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Sechstes Kapitel. Der Seekadett

Es war am frühen Morgen. Zwar hatte es noch nicht vier Uhr geschlagen, doch machte sich bereits das rege Leben einer Residenzstadt bemerklich. Die letzten Nachtschwärmer taumelten bleichen Angesichtes nach Hause und gaben sich Mühe, sich nicht vor den Milch- und Gemüsefrauen zu schämen, welche bereits vom Lande hereingekommen waren, um ihre täglichen und frühen Käufer und Kunden zu befriedigen. Hier und da öffnete sich eine Hausthür, aus welcher ein bereits munteres oder auch noch ziemlich verschlafen aussehendes Dienstmädchen trat, und hier und da konnte man wohl auch einen Arbeiter bemerken, welcher den Weg nach einer entfernten Fabrik einschlug.

In dem Gasthofe der früheren Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller herrschte auch schon einiges Leben. Wenigstens hörte man ein Paar Holzpantoffeln kräftig durch die Hausflur traben, und dann rief eine dröhnende Baßstimme:

»Parpara!«

Keine Antwort erfolgte.

»Liepe Parpara!«

Es blieb so stumm wie vorher.

»Meine herzliepe Parpara!!!«

Auch jetzt war nichts zu hören.

»Donnerwetter! Parpara, mein Taupchen!!!!«

Es schien gar keine Barbara mehr zu geben.

»Na, Himmelpataillon, Parpara, Du alte Schlafmütze, kommst Du denn eigentlich oder kommst Du nicht, mein gutes Weipchen!«

Als auch dieser Ruf vergeblich war, lief dem guten Gastwirth und Schmiedemeister Thomas Schubert denn doch die Galle über.

»Kreuz-Mohren-Schock-Granaten-Hagel- und Graupelwetter, ist das eine Zucht und eine Supordnung in diesem Hause! Warte, ich werde Dir gleich einmal die Reveille trommeln, Du alte Nachthaupe Du!«

Er nahm die beiden Holzpantoffeln von den Füßen und begann mit ihnen auf der Treppenstufe einen solchen Sturmmarsch zu schlagen, daß das ganze Haus zu wackeln schien. Da aber wurde ganz plötzlich die Küchenthür geöffnet, und wer stand da, die weiße Schürze vorgebunden, ein nettes Häubchen auf dem Kopfe und die beiden dicken Arme drohend in die Hüften gestemmt? Die leibhaftige Frau Barbara, die von ihrem Eheliebling aus dem Bette getrommelt werden sollte.

»Was ist mir denn das, Thomas, he?«

Bei dieser Stimme fuhr der Wirth erschrocken herum und ließ vor hellem lichtem Erstaunen beide Pantoffeln aus den Händen fallen.

»Parpara – – –!«

Er machte dazu ein Gesicht, als ob er ein Gespenst vor sich sehe.

»Thomas – – –!« antwortete sie in der gleichen Weise.

»Pist Du es denn wirklich, oder pist Du es denn wirklich nicht?«

»Ich bin es wirklich noch nicht,« antwortete sie, das Lachen verbeißend.

»Aper, liepe Parpara – –«

»Aber, lieber Thomas – –«

»Ja, aper meine peste liepste Parpara, ich denke daß – –«

»Aber mein bester liebster Thomas, was denkst Du denn eigentlich?«

»Ich denke, Du liegst noch dropen im Pette!«

»Und wozu denn eigentlich der Heidenspektakel hier im Hause!«

»Ich wollte Dich soepen heruntertrommeln!«

»So! Du konntest wohl nicht erst in der Küche nachsehen?«

»In der Küche? Donnerwetter, daran hape ich vor lauter Eile und Arpeit gar nicht denken können; das kannst Du mir glaupen!«

»Was hast Du denn für so eilige Arbeit?«

»Das kannst Du Dir doch denken, meine gute Parpara.«

»Nein, das kann ich mir gar nicht denken, das mußt Du mir sagen.«

»Nun, Du weißt doch, daß morgen der Kurt – wollte sagen, der Herr Seekadett kommen will, und da – da – –«

»Nun! Und da – – –?«

»Und da – – – da pin ich heut Etwas pei Zeiten er aufgestanden.«

»Zu welchem Zwecke denn eigentlich, mein bester Thomas?«

»Ich wollte – –«

»Du wolltest – –«

»Den Riegel an der Gartenthüre – –«

»Du wolltest den Riegel an der Gartenthüre – –«

»Ich wollte den Riegel an der Gartenthüre repariren – –«

»Warum denn das heute so früh?«

»Na, Parpara, siehst Du denn nicht ein, daß es dem Kurt, Donnerwetter, dem Herrn Seekadett auch einfallen könnte hinten herein zu kommen, statt vorne durch die Hausthür! Und da muß doch unpedingt der Riegel reparirt worden sein. Was soll der junge Herr denn sonst von mir denken!«

Da konnte sich die gute Barbara nicht länger halten; sie brach in ein schallendes Gelächter aus, welches beinahe denselben Eindruck machte wie vorhin die Pantoffelreveille ihres Herrn Gemahles.

»Also, weil morgen der Kurt kommen will, steht dieser Mann heut bei nachtschlafender Zeit schon auf, um einen Nagel in der Gartenthür festzuschlagen. Und dann trommelt er mich aus dem Schlafe, während ich doch bereits eine ganze Stunde lang in der Küche stehe! Thomas, Thomas, ich weiß wahrhaftig gar nicht, was ich heut von Dir denken soll!«

»Eine ganze Stunde in der Küche?«

»Ja.«

»Aper weshalp denn nur? Was hast Du denn gemacht?«

»Ich? Hm! Ich habe – –«

»Du hast – –?«

»Gekocht – –«

»Gekocht? Was denn?«

»Oder vielmehr, gebraten.«

»Gepraten also! Was denn?«

»Nein, ich habe gesotten.«

»Gesotten? Gut! Aper was hast Du gesotten?«

»Das kannst Du Dir doch denken!«

»Ich kann mir nichts denken. Vielleicht Karpfen?«

»Ist lange fertig!« antwortete sie stolz.

»Schleie?«

»Mag Kurt keine, weil sie zu sehr nach Schlamm schmecken.«

»Krepse?«

»Lange fertig!«

»Eier?«

»Auch fertig!«

»Donnerwetter, was denn, he, Parpara?«

»Muß denn blos etwas zum Essen gesotten werden?«

»Was denn sonst?«

»Nun, zum Beispiel, Schmiere!«

»Schmiere? Was denn für Schmiere?«

»Stiefelschmiere!«

»Stiefelschmiere? Aper die hast Du doch nicht gesotten?«

»Und doch!«

»Nicht möglich! Früh um drei Uhr!«

»Aus Fischthran und Talglichtstummeln, das wird die beste Stiefelschmiere.«

»Aus Thran und Stummeln? Für wen denn eigentlich, meine Parpara?«

»Nun, für – –«

»Nun, für? – –«

»Für den jungen Herrn Seekadett Kurt Schubert.«

Jetzt war die Reihe den Mund aufzusperren an dem Gastwirth.

»Für den Herrn Seekadett – – –!«

»Ja.«

»Stiefelschmiere?«

»Ja.«

»Aus Fischthran und Inseltstummeln?«

»Ja.«

»Na, Parpara, nun hört mir aper doch Alles und Verschiedenes auf! So etwas ist noch gar nicht da gewesen! Steht diese Madame Parpara Schupert früh Punkt drei Viertel auf drei Uhr auf, um Stiefelschmiere zu sieden, Stiefelschmiere aus Talg und Fischthran, weil morgen der Kurt zum Pesuche kommen will! Was will denn der damit?«

»Kannst Du Dir denn nicht denken, daß er auch einmal geschmierte Stiefel verlangen könnte anstatt gewichste?«

»Heiliges Pech! Ein Seekadett und geschmierte Stiefel!«

»Heiliges Pech! Ein Seekadett und durch die Gartenpforte Einzug halten!«

»Parpara, ärgere mich nicht!«

»Thomas, bringe mich nicht in Harnisch!«

»Mach keinen Spaß; Du pist ja gar nicht in Harnisch zu pringen!«

»Und Du, Alter, müßtest Dich recht possirlich ausnehmen, wenn Du einmal thun wolltest, als ob Du Dich ärgertest! Ich glaube, daß Du gar keine Galle hast.«

»Glaupst Du? Hm, wenn ich einmal hinein komme, so hape ich sogar sehr viele Gallen; aper ich hape ein gutes Weipchen, eine Frau, die meine Galle nicht in Aufregung pringt.«

»Und ich ein liebes Männchen, das mich gewiß niemals in Harnisch versetzen wird.«

»Ja, Parpara, als wir uns heiratheten, hapen wir alle Peide in einen großen Glückstopf gegriffen. Aper, was ich sagen wollte, wenn dieser Kurt, oder vielmehr unser Herr Seekadett, morgen kommt, so müssen wir Alles aufpieten, um ihm zu zeigen, daß er uns – – –«

Er hielt inne. Sein Auge war nach dem Hofe hingerichtet; er sperrte den Mund mit einer Miene auf, in welcher sich die allergrößeste Ueberraschung ausdrückte.

»Parpara, da ist er!«

Sie wandte sich um und schlug dann, vor Freude am ganzen Gesichte glänzend, die Hände zusammen.

»Kurt!« rief sie.

»Kurt!« rief nun auch der Gastwirth.

»Herr Kadett!« verbesserte sie sich sofort.

»Herr Kadett!« verbesserte sich auch Schubert.

Draußen im Hofe stand er, strahlend vor Jugend und Kraft, und die schmucke Uniform, welche er trug, war ganz geeignet, die Formen seines kräftigen Körpers hervorzuheben.

»Onkel! Tante!«

Mit diesem Rufe kam er herbeigesprungen und schloß Beide zugleich in seine Arme.

»Willkommen, Herr – – –«

»Papperlapapp, liebe Tante, laß nur das Tituliren! Ich heiße Kurt, verstehst Du?«

»Gut, wie Du willst. – Also, willkommen lieber Kurt! Ich denke, daß Du – –«

»Ja, willkommen lieper Kurt!« meinte, sie unterbrechend, auch der Schmied.

»Ich denke,« fuhr Frau Barbara fort, »daß Du erst morgen kommen willst.«

»So schrieb ich Euch, weil ich Euch gern überraschen wollte. Ist es mir gelungen?«

»Sehr!«

»Sehr!« bekräftigte der Schmied. »Aper, Kerl, was Du hüpsch und sauper geworden pist in der Zeit, die wir einander nicht gesehen hapen!«

»Ja,« stimmte Barbara bei, »zum Anbeißen.«

»So beiße an, liebe Tante!«

Er umschlang sie wieder und drückte einen herzhaften Kuß auf ihre Lippen.

»Aber,« frug sie, »wie kommt es denn, daß Du so zeitig kommst?«

»Ich bin mit dem Nachtzuge gefahren.«

»Und durch den Garten – –!«

»Geradewegs über den Zaun!« lachte er.

»Hape ich also nicht Recht gehapt, Parpara?« frug der Schmied mit wichtiger Miene.

»Ja,« antwortete sie lachend; »ich gönne Dir es gern. Doch wer ist denn – – –?«

Im Hofe erschien nämlich ein zweiter junger Mann in ganz derselben Kleidung wie Kurt Schubert, der ihm ein Zeichen gab, herbei zu treten.

»Da kommt noch ein Freund und Kamerad von, mir, der mir zu Gefallen mit über den Zaun gesprungen ist und sich dann ein wenig versteckte, weil er uns nicht stören wollte.«

»Her mit ihm!« kornmandirte Thomas. »Ist uns herzlich willkommen.«

»Ja, kommen Sie nur näher, junger Herr!« knixte Barbara. »Große Ehre für uns.«

»Graf Karl von Mylungen,« stellte Kurt den Kameraden vor.

Thomas riskirte zunächst eine tiefe Verbeugung; da diese aber nicht ganz gelingen wollte, so richtete er sich stramm empor, hielt die linke Hand an die Hosennaht und die Rechte an den Mützenschild, ein Honneur, welches ihm von seiner Dienstzeit her geläufig war.

»Zu Pefehl, Herr Graf, hapen Sie die Güte, sich in die Stupe zu verfügen!«

Barbara riß die Thür auf und ließ die beiden Gäste eintreten, dann eilte sie zur Küche, um den ersten Pflichten der Gastfreundschaft obzuliegen.

»Wo sind die Gesellen?« frug Kurt.

»Die schlafen noch, weil sie gestern bis zum späten Apend arpeiten mußten.«

»Hast sie alle noch?«

»Alle.«

»Wirst originelle Leute kennen lernen,« erklärte Kurt dem Freunde. »Von dem früheren Hufschmied Brandauer habe ich Dir erzählt. Der Onkel war Obergeselle bei ihm und hatte zwei Mitgesellen, den Baldrian und den Heinrich; sie sind jetzt hier beim Onkel, seit dieser Hofschmied geworden ist, und mit ihnen der frühere Lehrjunge Fritz, ein sehr gelungener Kerl, der nur den Fehler hat, daß er die beiden Andern gern ein wenig ärgert. Vom Baldrian hörest Du den ganzen Tag kein anderes Wort als »das ist an Dem«, oder wie er sich ausdrückt »das ist am Den«, und der Heinrich, welcher früher Artillerist gewesen ist, erzählt Schießabenteuer, in denen er das Blaue vom Himmel herunter lügt.«

»Ja,« fiel der Wirth ein, »lügen kann er wie gedruckt, das ist wahr. Aper, es ist doch gewiß, wenn man den Teufel an die Wand malt, da kommt er sicher!«

Die Thür war nämlich aufgegangen, und die drei Genannten erschienen auf der Schwelle.

»Was, der Herr Seekadett!« rief Heinrich. »Ists möglich? Guten Morgen und Willkommen! Das ist eine Ueberraschung! Wir dachten, Sie kämen erst morgen.«

Er gab Kurt die Hand.

»Das ist am Den!« meinte Baldrian und reichte seine Hand auch her.

Auch Fritz brachte seinen Gruß an; dann frug Heinrich mit unternehmender Miene:

»Herr Kadett, nicht wahr, nun haben. Sie es auch mit Kanonen zu thun?«

»Freilich!«

»Schön! Die Artillerie ist die allerbeste und interessanteste Waffe, nicht wahr?«

»Vielleicht.«

»Nicht nur vielleicht, sondern ganz gewiß! Allerdings ist ein großer Unterschied zwischen der Marineartillerie und der Feldartillerie, den man beherzigen muß.«

»Welcher?«

»Nun das ist doch sehr einfach: Die Marineartillerie wird auf dem Schiffe, und die Feldartillerie wird auf dem festen Lande gebraucht; das ist leicht zu begreifen.«

Kurt lachte.

»Schau, was Du klug und weise bist!«

»Nicht wahr? Aber das war nur die Einleitung, denn nun kommt die Folge, daß die Feldartillerie viel sicherer schießen muß als. die Marineartillerie.«

»Möchte es doch nicht ganz zugeben.«

»Nicht? Das Schiff schaukelt; wer soll da sicher schießen?

Zu Lande ist das etwas ganz Anderes; da schießt man auf fünftausend Schritte einem die Pfeife aus dem Maule.«

»Oho!«

»Oho? Einmal bei der Feldübung springt ein Hase auf. Da kommt der Hauptmann schnell zu mir herübergelaufen und fragt: »Heinrich, getraust Du Dir, ihn zu treffen?«

»Allemal, Herr Hauptmann.«

»Zwanzig Groschen kriegst Du; aber das Fell muß ganz bleiben.«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann.«

Ich ziele, drücke ab, und die Kugel nimmt ihm die beiden Vorderbeine weg, so daß er nicht mehr laufen kann. Der Hauptmann läßt ihn holen und todtschlagen, und ich habe meine zwanzig Groschen. Ist so etwas auf der See möglich, Herr Seekadett?«

»Ich glaube nicht,« lachte dieser.

»Nicht?« frug da Fritz, der vormalige Lehrjunge. »Warum nicht? Ich kann das Gegentheil beweisen. Wir fuhren von Amerika über den großen Ozean nach Australien. Da plötzlich springt eine alte Häsin vor uns auf, und weil das Schiff zu langsam fuhr, nahm ich die Kanone unter den linken Arm, die Kugel in die rechte Hand und sprang zu gleichen Beinen hinter dem Viehzeuge her. Als ich im Laufen geladen hatte, drückte ich ab und schoß dem Thiere die beiden rechten Läufe weg. Es war wirklich eine Häsin, und als ich ihr den Gnadenstoß versetzte, meinte sie; »Fritz, richte mir ein Kompliment aus an den Heinrich; ich bin die Wittwe von dem Hasen, den er damals geschossen hat!«

Baldrian nickte bedächtig.

»Das ist am Den!« meinte er zustimmend.

Alle lachten von ganzem Herzen. Heinrich aber fuhr zornig empor.

»Dummer Junge!«

Mit diesem gefühlvollen Worte und einem niederschmetternden Blicke auf Fritz verließ er den Schauplatz seiner moralischen Niederlage.

Bald darauf erschien Frau Barbara mit dem Morgenkaffee, bei welchem alle Neuigkeiten gegenseitig ausgetauscht wurden. Man war damit noch lange nicht fertig, als sich die Thür öffnete und eine Person eintrat, bei deren Anblick sich Alle sofort erhoben.

Es war Max, der Kronprinz.

»Guten Morgen,« grüßte er freundlich. »Frau Barbara, mir auch eine Tasse!«

»Augenblicklich!« knixte sie und verschwand in der Küche.

»Thomas, hast Du heute Zeit zum Beschlagen?«

»Zu Pefehl, Königliche Hoheit!«

»So komme auf das Schloß. Ah, da ist der Besuch wohl bereits eingetroffen?«

»Zu Pefehl, Königliche Hoheit! Sie hapen meinen Neffen noch nicht gesehen?«

»Nein.«

»Der da ist es, mit dem plonden Haare und den schwarzen Augen.«

Der Kronprinz reichte Kurt die Hand.

»Willkommen in der Heimath, Herr Schubert! Sie tragen einen Namen, den ich gern nennen höre. Ich hoffe, daß er mir öfters genannt werde. Und dieser Herr? Ein Kamerad von Ihnen, der sich Ihnen angeschlossen hat?«

»Graf Karl von Mylungen, Königliche Hoheit.«

»Mylungen? Ein Süderländer? Ah, ich erinnere mich. Sie wurden bei uns naturalisirt, damit Sie nicht in die Dienste Süderlands zu treten brauchten?«

»So ist es, Königliche Hoheit,« antwortete der junge Graf.

»Diese interessante Angelegenheit kam auch mir in die Hand, und ich gab meine Unterschrift und mein Fürwort, ohne den Grund zu kennen, der Sie veranlaßte, norländische Dienste zu nehmen. Darf man ihn erfahren?«

»Königliche Hoheit, Familienangelegenheiten – –«

»Ah, so –! Man darf nicht allzu wißbegierig sein, aber es ist. mir doch, als ob ein Weniges von diesen Familienangelegenheiten auch vor mir zur Sprache gekommen sei. Erscheint Ihr Herr Vater bei Hofe?«

»Nein.«

»Ich höre, der König von Süderland schenke ihm seine Achtung.«

»So ist es, Papa aber zieht sich zurück, um Begegnungen zu vermeiden, welche sehr im Stande sein dürften, unangenehme Gefühle in ihm zu erwecken.«

»Ich verstehe das, und da ich die betreffende Person genau kenne, so sagen Sie Ihrem Vater, dem Grafen, daß ich ihm gern zur Verfügung stehe, wenn es einmal gelten sollte, die betreffenden Angelegenheiten zu entwickeln.«

Hierauf wandte er sich wieder an Kurt:

»Wie lange bleiben Sie hier?«

»Nur einige Stunden, Hoheit.«

»Oho!« fiel Schubert ein. »Ich glaupe gar, heute schon wieder fortgehen!«

»Allerdings, Onkel; aber ich komme sehr bald wieder.«

»Wo willst Du denn hin?«

»Das ist sehr leicht zu errathen: zum General. Ich bin sein Pflegesohn, und da versteht es sich von selbst, daß ich mich ihm noch heute vorstelle.«

»Weiß er wann Du kommst?«

»Ich habe geschrieben, daß ich morgen komme; ich will ihn überraschen, gerade wie Euch.«

»Aper Du mußt sehr pald wiederkommen, das sage ich Dir sehr ernstlich!«

»Gewiß, Onkel; Du kannst darauf rechnen.«

»Und wenn Du nach Helpigsdorf kommst, so grüße mir Deine Mutter.«

»Versteht sich!«

»Und die kleine Magda, und den Herrn General und die drei Jungfern.«

»Natürlich Alle!«

»Und – ja, was ich sagen wollte, ich hape einen Prief pekommen. Rathe einmal, von wem er ist!«

Ueber das Gesicht Kurts fuhr die Röthe der Freude.

»Von – von meinem Vater?«

»Ja.«

»Wo hast Du ihn?«

»Dropen in der Kommode.«

»Hole ihn, lieber Onkel, hole ihn! Ach, Entschuldigung, Königliche Hoheit!«

»Geniren Sie sich nicht! Es ist leicht begreiflich, daß der Sohn sich sehnt eine Nachricht vom Vater zu erhalten. Apropos, Sie haben ihn noch gar nicht gesehen?«

»Noch niemals.«

»Seltsame Umstände! Die Verhältnisse haben es so gefügt, daß sein Schiff sehr lange Zeit die Heimath nicht angelaufen hat. Aber geschrieben haben Sie?«

»Oefters; doch ist es unsicher, ob er meine Briefe erhalten hat.«

»Er mag Urlaub nehmen!«

Jetzt kam der Wirth, welcher sich entfernt hatte, wieder zurück und brachte einen Brief, der allem Anscheine nach sehr oft durchgelesen worden war. Kurt nahm ihn in Empfang und blickte auf den Kronprinzen.

»Lesen Sie immerhin,« meinte dieser. »Ich bitte sogar ihn vorzulesen, denn ich möchte selbst gern wissen, was der alte ehrliche Steuermann schreibt.«

Kurts Augen hafteten mit sichtbarer Rührung an dem höchst sonderbar stilisirten Brief, dessen Orthographie eine ebenso eigenthümliche war wie die Schrift, welche dem Schreiber sicher manchen Tropfen Schweißes gekostet hatten. Er lautete:

 

»Lieber Bruhder.

Hier lügen Wir vor Badafia, der Teifel hole die Hizze und die Langeweule! Ich schreiwe Dihr, aber ich mache es kurzz, denn ich habe kein Geschihke dazuh.

Wie? Einen Jungen häte Ich? Heiliche Kreuzstänge! Ich weis kein Wort von! Awer Ich glauwe es. Und die Gußtel läbt noch? Donerwätter! Juchhee! Ich komme, awer noch nigt gleuch, denn Ich und der Boodsmann, Wir haben Etwaß vor, was ärst färtig seyn muss.

Gott sei Dank, dießer Brief ißt alle. Wihr gehen von hür nach Pompei. Schreiwe auch an Mich, awer Meer als Ich. Daußend Grieße an alle von Mier und dem Boodsmann.

Dein Bruhder Steuermann.« –

 

Am Nachmittage saßen die beiden Kadetten im Koupee. Sie befanden sich allein darin und waren also ungestört.

»Wie gefallen dir meine Verwandten?«

»Außerordentlich.«

»Das konnte ich nicht vermuthen.«

»Weil es so einfache Leute sind? Pah, ich gebe den Teufel auf Aeußerlichkeiten! Diese Leute sind herzensbrav. Der Edelstein hat auch ungeschliffen seinen Werth; durch den Schliff verliert er an Volumen. Und verkehrt nicht sogar der König und der Kronprinz bei Deinem Onkel! Eigentlich sind dies recht interessante Verhältnisse.«

»Allerdings. Der Kronprinz war selbst Schmiedesohn. Er wurde seinen Eltern durch den Herzog von Raumburg geraubt, welcher nach der Krone trachtete, und kam durch eine Zigeunerin Namens Zarba in das Haus des Hofschmieds Brandauer. Dessen Sohn wurde mit ihm verwechselt und als ein Prinz von Sternburg erzogen. Es ist der jetzige Admiral. An diese Begebenheiten knüpfen sich noch Dinge und Verwickelungen, welche Stoff zu vielen Romanbänden geben würden.«

»Von dem Romantischen hast Du auch ein kleines Quantum erhalten.«

»Allerdings, und hoffentlich zu meinem Glücke.«

»Ich bin begierig, die Familie Deines Pflegevaters kennen zu lernen.«

»Sie ist interessant. Der General selbst ist ein alter wackerer Degenknopf, der sich in der Gesellschaft seiner zwölf Hunde am wohlsten befindet, und die Damen sind auch ganz gut, wenn man ihre kleinen Eigenheiten zu berücksichtigen versteht. Ich habe Dir alle Personen genau beschrieben, so daß Du Dich genau darnach richten kannst.«

»Ich interessire mich für den General, weil er für den größten Feind Süderlands gilt.«

»Du hast eine tiefe Aversion gegen Dein Vaterland. Mir unbegreiflich!«

»Und doch sehr natürlich, wenn Du mir die Bemerkung gestattest, daß ich nicht mein Vaterland, sondern gewisse Personen und Zustände hasse, welche für meine Familie verhängnißvoll geworden sind.«

»Der Kronprinz frug Dich heute darnach, und Du wichest ihm aus. Wäre ich ein so mächtiger Mann, ich würde mich ebenso darnach erkundigen, um Dir meine Hilfe anzubieten.«

»Das sind Dinge, über welche man am liebsten schweigt. Doch mit einem vertrauten Freunde kann man vielleicht eher darüber sprechen, als mit einem Andern, selbst wenn dieser Andere ein Kronprinz oder ein König wäre. Ich weiß, daß Du schweigen kannst.«

»Natürlich!«

»Ich bin der einzige Sohn meiner Eltern, hatte aber eine Schwester, welche älter war als ich.«

»Ah! Von ihr hast du mir noch gar nichts gesagt. Sie ist todt?«

»Wir wissen es nicht.«

»Wissen es nicht? Du sprichst in Räthseln. Man weiß von einer Schwester doch, ob sie lebt oder gestorben ist!«

»Unter gewöhnlichen Umständen, ja.«

»So hast Du es mit ungewöhnlichen Umständen zu thun? Du machst mich neugierig.«

»Meine Schwester hieß Toska. Ich verstand nichts davon, aber ich hörte sagen, daß sie die schönste und umworbenste Dame unseres Hofes sei.«

»Das will viel heißen!«

»Muß aber doch wahr gewesen sein, da sogar der Prinz sie sehr beachtete.«

»Der Kronprinz?«

»Nein, Prinz Hugo.«

»Der tolle Prinz?«

»Ja. Er zeichnete sie vor den übrigen Damen auf eine Weise aus, welche auffällig erscheinen mußte, leider aber Toskas Herz gefangen nahm. Sie liebte ihn.«

»Den Alle hassen!«

»Man sagt ja, daß die Liebe blind sei, bei meiner Schwester war sie es. Aber wie ich Toska kannte, muß der Prinz eine ganz außerordentliche Verstellungsgabe besitzen. Sie konnte nur einen Mann lieben, den sie für ihrer würdig hielt.«

»Wurde sie nicht gewarnt?«

»Oft; natürlich nur seitens der Eltern. Doch alle Vorstellungen blieben fruchtlos, und – plötzlich war sie verschwunden.«

»Verstehe ich recht? Wer war verschwunden? Deine Schwester?«

»Ja. Sie gab vor, zu einer entfernten Verwandten auf Besuch zu gehen, ist aber dort weder eingetroffen noch zu uns zurückgekehrt.«

»Es ist ihr ein Unglück widerfahren!«

»Natürlich!«

»Sie wurde unterwegs überfallen, beraubt und ermordet!«

»Nein.«

»Nein? Du sagst dies mit solcher Sicherheit? Habt Ihr eine Spur gefunden?«

»Ja. Sie wurde mit einem Manne gesehen, der kein Anderer als der tolle Prinz sein kann, welcher gerade zu jener Zeit verreist war. Seitdem ist sie verschwunden.«

»Und Ihr habt kein Lebenszeichen von ihr erhalten?«

»Nicht das mindeste. Vater hat sich alle mögliche Mühe gegeben, das Dunkel aufzuklären, aber vergeblich. Er mußte dabei alles vermeiden, was uns kompromittiren konnte, und das ist der Grund, weshalb unsere mehrjährigen Nachforschungen keinen Erfolg hatten. Jetzt nagt der Gram an dem Herzen und dem Leben der Eltern, das Faktum läßt sich kaum mehr verbergen, und dennoch bleibt der Prinz frech und undurchsichtig wie zuvor. Ich bin zwar noch ein halber Knabe, aber er mag sich hüten, zwischen meine Hände zu gerathen!«

»Und dies ist also der Grund, wegen dessen Du in norländische Dienste tratest?«

»Ja. Ich mag einem Lande nicht dienen, in dessen Herrscherfamilie der raffinirteste Satan lebt, der jemals unter Menschen gewandelt hat. Seine Thaten, welche oft dem Verbrechen so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern, sind offenkundig, man erzählt sie sich laut und ohne alle Scheu, ohne daß bei Hofe dadurch der geringste Eindruck hervorgebracht würde. Eine einzige seiner Handlungen hätte einen gewöhnlichen Mann in das Zuchthaus gebracht; er aber ist Prinz des königlichen Hauses und darf sündigen nach Wohlgefallen.«

»Ich hätte den Kerl ersäufen sollen!«

»Du? Wann und wo?«

»Und dennoch bin ich ihm eigentlich Dank schuldig, denn er ist die eigentliche Ursache, daß ich in das Haus des Generals von Helbig gekommen bin.«

»Er? Das mußt Du mir erzählen!«

»Gern.«

Er berichtete von jener Wasserfahrt im Seebade Fallum, und als er geendet hatte, hielt der Zug an der Station, wo Beide aussteigen mußten. Kurze Zeit später fuhren sie in einem Miethswagen Schloß Helbigsdorf entgegen.

Dort saß der General in seinem Arbeitszimmer, welches von einem dichten Tabaksqualm erfüllt war. Auf der Diele, dem Sopha und den Stühlen lagen seine zwölf Hunde; er selbst las in einem Buche, welchem er seine vollste Aufmerksamkeit zu widmen schien. Eben hatte er sich eine neue Pfeife angesteckt, als er eine Miene zog, als ob der Geruch des Tabaks ihm die Nase zerreißen wolle. Er zog die Glocke, und gleich darauf trat der Diener ein.

»Kunz!«

»Herr General!«

»Was ist das hier?«

»Eine Tabakspfeife.«

»Wem gehört sie?«

»Natürlich dem Herrn General. Verstanden?«

»Aber nicht Dir!«

»Nein.«

»Und doch hast Du sie für Dich gestopft!«

»Für mich?«

»Ja, und sie nachher hierher gehängt, ohne sie vorher auszurauchen.«

»Donnerwetter, Exzellenz, das ist die größte Lüge, die es nur geben kann! Verstanden?«

»Mensch, werde nicht grob! Hier hast Du die Pfeife; ziehe einmal!«

Kunz führte die Pfeife zum Munde und that ein paar gehörige Züge, wobei er dem General die dienten Tabakswolken ganz ungenirt in das Gesicht blies.

»Hm!« knurrte er.

»Nun?«

»Hm!«

»Was ist das für Tabak?«

»Rollenknaster mit etwas Portoriko vermischt, Exzellenz. Verstanden?«

»Und wer raucht diesen famosen Rollenknaster, mit etwas Portoriko vermischt?«

»Ich.«

»Und was rauche ich für Tabak, he?«

»Den reinen Varinas.«

»Nun, alter Schwindelmeier, da hast Du also Dir den Varinas eingestopft, und ich soll Deinen Rollentabak rauchen!«

»Schwindelmeier? Donnerwerter Exzellenz, das leide ich nicht! Verstanden?«

»Maul halten! Sind Deine Pfeifen gestopft?«

»Ja.«

»Hole sie!«

Kunz entfernte sich und kam gleich darauf wieder zurück.

»Hier sind die Pfeifen, Herr General. Und hier sind auch die beiden Tabaksbüchsen, nämlich die meinige und die Ihrige. Verstanden? Wollen doch sehen, ob ich ein Schwindelmeier bin.«

»Stecke eine davon an!«

»Zu Befehl!«

Er setzte eine von seinen Pfeifen in Brand, und Beide steckten ihre Nasen prüfend in die Rauchwolke, welche er mit einer Miene von sich paffte, als ob er den General verschlingen wolle. Doch bereits im nächsten Augenblicke bekam sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck, er zog eine höchst bedenkliche und dann sehr verlegene Grimasse.

»Nun,« frug der General, »was für Tabak ist das da in Deiner Pfeife?«

»Weiß Gott, der reine Varinas! Verstanden, Exzellenz?«

»Und wie kommt er hinein?«

»Das weiß der Teufel! Aber der Herr General können mir glauben, daß ich an dieser verteufelten Geschichte nicht die mindeste Schuld trage. Ich verwechsle weder die Pfeifen noch die Tabaksbüchsen. Da hat irgendwer eine ganz heillose Luderei getrieben, um mich in Verlegenheit zu bringen. Das ist entweder die Schreia oder die Zanka oder die Brülla gewesen; denn wo es einen Streich gegen mich gibt, da sind sie sicher dabei!«

»Wird ihnen gar nicht einfallen, sich an den Pfeifen zu vergreifen!«

»Fällt ihnen schon ein, Exzellenz! Verstanden? Die Tabaksbüchsen haben sie mir nicht verwechselt; das hätte mich nicht irre gemacht, denn ich weiß den Varinas von dem Rollenknaster mit ein wenig Portoriko ganz genau zu unterscheiden, ich glaube vielmehr, daß man mir in meiner Abwesenheit die Pfeifen umgestopft hat. Wollen diesen Tabak doch gleich wieder herausthun. Ich mag keinen Varinas; er ist mir zu stark. Verstanden?«

Er klopfte ohne Umstände sämmtliche Pfeifenköpfe auf den Schreibtisch des Generals aus und war damit beinahe fertig, als er einen Ruf der Ueberraschung hören ließ.

»Was gibt es?« frug Helbig.

Kunz griff in den Tabak und hielt ihm einen Gegenstand entgegen, den er in demselben gefunden hatte. Dann frug er mit triumphirender Miene:

»Was ist das, Exzellenz?«

»Ein Ring.«

»Und wem gehört er?«

»Ich weiß nicht; ich kenne ihn nicht.«

»Aber ich kenne ihn. Er gehört der Jungfer. Verstanden, Exzellenz?«

»Der Jungfer? Wie sollte der Ring des Mädchens in meine Pfeife kommen?«

»O, das ist sehr einfach; das ist sehr leicht zu begreifen. Sie ist es gewesen, welche die Pfeifen umgestopft hat, und dabei ist ihr der Ring im Pfeifenkopfe stecken geblieben, ohne daß sie etwas davon gemerkt hat. Verstanden, Herr General?«

»Ja. Gieb den Ring her, Kunz! Ich werde ein Exempel statuiren.«

»Nein, das werde ich statuiren, denn für den Herrn General paßt es sich nicht, sich mit einem solchen dummen Geschöpfe herumzuzanken. Verstanden?«

»Gut. Aber was wirst Du machen?«

»Weiß es noch nicht, muß es mir erst vorher reiflich überlegen.«

Dabei aber zog er ein Gesicht, welches sehr verrieth, daß er bereits mit sich eines sei.

»Nur keine Dummheiten, Kunz! Uebrigens gehen wir heute nicht spazieren.«

»Warum?«

»Ich bin hier über einer sehr interessanten Lektüre.«

»Was ist es?«

»Brand, die Taktik der drei Waffen.«

»Ein ausgezeichnetes Buch, Herr General!«

»Ah, Du kennst es?«

»Nein.«

»Aber wie kannst Du dann sagen, daß dieses Buch ein ausgezeichnetes sei?«

»Weil Exzellenz es lesen, was nicht geschehen würde, wenn es nicht gut wäre.«

»Schön! Kannst jetzt gehen; aber nimm die Pfeifen und den Tabak mit!«

»Zu Befehl, Exzellenz! Den Tabak muß ich nun wegwerfen. Er schmeckt nicht, da er so in den Köpfen herumgemanscht wurde. Verstanden?«

Er trug die Pfeifen in seine Stube; den Tabak aber schlug er in ein Papier, welches er zu sich steckte. Dann schlenderte er den Korridor entlang und lugte durch die angelegte Küchenthür. Die Küche war leer, und die Nachmittagschokolade stand auf dem Herde.

»Paßt!«

Schnell trat er hinzu, warf den Tabak in das Getränk und quirlte ihn gehörig um; dann schlich er sich davon, ohne von irgend Jemand gesehen zu werden.

Unweit des Schlosses gingen die drei Schwestern im Walde spazieren.

»Wollen wir ihn morgen persönlich von der Station abholen?« frug die Lange.

»Nein, meine liebe Freya,« antwortete die Dünne. »Das schickt sich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil er eigentlich gar nicht zur Familie gehört, sondern nur in Pflege genommen ist.«

»Aber er ist so brav. Was meinst denn Du dazu, meine gute Zilla?«

Die Dicke drückte ihr Eichhörnchen an den Busen und antwortete zärtlich:

»Ich hole ihn ab, denn ich liebe ihn.«

»Gut. So fahren wir also.«

»Das geht nicht,« warf Wanka ein.

»Warum nicht?«

»Weil er schreibt, daß er einen Kameraden mitbringen werde.«

»Ist das ein Grund ihn nicht abzuholen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Wie wollen wir uns setzen? Der Wagen faßt nur vier Personen, wir allein sind drei, die beiden Kadetten zwei, macht zusammen fünf.«

»So bleibt eine von uns zu Hause!«

»Aber wer?«

»Ich nicht!«

»Ich auch nicht!«

»Ich vollends gar nicht!«

»Streitet Euch nicht! Auch wenn Eine von uns daheim bliebe, würde es immer noch am Platze fehlen. Die beiden Kadetten haben jedenfalls noch Koffer bei sich.«

»So kann blos Eine von uns mitfahren, und Zwei müssen zurückbleiben.«

»Aber welche fährt mit?«

»Ich!«

»Ich!«

»Ich!«

Diese drei »Ichs« waren in dem entschiedensten Tone ausgesprochen, und dabei blitzten sich die drei Schwestern mit Augen an, welche nicht sehr freundlich genannt werden konnten.

»Ich werde fahren,« meinte die Blaue; »ich habe das Vorrecht, denn ich bin die Aeltere.«

»Nein,« entgegnete die Purpurne, »dieses Vorrecht gebührt mir; ich bin die Jüngere.«

»Entscheide Du, liebe Wanka. Du bist hier nicht Partei!«

»Dies Recht gebührt weder der Aelteren noch der Jüngeren, sondern ich werde fahren, denn ich bin die Mittlere!«

»Du? Was fällt Dir ein!«

»Ja, was fällt Dir ein!«

»Wenn der Herr Lieutenant von Wolff da wäre, würde er Euch beweisen, daß ich Recht habe,« erklärte die Grüne, indem sie ihr Meerschweinchen liebkoste.

»Er würde vielmehr meine Partei ergreifen!« behauptete Freya.

»O nein, sondern die meinige!« rief Zilla.

Da ließ sich plötzlich eine laute jubelnde Stimme vernehmen, und durch das seitwärts stehende Gebüsch brach Magda. Sie eilte auf die kämpfenden Schwestern zu.

»Er kommt!« rief sie.

»Wer?«

»Kurt!«

»Kurt? Nicht möglich!«

»Und doch!«

»Er kommt erst morgen!«

»Er kommt heute, er kommt jetzt; ich habe ihn gesehen.«

»Wo?«

»Er kommt die Straße heraufgefahren, und es sitzt noch einer bei ihm.«

»Wie sind sie gekleidet?«

»In Uniform.«

»In Uniform? Mein Gott, wenn der Andere nun gar kein Kadett wäre!«

»Sondern ein Lieutenant!«

»Ein Kapitän!«

»Ein Kommodore!«

»Ein Admiral!«

»Schnell nach Hause. Wir müssen Toilette machen und fertig sein, ehe sie kommen!«

Sie flogen davon. Magda blieb stehen. Sie stand jetzt in dem Uebergangsalter zwischen Mädchen und Jungfrau; sie war ein reizendes Wesen, und es ließ sich mit großer Bestimmtheit sagen, daß sie einst eine vollendete Schönheit sein werde.

»Gehe ich ihm entgegen?« frug sie sich. »Ja! – Aber der Andere? Pah, der geht mich nichts an. Ich habe Kurt drei Jahre lang nicht gesehen und muß die Erste sein, die ihm Willkommen sagt.«

Sie eilte zwischen den Bäumen dahin, bis sie an die Straße gelangte. Der Wagen war ihr bereits ganz nahe, als sie ihn erblickte. Sie schritt ihm schnell entgegen und rief, vor Freude die kleinen Händchen zusammenschlagend:

»Kurt! Willkommen, lieber Kurt!«

Dann aber blieb sie plötzlich stehen, während tiefe Röthe ihr Angesicht überflog. Der da während des Fahrens aus dem Wagen sprang und auf sie zueilte, war nicht der Knabe, wie sie ihn vor drei Jahren gekannt hatte; er war ein Jüngling geworden, den die Uniform tausendmal schöner ließ, als den alten dürren Lieutenant von Wolff, der immer kam, um den drei Tanten Artigkeiten zu sagen.

»Magda!«

Er sprang auf sie zu, umarmte sie und küßte sie herzlich auf die Lippen. Sie erglühte womöglich noch mehr als vorher.

»Ist Alles wohl daheim?«

»Ja.«

»Papa zu Hause?«

»Ja.«

»Die Fräuleins?«

»Ja.«

»Meine Mutter?«

»Ja.«

»Kunz und alle Andern?«

»Ja.«

Sie gab so kurze einsilbige Antworten, weil sie ihre Verlegenheit noch immer nicht überwinden konnte. Er mußte es endlich bemerken.

»Was ist mit Dir, Magda?«

»Nichts. Ich bin so sehr gelaufen.«

»Um mir entgegen zu kommen? Da muß ich Dich nochmals küssen!«

Er that es und vermehrte dadurch nur ihre Befangenheit.

»Hier bringe ich Dir einen Freund mit!« Und dann fügte er vorstellend die Namen hinzu: »Graf Karl von Mylungen – Magda von Helbig, lieber Karl!«

Der Andere war auch ausgestiegen und verbeugte sich grüßend.

»Gib mir Deinen Arm, Magda! Wir werden bis zum Schlosse gehen.«

Er nahm ihren linken Arm in den seinigen und Mylungen bat sich den rechten aus. So schritt sie zwischen den Beiden auf der Straße dahin wie eine richtige große erwachsene Dame zwischen zwei Rittern, die für sie kämpfen und sterben wollen. So hatte sie zuweilen in einem Buche gelesen, und als noch einige freundliche oder erkundigende Worte gefallen waren, erhielt sie ihre Fassung zurück und wagte es nun, die beiden jungen Herren ganz verstohlen ein wenig mit einander zu vergleichen.

Der Graf war schön, das schien ihr unumstößlich; Kurt aber war noch schöner. Er sah zwar nicht so vornehm aber doch viel kräftiger, frischer und. zutraulicher aus. Es war wirklich schade, daß sie nicht ganz und gar allein mit ihm war!

Als sie das Schloß erreichten, war die ganze Bewohnerschaft desselben bereits versammelt, um die Ankömmlinge zu empfangen. Kurt wurde wie ein Kind des Hauses willkommen geheißen, und Mylungen erhielt ganz dieselbe Herzlichkeit entgegengebracht. Beide küßten den drei Damen die Hände und erhielten von Allen freundliche Vorwürfe darüber, daß sie den Tag ihrer Ankunft falsch angegeben und dadurch einen andern Empfang unmöglich gemacht hatten. Dann bemächtigte sich Kunz ihrer, um ihnen ihre Zimmer anzuweisen.

Die drei Schwestern saßen dann im Salon beisammen.

»Also kein Admiral!«

»Und kein Kapitän!«

»Auch kein Lieutenant!«

»Aber ein Graf!«

»Und was für Einer!«

»Dieser Wuchs!«

»Diese Augen!«

»Diese Stimme! Schade, daß er nicht einige Jahre älter ist!«

»Wie müßte er sich ausnehmen, wenn er in den Jahren des Herrn Lieutenant von Wolff stände.«

»Besser noch als der Lieutenant.«

»Natürlich! Er scheint jetzt noch etwas schüchtern zu sein; wenigstens war der Handkuß kaum zu fühlen.«

»Vielleicht haben wir einen imponirenden Eindruck auf ihn gemacht!«

»Oder ihn gar zurückgestoßen und beleidigt. Dein Auge war so streng, liebe Wanka.«

»Blos prüfend, liebe Freya; aber Deine Haltung war etwas sehr reservirt.«

»Das scheint blos so, weil ich länger bin als Ihr. Den größten Fehler hat Zilla gemacht.«

»Ich? Welchen?« frug die Purpurne.

»Du blicktest auf Kurt, als der Graf Dich begrüßte.«

»Davon ist mir nichts bewußt. Aber sollten wir je einen üblen Eindruck auf ihn hervorgebracht haben, so ist es unsere Pflicht, denselben sofort wieder zu verwischen.«

»Wodurch?«

»Wir bemächtigen uns seiner und geben ihn nicht eher wieder frei, als bis er zeigt, daß er vollständig ausgesöhnt ist.«

»Aber auf welche Weise soll diese Bemächtigung vorgenommen werden?«

»Nur keine Gewaltmaßregeln, liebe Schwestern!«

»Nein; die Liebe allein soll siegen. Wir laden ihn zu einem Spaziergange ein.«

»Nicht interessant genug,« erklärte Freya. »Wir lassen satteln, liebe Wanka.«

»Satteln?« rief die dicke Zilla. »Ausreiten wollt Ihr? Bewahre! Ihr wißt ja, daß ich nicht reite. Uebrigens könnt Ihr dem Grafen ja gar nicht zumuthen, nach einer Reise, wo er der Ruhe bedarf, sogleich wieder zu reiten.«

»Das ist wahr! Aber wie bemächtigen wir uns denn sonst noch seiner?«

»Ich weiß es!« erklärte Zilla.

»Nun?«

»Wir laden ihn zur Chokolade.«

»Richtig! Auf diesen Gedanken konnten wir ja sofort gleich kommen!«

»Aber wer bringt ihm die Einladung?«

»Ich!«

»Nein, ich!«

»Ich!« meinte Zilla. »Der Gedanke ist von mir, folglich habe ich den Vorzug vor Euch.«

Freya handelte diplomatisch:

»Schickt es sich überhaupt, daß wir die Einladung selbst überbringen?«

»Eigentlich nicht!«

»Unverheirathete Damen! Denkt Euch! Man müßte doch auf sein Zimmer gehen!«

»Allerdings. Das geht nicht. Das Mädchen mag es besorgen.«

»Von einem Dienstmädchen eingeladen werden? Könnte ihn dies nicht beleidigen?«

»Wahrhaftig! Aber wie denn anders? Wir nicht und das Mädchen auch nicht.«

»Ich hab's!« meinte Zilla.

»Was?«

»Wir sagen es Kurt, der mag ihn mitbringen.«

»Richtig. Laßt uns sofort zu Kurt schicken!«

Nach einigen Minuten stand dieser im Salon vor den Schwestern. Freya bemächtigte sich des Wortes:

»Lieber Kurt, willst Du uns wohl einen Gefallen thun?«

»Jeden, liebe Tante.«

»Ich glaube, daß wir Drei Deinen Freund recht sehr beleidigt haben.«

»Ah? Wodurch?«

»Wanka hat ihn jedenfalls ein wenig zu finster angesehen.«

»Habe nichts davon bemerkt.«

»Ich selbst habe meine Stellung vielleicht etwas zu stolz gehalten.«

»Habe nichts bemerkt.«

»Und Zilla hat gar auf Dich gesehen, während er sie so höflich begrüßte.«

»Nichts bemerkt.«

»Aus dem Allen geht hervor, daß wir ihm eine Satisfaktion zu geben haben.«

»Ah, schön! Aber welche?«

»Wir müssen uns seiner bemächtigen – –«

»Vortrefflich!«

»Um allen Groll und alle Feindseligkeit aus seinem Herzen zu verscheuchen.«

»Welch gute liebe Tanten ich habe!«

»Ja, das soll auch der Graf erfahren. Du sollst ihn in unserem Namen einladen.«

»Wozu?«

»Zu einer Tasse Chokolade.«

»Wo und wenn?«

»In unserem Damensalon, und zwar jetzt gleich. Die Chokolade muß fertig sein.«

»Ich werde ihn Euch sofort schicken.«

»Schicken? Und Du?«

»Es war bisher ja nur von ihm die Rede!«

»Du kommst natürlich mit; es würde ja auffällig sein ihn allein zu laden.«

»So komme ich also mit. Ich eile, liebe Tanten, und werde ihn sogleich bringen.«

Er hielt sein Wort mit solcher Geschwindigkeit, daß die beiden Kadetten den Damensalon betraten, noch ehe das Service aufgetragen war. Freya harte ihr Kätzchen auf die Chaise-longue gelegt, um die Chokolade mit eigener Hand zu besorgen. Mylungen war so aufmerksam es zu streicheln.

»Sie lieben die Katzen?« frug Zilla in ihrem freundlichsten Tone.

»Ja, wenn sie eine gute Erziehung genossen haben, gnädiges Fräulein.«

»Und wohl auch die Hunde?«

»Ein Seemann hat weder Zeit noch Raum für diese Thiere.«

»So begegnen wir uns in unserer Aversion gegen diese rüden Thiere. Sehen Sie dagegen meine Mimi! Wie nett, wie sauber, wie niedlich und zärtlich.«

»Einer solchen Herrin gegenüber möchte man zärtlich werden, auch ohne ein Eichkätzchen zu sein.«

Dies war gewiß die erste Galanterie des jungen Mannes einer solchen Dame gegenüber. Kaum waren ihm die Worte entfahren, so fühlte er auch, wie dumm er gesprochen habe. Glücklicher Weise aber wurde sein Kompliment im höchsten Grade gnädig aufgenommen; denn Zilla nickte ihm freundlich zu und Wanka beeilte sich, womöglich auch eine solche Höflichkeit gesagt zu erhalten. Sie reckte ihm ihr Meerschweinchen über die Tafel hinüber entgegen.

»Nehmen Sie einmal dieses Thierchen in die Hand, lieber Graf!«

Er griff zu.

»Wie weich!«

»Sehr!« stimmte er bei.

»Und bescheiden!«

»Sehr!«

»Anspruchslos!«

»Sehr!«

»Demüthig.«

»Sehr!«

»Bitte, streicheln Sie es einmal! Wie elektrisch es einen dabei durchzuckt.«

»Höchst elektro-magnetisch!«

»Diesem Thierchen gehört eigentlich Ihre höchste Sympathie!«

»Ganz natürlich.«

»Sie sind Seemann – –«

»Erst Kadett, meine Gnädige.«

»Wenn auch. Aber Sie geben zu, daß zwischen einem Seemanne und einem Meerschweinchen stets ein zärtliches Verhältniß obwalten sollte. See und Meer ist doch ganz ein und dasselbe.«.

»Versteht sich! Daher liebe ich diese Thiere auch ganz außerordentlich.«

»Wirklich, mein lieber Graf?«

»Ja, und noch mehr: Ich habe diese Thierchen sogar eingehend studirt. Der Zoolog nennt sie Cavia oder auch Anoema nach dem großen Cuvier. Es gibt mehrere Untergattungen, nämlich Cavia cobaya oder Cavia porcellus, Cavia aperea und Cavia rupestris.«

»Hörst Du, Zilla, der Graf liebt die Meerschweinchen und nennt sie sogar griechisch und hebräisch. Zu welcher Gattung gehört denn dieses hier, mein lieber Herr?«

»Ihr Name ist Wanka, mein gnädiges Fräulein?«

»Ja.«

»So würde ich, wenn ich Naturforscher wäre, diese Gattung Cavia Wankalis nennen oder Cavia Cupida, das heißt nämlich Liebesschweinchen.«

»Liebesschweinchen, Cavia Cupida! Ja, Cupido war ja der Gott der Liebe. Hörst Du, Zilla, welche Sorte von Schweinchen ich habe. Graf, behalten Sie es immerhin auf Ihrem Schooße. Ich gebe es sonst niemals aus der Hand, Ihnen aber will ich es gern anvertrauen.«

Jetzt kehrte Freya aus der Küche zurück. Ihr folgte die Zofe, welche die Chokolade trug. Es wurden die Tassen gefüllt und Biskuits herumgereicht.

»Graf, trinken Sie überhaupt Chokolade?« frug Freya. »Die Herren lieben gewöhnlich die Süßigkeiten nicht.«

»Ich trinke sogar den Wein nicht so gern wie die Chokolade, mein Fräulein.«

»Sagen Sie das nicht aus Höflichkeit?«

»Nein; das werde ich Ihnen beweisen, indem ich die Tasse zuerst ergreife.«

Er nahm die Tasse, brachte sie an die Lippen und that einen Schluck, zog sie aber sogleich mit einem sehr erstaunten Gesichte vom Munde wieder fort.

»Was ist Ihnen, Graf? Schmeckt die Chokolade nicht?«

»Im Gegentheile, ganz vorzüglich; aber sie ist denn doch etwas zu heiß.«

Da tauchte Freya ihr Biskuit ein und führte es zum Munde. Beim ersten Biß zog sie die Zähne auseinander, als hätte sie in eine Kreuzspinne gebissen.

»Was ist das mit den Biskuits? Wanka, Zilla, versucht sie doch einmal!«

Die Beiden tauchten ein und kosteten.

»Abscheulich! Was hat da der Bäcker hineingebacken?«

Kurt, der auch hatte trinken wollen, lächelte höchst vergnügt und stieß den Grafen an.

»Tantchen, das ist nicht das Biskuit, sondern die Chokolade. Kostet sie doch einmal!«

In höchster Eile fuhren die Tassen an die verschiedenen Lippen.

»Brrr!« machte Freya.

»Fi!« kreischte Wanka.

»Abscheulich!« rief Zilla.

»Was ist das für ein Geschmack?« frug Freya. »Gerade wie Theer!«

»Nein, gerade wie scharfe Seife!« entgegnete Wanka.

»Nein,« entschied Zilla, »gerade wie – wie – wie – –«

»Tabak!« fiel Kurt ein.

»Ja, wie Tabak!« stimmte das Damenterzett bei.

Es wurde gekostet und wieder gekostet, und das Resultat blieb, daß sich Tabak in der Chokolade befinde. Aber wie war derselbe hineingekommen? Die drei Schwestern befanden sich dem Grafen gegenüber in einer schauderhaften Verlegenheit und riefen die Köchin herbei, mit welcher allsogleich ein sehr strenges Verhör angestellt wurde. Dieses letztere blieb leider ohne Erfolg, bis Freya den Inhalt der Kanne untersuchte und eine Chokoladenhaut hervorzog, welche man als Papier erkannte. Es war von Holzstoff gefertigt und hatte also der Flüssigkeit leidlich widerstanden.

Die beiden Kadetten belustigten sich über das Vorkommniß und beruhigten die Damen.

»Laß mich das Papier näher untersuchen,« meinte Kurt. »Vielleicht entdecke ich etwas, was mich auf die Fährte bringt, liebe Tante.«

Er legte das Corpus delicti auf einen Teller und wandte es herum und hinum.

»Diese Sorte Papier und diese Form kenne ich sehr genau. Wenn die Flüssigkeit die Schrift nicht ausgesogen hätte, könnten wir hier ganz sicher lesen: »Aechter reiner Portorikoschnitt.« Und wer solchen hat, das wissen wir Alle.«

»Wer?« frug Freya.

»Kunz.«

»Der, ja der ist es gewesen. Kein Anderer hätte so etwas gethan. Anna – – ah, jetzt fällt mir ein – wie steht es mit den Pfeifen?«

»Sie sind umgewechselt,« antwortete das Mädchen.

»Ob er etwas bemerkt hat?«

»Nicht das mindeste.«

»So ist es nicht Rache, sondern die reinste Gottlosigkeit, uns Tabak in die Chokolade zu thun, während wir so liebe Gäste bei uns haben. Hole den Menschen gleich herbei, Anna!«

Das Mädchen entfernte sich und brachte nach wenigen Augenblicken Kunz getrieben. Dieser trat mit der unbefangensten Miene ein, nachdem er den Lieblingshund Hektor, welcher mit herein wollte, zurückgewiesen hatte. Freya stand wie eine Rachegöttin vor ihm. Mit gebieterischer Miene reichte sie ihm die gefüllte Tasse hin.

»Trinke Er das hier einmal!«

»Was ist es denn?«

»Chokolade.«

»Schön! Prosit!«

Er führte die Tasse zum Munde und that einen tüchtigen Schluck aus derselben.

»Schmeckt es?«

»Sehr gut, gnädiges Fräulein. Verstanden?«

»Und Er merkt nichts?«

»Was soll ich merken? Hat die Chokolade einen Fehler?«

»Und was für einen! Koste Er noch einmal!«

Er that einen zweiten Zug und schüttelte dann mit dem Kopfe.

»Bin kein großer Feinschmecker. Es wird wohl zu viel Zucker daran sein.«

»Zu viel Zucker? Mein Gott, hat dieser Mann eine Zunge! Er schmeckt wirklich nichts?«

»O ja.«

»Was denn?«

»Die Chokolade. Verstanden?«

»Aber es ist noch etwas Anderes daran!«

»Was denn?«

»Tabak!«

»Tabak? Hm! Sonderbare Leute! Tabak an die Chokolade! Das ist doch gerade so ein Unsinn, als wenn ich Chokolade an meinen Tabak thun wollte!«

»Was raucht Er denn für eine Sorte?«

»Rollenknaster mit ein wenig Portoriko. Verstanden?«

»Und wie bekommt Er den Portoriko?«

»In Päckchen.«

»Von Papier?«

»Von Papier.«

»Wohl in solchem Papiere, he?«

Sie hob das Corpus delicti empor und hielt es ihm vor die Nase.

»Hm, ja, in solchem Papier, nur daß es da nicht von Chokolade trieft. Verstanden?«

»Und warum trieft es jetzt, he? Kann Er mir das wohl sagen?«

»Ich denke.«

»Nun?«

»Weil es voll Chokolade ist.«

»Und warum ist es voll? Wer hat es in die Chokolade geworfen, he?«

»Nun, wer denn?«

»Er! Kein anderer als Er!«

»Ich! Wie käme ich dazu?«

»Aus Schlechtigkeit!«

»Ich? Wunderbar! Ich denke, Sie haben den Tabak an die Chokolade gemacht, damit sie nach ihm schmecken soll, und nun wirft man mir mit Schlechtigkeiten in das Gesicht!«

»Ja, schlecht ist Er und boshaft dazu! Er raucht Portoriko, Portoriko ist in der Chokolade, folglich hat Er sie hineingeworfen. Ich werde mit dem General darüber reden.«

»Thun Sie das, mein gnädiges Fräulein. Verstanden? Der Herr General weiß ganz genau, daß ich eine alte gute Seele bin, die kein Wässerchen trübt.«

»Kein Wässerchen? Nein, aber die Chokolade trübt Er, und noch dazu heut!«

»Hören Sie, Fräulein, wenn Sie vernünftig mit mir sprächen, könnte ich Ihnen vielleicht den Thäter bezeichnen. Ich habe ihn gleich nach vollbrachter That entdeckt.«

»Nun, wer ist es?«

»Die That ist jedenfalls nur geschehen, um mich in ein schlimmes Licht zu stellen.«

»Wer ist der Thäter?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich habe ein Zeichen, an welchem man ihn leicht erkennen kann.«

»Erkläre Er sich deutlicher!«

»Als ich heute für Exzellenz die Pfeifen stopfte, schüttete ich mir den Portoriko für mich in die Büchse. Als ich nach einiger Zeit in die Stube zurückkehrte, war der Portoriko mit sammt dem Papiere fort, und jetzt finde ich es hier wieder.«

»Ausrede!«

»Ausrede? Das ist keine Ausrede, sondern die reine Wahrheit. Verstanden?«

»Lüge ist es!«

»Ich kann es beweisen!«

»Nun, so thue Er es!«

»Ich untersuchte die Büchse, aus welcher der Tabak gestohlen war, ganz genau und fand diesen Ring, den sich der Dieb abgestreift hatte, ohne es zu bemerken.«

»Zeige Er her!«

»Den behalte ich als Beweismittel, wenn ich den Diebstahl beim Herrn General melde. Verstanden? Aber ansehen können Sie ihn. Hier ist er, meine Damen! Wem gehört er?«

Er hielt ihn so, daß ihn Alle sehen konnten.

»Er gehört Anna!« meinte Freya sogleich.

Das Mädchen gerieth in die ärgste Verlegenheit. Kunz trat auf sie zu.

»Der Ring gehört wirklich Ihr?« frug er.

»Ja.«

»Wie kömmt er in meinen Tabak?«

»Das weiß ich nicht.«

»Sie war in meiner Stube?«

»Nein.«

»Lüge Sie nicht! Daß ich eine alte gute Seele bin, will ich Ihr beweisen, indem ich Ihr den Ring wieder gebe. Hier ist er. Ich werde dem Herrn General keine weitere Mittheilung machen und hoffe, daß Sie sich nicht zu ähnlichen Thorheiten verführen läßt; denn von wem das Ding ausgeht, das weiß ich recht gut. Wer mir eine Tabakssuppe einbrocken will, der kann leicht eine Tabakschokolade zu trinken bekommen. Verstanden? Abgemacht nun, und damit Sie sich nicht weiter vermaulirt, will ich Ihr ein Pflaster vor das Schlabberwerk legen. Komm Sie her, mein liebes Tabaksännchen!«

Er fuhr mit dem Papiere in die Chokolade und klebte es ihr vor den Mund. Das sah so possirlich aus, daß die beiden Kadetten in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Das Mädchen floh vor Scham zur Thüre hinaus, und diesen Augenblick benutzte Hektor, um herein zu gelangen. Mit einem langen Satze fuhr er auf die Chaise-longue, wo Bibi der süßen Ruhe pflegte. Das Kätzchen sah den Feind erscheinen und sprang Zilla in die Frisur. Der Hund wollte auch empor, wodurch Mimi im höchsten Grade gefährdet wurde. Die Dicke retirirte also mit solchem Nachdrucke, daß sie, rückwärts wie ein Sturmbock an den Tisch rannte und diesen mit Allem, was darauf stand, zum Falle brachte. Sie selbst kam in das Wanken und wollte sich an Wanka halten. Beide stürzten und zogen auch die jammernde Freya mit nieder. Es war ein fürchterlicher Augenblick, ein Anblick, welchen Niemand beschreiben konnte, weil, als sich die Schwestern endlich aus den Geschirrtrümmern aufgerichtet hatten, kein weiterer Mensch mehr im Salon zu sehen war. Kunz und die beiden Kadetten hatten die Unglücksstätte sofort verlassen. –

Ungefähr vierzehn Tage später wanderte ein junger Mann rüstig auf der Straße dahin, welche nach Himmelstein in Süderland führte. Er trug die enge kleidsame Tracht der Bewohner jener Gegend, schien aber doch nicht ganz in dieselbe eingewohnt zu sein.

Er mochte sich nicht mehr weit vom Städtchen Himmelstein befinden, als er an ein an der Straße liegendes Wirthshaus gelangte. Er beschloß, hier einzukehren und ein Bier zu trinken.

Er grüßte freundlich, als er eingetreten war, und wunderte sich daher über den mürrischen argwöhnischen Blick, den ihm der Wirth zuwarf. Auch einige anwesende Gäste betrachteten ihn mit finsteren Mienen, so daß es ihm beinahe unheimlich zu werden begann.

»Wie weit ist es noch bis Himmelstein?« frug er den Wirth, als dieser ihm das Bier auf den Tisch stellte.

»So weit wie von Himmelstein bis hier,« lautete die Antwort.

»Richtig; aber Sie könnten mir doch wohl eine gewisse Zeit angeben!«

»Narren Sie wen Sie wollen, nur mich nicht!«

»Narren? Fällt mir gar nicht ein. Ich bin hier fremd und will nach Himmelstein. Und weil ich nicht weiß, wie lange ich noch zu gehen habe, frage ich Sie. Ist das genarrt?«

»Sie fremd?« Er lachte. »Fragen Sie diese Leute, die kennen Sie wohl auch?«

Der Jüngling wandte sich verwundert zu den Andern:

»Sie wollten mich wirklich kennen?«

Die Leute würdigten ihn gar keiner Antwort; Einer jedoch erhob sich von seinem Sitze und trat näher. Er hatte einen Stelzfuß und im Gesichte fehlte ihm die Nase.

»Hm,« brummte er, den Fremden betrachtend »Wirth, Du hast da wohl einen Bock geschossen!«

»Ich? Warum?«

»Dieser junge Herr ist gar nicht Der, für den Ihr ihn haltet.«

»Nicht?« frug der Wirth erstaunt.

Er trat näher und betrachtete den Fremden genauer.

»Richtig! Aber so eine Aehnlichkeit ist mir doch noch niemals vorgekommen.«

»Mir auch nicht, denn in wie fern denn und in wie so denn, es hat noch gar keine solche Aehnlichkeit gegeben. Aber die Sprache machte mich aufmerksam. Dieser junge Herr spricht wie ein Norländer, und diesen Dialekt kenne ich genau. Und nun, paß auf, Wirth! Dieser junge Herr hat kein Mal auf der Stirn, ist stärker gebaut und hat auch bessere Zähne als der Geißler, den Du meinst.«

»Hast recht, Alter; nun sehe ich es selbst. Aber, wie gesagt, ich habe nicht gedacht, daß zwei Menschen sich in dieser Weise ähnlich sein können.«

»Wer ist es, dem ich so ähnlich sehe?« frug der Fremde.

»Dem Neffen des Schloßvogtes auf Burg Himmelstein.«

»So! Dieser Mann scheint nicht sehr beliebt zu sein.«

»Woher wissen Sie das?«

»Aus der Art und Weise, wie Sie mich behandelt haben.«

»Verzeihen Sie mir. Geißler wird von Jedermann gemieden, und ich hielt Sie wirklich für ihn.«

»Nun werden Sie mir wohl auch sagen, wie weit ich noch bis Himmelstein habe.«

»Eine gute halbe Stunde.«

»Die Burg gehört dem Prinzen Hugo?«

»Ja.«

»Ist er anwesend?«

»Nein, doch ist es möglich, daß er bald kommt. Nächster Tage ist eine große Wallfahrt mit Messe, und da pflegt er hier zu sein, um – –«

»Um – – –?«

»Um sich einen Spaß zu machen.«

»Diese Messe ist berühmt. Ich komme ihretwegen nach Himmelstein.«

»Sie wollen sie mitmachen?«

»Ja.«

»Dann sorgen Sie nur ja für ein Logis, denn es werden so viele Leute kommen, daß es schließlich kein Unterkommen mehr geben wird. Haben Sie es bereits auf einen Gasthof abgesehen?«

»Nein.«

»So bleiben Sie doch bei mir! Sie finden hier Alles, was Sie brauchen werden!«

»Danke! Ich habe mich deshalb nach keinem Gasthofe umgesehen, weil ich vielleicht einen Privatmann finde, der mich für die Zeit der Wallfahrt bei sich behält.«

»So haben Sie Verwandte hier?«

»Nein.«

»Hm. Sie sind Norländer?«

»Ja.«

»Also gar nicht katholisch?«

»Nein.«

»So dürfen Sie sich in Acht nehmen. Der Katholik hier bei uns zu Lande sieht es nicht gern, wenn Protestanten bei seinen Wallfahrten erscheinen. Es gibt dann oft Spektakel.«

»Fürchte mich nicht!«

»Oho! Was sind Sie denn?«

»Noch gar nichts.«

»Das ist verteufelt wenig. Aber irgend etwas müssen Sie doch in Aussicht haben?«

»Seemann.«

»Aha, Matrose! Sind zu fein dazu! Was sind denn eigentlich Ihre Eltern?«

»General.«

»General? Donnerwetter, das ist etwas Anderes. Wie heißt denn Ihr Herr Vater?«

»Helbig.«

»Der damals unsere Hauptstadt erobert bat?«

»Ja.«

»O, da müssen Sie erst recht hier bleiben, denn ich lasse Sie nun gar nicht fort.«

»Warum?«

»Weil wir unsere Konstitution und also unsere neuen Gesetze dem Kriege damals zu verdanken haben. Norland hat unsern König gezwungen uns bessere Gesetze zu geben als wir vorher hatten. Und daran harte General Helbig auch sein gutes Theil.«

Da trat der mit dem Stelzfuße wieder näher.

»Wirst ihn aber doch nicht behalten dürfen, Wirth.«

»Warum nicht?«

»In wie fern denn und in wie so denn? Nun, weil ich ihn mit fortnehme.«

»Du?«

»Ja, ich. Wollen wir wetten?«

»Aha, Dein Herr ist ja auch ein Norländer.«

»Und ich auch.«

Er wandte sich zu Kurt:

»Wenn der General von Helbig Ihr Vater ist, so heißen Sie eigentlich Schubert?«

»Ja,« antwortete der Jüngling erstaunt. »Woher wissen Sie das?«

»Von dem Herrn Pastor Walther.«

»Meinem früheren Hauslehrer?«

»Ja.«

»Wie kamen Sie mit dem zusammen?«

»Bei meinem Herrn, dem Höllenmüller.«

»Ah, da sind Sie wohl der Brendel?«

»Der bin ich. Sie kennen mich?«

»Vom Herrn Pastor Walther. Ich stehe im Begriffe, nach der Mühle zu gehen.«

»So gehen Sie mit mir. Sie werden willkommen sein. Die beiden Pferde draußen gehören uns. Sie können also bis zur Mühle reiten. Von woher kommen Sie heute?«

»Von Tornegg. Ich mache eine Ferienreise zu Fuße, war einige Zeit bei einem Freunde und will nun nach Himmelstein, um den Müller zu besuchen und die Prozession mit anzusehen. Sie soll wohl die berühmteste in ganz Süderland sein.«

»Das ist sie. Sagen Sie, wenn Sie aufbrechen wollen. Dann trinke ich aus.«

»Also ich darf mich sogar aufsetzen?«

»Ja. Der Müller hat die beiden Gäule eingehandelt, und ich mußte sie holen.«

»Welchen überlassen Sie mir?«

»Welchen Sie wollen.«

»Auf welchem sind Sie geritten?«

»Ich laufe.«

»Warum? Zwei ledige Pferde und laufen, das fällt Niemanden ein zu thun.«

»Aber mir. Ich reite nie.«

»Ihres Beines wegen?«

»Nein. Meines Gelübdes wegen.«

»Sie haben ein Gelübde gethan, daß Sie niemals reiten wollen?«

»Ja.«

»Warum denn?«

»In wie fern denn und in wie so denn? Ja, das ist eine verfluchte Geschichte!«

»Darf man sie nicht hören?«

»Warum nicht! Soll ich sie Ihnen vielleicht erzählen?«

»Ich ersuche Sie darum.«

»Gut,« meinte Brendel, der ganz glücklich war, seine Erzählung wieder einmal an den Mann zu bringen. »Das war nämlich damals, als ich als Knappe in der Sonntagsmühle in Arbeit stand. Da kommt eines schönen Tages ein Roßkamm und bietet uns ein Pferd an.«

»Was für eines?«

»Einen Apfelschimmel, der aber keine Äpfeln mehr hatte, denn in wie fern denn und in wie so denn, er hatte sie vor Alter schon längst wieder verloren. Das Viehzeug war nicht sehr hoch, aber kräftig gebaut und sehr gut erhalten, weil es in vortrefflicher Pflege gestanden harre Es trug das Militärzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes und geduldiges Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stücke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde auf der Bühne erscheinen muß.«

»Ich kenne solche Stücke.«

»Na sehen Sie, junger Herr. Da wird dann allemal die hintere Treppe so vorgerichtet, daß das Pferd leicht in das Theater kann und gleich auf die Bühne kommt. Nachher war der Apfelschimmel älter geworden, und der Pferdeverleiher hatte ihn an den Roßkamm verhandelt, von dem wir ihn auch wirklich kauften.«

»War er denn noch zu gebrauchen?«

»Ja. Ein Bischen maulhart war er, denn in wie fern denn und in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je älter man wird, desto mehr hört das zarte Gefühl im Maule auf, und wenn der Schimmel dann einmal den Rappel bekam, dann mußte man ihn gehen lassen, weil er dann partout nicht zu lenken war.«

»Sie haben ihn wohl nicht geritten?«

»O sehr oft.«

»Aber ich denke, daß Sie nie reiten!«

»Damals hatte ich doch mein Gelübde noch gar nicht gethan.«

»Ach so. Fahren Sie fort.«

»Eines schönen Nachmittages mußte ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Apfelschimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten dort an. Ich hatte aber ungewöhnlich viel zu besorgen und konnte daher erst spät an die Rückkehr denken.«

»Ist auch hübsch ausgefallen!« lachte der Wirth, der die Geschichte bereits kannte.

»Halte das Maul! Oder willst Du das Dings an meiner Stelle erzählen?«

»Fällt mir nicht ein. Erzähle nur weiter!«

»Ich mußte über den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Unglücklicher Weise nun wurde ein Stück gegeben, von dem ich hoch niemals etwas gehört hatte, das ich mir aber nachher angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern denn und in wie so denn, es hat mich in das Malheur gebracht und ist Schuld an dem Gelübde, welches ich gethan habe und auch halten werde, so lange ich lebe.«

»Was ist es für ein Stück?«

»Es kommt eine Stumme darin vor.«

»Ah, die Stumme von Portici!«

»Ja, so heißt das Stück, und es spielt von einem Kerl, der ein Fischer ist und Masaniello heißt, eine große Rebellion macht und mit einem lebendigen Pferde auf die Bühne geritten kommt. Dazu war früher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stück und die Musik ganz genau, sondern ebenso auch den Weg von dem Theaterplatze die Treppe hinauf bis hinter die Koulissen.«

»Aha, ich errathe!«

»Ja, nun kommt es, das Malheur! Also, ich reite über den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln, Trompeten und Klarinetten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muß, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, fängt an zu schnauben, steigt in die Höhe und schüttelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, paukt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind. Sie heißen:

»Geehrt gepriesen
Sei der Held, den Ruhm bekränzt!
Frieden gab uns der Sieger,
Von Edelmuth umglänzt!«

Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt hätte. Er hatte oft da oben gestanden als »Held und Sieger«, von »Edelmuth und Ruhm umglänzt«, und nun ging es los, nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien und fluchen, schimpfen und rufen, ziehen und zerren, mit den Händen und den Füßen strampeln und stampfen wie ich wollte, es half nichts, denn in wie fern denn und in wie so denn, wenn so eine Kreatur einmal infam werden will, so wird sie infam.«

»Wurde es Dir da nicht angst?« frug der Wirth.

»Himmelangst, sage ich Dir!«

»Ich wäre abgesprungen.«

»Das kannst Du gut sagen!«

»Oder hätte mich abwerfen lassen.«

»Damit ich den Hals gebrochen hätte, nicht wahr! So dumm war ich schon nicht! In drei Ellen langen Sätzen flog der Schimmel auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahre, obgleich ich mich vorhin Knappe genannt habe, und hatte mir, um in der Stadt groß und dicke zu thun, dem alten Müller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine großen Kanonenstiefel dazu, die mir um die Beine schlotterten, daß es krachte. Eine weiße Mehlhose, eine weiße Jacke und eine weiße Zipfelmütze, so saß ich auf dem weißen Gaule. Dieser kannte seinen Weg, wie gesagt, sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Brücke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stieß und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Bühne. Dort war ein großer Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem Schimmel vorgeführt, der jetzt kein Apfelschimmel mehr, sondern ein Fliegenschimmel war, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!«

»Jetzt, hopp Dich!« fiel der Wirth ein.

»Freilich! Ich hatte mein Viehzeug nicht anhalten können, weil es ja hartmäulig war. Mit der Linken mußte ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Pferd angeklammert, daß es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da fängt drinnen der Chor der Rache nach derselben Melodie wie vorhin zu singen an. Auch diese Worte habe ich mir gemerkt. Sie heißen:

»Noch heute soll der Stolze büßen,
Ich schwörs, obgleich ihn Ruhm bekränzt!
Der feindliche Stahl trifft den Sieger,
Wenn auch Hoheit ihn umglänzt!«

In diesem Augenblicke macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lançade nennt, und im nächsten Momente fliege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife klatscht dem Rebellen Masaniello in das Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und mein linker Stiefel wirbelt rechts von dem Beine herunter, der eine unter die Musikanten und der andere gar unter die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu groß und weit. Nun geht ein Strampeln und Krampolen los; der Fliegenschimmel beißt nach dem Apfelschimmel, und der Apfelschimmel schlägt nach dem Fliegenschimmel, es wird ein Heidenspektakel, ein Mordskandal; das ganze Volk von Neapel mit sammt dem Chor der Rache stürzt über mich her und reißt mich vom Pferde herunter; der Vorhang fällt dem geehrten Publikum vor der Nase zu, und ich werde von sechzig Fäusten durchgeprügelt, daß mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draussen vor dem Theater; die Kanonenstiefeln krümmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen hätten; die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmütze gewickelt, aber die Spitze, der Kopf und die Stiefel waren nicht aufzufinden gewesen; rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das ganze Chor der Rache verschlungen habe, und links steht ein Schutzmann, der nur darauf gewartet hat, daß ich wieder zu Athem komme, um mich dann zu arretiren.«

»Und er hat Sie auch wirklich mitgenommen?« frug Kurt lachend.

»Natürlich; auch mit sammt dem ganzen Schimmel! Ich mußte mit auf die Polizeiwache und bekam einen fürchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte. Dann trollten wir Beide von dannen.«

»Nach Hause?«

»Ja. Draußen vor der Stadt hielten wir an; ich reckte alle zehn Finger, die Kanonenstiefel und die Zipfelmütze mit dem übrig gebliebenen Pfeifenrohre zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug.«

»Und Sie haben Ihren Schwur stets gehalten?«

»Stets.«

»Wenn Sie nun gesund gewesen und zum Militär gekommen wären?«

»Ich war ja gesund und kam dazu. Das Bein und die Nase verlor ich erst später.«

»Ach so! Wenn man Sie unter die Kavallerie gesteckt hätte, wären Sie jedenfalls gezwungen gewesen, Ihren Schwur zu brechen.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Und doch!«

»Ich kam ja zur Kavallerie und zwar zu den Husaren.«

»Und Sie ritten nicht?«

»Nein. Ich erzählte dem Rittmeister meine Geschichte; aber mein Gelübde sollte nichts gelten. Das war eine schlimme Zeit, die ich niemals vergessen werde. Ich war nicht auf das Pferd zu bringen, und schafften sie mich je einmal gewaltsam links hinauf, so rutschte ich sicher sofort auf der rechten Seite wieder hinunter. Dem Pferde ging es dabei ganz gut, mir aber desto schlimmer, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Rücken sah stets himmelblau und im Arrestlokale hatte ich mein immerwährendes Standquartier nebst Wasser mit trockenem Kommisbrode.«

»Das konnte doch nicht immer so fortgehen!«

»Es ging auch nicht so fort. Als man sah, daß mit meinem Gelübde nicht zu spassen sei, wurde ich endlich doch noch zur Infanterie versetzt.«

»Und wie ging es dort?«

»Im Frieden sehr gut, denn ich begriff nicht schwer und that meine Schuldigkeit.«

»Aber im Kriege?«

»That ich meine Schuldigkeit auch. In der Bibel steht: Du sollst nicht tödten, und wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden. Der Bibel habe ich gehorcht und habe also meine Schuldigkeit gethan. Warum soll ich einen Menschen erschießen, den ich gar nicht kenne, oder einem Andern das Bajonnet durch den Leib rennen, obgleich er mir noch nie etwas zu Leide gethan hat? Als daher die Kanonen zu brummen anfingen und ich auch mit schießen, hauen und stechen sollte, da that ich, als sei ich von einer Kugel getroffen worden, und ließ mich in einen trockenen Graben fallen. Ich dachte, hier wäre ich sicher; aber prosit die Mahlzeit! Die Kavallerie kam herangesaust; es waren Kürassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, habs der Teufel, nämlich das Pferd und nicht das Knie, obgleich er es auch geholt hat. Die Unsrigen wurden zurückgeworfen, und als ich mich auch davonmachen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken über mich her, um mich gefangen zu nehmen. Ich sollte mit und wollte nicht und wehrte mich also meiner Haut. Der Eine holte mit dem Säbel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, fuhr mir der Hieb nicht in die Schulter, sondern er blitzte mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wiedergefunden; obgleich ich die beiden Strolche los wurde. Nachher aber kam mir der Brand in das Knie, und das Bein wurde mir abgeschnitten. Wäre ich ein Krebs, so wäre es mir sammt der Nase wieder gewachsen. Manch Viehzeug hat es besser als der Mensch!«

Kurt bezahlte.

»Wollen wir fort?«

»Ja.«

Sie verließen die Schenke und schritten neben einander her. Brendel frug:

»Sie steigen nicht auf?«

»Nein, da Sie nicht reiten. Wir können uns so besser unterhalten, und ich bin ja nicht müde. Wissen Sie nicht, ob der Herr Pastor Walther Ihrem Herrn zuweilen schreibt?«

»Wir erhalten von ihm in jeder Woche einen Brief.«

»Er war früher Erzieher in Helbigsdorf, wo er jetzt Pastor ist.«

»Das weiß ich. Und die Anna, die könnte jetzt Frau Pastorin sein.«

»Ich habe davon gehört.«

»Hat er selbst zu Ihnen davon gesprochen?«

»Nein. Zu einem Knaben spricht man nicht von solchen Dingen, und seit ich kein Knabe mehr bin, war ich erst einmal daheim in Helbigsdorf. Er soll stets sehr trüb und traurig sein und sich vollständig einsam halten, während er früher das gerade Gegentheil war. Was ist da schuld? Ist die Anna ihm untreu geworden?«

»Wer weiß das?«

»Ich dachte, das müßten Sie doch wissen!«

»Woher denn! Man hat darüber gar nichts erfahren können, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie hat auch nicht das kleinste Wörtchen darüber gesprochen.«

»Gegen Sie wohl nicht, jedenfalls aber doch gegen ihre Eltern?«

»Auch nicht.«

»Aber sie muß doch reden?«

»Hm! Kann ich zum Beispiel mit Ihnen reden, mein junger Herr?«

»Ja.«

»Aber kann der Sultan oder der Kaiser von Marokko jetzt mit Ihnen reden?«

»Natürlich nicht.«

»In wie fern denn und in wie so denn?«

»Weil keiner von den Beiden da ist.«

»Richtig! Und aus ganz demselben Grunde hat auch die Anna kein Wort gesprochen.«

»Sie ist nicht auf der Mühle?«

»Nein.«

»Wo denn sonst?«

»Das weiß man nicht.«

»Nicht? Ihre Eltern müssen doch wissen, wo sich ihre Tochter befindet!«

»Nein, sie wissen es nicht. Die Anna ist nämlich ganz spurlos verschwunden.«

»Unmöglich! Ist sie verunglückt, oder hat sie die Mühle heimlich verlassen?«

»Verunglückt kann sie unmöglich sein, denn in wie fern denn und in wie so denn, wenn ihr etwas Menschliches widerfahren wäre, so hätte man eine Spur davon gefunden.«

»Also heimlich davongegangen!«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

»Es bleibt doch gar nichts Anderes zu denken übrig!«

»So scheint es. Warum aber sollte die Anna die Mühle heimlich verlassen haben?«

»Vielleicht war sie mit den Eltern in Konflikt gerathen.«

»Konflikt? Dieses Zeug ist in der Höllenmühle niemals zu finden. Im Gegentheile, die Anna hat an ihren Eltern gehangen, wie selten ein anderes Kind.«

»Hatte sie eine heimliche Liebe, die von den Eltern nicht gebilligt worden ist?«

»O nein! Ihre Liebe war sehr öffentlich und wurde von dem Müller und seiner Frau im hohen Grade gebilligt. Der Herr Pastor Walther ist ein Mann, dem ein Jeder seine Tochter zur Frau geben kann, das werden Sie wohl zugeben, denn Sie kennen ihn ja ganz genau.«

»So begreife ich nicht – –!«

»Wir auch nicht. Das Verschwinden der Anna hat ungemeines Aufsehen erregt, und es ist in jeder Weise nach ihr geforscht worden, aber vergeblich. Der Müller hat sich alle Mühe gegeben, der Herr Pastor, der öfters zum Besuch kam, ebenso, und auch die Polizei hat Alles aufgeboten, um nur einen kleinen Anhalt zu entdecken. Alles umsonst!«

»Sonderbar. Es ist doch kein Fluß in der Nähe, der ihre Leiche hätte fortschwemmen können, wenn sie je darin verunglückt wäre. Nicht wahr, ein Bach treibt die Mühle?«

»Ja. Der schwemmt keine Leiche so weit fort, daß sie nicht wieder gefunden oder rekognoszirt werden könnte. Und Menschenfresser gibt es auch nicht in der Gegend.«

»Was sagt der Müller dazu?«

»Gar nichts mehr. Aber lachen, so wie früher, habe ich ihn nie wieder sehen.«

»Und die Müllerin?«

»Die weint und jammert. Was soll eine Frau in solcher Lage anders thun? Aber da haben wir Himmelstein, sehen Sie? Wie prächtig sich das von hier ausnimmt!«

Sie harren eine Krümmung des Weges, durch welche Stadt und Burg Himmelstein verdeckt worden war, hinter sich und sahen nun beide vor sich liegen.

»Herrlich!« rief Kurt, den Schritt anhaltend. »Die Burg schaut so weit in das Land hinein, daß ich sie bereits einige Stunden lang vor mir harre. So aber wie jetzt wurde sie mir noch nicht präsentirt. Ich möchte sie von dieser Stelle aus zeichnen.«

»Dazu haben Sie später noch Zeit, junger Herr. Jetzt wollen wir aber zur Mühle.«

»Wo liegt sie?«

»Da hinter der Stadt.«

»Gehen wir durch die Stadt?«

»Nein. Wir gehen um dieselbe herum, und zwar nach der Schlucht da drüben.«

Die Schlucht war bald erreicht. Ihre wilde Romantik wurde von Kurt bewundert.

»Jetzt begreife ich, warum dieser Ort die Hölle genannt wird. Es ist wirklich schauerlich hier. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn ich Teufel oder Dämonen in diesem finstern Gewirre von Felsen und Trümmern herumhuschen sähe.«

»Kommen Sie in der Dämmerung hierher, junger Herr. Dann wird es finster und furchtsam hier, während da droben die Fenster goldig leuchten und die Burg eine Krone von Strahlen trägt. Dann ist es einem wirklich, als ob man aus der Hölle tief unten empor blicke, mitten in die Herrlichkeiten des Himmels hinein. Das ist die richtige Zeit, Burg Himmelstein zu sehen und abzuzeichnen. Wenn es doch auch Himmel wäre da droben!«

»Was ist es sonst?«

»Hm, man darf nicht wohl davon sprechen, denn in wie fern denn und in wie so denn, man ist kein Katholik und muß sich darum in allen Stücken sehr in Acht nehmen. Das werden Sie sehr deutlich bei der Wallfahrt zu sehen bekommen, mein lieber junger Herr.«

»Wo liegt der Wallfahrtsort?«

»Die kleine Kapelle ist es, dort über dem Mönchskloster.«

»Das andere ist ein Nonnenkloster?«

»Ja. Die Väter da drüben und die Mütter hier hüben sollen sehr fromm sein.«

»Das ist ja ihr Beruf!«

»Und sich gegenseitig auf dem schweren Wege zum Himmel hinauf unterstützen.«

»Ah! Sie verkehren mit einander?«

»Es wird sehr viel und sehr sonderbar davon gemunkelt. Es ist wirklich eigenthümlich, daß es Geheimnisse gibt, die man kennt, ohne sie wirklich entdeckt zu haben.«

»Durch die Vermuthung?«

»Vielleicht ist es mehr als Vermuthung.«

»Wer haust jetzt auf der Burg Himmelstein?«

»Der alte Schloßvogt Geißler.«

»Habe von ihm gehört!«

»So? Jedenfalls nicht viel Gutes, nicht wahr, mein liebes, junges Herrchen?«

»Sie errathen es. Es waren nämlich aus dem Zuchthause von Hochberg einige sehr wichtige Gefangene entsprungen, welche glücklicher Weise in Helbigsdorf wieder ein gefangen wurden. Bei dieser Flucht soll dieser Geißler betheiligt gewesen sein. Es wurde davon gesprochen, ohne daß man etwas Gewisses herausbekommen hätte.«

»Ich kenne diese Geschichte, denn der Herr Pastor Walther hat sie uns erzählt, als er kurze Zeit darauf hier auf Besuch war. Er war damals noch Ihr Lehrer und sagte, daß Sie die Kerls ganz allein gefangen hätten, obgleich Sie nur ein Knabe waren.«

»Es ist mir leicht genug geworden,« lächelte Kurt.

»Sie mögen daraus ersehen, daß Sie in gutem Ansehen in der Mühle stehen. Uebrigens ist es sonderbar, daß zur Zeit, als jene Flucht stattfand, der Schloßvogt wirklich auf mehrere Tage hier abwesend war. Wir haben das genau gemerkt.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Er ist ein strenger finsterer Geselle, dem man Alles zutrauen kann. Wenn der Prinz auf Himmelstein verweilt, was jährlich einige Male geschieht, so gibt es ein Treiben, als ob Geister und Gespenster zwischen der Burg und den Klöstern hin und her flögen. Man darf sich dann da oben gar nicht gern sehen lassen.«

»Zur Wallfahrt kommt er also auch, wie Sie mir vorhin mittheilten?«

»Ganz sicher. Da wimmelt der Berg von fremden Leuten, und die Stadt mit der ganzen Umgegend dazu. Ein Jeder bringt der wunderthätigen Mutter Gottes da oben ein Geschenk und erhält dafür Vergebung seiner Sünden oder Heilung irgend eines Verbrechens, denn in wie fern denn und in wie so denn, die frommen Väter da oben haben auch ihr Ehrgefühl und mögen nichts umsonst haben. Dabei wird ein Jahrmarkt gehalten, und es geht hier zu wie bei dem Thurmbau zu Babel. Erst betet man, und wann das vorüber ist, macht man sich ganz gehörig lustig. Und bei dem letzteren, nämlich bei dem Vergnügen, soll sich der Prinz allemal am meisten betheiligen.«

»Trotz seines hohen Standes?«

»Hoher Stand? Den läßt er auf dem Schlosse. Er soll sich nämlich verkleiden, und dann gibt es immer eine Menge toller Streiche, bei denen ihm sein Leibdiener, der Franz, hilft, mit dem man Sie vorhin in der Schenke so verwechselt hat.«

»Dieser kommt auch mit?«

»Stets.«

»Kommt er auch in die Mühle?«

»Nein, denn dort haben wir ihn ausgemerzt.«

»Hm! Da kommt mir ein eigenthümlicher, ein sehr interessanter Gedanke!«

»Welcher?«

»Sehe ich diesem Franz wirklich so sehr ähnlich?«

»Im höchsten Grade! Wie ein Zwillingsbruder oder gar ein Ei dem andern.«

»Man könnte mich also sehr leicht mit ihm verwechseln?«

»Außerordentlich leicht, besonders wenn Sie den hiesigen Dialekt sprechen wollten.«

»Gut. Dann thun Sie mir doch den Gefallen und sagen Sie Niemandem, daß Jemand auf der Mühle anwesend ist, der dem Diener auf solche Weise ähnlich sieht.«

»Soll richtig besorgt werden, mein lieber junger Herr.«

»Der Wirth und die dortigen Gäste werden wohl nicht darüber sprechen.«

»Vielleicht doch. Würde Ihnen das vielleicht irgend welchen Schaden machen?«

»Möglich. Aber verbieten läßt es sich nicht, das würde erst recht auffallen.«

»Hängt viel davon ab?«

»O nein. Ich habe nur die Absicht, den Prinzen ein wenig zum Narren zu halten, wenn er mich je sehen und mit seinem Diener verwechseln sollte.«

»Dann nehmen Sie sich aber ja in Acht, daß Sie keinen Schaden davon haben, denn in wie fern denn und in wie so denn, der Prinz ist kein Guter!«

»Kenne ihn schon.«

»Hier ist die Mühle, junger Herr. Und da können Sie gleich eine Probe halten, ob Sie dem Geißler ähnlich sehen oder nicht. Ganz sicher wird man Sie mit ihm verwechseln.«

»Wollen sehen!«

»Ich muß gleich in den Stall. Gehen Sie in die Wohnstube, mein lieber junger Herr.«

Kurt folgte diese Aufmunterung. Er schritt durch den Flur, klopfte an und trat ein.

»Guten Tag!«

Bei diesem einfachen Gruße drehte sich der Müller, welcher am Tische saß, um.

»Guh – – – ah, wer ist denn das? Der saubere Herr Franz!

Hinaus mit ihm!«

»Herr Uhlig, ich komme, um Sie – – –«

»Hinaus!«

»Ich komme, um – – –«

»Hinaus!!«

»Ich komme – – –«

»Hinaus!!!«

»Ich – – –.

»Ich – – ich fliege hinaus! Nicht wahr, das wollen Sie sagen. Und das geschieht ja auch.«

Er erhob sich, trat auf Kurt zu und faßte denselben mit seinen Fäusten beim Arme.

»Vorwärts, Bürschchen! Du hast in der Höllenmühle den Teufel zu suchen.«

»Ich suche aber – – –«

»Nun ab! Hinaus!«

Er packte Kurt jetzt am Leibe und wollte ihn zur Thüre hinausstoßen, machte aber ein höchst erstauntes Gesteht, als es ihm nicht gelang, den jungen Menschen, welcher keines seiner Glieder rührte, auch nur einen Zoll weit von der Stelle zu bringen.

»Geben Sie sich keine Mühe, Herr Uhlig,« meinte Kurt treuherzig. »Wenn ich nicht freiwillig gehe, so bringen Sie mich um kein Haar breit von dem Orte fort, wo ich stehe.«

»Mensch, solche Stärke besitzt Er jetzt? Aber das hilft Ihm nichts; hinaus muß Er doch!«

»Warten Sie zunächst, bis ich Ihnen meine Grüße ausgerichtet habe!«

»Grüße? Ich möchte auch wissen, von wem Er mir diese Grüße zu bringen hätte!«

»Von dem Herrn Pastor Walther von Helbigsdorf.«

»Von dem? Flunkere Er nicht, sonst setzt es Ohrfeigen! Der Herr Pastor Walther wird sich hüten, einen solchen Urian, wie Er ist, zu mir zu schicken!«

»Auch der Herr General von Helbig läßt Sie grüßen.«

»Der Herr General – – –?«

»Und die drei Fräuleins Freya, Wanka und Zilla von Helbig.«

»Kerl!«

»Und die Wirthschafterin von Helbigsdorf, Frau Hartig.«

»Mensch!«

»Und der alte Leibdiener Kunz, dem der Pastor von Ihnen erzählt hat.«

»Schwindel! Nichts als Schwindel! Hat Er mich nicht auch von dem jungen Herrn zu grüßen?«

»Von welchem jungen Herrn?«

»Sieht Er, den kennt Er gar nicht, den Herrn Seekadett Kurt Schubert.«

»Den kenne ich sehr wohl, aber ich kann Sie gerade von dem nicht grüßen.«

»Nicht? Warum?«

»Weil ich dieser Kurt ja selber bin.«

»Er? Verrückter Kerl! Hinaus, sage ich Ihm nun zum letzten Male!«

»Und hier ist ein Brief von dem Herrn Pastor Walther, den er mir mitgab.«

Er zog einen Brief aus der Tasche und gab ihn dem Müller, welcher die Adresse betrachtete.

»Wahrhaftig, das ist die Hand des Herrn Pastors!«

»Lesen Sie den Brief, Herr Uhlig. Der Inhalt wird Sie aufklären.«

Der Müller öffnete das Kouvert, und jetzt trat auch die Müllerin neugierig herbei. In der Ecke saß Klaus, der Knappe. Seine lange Nase schnüffelte höchst verdächtig in der Luft herum, dann legte sie sich bald rechts bald links hinüber, als ob sie sich in einer höchst fatalen unsichern Sache Gewißheit holen müsse, und dann wippte sie sehr energisch von oben nach unten, bei welcher Bewegung sich der Knappe erhob.

»Meister!« meinte er, den Leser unterbrechend.

»Was?«

»Dieser junge Mann hier ist nicht der Franz Geißler.«

»Ah!«

»Aber ganz verteufelt ähnlich ist er ihm, das versteht sich ja von selber, Meister.«

»Du willst wohl auch – – –«

Der Knappe unterbrach ihn, indem er ihn beim Arme faßte und zu Kurt hinzog.

»Sehen Sie sich Den einmal an! Der hat schwarze Augen und blondes Haar, der Franz aber hat braune Augen und braunes Haar und sieht auch nicht so stark und vornehm aus wie Dieser hier. Das versteht sich ja ganz von selber, Meister!«

Kurt lächelte vergnügt; der Meister und die Meisterin wurden ungewiß und verlegen. Der erstere las den Brief schnell zu Ende und meinte dann erstaunt:

»Wahrhaftig, es ist nicht der Franz, sondern der Herr Kurt von Helbigsdorf.«

»Na!« brummte Klans, indem seine Nase sich vergnügt emporrichtete.

»Ists möglich!« rief die Müllerin. »Der Herr Kurt, und diesem Franz so ähnlich!«

»Ja; der Pastor, der den Franz doch kennt, schreibt mir, daß wir uns über eine so frappante Aehnlichkeit sehr wundern würden. Verzeihen Sie mir, junger Herr, und seien Sie mir und uns Allen von ganzem Herzen willkommen!«

Die Müllerin schlug die Hände zusammen und streckte ihm dann beide entgegen.

»Ja wohl, willkommen, Herr Kurt! Nein, ist das eine Ueberraschung und eine Freude!«

»Ja wohl, willkommen. Das versteht sich ja ganz von selber!« meinte auch Klaus.

Während er dem Gaste die Hand entgegenstreckte, machte seine Nase eine so deutliche Bewegung, daß man einsehen mußte, sie wolle auch mit einschlagen.

»Ja wohl, willkommen!« rief es da von der Thür her. »Denn in wie fern denn und in wie so denn, es ist ja der junge Herr Seekadett, den ich Euch bringe.«

»Du bringst ihn?«

»Ja,« antwortete Brendel, indem er stolz herbeigehumpelt kam. »Ich traf ihn in der Wiesenschenke vor der Stadt und hätte ihn beinahe auch für den Luftibus Franz gehalten, wenn mir nicht seine Sprache aufgefallen wäre.«

»Wie es scheint,« meinte Kurt, »darf ich mir auf meine Aehnlichkeit mit diesem Menschen nicht viel einbilden.«

»Er ist gehaßt und geflohen von allen Bewohnern dieser Gegend,« antwortete der Müller; »und wenn Sie ausgehen, werden Sie so lange finstere Gesichter zu sehen und böse Worte zu hören bekommen, bis man Sie vollständig kennen gelernt hat.«

»Ich glaube nicht, daß ich mich viel sehen lassen werde, denn ich beabsichtige nicht, jetzt sofort bekannt zu werden.«

»Warum?«

»Ich will aufrichtig bekennen, daß ich diesem Franz und noch viel mehr seinem Herrn gern einen kleinen Streich spielen möchte.«

»Aha? Sie wollen sich mit ihm verwechseln lassen?«

»Ja. Darum werde ich mich nicht eher sehen lassen, als bis Beide angekommen sind.«

»Ich möchte Sie davon abzuhalten suchen. Mit dem Prinzen ist nicht leicht zu spassen.«

»Ich fürchte ihn nicht.«

»Das weiß ich. Walther hat mir von Ihrem Zusammentreffen mit ihm erzählt.«

»Welchen Tag wird die Wallfahrt sein?«

»Nächsten Sonntag; doch werden sich bereits morgen schon Fremde dazu einfinden, und es steht zu erwarten, daß auch der Prinz schon morgen kommen wird.«

Die Müllerin begann jetzt, für ihren Gast Alles, was das Haus nur bieten konnte, aufzutragen, und bat ihn nach dem Mahle, sich in das ihm bereitete Zimmer zu verfügen, um sich von seiner anstrengenden Fußwanderung zunächst erst gehörig auszuruhen.

»Ich bin nicht müde,« lächelte er, »und möchte gern die Burg im Sonnenuntergänge glänzen sehen. Brendel hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß der Anblick ein sehr schöner sei.«

»Das ist wahr,« meinte der Müller. »Die Zeit dazu ist übrigens nahe. Kommen Sie heraus in die Laube, von da aus können Sie den Genuß am besten haben.«

Bald saßen sie mit einander allein draußen unter dem grünen Dache. Der Abend senkte sich langsam in das Thal hernieder, und je tiefer sich die Sonne neigte, desto heller erglänzte die Burg da droben im goldenen Scheine ihres scheidenden Strahles.

»Schön, wunderbar schön! Das sind Farben und Tinten, die kein Maler wiederzugeben vermag.«

»Ich habe sehr oft hier gesessen,« antwortete der Müller, »und diesen Anblick genossen. Jetzt aber möchte ich entweder weinen oder fluchen, wenn ich hinauf zur Burg blicke.«

»Ist Ihnen Uebles von da oben widerfahren?«

»Ich muß es behaupten, ohne sichere Beweise dafür bringen zu können.«

»Geschäftlich?«

»O nein; in dieser Beziehung kann ich nicht klagen, man bezahlt Alles pünktlich, was man von mir kauft. Aber – Sie wissen jedenfalls, daß ich eine Tochter hatte?«

»Die Verlobte des Pfarrers von Helbigsdorf.«

»Ja.«

»Sie ist verschwunden, wie mir Brendel am Nachmittage erzählte.«

»Spurlos, auf eine unbegreifliche Weise, wenn ich nicht Vermuthungen hegen will, die entsetzlich sind. Hier in dieser Laube hat das Unglück begonnen.«

»Ah!«

»Der tolle Prinz trank hier ein Glas Milch, ohne daß wir ihn kannten. Er betrug sich dabei so zudringlich gegen meine Tochter, daß ich gezwungen war, ihn energisch fort zu weisen. Er warf mir dafür eine Drohung entgegen, deren Erfüllung vielleicht mit dem Verschwinden des Mädchens zusammenhängt.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß er sie überredet hat, ihm heimlich zu folgen!«

»Das zu thun wäre Wahnsinn. Anna verabscheute ihn von ganzem Herzen.«

»So vermuthen Sie wohl gar eine Gewaltthat?«

»Aufrichtig gestanden, ja.«

»Das wäre ja eine fürchterliche Niederträchtigkeit von ihm. Haben Sie Gründe?«

»Gründe, leider aber keine Beweise. Einige Tage nach jenem Zusammentreffen mit dem Prinzen ging Anna hierher. Sie saß des Abends gern in der Laube. Kaum war sie eingetreten, so wurde sie von hinten gepackt und erhielt, ehe sie um Hilfe rufen konnte, ein Pflaster vor das Gesicht, welches ihr unmöglich machte, einen Laut auszustoßen. Das Pflaster deckte auch ihre Augen, so daß sie die beiden Männer nicht sehen konnte, welche sie gewaltsam fortschleppten.«

»Alle Teufel, das ist ja Menschenraub!«

»Zufälliger und glücklicher Weise war ich noch spät nach der Stadt gegangen. Als ich auf dem Rückwege durch die Schlucht kam, hörte ich schwere Schritte, welche mir entgegenkamen. Ich trat auf die Seite um auszuweichen, und erkannte zwei Männer, welche einen lichten Gegenstand trugen. Erst glaubte ich, es mit Mehldieben zu thun zu haben, aber als sie näher kamen, sah ich, daß es nicht ein Sack, sondern eine weibliche Person war, was sie trugen. Ihre Gesichter waren schwarz gefärbt, und ihre Kleidung war nicht eine solche, daß ich sie an derselben hätte erkennen können. Ich trat vor, erhob den Stock und rief ihnen zu, zu halten.

»Der Müller!« rief der Eine, ließ die Last fahren und sprang davon. Er mochte wissen, daß ich so stark bin, es mit Zweien aufzunehmen, obgleich ich –« fügte er lächelnd hinzu – »Ihnen, Herr Kurt, nicht gewachsen zu sein scheine.«

»Die See macht stark, mein Lieber, daran ist nichts zu bewundern. Aber bitte, fahren Sie fort. Ich bin mit dem größten Interesse bei Ihrer Erzählung.«

»Der Andere getraute sich nun auch nicht, einen Kampf mit mir allein zu bestehen; er warf seine Bürde ab und rannte dem Ersteren eiligst nach. Ich erkannte zu meinem größten Schrecken meine Tochter, welcher sie die Füße zusammengebunden und die Arme an den Leib gefesselt hatten.«

»Sie verfolgten die Flüchtlinge nicht?«

»Nein, ich hatte keine Zeit dazu, denn es war ja zunächst nothwendig, Anna von dem Pflaster und den Fesseln zu befreien, und als dies geschehen war, hätte ich die Schurken sicherlich nicht mehr erreichen können.«

»Kam Ihnen die Stimme nicht bekannt vor?«

»Gehört hatte ich sie bereits, aber den Besitzer zu bestimmen war mir nicht möglich.«

»Sie machten doch Anzeige über diesen Fall?«

»Das versteht sich. Er erregte allgemeines Aufsehen, doch blieb die Anzeige ohne weitere Folgen. Von da an unterließ es meine Tochter, des Abends aus der Mühle zu gehen, und entfernte sich selbst des Tages nicht weit von derselben. Kurze Zeit später wollte sie einen Korb Klee vom Felde holen. Es war um die Mittagszeit, und das Feld liegt in nur geringer Entfernung von der Mühle. Es schien also gar kein Grund zu irgend einer Befürchtung vorhanden zu sein, zumal das Mädchen kräftig genug war, es mit einem nicht gar zu starken Manne aufzunehmen. Da aber wurde plötzlich von hinten ihr Korb gefaßt, und ehe sie die Arme aus den Tragebändern bringen konnte, lag sie am Boden. Zwei verlarvte Männer warfen sich auf sie, von denen der eine sie festhielt, während der andere den Korb zu entfernen suchte. Dabei fiel die Sichel, welche in demselben gelegen hatte, heraus und zwar gerade so, daß es Anna gelang, sie zu erfassen. Das resolute Mädchen nahm jetzt alle ihre Kräfte zusammen und hieb mit dem schneidigen Instrumente so wacker um sich, daß sie beide Kerls verwundete und von ihnen freigegeben werden mußte.«

»Sie rief nicht um Hilfe?«

»O doch. Wir hörten es, und ich kam gerade noch zeitig genug, um die Fliehenden hinter den Felsen verschwinden zu sehen.«

»Und sie wurden nicht erkannt?«

»Leider nicht!«

»Solche Dinge sind beinahe unglaublich, wenn man bedenkt, daß die Zeiten der Raubritter und der Rinaldo's vorüber sind. Zeigten sie auch dieses Mal an?«

»Versteht sich. Man hielt Recherchen – das war Alles, was ich erreichte.«

»Und dann?«

»Es vergingen viele Monate, und wir dachten gar nicht mehr an diese beiden Begebenheiten. Walther war Pastor geworden und schrieb uns, daß er nun heirathen werde. Anna und die Mutter arbeiteten fleißig an der Ausstattung. Eines Abends saßen Beide nähend in der Oberstube. Wir hatten nichts zu mahlen und daher war ich mit den Knappen und dem übrigen Gesinde bereits zu Bette gegangen. Da ruft es unten vor der Mühle mit gedämpfter Stimme. Die beiden Frauen horchen auf.

»Anna!« klingt es deutlich zu ihnen empor.

Das Mädchen öffnet das Fenster.

»Wer ist unten?«

»Ich!«

»Wer?«

»Walther!«

»Du? Ists möglich!«

»Ich wollte Euch überraschen. Bitte, mach auf, Anna!«

In ihrer Herzensfreude eilt sie ohne Licht hinab. Die Mutter hört, daß die Hausthür geöffnet wird und vernimmt einen leichten Schrei, den sie der Freude über das Wiedersehen zuschreibt. Sie ergreift die Lampe, um den Beiden die Treppe zu erleuchten. Sie wartet draußen, niemand kommt. Sie ruft; niemand antwortet. Sie geht endlich hinunter; die Thür steht offen, aber kein Mensch ist zu sehen. Sie ruft Annas Namen laut in die dunkle Nacht hinein – vergeblich. Da wird es ihr angst. Sie weckt uns Alle und erzählt uns, was geschehen ist. Wir bewaffnen uns, ergreifen die Laternen, lassen die Hunde los und suchen nach beiden Seiten von der Mühle aus die Schlucht ab – ich habe Anna nie wieder gesehen!«

»Mein Gott, ist so etwas möglich?«

»Nicht nur möglich, sondern sogar wirklich. Die ganze Gegend wurde allarmirt; die Polizei gab sich alle erdenkliche Mühe; es wurde jeder Zoll breit der Umgebung meiner Mühle nach Spuren abgesucht, es wurde in jeder nur erdenklichen Weise nach der Verschwundenen geforscht und gefahndet – sie ist nicht gefunden worden, sie ist verloren geblieben.«

»Aber Ihre Vermuthungen –?«

»Konnten zu nichts führen, da ich nicht einmal Namen nennen durfte.«

»Warum nicht?«

»Was hätten mir die Herren geantwortet, wenn ich behauptet hätte, daß der tolle Prinz meine Tochter geraubt habe?«

»Der tolle Prinz? Ah, er ist wirklich der Einzige, dem ein solcher Streich zuzutrauen ist. Aber gegen solche Herren läßt sich nur dann vorgehen, wenn die klarsten Beweise oder die unumstößlichsten Verdachtsgründe vorliegen. War er zur Zeit, als Ihre Tochter verschwand, auf Himmelstein anwesend?«

»Nein. Das war auch nicht nothwendig. Sie ist ihm nachgeschafft worden.«

»War er während der ersten beiden Versuche auf Himmelstein?«

»Ja.«

»Haben Sie Forschungen angestellt nach der Richtung Ihres Verdachtes hin?«

»Die erdenklichsten. Auch Walther hat Alles aufgeboten, leider aber scheint er im Stillen seine Meinung über diese traurige Begebenheit vollständig geändert zu haben.«

»Was sollte er meinen?«

»Daß Anna mit einem heimlichen Anbeter ganz freiwillig davongegangen ist. Es gibt ja für die Wahrheit meiner Angaben keine anderen Beweise als allein mein Wort.«

»Und dem ist natürlich unbedingter Glauben zu schenken. Wäre ich ein Kriminalist, so würde ich der Aufklärung dieses Geheimnisses sicherlich meine ganze Zeit widmen.«

»Würde wohl ebenso vergeblich sein wie Alles, was bisher geschehen ist. Lassen Sie uns also davon abbrechen. Es ist nicht gut, in solchen Wunden herum zu wühlen!«

Er erhob sich und verließ die Laube, um in den Gängen des Gartens zu verschwinden. Kurt blieb noch lange sitzen. Er mußte bei dem Allen unwillkürlich an die Schwester seines Freundes Karl von Mylungen denken, welche auch verschwunden war, allerdings höchst wahrscheinlich in Uebereinstimmung mit dem Prinzen. Dieser Gedanke blieb ihm während des ganzen Abends treu und begleitete ihn auch bis in das Zimmer, welches er später aufsuchte, als Alle außer den beiden Knappen den Schlaf gesucht hatten.

Es war ein wunderbar schöner Sommerabend. Der Mond, welcher bereits während des Tages seinen Lauf begonnen hatte, neigte sich zum Horizonte nieder und überschüttete die einstige Raubveste mit seinem magischen Lichte; das Heer der Sterne flimmerte an dem tiefblauen Himmelszelte, und aus dem Garten drang der süße Duft der Reseda herauf zum geöffneten Fenster, an welchem Kurt lehnte, um die Wunder der Nacht zu genießen.

Unten rauschte das Wasser und klapperten die Räder so ruhelos, wie die Gedanken im Kopfe des Jünglings, welchen es nicht gelingen wollte, von den beiden verschwundenen Mädchen loszukommen. Er war so munter, als sei er erst aus dem stärkenden Schlafe erwacht, die Schönheit des Abends zog ihn hinaus, und so beschloß er, die Mühle zu verlassen und einen Spaziergang nach dem Berge zu unternehmen.

Er stieg wieder zur Treppe hinab und trat zunächst in die Mühle, in welcher Klaus und Brendel soeben neues Getreide aufgeschüttet hatten.

»Noch nicht schlafen, junger Herr?« frug Klaus, indem seine Nase eine Bewegung machte, die ihre sehr große Verwunderung andeutete darüber, daß man so lange wach bleiben könne, ohne eine nothwendige Beschäftigung zu haben.

»Noch nicht; die Nacht ist ja zu schön, als daß man schlafen könnte.«

»Hm, ich meine aber, daß die Nacht gerade sehr schön zum Schlafen sei, denn dazu ist sie ja da, das versteht sich ja ganz von selber!«

»Eine so poetische Nacht muß man genießen, lieber Klaus.«

»Und zwar im poetischen Bette, mein lieber junger Herr. Nicht wahr, Brendel?«

»Natürlich! Ich wollte, ich könnte schlafen, denn in wie fern denn und in wie so denn, weil es in der ganzen Welt nichts Besseres gibt als das Bischen Ruhe, welches man braucht, wenn sie einem ein Bein heruntergeschnitten haben.«

»Glücklicher Weise habe ich meine beiden Beine noch und werde diesen Umstand benutzen, um jetzt noch einen Spaziergang zu machen.«

»Spaziergang? Jetzt? Bei Nacht?« frug Klaus, wobei sich seine Nase ganz entrüstet emporrichtete.

»Ja.«

»Wohin denn, wenn man fragen darf?«

»Auf den Berg.«

»Hm! Den ganzen Tag gelaufen und während nachtschlafender Zeit noch Berge steigen, das ist niemals meine Leidenschaft gewesen. Das versteht sich ja ganz von selber.«

»Steigen Sie morgen hinauf, Herr Schubert,« meinte Brendel. »Folgen Sie meinem Rathe, denn in wie fern denn und in wie so denn, am hellen Tage läuft es sich besser.«

»Es ist hell genug, um den Weg zu sehen.«

»Aber der Mond wird bald untergehen.«

»Dann leuchten mir die Sterne zum Heimwege. Schließen Sie die Thür hinter mir ab. Sie arbeiten doch die ganze Nacht hindurch?«

»Ja. Wir lösen einander ab.«

»So werde ich klopfen, wenn ich zurückkehre.«

Er ging. Die Schlucht war finster, aber über derselben flimmerten die Sterne, so daß er ungefährdet die Straße erreichte, welche empor zur Burg führte. Er schlug sie ein und schritt nun langsam den Berg empor. Hier und da zirpte eine wachende Grille im Grase oder ein träumender Vogel gab einen kurzen abgerissenen Laut von sich; sonst aber war Alles still und ruhig, und obgleich die Mitternacht noch nicht heran gekommen war, begegnete ihm kein Mensch auf seinem einsamen Wege.

Er langte bei dem Nonnenkloster an und schritt an den dunklen Massen desselben vorüber, ohne das mindeste Lebenszeichen entdecken zu können. Die frommen Schwestern waren wohl längst schlafen gegangen oder knieten in ihren Zellen, um im Stillen mit Dem zu verkehren, dessen Bräute sie geworden waren.

Dann kam er an den Mauern des Mönchsklosters vorüber, die ebenso düster und todt da lagen, wie diejenigen des anderen. Er verfolgte seinen Weg ohne alle nähere Absicht und gelangte an dem Kapellchen vorüber nach dem Schlosse, vor dessen Thore die breite Straße ihr Ende erreichte. Von ihr ab aber zweigte sich ein schmaler Pfad, der längs der äußeren Burgmauer, die von einem breiten Graben geschützt wurde, nach einer Felsenmasse führte, welche den höchsten Punkt des Berges bildete und mit den Zinnen des Schlosses in gleicher Höhe lag.

War dieser glatte, vielfach zerschlitzte und zerspaltene Steinkegel bereits einmal erstiegen worden? Möglich, aber nicht wahrscheinlich, denn es gehörte jedenfalls ein kühner Muth und ein sicherer Fuß zu diesem Unternehmen. Und doch kam Kurt die eigenthümliche Lust an, dieses Wagniß zu versuchen, obgleich es Nacht war. Es war gewiß ein willkommener Lohn, von dieser hohen einsamen Spitze tief unten die weithin sich dehnende Mondscheinlandschaft zu überblicken, und Kurt war als der beste Kletterer auf dem Schulschiffe bekannt gewesen. Es ist jedenfalls die Besteigung eines Berges bei nächtlicher Beleuchtung bei weitem nicht so gefährlich, wie das Klettern in die Wanten und auf die Raaen eines Fahrzeuges, welches in schwarzer stürmischer Nacht von dem Sturme auf den Wogen herumgeworfen wird.

Er umging den Felsen bis zu der Seite hin, wo er von dem Monde beschienen wurde, und begann dann den Aufstieg. Dieser war bedeutend schwieriger, als er anfangs gedacht hatte; er kam nur bis ungefähr auf drei Viertel der Höhe und mußte dann von seinem Vorhaben abstehen. Er blickte sich um.

Neben ihm lag die Burgmauer, über welche er hinwegblicken konnte. Er sah den hintern Hof und dann ein kleines Gärtchen, welches vom Monde so deutlich beleuchtet wurde, daß er eine weibliche Gestalt bemerken konnte, welche auf einer Bank saß, die von einem leichten Pflanzengewinde, jedenfalls Epheu, laubenartig überwölbt wurde. Sie war ganz in Weiß gekleidet und schien durch eine in der hintern Mauer angebrachte schießschartenähnliche Oeffnung hinaus in das weite Land zu blicken.

Wer war diese Frau oder dieses Mädchen? Die Anwesenheit derselben war keineswegs unerklärlich oder gar darnach angethan, irgend einen Argwohn, einen Verdacht zu begründen, aber Kurt hatte während mehrerer Stunden an nichts Anderes gedacht als an den Mädchenraub, und daher war es gar nicht zu verwundern, daß seine Phantasie sogleich thätig war, diesen Raub mit dem unbekannten Wesen in Verbindung zu bringen, welches dort so sehnsüchtig durch die Schießscharte blickte.

Die Mauer war gar nicht sehr weit entfernt von dem Felsenvorsprunge, auf welchem er lag. Wäre ein guter Anlauf möglich gewesen, so hätte er den Graben überspringen und sie sicher erreichen können, und dann wäre es ein Leichtes gewesen, auf ihrem oberen, mit breiten Platten belegten Rande rings um den Hof herum nach dem Gärtchen zu gelangen, welches so nahe lag, daß er ganz deutlich ein leises Räuspern hörte, nach welchem die Unbekannte eine Melodie halblaut vor sich hinsummte.

Die Weise kam ihm bekannt vor. Er lauschte. Bereits beim zweiten Verse verstand er die Worte, welche der Melodie untergelegt waren:

»Da ich zuerst empfunden,
     Daß Liebe brechen mag,
War mirs als sei verschwunden
     Die Sonn' am hellen Tag.
Es klang das Wort so traurig gar,
     Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar,
Da ich zuerst empfunden
     Daß Liebe brechen mag.«

Dieser Text und die furchtsame vorsichtige Art und Weise, in welcher er mehr gesummt als gesungen wurde, machten in Kurt die Vorstellung lebendig, daß er es hier wirklich mit einer Person zu thun habe, die sich in irgend einer hilfsbedürftigen Lage befinde. Er hörte weiter:

»Mein Frühling ging zur Rüste,
     Ich weiß gar wohl warum:
Die Lippe, die mich küßte,
     Ist worden für mich stumm.
Das eine Wort nur sprach sie klar:
     »Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!«
Mein Frühling ging zur Rüste,
     Ich weiß gar wohl, warum.«

Im Gärtchen war sie allein; das sah Kurt; aber befand sich nicht vielleicht Jemand in der Nähe? Er wagte es. Ohne seine Gestalt zu zeigen, sang er halblaut, so daß sie es nur eben verstehen konnte, die erste Strophe dieses Liedes, welches ihm schon längst bekannt war:

»Wenn sich zwei Herzen scheiden,
     Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,
     Wies größer keines gibt.
Es klingt das Wort so traurig gar:
     Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!
Wenn sich zwei Herzen scheiden,
     Die sich dereinst geliebt.«

Gleich als er begonnen hatte, war sie von der Bank empor gesprungen und hatte sich nach dem Orte umgesehen, von welchem die Töne kamen. Jetzt erhob er sich aus seiner liegenden Stellung.

Der Mond beleuchtete ihn, sie konnte ihn sehen.

Da legte sie beide Hände zusammen und hob sie bittend über den Kopf empor.

»Hilfe!«

Es war kein Ruf, denn sie durfte nicht laut sprechen; daher war dieses Wort mehr ein Flüstern in die Ferne, als ein Schrei, aber Kurt verstand es ganz deutlich. Aus Sorge, er möchte laut antworten, winkte sie warnend nach dem Burggebäude zu. Er wußte, was sie meinte, aber er mußte ihr wenigstens ein Wort sagen:

»Morgen!«

Er raunte es zu ihr hinüber. Sie nickte; sie hatte ihn verstanden. Nur noch einige Augenblicke blieb sie stehen; dann verschwand sie aus dem Garten, und er sah sie über den hintern Hof nach dem Gebäude gehen.

»Sollte dies Anna sein?« frug er sich. »Unmöglich. Das wäre ja längst verrathen. Es ist eine Andere, die hier aus irgend einem Grunde festgehalten wird. Ich werde ihr helfen, ohne daß der Müller etwas davon erfährt.«

Er machte sich zum Rückzuge bereit. Da fiel sein Blick hinab auf das Mönchskloster. Im Garten des Klosters hart an der oberen Mauer desselben, da wo die Gräber lagen, standen zwei Mönche. Der eine hackte und der andere trug etwas im Arme. Das sah so verdächtig, so sonderbar aus, oder kam dem Kadetten so interessant und romantisch vor, daß er so schnell wie möglich an dem gefährlichen Felsen herabstieg, und zwar an der dunklen Seite desselben, und dann über das wild liegende Land und durch allerlei Gestrüpp gerade auf die Stelle der Klostermauer zueilte, hinter welcher sich die Mönche befanden. Diese wußten sich ganz unbeobachtet und allein. Sie hatten also auch keine Veranlassung, ihre Stimmen übermäßig zu dämpfen, und sprachen daher so laut mit einander, daß Kurt jedes ihrer Worte zu verstehen vermochte.

»Das wievielte?«

»Das fünfte in diesem Jahre.«

»Fruchtbares Land.«

»Hahaha! Wenn es gut bebaut wird. Ist das tief genug?«

»Nein. Zwei Ellen müssen es sein. Man muß auch mit solchen Kleinigkeiten so sicher wie möglich gehen. Es können leicht Umstände eintreten, die es – –«

»Pah, welche Umstände sollen dies sein? Es handelt sich hier nur um die überflüssige Arbeit, welche man uns verursacht. Die frommen Mütter könnten doch darauf bedacht sein, solche Ueberflüssigkeiten möglichst selbst zu beseitigen.«

»Sie haben ja keinen Kirchhof!«

»Muß es ein Kirchhof sein? Eine Grube, ein Feuer thut es ebenso. Möchte aber doch wissen, welcher von den Schwestern wir diese Beschäftigung zu verdanken haben.«

»Das werden wir beim nächsten Besuche leicht erfahren. Jedenfalls von der, welche unten im geheimen Gange steckt, sicherlich nicht.«

»Allerdings. Bei dieser kann so eine Liebenswürdigkeit sicherlich nicht vorkommen. Pater Bernardus hat sich alle Mühe gegeben, sie zu bekehren, und es ist ihm nicht gelungen, trotzdem er der schönste und gewandteste Mann des ganzen Klosters ist.«

»Möchte wissen, ob sie eine Schwester oder ein Gast ist.«

»Ein Gast.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Woher weißt Du es?«

»Der Küchemeister sagte es mir im Vertrauen. Sein Bruder, der Schloßvogt hat sie eingeliefert.«

»Heimlich?«

»Versteht sich! Während der Nacht durch seine Frau.«

»Aha, da ist es der Herr, der sie in Pflege gibt!«

»Jedenfalls.«

»Wie lange ist sie da?«

»Bereits einige Jahre.«

»Teufel! So lange hat die Verstocktheit bei Keiner angehalten. Höchstens einige Wochen! Warum hat man die Zwangszelle noch nicht gebraucht?«

»Aus zwei Gründen. Erstens fürchtet man sich vor ihr, denn sie hat ein Messer bei sich und würde jede Schwester, die sich ihr im Bösen nähern wollte, niederstechen, und zweitens scheint sie von vornehmer Abkunft zu sein und also einige Berücksichtigung zu verdienen.«

»Pah! Wir haben Schwestern, die Komtessen waren, und doch gehorsam sind.«

»Sie soll auch eine Komtesse gewesen sein.«

»Warum fürchtet man sich vor ihrem Messer? Sie würde höchstens nur eine einzige Person verwunden und dann gefesselt werden.«

»Der Herr will dies nicht. Er will sie durch die Langeweile dahin bringen, daß sie ihm freiwillig gehorcht. Eine freiwillige Gabe ist mehr werth, als ein erzwungenes Gut.«

»Hat man sie nicht in die »Aussicht« gebracht?«

»Auch. Man hat ihr Bücher gegeben, deren Inhalt und Abbildungen sie fügsam machen sollten, man hat sie in die »Aussicht« gesteckt, wo sie unsern Zusammenkünften zusehen muß, selbst wenn sie nicht will – es hat nichts geholfen. Schwester Klara sollte noch hier sein.«

»Habe keine Schwester Klara gekannt.«

»Du warst noch nicht von Kloster Neustadt nach hier versetzt, als sie in Himmelstein war. Sie war eine Venus und eine Furie zugleich, bis sie plötzlich verschwand.«

»Wohin?«

»Niemand hat etwas darüber erfahren. Ihr konnte keine Novize und kein Gast widerstehen, sie hatte ein paar Augen, aus denen der Himmel strahlte und auch die Hölle leuchtete, je nachdem sie es wollte. – Fertig! Laß uns ein Paternoster beten!«

Kurt vernahm das einförmige Herplappern des Vaterunsers, dann hörte er, daß sie sich entfernten.

Was hatten diese beiden Männer hier gethan? Einen Gegenstand vergraben? Jedenfalls. Aber welcher Gegenstand war das gewesen? Er war zu jung und unerfahren, um das Gehörte in seinem ganzen Umfange und seiner ganzen Bedeutung verstehen zu können, aber er beschloß, sich den Ort zu merken, zog das Messer hervor und machte ein Zeichen an die Mauer.

Was war das für ein Gast, von dem die Mönche gesprochen hatten? Es sollte eine Komtesse sein. Doch nicht etwa gar die Komtesse Toska von Mylungen? Und wer war der »Herr«, der diesen Gast des Nachts durch die Frau des Schloßvogtes geschickt hatte? Weshalb und wozu sollte dieser Gast bekehrt werden, der sich mit einem Messer vertheidigte? Warum steckte man eine Komtesse in die »Aussicht,« und was war unter diesem Worte zu verstehen?

Er hätte sich noch mehr Fragen vorlegen können, aber der Mond war verschwunden, und der Weg bis hinunter zur Mühle nahm keine kurze Zeit in Anspruch.

Als er dort ankam, öffnete ihm Brendel.

»Sie sind sehr lange gewesen, Herr Schubert. Waren Sie auf dem Berge?«

»Ja.«

»Und haben sich nicht gefürchtet?«

»Vor wem oder was?«

»Vor Gespenstern. Es soll da oben während der Nächte schrecklich umgehen.«

»Aberglaube!«

»Nein, kein Aberglaube, sondern Wahrheit. Es geht wirklich um, nämlich die Mönche zu den Nonnen. Denn in wie fern denn und in wie so denn, warum sollen denn Brüder und Schwestern sich nicht ein klein wenig lieb haben?«

»Das versteht sich ganz von selber!« meinte Klaus, welcher herzugetreten war, und dabei machte seine Nase eine Bewegung, welche die stärkste Bekräftigung ausdrücken sollte. »Aber nun werden Sie ganz und gar ermüdet sein, junger Herr.«

»Es ist nicht sehr schlimm. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Er suchte die Ruhe und fand sie lange nicht. Das Erlebte nahm seine Sinne und Gefühle gefangen, und selbst als er endlich eingeschlafen war, lebten die Gestalten des heutigen Tages in seinem Traume fort.

Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel Der Müller begrüßte ihn:

»Guten Morgen, lieber Herr! Ausgeschlafen?«

»Mehr als gut ist. Ein zu langer Schlaf macht müde.«

»Das ist richtig. Aber wie ich von meinen Knappen hörte, sind Sie während der Nacht spazieren gewesen?«

»Ein wenig. Der Abend war zu schön, als daß ich ihn hätte verschlafen mögen.«

»Wird auch noch anders werden, wenn Sie einmal in meine Jahre kommen.«

»Frühstück, Frühstück!« rief ihnen die Müllerin freundlich zu. »Die Jugend muß immer Hunger haben, sonst kann nichts Gescheidtes aus ihr werden.«

»Ich habe auch Appetit, das will ich Ihnen gestehen,« lachte Kurt. »Also folglich wird auch einmal etwas Gescheidtes aus mir. Aber was, das ist die Frage!«

»Ein Admiral!«

»Nicht übel!«

»Und Schwiegersohn.«

»Schwiegersohn? Wessen?«

»Hm, Schwiegersohn eines Generales.«

Kurt erröthete wie ein junges Mädchen, zu dem man von einem Bräutigam gesprochen hatte. Dies war das allererste Mal, daß ein Gedanke ausgesprochen wurde, der ihm jetzt unmöglich zu denken gewesen wäre. Er konnte kaum eine Antwort finden.

»Welches Generales?« frug er endlich ziemlich verlegen.

»Das muß ich Ihnen überlassen. Es gibt der Generale sehr viele, welche Töchter besitzen. Suchen Sie sich denjenigen selbst aus, der Ihnen am geeignetsten erscheint!«

Nach dem Frühstücke ging Kurt in dem Mühlegarten spazieren. Er hatte bemerkt, daß Brendel sich dort in den Beeten zu schaffen machte, und that, als wolle er ihm zusehen. Klaus war auch dabei, da der Müller die Mühle jetzt selbst bediente. Der junge Mann wußte gar nicht recht, in welcher Weise er sein Anliegen an den Mann bringen solle.

»War der Salat heuer gerathen?« frug er.

»Das versteht sich ganz von selber,« meinte Klaus, und seine Nase nickte zustimmend.

»Und die Gurken?«

»Auch.«

»Bohnen und Erbsen?«

»Werden noch.«

»Zuckerkürbis?«

»Ausgezeichnet.«

»Zwiebeln, Petersilie, Blumenkohl, Radieschen, Kerbel und Rettige?«

»Mit Allem sehr zufrieden.«

Der alte Knappe machte ein Gesicht, als habe er nicht die mindeste Ahnung, daß diese Fragen jedenfalls nur etwas Anderes einleiten sollten, was noch kommen mußte.

»Und die Beete haben Sie bearbeitet?«

»Ja.«

»Trotzdem Sie des Nachts in der Mühle sein müssen und also des Tages schlafen sollten?«

»Hm, wir wechseln ab, und wer Zeit hat, kann im Garten nachsehen. Das versteht sich ja ganz von selber! Nicht wahr, Brendel?«

»Ja, mein lieber Herr Schubert. Wir arbeiten auch im Garten, denn in wie fern denn und in wie so denn, die Anna ist fort, da muß die Lücke von den Andern mit ausgefüllt werden.«

»Wer hat heute Nacht die Mühle zu besorgen?«

»Der Meister und ich.«

»So sind Sie also frei, Klaus?«

»Ja. Ich schlafe.«

Das war es, was Kurt wissen wollte. Brendel fügte erklärend hinzu:

»Und weil ich die Mühle habe, werde ich am Nachmittage schlafen, während Klaus aufschüttet.«

Da richtete sich Klaus vom Beete empor.

»Mein lieber junger Herr, ich möchte Sie einmal nach etwas fragen!«

»Fragen Sie nur zu. Ich werde gern antworten.«

»Sie heißen Schubert und Ihr Vater war Seemann? wie der Herr Pastor erzählte.«

»Ja.«

»Ich habe einen gewissen Schubert gekannt, der einen Bruder hatte, welcher Seemann geworden war. Dieser Schubert war ein Schmied.«

»Ein Schmied? Ich habe einen Onkel, welcher allerdings Schmied ist.«

»Der, den ich meine, war Obergeselle bei dem Hofschmied Brandauer. Er sprach das weiche B wie ein hartes P.«

»Das ist mein Onkel, der Onkel Thomas!«

»Wirklich? Alle Wetter, trifft sich das! Der Thomas und ich sind die besten Kameraden, die es nur geben kann. Wir haben mehrere Feldzüge mit einander gemacht und uns auch später nicht mehr aus den Augen verloren. Nur seit einigen Jahren haben die Grüße aufgehört, die wir uns gegenseitig immer zu senden pflegten. Was macht denn der alte Kumpan jetzt?«

»O, der steht sich gut. Er hat geheirathet.«

»Geheirathet? Donnerwetter!«

Die Nase des Knappen fuhr empor, als ob sich eine Wespe angesetzt hätte.

»Wen denn?«

»Die Gastwirthin Barbara Seidenmüller, eine reiche Wittfrau.«

»Aha, das ist die »Parpara«, von der er mir erzählt hat! Sie waren alle Drei in sie verliebt, nämlich der Thomas, der Baldrian und auch der Heinrich, und Ihr Onkel hat also den Sieg davon getragen!«

»Ja. Aber das ist noch nicht Alles.«

»Was noch?«

»Er ist Hofschmied geworden, und der Baldrian und der Heinrich arbeiten bei ihm.«

»Ein wahrer Glückspilz! Na, da Sie der Neffe von einem alten Spezial sind, so habe ich Sie gleich noch einmal so lieb, als ich Sie vorher schon hatte. Wenn ich Ihnen einen Gefallen thun kann, so sagen Sie es nur, ich laufe für Sie durch das Feuer; das versteht sich ja ganz von selber!«

Dabei nickte seine Nase in einer Weise, welche man als die größeste Betheuerung gelten lassen konnte.

Am Nachmittage war Klaus allein in der Mühle. Kurt suchte ihn auf.

»War das heute Morgen Ihr Ernst, Klaus?«

»Was?«

»Daß Sie für mich durch das Feuer gehen wollen?«

»Das versteht sich ja ganz von selber!«

»So viel würde ich niemals von Ihnen verlangen; aber eine Bitte habe ich doch.«

»Heraus damit!«

»Sie haben heute Nacht frei?«

»Ja.«

»Wollen Sie mir einige Stunden Schlaf opfern?«

»Das versteht sich ja ganz von selber! Sagen Sie nur was ich machen soll!«

»Sie sollen mit mir spazieren gehen.«

»Spazieren? Gut! Schön! Ist sonst meine Leidenschaft nicht, werde es aber thun.«

»Aber es darf kein Mensch etwas davon wissen.«

»Werde keiner Seele etwas merken lassen. Wohin soll es denn gehen?«

»Das werden Sie später erfahren. Können wir unbemerkt fortkommen?«

»Ja. Wir gehen durch die hintere Thüre. Welche Zeit geht es fort?«

»Ganz zu derselben Zeit, in welcher ich gestern ging.«

»Werde mich bereit halten.«

»Und noch Eins: Haben Sie vielleicht einige lange feste Stricke?«

»Viele.«

»Besorgen Sie welche!«

»Wie lang und wie fest müssen sie sein?«

»Zwölf Ellen, und so fest, daß sie einen Menschen halten können.«

»Donnerwetter, wollen Sie sich zwölf Ellen hoch aufhängen?«

»Nein!« lachte Kurt.

»So gibt es wohl ein Abenteuer?«

»Ja, wenn Sie es mitmachen wollen.«

»Das versteht sich ja ganz von selber! Ist sonst noch etwas nöthig?«

»Eigentlich eine Leiter; eine Stange aber thut es auch und ist leichter zu transportiren.«

»Wie lang?«

»Wenigstens so lang wie die Stricke.«

»Und wie stark?«

»Ich muß an derselben emporklettern können.«

»Schön. Wird auch mit besorgt. Sonst noch etwas?«

»Nein. Aber sorgen Sie dafür, daß wir die Sachen bereits draußen vor der Mühle finden. Sonst möchten wir bemerkt werden.«

»Das versteht sich ja ganz von selber!«

Dabei machte seine Nase eine Schwenkung, der man es anmerkte, daß sie mit Allem, was besprochen worden war, vollständig einverstanden sei.

Im Laufe des späteren Nachmittags erfuhr man in der Mühle, daß Prinz Hugo wirklich mit seinem Diener eingetroffen sei und daß in den Gasthöfen des Städtchens bereits ein reger Fremdenverkehr herrsche. Die Ankunft des Prinzen machte Kurt einigermaßen um sein Vorhaben besorgt, doch fiel es ihm nicht ein, dasselbe aufzugeben.

Es war um die vereinbarte Zeit, als sich die Thür zu seinem Zimmer öffnete und Klaus eintrat.

»Da bin ich, Herr Schubert. Kann es losgehen?«

»Ja.«

»Die Luft ist rein und die Hinterthür nur angelehnt. Kommen Sie also!«

Sie schlichen sich hinab und gelangten ungesehen zur Mühle hinaus.

»Wo haben Sie die Sachen?«

»Dort im Busche. Aber nun kann ich wohl erfahren, wohin es gehen soll?«

»Ja. Hinauf zur Burg.«

»Sapperlot! Wollen Sie die Burg erobern?«

»Es ist so etwas Aehnliches.«

»So erobere ich mit; das versteht sich ja ganz von selber! Aber sagen Sie mir doch einmal, ob die Sache da oben heimlich gehen soll!«

»Natürlich!«

»So darf uns also unterwegs auch Niemand sehen?«

»Nein.«

»Gut! Dann vermeiden wir also die Straße. Ich werde Sie führen.«

Er nahm die Stange, während Kurt die Stricke trug, dann verließen sie die Höllenschlucht und stiegen seitwärts an dem Berge empor.

Ohne daß ein Wort zwischen ihnen gewechselt wurde, kamen sie nach allerdings mühseligem Steigen in der Höhe des Mönchklosters an, ohne von irgend einem Auge bemerkt zu werden, und dann benutzten sie das von zerstreuten Felsen und Büschen besetzte Terrain, um sich bis an die Kegelspitze zu schleichen, welche Kurt gestern erklettert hatte.« Dort blieben sie halten.

»Was nun?« frug Klaus.

Kurt befand sich in einer kleinen Aufregung, deren er nicht ganz Meister zu werden vermochte. Er trat nahe zu Klaus heran und flüsterte:

»Wissen Sie, was ich machen will?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ich will ein Mädchen oder eine Frau aus dem Schlosse entführen.«

»Alle guten Geister! Menschenraub! Da ist Zuchthaus darauf.«

»Sie will aber mit!«

»Das wäre freilich etwas Anderes! Wer ist es denn?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sie wollen sie entführen und wissen nicht, wer sie ist? Das begreife ich nicht!«

Kurt erzählte ihm kurz sein gestriges Abenteuer.

»Also Hilfe hat sie gerufen?« frug Klaus.

»Ja.«

»Donnerwetter, so holen wir sie; das versteht sich ja ganz von selber! Und wenn wir sie haben, so werden wir wohl auch erfahren, wer sie ist.«

»Natürlich. Gefahr ist nicht dabei, sonst würde ich die Sache allein machen.«

»Nun also heraus damit. Was habe ich zu thun?«

»Wir klettern jetzt in den Graben hinab und drüben legen wir die Stange an, welche Sie festhalten müssen. An ihr steige ich in die Höhe und nehme die Stricke mit. Das Uebrige wird sich finden.«

»Und ich habe weiter dann nichts zu thun, als zu warten bis Sie zurückkommen?«

»Weiter nichts.«

»Gut, vorwärts; das versteht sich ja ganz von selber!«

Unter dem Schutze des Schattens, welchen der Felsen warf, huschten sie in den Graben hinab und stiegen drüben wieder bis zur Mauer empor. Dort legten sie die Stange an, mit deren Hilfe Kurt auf die Mauer gelangte. Sie war so breit, daß er in liegender Stellung von unten gar nicht bemerkt werden konnte. Links hatte er den Graben und rechts den hintern Burghof unter sich, aus welchem man in das kleine Gärtchen gelangte, in welchem er die Gestalt von gestern sitzen sah.

Er konnte auf zwei verschiedenen Wegen zu ihr gelangen. Entweder er rutschte auf der Mauer hin, dann durfte er aber nicht den mindesten Schwindel besitzen, denn dort ging es in den gähnenden Abgrund hinab – oder er stieg gleich hier in den Schloßhof nieder und versuchte, ob die Gartenthüre geöffnet sei. Das letztere war jedenfalls das Beste. Er band also den Strick an denjenigen Theil der Stange, welcher drüben ein wenig über die Mauer emporragte, und ließ das andere Ende hüben in den Hof hinabfallen.

»Halten Sie fest, Klaus!« flüsterte er.

»Das versteht sich ja ganz von selber!« klang die Antwort von unten empor.

Jetzt ließ er sich an dem Stricke nieder und stand in dem engen Hofe, gehüllt in den Schatten, den die Mauer verbreitete. Er sah die Gartenthür von hier aus offen stehen, und schon wollte er sich hinschleichen, als plötzlich die zu der Burg führende zweite Thüre geöffnet wurde. Ein Mann trat heraus und verschloß sie wieder. Das Licht des Mondes fiel auf seine Gestalt. Kurt erkannte ihn sofort.

»Der Prinz!« murmelte er. »Jetzt gilt es vorsichtig zu sein!«

Er hörte eine männliche und eine weibliche Stimme draußen im Garten und schlich sich bis an die Pforte. Dort konnte er sehen und auch hören. Er sah auf den ersten Blick, daß er es mit keiner Frau, sondern mit einem Mädchen zu thun hatte. Sie hatte sich von der Bank erhoben, der Prinz stand vor ihr, doch immerhin in einer Entfernung, daß es ihm unmöglich war, sie mit der Hand zu erlangen.

»Keinen Schritt näher!« gebot sie. »Es geht Ihnen sonst wie das letzte Mal!«

»Dirne! Ich werde Dich doch noch mürbe machen, ich habe die Macht dazu!«

»Meinen Sie? Hat diese Macht Ihnen bisher etwas geholfen?« Ihre Stimme nahm einen verächtlichen Ton an. »Ich habe die Knechte geohrfeigt, den Vogt geohrfeigt und auch Sie geohrfeigt, ich werde ohrfeigen, bis ich entweder todt oder frei bin; darauf können Sie sich sicher verlassen!«

»Frei wirst Du nun nie!«

»Wollen sehen!«

»Es gibt nur einen Weg zur Freiheit, und dieser heißt Gehorsam. Nimm doch einmal Verstand an, Mädchen! Seit ich Dich damals in der Laube bei Euch sah, stand es fest, daß ich Dich besitzen müsse. Du wurdest grob und Dein Vater renitent, aber was kann ein Müller gegen einen Prinzen schaffen – –«

Kurt hörte die Fortsetzung dieser Worte gar nicht, so überrascht war er. Also dieses Mädchen war die Müllerstochter, war die Anna! Sie mußte fort um jeden Preis. Ohne sich nur einen Augenblick zu besinnen, that er einige Schritte vorwärts, stand hinter dem Prinzen und schlug ihm die geballte Faust mit solcher Gewalt auf die Schläfe, daß er zusammensank.

»Geißler!« rief das Mädchen.

»Still, um Gotteswillen still! Ich bin nicht Geißler; ich bin ihm nur ähnlich.«

»Wer sind Sie denn?«

»Ich bin derselbe, welcher gestern da drüben auf dem Felsen stand. Sie wollen frei sein?«

»O mein Gott, ja! Aber Sie belügen mich: ich sehe ja, daß Sie Geißler sind!«

»Wäre ich dieser Mensch, würde ich da den Prinzen niederschlagen?«

»Das macht mich irre. O, er ist todt!«

»Das würde gar nichts schaden! Ist eine Möglichkeit vorhanden, durch die Höfe zu entkommen?«

»Nein. Ich kann nicht weiter als in dieses Gärtchen und auf mein Zimmer, alles Andere ist verschlossen und verriegelt.«

»Wollen Sie sich mir anvertrauen?«

»Ist es Ihr Ernst?«

»Natürlich! Draußen wartet Klaus. Kommen Sie schnell!«

Er zog sie aus dem Gärtchen nach dem Hofe und verriegelte die Pforte. Jetzt war der Prinz eingesperrt. Dennoch zögerte Anna, immer noch irgend einen Verrath befürchtend.

»Sie können unmöglich klettern?« frug er.

»Nein.«

»So binden Sie sich diesen Strick unter den Armen hindurch um den Leib. Ich werde Sie emporziehen, und Sie helfen mit Händen und Füßen nach.«

Er schwang sich an dem Stricke empor. Anna war ein starkes dralles Mädchen, es kostete ihn keine kleine Anstrengung, sie auf die Mauer empor zu bringen. Endlich langte sie oben an.

»Sehen Sie hier hinab!« bat er sie. »Kennen Sie den Mann?«

»Klaus!« rief sie.

»Donnerwetter, Anna!« erscholl es von unten herauf.

»Leise, leise!« bat Kurt. »Wenn wir Lärm machen, ist Alles verloren. Getrauen Sie sich, an dieser Stange hinabzurutschen, wenn ich Sie mit am Seile halte?«

»Ich will es versuchen.«

»Es wird gehen. Kommen Sie!«

Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es, und bald standen die Drei da unten im Graben zusammen.

»Oh, ach, Fräulein Anna,« jubelte Klaus, indem er das Mädchen vor lauter Freude an sich drückte. »Wer hätte das gedacht! Wie sind Sie nur herauf gekommen in diese Burg, in dieses Nest, in diese Räuberhöhle?«

»Fragen Sie später,« drängte Kurt. »Jetzt müssen wir fort, sonst wissen wir nicht was passiren kann.«

»Die Straße hinab?«

»Nein; denselben Weg, den wir vorhin gegangen sind. Man könnte uns verfolgen.«

Sie stiegen aus dem Graben empor und eilten dann ungesäumt weiter. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, als sie laute Rufe hörten. Es war die Stimme des Prinzen, welcher aus seiner Ohnmacht erwacht war und nun nach Beistand rief.

»Kann rufen, der Kerl!« meinte Klaus. »Und wenn er uns noch zeitig genug erreichte, so wäre er hinüber. Ich schlüge den Kerl todt; das versteht sich ja ganz von selber, nicht wahr, mein lieber Herr Schubert?«

»Er hätte nichts Anderes verdient. Aber wollen Sie die Stange nicht fortwerfen? Sie ist zu beschwerlich beim Niedersteigen.«

»Ich behalte sie, und wer uns etwa nachkommt und uns anhalten will, dem renne ich sie in den Leib. Das versteht sich ganz von selber!« – –


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