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»Nein, Mylord! Dabei kann ich Sie freilich nicht gebrauchen.«
»Donnerwetter! Warum denn nicht?«
»Bitte, Mylord, die Liebe ist gern ungestört!« schlug sich Normann in das Mittel. »Wir lassen ihn natürlich allein; aber wir werden ihn bewachen.«
»Schön! Gut! Da bin ich einverstanden! Aber wie bewachen wir ihn denn? Etwa von außerhalb?«
»Nein. Wir müssen mit hinein.«
»Das denke ich auch. Uebrigens wünschte ich, wir würden so ein Bischen erwischt! Hurrjesses wäre das eine Lust, wenn man mir wegen einer Entführung aus dem Harem den Prozeß machen wollte! Aber, sehen Sie, da höre ich Wasser plätschern, und da ist auch die hohe Mauer.«
»Ja, das ist dasselbe Wasser, in welchem gestern Sie selbst plätscherten. Also warten wir einen Augenblick. Wir haben zu bestimmen, was wir thun werden, falls man uns entdeckt.«
»Wir können nur Eins thun,« antwortete Wallert. »Ueber die Mauer können wir nicht. Wir müssen also wieder zu dem Thore hinaus, selbst dann, wenn wir uns durchzuschlagen hätten. Zu fürchten brauchen wir uns grad nicht. Jeder ein Messer und zwei Revolver, macht sechsunddreißig Schüsse. Damit schicken mir ja sämmtliche Geschöpfe, welche hinter dieser Mauer leben, zum Teufel. Die Hauptfrage aber ist, wer den Schlüssel behält.«
»Master Normann,« meinte der Engländer. »Ich selbst mag ihn nicht, und Master Wallert wird mit seiner Sultana so beschäftigt sein, daß ich ihm den Schlüssel auf keinen Fall anvertrauen möchte.«
Die Beiden stimmten bei. Jetzt nun schlichen sie sich längs des Baches und der Mauer hin, bis die Letztere nach rechts abbog und über den Ersteren eine schmale Brücke führte. Auf dieser gelangten sie nach derjenigen der drei Mauern, welche die Grundlinie des spitzwinkeligen Dreiecks bildete.
Nur Schritt vor Schritt und so lautlos wie möglich schlichen sie sich an dieser Mauer entlang, bis sie das große Thor erreichten, in dessen einem Flügel sich wieder eine kleinere Thür befand, welche sie mit dem Schlüssel öffnen konnten.
Drinnen, innerhalb der Mauern, schien sich nichts zu regen. Normann nahm den Schlüssel, befeuchtete den Bart desselben in seinem Munde, damit er leichter schließe, und steckte ihn an. Ein leises, ganz leises Klingen; dann war es geschehen.
»Es ist auf. Kommt!«
Mit diesen Worten schritt er voran. Innerhalb angekommen, wurde die Thür natürlich wieder verschlossen. Dann blieben die drei muthigen Eindringlinge noch einige Augenblicke stehen, um zu lauschen. Es regte sich kein Lüftchen. Und das Gebäude lag schwer und dunkel vor ihnen.
»Jetzt nun hinter in die Ecke!« meinte der Lord und hob bereits den Fuß, um in gerader Richtung diesem Ziele zuzuschreiten; da aber hatte Normann ihn schnell am Kragen.
»Um aller Welt, Mylord, wo wollen Sie denn hin?«
»Nun, hinter in die Ecke. Ich sagte es ja.«
»Aber doch nicht hier gradaus, durch den Hof hindurch und über die Steinfliesen hinweg! Nein; wir dürfen den Umweg nicht scheuen und müssen uns immer nur an der Mauer hinschleichen. Kommen Sie also!«
Sie gingen im Gänsemarsch, Einer hinter dem Andern, rechts an der Mauer hin, und bogen dann an der nächsten nach links ab. Hier stand dichtes Gebüsch, nach Jasmin und anderen Blüthen duftend. Sie gelangten bald so weit, daß sie die hintere Seite des Gebäudes überblicken konnten. Da gab es ein erleuchtetes Fenster, welches aber von innen durch ein Holzgitter verschlossen war.
»Ob sie dort wohnt?« meinte der Lord.
»Vielleicht. Eine Treppe hoch. Es wird ihr jedenfalls nicht leicht werden, sich unbemerkt in den Garten zu schleichen.«
»Das ist ihre Sache. Mag sie es sich leichter machen! Wir haben es uns auch so bequem als möglich gemacht und sogar den Hausschlüssel mitgebracht. Doch bitte, suchen wir zunächst die berühmte Ecke!«
Der Garten war nicht etwa klein, sondern er umfaßte ein ziemlich bedeutendes Areal. Sie hatten eine ziemlich bedeutende Strecke im Dunkel zurückzulegen. Endlich näherten sich die beiden Mauern, welche die betreffende Ecke bildeten, einander immer mehr. Etwa zwanzig Schritte vorher, ehe sie sich berührten, stand ganz in der Nähe der linken Mauer eine starke Platane, die einige ihrer Aeste, indem sie die Mauer weit überragte, noch über dieselbe hinausschickte.
»Die Freunde hatten bei der Recognition diesen Umstand übersehen können, da sie sich auf der anderen Seite des Gartens befunden hatten. Normann blieb an dem Baume stehen und blickte an demselben empor. Er sagte:
»Hm! Vielleicht steht diese alte Platane zu unserem Glücke da.«
»In wiefern?« fragte der Engländer.
»Da, blicken Sie in die Höhe! Die Aeste zeichnen sich ziemlich deutlich gegen den Sternenhimmel ab. Zwei oder drei von ihnen gehen horizontal nach der Mauer und noch über dieselbe hinaus. Können Sie klettern, Mylord?«
»O, wie ein Eichkätzchen.«
»Ich auch und Freund Wallert ebenso. Falls wir entdeckt werden oder falls man wenigstens eine Ahnung von unserem Hiersein bekommen sollte, brauchen wir es nicht sogleich zu einem Kampfe oder Blutvergießen kommen zu lassen.«
»Warum nicht: Es sollte mich freuen, wenn ich einigen von diesen Muselmännern ein paar Revolverkugeln geben könnte!«
»Das ist sehr tapfer gedacht, keineswegs aber menschlich und auch klug. Menschenblut ist ein kostbarer Saft, den man nicht ohne die allergrößte Nothwendigkeit vergießen soll und für uns ist es weit vortheilhafter, im Stillen verschwinden zu können, als gezwungen zu sein, uns mit Gefahr des Lebens durchzuschlagen.«
»Gebe ich zu. Meinen Sie, daß wir uns aus diesen Baum verstecken sollen?«
»Nein. Man würde uns trotz der Dunkelheit bemerken. Wir würden Punkte bilden, die so groß sind, daß sie Demjenigen, welcher hier emporblickt, beim Sternenflimmer auffallen müssen. Nein, auf die Mauer müssen wir uns gegebenen Falles, retiriren.«
»Pfui Teufel! Auf so einem Aste hinüberrutschen?«
»Ja. Drüben würden wir so lange Zeit ruhig und unbeweglich liegen bleiben, bis die Gefahr vorüber ist.«
»Sehr gut! Aber wenn ich das gewußt hätte, so hätte ich ein Unterbette und einige Kopfkissen mitgenommen. Doch wie nun, wenn wir uns da drüben nicht legen können?«
»Was sollte uns hindern?«
»Ich habe Mauern gesehen, ganz verteufelte Mauern für Spitzbuben und dergleichen Ehrenmänner, Mauern, auf welche man spanische Reiter befestigt oder scharfe Eisenspitzen. Ja, ich habe sogar Mauern gesehen, aus welche der niederträchtige Besitzer Glasscherben befestigt hatte. Das würde ein sehr unbequemes Lager geben.«
»So müssen wir uns vorher überzeugen, ob auch hier so etwas Aehnliches angebracht ist.«
»Gut! Ich werde also einmal hinausmachen.«
Er umspannte mit seinen langen Armen den Baum, um sofort hinaufzuklettern. Normann aber hielt ihn zurück.
»Bitte, Mylord, wollen Sie das nicht mir überlassen?«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, ob Sie gut klettern.«
»Und ich weiß ebenso wenig, ob Sie es können. Nein, ich bin der Längste, und ich mache hinauf.«
Er holte aus und that einen gewaltigen Sprung empor. Etwa fünf Ellen über der Erde erfaßte er den Stamm mit den Armen, schlang die Beine um denselben und – husch, husch, ging es empor. Er erreichte einen der betreffenden Aeste, legte sich lang darauf und schob sich hinüber nach der Mauer. Das ging so schnell und sicher, als hätte er Zeit seines Lebens nichts Anderes gethan, als Vogelnester ausgenommen. Drüben angekommen, glitt er von dem Aste auf die Mauer und begann, dieselbe zu untersuchen.
»Der Kerl ist doch gewandt!« bemerkte Normann.
»Gewandter als ich es ihm zugetraut habe. Da kommt er bereits wieder.«
Sie sahen, daß er sich wieder auf den Ast legte und sich nach dem Stamme zurückschob. Er erreichte denselben, glitt mit den Beinen herab und legte dieselben um den Stamm, während er mit den beiden Händen den Ast noch festhielt. In dieser Stellung blieb er so lange Zeit hängen, daß es auffällig wurde.
»Na, kommen Sie!« raunte ihm Normann zu.
»Ja, ich möchte wohl!« antwortete er.
»Warum also nicht?«
»Ich hänge!«
»Das sehen wir. Aber eben hängen bleiben sollen Sie nicht!«
»Kann ich anders! Da ist ein kleiner Aststummel, an dem ich mit der Uhrkette festgerathen bin.«
»So halten Sie sich mit der einen Hand fest, während Sie mit der andern die Kette lösen.«
»Schön! Will sehen!«
Sie hörten ihn ächzen. Er baumelte eine ganze Weile hin und her, wobei er sich nur mit einem Arme festhielt.
»Ziehen Sie sich wieder ganz hinauf!« rieth Wallert.
»Gut, ja! Eins, zwei und drei! Alle Teufel! Oh! Oh!«
Er kam herabgesaust und lag auf der Erde, Arme und Beine weit von sich streckend.
»Himmel! Haben Sie sich Schaden gethan?« fragte Normann besorgt, neben ihm niederknieend.
»Sapperlot! Ich hoffe doch nicht!«
»Können Sie aufstehen?«
»Will es versuchen! Ja, es geht.«
Er stand langsam auf.
»Fühlen Sie Schmerz. Mein Gott! Wenn Sie irgend Etwas gebrochen hätten!«
»Na, Schmerz habe ich grad nicht. Und wenn ich Etwas gebrochen hätte, so könnte es doch nur ein Knochen sein, und daraus machte ich mir nicht viel.«
»Oho! Ein Knochenbruch hat nicht wenig zu bedeuten, zumal in unserer augenblicklichen Lage!«
»Bei mir weniger. Meine Knochen sind nämlich alle nummerirt und eingeschrieben. Verlieren kann ich also keine, ohne daß ich es später merke.«
»Sie können scherzen? Das beruhigt mich.«
»O, ich bin selbst auch ganz ruhig; nur der Kopf brummt mir ein Wenig; das ist Alles!«
»Haben Sie die Uhr?«
»Ja, hier. Sie ist mir aus der Tasche gerissen worden, hängt aber an der Kette.«
»Stecken Sie sie lieber sammt der Kette ein, damit der Fall sich nicht wiederholen kann. Wie haben Sie die Mauer gefunden?«
»Sehr geeignet für unsere Zwecke. Sie ist oben mit Platten belegt, welche über drei Fuß breit sind, so also, daß wir uns ganz gut darauf legen können, ohne von unten gesehen zu werden.«
»Das ist gut. Gehen wir weiter!«
»Halt! Vorher noch Eins! Was thun wir dann in dem Falle, daß wir auf die Mauer flüchten müssen und man kommt uns nach?«
»Nun, in diesem Falle müssen wir zwischen zwei Gefahren die kleinere wählen. Entweder springen wir draußen hinab – – «
»Und brechen den Hals!«
»Das riskiren wir freilich. Oder wir vertheidigen uns. Welches von Beiden das Bessere ist, läßt sich jetzt nicht entscheiden; das können wir dann aus den Umständen ermessen. Also bitte, jetzt weiter!«
Sie erreichten nach wenigen Schritten die Ecke. Dort gab es niedriges Gebüsch, dessen Spitzen nicht die Höhe der Mauer erreichten. Es waren Rasenstücke zu einer Bank über einander gehäuft, welche ein sehr bequemes Ruheplätzchen bot. Die drei Männer durchsuchten das Buschwerk und überzeugten sich, daß sich Niemand in demselben befand.
»Also hier warte ich,« sagte Wallert. »Wo aber werdet Ihr Euch verstecken?«
»Verstecken werden wir uns wohl nicht,« antwortete Normann. »Wir haben für Deine Sicherheit zu sorgen, wir müssen Wache stehen, dürfen uns also keinen versteckten Ort aufsuchen. Wir werden so weit, als nöthig ist, zurückgehen und uns an dem Wege, welcher vom Gebäude hierher führt, in das Gras legen. Da sieht man uns nicht, während wir hingegen jeden sich Nähernden bereits von Weitem bemerken oder hören werden. Kommen Sie, Mylord!«
»Können wir nicht noch ein Wenig hier sitzen bleiben?« fragte der Engländer. »Master Wallert ist doch erst um Mitternacht bestellt.«
»Es wird an zwölf Uhr gar nicht viel fehlen, also halte ich es für das Beste – pst! Horch!«
Sie lauschten. Von dem Gebäude her ließ sich ein Geräusch vernehmen, welches sehr leise war, doch hörten sie wenigstens so viel, daß es näher kam.
»Es kommt Jemand,« flüsterte Normann. »Schnell, verstecken wir uns in die Büsche!«
»Warum?« meinte der Lord. »Es wird der Bote sein, der junge Mensch, welcher unser Verbündeter ist.«
»Vielleicht. Es kann aber auch ein Anderer sein. Wir müssen sehr sicher gehen.«
Sie steckten sich in das Strauchwerk. Die leisen Schritte kamen näher. Die Versteckten erkannten bald die Gestalt, vermochten aber die Gesichtszüge nicht zu sehen.
»Pst!« machte er es.
Natürlich wurde keine Antwort gegeben.
»Hermann Wallert Effendi!«
Da er diesen Namen nannte, wußten sie, daß es ihr Verbündeter sei und kamen hervor.
»Um Allahs Willen!« meinte er erschrocken, als er drei Personen erblickte. »Wer ist das?«
»Wir sind es,« antwortete Wallert. »Fürchte Dich nicht.«
»Drei Leute! Du solltest doch allein kommen!«
»Ich habe die Freunde mitgebracht, damit sie für meine Sicherheit wachen sollen.«
»Das werde ich thun. Einer allein ist viel sicherer, als Drei es sind. Laß sie wieder fort!«
»Das geht nicht. Nun sie einmal im Garten sind, mögen sie auch bleiben. Wann wird die Herrin kommen?«
»Zykyma sendet mich, um nachzusehen, ob Du hier bist. Sie wird kommen, sobald sie erfährt, daß Du Dich bereits eingestellt hast. Wie seid Ihr in den Garten gekommen?«
»Durch das Eingangsthor.«
»Dazu gehört doch der Schlüssel!«
»Wir sind Franken. Hast Du noch nicht gehört, daß die Franken die Kunst kennen, jedes Schloß zu öffnen?«
Er wollte ihm nicht direct mittheilen, in welcher Weise sie gestern in den Besitz des Schlüssels gekommen waren.
»Werdet Ihr auch wieder durch das Thor hinausgehen?«
»Ja; sorge Dich nicht um uns und hole Zykyma!«
»Ich muß mich sehr wohl sorgen. Es scheint nämlich nicht Alles in Ordnung zu sein. Der Herr ist da.«
»Ah! Ibrahim Pascha?«
»Ja. Und er hat den Derwisch mit. Wenn dieser sich hier befindet, giebt es stets Etwas, worüber man sich nicht freuen kann. Sie kamen bereits am Nachmittage.«
»Was wollen sie? Was thun sie?«
»Was sie wollen, weiß ich nicht. Sie thun sehr geheimnißvoll; ich habe nichts sehen und auch nichts erfahren können; aber es scheint, daß sie einpacken, grad so, als ob sie verreisen wollten.«
»Man wird doch nicht etwa Zykyma mitnehmen wollen!«
»Das glaube ich nicht. Ich habe den Harem ohne Aufenthalt umschlichen und nicht bemerkt, daß von dem Eigenthum der Frauen Etwas mit eingepackt worden sei.«
»In welchem Gemache wohnt sie?«
»In demjenigen, dessen Gitter Ihr dort erleuchtet sehen könnt.«
»Dachte es mir! Wie aber kommt sie herab?«
»Da vorn an der Mauer liegt eine Leiter, welche der Aufseher des Gartens gebraucht, wenn er die Bäume beschneidet. Ich lege sie an und Zykyma wird an ihr herabsteigen. Sie kommt hierher und die Leiter bleibt lehnen, bis die Herrin zurückkehrt.«
»Aber wenn zufällig Jemand kommt und sie bemerkt!«
»Ich stehe vorn im Hofe Wache und werde alles Auffällige sogleich melden. Aber diese beiden Effendi hier sind nicht von Zykyma bestellt. Sie dürfen nicht hier bleiben, wenn sie kommt!«
»Nein, sie werden gehen. Ich habe Dir ja gesagt, daß sie Wache halten werden.«
»So mögen sie sich in Acht nehmen, daß ihnen nicht selbst ein Unglück geschieht. Allah sei mit Euch!«
»Warte! Hier hast Du Etwas! Wenn uns nichts zustößt, wirst Du noch mehr bekommen.«
Er wollte ihm ein Geschenk geben, aber der Lord hielt ihn zurück und wendete dagegen ein:
»Halt, Master Wallert! Was das anbetrifft, so ist es meine Sache. Es handelt sich um eine Entführung aus dem Serail und die bezahle ich! Wieviel wollten Sie denn diesem Kerlchen geben?«
»Ich hatte zwei Goldstücke da.«
»Werde ihm fünfe geben, einstweilen. Später natürlich bekommt er mehr. Hier, Kleiner, hast Du! Kaufe Dir Pfefferkuchen dafür, oder Pantoffeln, oder was Dir sonst beliebt. Das Geld ist Dein.«
Der Diener verstand die in englischer Sprache gesprochenen Worte zwar nicht; da er aber das Geld in der Hand fühlte, wußte er natürlich, was gemeint war.
»Allah segne Dich!« sagte er. »Er lasse Deine Kinder und Kindeskinder wachsen wie den Sand am Meere!«
Er ging. Der Lord aber fragte:
»Was meinte er?«
»Allah soll Ihre Kinder und Kindeskinder wachsen lassen wie den Sand am Meere.«
»Hole ihn der Kuckuck! Ich glaube, der Kerl will mich foppen. Ich habe keine Kinder, also können meine Kinder auch keine Kinder haben: von Kindeskindern kann also gar keine Rede sein!«
»Der gute Mensch ist eben über die einfachen Familienverhältnisse Euer Lordschaft nicht unterrichtet. Wir wollen nun vorwärts gehen und unsern glücklichen Freund allein lassen.«
»Ja, ganz richtig! Glücklich ist er! Er hat Eine, Eine aus dem Harem, und wird sogar allein mit ihr gelassen! Ob so Etwas nicht auch einmal mir passiren könnte! Ich könnte ganz ebenso eine hübsche Za– Ze– Zo– Zi–na, wie ist der Name?«
»Zykyma.«
»Schön! – – ebenso eine hübsche Zykyma gebrauchen. Leider aber scheint dieser türkische Allah eine Pike auf mich zu haben; er thut ganz so, als ob ich gar nicht da sei, oder als ob es für mich gar keine Sultana gebe. Aber, ich finde doch noch Eine und soll ich sie sonstwo suchen! Na, kommen Sie, Master Normann! Wir wollen die Beiden nicht stören. Ich habe es zwar an mir noch nicht erfahren; von Anderen aber habe ich gehört, daß es zu Zweien am Schönsten sei und daß der Dritte sich getrost zum Teufel scheeren könne. Wünsche prosit die Mahlzeit, Master Wallert!«
Die Beiden gingen. Sie folgten dem mit weichem Sande bestreuten Wege, welcher aus der Gartenecke nach dem Haus führte. Er war zu beiden Seiten mit kurzen Unterbrechungen mit Ziersträuchern besetzt. Bei einem dieser Bosquets blieb Normann stehen und sagte:
»Hier wird der beste Ort sein. Es ist die Hälfte des Weges. Wir können hören, wenn von dem Hause her Jemand kommt, und dann den Freund sogleich warnen. Legen wir uns hier hinter dem Busche in das Gras!«
Sir thaten es. Sie konnten ganz genau das Fenster sehen, hinter dem die Erwartete wohnte. Das Licht drang durch die kleinen quadratischen Zwischenräume des hölzernen Gitters, mit welchem es verschlossen war.
Nach einiger Zeit verschwand das Licht und das Fenster wurde dunkel.
»Sie hat ausgelöscht,« flüsterte der Lord. »Das ist sehr gescheidt von ihr. Sollte ja Jemand lauschen, so sieht man sie nicht herabsteigen. Diese Haremsdamen sind doch nicht weniger pfiffig als die Unsrigen, welche es auch sehr gut anzufangen wissen, einem geliebten Heißgeliebten in die Arme zu fliegen.«
Ihr Verbündeter hatte die Leiter geholt und hatte sie angelegt, war hinaufgestiegen und hatte leise an das Gitter geklopft. Als er dabei durch die Zwischenräume desselben blickte, sah er Zykyma mit Tschita und deren Mutter in einer Stellung, welche hohe Erwartung ausdrückte, auf dem Divan sitzen. Die Erstere kam an das Gitter heran und fragte leise:
»Ist es ihm geglückt, hereinzukommen?«
»Ja; er wartet in der Ecke.«
»Gleich.«
Sie blies das Licht aus, trat auf die Kissen, welche sie am Fenster bereits übereinander gelegt hatte und stieg, nachdem sie mit Hilfe Tschita's das Gitter entfernt hatte, hinaus auf die Leiter und hinunter in den Garten. Dort stand der Diener, welcher die Leiter festgehalten hatte.
»Herrin, er ist nicht allein gekommen,« meldete er. »Er hat die beiden Andern mitgebracht.«
»Welche Unvorsichtigkeit!«
»Sie sollen Euch bewachen und beschützen, falls Ihr vielleicht entdeckt werden solltet.«
»Sie werden uns nicht beschützen können, sondern ihre Anwesenheit ist viel eher geeignet, uns zu verrathen. Sind sie bei ihm?«
»Nein. Sie werden nicht hören, was Du mit ihm sprichst. Sie wachen mehr in der Nähe des Hauses.«
»So gehe Du nach dem Hofe und halte die Augen und die Ohren offen.«
»Erlaube mir vorher eine Frage, o Herrin! Wirst Du mit diesem Franken aus dem Harem gehen?«
»Wenn ich es beabsichtigte, würdest Du mich verrathen?«
»Nein. Allah ist mein Zeuge, daß ich Dir treu bin und daß ich es ehrlich und aufrichtig mit Dir meine!«
»So will ich es Dir sagen, daß es sehr leicht möglich ist, daß ich mit ihm gehe.«
»Wann? Heut schon?«
»Nein. Doch wenn es die Umstände erfordern, so werde ich auch heut schon gehen.«
»O, nimm mich mit, o Herrin!«
»Das ist meine Absicht. Du hast mir große Dienste geleistet, und so werde ich Dich gern mitnehmen. Doch gehe jetzt. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Er entfernte sich nach dem Hofe zu und sie ging nach der Gartenecke. Als sie an den beiden wachthabenden Lauschern vorüberging, flüsterte der Engländer:
»Da ist sie! Da schwebt sie auf den Fittigen der Liebe! Und wir kleben hier am Erdboden. Ich bin neugierig, wenn einmal Eine zu mir geschwebt kommt!«
Wallert saß in tiefer Erwartung auf der Bank. Das Herz klopfte ihm fast laut. Er verkannte keineswegs die Größe seines Wagnisses; noch größer aber war das Glück, zu wissen, daß die Geliebte zu ihm kommen werde.
Er hörte ihre leichten Schritte, noch ehe er ihre dunkel verhüllte Gestalt sehen konnte. Da trat sie heran; er erhob sich und erhob auch seine Arme, fast unwillkürlich, um sie zu fassen und an sich zu ziehen. Doch ließ er die Arme wieder sinken, als sie in freundlichem, aber kaltem Tone sagte:
»Allah grüße Dich! Du hast verlangt, mit mir zu sprechen.«
»Bist Du Zykyma?« fragte er.
»So heiße ich.«
»Die ich draußen im Thale der süßen Wasser gesehen habe?«
»Gesehen hast Du mich nicht, sondern nur meine Hand, welche ich Dir reichte, um Dir zu danken.«
»O, nicht blos Deine Hand habe ich gesehen, sondern Dich selbst, ganz unverhüllt, als Du mit Deinen Gefährtinnen hinter den Büschen spieltest.«
»So hast Du uns belauscht?«
»Ja. Zürnst Du mir darob?«
»Nein. Aber Du hast Dein Leben gewagt. Setze Dich, und erlaube, daß ich mich neben Dich setze. Dann können wir weiter sprechen.«
Das klang zwar freundlich, aber keineswegs so, wie Eine, deren Herz nach dem Geliebten schmachtet, sprechen würde. Er ließ sich nieder und sie setzte sich neben ihn. Sie saßen hart aneinander, so daß sie sich berührten. Er hatte geglaubt, daß dieses Beisammensein ihm die größten, süßesten Wonnen erschließen und bringen werde, und nun war es ihm, als dürfe er nicht eine Hand nach ihr ausstrecken und sie nicht mit der Spitze eines Fingers berühren. Es entstand eine kurze, fast peinliche Pause, dann fragte sie:
»Jetzt hören wir einander. Warum hast Du gewünscht, mit mir zu sprechen?«
»Kannst Du Dir das nicht denken, Zykyma?«
»Ich weiß nicht, ob ich es errathe.«
»Nun, was hast Du gerathen?«
»Du hast mich belauscht und mich ohne Verhüllung gesehen; ich habe Dir gefallen, und nun wünschest Du, mich besuchen zu dürfen, um, wenn Du in Deine Heimath zurückkehrst, erzählen zu können, daß Du so muthig und zugleich so unwiderstehlich gewesen bist, in einen Harem einzudringen und eine der Frauen zu erobern.«
»Dann hast Du falsch gerathen, sehr falsch!«
»Und was ist das Richtige?«
»Daß ich Dich liebe, wirklich und wahrhaft liebe, von ganzem Herzen und mit ganzer Seele.«
»So sagt ein Jeder, welcher ein Weib zum Zeitvertreibe erobern will.«
»Zum Zeitvertreibe? Es ist mir mit meinem Kommen Ernst, heiliger Ernst. Kennst Du die Erzählung, daß bei der Geburt eines Knaben Allah im Himmel den Namen des Mädchens ausruft, welches ihm gehören soll, obgleich es erst später geboren wird?«
»Ich habe davon gehört. Es ist keine muhammedanische, sondern eine christliche Legende.«
»Nun, als ich Dich sah, da war es ganz so, als habe Allah bei meiner Geburt keinen anderen Namen ausgerufen als den Deinigen, als ob meine Seele sich mit keiner andern Seele vereinigen könne, als mit der Deinigen. Ich gehörte von diesem Augenblicke an Dir, nur Dir, und es war sicher und gewiß, daß ich mein Leben wagen werde, um mit Dir sprechen und mit Dir vereinigt sein zu können. Darum war ich so glücklich, als Deine Thiere scheu wurden und ich sie halten durfte. Ich hörte Deine Stimme, ich erblickte Deine Hand, Dein schönes Händchen, welches ich küssen durfte, und dann, als ich Dich im Bazar wieder sah, war mein Entzücken mit keinem irdischen Maß zu messen. Willst Du nun noch sagen, daß ich heut nur zum Zeitvertreibe zu Dir gekommen bin?«
Er hatte mit Innigkeit gesprochen und neigte ihr jetzt sein Gesicht zu, um nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, welchen Eindruck seine Worte hervorgebracht hatten. Sie hatte sich nicht entschleiert; sie ließ auch jetzt noch ihr Gesicht verhüllt. Sie senkte das Köpfchen eine ganze Weile lang und sagte dann in gepreßtem Tone:
»So liebst Du mich wirklich?«
»So wie ein Mann nur lieben kann!«
»Und wünschest mich zu Deinem Weibe?«
»Ja. Ich schwöre Dir zu, daß ich nicht in leichtfertiger Absicht und um ein Abenteuer zu erleben, zu Dir gekommen bin!«
»Nicht wahr. Du bist ein Christ?«
»Ja.«
»Und ich bin eine Anhängerin des Propheten.«
»Ich liebe Dich trotzdem.«
»Und begehrst mich trotzdem zum Weibe?«
»Ja.«
»Darf eine Muhammedanerin das Weib eines Christen sein?«
»Hältst Du das für unmöglich?«
»Nein; aber ich habe falsch gefragt. Ich wollte sagen: Ist es einem Christen erlaubt, eine Muhammedanerin zum Weibe zu nehmen?«
»Nein. Aber die Liebe kennt keine Hindernisse!«
»Gut! Wenn ich Dir meine Liebe verspräche, würdest Du, um mich zu besitzen, Deinen Glauben verlassen und zu dem meinigen übertreten?«
Diese Frage frappirte ihn, dennoch antwortete er rasch:
»Nein.«
»So liebst Du mich nicht!«
»O, doch. Mein Leben, meine Seele gehört Dir, wenn ich Dir auch meine ewige Seligkeit nicht zu opfern vermag.«
»So meinst Du, daß ich Dir zu Liebe meinen Glauben verlassen werde?«
»Ich habe gewagt, dies zu hoffen.«
»So erwartest Du von mir eine größere Liebe, als die Deinige ist, einen größeren Opfermuth, als Du besitzest. Mein Glaube ist mir so viel werth, wie Dir der Deinige.«
»Können wir nicht einander gehören, ohne unserem beiderseitigen Glauben zu entsagen?«
»Nein, da Du mir mitgetheilt hast, daß ein Christ nicht eine Anhängerin des Islam zum Weibe haben dürfe.«
Er erhob sich von seinem Platze und sagte in traurigem Tone:
»Als Du mir diese Zusammenkunft gewährtest, dachte ich nicht, daß unser Gespräch ein solches sein werde. Es zog mich mit aller Gewalt Dir entgegen; es war mir, als ob alle Himmel sich mir öffnen würden, und nun – –«
Er schwieg; er vollendete seinen Satz nicht und wendete sich ab. Sie aber sagte in bittendem Tone:
»Ich bin gezwungen, in dieser Weise mit Dir zu sprechen. Du bist zwar ein Mann, aber noch jung; Deine Phantasie hat Dich überwältigt und fortgerissen. Du kennst das Leben noch nicht und glaubst, ein ewiges Glück zu erringen, wenn Du einer Herzenswallung gehorchst, welche doch nur der Augenblick geboren hat und die also ein baldiges Ende finden wird.«
»Meine Phantasie hat mich fortgerissen, meinst Du? O, ich wollte, ich wäre ein so idealer Charakter, für den Du mich da hältst. Ich bin noch jung und habe also keine Erfahrung? Wollte Gott, es wäre so, dann wäre mir so Manches erspart geblieben, was den Menschen vor der Zeit ergrauen läßt. Laß uns mit einander aufrichtig sein! Der Empfang, welchen ich bei Dir finde, ist nicht ein solcher, wie ein liebendes Herz ihn gewährt. Du liebst mich nicht?«
»Nein,« antwortete sie leise.
Das war ein so kurzes Wort und doch sagte es so sehr viel, doch enthielt es Alles, was ihm Unglückliches gesagt werden konnte.
»Warum ließest Du mich dann kommen?« fragte er.
Und als sie mit ihrer Antwort zögerte, fuhr er schnell und in plötzlicher Erregung fort:
»Wie! Sollte ich recht ahnen! Weib! Mädchen! Dann hättest Du Dich freilich in mir ebenso getäuscht, wie ich mich in Dir!«
Er hatte die Hand in die Tasche gethan, in welcher sich der Revolver befand.
»Was meinst Du?« fragte sie.
»Du hast mich in eine Falle gelockt!«
»Das glaubst Du, das?«
»Ja. Bereits gestern wollte man mich ergreifen, und da dies mißlungen ist, soll es heut geschehen.«
»O Allah! Das traut er mir zu!«
»Muß ich nicht?«
»Ja, Du hast Veranlassung, es zu vermuthen; aber dennoch ist es ein Irrthum. Setze Dich ruhig wieder zu mir nieder und laß uns weiter sprechen!«
»Was könnten wir noch zu besprechen haben?«
»Sehr viel!«
»Nichts, gar nichts. Du sagst mir, daß Du mich nicht liebst, das ist genug. Ich habe hier nichts mehr zu suchen und kann gehen.«
»So willst Du eine Unglückliche verlassen, welche Dich um Deinen Beistand, um Deine Hilfe bitten will!«
Er hatte sich bereits von ihr abgewendet und um einige Schritte von ihr entfernt; es war ihm nicht geheuer; er traute nicht so recht. Wenn sie ihn nicht liebte, so konnte es doch nur den einen Grund geben, daß sie ihn in eine Falle gelockt hatte. Aber bei ihren jetzigen Worten drehte er sich ihr wieder zu.
»Meine Hilfe?« fragte er. »Unglücklich bist Du?«
»Unendlich! Darum erlaubte ich Dir, in den Garten zu kommen.«
»Ah, schön! Soll ich Dich entführen?«
»Ja.«
»Wann?«
»So bald wie möglich.«
»Und wohin?«
»Wohin Du willst. Ich folge Dir nach jedem Orte, nur fort von hier!«
»Als was willst Du mir folgen, wenn Du mich nicht liebst? Doch nicht als mein Weib?«
»Nein; das ist mir unmöglich. Aber ich bitte Dich, mein Freund zu sein, und mich als Deine Freundin, als Deine Schwester von hier fortzubringen!«
Jetzt war auch sie aufgestanden. Sie hatte den Schleier von ihrem Gesichte entfernt und bittend ihre beiden Hände auf seinen Arm gelegt. Er wußte kaum, was er antworten solle. Seine Liebe sprach mit aller Macht und Eindringlichkeit für sie, aber sein Verstand gebot ihm, vorsichtig zu sein.
»Willst Du?« fragte sie.
»Glaubst Du, daß es so sehr leicht sei, hier Ja oder Nein zu sagen?«
»Das glaube ich nicht; aber wenn Du mich wirklich so liebst, wie Du sagtest, wirst Du mich nicht verlassen.«
»Aber wie nun, wenn Du treulos und verrätherisch bist, wenn ich Dich entführen soll, nur um dabei ergriffen zu werden?«
»Das glaubst Du selbst ja nicht!«
»Es ist eine Möglichkeit, welche ich berechnen muß.«
»So bemerke ich nur das Eine dagegen: Wenn ich Dich verrathen wollte, hätte ich Dir dann so aufrichtig gesagt, daß ich Dich nicht liebe? Dann hätte ich vielmehr Liebe geheuchelt und Du wärst desto leichter in die Schlinge gegangen.«
»Diese Worte sprechen allerdings für Dich, aber gedenke an Das, was ich gestern erfahren habe! Du bestelltest mich nach dem Gottesacker und –«
»Ich?« fiel sie ein. »Ich bin es nicht gewesen.«
»Wer denn? Wer hat den Brief geschrieben?«
»Der Pascha selbst.«
»Ah! Wie kann er wissen – –?
»Er liebt mich wirklich; er lechzt nach meiner Gegenliebe, und doch weiß er, daß ich ihn hasse. Darum läßt er mich mit doppelter Strenge und dreifacher Aufmerksamkeit bewachen. So erfuhr er, daß ich draußen im Thale der süßen Wasser mit Dir gesprochen hatte, ja, daß ich Dir sogar die Erlaubnis gegeben hatte, mir die Hand zu küssen. Er ließ mich beobachten und erfuhr weiter, daß wir uns im Bazar wiedergesehen hatten. Er ist schlau. Du hattest nur meine Hand gesehen, mich also nur durch den Ring, den ich an ihr trug, wieder erkennen können. Er verbot mir, auszugehen, und nahm mir den Ring ab. Nun begann auch ich, zu beobachten. Ich erfuhr, daß der Verschnittene meinen Ring erhalten hatte und in Frauenkleidern nach dem Bazar gegangen war.«
»Ah so! Das also ist die Erklärung!«
»Ja. Der junge Arabadschi (Fuhrmann), welcher Dich im Thale der süßen Wasser gesehen hatte, ist mein und jetzt auch Euer Vertrauter. Er ist mir treu und ich kann mich auf ihn verlassen. Er ging dem Verschnittenen nach und sah, daß er im Bazar mit Dir sprach. Er folgte dann Dir und bemerkte, daß dies auch der Verschnittene that, um Deine Wohnung zu erfahren. So erfuhr auch ich sie und auch Deinen Namen. Dann war der Pascha so unvorsichtig, mir in seiner Eifersucht und voller Hohn gestern zu sagen, daß er Dich auf den Kirchhof bestellt habe, um Dich zu verderben. Er glaubte, ich liebe Dich und wollte mir Schmerz und Qual bereiten. Ich aber sandte, als er fort war, den Arabadschi in die Nähe Deiner Wohnung, um Dich durch ihn warnen zu lassen. Jetzt weißt Du Alles.«
»Wirst Du mir nun Glauben und Vertrauen schenken?«
»Es ist Dir gelungen, mein Mißtrauen zu zerstreuen.«
»Das beruhigt mich. Was aber hättest Du gethan, wenn ich Dir wirklich eine Falle gestellt hätte?«
»Ihr hättet mich nicht gefangen. Ich bin sehr gut bewaffnet und meine beiden Gefährten sind es auch. Es wäre Blut geflossen; ergriffen hättet Ihr uns nicht.«
»Einen Kampf mag Allah verhüten! Es soll Dir kein Haar gekrümmt werden, denn Du sollst mein Freund und Bruder, mein Beschützer sein. Bitte, gieb mir Deine Hand als Zeichen, daß Du mir nicht grollst. Versprich mir, mir nicht zu zürnen, weil es mir unmöglich ist, Dir mein Herz zu schenken!«
Sie streckte ihm beide Hände entgegen. Sie sprach so herzlich, so innig flehend, daß er nicht anders konnte. Er gab ihr seine Hände und antwortete:
»Gott ist es, der die Liebe giebt. Er weiß es, wie mein Herz jetzt weint, aber was er thut und will, das ist gut. Ja, ich will Dein Bruder sein!«
»Allah segne Dich für dieses Wort. Ich will dem Bruder geben, was ich Dir vorher nicht geben durfte.«
Sie legte die Arme um ihn und küßte ihn ein, zwei, drei Male auf den Mund. Er hielt auch seine Arme um sie und drückte sie fest, fest an sich. Dann schob er sie von sich fort und sagte:
»So! Dieses eine Mal hast Du an meinem Herzen gelegen; das ist genug und das erste und letzte Mal. Ich werde wohl niemals wieder ein Frauenherz an dem meinigen schlagen fühlen!«
»Denke das nicht! Die Wunde, welche Du heute fühlst, wird nicht ewig bluten; sie wird sich schließen, und dann wirst Du ein Wesen finden, welches die Stelle einnehmen kann, welche ich mir verwehren muß.«
»Nein, nein!«
Es klang fast schluchzend aus seiner Brust heraus.
»Verzage nicht! Ich bin nun Deine Schwester und darf Dir also aufrichtig sagen, daß Du ein Mann bist, wie er sein muß, um die Träume und Wünsche eines Mädchenherzens zu erfüllen. Ich fühle, daß ich Dich geliebt hätte, sicher und gewiß, wenn mein Herz noch mir gehörte.«
»Ah, Du liebst bereits?«
»Ja.«
»Welch eine Aufrichtigkeit! Sie dringt mir wie glühendes Eisen in die Seele.«
»Weißt Du, daß es Aerzte giebt, welche mit glühendem Eisen Krankheiten heilen?«
»Ja, Thierärzte,« antwortete er bitter. »Oder Wunderdoktoren bei den wilden Völkern!«
»Dieses Eisen wird dazu beitragen, daß auch Deine Wunde schnell verharscht und vernarbt.«
»Und Du wünschest Dich von hier fort?«
»Von ganzem Herzen!«
»Zu ihm hin?«
»Zu ihm!«
»Und ich soll Dich befreien?«
»Ich bete zu Allah, daß Du es thun mögest.«
Er legte sich die beiden Hände an den Kopf und sagte:
»Das ist wundersam, ah, das ist wundersam! Ich komme, um Dir mein Herz und mein ganzes Leben zu Füßen zu legen; ich komme, Dir zu sagen, daß ich ohne Dich nicht leben mag und nicht leben kann, und nun verlangst Du so ruhig, daß ich Dich für einen Andern entführen soll! Du ahnst nicht, was Du da verlangst!«
»Ich ahne es nicht nur, sondern ich weiß und fühle es. Es ist das größte Opfer, welches Du bringen kannst, ein Opfer, welches überhaupt nur von einem starken, edlen und großmüthigen Manne gebracht werden kann.«
»Und für so stark, edel und großmüthig hältst Du mich, Zykyma?«
»Ja. Als ich Dich erblickte, als Du mit so großer Gefahr die wild gewordenen Thiere bei den Hörnern nahmst und bändigtest, sagte ich mir, daß Du seist wie er. Du bist ihm ja so ähnlich. Du hast sein Gesicht, seine Züge, sein Auge, seinen Mund, seine Stimme. Du gleichst ihm wie ein Bruder dem andern, nur daß seine Gestalt höher und breiter ist, als die Deinige.«
»Wo befindet er sich?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was ist er?«
»Officier.«
»Im Dienste des Großherrn?«
»Nein, sondern im Dienste des russischen Kaisers.«
»Wie habt Ihr Euch da kennen lernen können? Er ein Officier des Zaaren und Du das Weib eines türkischen Paschas?«
»Ich bin nicht sein Weib. Ich habe noch keinem Manne erlaubt, mich als Mann zu berühren. Ich habe mich nicht stets in Stambul befunden. Ich stamme aus dem Kaukasus. Mein Vater war einer der tapfersten Häuptlinge; er kämpfte sein Leben lang gegen die Eroberer, die Russen. Einst siegte er und nahm einen ihrer Officiere gefangen. Er brachte ihn zu uns in die Berge. Wir lernten uns kennen und liebten einander. Er wurde ausgewechselt und versprach mir, mich zu holen und zu seinem Weibe zu machen. Nach dem Friedensschlusse reiste mein Vater nach Moskau; er nahm mich mit. Ich hatte Gelegenheit, mich nach dem Geliebten zu erkundigen und erfuhr, daß ihn der Zaar sofort nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft weit in das ferne Asien hingesandt habe. Es war ihm also noch nicht möglich gewesen, zu mir zu kommen. Der Frieden währte nicht lange, der Kampf begann von Neuem, und mein Vater fiel. Ich stand nun allein und hatte der Versammlung der Häuptlinge zu gehorchen. Ich sollte einem derselben als Weib gegeben werden, weigerte mich aber. Du weißt nicht, was dies bei jenen halbwilden Völkerschaften zu bedeuten hat. Man gab mir Bedenkzeit, und als ich auch dann noch meiner Liebe treu blieb, wurde ich an die Küste geschafft, auf ein Schiff geladen und nach Stambul verkauft. Ich hatte keine Vergangenheit mehr; ich hatte aus ihr nichts gerettet als meine Liebe, meinen Gram und einen vergifteten Dolch, welchen mir der Geliebte einst gegeben hatte.«
»Du Aermste! Hattest Du keine Hoffnung?«
»Welche Hoffnung konnte ich haben?«
»Auf die Rückkehr des Geliebten.«
»Sie konnte mir nichts nützen. Er wird niemals erfahren, wohin ich gekommen bin.«
Sie hatte sich wieder niedergesetzt und weinte leise, aber herzbrechend vor sich hin. Das schnitt ihm tief in das Herz hinein. Er konnte zu diesem Schluchzen, zu diesem Schmerzensausbruch nicht ruhig bleiben. Sie konnte ihm nicht gehören, aber er liebte sie dennoch. Er schwur in seinem Innern, daß sie glücklich sein solle, wenigstens so viel an ihm und seinem Können lag. Er setzte sich neben sie, zog ihr die Hände von den thränenden Augen und bat:
»Weine nicht! Vielleicht ist es uns möglich, ihn wiederzufinden. Ich werde nach ihm forschen.«
Sie zog seine Hand an ihr Herz und antwortete:
»Siehst Du, daß ich mich nicht in Dir getäuscht habe? Siehst Du, wie edel Du bist? Erst zürntest Du, und nun willst Du nach ihm forschen!«
»Ich liebe Dich!«
»Das sagte ich ja. Wenn Du mich wirklich und wahrhaft liebst, so würdest Du großmüthig sein. Das sagte ich, und das bewahrheitet sich nun.«
»Darf ich seinen Namen erfahren?«
»Ich mußte ihn Bogumir nennen.«
»Das ist ein polnischer Name und bedeutet Georg. Ist er ein Pole?«
»Nein. Er schwieg über seine Familie. Er bat mich, nicht nach derselben zu fragen. Er sagte, seine Vergangenheit und seine Zukunft seien in ein tiefes Geheimniß gehüllt. Aber ich hörte ihn mit Schwaben, welche in der Gegend von Tilsit wohnen und zuweilen in unsere Berge kamen, in der Sprache ihrer Heimath reden. Sie sagten, daß er sie so gut spreche, als ob er dort geboren sei!«
»Also Deutsch?«
»Ja.«
»Nannte er keinen andern Namen?«
»Zu mir nicht.«
»Aber er muß doch noch einen gehabt haben. Er kann doch nicht nur diesen Vornamen getragen haben!«
»Nein. Er war Hauptmann und wurde genannt Hauptmann Off – – Ob – – Or – – ich habe mir das lange schwere, fremde Wort nicht merken können. Er sprach es niemals aus und Bogumir war kürzer und traulicher.«
»Und doch, wenn wir nach ihm suchen und ihn finden wollen, ist es ganz nothwendig, daß wir diesen Namen wissen. Besinne Dich!«
»Er fing mit dem Buchstaben O an.«
»Das genügt nun freilich nicht.«
»Der Anfang war so ähnlich wie das deutsche Wort, welches die Musik bedeutet, welche in den christlichen Kirchen gemacht wird.«
»Christliche Musik? Mit O beginnend? Vielleicht Oper? Das ist aber nicht in der Kirche.«
»Nein, Oper ist anders. Das ist im Theater, wie ich in Moskau gehört habe. Ich meine auch nicht die Musik, welche gemacht wird, sondern das Instrument.«
»Ah! Und mit O? Meinst Du vielleicht Orgel?«
»Orgel, ja, Orgel!« antwortete sie erfreut. »Das ist das Wort, mit welchem sein Name beginnt.«
»Orgel? Hm! Ich weiß in keiner Sprache einen geläufigen Namen, welcher mit diesem Worte beginnt. Und russischer Hauptmann war er? Ah! Es giebt in der russischen Sprache ein Wort, welches beinahe ähnlich lautet. Es bedeutet so viel wie Adler.«
»Wie heißt es?«
»Orjel.«
»Orjel – so ist es, so! Wie sagte ich erst?«
»Orgel.«
»Nein, so ist es nicht, sondern Orjel.«
»Also doch russisch. Das also war der Anfang des Namens. Wie er weiter lautet, weißt Du nicht?«
»Nein. Es war so schwer für meine Zunge. Ich glaube, es klang wie tsche oder tschu mit dabei.«
»Himmel! Besinne Dich recht! War ein Tsch dabei?«
»Ja.«
Er erhob sich schnell von seinem Sitze. Sein Athem ging so laut, daß sie ihn hörte.
»Was hast Du?« fragte sie. »Fast scheint es mir, als seiest Du über Etwas erschrocken.«
»O nein, nein. Es ist kein Schreck, sondern es ist Freude. Also, er sah mir ähnlich?«
»Wie ein Bruder dem andern, wie ich Dir schon sagte.«
»Und hieß Bogumir, also Georg? Mein Gott und Herr, gieb, daß auch das Weitere stimmt! Besinne Dich, Zykyma, besinne Dich ganz gewiß! Höre genau auf! Lautete der Name, den Du nicht merken konntest, vielleicht – paß ganz genau auf! Lautete er Orjeltschasta?«
»Das ist's! Das ist's, ja, das ist's!« bestätigte sie. »Orjeltschasta, Hauptmann Orjeltschasta! Was heißt das?«
»Adlerhorst.«
»Dieses Wort kenne ich nicht.«
»Es ist ein deutsches. Und nun sage ich Dir nicht nur, sondern ich schwöre es Dir zu, daß ich Dich aus diesem Harem holen werde; denn wisse, der Mann, den Du liebst, ist mein Bruder!«
Sie blickte ihn wortlos an; erst nach einer Weile sagte sie:
»Dein – – Bruder?«
»Ja. Der Name stimmt; ich bin ihm ähnlich, und das, was er Dir von seiner Familie gesagt hat, ist auch richtig.«
»O Allah, Allah! Wer kann das glauben!«
»Glaube es, glaube es! Ich weiß es ganz genau, daß es so ist, wie ich sage.
»Gott ist allmächtig und allbarmherzig. Seine Wege sind unbegreiflich, doch sie enden in Glück und Segen! Du, sein Bruder! Du liebst mich und wagst Dich in diesen Harem, um mich herauszuholen; ich sage Dir, daß ich einen Andern liebe, und dennoch willst Du mir helfen – nun ist es Dein Bruder! Hat nicht Allah Dich gesandt?«
»Ja, er hat es gegeben, daß ich Dich im Thale der süßen Wasser erblickte.«
Die Beiden waren so begeistert, daß sie lauter sprachen, als mit ihrer gegenwärtigen Lage zu vereinigen war. Zykyma dachte daran und sagte:
»Wir jubeln so laut, daß man uns hören wird. Laß uns leiser sprechen! O, nun werde ich auch erfahren, wo er sich befindet! Sage es mir!«
»Leider kann ich es Dir nicht sagen, da ich es selbst nicht weiß.«
»Du? Du weißt nicht, wo Dein Bruder ist!«
»Leider nein. Ich darf ebenso wenig wie er von unseren Verhältnissen sprechen; ich kann Dir nur sagen, daß ein fürchterliches Unglück sämmtliche Glieder meiner Familie in alle Welt zerstreut hat. Ich suche seit langer Zeit die Verlorenen und finde heute durch Dich die erste Spur des Einen, des ältesten Bruders.«
»Wunderbar!«
»Ja, wunderbar. Aber meine Seele ist voll des Dankes gegen Gott, der mich mit Dir zusammenführte. Ich werde dieser Spur folgen und den Bruder finden. Ihm sollst Du dann gehören; ihm trete ich Dich willig ab, da er ja mein Bruder ist.«
»Welch ein Glück! Jetzt winkt mir die Erlösung! Jetzt endlich werde ich errettet aus den Banden, die mich, wenn es länger gedauert hätte, sicherlich erdrosseln mußten.«
»Ja, Du sollst frei sein. Willst Du mit mir gehen?«
»O, wie gern!«
»Wann?«
»Wann Du es willst.«
»Also gleich heut, jetzt?«
»Gleich jetzt? Das wird wohl nicht möglich sein.«
»Sage mir, warum? Du kannst mir ja folgen, so wie Du hier bist. Was hält Dich zurück?«
»Die Freundschaft. Ich habe eine Freundin, welche sich auch nach Freiheit sehnt. Ich habe sie ihr versprochen; ich wollte mit ihr fliehen.«
»Recht so! Zwei anstatt Eine! Darüber wird sich der Lord herzlich freuen!«
»Wer ist das?«
»Einer der beiden Freunde, welche dort für uns wachen.«
»Was ist er?«
»Er ist ein Engländer, ein sehr reicher und edler Mann, obgleich er nicht ein schönes Aeußere besitzt. Er wird sich sehr freuen, Dich und Deine Freundin von hier fort begleiten zu können.«
»Und wohl auch ihre Mutter?«
»Also drei Personen? Dich, sie und ihre Mutter?«
»Ja; sie würde ohne die Mutter nicht gehen. Aber, zürne mir nicht! Ich habe noch einer vierten Person versprochen, sie mitzunehmen.«
»Das wächst ja sehr! Wer ist es?«
»Der junge Arabadschi, welcher auch Euer Verbündeter ist.«
»Gut, auch er soll mit.«
»Werden Deine Freunde einverstanden sein?«
»Gern, denn wir haben es ja seiner Hilfe zu verdanken, daß wir Euch hier entführen können. Warum aber will auch Deine Freundin fort?«
»Der Pascha hat sie zu seiner Sultana erhoben; sie aber liebt einen Anderen.«
Wallert befand sich, trotzdem seine Liebe abgewiesen worden war, jetzt bei ganz vortrefflicher Laune; er sagte, leise lachend:
»Also auch Die liebt einen Andern! Wer hätte gedacht, daß in einem abgeschlossenen Harem solche Sachen vorkommen! Liebt sie vielleicht auch Einen, den sie nicht kennt?«
»Sie kennt ihn.«
»Wohnt er hier in Stambul?«
»Ja, wenigstens jetzt.«
»Wenigstens jetzt? So ist er nicht für immer ein Bewohner der Hauptstadt?«
»Nein; er ist ein Franke.«
»Tausendsapperlot! Auch ein Franke! Und sie in einem Harem! Wie haben sie sich da kennen gelernt?«
»Sie befindet sich erst seit gestern im Harem. Er hat sie kennen gelernt, indem er ihr Bild malen mußte.«
»Wie – wo – waaaas?« fragte er, auf das Höchste erstaunt. »Mädchen! Zykyma! Heißt diese Freundin von Dir etwa Tschita?«
»Ja, ja, so heißt sie! Kennst Du sie?«
»Hurrrjesses! Sie war bei dem alten Sklavenhändler Barischa?«
»Ja; von ihm hat sie der Pascha gekauft.«
»Und ihre Mutter hat keine Zunge und keine Hände?«
»So ist es! O Allah, o Ihr heiligen Kalifen! O Muhammed! Er kennt sie; er kennt sie wahrhaftig!«
»O, ich kenne noch mehr Leute! Ich kenne sogar denjenigen, den sie liebt.«
»Den Maler?«
»Ja. Er hat sie seit heute früh mit Schmerzen gesucht.«
»So wirst Du sie von hier mitnehmen und zu ihm bringen!«
»Nein, fällt mir nicht ein! Er mag sie sich selbst holen!«
»Warum das? Soll sie noch länger warten?«
»Nein. Sie geht mit uns, heut Abend schon! Wisse, der Maler ist bereits im Garten!«
»Geschehen Wunder?«
»Beinahe ist es so! Der zweite Freund, welcher sich mit hier befindet, der ist eben der Maler. Ich werde ihn sofort herholen. Darf ich?«
»O Allah!« antwortete sie, die Hände faltend. »Ich weiß vor Glück und Erstaunen nicht, was ich sagen soll! Ja, hole ihn, bringe ihn her zu mir!«
Er ging fort, nicht auf dem sandbestreuten Wege, sondern auf dem Rasen hin, damit seine Schritte nicht gehört werden sollten. Er wußte zwar nicht, wo die Beiden steckten, aber er konnte es sich denken. Wirklich tönte es ihm auch, als er die Büsche erreichte, leise entgegen:
»Hermann! Bist Du es?«
»Ja. Seid Ihr hier?«
»Wie Du siehst!«
Dabei erhoben sich die Beiden. Der Lord dehnte seine lange Gestalt und sagte:
»Sie haben ja eine ganze Ewigkeit lang schamerirt. Sind Sie denn einig geworden?«
»So einig, wie es besser gar nicht sein könnte.«
»Geht sie mit?«
»Ja, heut.«
»Sapperment! Das geht schnell, ist aber gut!«
»Wir nehmen sie nicht allein mit!«
»Nicht? Desto besser. Ich bin bereit, den ganzen Harem leer zu machen und auf meine Yacht zu laden.«
»So Viele werden es nicht. Sie nimmt nur eine Freundin und deren Mutter nebst einem Diener mit. Diese Freundin heißt, glaube ich, Tschita.«
»Tschita?« fragte Normann schnell. »Und eine Mutter! Hermann, Du sagst das in einer so eigenthümlichen Weise. Es ist doch nicht etwa – –«
»Ja,« antwortete Wallert, indem er seine Freude nun nicht mehr verbergen konnte. »Es ist so; es ist Deine Tschita nebst ihrer Mutter.«
»Gott im Himmel! Ist es wahr?«
»Ja. Zykyma hat ihr versprochen, sie mitzunehmen.«
»Herr, mein Heiland! Dann rasch, rasch!«
Er sprang fort, in fliegender Eile nach der Ecke hin. Der Engländer, nicht verliebt wie der Maler, blieb ruhig stehen und fragte Wallert:
»Haben Sie sich da etwa eine Fabel ausgesonnen?«
»Nein; es ist Wahrheit.«
»Dann ist es ein seltenes und ebenso glückliches Zusammentreffen. Also dieser gute Ibrahim Pascha hat die Tschita gekauft! Das wollte der alte Mädchenhändler nicht sagen! Ich werde es ihm mit dem Regenschirm in das Gesicht schreiben, daß ich es weiß. Doch kommen Sie mit zu den Beiden. Man hört Master Normann's Stimme sogar von hier. Es ist kaum glaublich, wie unvorsichtig das Glück den Menschen macht!«
Als sie an der Ecke eintrafen, sprach Normann die für ihn höchst wichtige Frage aus:
»Hat er ihr etwa ein Leid gethan?«
»Nein,« antwortete die Gefragte. »Er hat sie noch nicht anrühren dürfen.«
»Das ist sein Glück! Ich hätte ihm das Messer in den Leib gerannt. Also sie hat von mir gesprochen?«
»Immerfort, und sich nach Dir gesehnt.«
»Sie soll frei sein und zwar noch heute Abend. Wie steht es, Mylord, wollen Sie diesen vier Personen eine Freistatt auf Ihrer Yacht geben?«
»Freie Statt, freie Kost, überhaupt Alles frei. Der Eine nimmt Zykyma, der Andere Tschita, und ich, Donnerwetter, für mich bleibt die Mutter übrig! Na, es ist nur jammerschade, daß dieses schöne Kind mich nicht verstehen kann. Aber fragt sie doch einmal, ob sie die beiden Andern und den Diener nicht baldigst holen will. Je eher wir von hier fortkommen, desto besser ist es.«
Normann sprach die Frage aus und Zykyma erklärte, daß es nur weniger Minuten bedürfe. Sie werde sofort gehen, um die Freundin und die andern Beiden zu holen.
»Wir gehen mit!« meinte Normann.
»Warum?« fragte sie.
»Um Euch zu helfen, die Leiter zu passiren.«
»Nein, bleibt! Es ist besser so. Wir können nicht vorsichtig genug sein. Die Leiter ist nicht schwer zu ersteigen. Ich bringe sie Alle hierher. O Allah, wird Tschita entzückt sein, wenn sie erfährt, wen sie hier finden wird und daß sie bereits heute frei sein soll! Aber wie kommen wir dann über die Mauer?«
»Keine Sorge! Wir haben den Schlüssel des Thores. Wir haben ihn gestern dem Pascha abgenommen.«
»So seid Ihr es, die ihn angefallen haben?«
»Ja. Jetzt können wir es sagen. Doch eile, damit wir nicht lange zu warten brauchen.«
Sie ließ sich diese Aufforderung nicht mehrere Male sagen. Selbst glücklich, den Bruder ihres Geliebten in ihrem Retter gefunden zu haben, fühlte sie sich doppelt glücklich, die neue Freundin auch deren Geliebten so unerwartet zuführen zu können. Sie eilte dem Gebäude zu, fand die Leiter, stieg hinauf und durch das offene Fenster in die noch unerleuchtete Stube hinein.
Als sie von den Dreien sich entfernt hatte, sagte Normann, unfähig, sich in seinem Glücke schweigend zu verhalten:
»Wer hätte das denken sollen! Tschita hierher verkauft! Wir holen uns unsere Geliebten aus einem und demselben Harem! Wunderbar!«
»Leider ich mir nicht meine Geliebte!« antwortete Wallert. Zykyma hat mir nämlich in aller Aufrichtigkeit gestanden, daß sie mich nicht liebt.«
»Das ist doch undenkbar!«
»Es ist wirklich so.«
»Bist Du des Teufels! Sie Dich nicht lieben!«
»Ja, sie liebt einen Andern.«
»Und das sagst Du in so gleichgiltigem Tone! Du scherzest natürlich! Liebte sie Dich nicht, so würdest Du Dich hüten, sie mitzunehmen, und sie würde sich ebenso hüten, Dir zu folgen.«
»Und doch ist es so. Ich nehme sie eigentlich nur Mylords wegen mit.«
»Meinetwegen?« fragte der Lord. »Bin ich es etwa, den sie heimlich liebt?«
»Nein, Mylord.«
»Ja, ich kann mich auch nicht entsinnen, jemals das Herz eines liebenden Wesens gebrochen zu haben. Warum also sagen Sie, meinetwegen?«
»Sie nannte mir einen Namen, der mich an denjenigen erinnerte, von welchem wir bereits einige Male gesprochen haben. Nämlich sie hat einen russischen Officier kennen und lieben gelernt, welcher Orjeltschasta heißt.«
»Orjeltschasta?« meinte der Lord. »Wunderbarer Name! Man kann die Zunge brechen, indem man ihn ausspricht.«
»Dennoch aber ist er für Sie höchst interessant.«
»Wieso?«
»Orjel heißt Adler, und Tschasta heißt Horst.«
»Alle Wetter!«
»Zusammen also Adlerhorst.«
»Wäre es möglich!«
»Nach dem, was Zykyma mir sagte, scheint er nicht ein Russe, sondern ein Deutscher zu sein.«
»Sollte das etwa eine Spur meiner so unbegreiflich verschwundenen Verwandten bedeuten? Gestern die Uhr und heute dieser Name, der wie – wie – wie – Orgelkasten lautet.«
»Orjeltschasta.«
»Na, gut so! Zykyma wird uns nachher wohl nähere Auskunft geben – – horch! War das nicht ein Hilferuf!«
»Ja, ein Hilferuf aus Frauenmund.«
»Sollte Etwas passirt sein!«
»Wollen sehen! Schnell, kommt!«
Sie huschten aus der Ecke heraus, nach dem Gebäude zu. Als sie das Gebüsch hinter sich hatten und das Haus nun frei vor ihnen lag, sahen sie das offene Fenster Zykyma's hell erleuchtet.
»Das ist sie nicht,« sagte Normann voller Besorgniß.
»Nein,« antwortete Wallert. »Sie wird sich hüten, das Zimmer in dieser Weise zu erleuchten, da sie ja fliehen will. Gehen wir weiter heran!«
Sie eilten näher. Das weiche Gras dämpfte ihre Schritte. Sie befanden sich kaum mehr fünfundzwanzig Schritte von dem Gebäude entfernt, da sahen sie zwei Männer in Zykyma's Stube.
»Alle Teufel!« flüsterte der Lord. »Das ist der Pascha!«
»Und der Derwisch. Da ist etwas nicht richtig!«
»Der Pascha hat ein Licht in der Hand. Er kommt an das Fenster. Er leuchtet heraus. Ah!«
Der Pascha war wirklich an das Fenster getreten und hielt das Licht heraus.
»Beim Teufel!« hörte man ihn sagen. »Da lehnt eine Leiter am Fenster.«
Im Nu stand der Derwisch neben ihm und sah auch heraus.
»Kam sie zum Fenster herein?« fragte er.
»Ganz gewiß.«
»So war sie im Garten. Was hat sie dort gewollt?«
»Das frage ich Dich auch!«
»Sollte etwa dieser verfluchte Hermann Wallert – –«
»Bist Du wahnsinnig?«
»Was will sie sonst im Garten? Laß schnell nachsehen! Vielleicht ist er noch da!«
»Hölle und Verdammniß! Ich würde sie und ihn ersäufen. Ja, eilen wir, um den Garten zu durchsuchen!«
Sie sprangen vom Fenster zurück und zum Zimmer hinaus, so daß dieses nun im Dunkeln lag.
»Der sagt es uns zum Fenster herab, was er thun will,« spottete Wallert. »Nun wissen wir ja gleich, woran wir sind!«
»Scherze nicht!« antwortete Normann. »Er hat Zykyma erwischt, wie sich aus seinen Worten entnehmen läßt. Wir hätten wohl noch Zeit, durch das Thor zu entkommen; aber wollen wir die Frauen verlassen?«
»Nein, nein!« sagte der Lord.
»Also hinauf auf den Baum und auf die Mauer!«
Sie eilten nach der Platane und kletterten hinauf und auf dem Aste hinüber. Auf der Mauer angekommen, legten sie sich lang und platt auf dieselbe hin, und da hörten sie auch schon Schritte und Stimmen von dem vorderen Theile des Gartens her.
»Sie kommen!« sagte der Lord.
»Mögen sie!« antwortete Normann. »Ich denke, daß wir hier ziemlich sicher sind.«
»Wie aber nun, wenn Einer auf denselben Gedanken kommt, den wir auch gehabt haben?«
»Sie meinen, daß er auch heraufklettert?«
»Ja.«
»Nun, dann bleibt uns nichts übrig, als ihn hinabzuschießen, obgleich – – hm! Wir verrathen nicht nur dadurch unsere Anwesenheit, was noch gar nicht so sehr schlimm wäre, aber wir bringen dadurch Zykyma in's Verderben, da es dann erwiesen ist, daß sie bei uns im Garten war. Wenn es doch ein Mittel gäbe, ihnen das Klettern zu verleiden!«
»Ich weiß eins.«
»Welches, Mylord?«
»Habe einmal von einem Bärenjäger gelesen, welcher von dem Bären auf den Baum verfolgt wurde, indem er den Ast – – Sapperment, sie kommen näher! Da giebt es keine Zeit zum Erklären. Bitte, Master Normann, wir liegen mit den Köpfen gegen einander. Halten Sie den Ast mit fest, bis Einer auf den guten Gedanken kommt, sich drauf zu setzen, um herüber zu kommen!«
Der Ast, auf welchem sie vom Stamme zur Mauer herübergeklettert waren, hatte eine beträchtliche Stärke und war vielleicht gegen vier Fuß hoch über der Mauer. Der Lord erhob sich, faßte ihn an und zog ihn zu sich herab. Normann griff mit zu, und so lagen die Beiden, mit den Köpfen gegen einander auf der Mauer und hielten den Ast fest.
»Guter Gedanke!« flüsterte der Maler.
»Nicht wahr! Ja, ein gescheidter Kerl darf kein Esel sein!«
»Kommt Einer geklettert, so lassen wir fahren; der Ast schnellt in die Höhe und wirft den Kerl ab, ohne daß dieser weiß, wie es zugegangen ist. Pst! Da sind sie schon, mit Laternen!«
Der Lärm, welchen die Leute machten, war mittlerweile schnell näher gekommen. Weiße und Schwarze bunt vermischt, hatten sie eine Linie gebildet, so lang, wie der Garten breit war, und avancirten nach der Ecke zu. Da hier der Garten immer enger wurde, so zogen sich die Leute immer näher zusammen und befanden sich jetzt nun eng neben einander. Sie trugen die in Constantinopel so gebräuchlichen Papierlaternen, um das Terrain zu erleuchten, und hatten sich mit allen möglichen Gegenständen bewaffnet, welche ihnen in der Eile in die Hände gekommen waren.
Der linke Flügel dieser Heerschaar blieb in der Nähe der Platane halten, während sich der rechte nach der Ecke zog, um dort die Büsche zu durchsuchen. In der Mitte stand der Pascha und neben ihm der Derwisch.
»Seht genau hinter jeden Strauch!« befahl der Erstere und wartete dann schweigend den Erfolg ab.
Dieser war ein negativer. Es wurde nichts gefunden.
»So irren wir uns. Es ist Niemand im Garten gewesen und sie hat sich nur einen Spaziergang erlaubt.«
*