes!«

Der Diener kam vollends in das Zelt und war seinem Herrn behilflich, sich von dem Divan zu erheben.

»Befiehlst Du Deine Waffen?«

»Yes!«

Raadi brachte einen krummen Säbel, einen malayischen Kris und zwei kostbar ausgelegte Pistolen herbei, band dem Gebieter einen persischen Shawl um die Hüften und befestigte die Waffen an und in demselben. Nun trat der Engländer aus dem Zelte.

Der heilige Strom erglänzte im Lichte der strahlenden Sonne wie feuerflüssiges Silber. Zahlreiche Boote durchkreuzten seine Fluthen und dazwischen bewegten sich die schwimmenden Fischer, nach indischer Sitte auf zwei mit einander verbundenen irdenen Töpfen liegend, während sie mit den Händen das Netz regieren. Am Landeplatze hielt ein Zug von englischen und eingeborenen Offizieren, vor welchen ein Sipoy ein köstlich aufgeschirrtes Pferd hielt, welches für einen Fürsten bestimmt zu sein schien.

Der Engländer verließ, wahrend zwei Kulis einen breiten Sonnenschirm über ihn hielten, das Boot. Kaum berührte sein Fuß den festen Boden, so ertönten von der Stadt her Flintensalven und Kanonenschüsse, und sämmtliche anwesende Indier beugten sich demüthig zur Erde. Auch die englischen Offiziere begrüßten ihn in einer Weise, welche vermuthen ließ, daß er sie an Rang bedeutend überrage.

Dieser Mann war General Lord Haftley, der gegenwärtige Bevollmächtigte der englisch-ostindischen Regierung. Er kam nach Augh, um mit dem Fürsten dieses Landes zu verhandeln, und hatte seine Equipage nebst den Offizieren, welche ihn jetzt empfingen, voraus gesandt, um ihm seine Wohnung zu bereiten. Ein reich bewaffneter Indier trat auf ihn zu.

»Sahib, mein Herr, der Rajah Madpur Sing, dem Alles gehört, was dieses Land bedeckt, hat mir befohlen, Dich willkommen zu heißen.«

»Yes!«

Er begrüßte mit einer leichten Handbewegung die ihn erwartenden Offiziere und ließ sich von den Kulis auf das Pferd heben. Der Indier hielt sich an seine Seite. Die Augenbrauen des Lords hatten sich zusammengezogen. Er schien nicht sehr guter Laune zu sein.

»Rittmeister Mericourt!«

Auf diesen Ruf drängte einer der ihm folgenden Offiziere sein Pferd an die rechte Seite des Generals, da der Indier auf der Linken ritt.

»General!«

»Sie sind ein Franzose!«

»Zu dienen.«

»Die Franzosen sind das höflichste Volk der Erde.«

»Wie man sagt.«

»Sie wissen also, was höflich ist?«

»Ich denke es zu wissen.«

»Ist dieser Empfang von Seiten des Rajah höflich?«

»Es scheint mir nicht so!«

»Yes!«

»Er schickt seinen Hausmeister und eine handvoll Soldaten, um den Vertreter und Gesandten des allmächtigen Albion zu empfangen. Das ist Alles.«

»Yes!«

»Wo bleibt das Aufsehen, der großartige Pomp, den diese Rajahs bei andern Gelegenheiten entwickeln? Wo bleibt die Schaar der Reitelephanten, der Leoparden- und Tigerkäfige und tausend andere Dinge, mit denen die indischen Fürsten zu prahlen pflegen? Der Empfang entspricht nicht der Würde dessen, der empfangen wird.«

»Yes!«

»Man muß diesen Leuten zeigen wer wir sind. Man möchte sich wundern, daß man die Güte gehabt hat, uns in dem Palaste des Radjah einzuquartiren.«

»Yes!«

Der Indier hatte bisher seinen Blick kaum von dem Kopfe seines Pferdes erhoben. Er verstand jedenfalls kein Wort von ihrer Unterhaltung, wie die Beiden annahmen.

»Sie werden, Excellenz, während den Verhandlungen dieselbe Höflichkeit zeigen müssen, die man Ihnen jetzt entgegenbringt.«

»Yes!«

»Und streng auf die Erfüllung unserer Forderungen dringen, General.«

»Yes!«

Das hinterste Paar des kleinen Zuges bildeten zwei Lieutenants. Der Eine war auf alle Fälle ein Engländer; der Andere schien von südlicherer Abstammung zu sein Er mochte ungefähr zweiundzwanzig Jahre wählen und zeigte neben der Gestalt eines Adonis das offene, Vertrauen erweckende Gesicht eines Kindes.

»Der Alte macht ein sehr schlechtes Gesicht,« meinte der Erstere.

»Der einfache Empfang wird ihm nicht gefallen, und dieser Mericourt, von dem er sich so auffällig bevormunden und beeinflussen läßt, thut das Seine, um Oel in die Flamme zu gießen.«

»Du liebst den Rittmeister nicht, obgleich Ihr Landsleute seid.«

»Pah! Er ist ein Pariser, und ich bin ein Korse; wir gehen einander nichts an.«

»Noch mehr, Ihr haßt einander.«

»Meinetwegen!«

»Der Rittmeister kann Dir schaden.«

»Pah! Er ist ein Feigling, der seinen Rang nur seiner Schlauheit, nicht aber seiner Tapferkeit verdankt. Er war früher vielleicht Gamin, Flaneur oder Kommis voyageur und ist nach Indien gegangen, weil er es daheim zu nichts bringen konnte. Ich sage Dir, Harry, daß ich ihn noch einmal vor den Degen bekommen und dann sicherlich nicht schonen werde!«

»Er muß Dich wirklich ganz außerordentlich beleidigt haben!«

»Allerdings.«

»Darf man das Nähere erfahren?«

»Gern. Du weißt, daß ich in Kalkutta sehr viel im Hause des Majors Wilson verkehrte. Die Majorin sah mich gern bei sich, weil unsere Unterhaltung ihr Gelegenheit gab, sich im Französischen zu vervollkommnen. Sie ist eine Schönheit, aber wie ich bestätigen muß, eine Dame von der strengsten reinsten Moralität, und es ist zwischen uns nie ein Wort gefallen, welches ihr Gemahl nicht hätte hören dürfen; das darfst Du mir glauben.«

»Ich glaube es, denn ich kenne Dich,« bestätigte Harry im Tone der Ueberzeugung.

»Auch der Rittmeister kam. Er fand die Majorin schön, reizend, entzückend und suchte sich ihr zu nähern. Sie behandelte ihn kalt, zurückhaltend. Er wurde eifersüchtig auf mich und handelte, wie ein Mann von seinem Charakter zu handeln pflegt.«

»Mit Hinterlist?«

»Ja. Eines Tages fragte mich der Major nach der Ursache meines intimen Verkehres mit seiner Gemahlin. Ich war erstaunt. Es kam zum Wortwechsel, und er forderte mich. Mir war es nicht um den Hieb, welchen ich empfangen konnte, mir war es nur um die Ehre seines braven unschuldigen Weibes. Ich suchte ihn also zu beruhigen und von ihrer Unschuld zu überzeugen; es half nichts; ich mußte mich mit ihm schlagen. Er stach mir ein Loch in den Rockärmel, und ich zeichnete ihm einen Cirkumflex in das Gesicht. Dann vermied ich sein Haus. Auch der Rittmeister durfte sich dort nicht mehr sehen lassen. Das ist die Kugel, welche er sich gegossen hat; es wird die Zeit kommen, in welcher ich sie ihm vorschießen werde, und dann soll es ihm schwer werden sie zu verdauen.«

»Dann laß nur mich mit dabei sein; auch ich gönne ihm alles Gute. Doch, hier sind wir am Palais des Rajah, und noch immer will sich kein Würdenträger sehen lassen!«

Der Andere lächelte fein.

»Der höchste Würdenträger hat sich bereits sehen lassen.«

»Du meinst den Haushofmeister?«

»Ja, oder vielmehr den Rajah selbst.«

»Ah, Du willst doch nicht etwa sagen, daß –«

»Natürlich! Ich will sagen, daß dieser Indier, welcher so still neben dem General reitet, kein Anderer ist als Madpur Sing selbst. Er ist ein Anderer als sein Vater war. Dieser hat sein Land durch seine Prunksucht beinahe aufgezehrt. Madpur Sing aber sucht es durch weise Sparsamkeit und Einfachheit wieder empor zu bringen. Wir finden keinen pompösen Empfang, weil er ein guter Fürst ist, nicht weil er uns nicht achtete. Die Ehre, daß er uns in eigener Person empfängt, ist größer als alles Andere.«

»So kennst Du ihn?«

»Ich habe mit ihm in Kalkutta gesprochen.«

»Ah, und dies erfahre ich erst jetzt?«

»Muß man mit seinen Bekanntschaften prahlen?«

»Er war in Kalkutta! So spricht er wohl auch etwas Englisch?«

»Er versteht und spricht es vollkommen.«

»O weh! Er hört ja jedes Wort, welches der General mit dem Rittmeister spricht.«

»Mir sehr gleichgiltig. Sie mögen die Augen auf- und den Mund zumachen, dann kommen sie nicht in solche Verlegenheiten!«

Der kleine Zug hielt vor dem Portale des Schlosses. Die Wachen, welche hier standen, warfen sich zur Erde nieder. Der General lächelte verächtlich; er glaubte, diese Ehrenbezeugung gelte ihm.

»Erlaube, daß ich Dich in das Zimmer des Rajah bringe,« meinte der Indier in der Sprache seines Landes.

»Mich und mein Gefolge.«

»Er wünscht Dich allein bei sich zu sehen.«

»Ich bin kein Paria, der allein gehen muß. Warum empfängt mich Dein Herr wie einen Teppichhändler?«

»Und wenn die Königin Deines Landes, wenn alle Könige der Erde kämen, er würde sie nicht anders empfangen. Er ist in Euren Ländern gewesen und hat sich gar nicht empfangen lassen. Komme allein zu ihm!«

»Ich komme mit meinem Gefolge oder gar nicht. Melde es ihm!«

»Er hat diesen Wunsch nur um Deinetwillen ausgesprochen. Doch, da Dein Wille nicht anders ist, so komm!«

Er führte den General und seine Begleiter durch mehrere prachtvolle Höfe nach einer breiten Granittreppe, die zu einer Säulenhalle von jener Architektonik führte, wie sie vor zwei Jahrtausenden in Indien zu finden war. Die zahlreichen Personen, denen sie begegneten, warfen sich alle schweigsam zu Boden und blieben liegen, bis sie vorüber waren.

»Hat ihnen Dein Gebieter befohlen, sich vor uns auf die Erde zu legen?«

»Das würde er ihnen nie befehlen. Sie fallen nieder aus Ehrfurcht nur für ihn.«

Der Engländer schien nicht begreifen zu können, daß diese Ehrenerweisung auch in der Abwesenheit des Fürsten vorgenommen werde. Er lächelte abermals verächtlich.

Die Säulenhalle war mit kostbaren Teppichen belegt. In ihrem Hintergrunde stand ein ganz aus Elfenbein gefertigter Thron, welcher einen liegenden Elephanten vorstellte. Zu beiden Seiten desselben standen vier Sklaven, welche aus Pfauenfedern gefertigte und mit kostbaren Perlen besetzte Wedel trugen, um dem Fürsten Kühlung zuzufächeln.

»Wie wünscht Dein Gebieter, daß wir uns stellen?«

»Stellt Euch, wie Ihr wollt, und thut ganz nach den Sitten Eures Landes!«

»Sage ihm, daß wir nicht vor ihm niederfallen werden, wie seine Sklaven.«

»Das fordert er auch gar nicht von Euch. Wie wollt Ihr mit ihm reden, in seiner oder in Eurer Sprache?«

»Spricht er denn Englisch?«

»Er spricht Englisch und auch Französisch.«

»So wird er aus Höflichkeit gegen seine Gäste Englisch mit uns sprechen.«

»Ebenso könntet Ihr aus Höflichkeit gegen ihn in seiner Sprache mit ihm reden. Doch wird er sich freuen, höflicher sein zu dürfen als Ihr. Ihr könnt beginnen!«

»Wie? Beginnen? Er ist ja noch nicht da!«

»Er ist längst schon da und wird seinen Platz jetzt einnehmen.«

Der Sprecher bestieg den Thron und ließ sich auf demselben nieder. Die Engländer waren einigermaßen überrascht oder sogar verblüfft darüber, und nur Lieutenant Alphons sah, daß die Reihe zu lächeln jetzt an ihn gekommen sei. Der General sowohl als auch der Rittmeister erkannten jetzt, weshalb der Rajah den ersteren allein hatte empfangen wollen. Er hatte jedes ihrer Worte verstanden und sie vor den Ihrigen schonen wollen.

Die gegenwärtige Audienz war nur der allgemeinen Begrüßung gewidmet und nahm nicht lange Zeit in Anspruch. Die eigentlichen Verhandlungen sollten später gepflogen werden. Schon erhob sich der General von dem Divan, auf welchem er gesessen hatte, um anzudeuten, daß er nichts mehr zu sagen habe, als ihm der Rajah winkte.

»Ich werde noch eine Frage an Dich richten. Darf ich einen Offizier begrüßen, den ich kenne und welcher bei Dir ist?«

»Ich erlaube es ihm mit Dir zu sprechen.«

»Ah! Bin ich ein Gefangener, oder ist er Dein Gefangener, daß es erst Deiner Erlaubniß bedarf, wenn Madpur Sing, der König von Augh mit ihm reden will?«

Der General sah ein, welche Beleidigung er ausgesprochen hatte.

»Du verstehst mich falsch. Den Sinn, den Du aussprichst, haben meine Worte nicht gehabt. Welcher ist es, mit dem Du sprechen willst?«

»Du sagst, ich habe Deine Worte nicht verstanden; Du sprichst also, daß ich Deine Sprache nicht verstehe. Ich werde versuchen sie besser zu lernen und bitte Dich, mir Den, welchen ich sprechen will, zum Lehrmeister zu geben. Es ist der Lieutenant Alphons Maletti.«

»Maletti!« rief der General überrascht. Und dann gebot er mit scharfer, beinahe drohender Stimme: »Treten Sie vor!«

Alphons gehorchte. Er näherte sich dem Rajah, welcher ihm freundlich die Hand reichte.

»Wir haben uns in Kalkutta gesehen; ich liebe Dich und habe Dich nicht vergessen. Du sollst in meinen Gemächern wohnen und prüfen, ob ich Eure Sprache rede oder nicht. Erlaubst Du dies?« frug er, zum General gewendet.

»Ich erlaube es!«

»So kannst Du jetzt mit Deinen Leuten gehen. Eure Wohnungen sind bereit. Meine Diener werden euch führen!«

Er stieg vom Throne, ergriff den Lieutenant bei der Hand und verschwand mit ihm hinter einem Vorhange.

Am Abende desselben Tages wurde Maletti zum General befohlen. Dieser saß bei seiner Hukah, und neben ihm stand der Rittmeister Mericourt, als Alphons eintrat. Der General gab dem Rittmeister einen Wink, worauf dieser begann:

»Herr Lieutenant, Sie kannten den Rajah?«

»Ja.«

»Wo lernten Sie ihn kennen?«

»In Kalkutta. Ich glaube, daß er dies in Ihrer Gegenwart bemerkte.«

»Wie oft verkehrten Sie mit ihm?«

»Einen Monat lang fast täglich.«

»Sie sprachen doch nicht von dieser für uns so wichtigen Bekanntschaft?«

»Madpur Sing war nach Kalkutta gekommen, um Studien zu machen. Er hielt sich deshalb inkognito, und ich mußte ihm mein Ehrenwort geben, dieses nicht zu verrathen.«

»Aber dann, als Ihnen das Ziel unserer Reise bekannt wurde, erforderte es Ihre Pflicht, den Schleier zu lüften.«

»Wie Sie es mit Ihrer Ehre halten, das ist Ihre Sache; meine Pflicht aber gebietet mir, niemals ein gegebenes Ehrenwort zu brechen.«

»Herr Lieutenant!«

»Herr Rittmeister!«

»Sie stehen vor Ihrem Vorgesetzten!«

»Allerdings, und dieser Vorgesetzte sitzt vor mir. Sie aber sind es nicht!«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ich mit dem Herrn General, nicht aber mit Ihnen zu sprechen wünsche.«

»Der Herr General haben mich beauftragt, das Gespräch zu übernehmen. Ist dies nicht so, Excellenz?«

»Yes!« antwortete der Gefragte mit einem finstern Blick auf Maletti.

»Sie hören es!«

»Ich höre es. Da aber der Herr General sicherlich nicht unter Kuratel gestellt sind und auch jeder Untergebene das Recht hat, direkt mit seinem Vorgesetzten zu verkehren, falls derselbe gegenwärtig ist, so werde ich jetzt sprechen und antworten, um nur den allgemeinen Pflichten der Höflichkeit zu genügen, nicht aber, weil ich von dienstlichen Erfordernissen dazu gezwungen bin.«

»Alle Teufel, sprechen Sie kühn! Eine solche Rede verdient der Züchtigung. Nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

Malettis Augen leuchteten auf.

»Der Züchtigung? Wie meinen Sie das? Wer wird gezüchtigt? Sagen Sie das!«

»Wer es verdient hat!«

»So bin von uns Beiden ich dies jedenfalls nicht; dieser Gedanke beruhigt mich.«

»Herr Lieutenant!«

»Herr Rittmeister!«

»Der Herr General hat Sie rufen lassen, um Sie zur Rechenschaft darüber zu ziehen, daß Sie Ihre Bekanntschaft mit dem Rajah verschwiegen haben. Sie tragen die Schuld, daß uns ein so demüthigender Empfang geworden ist!«

»Ich! Pah! Ich habe keinem Menschen geboten, eine Unterhaltung in Gegenwart eines Mannes zu führen, welcher jedes Wort hören mußte und möglichen Falles auch jedes Wort verstehen konnte.«

»Mäßigen Sie sich! Sie hatten zu melden, wer der Mann sei, der uns empfing.«

»Ich kann meine Verpflichtung zu dieser Meldung nicht ersehen und bitte, die gegenwärtige Konferenz möglichst abzukürzen. Ich wurde für die jetzige Zeit zu dem Rajah gewünscht, dem ich leider den schwierigen Beweis zu liefern habe, daß er nicht englisch sprechen kann.«

»Sie haben zuvörderst zu bedenken, daß jetzt wir es sind, bei denen Sie gebraucht werden! Nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

»Ihre Verschwiegenheit ist ein Vergehen von solcher Tragweite, daß wir noch gar nicht im Stande sind, die Strafe zu bemessen, welche mit diesem Vergehen kongruent ist. Wir befinden uns jetzt, so zu sagen, nicht im Dienste, weshalb wir Sie gegenwärtig noch nicht bestrafen können, müssen uns aber doch Ihren Degen ausbitten, Herr Lieutenant. Nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

Maletti fuhr wirklich mit der Hand nach dem Degen, nicht aber um denselben abzugeben, sondern instinktiv, wie um den Beleidiger damit zu züchtigen. Das Blut fließt dem Korsen heiß und glühend durch die Adern, und er hat eine größere Empfindlichkeit und ein unendlicheres Gedächtniß für Beleidigungen, als mancher Andere. Man sah es ihm an, daß er seinen Zorn mit aller Gewalt niederkämpfte.

»Sind Sie damit fertig, mit dem was Sie mir zu sagen hatten, Herr Rittmeister?«

»Ja.«

»So werde auch ich gleich fertig sein! Ich soll Ihnen meinen Degen abgeben, weil ich mein Ehrenwort nicht brach. Ein solches Urtheil kann nur die Ehrlosigkeit selbst fällen –«

»Lieutenant!«

»Pah, spielen wir nicht Komödie! Sie können wohl Andere in einen Zweikampf verwickeln, besitzen aber nicht den Muth sich selbst zu schlagen. Sie verlangen meinen Degen. Wohlan, Sie sollen ihn haben, doch nicht so, wie Sie ihn wünschen, sondern wie ich Ihnen denselben geben will, nämlich mit dem Griffe in das Gesicht!«

»Das ist eine Beleidigung, welche bestraft werden muß, nicht wahr, Herr General?«

»Yes.«

»Bestraft? Sie verwechseln die Begriffe. Ein Vergehen wird bestraft, eine Beleidigung aber wird geahndet, mein Herr. Ihre Feigheit allerdings brächte es zu Stande, meinen Worten den Stempel eines dienstlichen Vergehens zu ertheilen, um nur nicht in die Lage zu kommen, sich mir bewaffnet entgegenstellen zu müssen. Doch das kann Ihnen leider nicht gelingen, da Sie soeben selbst gesagt haben, daß wir uns hier nicht im Dienste befinden. Sie betragen sich nicht nur rücksichtslos, ungerecht und feig, sondern auch unklug. Der Herr General ist mit Vollmachten versehen, gewisse schwierige Verhandlungen mit dem Maharajah von Augh anzuknüpfen; der Herr General weiß, daß der Rittmeister Mericourt den Rajah heut beleidigt hat; der Herr General hat gehört, daß der Rajah zu dem Lieutenant Maletti gesagt hat »ich habe Dich lieb!« Der Herr General bestraft aber den Lieutenant wegen dieser Liebe. Der Herr General mag nachdenken, wie ein solches Verfahren genannt werden muß und welches die geeignetste Person wäre, den Rajah seinen Plänen geneigt zu machen. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und bitte mich zu verabschieden.«

»Sie sollen einstweilen gehen, müssen aber Ihren Degen zurücklassen! Nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

»Gut, meine Herren. Dieser Degen ist mein Privateigenthum, das ich nur dann von mir gebe, wenn ich es verkaufe oder verschenke. Ich bin Ihnen, Herr General, als Volontair beigegeben, und bitte, mich zu entlassen. Ich ersuche um meinen Abschied!«

»Den bekommen Sie nicht.«

»So nehme ich ihn mir.«

»Merken Sie wohl, das wird Desertion genannt; nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

»Wohlan, so lasse ich mich lieber als Deserteur erschießen, als daß ich mich für einen Wortbruch belohnen lasse. Ich erkläre, daß Ihnen meine Person in keiner Beziehung mehr zur Verfügung steht. Gute Nacht!«

Maletti ging. Das hatten die beiden Andern nicht gedacht. Der Lieutenant war trotz seiner Jugend ein kenntnißvoller, muthiger und sehr brauchbarer Offizier. War es ihm wirklich gelungen, sich die Freundschaft des Rajah zu erwerben, so stand ihm eine glänzende Karrière bevor und er konnte den Engländern ganz außerordentlich hinderlich werden. Das sagte sich auch der General, und darum meinte er:

»War dies nicht zu scharf, Rittmeister?«

»Nein. Dieser Mensch hat uns ungeheuren Schaden gemacht. Denken Sie sich, welche Avantagen wir hatten, wenn wir gewußt hätten, daß der Rajah in Kalkutta sei. Wir konnten in Güte und mit List auf ihn einwirken, wir konnten ihn andernfalls in Angelegenheiten verwickeln, welche uns das Recht gaben, ihn festzuhalten; wir konnten – soll ich wirklich Alles herzählen, was wir konnten? Ich bin überzeugt, daß ich gegen den Lieutenant vollständig gerecht gehandelt habe. Nicht wahr, Herr General?«

»Yes!«

»Aber was nun thun? Er wird den Rajah bearbeiten und ihn bestimmen, unsere Vorschläge zurückzuweisen!«

Jetzt bequemte sich der General endlich zu einer längeren Rede.

»Das ist es ja, was wir wünschen!«

»Ah! Ist es möglich?«

»Ich kenne meine Instruktionen. Das Königreich Augh wird unser.«

»Alle Teufel, also darum die heimlichen Rüstungen; darum diese hastige Konzentration des verfügbaren Militärs an die Gangesstationen, und darum diese Anhäufung von Transportmaterial am untern Flusse?«

»Yes!«

»Sie sollen verhandeln, um nachweisen zu können, daß nur der Rajah es ist, der den Krieg heraufbeschworen hat, aber Sie sollen so verhandeln, daß man ein Resultat erzielt, welches zum Kriege ermächtigt.«

»Yes!«

»Höchst interessant! Dieser Lieutenant Maletti dient also zur Förderung unserer Interessen, anstatt dieselben zu schädigen. Ich werde ihn noch ein wenig beleidigen, aber nicht in dienstlicher Weise, sondern auf meine Privatrechnung hin. Geben Sie mir die Erlaubniß dazu, Herr General?«

»Yes!«

»So bin ich im Stande, Ihnen die glückliche Lösung unserer Aufgabe zu garantiren.«

Vor Freude darüber ließ sich der wortkarge General zu einer weiteren rednerischen Anstrengung hinreißen:

»Haben Sie das im Auge, daß unsere Abreise gleich einer Kriegserklärung gilt. Der Maharajah ist auf Feindseligkeiten keineswegs vorbereitet, er kann uns keinen nennenswerthen Widerstand leisten, und wenn drei oder vier Tage nach unserem Aufbruche von hier unsere Truppen in sein Gebiet einrücken, so muß er fliehen oder untergehen. Weitere andere Wege sind nicht denkbar.«

»Wer wird den Oberbefehl über die Okkupationsarmee erhalten? Ich vermuthe, daß man Sie selbst dabei in das Auge genommen hat. Nicht, Herr General?«

»Yes!«

»Darf ich dann bitten, eine Schwadron übernehmen zu dürfen?«

»Yes!«

»Ich danke! Es soll mein Bestreben sein, mir Ruhm und Ihre Anerkennung zu erwerben.«

»Und schwere Beute!« meinte der General mit sarkastischem Lächeln. »Jetzt aber will ich zur Ruhe gehen. Gute Nacht, Rittmeister!«

»Gute Nacht, Herr General!«

Der Rittmeister ging, er trug in seinem Herzen das stolze Bewußtsein, ein Mann zu sein, der seinen höchsten Vorgesetzten zu lenken und zu regieren verstehe. Und der General suchte sein reiches üppiges Lager auf mit der Ueberzeugung, daß der Abenteurer ein sehr selbstbewußtes aber gerade deshalb brauchbares Werkzeug für ihn sei, welches man abnutzen und dann fallen lassen werde.

Hinter dem Palaste des Maharajah dehnte sich ein ungeheurer Garten, welcher mit seiner hinteren Seite an den Ganges stieß. Er war in zwei ungleiche Hälften getheilt, deren kleinere für die Frauen des königlichen Harems bestimmt war.

Kurz nach der bei dem General stattgefundenen Unterredung gingen zwei Männer in der größeren Hälfte des Gartens spazieren. Es war der Rajah und sein oberster Minister.

»Du irrst, Tamu,« meinte der erstere. »Diese Engländer kommen nicht in friedlicher Absicht. Was wollen sie in Gibraltar, auf Malta, auf dem Kap, in Amerika, China und Japan? Was wollen sie in Indien? Brauchen wir sie? Wenn wir sie brauchten, würden wir sie rufen. Aber, haben wir sie gerufen? Wo sie hinkamen, flossen Ströme von Blut. Es wird auch hier fließen.«

»Nein, es wird keines fließen. Sie kommen, um ein Bündniß mit Dir abzuschließen gegen Deine Feinde und die ihrigen.«

»Ich brauche dieses Bündniß nicht. Ich bin mächtig genug, um meine Feinde zu besiegen, wenn ich welche hätte; aber ich habe keine. Ich regiere mein Volk in Liebe, und ich bin freundlich und gerecht mit meinen Nachbarn.«

»Die Engländer werden Dir beweisen, daß Du Feinde hast.«

»Sie können es nicht beweisen.«

»Sie werden Dir sagen, was ihnen Deine Nachbarn für Vorschläge gemacht und für Rathschläge gegeben haben.«

»Das werden sie lügen.«

»Sie werden Dich überzeugen.«

»Haben Sie Dich schon überzeugt?«

»Ja.«

»Mit ihrem Golde.«

»Sahib, Du weißt, daß ich der treuste Deiner Diener bin!«

»Ich weiß, daß Du ein Mensch bist, und daß Du in Deinem Hause viel brauchst.«

»Sahib, nimm Deinen Dolch und stoße ihn mir in das Herz; ich werde unschuldig sterben.«

»Unschuldig sollst Du nicht sterben. Dieser Dolch ist nur dann für Dich, wenn Du schuldig bist, dann aber, Tamu, wird er Dich so sicher treffen, wie er hier diesen Farren trifft!«

Er durchfuhr mit seinem haarscharfen Kris die Luft und fällte mit demselben einen Baumfarren, dessen Schaft die Stärke eines Armes hatte. Dann fuhr er fort:

»Du hast mit dem General gesprochen?«

»Nicht mit ihm, sondern mit dem Franzosen.«

»Aber der General war dabei?«

»Nein. Der Franzose war allein bei mir.«

»Der General ist ein listiger Schakal. Er spricht nicht selbst, um alle Folgen auf seinen Diener zu werfen. Und dieser kennt die Gefahr nicht, die ihm droht. Warum verhandelt er nicht selbst mit Dir?«

»Du verhandelst auch nicht selbst mit ihm, Sahib. Ich spreche für Dich, und sein Diener spricht für ihn.«

»Das ist falsch, Tamu. Ich habe zu verhandeln mit der Regierung dieser Engländer. Der General spricht für diese Regierung, und Du sprichst für mich. So ist es richtig. Wenn Dir der General den Franken schickt, so beleidigt er mich. Du sollst nie wieder mit dem Franken reden. Sage das dem Generale. Ich gebiete Dir dieses ganz ausdrücklich!«

Der Minister blickte vor sich nieder.

»Sihdi, einst besaß ich Dein ganzes Vertrauen, jetzt aber besitze ich es nicht mehr!«

»Tamu, einst besaß ich Deine ganze Treue, jetzt besitze ich sie nicht mehr! Ich sage Dir dies weil ich Dich liebe. Du dientest meinem Vater und solltest auch mir dienen bis an meinen oder Deinen Tod. Wenn ich Dich nicht liebte, würde ich schweigen; ich zeige Dir aber meine Trauer um Dich, damit Du umkehrest und wieder mein Freund werdest. Gehe jetzt heim und sprich mit Deinem Gewissen. Es wird Dir den rechten Rath ertheilen!«

Der Minister verbeugte sich und ging. Eben als er in den Palast treten wollte, tauchte eine Gestalt vor ihm auf. Es war der Rittmeister.

»Nun, Du hast mit dem Rajah gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte er?«

»Er trauert.«

»Warum?«

»Weil er ahnt, daß ich Euer Freund geworden bin.«

»Und Du trauerst mit?«

»Nein. Ich habe seinem Vater treu gedient, denn er wußte meine Treue zu belohnen. Dieser aber mästet seine Unterthanen und läßt seine Minister hungern. Verdopple die Summe, welche Du mir geboten hast, und das Königreich Augh ist Euer!«

»Darüber muß man noch sprechen. Doch jetzt komm, es ist hier nicht der geeignete Ort zu solchen Geschäften. Diese Muskatbäume könnten Ohren beherbergen, die uns gefährlich sind.«

Sie verschwanden unter den Säulen.

Der Maharajah war tiefer in den Garten hineingegangen und hatte sich dann hinüber nach der für die Frauen bestimmten Abtheilung gewendet. Er erreichte einen in arabischem Stile erbauten Kiosk, welchen ein aus dem Ganges abgeleiteter kleiner Kanal von drei Seiten umfloß, um Denen, welche darin Ruhe und Erholung suchten, die Gluth der indischen Sonne durch die Verdampfung des Wassers zu kühlen. Einige Stufen führten zum Eingange empor. Er stieg hinan, bis er einen Vorhang erreichte, welcher aus den feinsten Kaschmirgespinnsten bestand. Hier schlug er leicht die Hände zusammen.

»Rabbadah!«

»Wer ist es?« frug eine weibliche Stimme von innen.

»Dein Bruder. Darf ich eintreten?«

»Komm herein, mein Lieber!«

Er schob den Vorhang zur Seite und trat ein. Er befand sich in einem kleinen, achteckigen Gemache, welches mit einem Luxus ausgestattet war, den nur ein orientalischer Fürst erdenken und bestreiten kann. Auf dem reichen schwellenden Sammetpolster ruhte ein Wesen, welches aus dem Himmel Muhammeds herniedergestiegen zu sein schien, um die süßesten und entzückendsten Begriffe und Vorstellungen der Schönheit und Liebe zu verkörpern. Auch ein Meister aller Meister unter den Malern hätte nicht vermocht, diese Schönheit auf die Leinwand zu zaubern, und kein Dichter, selbst kein Hafis hätte vermocht, dieses Götterbild gebührend zu besingen, und wäre der Rajah nicht ihr Bruder gewesen, er wäre vor ihr niedergesunken, um ihr sein Königreich für ihre Liebe anzubieten.

Sie empfing ihn mit einem holdseligen Lächeln und reichte ihm die Hand entgegen.

»Willkommen, mein Freund. Schon wieder sehe ich Wolken auf Deiner Stirn.«

»Sie werden wohl niemals wieder vergehen!«

»Hat die Hand Deiner Schwester ihre Macht verloren? Hat sie Dir nicht stets geholfen?«

»Ja. Wenn mein Herz bekümmert war, kam ich zu Dir, und Du machtest mich wieder fröhlich, fröhlicher, als es eine meiner Frauen vermocht hätte; denn Du gabst mir nicht nur Liebe, sondern auch den Rath, der mir immer der Beste war.«

»So ist mein Rath jetzt nicht mehr so gut und heilsam wie vorher, mein Bruder?«

»Er ist noch so, Rabbadah, aber die Gefahren, welche mich umschweben, sind größer als die früheren.«

»Welche sind es? Theile sie mir mit, ich werde Dir überlegen helfen!«

»Du weißt, daß die Engländer gekommen sind – – –«

»Ah, von daher droht Dir Gefahr? Sagtest Du mir nicht, daß sie als Deine Freunde kämen, um ein Bündniß mit Dir abzuschließen, welches Dir viele Vortheile bringt?«

»Ich sagte es, denn ich glaubte es nicht anders. Heute aber bin ich vom Gegentheile überzeugt.«

»Wer gab Dir diese Ueberzeugung?«

»Ein Dragoman, Dolmetscher. den ich miethen wollte, damit meine Diener mit den Engländern sprechen können.«

»Was sagte er?«

»Er erzählte mir, daß er noch vor kurzem in Lada gewohnt habe. Da ist ein Indier zu ihm gekommen und hat ihm viel Geld zu einer Unterredung mit einem Engländer gegeben. Auch dieser hat ihn außerordentlich gut bezahlt. Die Unterredung hat im Geheimen stattgefunden und sich auf eine Summe bezogen, welche mein Minister Tamu von dem englischen General Haftley erhalten soll. Wofür diese Zahlung erfolgen solle, ist nicht erwähnt worden. Sie sind nicht einig geworden. In dem Indier hat der Dragoman einen Schreiber meines Ministers und in dem Engländer heut einen Offizier erkannt, der mit dem General gekommen ist. Vorhin ging ich mit Tamu nach dem Garten und erblickte im Vorübergehen die Gestalt des Franken, welcher Rittmeister ist und Mericourt heißt. Er hat unter den Muskatbäumen auf die Rückkehr des Ministers gewartet, um unser Gespräch von ihm zu erfahren. Beide ahnen nicht, daß ich ihn gesehen habe.«

»Was haben Dir die Engländer für Vorschläge gemacht?«

»Noch kenne ich sie nicht. Ich werde sie erst morgen erfahren.«

»Durch Tamu?«

»Durch ihn.«

»Entziehe ihm die Verhandlung oder tödte ihn sofort.«

»Er hat meinem Vater treu gedient, und so will ich sein Leben schonen, so lange nicht die Beweise seiner Untreue offen liegen. Aber ich werde ihm verbieten, ferner mit den Engländern zu verhandeln. Auch ich dachte daran, was Du mir räthst, doch habe ich es ihn nicht merken lassen.«

»Wen wirst Du an seine Stelle setzen?«

»Keinen Eingeborenen.«

»Keinen Indier? Wen sonst?«

»Einen Franken.«

»Einen Franken? Bruder, das wirst Du nicht thun. Die Franken sind falsch!«

»Die Indier auch, ganz ebenso. Es gibt überall fromme und gottlose, treue und untreue, gute und böse Menschen. Dieser Franke ist treu.«

»Wer ist es? Hat er Dir bereits gedient und seine Treue bewiesen?«

»In dem Sinne, in welchem Du es meinest, noch nicht. Aber wenn ich Dir seinen Namen sage, so wirst Du glauben, daß ich ihm vertrauen kann.«

»Sage ihn!«

»Alphons Maletti.«

»O, der tapfere und starke Lieutenant, welcher Dir das Leben rettete, als Dich die Thugs Eine religiöse Mördersekte in Indien. überfielen?«

»Derselbe.«

»Wo ist er?«

»Er ist mit dem General gekommen und wohnt mit in meinen Gemächern.«

»Darf ich ihn einmal sehen?«

»Du sollst ihn sehen. Ich werde den Gästen zu Ehren ein Kampfspiel veranstalten, bei welchem auch meine Frauen in ihren vergitterten Logen anwesend sein werden. Da kannst Du ihn sehen.«

»Du wirst mir sagen, wo er sitzt!«

»Ja. Glaubst Du nun, daß mir dieser Franke treu sein wird?«

»Ich glaube es. Er hat Dein Geheimniß treu bewahrt, obgleich er großen Nutzen hätte davon haben können. Er ist nicht nur stark und tapfer, sondern auch verschwiegen, edel und uneigennützig.«

»Er hat auch später nichts erzählt, als ich bereits Kalkutta verlassen hatte. Ein Anderer hätte wenigstens damit geprahlt, daß er einem mächtigen Könige das Leben gerettet habe.«

»Sollte er wirklich auch dann noch geschwiegen haben?«

»Ja, ich habe heute den Beweis erhalten. Als ich ihn zu mir rief, um ihn auszuzeichnen, staunten alle seine Begleiter darüber, daß ich ihn kannte. Der General warf ihm, als ich sagte, daß wir uns in Kalkutta gesehen hätten, einen sehr bösen Blick zu, der mich vermuthen läßt, daß er ihn bestrafen wird.«

»Dann nimmst Du ihn in Deinen Schutz!«

»Ich schütze ihn. Vorhin wurde er zum General gerufen, wo er wohl erfahren wird, was über ihn beschlossen wurde. Er wird es mir mittheilen.«

»Wann?«

»Noch heute. Er wird in den Garten kommen.«

»Wohin hast Du ihn bestellt?«

»Nach der Bank unter den Drachenbäumen.«

»Hast Du ihm bereits gesagt, daß er in Deine Dienste treten soll?«

»Er ahnt von diesem Entschlüsse nicht das mindeste.«

»So bist Du mit Deinen Mittheilungen jetzt wohl zu Ende?«

»Du möchtest gern, daß ich mich entferne?«

»Nein, mein Bruder; aber ich möchte nicht, daß dieser Mann allzulange auf Dich wartet. Vielleicht ist der General sehr zornig gewesen und hat, ihm gedroht. Da sollst Du ihn schnell zu erheitern suchen.«

Der Maharajah lächelte.

»Meine Schwester scheint diesem Franken sehr gewogen zu sein.«

»Soll ich nicht? Muß ich nicht gern eines Mannes denken, der meinem Bruder das Leben rettete, welches mir so unendlich theuer ist?«

»Glaube nicht, daß ich Dir darüber zürnte. Wohl, ich habe Dir jetzt nichts mehr mitzutheilen. Doch morgen sollst Du mehr erfahren. Ich gehe!«

Er küßte sie auf die lilienweiße Stirn und verschwand hinter dem Vorhange. Sie wartete eine kleine Weile, dann erhob sie sich. Ihr Gewand war blau; es konnte nicht durch das nächtliche Dunkel schimmern. Sie hüllte sich in einen Shawl, der ihre ganze Gestalt bedeckte, verlöschte das Licht und verließ das Gartenhaus auch.

Ihre Schritte brachten sie nach der größeren Abtheilung des Gartens. Es war das erstemal m ihrem Leben, daß sie eines Mannes wegen eines ihrer kleinen Füßchen rührte. Ihr Herz klopfte so eigentümlich, wie es noch niemals geklopft harre, ihre Wangen brannten, und ihre Stirne glühte. Es war ihr, als ob sie im Begriffe stehe, ein schweres Verbrechen zu begehen.

Jetzt erblickte sie die dichte Gruppe der Drachenbäume, von welcher der Rajah gesprochen hatte. Leise, ganz leise schlich sie sich im Schutze der Ingwer- und Pfeffersträucher heran. Sie war vollständig überzeugt, daß man sie nicht gesehen habe und ließ sich hinter einem der Bäume so nieder, daß sie die Bank überblicken konnte. Nur der Rajah war da. Der Franke fehlte noch.

Eine Weile verging in lautloser Stille, dann aber machte der Rajah eine plötzliche Bewegung.

»Rabbadah!«

Sie erschrak und zuckte zusammen, als ob sie einen Schlag erhalten habe.

»Rabbadah, bist Du da?«

Sie schwieg und wagte nicht sich zu bewegen. Ihr Puls klopfte, daß sie seine Hammerschläge deutlich vernahm. Der Rajah ließ ein leises Lachen hören. Ohne daß er sich umwandte, sagte er mit halblauter Stimme:

»Warum frugst Du, wohin ich ihn bestellt habe, und warum wolltest Du so gern, daß er nicht auf mich warten solle. Nun muß ich selbst auf ihn warten.«

Sie war halb todt. Wie konnte sie den Bruder jemals wieder anblicken!

Da nahten sich Schritte. Eine hohe Gestalt erschien und blieb vor dem Rajah stehen.

»Maletti!«

»Sahib!«

»Du kommst sehr spät. Setze Dich!«

»Ich komme sehr spät, weil ich zwei Schlangen beobachtete, welche ihr Gift nach Deinem Glücke spritzen wollen.«

»Wer ist es?«

»Wirst Du mir glauben?«

»Ich glaube Dir.«

»Und wirst Du mich nicht für einen Schleicher, für einen Spionen halten, der Andere ertappt, weil er selbst das Dunkel liebt?«

»Ich selbst habe Dich in das Dunkel bestellt.«

»Nun wohl, so sollst Du es erfahren. Die eine der Schlangen ist Tamu, Dein Minister, dessen Worte ich gehört habe.«

»Ich weiß, es:«

»Ah, Du weißt es bereits?«

»Ich kenne auch die andere Schlange. Es ist der Rittmeister Mericourt.«

»Wahrhaftig!«

»Aber ihre Worte kenne ich nicht. Willst Du sie mir sagen?«

»Ich kam vom General und wollte in den Garten zu Dir. Meine Schritte waren auf den Decken zwischen den Säulen unhörbar. Eben wollte ich meinen Fuß hinter der letzten Säule hervorsetzen, als ich einen Mann sah, welcher aus dem Garten kam. Es war der Minister. Aus den Muskatbäumen vor der Säule tauchte eine Gestalt auf, in welcher ich den Rittmeister Mericourt erkannte. »Nun, hast Du mit dem Rajah gesprochen?« frug der Rittmeister. – »Ja,« antwortete der Minister: – »Was sagte er?« lautete die weitere Frage. – »Er trauert.« – »Warum?« – »Weil er ahnt, daß ich Euer Freund geworden bin.« – »Und Du trauerst mit?« – Da antwortete Tamu: »Nein. Ich habe seinem Vater treu gedient, denn er wußte meine Treue zu belohnen, dieser aber mästet seine Unterthanen und läßt seine Minister hungern. Verdoppele die Summe, welche Du mir geboten hast, und das Königreich Augh ist Euer.«

Der Rajah war aufgesprungen und ballte die Fäuste.

»Und was gab darauf der Rittmeister zur Antwort?«

»Er sagte, daß man darüber noch, zu sprechen habe. Dann traten sie in den Palast. Ich ließ sie an mir vorüber und folgte ihnen dann, ohne daß sie mich bemerkten. Sie gingen durch den Palast hindurch und dann durch den Garten des Ministers nach dessen Wohnung. Ich blieb eine Zeit lang stehen, aber der Rittmeister kam noch immer nicht, und da ich wußte, daß Du auf mich wartest, durfte ich Deine Geduld nicht länger ermüden.«

»Der Rittmeister ist ein Franke wie sein Name sagt?«

»Ja.«

»Und dennoch stellst Du Dich auf meine Seite anstatt auf die seinige?«

»Dich liebe ich, ihn aber verachte ich. Er ist wie das Gewürm, welches man zertritt ohne es anzugreifen. Uns hat ein gleiches Land geboren ebenso, wie der Giftstrauch neben dem nützlichen Bambus wächst. Mir ahnt, daß er einst von meiner Hand sterben wird.«

»Er muß Dich sehr beleidigt haben.«

»Ich würde ihn verachten auch ohne diese Beleidigung. Er hat einst ein edles Weib gekränkt, die meine mütterliche Freundin war. Ich habe sie an ihm zu rächen.«

»Vielleicht will er auch Dich verderben.«

»Das hat er längst gewollt. Heute aber hat er mir den offenen Fehdehandschuh hingeworfen; ich habe ihn aufgehoben und werde diesen Menschen unschädlich machen.«

»Er war wohl beim Generale zugegen, als Du zu diesem gerufen wurdest?«

»Ja. Er empfing mich an Stelle des Generales.«

»Was wollte er von Dir?«

»Er forderte Rechenschaft von mir, daß ich Deine Anwesenheit in Kalkutta nicht verrathen hatte. Er stellte mich ferner zur Rede darüber, daß ich auch heut nicht gesagt harre, daß Du es seist, der den General empfing. Er erklärte mich meiner Freiheit verlustig, indem er mir den Degen abforderte, und versprach mir nach unserer Rückkehr strenge Bestrafung meiner verbrecherischen Verschwiegenheit.«

»Du hattest wirklich zu keinem Menschen jemals von mir gesprochen?«

»Wie sollte ich?« frug er einfach. »Ich hatte Dir ja mein Wort gegeben! Und dieses breche ich niemals, selbst wenn es mich mehr als Alles kosten sollte. Das thut jeder Ehrenmann.«

»Aber Du trägst Deinen Degen noch, wie ich bemerke. Du gabst ihn also nicht ab?«

»Meinen Degen gebe ich nur mit meinem Leben von mir.«

»Aber Dein Vorgesetzter verlangte ihn von Dir! Was hast Du ihm geantwortet?«

»Ich sagte ihm, daß er den Degen bekommen solle, jedoch nur mit dem Griffe in das Gesicht. Statt aber sofort blank zu ziehen, wie jeder wackere Mann gethan hätte, ignorirte er meine Worte. Er ist ein Feigling, der nur im Dunkeln handelt.«

»Und welches war das Endresultat Eurer Unterhaltung?«

»Ich habe um meinen Abschied gebeten.«

»Und ihn auch erhalten!«

»Nein; sie verweigerten mir ihn. Da erklärte ich kategorisch, daß ich ihn mir selbst geben werde, wenn ich ihn nicht erhalte.«

»Dann wärest Du in ihren Augen und nach Euren Gebräuchen ein Deserteur.«

»Pah, ich fürchte diese Gebräuche nicht! Sie sagten mir dies ebenso wie Du; ich aber erklärte, daß ich lieber als Deserteur sterben, als mich wegen eines Wortbruches belohnen lassen werde. Die beiden Memmen verwehrten es mir nicht, sie ungehindert zu verlassen.«

»Und nun, was wirst Du beginnen?«

»Ich werde Beide fordern, erst den Rittmeister und dann den General.«

»Du kannst fallen!«

»Das ist möglich aber nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlicher noch ist es, daß ich sie beide niederschlage. Sie sind Offiziere und können mir die Genugthuung nicht verweigern.«

»Und dann, selbst wenn Du sie besiegt hast, was thust Du dann?«

»Ich würde, wenn man mich ergreift, als Deserteur behandelt werden, aber ich glaube nicht, daß es ihnen gelingt. Ich gehe nach Batavia in holländische Dienste.«

»Warum willst Du nicht in Indien bleiben?«

»Wo fände ich einen Fürsten, der mir eine Zukunft böte!«

»Hier in Augh.«

»Hier? Inwiefern?«

»Du bleibst bei mir.«

»Bei Dir? Ich würde Dir nur Schaden bringen.«

»Nein. Deine Anwesenheit würde mir von großem Nutzen sein.«

»Auf welche Weise?«

»Was ist Deine Waffe?«

»Meine Lieblingswaffe ist die Artillerie.«

»Das ist mir lieb. Du wirst in meine Dienste treten, mir Kanonen versorgen und meine Artillerie nach abendländischer Weise organisiren. Willst Du?«

»Ist es Dein Ernst?«

»Ja. Du sollst mein Kriegsminister, Du sollst mein Bruder sein. Sage ja!«

»Wohlan, so nimm mich hin, und ich schwöre Dir, daß Dir von diesem Augenblicke an mein Blut, mein Leben und alle meine Kräfte gehören werden, denn ich weiß, daß Du nicht zu jenen Tyrannen gehörst, welche um einer Laune willen ihre treuesten Diener von sich werfen oder sie noch schlimmer als mit bloßem Undanke belohnen.«

»Ich werde Deine Kräfte schon morgen gleich in Anspruch nehmen.«

»Thue es. Ich werde gehorchen!«

»Ich werde Tamu, meinen Minister entfernen. Du sollst an seiner Stelle für mich mit den Engländern unterhandeln.«

»Sahib, das wirst Du mir nicht gebieten!«

»Warum nicht? Willst Du mein Vertrauen dadurch verdienen, daß Du mir gleich bei dem ersten Auftrage den Gehorsam verweigerst?«

»Ja. Schau, Sahib, für einen kleinlichen ehrsüchtigen Charakter würde es die größte Genugthuung sein, wenn er morgen vor den General hintreten und sagen könnte: »Ihr habt mich gestern zum Verbrecher gemacht und mir meinen Degen abgefordert, und heute bin ich Kriegsminister des Maharajah von Augh und stehe als sein Bevollmächtigter vor Euch um Euch die Bedingungen vorzuschreiben, unter denen er bereit ist, Eure Vorschläge anzuhören!«

»Diese Genugthuung will ich Dir ja geben.«

»Aber sie würde Dein Verderben sein. Man würde sagen, daß man mit einem ehrlosen Ueberläufer nicht verhandeln könne; man würde Dein Verfahren für eine Majestätsbeleidigung, für eine gräßliche Verletzung des Völkerrechtes erklären; man würde sich; von Dir zurückziehen und diese Beleidigung durch eine sofortige Kriegserklärung rächen. Du siehst, daß ich nur an Dich, an Dein Wohl und an dasjenige Deines Landes denke!«

»Ich sehe es und danke Dir. Ich werde die Verhandlung einem Andern übergeben, aber sie soll in meiner Wohnung geführt werden, wo wir Beide jedes Wort hören können, und Dein Rath soll ebenso gehört und berücksichtigt werden wie der meinige. Hast Du vielleicht erfahren, welche Vorschläge mir die Engländer zu machen haben?«

»Nein. Nur der General kennt sie und vielleicht der Rittmeister, wenn der erstere ihm Einiges davon mitgetheilt haben sollte.«

»Er wird ihm Alles gesagt haben, denn der Rittmeister ist seine rechte Hand.«

»Du irrst. Der Rittmeister gilt weniger bei ihm als jeder andere seiner Untergebenen. Der General weiß, daß Mericourt ein Abenteurer und ein hinterlistiger Feigling ist. Er thut, als ob er sich von ihm lenken lasse, und benutzt ihn doch nur wie das Wasser, welches das Rad zu treiben hat und dann weiter fließen muß.«

Der Rajah hatte sich während dieser Worte seines neuen Kriegsministers erhoben.

»So thun es die Engländer,« meinte er. »Sie werfen ihre Werkzeuge undankbar von sich, wenn sie dieselben ausgenutzt haben. Und ganz dieselbe Undankbarkeit zeigen sie auch gegen uns. Dieser Lord Haftley kommt zu mir und sagt, daß er das Wohl meines Landes im Auge habe, aber er trägt die Falschheit und den Verrath in seiner Hand. Er will den Inglis mein Land öffnen, und dann, wenn ich ihnen dies gestattet habe, werden sie es mir nehmen.«

»Was wirst Du ihm antworten?«

»Ich kenne die Engländer. Sie haben sehr Vieles, was wir gebrauchen können, und wir haben gar Manches, was ihnen unentbehrlich ist. Ein Handel mit ihnen wird beiden Theilen Nutzen bringen, und ich habe also nichts dagegen, daß sie zu mir und auch meine Unterthanen zu ihnen kommen, um ihre Waaren auszutauschen. Aber ich werde meine Bedingungen so stellen, daß mir kein Schaden daraus erwachsen kann.«

»Welches sind diese Bedingungen, Sahib?«

»Darf bei Euch ein Staat ohne Erlaubniß der andern Nationen ein Land erwerben?«

»Nein. Er muß sich erst im Stillen und dann auch öffentlich ihrer Zustimmung versichern.«

»Nun gut. Ich werde den Engländern mein Land öffnen, wenn sie mir nachweisen, daß die Frankhi, die Italini, die Nemßi, Deutschen. die Russi, die Spani und Portugi ihnen die Erlaubniß geben. Und diese Nationen müssen mir versprechen mich zu vertheidigen, wenn die Ingli mir mein Land nehmen wollen.«

»Auf diese Bedingungen werden die Engländer nicht eingehen.«

»So mögen sie von Augh fortbleiben und wieder dahin zurückkehren, woher sie gekommen sind!«

»Sie werden gehen, aber dann wiederkommen, doch nicht so wie jetzt, sondern mit ihrer bewaffneten Macht, um Dich zu zwingen.«

»Dann werde ich kämpfen. Ich habe Dich ja zu meinem Bruder gemacht, damit Du mir helfen sollst sie gerüstet zu empfangen. Doch jetzt laß uns die Ruhe suchen! Morgen ist ein Tag, welcher uns wach und kräftig sehen muß. Die Inglis sind ein mächtiges Volk; ich muß ihre Gesandten würdig behandeln und werde ihnen morgen ein Schauspiel geben.«

»Welches?«

»Einen Kampf zwischen Elephanten, Bär und Panther. Hast Du so etwas bereits einmal gesehen?«

Der Lieutenant lächelte und antwortete einfach:

»Ich bin ein Jäger.«

»So wird dieses Schauspiel Deine Aufmerksamkeit erwecken. Ich habe einen wilden Bär vom Himalaja, der größer ist als alle, die ich bisher gesehen habe. Und den Panther erhielt ich vom Maharajah von Singha zum Geschenke. Er ist dem Bären gewachsen. Doch jetzt komm.«

Sie verließen den Ort und schritten dem Palaste zu.

Kaum waren sie fort, so erhob sich Rabbadah aus ihrem Verstecke und trat zu dem Sitze; den sie verlassen hatten. Warum ließ sie sich gerade an der Stelle nieder, auf welcher Maletti gesessen hatte? Sie legte sich diese Frage gar nicht vor; sie hätte dieselbe gar nicht beantworten können. Sie folgte der plötzlichen Regung ihres Innern und handelte nicht anders als rein instinktiv.

Ueber ihr breitete sich der tief dunkle Himmel des Südens mit seinen strahlenden Sternbildern aus. Wollte auch in dem Himmel ihres Herzens ein Stern aufgehen, strahlender noch vielleicht als all die glänzenden Welten am Firmamente? Um sie her träumte und duftete die tropisch üppige Natur, und die reiche Vegetation wiegte sich leise im Zephyre, der durch die Wipfel der Palmen strich. Auch im Herzen dieses herrlichen Weibes wollte es aufsteigen wie Träume und Düfte eines nahen Glückes, von dem sie bisher keine Ahnung gehabt hatte.

Da vernahm sie plötzlich nahende Schritte, und noch ehe sie sich erheben und entfernen konnte, stand eine männliche Gestalt vor ihr.

Es war Maletti.

Er hatte seine Wohnung, wieder verlassen, weil er das Bedürfniß fühlte, die Ereignisse des heutigen Tages in seinem Innern zu verarbeiten, bevor es ihm möglich war, Schlaf und Ruhe zu finden. Es zog ihn nach dem Platze, an welchem sein Leben eine höchst bedeutungsvolle Wendung dadurch genommen hatte, daß er vom Rajah in einen so wichtigen Dienst genommen worden war. Mit gesenktem Kopfe und in tiefes Sinnen versunken war er durch den Garten gegangen, erst als er an dem vorhin verlassenen Platze anlangte, erhob er den Blick und gewahrte zu seiner Bestürzung, daß er sich vor einer weiblichen Gestalt befand, welche sich erschrocken von ihrem Sitze erhob.

Er kannte die strenge Sitte des Landes; er wußte vor allem, daß es hier im Palaste und Garten des Rajah bei hoher Strafe verboten war, die Begegnung mit irgend einem Weibe aufzusuchen, aber er befand sich ja in demjenigen Theile des Gartens, welcher von den Männern betreten werden durfte, und das gab ihm die Kraft, seiner Bestürzung Herr zu werden.

Auch sie war erschrocken; ihre ganze Haltung zeigte es, doch sie erkannte ihn, hüllte sich fester in ihr Gewand, machte aber keine Bewegung, welche die Absicht sich zu entfernen verrathen hätte.

»Verzeihe!« bat er nach einer kurzen Pause. »Ich dachte nicht, Jemand hier zu finden.«

Er wandte sich zur Rückkehr um.

»Bleibe!« gebot sie.

Der Ton dieser Stimme hatte etwas so Gebieterisches und doch so Liebliches, er drang durch das Ohr des Hörers bis in das tiefste Leben desselben hinab. Malern gehorchte und drehte sich wieder um.

»Was befiehlst Du?« frag er.

»Setze Dich!«

Er ließ sich nieder und sie nahm in einer kleinen Entfernung neben ihm Platz.

»Wie ist Dein Name?« begann sie.

»Alphons Maletti.«

»Du gehörst zu den Inglis?«

»Ich bin ein Frankhi, ich gehörte bis heut zu ihnen, jetzt aber nicht mehr.«

»Warum nicht mehr?«

Er zögerte mit der Antwort.

»Wer bist Du?« erkundigte er sich dann

»Mein Name ist Rabbadah. Hast Du noch nicht von mir gehört?«

Er machte eine Geste der höchsten Ueberraschung.

»Rabbadah, die Begum, Königin oder Prinzessin. die Schwester des Maharajah, die Blume von Augh, die Königin der Schönheiten Indiens? O, ich habe von Deinem Ruhme, von Deiner Herrlichkeit und von der Güte Deines Herzens, der Weisheit Deines Verstandes viel, sehr viel gehört, noch ehe ich dieses Land betrat.«

Sie zauderte einen Augenblick, dann sagte sie:

»Ja, ich bin die Begum, und Du kannst mir also sagen, warum Du nicht mehr zu den Inglis gehörst.«

»Weil ich ein Diener Deines Bruders, des Maharajah von Augh, geworden bin.«

»Auf welche Weise dienst Du ihm?«

»Er hat mir die Reorganisation seiner Truppen übergeben.«

»So muß er ein großes Vertrauen zu Dir haben.«

»Ich liebe ihn!«

»Ich danke Dir, denn auch ich liebe ihn. Aber laß Deine Liebe nicht sein wie diese Blume, welche nur kurze Zeit duftet und dann stirbt!«

Sie pflückte eine nahestehende Rose ab und enthüllte dabei einen Arm, dessen herrliche Formen ihm die Pulse schneller klopfen machten.

»Meine Liebe und Treue gleicht nicht der Blume, welche bald stirbt, sondern dem Eisenholzbaume, der sich von keinem Winter fällen läßt.«

»Dann segne ich den Tag, welcher Dich zu meinem Bruder führte.«

Sie reichte ihm die Rose dar; er nahm sie und berührte dabei ihr kleines, zartes, warmes Händchen. Diese Berührung elektrisirte ihn förmlich, so daß. er es wagte, die duftende Blüthe an seine Lippen zu drücken.

»Ich danke Dir, Sahiba! Herrin. Diese Rose wird noch bei mir sein, wenn ich einst sterbe!«

»Du wirst dieser Rosen schon sehr viele erhalten haben!«

»Es ist die erste!«

»Du sagst die Wahrheit?«

»Ich lüge nie.«

»Das weiß ich. Du bist keiner Lüge und keines Verrathes fähig.«

Er erstaunte.

»Woher weißt Du das?«

»Hast Du meinen Bruder verrathen?«

»Nein. Aber was weißt Du von mir und ihm?«

»Ich kannte Dich und Deinen Namen noch ehe Du nach Augh kamst. Er hat mir von Dir erzählt. Ich bin seine Vertraute, der er Alles mittheilt, was sein Herz bewegt. Du sollst seine Sorgen theilen. Darf ich auch Deine Vertraute sein?«

Bei dieser leise und zögernd ausgesprochenen Frage erbebte er bis in sein tiefstes Innere hinein.

»O wenn dies möglich wäre, Sahiba!«

»Es ist möglich, und ich bitte Dich darum,« antwortete sie. »Es gibt manches, was ein Diener aus Liebe seinem Herrn verschweigt, um ihm keine Sorgen zu machen, und dies Alles sollst Du mir anvertrauen. Willst Du?«

»Ich will es.«

»Schwöre es mir.«

»Ich schwöre es!«

»Doch darfst Du mir von jetzt an nichts verschweigen, bis ich Dich von Deinem Schwure entbinden werde.«

Sie reichte ihm ihre Hand entgegen; er nahm dieselbe in die seinige, und es war ihm dabei als ob sein Herz von einem Strom durchdrungen werde, der aus der Seligkeit der Götter herabgefluthet sei. Er vergaß, diese Hand wieder freizugeben, und sie vergaß, sie wieder an sich zu ziehen. In jenen tropischen Ländern tritt jedes Naturereigniß mit größerer Schnelligkeit ein als bei uns, der Sturm kommt unvorhergesehen; das Wetter umzieht ohne alle Vorbereitung den Horizont, die Sonne durchbricht die finstern Wolken ohne sich erst anzumelden; Tag und Nacht scheiden ohne Dämmerung, und auch die Gefühle des Menschen erobern sein Leben, Denken und Handeln ohne erst den kühlen berechnenden Verstand um die Erlaubniß zu befragen.

»Du sollst mich nie, niemals von diesem Schwure entbinden, Sahiba,« flüsterte er mit erregter zitternder Stimme. »Ich will Dir dienen und gehorchen, bis Gott mein Leben von mir fordert. Aber es ist hier verboten mit Frauen zu verkehren.«

»Ich bin die Begum, und ich darf gebieten. Die Gesetze werden von den Königen gemacht, und die Könige haben also auch das Recht, die Gesetze wieder aufzuheben oder zu verändern. Und wer soll es denn erfahren, das wir mit einander sprechen? Mein Bruder, der Rajah, nicht, und ein anderer noch viel weniger.«

»Und wo können wir sprechen, ohne daß es Jemand erfährt?«

»Komm; ich werde Dir es zeigen!«

Sie hielten sich noch immer bei der Hand und erhoben sich. Sie führte ihn vorsichtig nach der Frauenabtheilung des Gartens und dem Kiosk, in welchem sie vorher ihren Bruder empfangen hatte.

»Verstehst Du den Laut nachzuahmen, welchen der Bülbül Nachtigall. ausstößt, wenn er träumt?«

»Ich verstehe es.«

»Versuche es.«

Er legte die beiden Hände an den Mund und ahmte die abgerissenen Traumtöne der Nachtigall nach.

»Du kannst es,« meinte sie. »Wenn Du mit mir sprechen willst, so komme hierher, ohne Dich von Jemanden erblicken zu lassen und stoße diese Laute aus. Es wird stets vom Einbrüche des Abends an eine treue Sklavin auf Dich warten, bis ich selbst erscheine. Sie führt Dich in das Innere des Häuschens und wird Dich dort bis zu meiner Ankunft verbergen. Bin ich selbst da, so hörst Du von mir das Girren einer Turteltaube und kannst sogleich eintreten. Hörst Du aber dieses Zeichen nicht und komme ich auch nicht, so ist das ein Zeichen, daß mein Bruder bei mir ist. Dann mußt Du Dich verbergen bis er geht.«

Diese Auseinandersetzung erfüllte ihn mit einem unnennbaren Glücke. Die Hülle hatte sich von ihrem Gesichte verschoben; er fühlte sich von der unbeschreiblichen Schönheit desselben bezaubert und hätte in diesem Augenblicke tausend Leben für dieses herrliche unvergleichliche Wesen lassen können.

»Ich werde kommen, Sahiba!«

Das war alles, was er zu sagen vermochte.

»Und Du wirst mir nie etwas verheimlichen?«

»Nie.«

»Nichts von Eurer Politik und Euren Kriegsgeschäften und auch nichts von – – von – –«

Sie stockte. Er sah, daß ihr Auge sich größer auf ihn richtete, und glaubte trotz des unzureichenden Sternenlichtes eine Rothe zu bemerken, welche ihre Wangen färbte. Er frug:

»Von was noch?«

»Von – von Dir selbst?«

»Auch nichts von mir selbst!« gelobte er.

Er hätte noch viel mehr, er hätte Alles versprechen können, was sie von ihm forderte.

»Ich glaube Dir. Jetzt gehe. Leïlkum saaide!« Gesegnete Nacht.

»Leïlkum saaide!« antwortete er.

Er ergriff nochmals ihr Händchen und zog es an seine Lippen. Sie fühlte das Beben seiner Hand und die Gluth seines Mundes, seines Athems.

»Sei treu nur meinem Bruder und mir; keinem Andern und auch – keiner Andern!«

Diese Worte flüsterte sie noch in bittendem Tone, dann wandte sie sich dem Kiosk zu.

Er begab sich nach dem Palaste und den Gemächern zurück, welche ihm angewiesen worden waren. Er befand sich wie in tiefem Traume, konnte aber doch keine Ruhe finden, bis endlich erst mit dem Anbruch des Tages der Schlaf sich über ihn neigte und die Gestalten versehen ehre, welche die geschäftige und gefällige Phantasie herbeigezaubert und mit den glühendsten Farben ausgestattet hatte, mit Farben, die nur der Süden kennt und die nur ein südliches Auge zu ertragen vermag.

Während er schlief herrschte auf dem weiten Hofe des Palastes ein reges nächtliches Leben. Man war beschäftigt, Bauten zu errichten, welche sich rings an der Mauer herumzogen und deren Beschaffenheit man bei dem unzulänglichen Fackellichte nur schwer zu erkennen vermochte. Erst als der Morgen graute und die Fackeln ausgelöscht wurden, erkannte man eine kreisrunde Arena, um welche breite Zuschauerräume errichtet waren.

Gerade über dem Hofeingange erhob sich eine Loge, welche allem Anscheine nach für den König von Augh bestimmt war. Ihr gegenüber, so daß man von dem Palaste aus Zutritt zu ihr nehmen konnte, war eine zweite zu erblicken, deren hölzernes Gitterwerk vermuthen ließ, daß sie die Damen des Maharajah aufnehmen werde. Dann war noch hüben und drüben zu beiden Seiten des Hofes je eine Loge angebracht, jedenfalls die eine für die Engländer und die andere für die Großen des Reiches Augh.

Seitwärts befand sich ein doppelter, aus starken Eisenholzbohlen gefertigter Käfig, dessen Seiten so mit Matten verhängt waren, daß man die Insassen desselben nicht wahrnehmen konnte. Es befand sich wohl der Panther nebst dem Bär aus dem Himalaya darin.

Maletti hatte nicht lange geschlafen. Jede große Seelenerregung läßt spät zur Ruhe kommen und weckt früh wieder auf: Da der Morgen noch nicht heiß war, beschloß er, zumal seine Zeit jetzt noch nicht von Geschäften in Anspruch genommen war, einen Spaziergang in die Umgebung der Stadt zu machen.

Er kannte bereits denjenigen Theil dieser Umgebung, welcher an den Fluß stieß, und wandte sich daher der andern Seite zu.

Nachdem er die Grenze der Stadt überschritten hatte, gelangte er zwischen ausgedehnten Reis-, Maniok- und Pisangpflanzungen in einen Palmenwald, welcher nach einiger Zeit in einen dichten Teakforst überging. Aus Scheu vor den wilden Thieren, denen er beinahe unbewaffnet gegenübergestanden wäre, war er eben zur Umkehr bereit, als es neben ihm in den Büschen raschelte. Er zog seinen Handjar, kam aber nicht zum Streiche, denn noch ehe er irgend ein menschliches Wesen erblickt hatte, sauste ihm ein lederner Riemen um den Leib, zog ihm die Arme zusammen, und dann wurde er in fürchterlicher Eile durch die Büsche gerissen, so daß er die Besinnung verlor.

Als er erwachte, befand er sich auf einer engen Lichtung, welche rings von dichten baumhohen Farren umgeben war. Er lag noch immer gebunden am Boden, und um ihn herum hockten einige zwanzig wilde Gestalten, deren verwegenes Aussehen ihn nichts Gutes vermuthen ließ. Sie waren bis unter die Zähne bewaffnet, trugen lange, gekrümmte, absonderlich gestaltete Messer im Gürtel und lauschten auf die Worte eines Mannes, welcher auf einem Steine einen etwas erhöhten Standpunkt genommen hatte und in fürchterlicher Begeisterung zu den Andern redete.

Alphons schauderte. Das ganze Aeußere und besonders die Schlingen, welche sie trugen, belehrten ihn, daß er einer Bande jener berüchtigten Thugs in die Hände gefallen sei, bei denen der Mord zur Religion geworden ist, und welche dieser Religion mit der entsetzlichsten Energie huldigen.

Diese Thugs sind durch ganz Indien verbreitet, zu ihnen gehört nicht etwa der Auswurf der Bevölkerung, nein, sondern sie rekrutiren sich aus allen Kasten und Ständen, von dem verachteten Paria bis hinauf zum weiß gekleideten Priester und Brahmanen, oder gar dem Scepter tragenden Fürsten.

Der Thug ist der fürchterlichste Mensch, den es auf Erden gibt. Er überfällt Dich in der Einsamkeit des Waldes oder der Dschungel, er mordet Dich mitten in der Stadt, mitten in einer Versammlung, welche ihm ein Entkommen zur Unmöglichkeit macht. Du trittst aus dem Schiffe an das Land, und sein Dolch fährt Dir in das Herz; er begleitet Dich als treuer sorgsamer Diener Jahre lang durch Indien, und in der letzten Nacht vor Deiner Abreise stößt er Dir das Messer in die Kehle. Vor ihm ist keiner sicher, weder der In- noch der Ausländer, obgleich er es allerdings zumeist auf den letzteren abgesehen hat, Keiner der zu dieser furchtbaren Sekte Gehörigen verräth den Andern; selbst die größte Marter vermag nicht, ihm ein einziges Wörtchen oder auch nur die kleinste Mittheilung über seine infamen höllischen Satzungen zu entlocken, und nur so viel ist gewiß, daß es in diesem weit verbreiteten Henkerbunde verschiedene Grade und Stufen gibt, welche von den Angehörigen nach und nach erstiegen werden. Die Angehörigen des einen Grades morden nur mit der Schlinge, die Andern mit Gift, die Dritten mit dem Ersäufen, die Vierten mit dem Verbrennen, die Fünften mit der Keule und die Uebrigen mit andern Instrumenten oder Todesarten.

Der fürchterlichste Angehörige der Thugs aber ist der Phansegar, dessen Mordwaffe in einem haarscharfen, sichelförmig gebogenen Messer besteht, welches so giftig schneidend und dabei so schwer ist, daß es nur einer geringen Bewegung der geübten Hand bedarf, um ein Menschenhaupt in einem einzigen Augenblicke vom Rumpfe zu trennen. Einem solchen Phansegar entgeht sicher kein Opfer, welches er sich einmal ausgelesen hat, und so kann man sich den tödtlichen Schreck Maletti's denken, als er an den furchtbaren Messern erkannte, in welche Hände er gefallen war.

Der Sprecher war ein alter, vielleicht bereits siebenzigjähriger Mann, dessen Gestikulationen bei seiner Rede aber trotz dieses Alters von einer solchen Energie und Wildheit waren, daß sein kaftanartiges Gewand seinen hagern braunen Körper immer wie eine vom Winde gepeitschte Wolke umflatterte.

Maletti vernahm ganz deutlich jedes Wort, welches er sprach. Dieser Mensch hatte sicher nicht die mindeste Bildung genossen, aber seine Improvisation, durch welche er die Gefährten zu begeistern versuchte, zeigten eine Art diabolischer Poesie, welche ebenso staunenswerth wie beängstigend war.

Nach einem ihm laut zugebrüllten Beifallssturme begann er die Fortsetzung seiner Rede, welche zu deutsch ungefähr gelautet hätte:

»Da draußen, in dem finstern, wirren
Gedschungel, wo der Panther schleicht,
Der Schlangen gift'ge Zungen schwirren,
Der Suacrong nach Beute streicht, Liegt Bhowannie, Bhowannie ist die Göttin der Nacht und des Todes. die Allmachtsreiche,
Versunken, unterm Wunderbaum;
Ihr Angesicht, das nächtlich bleiche,
Umspielt des Glückes goldner Traum.
Sie träumt von Lambadans Gefilden,
Wo einst ihr heil'ger Tempel stand,
Eh' noch ihr Volk den ungestillten
Geheimen Wandertrieb gekannt.
Wo sie beim Schein der Hekatomben
Ihr großes Reich sich aufgebaut,
Bis auf verfall'ne Katakomben
Ihr letztgebornes Kind geschaut,
Da sind die Säulen eingefallen,
An denen sich die Wolke brach,
Versunken die geweihten Hallen
In denen sie zum Volke sprach.
Als sie zum letzten Mal die Stimme
Erhob am blutgetränkten Thron,
Warf sie im ungeahnten Grimme
Der Knechtschaft Fluch auf ihren Sohn – –«

Mehr bekam Maletti jetzt nicht zu hören. Der ihm zunächst sitzende Indier hatte bemerkt, daß ihm das Bewußtsein zurückgekehrt sei, und band ihm ein altes zerfetztes Tuch um die Ohren, so daß das Blut in denselben zu summen begann und ein Hören zur Unmöglichkeit wurde.

Doch konnte der Gefangene genug sehen, um mit der größten Sorge für sein Leben erfüllt zu werden, denn es wurden während der Fortdauer der Rede die Messer auf ihn gezückt, und eine Menge der scheußlichsten Geberden sagten ihm diejenigen Glieder seines Leibes, welche man der Reihe nach abschneiden werde.

Da gab das alte Tuch nach, und es wurde ihm möglich, den Schluß der Rede zu verstehen:

»Nahm sie im Westen scheinbar nieder
Am Abend ihren Tageslauf,
So steigt sie doch im Osten wieder
Am Morgen sieggekrönt herauf.
Im Westen ist Dein Volk gesunken,
Fern von der Lambadana Höhn,
Im Osten wird es siegestrunken
Aus seiner Asche auferstehn.
Dann muß die Nacht zum Tage werden,
Die Finsterniß zum Sonnenschein,
Und der Phansegar wird auf Erden
Ein Herrscher aller Herren sein!«

Der Sprecher sprang von dem Steine herab. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und während er sich in rasender Eile auf einem Fuße im Kreise drehte, erhoben sich die Andern, machten ihm die gleiche Bewegung nach und schwangen dabei ihre Messer, bis sie vor Ermüdung zu Boden stürzten.

Dann folgte eine Pause des Verschnaufens, nach welcher der Sprecher, der jedenfalls der Anführer der Bande war, zu dem Gefangenen trat und ihm die Binde von den Ohren nahm.

»Du bist ein Fremder?«

»Ja,« antwortete Alphons.

»Aus welchem Lande?«

»Aus Frankhistan.«

»Nein, Du lügst. Du bist mit den Inglis gekommen?«.

»Ja.«

»So bist Du also aus Inglistan!«

»Nein, ich bin aus Frankhistan, obgleich ich mit den Inglis gekommen bin.«

»Aber Du hast zu den Inglis gehört.«

»Ja. Aber ich gehöre jetzt nicht mehr zu ihnen.«

»Du lügest wieder! Du trägst ja ihre Kleidung und Uniform.«

»Ich bin erst gestern Abend in den Dienst des Maharajah von Augh getreten und hatte keine Zeit, mir bereits jetzt andere Kleidung zu verschaffen.«

»Du lügst wieder. Der Maharajah von Augh nimmt keinen Ingli in seinen Dienst. Du mußt sterben!«

»So tödte mich! aber schnell!«

Der Andere ließ ein haarsträubendes Lachen hören.

»Schnell? Ein schneller Tod ist die herrlichste Gabe, welche Bhowannie ihren Söhnen spendet. Wie kann ein Ingli nach dieser Gabe verlangen? Meine Schüler hier werden sich an Deinem Körper üben.«

Er wandte sich im Kreise herum.

»Tretet näher! Ein Jeder nehme sich seinen Theil. Erst die Zunge, dann die Nase, dann die Lippen, nachher die Ohren, das eine Auge, die rechte Hand, das andere Auge, die linke Hand, die beiden Waden, die Muskeln am Arme – –«

Während er jeden einzelnen dieser Körpertheile her nannte deutete er mit dem Zeigefinger auf denjenigen Phansegar, welcher den betreffenden Schnitt ausführen sollte. Dann fuhr er, als jedes Glied und jeder Muskel erwähnt worden war, fort:

»Aber, daß mir Keiner eine große Ader verletzt! Dieser Ingli muß leben, bis ich Euch mein Meisterstück an ihm zeige: Ich werde ihm die Brust öffnen, und er soll sein eigenes Herz pulsiren sehen, ehe er stirbt.«

Dem Gefangenen schwanden vor Entsetzen beinahe die Sinne. Er hatte dem Löwen und dem Tiger gegenüber nicht die mindeste Furcht gezeigt, hier aber war es etwas anderes. Es wirbelte ihm vor den Augen, es brandete ihm vor den Ohren, er machte eine Bewegung, um sich mit Gewalt von seinen Banden zu befreien – es half nichts.

»Sei still, Fremdling!« grinste der Anführer. »Ihr seid aus Inglistan gekommen, um von unserem Vaterlande ein Stück nach dem andern abzuschneiden. Wir werden Vergeltung üben. Jetzt bist Du das Land Indien, von welchem wir mit unsern Messern eine Provinz nach der andern abtrennen, und Du wirst nichts Anderes fühlen und leiden, als was Indien gefühlt und gelitten hat. Beginne, mein Sohn!«

Der Phansegar, an welchen diese Worte gerichtet waren, zog sein Messer aus dem Shawl, welcher seine Hüften umwand.

»Hilfe!« rief Alphons mit aller Kraft seiner Stimme.

»Still!« gebot der Mörder, auf seinen Leib niederkniend. »Es kann Dir Niemand helfen, denn wir sind allein. Und selbst wenn Hunderte in der Nähe wären, sie würden es nicht wagen uns zu stören. Gib mir Deine Zunge freiwillig heraus, sonst muß ich Dir den Mund mit dem Messer aufreißen!«

Es war keine Hoffnung mehr. Alphons schloß die Augen. Ein einziges Wort nur wollte er noch sprechen; es drängte sich wie das inbrünstige Gebet eines Sterbenden über seine Lippen:

»Rabbadah – – –!«

Der Phansegar hatte bereits das Messer dem Munde des Opfers genähert, fühlte aber in diesem Augenblicke seinen Arm zurückgehalten.

»Halt!« gebot der Anführer.

»Warum?« frug ganz erstaunt der Andere.

An diesem Erstaunen war wohl zu erkennen, daß der Anführer noch niemals einen solchen Befehl gegeben hatte.

»Frage nicht!«

Nach dieser Abweisung, wandte er sich zu den Andern:

»Tretet zurück, bis ich mit diesem Ingli gesprochen habe.«

Sie gehorchten augenblicklich seinem Gebote. Maletti fühlte sein Herz mit ängstlicher Hoffnung belebt.

»Wie ist Dein Name?« frug der Phansegar.

»Alphons Maletti.«

»Du bist wirklich aus Frankhistan?«

»Ja.«

»Du mußt trotzdem sterben, wenn ich mich irre. Du sagtest jetzt ein Wort. Warum dieses?«

»Rabbadah?« frug der Gefangene.

»Ja. Warum?«

»Das kann ich Dir nicht sagen.«

Der Phansegar bohrte seine Augen tief in diejenigen seines Opfers.

»Du kannst es nicht sagen? Und wenn Du wegen dieser Schweigsamkeit sterben mußt?«

»Auch dann nicht!«

»Du bist fest und muthig. Doch ich weiß, warum Du es nicht sagen willst. Wo warst Du gestern um Mitternacht?«

»Beim Rajah.«

»Wo?«

»Im Garten.«

»Und dann?«

»In meiner Wohnung.«

»Du lügst! Du warst noch an einem andern Orte.«

Alphorn erstaunte.

»Wo soll ich noch gewesen sein?« trug er.

»Wo der Bülbül seufzt und die Turteltaube girrt.«

Jetzt erschrak Maletti nicht um seinet-, sondern um Rhabbadahs willen. Dieser Mensch hatte sich im Garten befunden und gelauscht.

»Wie meinst Du dies?« frug er mit verstellter Verwunderung.

»Fürchte nichts! Ich konnte Dein Angesicht nicht sehen und habe Dich heut also nicht erkannt. Aber als Du den Namen der Begum nanntest, ahnte ich, daß Du es seist. Du sollst dem Rajah Kanonen geben, um die Inglis zu vertreiben?«

»Ja.«

»Und Du wirst ihm und der Begum treu dienen?«

»Ja.«

»So bist Du frei. Aber Eins mußt Du mir bei Deinen Göttern schwören.«

»Was?«

»Daß Du weder dem Rajah und der Begum, noch einem andern Menschen erzählen willst, daß der Phansegar im Garten lauscht, um seinen König zu beschützen.«

»Vielleicht beschwöre ich es, wenn Du mir sagst, warum Du, der Mörder, den König und seine Schwester beschützen willst.«

»Ich werde Dir es sagen, denn ich habe gestern Abend vernommen, daß Du schweigen kannst.«

»Wo hast Du dies vernommen?«

»Am Kiosk der Begum, in welchem der Rajah mit ihr sprach. Ich hörte da, daß Du ihm das Leben gerettet und ihn mit Deinem Schweigen beschützt und behütet hast. Ich bin unter die Phansegars gegangen, weil Tamu, der Minister, mir Alles nahm, was ich besaß. Ich ging zum Könige, dem Vater des jetzigen Rajah, und wurde nicht nur abgewiesen, sondern gepeitscht und in das Gefängniß geworfen, wo ich gestorben wäre, wenn ich nicht zu entkommen vermocht hätte. Der König starb, und am Tage, als der jetzige Rajah König wurde, gab er meinem Sohn Alles wieder, was man mir genommen hatte. Darum beschütze ich ihn, die Begum und Dich, denn Ihr werdet nie etwas thun, was dem Volke Schmerzen macht. Tamu aber muß sterben, muß sterben den langsamen Tod, den Du vorhin sterben solltest.«

»Er ist nicht mehr Minister.«

»Ich weiß es. Ich hörte es, denn ich lag hinter Euch auf der Erde, als der Rajah mit Dir sprach.«

»Du hast gehört, was gesprochen wurde?«

»Ja. Ich und noch eine andere Person.«

»Wer?«

»Die Begum.«

»Die Begum hat uns auch belauscht?« frug Alphons überrascht.

»Ja. Sie saß neben mir, aber sie hat mich nicht gesehen.«

»Und dann – warst Du noch da, als ich zurückkehrte?«

»Ich war da und habe jedes Wort vernommen. Doch fürchte Dich nicht. Ich werde Dich nicht verrathen, sondern Dich beschützen.«

»Was thatest Du eigentlich in dem Garten?«

»Die Inglis sind hier, und ich bin der Freund des Rajah. Soll ich Dir einen bessern Grund sagen?«

»Nein. Ich vertraue Dir.«

»So schwöre, daß auch Du nicht von mir erzählen willst!«

»Ich schwöre es.«

»Bei allen Deinen Göttern?«

»Ich habe nur einen einzigen.«

»So bist Du ein sehr armer Mann. Bei ihm also schwörst Du es?«

»Bei ihm!«

»So bist Du frei. Du hast schon von den Thugs gehört?«

»Ja.«

»Und fürchtetest sie?«

»Allerdings.«

»Sie sind nur ihren Feinden furchtbar, furchtbarer noch als die wilden Thiere der Dschungel; ihren Freunden aber sind sie wie die Sonne der Erde und wie der Thau dem Grase. Hier, nimm diesen Zahn; trage ihn auf der Brust und zeige ihn vor, wenn Du wieder einmal in die Hände der Brüder fallen solltest. Du wirst wie ein Freund entlassen werden.«

Maletti betrachtete das werthvolle Geschenk. Es war der Zahn eines jungen Krokodils. Er hing an einer einfach Schnur, und seine Spitze war auf eine ganz eigentümliche Weise angeschliffen, welche jedenfalls dazu bestimmt war, als Erkennungszeichen zu dienen.

»Ich danke Dir! Wirst Du öfters in dem Garten des Rajah sein?«

»Ich weiß es nicht. Warum?«

»Ich könnte Dich vielleicht einmal sprechen wollen.«

»So gehe von der Stadt aus gerade nach Ost bis an den großen Wald, den Du in sechs Stunden erreichen kannst. Es ist der Wald von Kolnah. Grade in der Mitte desselben befindet sich die Ruine eines Tempels. Nimm einen spitzen Stein oder Messer und zeichne auf die Mitte der untersten Tempelstufe einen Krokodilszahn, so werde ich kommen.«

»Wohnest Du dort?«

»Ich wohne sehr oft dort. Jetzt weißt Du viel. Du bist mein Bruder geworden. Schweigest Du, so werde ich Dich beschützen; sprichst Du aber, so mußt Du sterben.«

»Ich werde schweigen!«

»Ich glaube Dir. Komm. Ich werde Dich zur Stadt geleiten!«

Sie durchschritten den Palmenwald und die Felder. An der Grenze der letzteren blieb der Phansegar stehen.

»Hat Dein Vaterland auch Sterne?« frug er.

»Es hat welche.«

»Sind sie so schön und hell wie die unsrigen?«

»Nein.«

»So kehre nie zurück, und erlabe Dich vielmehr an den Wundernächten dieses Landes. Hat Dein Land auch Frauen?«

»Ja.«

»Sind sie so schön wie die unsrigen?«

»Ja.«

»Auch so schön wie die Begum?«

»Nein.«

»So kehre nicht zurück in die Ferne, sondern bleibe hier, um den Stern, welcher Dir in der letzten Nacht aufgegangen ist, festzuhalten, damit er Dir nie wieder untergeht!«

Mit diesen Worten gab er ihm die Hand und verschwand zwischen den Feldern.

Alphons Maletti athmete tief auf, nicht allein wegen der Wendung, welche der Abschied von diesem Manne genommen hatte, sondern vor allen Dingen wegen der so unerwarteten und sonderbaren Rettung aus der fürchterlichsten Todesgefahr, welche nur jemals einem Menschenkinde drohen kann.

Er stand da, als sei er soeben aus einem wüsten Traume erwacht; aber er hatte ja die Ueberzeugung, daß es kein Traum, sondern Wirklichkeit gewesen war. Und wem hatte er sein Leben zu verdanken? Jedenfalls dem Phansegar, eigentlich aber doch der Begum, denn nur der Name der Prinzessin hatte die Hand des Mörders von ihm zurückgehalten.

Er kam sich wie ein Neugeborener vor, als er durch die Stadt schritt, um das Schloß zu erreichen. Dort angekommen, vernahm er, daß der Rajah bereits nach ihm geschickt habe. Er begab sich sofort zu ihm und wurde im ersten Augenblicke mit herzlicher Freundlichkeit, dann aber mit lebhaftem Erstaunen empfangen.

»Du warst fort, als ich Dich rufen ließ?«

»Ja, Sahib. Ich war vor die Stadt gegangen.«

»Du dachtest nicht, daß ich Dich rufen würde?«

»Doch! Aber ich dachte nicht, daß ich so spät zurückkehren würde.«

»Du hast ein Abenteuer erlebt?«

»Woher vermuthest Du dies, Sahib?«

»Deine Kleider sind zerrissen.«

Erst jetzt gewahrte Maletti, daß sein Anzug allerdings beträchtlich gelitten hatte Das gewaltsame Zerren durch das harte Buschwerk trug die Schuld daran.

»Ja. Ich hatte ein Abenteuer.«

»Welches?«

»Ich darf es nicht erzählen.«

»Auch mir nicht?«

»Hm! Mißtrauest Du mir wenn ich schweige, Sahib?«

»Nein. Aber sage mir, ob Du vielleicht Dein Wort gegeben hast zu schweigen?«

»Ja.«

»So werde ich Dich nicht weiter fragen. Ich sehe, daß man Dich angefallen hat, vielleicht weil man Dich für einen Engländer hielt. Ich kann leider die Schuldigen nicht bestrafen, weil Du sie mir nicht nennen willst.«

»Verzeihe Ihnen, Sahib, so wie ich ihnen verziehen habe. Unser Glaube sagt, daß man feurige Kohlen auf das Haupt des Feindes sammele, wenn man ihm vergibt.«

»So sagt Dein Glaube etwas sehr Gutes. Befolge ihn, wenn es Deine Ehre zuläßt. Jetzt aber komme mit mir. Die Verhandlung mit den Engländern wird beginnen, und ich muß Dir zuvor Kleider geben, die Du in Zukunft tragen sollst.«

Nach einer Viertelstunde saß Maletti mit dem Rajah in einem Zimmer, welches in seiner Mitte mit einem Teppiche belegt und an den Wänden mit Divans versehen war. Sonst aber befand sich nicht das geringste Möbel oder Geräth in dem Raume, wenn man nicht einigen thönernen Kühlgefäßen diesen Namen geben wollte.

Diese porösen und aus Thon gebrannten Töpfe werden mit Wasser gefüllt, welches durch die Poren sehr leicht und schnell verdunstet und in Folge dessen eine angenehme Kühle in dem Zimmer verbreitet. Damit nun diese Kühlung nicht nur einem Raume zu Gute komme, sind oft die Zwischenwände zweier Zimmer durchbrochen, so daß Nischen entstehen, in denen diese Gefässe aufgestellt werden.

Auch das Zimmer, in welchem sich der Rajah mit seinem neuen Minister befand, hatte zwei solche Nischen, und durch diese Oeffnungen hindurch konnte man jedes Wort hören, welches im Nebenzimmer gesprochen wurde. Dort saß Lord Haftley und der Rittmeister Mericourt, um mit dem Bevollmächtigten des Rajah zu verhandeln. Der stolze Engländer hatte sich also doch herbeigelassen zu erscheinen, sah aber dieses Opfer nicht von Erfolg gekrönt, denn die Zugeständnisse, welche ihm gemacht wurden, geschahen nur unter derjenigen Bedingung, welche Madpur Sing gestern mit Maletti besprochen hatte.

Der Lord war natürlich innerlich entschlossen, keinesfalls auf diese Bedingung einzugehen, hielt aber mit dieser Meinung zurück und gab vor, sich die Sache erst noch reiflich überlegen zu müssen. Er erhob sich und ertheilte dem Rittmeister mit der Hand ein Zeichen, zu sprechen.

Dieser erhob sich ebenso und meinte, wie so nebenbei im Gehen:

»Ah, da muß ich noch eine Frage aussprechen, die ich beinahe vergessen hätte!«

»Welche?«

»Wo wohnt der Lieutenant Alphons Maletti?«

Der Bevollmächtigte des Rajah war von diesem bereits instruirt worden.

»Bei meinem Herrn,« antwortete er. »Ihr wißt dies ja.«

»Wir wissen es,« meinte der Rittmeister. »Aber der Lieutenant ist mein Untergebener, und ich wünsche, daß er bei mir wohne.«

»Hat seine Lordschaft nicht die Erlaubniß ertheilt, daß der Lieutenant bei meinem Herrn, dem Rajah sein könne?«

»Er hat sie ertheilt, doch er sieht sich veranlaßt sie wieder zurückzuziehen.«

»Das würde meinen Herrn, der den Lieutenant außerordentlich liebt und achtet, kränken. Will seine Lordschaft meinen Herrn, den Maharajah Madpur Sing von Augh beleidigen?«

»Er hat diese Absicht nicht.«

»Aber es würde eine Beleidigung sein, wenn der Lieutenant zurückgefordert würde.«

»Der Maharajah wird mit dem Lieutenant gesprochen haben, was er mit ihm zu reden hat, und so kann er ihn also entlassen, ohne sich beleidigt zu fühlen.«

»Der Maharajah hat nicht allein mit ihm sprechen, sondern ihn bei sich haben wollen als einen Freund, dem er Gastfreundschaft erweisen will.«

»Aber der Lieutenant ist dieser Gastfreundschaft nicht würdig.«

»Warum?«

»Er ist ein Verräther.«

»Gegen wen?«

»Gegen seine Vorgesetzten.«

»Auch gegen den Rajah?«

»Auch gegen ihn.«

»Wenn er Euch verrathen hat, so geht dies den Rajah ja gar nichts an, und wenn er den Rajah verräth, so bitte ich Dich, es zu beweisen!«

»Das habe ich nicht nothwendig!«

»Das hast Du sehr nothwendig! Du bist ein Mann, und was ein Mann sagt, das muß er auch beweisen können. Erlaube mir, Deine Worte dem Lieutenant zu sagen.«

»Ich erlaube Dir es nicht!«

»Aber meinem Herrn darf ich sie sagen?«

»Ja. Er wird uns dann den Lieutenant sofort senden.«

»Nein, das wird er nicht thun.«

»Was sonst?«

»Er wird Dich durch mich fragen lassen, inwiefern der Lieutenant ihn verrathen hat, und wenn Du ihm keine Antwort gibst, so wird er Dich für einen Verleumder, den Lieutenant aber für einen braven Mann halten, der stets die Wahrheit sagt. Thue, was Du willst.«

»Ich verlange, daß mir der Lieutenant ausgeliefert wird.«

»Du sagst, daß Du sein Vorgesetzter bist?«

»Ja.«

»Er trägt eine andere Uniform wie Du. Du bist Rittmeister?«

»Ja.«

»Ist er Lieutenant in Deiner Schwadron?«

»Nein.«

»So bist Du ja auch nicht sein Vorgesetzter. Er ist Artillerist, während Du ja Kavallerist bist!«

»Ich bin Rittmeister und er ist Lieutenant; er steht unter mir und ich bin also sein Vorgesetzter.«

»Du hast einen höhern Rang, und er muß Dir also das Honneur erweisen, aber zu befehlen hast Du ihm nichts. Ist es nicht so?«

»Es ist nicht so. Seine Lordschaft hier befehligen die Division, bei welcher der Lieutenant steht. Haben seine Lordschaft ihm dann zu befehlen?«

»Ja.«

»Nun wohlan! Seine Lordschaft befehlen, daß der Lieutenant ausgeliefert werde.«

»Ah, das ist nicht klar. Bisher hast nur Du befohlen; seine Lordschaft aber haben noch kein Wort gesagt.«

»Sie befehlen durch mich.«

»Davon weiß ich nichts. Ich muß erst die Vollmacht seiner Lordschaft sehen und hören.«

Jetzt beliebte es endlich dem Lord ein Wort zu sprechen:

»Ich befehle es!«

»Was?«

»Den Lieutenant auszuliefern!«

»Ausliefern könnte doch wohl nur der Maharajah; also wollen Eure Lordschaft meinem Herrn, dem Könige von Augh einen Befehl ertheilen?«

Haftley befand sich bei dieser Wendung in einiger Verlegenheit.

»No!« antwortete er mit Nachdruck.

Der Rittmeister ergriff wieder das Wort:

»Seine Lordschaft befehlen dem Lieutenant zu mir zu kommen!«

»Ist dies so?« frug der Bevollmächtigte.

»Yes!« antwortete der Lord.

»Dagegen hat mein Herr nicht das mindeste. Seine Lordschaft mögen dem Lieutenant diesen Befehl ertheilen.«

»Das ist nicht so. Seine Lordschaft ertheilen diesen Befehl hiermit?«

»Yes, hiermit!« bekräftigte Haftley.

»Hiermit? Meinen Seine Lordschaft vielleicht, daß ich ein Diener von Euch bin, der diesen Befehl zu überbringen habe? Erst befehlt Ihr dem Maharajah, und jetzt befehlt Ihr mir!«

»Wir befehlen wem wir wollen!« meinte der Rittmeister. »Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»So seht einmal zu, wie Eure Befehle erfüllt werden!«

»Sie müssen erfüllt werden. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

Mit diesem Kraftworte schritt der Lord dem Ausgange zu, und der Rittmeister folgte ihm in der Ueberzeugung, der Würde und Größe Altenglands nicht das mindeste vergeben zu haben.

Kurz nach dieser eigentümlichen Konferenz wurden die Hofthore des Palastes geöffnet, und die männlichen Bewohner strömten herein, um dem Schauspiele des Thierkampfes beizuwohnen. Die unteren Plätze waren sehr bald gefüllt, länger jedoch dauerte es, ehe die andern besetzt wurden.

Da endlich traten die höheren Beamten von Augh aus dem Palaste und schritten nach der einen Seitentribüne. Zu gleicher Zeit erschienen die Offiziere der englischen Gesandtschaft und nahmen in der gegenüberliegenden Platz. Jetzt konnte man auch trotz der Gitter erkennen, daß sich die Frauenloge belebte, und nur wenige Augenblicke später kam der Maharajah aus dem Palaste, um sich in die seinige zu begeben.

Ein Jubelruf seiner anwesenden Unterthanen begrüßte ihn. Er dankte durch ein freundliches Nicken seines Kopfes, ging über die Arena und stieg die Logentreppe empor. Fast noch mehr als auf ihm, ruhten Aller Augen auf dem Manne, der an seiner Linken schritt. Er bildete die einzige Begleitung des Königs, trug die kleidsame Tracht der Krieger von Augh und – mit dieser gar nicht harmonirend, einen englischen Stoßdegen an seiner Linken. Es war der Lieutenant Alphons Maletti, welchem die noch nie dagewesene Ehre zu Theil wurde, sich ganz allein an der Seite des Maharajah zu befinden.

»Alle Teufel,« meinte der Rittmeister, welcher neben dem Lord saß, zu diesem letzteren. »Ist das nicht der Maletti?«

»Yes!«

»In Augh'scher Uniform?«

»Yes!«

»Also Ueberläufer?«

»Yes!«

Lieutenant Harry wagte eine Bemerkung.

»Belieben der Herr Rittmeister zu sehen, daß er seinen Degen trägt! Kann da von Desertion die Rede sein?«

Der Rittmeister nickte nachdenklich.

»Ein ebenso außerordentlicher wie zweifelhafter Fall! Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Und ganz allein mit dem Rajah! Es ist das eine ganz sicher noch niemals dagewesene Auszeichnung!«

»Yes!«

»Er wird sich darüber zu verantworten haben.«

»Yes!«

»Ich meine, daß es uns zusteht, ihn gleich jetzt von seinem Sitze – – Ah!«

Er unterbrach seine Rede mit diesem Ausrufe, dem alle Andern beistimmten. Von einigen auf dem Käfige sitzenden Eingeborenen waren nämlich die Matten von der einen Thür entfernt und diese letztere geöffnet worden. Mit einem einzigen Satze sprang ein riesiger schwarzer Panther bis auf die Mitte der Arena, sah sich im Kreise um, stieß ein zorniges Brüllen aus und legte sich dann in den Sand nieder.

»Ein prächtiges Thier, Exzellenz! Nicht?«

»Yes!«

»Ich glaube kaum, daß ihm ein Himalayabär Stand halten wird. Dazu gehörte schon mehr ein grauer Bär, ein Grizzly aus den amerikanischen Felsengebirgen. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

Jetzt wurden die Matten von der zweiten Thür beseitig. Sie öffnete sich, und man erblickte einen Bären, welcher ruhig liegen blieb und nicht die mindeste Anstalt machte, seinen Aufenthalt zu verändern. Man stieß von oben mit Bambusstangen nach ihm; er schien es gar nicht zu fühlen. Man brannte einige Feuerwerkskörper auf ihn ab; er kam in einige Bewegung: er wälzte sich, um die auf seinem Pelze haftenden Funken zu ersticken.

»Ein fauler feiger Kerl!« bemerkte der Rittmeister. »Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Er wird sich von dem Panther skalpiren lassen, ohne nur an eine reelle Gegenwehr zu denken.«

»Yes!«

Jetzt griffen die auf dem Käfige befindlichen Männer zu dem sichersten Mittel: Sie gossen ein Gefäß mit Reisbranntwein über den Bären aus und warfen dann einige »Frösche« herab. Sobald diese letzteren ihre Funken auf ihn sprühten, gerieth der Pelz in Brand, und der Bär trollte sich im Trabe und brummend aus dem Käfige heraus, welcher sich sofort hinter ihm schloß.

Das Thier war ebenso wie der Panther von ungewöhnlicher Größe und erstickte das Feuer, indem es sich im Sande wälzte.

»Endlich haben wir ihn!« jubelte der Rittmeister. »Jetzt wird es ihm schlecht ergehen, nicht wahr, Mylord?«

»Yes! Wetten!«

Haftley war ein Engländer. Es wäre für ihn eine Schande gewesen, eine so günstige Gelegenheit zu einem Einsatze ungenützt vorübergehen zu lassen. Der Rittmeister zog sich scheu zurück; Lieutenant Harry aber erhob sich.

»Erlauben Exzellenz?«

»Yes!«

»Wie viel? Vielleicht hundert Pfund?«

»Yes!«

»Auf wen? Auf den Panther?«

»Yes!«

»So erlaube ich mir, auf den Bären zu setzen. Angenommen, Exzellenz?«

»Yes!«

Harry setzte sich wieder und zwar mit einer Miene, in welcher die Erwartung des Sieges deutlich zu lesen war. Er schien auf den Bären mehr Vertrauen zu setzen als auf den Panther.

Dieser letztere hatte seinen Gegner wohl bemerkt, mit seinem Angriffe aber wegen des Feuers noch gezögert. Als dieses gelöscht war, erhob er sich und schlich in katzenhaft geduckter Haltung einige Male um den Bären herum.

Dieser zog eine halb erstaunte halb dumme Physiognomie, erhob sich auf die Hinterfüße und focht mit den Vordertatzen behaglich in der Luft herum. Da plötzlich that der Panther einen Seitensprung auf ihn zu – Alles war gespannt – ein Ah der Ueberraschung ging durch die ganze Versammlung: Der Bär war schlauer als sein Gegner gewesen; er hatte sich nur dumm und unbesorgt gestellt. In dem Augenblicke, als der Panther auf ihn einsprang, ließ er sich zur Erde fallen; dadurch gerieth der Sprung zu hoch, und indem die gewandte Katze über ihn hinwegflog, that er mit seiner Tatze einen gedankenschnellen Griff – ein heißeres entsetzliches Brüllen erscholl, ein tiefes befriedigtes Brummen mischte sich darein: der Bär hatte dem Panther den Leib aufgerissen, so daß der Verwundete die Gedärme nach der Ecke schleppte, in welche er sich schleunigst retirirte.

»Alle Teufel, das konnte man nicht erwarten!« rief der Rittmeister. »Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Das geschah nur ganz aus Zufall von diesem Tölpel von Bären. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Aber noch ist es nicht aus. Der Panther leckt sich und bringt seine Plessur in Ordnung. Er wird den Angriff wiederholen und dann unbedingt siegen!«

»Yes!«

Es war wirklich so, wie der Rittmeister sagte. Der Panther erhob sich bereits nach kurzer Zeit und näherte sich schnaubend und pustend dem Bären. Dieser öffnete den blutrothen Rachen, drehte die kleinen Augen im Kopfe herum und retirirte sich vorsichtig gegen die Wand der Arena. Er wollte sich jedenfalls rückenfrei machen.

»Er reißt aus!« jubelte der Rittmeister. »Exzellenz werden Ihre Wette unbedingt gewinnen!«

»Yes!«

Lieutenant Harry hörte dies.

»Es stehen hundert Pfund, Exzellenz?«

»Yes!«

»Sagen wir zweihundert?«

»Yes!«

»Exzellenz auf den Panther und ich auf den Bären?«

»Yes, yes!«

»Mylord müssen gewinnen!« versicherte der Rittmeister.

In diesem Augenblicke schnellte sich der Panther trotz seiner Wunde auf den Bären. Dieser lehnte mit dem Rücken an der Wand und empfing den Feind mit offenen Pranken. Es erfolgte nun ein höchst interessantes Schauspiel. Die beiden mächtigen Thiere hielten sich mit den Tatzen und Zähnen gepackt; sie fielen zur Erde und wälzten sich in dem Sande umher, daß der Staub eine dichte Wolke bildete. Das Fell des Panthers bildete für den Bären eine angreifbarere Fläche als der Zottelpelz des letzteren, welcher vorteilhafter Weise seine hintere Pranke in die Bauchwunde des Feindes gebracht hatte und nun in den Eingeweiden desselben wühlte. Der Panther stieß ein schreckliches und ununterbrochenes Brüllen aus, während man von dem Bären nicht einen einzigen Laut, nicht das geringste Brummen vernahm. Da krümmte sich der Panther zusammen, ein weithin brüllender entsetzlicher Schrei erscholl; ein dumpfes, gurgelndes, wimmerndes Röcheln folgte, dann trat eine Stille ein, die nur durch das knirschende Knacken und Krachen von Knochen unterbrochen wurde: der Bär hatte den Schädel seines besiegten Gegners zermalmt, um das Hirn desselben zu verzehren.

Laute Zurufe belohnten den Sieger für seine Tapferkeit. Man hatte ihm im Vorherein den Sieg nicht zugesprochen. Er kümmerte sich nicht um den Applaus, sondern zog sich, nachdem er das Gehirn verzehrt hatte, in die neben dem Käfige befindliche Ecke zurück.

»Schauderhaft!« bemerkte der Rittmeister. »So etwas konnte kein Mensch vermuthen. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Die Wette ist zum Teufel!«

»Yes!«

»Zweihundert Pfund.«

»Yes!«

»Pah! Es wird sich Gelegenheit finden sie zurück zu gewinnen. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

Während der eingetretenen Pause gab es in der vergitterten Loge ein leises Gespräch.

Es waren nur zwei Frauen zugegen: die Frau und die Schwester des Maharajah, welcher sein Weib so liebte, daß er keine zweite Frau an ihre Seite setzen wollte, sondern es nur liebte, einige Sklavinnen bewundern zu dürfen.

Die Königin von Augh war eine zart gebaute Indierin von außerordentlich sanften Gesichtszügen, die nur von Güte und Milde sprachen.

»Wie gefällt er Dir?« frug sie.

»Wer?« klang es ganz erstaunt.

»Nun, wer anders als dieser Franke?«

»Der Lord da drüben?«

»Oh! Der Frankhi bei Deinem Bruder!«

»Dieser?«

»Ja. Nun?«

»Was?«

»Wie er Dir gefällt?«

»Ja, dürfte er mir denn gefallen?«

»Warum nicht? Darf Dir nicht eine Blume, ein Thier, ein Haus, eine Gegend gefallen?«

»Also auch ein Mensch?«

»Natürlich. Also sage es!«

»Als ein Mensch gefällt er mir.«

Die Königin zuckte mit der zarten, in kostbaren durchsichtigen Mousselin gehüllten Schulter.

»Weiter nicht?«

»Warum weiter?«

»Rabbadah! Willst Du mich kränken?«

Bei diesen Worten kam Leben in die bisher kalten Züge der Begum. Sie legte die Arme um die Schwägerin, zog sie an sich und küßte sie innig.

»Er ist so schön, so stolz, so treu,« flüsterte sie ihr leise in das Ohr. »Aber vergiß nicht, daß sich über uns die Punkah Ein breiter, an die Decke befestigter Fächer, welcher mittelst einer Schnur bewegt wird, um Kühlung zu fächeln. bewegt und also die Diener nicht weit von uns sind!«

»Du liebst ihn?« frug die Königin ebenso leise.

»Ich liebe ihn.«

»Arme Rabbadah!«

»Warum arm?«

»Er ist kein Maharajah!«

»Aber er ist wie ein Maharajah und soll Augh von seinen Feinden retten.«

»Möchtest Du sein Weib werden?«

»Ich liebe ihn um meines Bruders und um seinetwillen; aber sein Weib – –? Ich habe ihn noch nicht geprüft.«

»Wie wolltest Du ihn prüfen?«

Die Begum lächelte ein wenig versteckt.

»Weiß ich es, wie man dies zu machen hätte?«

»Nein, denn Du bist noch ein Mädchen; aber ich werde Dir helfen!«

»Thue es!«

Diese Bitte klang beinahe ein Bischen nach Ironie, doch die Königin bemerkte dies nicht. Sie antwortete in wohlwollendem Eifer:

»Ich werde es thun, doch erlaube mir, zuvor sehr reiflich darüber nachzudenken.«

»Denke nach! Du wirst sicher das Beste entdecken!«

Jetzt öffnete sich das vom Hofe aus nach der Straße führende Außenthor, und unter der Loge des Maharajah weg wurde ein männlicher Elephant hereingeführt. Er war bestimmt gewesen, mit dem Panther zu kämpfen, von welchem man angenommen hatte, daß er den Bären besiegen werde.

»Wie gefällt Dir der neue Held?« frug der Rajah seinen Nachbar.

»Ein prächtiges Thier!« antwortete Maletti. »Aber es wäre besser, wenn es eine Heldin wäre.«

»Warum?«

»Sind nicht die weiblichen Elephanten gewöhnlich tapferer als die männlichen?«

»Ja. Aber dieser ist dennoch mein bester Jagdelephant.«

»Auf Tiger?«

»Auf Tiger, Panther und Leoparden.«

»Hat er bereits mit einem Bären gekämpft?«

»Nein.«

»Dann ist der Ausgang zweifelhaft.«

»Warum?«

»Weil er die Art und Weise des Bären noch nicht kennt. Man muß den Gegner vollständig kennen, um ihn besiegen zu können. Das gilt nicht nur bei den Menschen, sondern auch im Reiche der Thiere.«

»O, dieses Thier ist nicht nur tapfer, sondern auch klug und vorsichtig!«

»Der Bär ebenfalls, wie er ja bereits zur Genüge bewiesen hat!«

»Ein Elephant, ah!« meinte drüben der Rittmeister. »Ein prächtiger Kerl, nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Gegen diesen kann der Bär unmöglich aufkommen. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Der Bär ist zu langsam und unbeholfen und von seinem vorigen Feinde bereits zu sehr geschwächt. Er wird besiegt.«

»Yes! Wetten!«

Wieder hatte nur der Lieutenant Harry den Muth, auf diese Aufforderung einzugehen.

»Hundert Pfund, Mylord?«

»Yes!«

»Oder vielleicht zweihundert, um Excellenz Gelegenheit zu geben, quitt zu werden?«

»Yes!«

»Mylord auf den Elephanten und ich auf den Bären?«

»Yes, yes!«

Der Elephant hatte keinen Kornak Treiber oder Führer. auf seinem Nacken sitzen, und war sich also selbst überlassen, was bei einer solchen Gelegenheit wohl auch das Beste war. Er erblickte den Bären, stieß einen herausfordernden Trompetenruf aus und warf mit seinen Stoßzähnen den Sand empor.

»Ah, er beginnt!« meinte der Rittmeister. »Der Bär ist auf jeden Fall verloren!«

»Yes!«

»Der Elephant ist nur durch ein Raubthier zu besiegen, welches ihn im Sprunge zu nehmen vermag. Der Bär aber kann nicht springen.«

»Yes!«

»Exzellenz gewinnen die Zweihundert zurück!«

»Yes!«

Da ließ sich der unternehmende Lieutenant vernehmen:

»Wollen wir dreihundert sagen, Mylord?«

»Yes!«

»Excellenz noch immer den Elephanten und ich den Bären?«

»Yes, yes!«

Diese Zustimmung klang so zuversichtlich, daß der Lord das allergrößte Vertrauen auf den Elephanten haben mußte.

Dieser schritt langsam und vorsichtig auf den Bären zu. Meister Petz schien keine rechte Lust an diesem zweiten Kampfe zu haben; er trollte im Trabe rund in der Arena herum, und dabei zeigte es sich, daß er auf dem Rücken und der rechten Flanke je eine nicht unbedeutende Wunde erhalten hatte. Der Elephant behielt ihn scharf im Auge.

Jetzt plötzlich blieb der Bär stehen; er hatte auch noch nie mit einem solchen Gegner gekämpft und seinen Rundgang nur deshalb unternommen, um ihn von allen Seiten gehörig betrachten und kennen zu lernen. Bei einem menschlichen Kämpfer hätte man diese Thätigkeit rekognosciren genannt. Jetzt nun war er mit seiner Beobachtung fertig und mit seinem Plane im Reinen. Er hatte beschlossen, die vorige Taktik nur theilweise zu wiederholen. Er richtete sich auf die hintern Pranken empor.

Der Elephant erkannte dies als eine Herausforderung und stürmte auf ihn zu. Den Rüssel, welcher leicht verletzt werden konnte, hielt er hoch empor, während er die Stoßzähne senkte, um den Feind sofort aufzuspießen. Kaum aber waren diese gefährlichen Waffen noch einen Fuß von dem Leibe des Bären entfernt, so warf sich dieser, ganz wie vorhin zur Erde nieder, so daß der Elephant über ihn hinwegstürmte, und ehe dieser im Laufe innehalten und sich wenden konnte, hatte der Bär bereits das eine hintere Bein des Kolosses erfaßt, schlug seine Krallen in das Fleisch und begann, an dem Beine emporzuklettern.

Der Elephant stieß einen Schrei des Schmerzes aus und rannte stöhnend und vor Wut trompetend in der Arena umher. Durch diese Bewegung wollte er den Feind, den er mit dem Rüssel nicht zu erreichen vermochte, von sich abschleudern. Es gelang ihm nicht. Die Krallen des Bären waren zu lang und scharf, sie fanden in dem Fleischklumpen einen zu festen sichern Anhalt.

Da kam das schmerzerfüllte Thier auf einen Gedanken, der ihm Rettung bringen konnte. Der Bär hatte mit seinen Vorderfüßen bereits den hintern Theil des Rückens erreicht, und es war also die höchste Zeit, sich seiner zu entledigen. Der Elephant trat von hinten an die Brüstung der Arena und versuchte, den Gegner durch einen Druck gegen dieselbe zu zerquetschen.

Dieser Druck war ein gewaltiger; der ganze Bau erzitterte; die Holzsäulen, welche die vergitterte Frauenloge trugen, gaben nach – ein einziger Schrei des Entsetzens ertönte aus vielen hundert Kehlen – die Loge mit den beiden Frauen senkte sich herab und brach dann zusammen.

Die Absicht des Elephanten war erreicht, er hatte den Gegner abgestreift, war aber dabei so verwundet und zerfleischt worden, daß er wie rasend und von Sinnen in der Arena herumstürmte. Der Bär hatte jedenfalls bedeutende Quetschungen erlitten, stand aber wohlgemuth auf allen Vieren und betrachtete sich gemächlich die Trümmer der Tribüne, unter denen die beiden Damen fast begraben lagen.

Ein vielstimmiger Schrei des Entsetzens war ausgestoßen worden, Alle aber, außer Zweien, saßen wie gelähmt vor Schreck. Diese Beiden waren der Maharajah und Alphons Maletti. Sie stürmten die zu ihrer Loge führenden Stufen herab auf die Arena. Der wüthende Elephant bemerkte sie zuerst und wandte sich mit feindseligen Tönen gegen sie. Er erhob den Rüssel zum tödtlichen Schlage gegen den Rajah; dieser that einen Sprung zur Seite, der ihn rettete, und mußte dann zurückweichen.

Maletti war es gelungen, an dem Thiere vorüberzukommen.

»Tödte ihn,« rief der Maharajah, »und das Königreich ist Dein!«

Man wagte kaum Athem zu holen, und es herrschte eine Stille, welche das allergeringste Geräusch vernehmen ließ. Hinter sich den aufgebrachten Elephanten und vor sich den unbeweglichen Bären, eilte Maletti, nur mit seinem Degen bewaffnet, auf diesen letzteren zu. Er zog sich dabei den Turban vom Kopfe, riß den feinen Kaschmirshawl von der Kopfbedeckung los, wickelte sich denselben um den Arm und zog mit der Rechten den Degen.

Der Bär richtete sich zu seinem Empfange in die Höhe, öffnete den Rachen und breitete, als die Degenspitze bereits seine Brust rührte, die Vorderpranken zur tödtlichen Umarmung aus. In dem gleichen Augenblicke stieß ihm der verwegene Lieutenant den Stahl in das Herz und den durch den Kaschmir geschützten Arm in den Schlund; dann stürzten Beide nieder und wälzten sich für einige Augenblicke im Sande.

Der Elephant hatte den einen Mann zurückgetrieben und kam jetzt herbei, den andern zu suchen; er fand ihn, sich mühsam aus der Umschlingung des todten Bären windend; schon wollte er ihn mit dem Rüssel niederschmettern, da brachte ihn der Anblick des Bären zur Besinnung. Der drohende Rüssel senkte sich langsam nieder, um den Bären zu untersuchen, und da er ihn todt, mit dem Degen im Leibe fand, erkannte das von der Natur mit so viel Klugheit begabte Thier; daß dieser Mensch ja sein Freund, vielleicht gar sein Retter sei. Es stieß einen triumphirenden Schrei aus, faßte den Lieutenant sanft mit dem Rüssel, hob ihn auf den Rücken empor, spießte den Bären an die gewaltigen Zähne und trug so beide, den Sieger und den Besiegten, einige Male in der Arena herum.

Ein lauter Jubel erschallte von den Zuschauersitzen, und allen Anderen voran eilte nun der Maharajah zu den beiden Frauen, die er glücklicher Weise unversehrt, aber außerordentlich erschrocken und beängstigt fand. Er ließ sie durch die herbeikommenden Dienerinnen nach ihren Gemächern bringen und näherte sich dann dem Elephanten, der jetzt in ihm seinen Herrn erkannte und sich von ihm liebkosen ließ.

»Du bist verwundet?« frug er Maletti.

»An der linken Schulter,« antwortete dieser lächelnd von oben herab, »und ein wenig strapaziert in den Rippen, was aber nichts zu bedeuten hat, wenn man bedenkt, aus welcher Umarmung ich komme.«

»Verdammter Zufall!« meinte der Rittmeister drüben auf der Tribüne. »Konnten wir nicht unten sein? Wir hätten noch viel weniger Umstände mit diesem Bären gemacht. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Aber wer hat nun die Wette gewonnen? Wer war der Sieger von den beiden Thieren? Der Bär?«

»Yes!«

»Oder der Elephant?«

»Yes!«

»Oder keiner von Beiden?«

»Yes!«

»Lieutenant Harry, was meinen Sie?«

»Bis zu der Katastrophe war der Bär entschieden im Vortheile, ich meine also nicht egoistisch zu sein, wenn ich annehme, daß die Sache unentschieden geblieben und die Wette also zu anulliren ist. Was sagen Mylord dazu?«

»Yes!«

»So handelt es sich also nur um die ersten Zweihundert!«

»Yes!«

Der Rittmeister unterbrach diese geschäftlichen Interjektionen.

»Der Lieutenant Maletti steigt ab. Er blutet an der Schulter und geht verteufelt krumm. Das Embrassement wird ihm wohl nicht ganz bekommen sein. Aber man wird ihn trotzdem im Triumph nach dem Palaste führen, ihn den Ueberläufer, der eigentlich unser Gefangener ist. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Wollen wir gegen diesen Triumphzug unser Veto einlegen?«

»Yes!«

»So gehen wir hinab in die Arena und benutzen die Gelegenheit, uns unseres Gefangenen zu bemächtigen!«

»Yes!«

»Wer wird das Wort führen, Mylord? Ich?«

»Yes!«

»So wollen wir aufbrechen!«

»Yes!«

Während Alles dem Helden zujubelte, machten sich diese Beiden auf, ihn gefangen zu nehmen. Zu Ehren der andern Offiziere jedoch mußte es gesagt sein, daß sie sich ihnen nicht anschlossen.

Unten angekommen, trat Mericourt auf Maletti zu.

»Herr Lieutenant, ich ersuche Sie mir zu folgen!«

»Wohin?«

»Zunächst nach der Wohnung Seiner Exzellenz.«

»Und dann?«

»Das wird sich finden!«

»Der Ausdruck »das wird sich finden« ist bei einem braven Offiziere eine Unmöglichkeit, Herr Rittmeister, wie Sie sicher zugeben werden.«

»Wie so?«

»Ein guter Taktiker und Stratege darf nur mit bekannten, nie aber mit unbekannten Größen rechnen. Ich bin Artillerist und werde meine Distanzen stets gut berechnen, nicht aber zu jeder Kugel sagen: fliege fort, und ob Du etwas triffst, das wird sich finden. Erklären Sie sich also offen über die Absicht, mit welcher Sie mich einladen mit Ihnen zu gehen.«

»Besitzen Sie so wenig Scharfsinn, daß Sie nicht einsehen, daß ich Sie arretiren will?«

»Arretiren? Sie? Mich?«

»Ja!«

»Dazu sind Sie der Mann doch nicht. Es ist Ihnen bereits wiederholt erklärt worden, daß ich Ihnen keine Subordination zu leisten habe. Wollen Sie sich das nun endlich einmal merken!«

»Mäßigen Sie Ihren Ton, Herr Lieutenant, sonst –«

»Sonst –! Was denn?«

»Sonst werde ich Ihnen zeigen, wie man mit mir zu sprechen hat! Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Und wie man sich zu Verräthern und Ueberläufern verhalten wird! Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

Alphons lächelte, aber hinter diesem Lächeln lauerte der Sturm.

»Dann werden Sie mir wohl auch mit zeigen, wie man sich einem ehrlosen Verleumder gegenüber verhält?«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie haben heute behauptet, daß ich den Maharajah verrathe.«

»Nun? weiter!«

»Ich ersuche Sie, die Wahrheit dieser Behauptung zu beweisen!«

»Ihnen gegenüber bedarf es weiter keines Beweises. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Ach so! Dann entbinde ich Sie davon, mir zu zeigen, wie man mit Ihnen zu sprechen hat, denn ich kenne diese Art und Weise ganz genau. Man spricht mit Ihnen nämlich gerade so, wie mit jedem andern gemeinen Schurken, nämlich so!«

Er holte aus und schlug dem Rittmeister die geballte Faust mit solcher Wucht in das Gesicht, daß dieser zurücktaumelte. Dann fügte er, sich an den Lord wendend, hinzu:

»Nicht wahr, Exzellenz?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Warum bleiben Sie denn gerade dieses Mal mit Ihrem berühmten Yes zurück?«

»Mensch!« brüllte der Rittmeister. »Was hast Du gewagt!«

»Nichts! Einen Feigling zu brandmarken ist kein Wagniß.«

»Ich werde Dir zeigen, daß es sehr wohl ein Wagniß ist!«

Der Rittmeister schäumte. Er zog blank.

»Ah, endlich habe ich diesen Menschen einmal bis vor die Klinge!«

Mit diesen Worten riß Maletti dem nebenan liegenden Bären den Degen aus dem Leibe und wandte sich damit seinem Gegner zu. Dieser machte ein eigentümliches Gesicht.

»Nicht wahr, Mylord, der Lieutenant Maletti ist ein Verräther?«

»Yes!«

»Und mit einem Verräther darf sich kein braver Offizier und Edelmann schlagen?«

»Yes!«

»Ich würde meinen Degen entweihen durch seine Berührung mit diesem Menschen?«

»Yes!«

»So arretiren wir ihn, Exzellenz!«

»Yes!«

»Sie haben es gehört. Folgen Sie uns!«

»Feige Buben, Einer wie der Andere! Rittmeister, Mylord, ich sage Ihnen: Wenn Sie in anderthalb Minuten noch in meiner Nähe stehen, werde ich es Ihnen machen, wie ich es mit dem Bären gethan habe, mein Ehrenwort darauf.«

Er zog die Uhr aus der Tasche.

»Mylord, er ist rasend!« meinte der Rittmeister.

»Yes!«

»Arretiren wir ihn ein anderes Mal!«

»Yes!«

Sie wandten sich und schritten ihrer Wohnung zu.

»Was sagst Du zu diesen Leuten, Sahib?« frug Maletti den Maharajah.

»Wenn sie nicht Gesandte Englands wären,« antwortete dieser, »so würde ich sie aus meinem Lande peitschen lassen. Komm aber herauf! Dein Angesicht wird bleich. Das Blut rinnt Dir aus der Schulter, und Dein Leben kann mit ihm entrinnen.«

Sie begaben sich in das Palais. Alphons biß die Zähne zusammen, erst jetzt fühlte er die Schwäche, welche eine Folge des Blutverlustes war, und die Schmerzen seiner Brust, welche unter der gewaltigen Umarmung des Bären jedenfalls sehr schwer gelitten hatte. Als er mit dem Rajah, der nicht an seine Frauen dachte, sondern erst seinen treuen Diener in Sicherheit wissen wollte, in sein Gemach trat, fiel er ohnmächtig auf den Divan nieder.

Sofort ließ der König seinen Arzt rufen. Dieser untersuchte den Verletzten auf das Sorgfältigste.

»Nun?«

»Er wird nicht heut und auch morgen nicht erwachen.«

»Er stirbt?«

»Nein. Es sind ihm zwei Rippen eingedrückt, und er hat viel Blut verloren, aber er wird bald wieder gesund werden.«

»Pflege sein, als ob ich es selber wäre!«

Kaum hatte Madpur Singh seinem Weibe und seiner Schwester einen Besuch abgestattet und sich überzeugt, daß sie keinen Schaden gelitten hatten, so wurde ihm der Lord und der Rittmeister gemeldet. Unter den gegebenen Umständen entschloß er sich sie selbst zu empfangen.

»Was willst Du?« frug er den General mit einer Miene, welche nichts weniger als freundlich genannt werden konnte.

»Unsern Gefangenen,« antwortete der Rittmeister an Stelle seines Vorgesetzten. »Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Welchen Gefangenen?«

»Den Lieutenant Alphons Maletti.«

»Weshalb ist er Euer Gefangener?«

»Er ist ein Verräther. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Welchen Verrath hat er begangen?«

Der Rittmeister schwieg und blickte den General fragend an. Das Gesicht desselben sagte sehr deutlich, daß er diese Frage nicht beantworten möge.

»Den Verrath gegen seine Pflicht,« antwortete daher endlich Mericourt.

»Dein Wort sagt mir nichts. Erzähle mir, was der Lieutenant gethan hat!«

»Das ist eine Dienstsache, die ich nicht mittheilen darf.«

»Du brauchst sie nicht mitzutheilen, denn ich kenne sie bereits. Ihr nennt den Lieutenant einen Verräther, weil er mich nicht verrathen hat. Habe ich recht gesagt?«

Beide schwiegen.

»Ihr seid die Gesandten einer großen und berühmten Nation, aber Ihr macht auch große und berühmte Fehler.«

»Sage sie uns!« meinte der Rittmeister. »Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Ihr kommt, um einen Vertrag mit mir abzuschließen. Ist dies wirklich Eure ehrliche und alleinige Absicht, so müßt Ihr Euch hüten mich zu beleidigen. Ihr beleidigt mich jedoch mit allem Wissen und Willen, und so muß ich erkennen, daß Euch andere Absichten, welche feindlich sind, zu mir hergeführt haben.«

»Inwiefern beleidigen wir Dich?«

»Ihr wollt einem Manne, den ich liebe, seine Freundschaft zu mir entgelten lassen. Ihr wollt mich zwingen, die Gastfreundschaft, zu verletzen, die uns heiliger ist als Euch. Ist das nicht eine große Beleidigung?«

»Wir thun unsere Pflicht. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Eure Pflicht war einen Vertrag mit mir abzuschließen, und indem Ihr mich beleidigt, handelt Ihr gegen diese Pflicht. Ihr habt erfahren, daß der Lieutenant Maletti mein Freund ist, den ich wie einen Bruder achte. Ihr hättet klug sein und ihm die Verhandlung mit mir anvertrauen sollen, dann wäre Eure Aufgabe sehr leicht zu erfüllen gewesen.«

»Wir werden sie dennoch lösen. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Auf solche Weise nicht!«

»Und gerade auf solche Weise! Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»So versucht es!«

»Ich habe Dich zu fragen, ob Du dem Volke der Engländer dein Land öffnen willst.«

»Ich will es öffnen, wenn die sämmtlichen Mächte von Europa mir den Besitz dieses Landes garantiren.«

»Eine solche Garantie zu erlangen ist unmöglich.«

»Es ist möglich.«

»Bleibst Du bei dieser Forderung?«

»Ich bleibe dabei.«

»So ist unser Geschäft hier zu Ende und wir werden noch heute Augh verlassen. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Eure Reise sei glücklich!«

»Wir dürfen keinen unserer Leute hier zurücklassen. Gib uns den Lieutenant heraus.«

»Er kann nicht mit Euch gehen, denn er liegt todtkrank darnieder.«

»Laß ihn uns sehen!«

Die Augen des Herrschers blitzten zornig auf und seine Hand fuhr nach dem Griffe seines Dolches.

»Was wagt Ihr! Wollt Ihr mich zum Lügner erklären?«

»Wir wollen Dich nicht beleidigen, aber wir müssen den Lieutenant sehen. Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»So kommt!«

In stolzer Haltung und ohne sich nach ihnen umzusehen, schritt er ihnen voran aus dem Zimmer und nach der Wohnung Maietrjs. Dort angekommen fanden sie den Verletzten ohne Besinnung noch in den Händen des Arztes, welcher bemüht war, die von der Tatze des Bären zerrissene Schulter zu verbinden.

»Hier ist er. Seht ihn Euch an!«

»Wir sehen ihn! Wir müssen ihn mitnehmen, todt oder lebendig. Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Er ist mein Gast und sein Leben liegt auf meiner Seele. Ich muß ihn bei mir behalten.«

»Bedenke, daß es gegen das Völkerrecht ist, uns einen Verräther vorzuenthalten! Nicht wahr, Exzellenz?«

»Yes!«

»Bedenkt hingegen Ihr, daß das erste Völkerrecht das Gastrecht ist! Ich verletze dieses Völkerrecht indem ich ihn Euch ausliefere. Bei mir wird er genesen, bei Euch aber müßte er unterwegs sterben.«

»Ist das Dein letztes Wort?«

»Mein letztes!«

»So müssen wir Dich beklagen, daß Du nicht erkennen willst was zu Deinem Besten dient! Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Und ich beklage Eure Nation, weil sie keine Männer zu haben scheint, welche sich zu einer friedlichen Gesandtschaft nach Augh geeignet hätten!«

»Du willst uns beleidigen?«

»Nein. Ich kann keine Nation beleidigen, die ich beklage.«

»Wir gehen. Es wäre gut für Dich gewesen, wenn Du unsere Vorschläge angenommen hättest! Nicht wahr, Mylord?«

»Yes!«

»Geht! Euer Gott lenke Eure Pfade zum Frieden.«

Sie verließen das Zimmer und noch an demselben Tage mit ihrer ganzen Begleitung die Hauptstadt. Maletti blieb zurück.

Als dieser zum ersten Male erwachte, war es Nacht. Er schien sich allein im Zimmer zu befinden. Die Vorhänge seines Bettes waren zugezogen und durch sie fiel der Schein einer Lampe auf sein Lager. Er mußte sich erst besinnen, was mit ihm geschehen war. Ein heftiger Schmerz auf der Brust! und der Schulter half ihm sich zu orientiren.

Da bewegte sich ein Schatten zwischen ihm und dem Lichte hindurch. Der Vorhang theilte sich, ein kleines weißes Händchen erschien und dann ein Angesicht, dessen Schönheit ihn blendete, so daß er die müden Lider auf die Augen sinken ließ.

Sie hatte nicht bemerkt, daß seine Augen geöffnet gewesen waren; sie hielt ihn noch für besinnungslos und flößte ihm einen stärkenden Trank ein. Dann trocknete sie ihm den Schweiß von der Stirn und den Wangen, und er fühlte dabei den Hauch ihres Mundes. Ihr Gesicht mußte dem seinigen nahe sein. Er konnte sich nicht enthalten, er mußte die Augen aufschlagen.

Sie bemerkte es und fuhr mit einem Ausrufe zurück, welcher halb dem Schrecke und halb der Freude galt.

»Rabbadah!«

»Du erwachst, Du sprichst wieder!«

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Fünf Tage.«

»Fünf – Tage –!«

Es erschien ihm unglaublich, eine so lange Zeit nicht bei sich gewesen zu sein; es war ihm, als ob er vor kaum einer Stunde die Augen geschlossen habe.

»Ja, fünf Tage. Du warst sehr krank.«

»Und – Du bist bei mir!«

Sie erröthete.

»Es darf Niemand etwas wissen. Nur der Arzt, Dein Diener und Aimala wissen es.«

»Aimala! Wer ist das?«

»Das Weib meines Bruders.«

»Die mit – ah, die mit Dir herunterstürzte?«

»Ja, die. Sie war auch bereits bei Dir. Du hast uns das Leben gerettet, und wir wollten Dich des Nachts gern pflegen. Sprich zum Rajah nicht davon.«

Er bemerkte durch die Spalte des Vorhanges, daß ihre obere Hülle auf dem Divan lag. Sie war nur mit einem leichten Gewande bekleidet, welches sich so eng an ihre vollen herrlichen Formen schmiegte, daß er deutlich das Klopfen an seinen Schläfen hören konnte. Er schloß die Augen.

»Du bist wieder müde?« frug sie.

»Nein.«

»Du hast großen Schmerz?«

»Nein. Jetzt nicht. Wo ist der General Haftley?«

»Er ist fort.«

»Seit wann?«

»Seit dem Tage, an welchem Du uns rettetest.«

»O, er wird wiederkommen.«

»Denkst Du es?«

»Ja. Er wird wiederkommen mit einem Heere, und Augh wird unbewaffnet sein. Mein Gott, gib mir meine Gesundheit und meine Kraft zurück!«

»Sei ruhig! Du darfst Dich nicht aufregen. O, es war uns ja doch verboten mit Dir zu sprechen, wenn Du erwachen würdest. Ich muß den Arzt um Verzeihung bitten und ihn Dir sofort senden.«

»O bleibe!« bat er mit flehender Stimme.

Sie sah ihm in das Auge und bemerkte nun erst den Mangel ihrer Verhüllung. Tief erglühend trat sie schnell zurück, warf das Oberkleid über sich und eilte aus der Stube.

Am andern Morgen trat der Rajah bei ihm ein.

»Du bist erwacht, wie ich höre!«

»Ja, und ich fühle mich bereits besser als in der Nacht. Ich werde bald das Lager verlassen.«

»Du wirst es noch lange hüten müssen, wenn Du vollkommen hergestellt sein willst, sagt der Arzt. Deine Brust hat schwer gelitten. Du bist ein Held, ich muß Dich mir erhalten.«.

»Ich werde bis zu meinem Ende bei Dir sein!«

»Und ich werde Dir dafür danken, denn ich kann Dich brauchen, selbst wenn Du krank auf dem Lager liegest.«

Es war diesen Worten anzuhören, daß sie nicht ohne Grund ausgesprochen wurden.

»Wie könnte ich Dir jetzt dienen?«

»Durch Deinen Rath. Wirst Du nicht erschrecken?«

»Ich erschrecke nie.«

»Die Engländer nähern sich unserer Grenze!«

»Ah! Schon jetzt!«

»Fluch ihnen! Es war Alles auf den Krieg vorbereitet, noch ehe dieser elende Lord Haftley zu mir kam. Diese Gesandtschaft wurde nur zu dem Zwecke abgesendet, mir einen offiziellen Grund zur Feindseligkeit abzuzwingen. Es ist ihnen gelungen, denn es mußte ihnen gelingen.«

»Sind sie stark?«

»So stark, daß ich ihnen nur mit Hilfe meiner Nachbarn gewachsen bin. Ich habe schleunigst meine Boten zu ihnen gesandt.«

»Und Deine Krieger?«

»Sind sämmtliche unter die Waffen gerufen.«

»Ah! Und hiervon vernahm ich nichts!«

»Der Arzt gebot, es Dir zu verschweigen. O, hätte ich Artillerie!«

»Du sollst welche haben!«

Der Rajah fuhr erstaunt empor.

»Ich? Woher?«

»Ich nehme sie den Engländern ab und bringe sie.«

Es kam das Feuer des Krieges über ihn. Er erhob sich auf dem Lager und griff nach den Kleidern.

»Gieb mir so viele Krieger, als ich brauche, und ich werfe die Engländer mit ihren eigenen Geschützen über den Haufen!«

»Wie viele brauchst Du?«

»Das kann ich jetzt nicht wissen. Aber ich werde mich orientiren. Erlaube, daß ich mich ankleide! Ich darf nicht mehr ruhen; ich darf nicht mehr krank sein; ich muß kämpfen, kämpfen für Dich, mich und – Augh!«

Anstatt des letzteren Wortes wäre ihm beinahe ein anderer Name entfahren.

»Aber Du bist noch zu schwach!«

»Nein, ich bin nicht mehr schwach. Siehe mich an; blicke her! Bin ich krank?«

Er hatte seinen Degen von der Wand genommen und wirbelte ihn mit solcher Kraft und Behendigkeit um den Kopf, daß man in ihm allerdings keinen soeben erst vom Tode Erstandenen vermuthen konnte.

»Nun gut,« meinte der Rajah. »Ich brauche Dich, und will daher die Befehle des Arztes übertreten. Komme zu mir, um an unsern Berathungen teilzunehmen!«

Als Maletti in den Divan des Rajah trat, sah er alle Räthe des Herrschers versammelt. Er wurde mit größter Hochachtung von Allen begrüßt und mußte bald bemerken, daß der Palast bereits ein Hauptquartier bildete, in welchem fast von Minute zu Minute Berichte anlangten und Befehle ausgingen.

Alle verfügbaren Krieger waren bereits dem nahenden Feinde entgegengeschoben worden. Maletti erkannte die bisherigen Vorbereitungen, falls auf die Hilfe der Nachbarstaaten zu rechnen sei, als praktisch an und bat, ihn sofort zur Armee gehen zu lassen, um eine größere Rekognition vorzunehmen, von deren Ergebnissen das Weitere abhängig zu machen war.

Sein Wunsch wurde bewilligt. Der Maharajah wollte dann selbst zu seinen Truppen stoßen, um die Oberleitung zu übernehmen.

Während diesen Berathungen und so vielen andern nothwendigen Arbeiten war es Abend geworden. Um Mitternacht sollte Maletti mit zweihundert neu eingetroffenen Reitern die Hauptstadt verlassen. Als er sich auf diesen Ritt vorbereitet hatte, beschloß er, zum ersten Male von der Erlaubniß Rabbadahs, sie aufzusuchen, Gebrauch zu machen.

Nachdem er sich vergewissert hatte, daß er jetzt von dem Rajah gewiß nicht gesucht werde, schlich er sich nach dem Garten und gelangte glücklich bis vor das Kiosk in der Frauenabtheilung. Er gab das Zeichen. Drinnen ertönte sofort das Girren der Turteltaube.

Er stieg mit hoch klopfendem Herzen die wenigen Stufen empor, schob den Vorhang zur Seite und trat ein.

Da lag sie, so herrlich und prächtig, wie er trotz ihrer Schönheit sie sich niemals hätte ausmalen können. Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Ich wußte, daß Du kommen werdest.«

»Woher?«

»Ich hörte durch das Gitter Euren sämmtlichen Berathungen zu. Setze Dich!«

Er nahm an ihrer Seite Platz, und sie duldete es, daß er ihre Hand in der seinigen behielt.

»Werden wir hier nicht überrascht werden?« frug er.

»Nein. Ich habe meine Dienerin aufgestellt, welche mir ein Zeichen gibt, wenn Jemand kommen sollte.«

»Ist es dann für mich noch rechtzeitig, das Kiosk zu verlassen?«

»Nein. Du müßtest hier bleiben.«

»Um ertappt zu werden?«

»Wieder nein. Dieses Kiosk hat nur diesen einzigen Raum, aber es birgt dennoch gar sichere Verstecke. Es ist gebaut worden, um für den Herrscher und seine Familie zu allen Zeiten und in jeder Gefahr einen sichern Zufluchtsort zu bilden, wo man wenigstens eine augenblickliche Sicherheit erlangen kann. Du gehst zum Heere?«

»Um Mitternacht.«

»Aber Du bist krank!«

»Ich bin gesund!«

Sie schüttelte mit dem Kopfe.

»Du täuschest Dich. Dein Muth und Deine Kampfbegier lassen Dich nicht auf die Schmerzen achten. Und dennoch solltest Du Dich – dem Rajah erhalten!«

»Ich erhalte mich ihm, indem ich für ihn handele.«

»Du hast mir gelobt, aufrichtig und ohne Falsch mit mir zu sein!«

»Ja.«

»So sage mir ohne Hehl, ob Du für Augh befürchtest oder hoffst.«

»Noch keines von Beiden. Wenn meine Rekognition beendet ist, werde ich Dir antworten können. Werden wir uns in den Nachbarn nicht vielleicht irren?«

»Ich denke es nicht.«

»O, die Engländer sind schlau und wissen mit Geld und glänzenden Versprechungen auch einen sonst standhaften Verbündeten zu bethören. Es wäre fürchterlich, wenn, während wir ihnen entgegengehen, Augh von einer der anderen Seiten angegriffen würde!«

»Wir würden uns vertheidigen!«

»Womit?«

»Mit unsern eigenen Händen!«

»Ich glaube es Dir. Aber Ihr würdet sterben müssen, ehe wir Hilfe bringen könnten.«

»Sterben?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Dieses Kiosk würde uns eine sichere Zuflucht bieten.«

Er warf einen scharf forschenden Blick in dem Raume umher und konnte doch nichts entdecken, was im Stande war, diese Behauptung zu bestätigen.

Sie lächelte und meinte beinahe scherzend:

»Und wenn ganz Augh verwüstet und geplündert würde, Du würdest dennoch uns und unsere Schätze hier finden, selbst wenn das Kiosk verbrannt oder zertrümmert wäre. Du brauchtest nur meinen Namen zu rufen und das Zeichen des Bülbül zu geben.«

»Wohlan, das beruhigt mich, obgleich es nicht so weit kommen wird. Jetzt aber muß ich gehen, die Mitternacht ist nahe.«

Sie erhob sich ebenfalls wie er und wand sich den Gürtel von den schwellenden Hüften.

»Du kämpfest für uns und – auch für mich. Nimm diesen Shawl von mir; er mag Deine Waffen tragen und Dir ein Talisman sein in jeder Gefahr, welche Dir droht!«

»Wird er uns dem Rajah nicht verrathen?«

»Der Rajah kennt ihn nicht; trage ihn getrost!«

Sie schlang ihm das kostbare Geschenk mit eigener Hand um die Hüften und reichte ihm dann die Rechte zum Abschiede.

»Ziehe hin und kehre siegreich wieder!«

Er vermochte nicht zu sprechen. Sie stand vor ihm, so herrlich, so entzückend und doch so rein, so hehr und hoch, daß er um keinen Preis zu der geringsten Profanation dieses Augenblickes befähigt gewesen wäre. Er drückte nur ihre Hand an sein Herz und stammelte dann:

»Lebe wohl!«

Das Kiosk lag hinter ihm und eine halbe Stunde später, als er Abschied von dem Rajah genommen hatte, die Stadt. Er ritt an der Spitze seiner kleinen Truppe neben dem Führer dem Osten entgegen.

Es waren halb selige und halb bange Gefühle, welche sich in seinem Busen theilten. Die kräftigen Pferde flogen im Trabe über die weite Ebene dahin; es wurde kein lautes Wort gesprochen, und nur zuweilen ließ sich in den hinteren Gliedern ein flüsternder Ton vernehmen.

Da kam ihnen rascher Hufschlag entgegen. Drei Reiter wollten an ihnen vorüber.

»Halt!« rief Maletti. »Wohin?«

»Nach Augh,« lautete die Antwort.

Die drei Reiter erkannten jetzt, daß sie es mit einer ganzen Truppe zu thun hatten, und parirten ihre Pferde.

»Zu wem?«

»Zum Maharajah.«

»Woher?«

»Vom Schlachtfelde.«

»Vom Schlachtfelde? Ah! Es ist bereits eine Schlacht geschlagen? Du meinst wohl ein Treffen, ein kleines Gefecht!«

»Nein, eine Schlacht.«

»Welchen Ausgang hatte sie?«

»Die Inglis haben gesiegt. Sie kamen schneller, als wir dachten; sie kamen von allen Seiten, und wir hatten nur Reiterei, keine Kanonen und keinen Anführer. Die Truppen von Augh sind geschlagen, sind vernichtet, sind zerstreut in alle Winde. Wer seid Ihr?«

»Ich bin der Musteschar des Maharajah und wollte zu Euch.«

»O, Sahib, denke nicht, daß wir Feiglinge waren! Siehe unsere Wunden hier! Wir haben tapfer gekämpft, aber wir konnten ihnen nicht widerstehen.«

»Ich glaube Euch. Diese Inglis haben uns verrätherischer Weise überfallen, ehe wir uns für den Kampf zu rüsten vermochten. Wo wurde die Schlacht geschlagen?«

»Bei Hobrah.«

»Wie weit ist dies von hier?«

»Du reitest in acht Stunden dahin. Wir aber sind, um die Kunde schnell zu bringen, nur fünf Stunden geritten.«

»Wann begann der Kampf?«

»Heute am Nachmittage.«

»So sind die Inglis also nur ungefähr neun Stunden von der Hauptstadt entfernt. Eilt dorthin und sagt dem Rajah, daß ich versuchen werde, die in der Umgegend des Schlachtfeldes Zerstreuten schleunigst an mich zu ziehen, um mit ihnen die Hauptstadt zu decken. Ha, ein feiger Einfall ohne Kriegserklärung! Lebt wohl!«

Schon wollte er den Ritt in beschleunigter Eile fortsetzen, als er von einem Ausrufe des Schreckes zurückgehalten wurde.

»Was ist es?«

»Siehe das Feuer dort im Westen, Sahib!«

Er blickte zurück. Gerade in der Gegend, aus welcher sie kamen, zeigte sich der Horizont geröthet; erst ein schmaler Streifen nur, dann aber mit jedem Augenblicke höher und höher steigend, nahm das Phänomen eine Dimension an, welche zum Erschrecken war.

»Das ist kein Meteor; das ist ein richtiges, ein entsetzliches Feuer!«

»Das ist der Brand nicht eines Dorfes, sondern einer ganzen großen Stadt!«

In dem Innern des Franzosen kochte es. Vor sich eine verlorene Schlacht mit einem zerstreuten Heere in den Feldern, und hinter sich – Herrgott, ja, das konnte nichts Anderes sein als die Hauptstadt Augh, welche brannte. Und wie allein nur konnte dieser Brand entstanden sein? Er gab seinem Pferde die Sporen, daß es wiehernd hoch aufstieg.

»Umgekehrt, zurück! Augh ist überfallen und in Brand gesteckt worden. Reitet, was die Pferde laufen können, und haltet Euch zusammen!«

Das gab einen Ritt, als ob eine entfesselte Hölle hinter ihnen herfege. Es bedurfte kaum einer Viertelstunde, um die beinahe zwei Stunden weite Strecke zurückzulegen. Je näher sie kamen, desto deutlicher sahen sie, daß sie sich nicht geirrt hatten. Der größte Theil der Stadt stand in Flammen; das konnte unmöglich die Folge eines einzeln in der Stadt ausgebrochenen Feuerschadens sein. Bald kamen ihnen einzelne flüchtige Reiter entgegen.

»Was ist geschehen?« frug Alphons den erstem.

»Der Sultan von Symoore hat Augh überfallen, und vom Westen ist auch schon der Rajah von Kamooh im Anzuge.«

Maletti knirschte mit den Zähnen.

»Ein längst vorbereitetes und sorgfältig geheim gehaltenes Bubenstück! Wo ist Madpur Sing, der Maharajah?«

»Niemand weiß es; Niemand hat ihn gesehen.«

»Ist der Feind stark?«

»Viele tausend Mann.«

»Wohlan! Wer geht mit mir, um den Rajah zu retten?«

»Wir Alle!«

»Bravo! Nehmt breite Linie! Jeder Reiter, welcher uns begegnet um zu fliehen, wird angehalten und muß uns folgen!«

Der Trupp donnerte weiter, und als er sich in unmittelbarer Nähe befand, bestand er aus gegen vierhundert muthigen, wohlbewaffneten Männern.

»Jetzt gerade zum Palaste des Rajah hin. Vorwärts!«

Er voran, die Andern hinter ihm drein, brausten sie wie ein Sturmwind in die Stadt hinein.

Der Feind bestand glücklicher Weise nicht mehr aus fest geschlossenen Truppenkörpern; er hatte sich zerstreut um zu plündern. Nur hier oder da fiel ein Schuß oder stellte sich ein kleinerer Trupp den todesmuthigen Reitern entgegen; aber solche Hindernisse wurden einfach überritten. Maletti hatte das beste Pferd aus dem Stalle des Rajah empfangen. Erst hatte er dies bezweifeln wollen, jetzt aber, da er die Leistung dieses Thieres sah, glaubte er daran.

Je näher sie dem Schlosse kamen, desto dichter wurde der Feind, und vor dem Palaste selbst wogte noch ein außerordentlich erbitterter Einzelkampf.

»Hurrah, drauf und hinein!« rief Alphons, sein Pferd in die Höhe nehmend und den Säbel schwingend.

Der Feind stutzte erst überrascht; als er aber erkannte, mit welch kleiner Anzahl Gegner er es zu thun hatte, begann er ein mörderisches Kugelfeuer, welches sofort die Reihen der Helden zu lichten begann. Auf den durcheilten Straßen waren ihrer bereits eine Anzahl gefallen; jetzt schien es, als ob sie der Vernichtung geweiht seien.

Maletti sah einige der Diener, welche sich zusammengerottet hatten, im Hofe kämpfen. Er fuhr wie ein Wind zum Thore hinein, auf ihre Gegner zu und ritt sie auseinander.

»O, Sahib, Du wieder hier!« scholl es ihm entgegen.

»Wo ist der Rajah?«

»Nach dem Garten.«

»Und das Harem?«

»Ist mit ihm.«

»Flieht auch dorthin. Anderswo ist keine Rettung!«

Ohne abzusteigen sprengte er die Treppe empor, durch den weiten Flur des Palastes, wo er mehrere Feinde niederstreckte, hindurch und dann hinaus in den Garten. Auch hier wogte der Kampf und tönte gellendes Wuth- oder Siegesgeschrei. Rabbadah harte von einer Zuflucht im Kiosk gesprochen. Der Maharajah, wenn er noch lebte, mußte dort zu finden sein.

Die einzelnen Feinde theils niederschlagend, theils niederreitend, gewann er die Frauenabtheilung des Gartens. Da ertönte hinter ihm das Schnauben von Pferden. Er blickte sich um. Fünf von seinen Wackern waren ihm gefolgt und holten ihn ein. Die köstlichen Anlagen und Blumen nicht achtend, ging es beim Scheine des brennenden Palastes gerade auf das Kiosk los. Da plötzlich riß er sein Pferd zurück. Vor ihm lagen zwei Leichen, die eines Mannes und eines Weibes, welche sich umschlungen hielten. Es war der Maharajah und sein Weib, der Leib des ersteren von Kugeln und Stichen ganz durchlöchert. Was war aus der Begum geworden?

»Rettet diese Leichen. Nehmt sie auf!«

Nach diesem Befehle setzte er zwischen einige Hecken hindurch und erreichte den kleinen freien Platz, auf welchem das Kiosk errichtet war. Was er da erblickte, ließ ihm die Haare zu Berge steigen.

Auf einer der Stufen zum Kiosk hatte Rabbadah gestanden und sich mit einem krummen Scirimar nach Kräften vertheidigt. Sie war unverwundet. Man hatte sie geschont; zu welchem Zwecke, das sollte sie gleich sehen. Zwei Feinde zugleich faßten sie und entrangen ihr die Waffe.

»Wo ist der Schatz des Maharajah?« brüllten sie.

»Sucht ihn!« antwortete sie.

Aus dreißig Kehlen antwortete ein Schrei der Wuth und der Drohung.

»Du bist die Begum; Du weißt, wo der Schatz sich befindet. Sage es, sonst stirbst Du unter tausend Qualen!«

»Martert mich!«

»Wohlan, brennt ihr zunächst den Turban an!«

Sie wurde von Vier oder Fünf festgehalten, und ein Sechster brachte einen schnell herbeigeholten Brand, um die grauenhafte Drohung wahr zu machen.

Dies war der Augenblick, an welchem Malettis Rappe die Hecke durchbrach.

»Rabbadah!«

Nur diesen einen Ruf stieß er aus, dann war er auch schon mitten zwischen den Feinden, welche überrascht zurückwichen. Er benutzte diesen Augenblick sofort.

»Herauf zu mir!«

Zwei scharfe Säbelhiebe, das Pferd auf den Hinterhufen herumgerissen, ein rascher energischer Griff – die Geliebte lag vor ihm auf dem Pferde. Zugleich erschienen seine fünf Begleiter, zwei von ihnen mit den Leichen vor sich.

»Mir nach, über die Mauer in den Fluß. Vorwärts!«

Wie die wilde Jagd ging es weiter. Alphons kannte eine niedrige Stelle der Mauer, welche ein guter Reiter wohl zu überfliegen vermochte. Er sprengte zunächst in die Männerabtheilung des Gartens zurück und dann gerade auf diese Stelle zu. Die Andern folgten.

»Rabbadah, erschrick nicht. Wir stürzen in den Fluß!«

»Ich erschrecke nicht!«

»Aufgepaßt! Hurrah!«

Er nahm den Rappen empor, und das gewandte sprungkräftige Thier flog wie ein Pfeil hinüber, mitten in die Fluthen des unmittelbar hinter der Gartenmauer dahinrauschenden Stromes hinein. Noch fünf ebenso glückliche Sprünge, und die sechs Reiter hielten auf das gegenüberliegende Ufer zu, welches sie glücklich erreichten, obgleich drei der Pferde doppelte Lasten zu tragen hatten.

»Wohin jetzt, Sahib?« frag einer der Männer.

»Steigt ab und laßt Eure Pferde erst verschnaufen. Wenigstens für kurze Zeit sind wir hier jetzt sicher. Wir haben noch einen guten Ritt und müssen dann noch einmal über das Wasser.«

Er stieg mit Rabbadah ab, und die Andern folgten ihm, sich in respektvoller Entfernung von Beiden haltend. Die Begum war zwar vollständig durchnäßt, bei dem Klima Indiens aber war dies nicht gefährlich. Sie achtete nicht der triefenden Kleidungsstücke, die sich eng an ihre Gestalt anlegten; sie warf sich auf die Leichen des Bruders und der Schwägerin und benetzte sie mit heißen wortlosen Thränen.

Dann trat sie zu Maletti und reichte ihm die Hand.

»Du warst fort. Wie kamst Du als Retter zurück in diese gräßliche Noth?«

»Ich sah den Schein des Feuers und ahnte was geschehen war. Darum kehrte ich um.«

»Ich danke Dir! Weniger für meine Rettung als vielmehr dafür, daß Du mir hier diese Beiden erhalten hast. Ist Alles verloren?«

»Alles! Die Inglis haben uns am Nachmittage vollständig geschlagen; der Sultan von Symoore hat Augh genommen, und von Westen her stürmt der Rajah von Kamooh heran.«

Sie faltete die Hände und schwieg. Dann aber hob sie die Rechte zum Himmel empor. Sie stand da gleich einem überirdischen Wesen, von den Flammen der brennenden Stadt und den blutigen Reflexen des Stromes beleuchtet.

»Fluch, dreifacher Fluch diesen Inglis! Sie schimpfen und höhnen, sie treiben und hetzen, sie lügen und betrügen, sie sengen und brennen, sie plündern und morden; Fluch ihnen, tausendfacher Fluch!«

Das war ein fürchterliches Wort, und Maletti wußte nur zu gut, ob es Wahrheit oder Unwahrheit enthalte.

»Wie ist das heut nach meinem Scheiden so gekommen?« frug er. »Erzähle es mir!«

»Jetzt nicht. Ich kann nicht denken, ich kann nicht erzählen, ich kann nur fluchen, fluchen diesen Inglis und diesen Teufeln aus Symoore und Kamooh, welche uns Freundschaft heuchelten und doch mit dem Feinde buhlten, um unsere Schätze zu erhalten. Kein Mogul, kein Schah, kein Sultan und kein Maharajah hat solche Schätze wie der Maharajah von Augh, und das wußten sie. Sie wollten diese Schätze haben, aber sie sollen sie nicht erhalten. Der Maharajah von Augh, der edelste und gerechteste der Könige ist todt, verrathen von den Inglis und, treulos gemordet von seinen Freunden. Seine Schätze gehören der Begum und sollen nie in ihre Hände fallen; das schwöre ich bei den Geistern der beiden Gemordeten hier zu meinen Füßen!«


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