Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Sie wandelt täglich mehrere Male und längere Zeit im Garten des Serail. Da sehe ich sie.«
»Ist sie allein?«
»Nein. Prinzessin Emineh ist bei ihr. Sie legen ihre Arme in einander und nennen sich Freundinnen.«
»Hast Du vielleicht einmal ihre Worte belauscht?«
»Mehrere Male.«
»Wovon sprachen sie?«
»Von Vielem und Verschiedenem. Ich kann mich auf das Einzelne nicht mehr besinnen; aber wenn Du mir sagst, was Du wissen willst, wird es mir einfallen.«
»Sprachen sie von Politik?«
»Was ist Politik? Ich kenne dieses Wort nicht.«
»Sprachen sie vom Kriege und vom Frieden? Von andern Ländern und von andern Völkern?«
»Ja, ich hörte es.«
»Sprachen sie von den Russen?«
»Sie haben dieses Wort sehr oft genannt.«
»Von den Deutschen?«
»Ja. Sie erzahlten von Wien und von Berlin. Dort lebt ein großer, berühmter Wessir, der einst mächtig sein wird über alle Länder der Erde. Und dort lebt auch ein großer Feldherr, welcher in unserm Lande gewesen ist, von dem Padischah herbeigerufen, der seinen Rath hören wollte. Er heißt – Mi – Ma – Mo – Mo – – –«
»Moltke?«
»Ja, so war der Name. Er wird einst alle Länder der Erde erobern. Und der Wessir wird alle Völker vereinigen, um ihnen den Frieden zu geben.«
»Haben sie auch dessen Namen genannt?«
»Ja. Er lautete Be – Be – Bi – Bis – –«
»Bismark?«
»O, Du kennst auch seinen Namen? Ja, genau so lautete er. Ich habe mir diese Namen gemerkt, weil ich es liebe von großen Mudirs und Feldherren zu hören; aber sie sind so schwer auszusprechen.«
»Und Du hast wirklich gehört, daß sie von ihnen sprachen?«
»Ja. Wie könnte ich sonst diese Namen kennen? Sie sitzen immer auf der Bank bei dem Busche, hinter welchem ich dann stecke, um zu hören, was sie sprechen. Ich bin ein Sclave, ein Verschnittener; ich werde niemals ein Weib besitzen; aber dennoch weidet sich mein Auge an dem Glanze ihrer Schönheit und mein Ohr an den Tönen ihrer Stimme. Doch darf ich dabei nicht gesehen werden.«
Der Andere stand nicht mehr auf derselben Stelle, sondern er schritt hin und her. Er befand sich sichtlich in einer nicht gewöhnlichen Aufregung.
Er achtete jetzt des Schwarzen kaum mehr; er hatte nur mit seinen Gedanken zu thun und stieß Ausdrücke hervor wie:
»Sie sprechen mit einander – sie haben sich an einander geschlossen – sie treiben Politik; sie sprechen von Moltke und Bismark – und zu mir sagt sie, daß sie Emineh noch nicht gesehen habe – Verrätherin! Ah, man wird Dir das Handwerk legen! Du sollst erkennen, wer Dein Herr und Meister ist!«
Er ballte die Fäuste drohend vor sich hin, als ob er die Betreffende vor sich habe. Dabei fiel sein Blick auf den Schwarzen, und er besann sich darauf, daß dieser doch nicht Alles zu wissen und hören brauche. Darum setzte er sich wieder nieder, verbarg seine Aufregung und fragte:
»Wann hast Du sie zum letzten Male bei einander gesehen?«
»Heut, vorhin, vor kurzer Zeit.«
»Wo?«
»Im Garten. Und er war dabei.«
»Er? Wer?«
»Nun, der von welchem wir sprechen, auf den ich aufpassen soll.«
»Alle Höllen und Teufel! Er war auch im Garten?«
»Ja.«
»Unmöglich!«
»O, er hat sogar mit Beiden gesprochen, und sie hatten die Schleier vom Gesicht genommen.«
Da riß es den Andern mit Allgewalt wieder von seinem Sitze empor. Er stemmte die Arme in die Seiten und sagte, lauter als es hier wohl gerathen war:
»Kerl, besinne Dich! Du träumst nicht! Du bist hier bei mir. Dieser Mensch ist im Garten des Serail gewesen und hat Emineh und Gökala unverschleiert gesehen?«
»Ja, ja doch!«
»Ah! Ist das Zufall, oder ist es ein bewußter Schachzug gegen uns? Sie belügt uns! Sie scheint mit ihm im Bunde zu sein! Wenn ich wüßte, wenn ich wüßte!«
Er war bleich wie der Tod geworden; das sah man trotz seines vollen Bartes. In seinen tiefliegenden Augen zuckte ein grimmiges Funkeln, und seine Zähne nagten an der Unterlippe. Er hatte das Aussehen eines Menschen, dem jetzt Alles gleich gilt. Glück oder Unglück, Tod oder Leben.
»Wenn Du es nicht weißt, ich weiß es,« sagte der Neger.
»Was denn?«
»Daß er sie entführen wird.«
»Er? Gökala entführen?«
»Frage doch nicht so oft. Ich sage es ja deutlich genug!«
»O, ich möchte fragen nicht nur einmal, sondern tausendmal, so unglaublich ist es! Haben sie denn von dieser Entführung gesprochen?«
»Ja. Sie saß auf der Bank; er stand vor ihr, und ich lag hinter dem Busche.«
»Aber die Prinzessin?«
»Die war fortgegangen, um Etwas zu holen, was sie dann auch brachte und ihm gab.«
»Sprachen sie von der Zeit, wann, und von dem Orte, von welchem aus die Entführung unternommen werden solle?«
»Ja; ich hörte es deutlich.«
»So sage es! Heraus damit! Schnell, schnell!«
Da machte der Neger ein Gesicht, welches jedenfalls listig heißen sollte; es wurde aber nur eine abschreckende Fratze daraus. Er hielt dabei die Hände abkehrend von sich und antwortete:
»O, wie klug Du bist! An Dir sieht man deutlich, wie gütig Allah ist. Seine Gnade ist so groß und unermeßlich, daß er sogar den Ungläubigen List gegeben hat.«
»Meinst Du, daß ich kein Moslem sei.«
»Du bist ein Christ. Leugne es oder nicht; mir ist es sehr gleich. Aber Deine Listigkeit ist doch nicht größer als die meinige. Ich soll Dir den Ort und die Zeit sagen. Wenn ich dies thue, so weißt Du Alles, und ich kann gehen. Nein. Bisher habe ich gesprochen, um Dir zu beweisen, daß ich nicht schlechtere, sondern bessere Augen habe als der Andere. Nun aber sage ich weiter kein einziges Wort, wenn ich nicht erfahre, was ich dafür erhalte.«
»Schurke! Du willst also Geld?«
»Was sonst! Meinst Du, daß ich für Dich wache und Dir meine Geheimnisse mittheile, ohne etwas zu erhalten?«
»Gut! Wie viel willst Du?«
»Wie viel bietest Du?«
»Ich gebe Dir zweihundert Piaster.«
Das sind nicht ganz vierzig Mark nach deutschem Gelde. Der Schwarze schüttelte den wolligen Kopf und antwortete:
»Meine Neuigkeit ist mehr werth, viel mehr.«
»Willst Du etwa ausschlagen?«
»Ein Jeder verkauft seine Waare so hoch wie möglich. Ich habe bereits viel für Euch gethan, aber sehr wenig erhalten.«
»So werde ich Dir fünfhundert Piaster geben.«
»Auch das ist zu wenig. Gieb tausend!«
»Wann?«
»Gleich jetzt. Ich weiß, daß Du stets Geld bei Dir hast.«
»Gut, ich will nicht feilschen; ich gebe tausend.«
Da schlug der Neger die Hände klatschend zusammen, verdrehte erschrocken die Augen und rief:
»O Allah! Wie dumm bin ich gewesen! Er giebt mir die tausend sogleich! Hätte ich zweitausend oder gar dreitausend gefordert, so hätte er sie auch gegeben!«
»Ja, ich hätte sie gegeben,« sagte der Andere lachend. »Aber nun gilt, was ausgemacht ist. Halte die Hände auf Orang-Utang; ich will Dir das Geld geben.«
Der Schwarze streckte die Arme aus und sah mit funkelnden Augen zu, wie eine Münze nach der andern hineingelegt wurde. Er steckte dann die Summe ein, klimperte mit der vollen Tasche und meinte:
»Nun habe ich Geld, Geld, viel Geld. Nun weiß ich, was ich thue. Nun kaufe und rauche ich Opium.«
»Thue es in Gottes Namen, wenn Du Dich zum Krüppel und Deinen dicken Wanst zum Skelett machen willst! Ich habe nichts dagegen. Jetzt aber sprich! Wann will er sie entführen?«
»Heut in der Dämmerung.«
»Heut! Schon! Ah, da gilt es die größte Eile! Wir werden diesen Menschen einmal beim Schopfe nehmen, obgleich Gökala eigentlich keine Moslemi – – doch, das gehört ja gar nicht hier her!«
»Ihr wollt ihn beim Schopfe nehmen? Seid vorsichtig! Er ist ein starker Mann.«
»Wir wissen es.«
»Ihr wißt es nicht! Er ist viel stärker, als Ihr denkt. Er hat den Leoparden beim Halse genommen und in das Kiosk geschafft, um ihn wieder anzubinden.«
»War die Bestie denn frei?«
Der Neger bog den Kopf so weit wie möglich zu ihm empor und raunte ihm in wichtigem Tone zu:
»Ja. Ich hatte sie frei gelassen.«
»Mensch! Warum?«
»Wolltest Du diesen Mann nicht tödten?«
»Ja – o, hm! – nein; das ist mir nicht eingefallen,« antwortete er verlegen.
»Du hast es einmal zu mir gesagt.«
»Es war im Zorne.«
»Du botest mir Geld, viele Piaster, mehrere Hände voll. Ich habe mir das gemerkt. Und als er heut daher gegangen kam, da fiel es mir ein, den Leoparden loszulassen.«
»Hölle, Tod und Teufel! Das hättest Du gethan?«
»Ich sage es ja.«
»Du siehst meinen Schreck! War Gökala dabei?«
»Natürlich! Und auch Emineh.«
»Unvorsichtiger! Wenn nun das Thier nicht ihn, sondern die beiden Frauen zerrissen hätte!«
»O, es hat sie nicht zerrissen. Er ging auf den Leoparden zu, ergriff ihn beim Halse und schleppte ihn in den Kiosk, wo er ihn wieder an die Kette fesselte.«
»Ja, so ist er! Dieser Mensch kennt keine Furcht. Ich glaube, wenn man ohne sein Wissen grad hinter ihm eine Kanone abbrennte, er würde nicht erschrecken und nicht mit der Wimper zucken, sondern sich sehr ruhig umdrehen, um nachzusehen, wer das gethan hat. Was aber geschah dann weiter?«
Der Neger erzählte Alles, auch daß er den Betreffenden sofort verfolgt habe und bis an welchem Ort.
»Ja, er ist es,« meinte dann der Andere. »Wenn noch ein Zweifel gewesen wäre, daß er es ist, so wäre derselbe jetzt gehoben. Er verkehrt bei dem Pferdeverleiher in Kutschu Piati. Was aber mag das sein, was er der Prinzessin gegeben hat?«
»Ich konnte es nicht erkennen. Vielleicht war's ein Bild.«
»Donnerwetter! Wessen Bild? Und was hat sie ihm dann gebracht?«
»Auch das weiß ich nicht. Es schien ein kleines Kästchen zu sein, und er steckte es in seine Tasche.«
»Und einen Ring hat sie ihm geschenkt! Ich weiß nicht, weshalb. Ich weiß überhaupt nicht, um was es sich gehandelt hat, aber ich muß es erfahren. Nur das weiß ich, daß er einen Sieg errungen hat, und den müssen wir ihm sofort wieder abnehmen.«
»Wirst Du dabei sein, wenn er heut Abend mit Gökala zusammentrifft?«
»Das geht Dich nichts an; das brauchst Du nicht zu wissen. Ich habe jetzt keine Zeit mehr: ich muß einen jeden Augenblick benutzen. Ich gehe.«
»Ich auch. Ich habe Fleisch zu holen und bin bereits zu lange fort gewesen.«
Sie brachen mit einander auf. Als sie durch das vordere Zimmer gingen, warf der Auftraggeber des Negers dem Wirthe einige Münzen als Bezahlung hin. – Draußen gingen die Beiden noch eine Strecke weit mit einander fort. Dabei fragte der Neger:
»So soll ich heut nicht aufpassen, wenn Gökala geht?
»Nein.«
»Auch Niemandem sagen, was sie thun will?«
»Keinem Menschen; auch später niemals. Hörst Du? Und sollte Gökala niemals wieder nach dem Serail kommen – – Teufel, da ist er!«
Sie waren in diesem Augenblicke um eine Ecke des Grabmals Bonnevals herumgebogen und da beinahe mit – Steinbach zusammen gerannt, welcher von der andern Seite kam. Er hatte nicht nur den Ausruf des Schreckes, sondern überhaupt den ganzen letzten Satz ganz deutlich vernommen, da der Sprecher seine Stimme nicht gedämpft hatte. Er blickte die Beiden forschend an und fragte:
»Wer, wer ist da?«
Der Angeredete hatte sich schnell gefaßt und antwortete im Tone des Erstaunens:
»Wer bist Du? Was geht Dich unsere Rede an?«
»Du meintest doch mich!«
»Ist mir nicht eingefallen! Ich kenne dich ja gar nicht. Gehe Deiner Wege!«
Er setzte mit dem Neger seinen Weg fort. Steinbach schüttelte den Kopf und sagte zu sich selbst:
»Und sollte Gökala niemals wieder nach dem Serail kommen – – das waren die Worte. Und dann erschrak dieser Mann, als er mich erblickte. Warum erschrak er über mich? Ware er über einen Andern ebenso erschrocken? Ich glaube fast nicht, besonders da er rief: Teufel, da ist er! Sie sprachen vom Serail. Ach, sollte der Schwarze vom Serail sein? Wer aber ist dann diese Gökala? Eine Bewohnerin des dortigen Harems? Ich werde doch einmal sehen, wohin diese beiden Burschen gehen. Die Sache kommt mir verdächtig vor.«
Er kehrte um. Leider aber vermochte er nicht mehr, sie zu erblicken. Vielleicht hatten sie ihre Schritte beschleunigt, um aus seiner Nähe zu kommen, und sodann waren grad die nahe liegenden Gäßchen so eng, kurz und wirr, daß es nicht leicht war, die Gesuchten noch zu entdecken. Da kam ihm ein Gedanke:
»Ich lasse sie laufen! Hier liegt die russische und die schwedische Gesandtschaft. Sind sie auf einer der beiden gewesen, so erfahre ich es sofort. Wahrscheinlich aber ist dies nicht. Ich glaube eher, daß sie aus irgend einer Spelunke kommen, denn die beiden Kerls rochen so nach – ah, dort ist ja ein Kaffeehaus! Sehen wir einmal nach!«
Er steuerte gemächlich auf das Lokal zu, welches die Beiden soeben erst verlassen hatten, und trat ein. Gleich der erste Blick belehrte ihn, daß er nicht im vordern Zimmer, wohin er überhaupt als gut oder sogar vornehm gekleideter Gast gar nicht paßte, zu suchen habe, sondern im Hinterzimmer, dessen Dasein er an der Anwesenheit einer Thür bemerkte.
Er grüßte mit vornehmer Leutseligkeit und begab sich nach dem genannten Raum. Der Wirth beeilte sich natürlich unter vielen und tiefen Verbeugungen, ihn nach seinen Befehlen zu fragen, und räumte, als er diese gehört hatte, die zwei Tassen nebst der Pfeife fort, welche sich noch da befanden.
Steinbach ließ sich nieder. Er war jetzt allein und nickte befriedigt vor sich hin:
»Richtig! Hier waren sie. Zwei Tassen und zwei Raucher. Der Eine, jedenfalls der Neger, rauchte den Tschibuk, und der Andere eine Cigarrette, wie man an der Asche sieht, welche noch hier liegt. Der brave Wirth mag freundlichst beichten; aber dumm darf ich es nicht anfangen.«
Nach ganz kurzer Weile kehrte der Kawehdschi mit einem Täßchen zurück, welches in einem silbernen Fingan ruhte, hier in dieser Kneipe gewiß ein sehr kostbares Stück.
Die türkischen Tassen haben nämlich nicht die Form und Einrichtung der unserigen. Sie sind sehr klein und ruhen in dem Fingan, einem niedlichen Gefäßchen, welches fast ganz genau die Form unserer Eierbecher hat. Der Kaffee wird auf ebenso andere Weise bereitet. Die Bohnen werden erst ganz kurz vor dem Gebrauche geröstet und in einem Mörser zu Staub zerstoßen. Dieses feine Kaffeepulver kommt in die Tasse, welche man dann mit kochendem Wasser füllt. Dann ist der Kaffee fertig und wird mit dem Satze getrunken. Der Europäer, welcher nur die Flüssigkeit genießt, ist dies nicht gewöhnt, hat er es aber erst einige Male gekostet, so findet er diesen orientalischen Kaffee viel schmackhafter und delikater, als den heimischen.
Während der Kawehdschi, wie der Kaffeewirth genannt wird, den Fingan unter einer tiefen Verbeugung darreichte, betrachtete er seinen Gast mit einem scharf forschenden Blicke. Er hatte noch nie einen solch vornehmen Herrn bedient. Ein solch vornehmer Gast kam sicherlich nicht ohne Absicht zu ihm.
Steinbach schlürfte einige Tropfen des heißen Getränkes ein, nickte befriedigt und sagte:
»Dein Kaffee ist gut; er soll also auch gut bezahlt werden. Haben sie Dir keinen Auftrag für mich zurückgelassen?«
»Wen meinst Du, o Effendi?«
»Die Beiden, welche soeben gegangen sind. Ich wollte sie hier treffen, doch sagte mir mein Diener, daß er ihnen weiter unten begegnet sei.«
»So meinst Du Rurik und den Schwarzen?«
»Ja, den Russen und den Neger.«
Er konnte dies sagen ohne Etwas zu wagen, da Rurik ja ein spezifisch russischer Name ist.
»Nein, Effendi. Sie haben mir kein Wort gesagt, was ich Dir zu melden hätte.«
»Das ist mir fatal. Weißt Du nicht, wohin sie sind.«
»Rurik ist jedenfalls nicht wieder nach Hause. Als ich nach ihm sandte, hatte er gesagt, daß er beabsichtigt habe, auszugehen.«
»Und der Neger?«
»Der wird Fleisch für den Leoparden holen, wie er es gewöhnlich thut.«
Jetzt wußte Steinbach, woran er wenigstens mit dem Schwarzen war. Es war das Wort Serail gefallen, dazu ein Leopard; es konnte also nur das großherrliche Serail in Beschiktasch gemeint sein.
»Beide treffen sich wohl öfters hier?« fragte Steinbach weiter.
»Vorher sehr oft, und stets in dieser Stube. So lange der Schwarze aber im Serail ist, gelang es ihm noch nicht, hier mit dem Russen sprechen zu können. Kennst Du Beide?«
»Noch nicht genau, obgleich ich ein Geschäft mit Rurik abschließen will. Ich wollte sie erst heut richtig kennen lernen. Weißt Du die Wohnung des Russen?«
»Ja. Er wohnt in einem kleinen Häuschen zwischen der russischen, und schwedischen Gesandtschaft. Er hat es gemiethet und wohnt ganz allein darin, mit einigen Dienern. Er ist sehr leicht zu finden, da kein zweites in der Nähe liegt.«
»Ich danke Dir.«
»Soll ich von Dir sprechen, wenn er wiederkommt?«
»Nein. Er soll nicht hören, daß ich nach ihm gefragt habe.«
»Du hast Recht. Er geht auf verborgenen Wegen und hat es nicht gern, daß sein Name genannt wird. Uebrigens bitte ich Dich, an mich zu denken, wenn Du eines Mannes bedarfst, der für ein gutes Backschisch Etwas thun soll, was Niemand zu wissen braucht.«
»Dieses Anerbieten kommt mir gelegen. Ich brauche sehr bald einen solchen Mann und werde wiederkommen. Hier nimm die Bezahlung.«
Er gab ihm den zwanzigfachen Betrag des gewöhnlichen Preises einer Tasse Kaffee. Das war dem Kawehdschi noch niemals passirt. Er hätte sich am Liebsten vor Dankbarkeit gleich auf die Erde gelegt und machte so viele Verbeugungen hinter dem Gaste her, bis dieser die Thür im Rücken hatte.
»Eine schöne Spelunke!« sagte Steinbach draußen zu sich selbst. »Und ein noch schönerer Wirth! Ich glaube, dieser Mensch sticht mir für ein Goldstück jede Person nieder, die ich ihm bezeichne. Das war kein Türke, sondern ein Grieche. Die Pest über den Kerl! Also mit dem Wärter des Leoparden habe ich es zu thun und mit einem Russen. Wer Gökala ist, werde ich heut Abend erfahren, und dann wird es sich ja wohl finden, was dieser Rurik gemeint haben kann.«
Und im langsamen Weitergehen fuhr er nachdenklich für sich fort:
»Gökala, ein türkischer Name – bedeutet zu Deutsch so viel wie Himmelsblau. Da muß ich unwillkürlich an die Herrliche im Garten des Serail denken. Dieses himmlische Angesicht, dieses sonnenklare, wunderbar flimmernde Auge, dessen Strahl aus tiefstem Azurblau bricht. Für sie wäre kein Name so bezeichnend wie Gökala. Fast möchte ich besorgt werden, denn die beiden Kerls sprechen sicherlich von nichts Gutem. Sie kannten mich. Hat mich der Leopardenwärter im Garten gesehen? Sehr leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich. Wo aber der Russe? Es ist mir zwar, als sei ich irgendwo und irgendwann einmal diesem confiscirten Gesichte begegnet, aber zu besinnen vermag ich mich augenblicklich nicht. Der Abend wird vielleicht Klarheit bringen.«
Er begab sich nach dem Hafen. Dort lag ein zur Abfahrt nach Egypten bereites Schiff, mit welchem ein treuer und zuverlässiger Diener als Eilbote nach Kairo gehen sollte, um das Etui zu überbringen.
Nachdem er sich da überzeugt hatte, daß dieser Abgeordnete sicher und gut untergebracht sei, nahm er einen Miethesel, wie sie in Stambul gebräuchlich sind, und ritt nach dem Serail. Er war dort zum Öjleïn jemeji padischamïn geladen, das heißt zu Deutsch zum Mittagsessen des Padischa, eine seltene Ehre, welche nur hervorragenden und außerordentlich bevorzugten Personen zu theil wird, und auch diesen nur als eine nicht oft wiederkehrende Ausnahme.
Die Tafel des Großherrn nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Als Steinbach entlassen wurde, hatte sich die Sonne bereits zur Rüste geneigt. Da in jenen Gegenden die Dämmerung nur kurz ist und die Dunkelheit sehr schnell hereinbricht, so mußte er sich sputen, um Diejenige, der sein Herz so schnell voller Jubel entgegengeschlagen hatte, nicht warten zu lassen. Er eilte an den Landungsplatz und nahm sich ein Kaik.
Einige Zeit vorher waren vier Kaikdschi die Perastraße herabgekommen und hatten sich einem vierrudrigen Kaik genähert, in welchem aber nur ein Mann saß, der auf Jemand zu warten schien. Als er sie erblickte, stieg er aus dem Boote und hielt ihnen die Hand entgegen. Der eine von ihnen zog einen Beutel aus der Tasche, entnahm demselben eine Anzahl Fünfpiasterstücke und übergab sie ihm mit den Worten:
»Das ist für jetzt. Die andere Hälfte erhältst Du, sobald wir von unserer Spazierfahrt zurückkehren.«
Sie stiegen schweigend ein und stießen eben so schweigend vom Lande. Wäre Steinbach hier gewesen, so hätte er in Denjenigen, welcher bezahlte, trotz dessen Vermummung den Russen Rurik erkannt.
»Das Kaik glitt schnell um Baluk Bazar Kapussi herum und bog in den Kanal ein. Da legten die vier Männer sich kräftig in die Riemen, und das schön gebaute Fahrzeug flog mit Windeseile dem Ziele entgegen.
Erst als sie Tekerleh erreichten, oberhalb Mustapha Effendi Dschiami, legten sie an und befestigten das Kaik am Ufer, doch zögerten sie auszusteigen.
»In einer halben Stunde ist es dunkel,« sagte Rurik. »Wir haben also noch Zeit.«
»Was hast Du nun aber beschlossen?« fragte einer der drei Anderen.
»Ich bin darüber selbst noch nicht klar. So viel steht fest, daß wir die Ungehorsame, welche jedenfalls die Absicht hat, uns zu täuschen oder gar zu verrathen, nicht wieder in das Serail lassen dürfen.«
»Dazu aber brauchten wir doch nicht hierher zu fahren. Sie kommt ja täglich nach Hause.«
»Wir wollen Sie doch hier mit diesem Manne ertappen.«
»Nun gut! Aber wo? Gleich am Thor, wo sie sich treffen werden?«
»Was meinen Sie?«
Diese in einem fast unterwürfigen Tone gesprochene Frage war an einen Dritten gerichtet. Er war nicht jung und nicht alt, weder schön noch häßlich, weder dick noch hager. Man hätte ihn für einen Durchschnitts- oder Alltagsmenschen, wie es deren ja Hunderttausende giebt, halten können, wenn seine Augen nicht gewesen wären.
Diese Augen waren von einer grauen, ins Grünliche spielenden Farbe und lagen mongolisch gegen die Nase geneigt. Ueber ihnen lagen die graden, struppigen Brauen, welche über der Nasenwurzel sich so vereinigten, daß sie eine einzige, schnurgerade, häßliche Linie bildeten. Es lag etwas Falsches, Stechendes, kalt Grausames in dem Blicke dieser Augen. Man fühlte, daß der Besitzer derselben sich wohl schwerlich die Liebe eines Andern erringen werde.
»Pah!« sagte er. »Was nützt es uns, wenn wir sie gleich vom Thore wegnehmen! Man muß einem Verbrecher erlauben, seine That ganz zu vollbringen, dann erst kann man ihm die volle Strafe dictiren.«
»Aber, Herr, ist es nicht besser, die That zu verhüten?«
»Unsinn! Sie mag mit dem Menschen kosen so lange, bis mir die Geduld abhanden kommt. Ihr zwei bleibt hier. Ich gehe mit Rurik an das Thor, um zu beobachten. Das Uebrige wird sich finden. Verlieren wir weiter keine Worte!«
Er sprach befehlend, kurz, abgerissen und mit kalter, klangloser Stimme. Dabei bewegte er kein Glied seines Leibes; ja es war, als ob selbst die Lippen während seiner Worte ihre Stellung nicht im Geringsten veränderten. Hatte dieser Mann bereits einmal im Grabe gelegen und dann bei seiner Wiederauferstehung das Herz, das Gemüth, die Wärme zurückgelassen? Es konnte Einem beim Klange dieser leblosen Stimme ein Schauer überlaufen.
Erst nach einer Weile erhob er sich und stieg an das Ufer. Jetzt zeigte es sich, daß er sehr gut bewaffnet war. Rurik folgte ihm.
Beide schlenderten wie ziel- und zwecklos gradlinig vom Ufer ab, bogen dann aber nach links, um die Mauer des Serailgartens zu erreichen.
Dort fällt der Boden schräg nach Tarlabaschü ab, und die Böschung, besonders aber der Rand derselben ist von ziemlich dichten Büschen eingefaßt.
»Das trifft sich gut!« sagte Rurik. »Hier können wir uns verstecken.«
»Wenn der Kerl sich nicht bereits selbst hereingesteckt hat. Man muß vorsichtig sein.«
»Wir haben ja Augen und Ohren. Untersuchen wir also das Terrain!«
Das Resultat dieser Untersuchung war, daß sich noch Niemand hier befand. Beide steckten sich also in die Büsche und warteten der Dinge, welche kommen sollten.
Jetzt begann die Dämmerung sich rasch nieder zu senken, und da kamen von rechts her leise Schritte.
»Ob er es ist?« flüsterte Rurik.
»Jedenfalls. Was hätte ein Anderer hier zu suchen?«
»So ist er unterhalb des Serail bei Sultane Iskelessi an das Land gestiegen. Ah! Still!«
Der Fußgänger war ganz nahe herangekommen; er trat an den Rand der Büsche und stand kaum zwei Ellen entfernt von den Lauschern. Es war Steinbach.
Jetzt hörte man im Thore einen Schlüssel klirren. Es öffnete sich, und eine Frauengestalt trat heraus, in schwarze Gewänder gehüllt. Sie verschloß die Thür wieder und hustete leise. Da trat Steinbach auf sie zu.
»Also wirklich! Du hast Wort gehalten!« sagte er, indem ihm vor Glück das Herz fast hörbar schlug.
»Ich pflege nie ein Wort zu brechen. Sei willkommen! Erlaubst Du, daß ich mich Dir anvertraue?«
»Ob ich es Dir erlaube? Frage den Verschmachtenden, ob er es erlaubt, daß man ihm Wasser giebt!«
»So komm mit fort von hier!«
»Wohin?«
»Willst Du das nicht bestimmen?«
»Ich?« fragte er fast verwundert. »Wie sollte ich es bestimmen, da Du ja sagtest, daß Du heut noch nicht mit mir gehen könntest!«
»Das sagte ich; aber dennoch kannst Du jetzt mein Führer und Leiter sein. Zwei Stunden sind es, welche ich heut bei Dir sein kann; dann aber muß ich fort.«
»Nach welchem Orte?«
»Vielleicht sage ich Dir dies später. Laß uns zum Wasser gehen und ein Kaik nehmen. Wir fahren ein Stück den Kanal hinein und kehren dann zurück. Nachher trennen wir uns, ohne daß Du fragst, wohin ich gehe.«
»Das klingt so geheimnißvoll, doch will ich Dir gehorchen. Da Du aufwärts fahren willst, müssen wir auch aufwärts gehen. Ich hoffe, daß an Mustapha ein Kaik zu finden ist; das meinige habe ich zurückgeschickt, denn ich glaubte, es nicht mehr zu brauchen.«
Er ergriff ihre Hand und fühlte eine wahre Seligkeit, als er bemerkte, mit welchem Vertrauen sie ihren Arm in den seinen legen ließ. Sie gingen fort.
»Donnerwetter!« flüsterte Rurik. »Sie laufen uns ja gerade in's Garn!«
»Ja. Sie werden unser Kaik finden, uns für Kaikdschi halten und mit uns fahren.«
»Was thun wir dann?«
»Der Kerl muß Wasser schmecken.«
»Sofort?«
»Nein. Wir wollen natürlich erst Zuhörer sein, wenn sie Dir die interessante Scene Romeo und Julia geben. Jetzt schnell; wir müssen ihnen zuvorkommen, und doch einen Umweg machen. Aber leise, leise. – Es wäre Alles verloren, wenn sie uns hörten. Dieser Kerl ist so schlau wie kein Zweiter. Haben wir die Bärte im Kaik?«
»Ja. Ich werde die Hauptsache nicht vergessen.«
»Sie schlichen sich fort, hinter den Büschen in einem Bogen an dem Paare vorüber und hinunter an das Wasser. Die Beiden hatten natürlich keine Ahnung von der Gefahr, welcher sie so blind entgegen gingen.
Steinbach wagte es nicht, den schönen, vollen Arm, dessen Wärme er fühlte, auch nur im Geringsten an sich zu drücken. Dieses herrliche Wesen vertraute sich ihm an, und er durfte ein so seltenes Vertrauen nicht mißbrauchen. Er hatte hundert und tausend Fragen auf den Lippen und sprach doch keine einzige aus. Er wollte das selige Schweigen durch keinen Laut unterbrechen.
Sie näherten sie sich dem Ufer und erblickten das Kaik, in welchem vier bärtige Ruderer saßen, wie bei dem Lichte der Laternen, welche vorn am Lugo brannten, zu erkennen war.
»Habt Ihr schon Arbeit?« fragte er.
»Nein, o Herr.«
»So macht Platz, um uns ein Stück aufwärts zu fahren.«
Sie gehorchten, indem sie zwei Plätze in der Mitte frei machten. Auf diese Weise gedachten sie, Steinbach zwischen sich zu bekommen. Er aber sagte:
»Ich steure selbst. Die Strömung ist uns entgegen, und Ihr müßt Euch alle auf das Rudern verlegen.«
»Herr, wie sollst Du mit arbeiten!« wagte es Einer einzuwenden.
»Steuern ist keine Arbeit!« bemerkte er kurz. »Also vor mit Euch! Arbeitet wacker, aber ruhig, so ist Euch ein gutes Bakschisch sicher.«
Das Kaik war so groß, daß in der Mitte zwei Personen eng sitzen konnten; vorn und hinten aber war nur für eine Platz. So saß Steinbach beim Stern am Steuer und das Mädchen vor ihm. Das Boot schoß, von den vier Rudern getrieben, schnell hinaus auf den Kanal.
Droben vom Himmel blickten die Sterne, und Sternchen schienen auf die Lichter der Kaiks zu sein, welche das Wasser belebten. Lichter gab es auch rechts und links an den steilaufsteigenden Ufern.
So ging es glatt, leicht und schnell vorwärts, eine große, große Strecke weit. Niemand sagte ein Wort. Da neigte Steinbach sich vor und flüsterte ihr zu:
»Soll ich nicht so glücklich sein. Deine Stimme zu hören? Du bist bei mir und doch nicht bei mir. Wollen wir für kurze Zeit aussteigen?«
»Wo?«
»Dort an der Cypresse der Mutter. Wir sind nahe.«
»Ja. Die Kaikdschis mögen uns erwarten.«
So steuerte also Steinbach dem Ufer entgegen.
»Willst Du umlenken?« fragte Rurik mit verstellter Stimme.
»Nein, wir legen an, und Ihr wartet, bis wir wiederkommen.«
Das Boot flog dem Ufer entgegen. Der eine Kaikdschi, welcher zu hinterst saß, erhob sich. Er hatte das Ruder so in der Hand, als ob sein grünes Augenfunkeln die Finsterniß durchdringe. Aber Steinbach hatte sich bereits an das Land geschwungen und reichte dem Mädchen die Hand. Dann schritten die Beiden langsam nach der Cypresse, deren Umrisse vom Ufer aus noch ziemlich deutlich zu erkennen waren.
»Verdammt!« sagte der Aufrechtstehende. »Ich wollte ihm das Ruder auf den Kopf schlagen. Da aber stand er schon draußen und hatte sich herumgedreht. Er hätte meine Absicht bemerkt und wäre mir durch einen raschen Sprung ausgewichen. Da laufen sie nun!«
Er knirrschte grimmig mit den Zähnen.
»Noch ist es nicht aus,« tröstete Rurik. »Sie kommen ja wieder. Und dann – –«
»Ja, dann giebt es keine Gnade!«
»Er wird sich aber wieder an das Steuer setzen wollen!«
»Das dulden wir nicht. Heimwärts gehen wir mit der Strömung, und brauchen nicht zu arbeiten. Er hat also keinen Grund mehr, uns zu unterstützen.«
Die Cypresse hat ihren Namen von einem unglücklichen Ereigniß. Eine Mutter hatte ihre Zwillinge gebadet und sie an das Ufer gelegt. Sie ging um Kräuter zu sammeln. Als sie zurückkehrte, waren die Kleinen fort. In ihren unbehilflichen Bewegungen hatten sie sich dem Wasser genähert und waren ertrunken. Da, wo man die wieder gefundenen kleinen Leichen begrub, wuchs eine Cypresse mit doppeltem Stamm aus der Erde, ein Zwillingsbaum, unter dessen Zweigen später dann vor Gram die Mutter starb. Der Baum heißt nun die Cypresse der Mutter.
Dort auf der Rasenbank, auf welcher die trauernde Mutter ihre Nächte durchklagt hatte, nahm jetzt das schöne Mädchen Platz. Jetzt bemerkte Steinbach, daß sie unter den langen, dunklen Kaputzenmantel, welcher ihre ganze Gestalt umhüllte, das feine, weibseidene Gewand trug, in welchem er sie heut gesehen hatte.
Er wagte es nicht, sich neben sie zu setzen. Er hatte tausend Frauen gegenübergestanden, Frauen aller Stände, schönen und häßlichen, witzigen und geistlosen; er war der Liebling der Salons, bevorzugt und verwöhnt selbst von Solchen, denen ein Anderer keine Aufmerksamkeit abzugewinnen vermocht hätte. Hier aber fühlte er sich – nicht verlegen, sondern ergriffen von jenem Gefühle, welches man empfindet, wenn man einen Dom, oder sonst eine geweihte, heilige Stätte betritt.
Diese weiche, üppige Gestalt, deren volle, zauberische Formen, von dem leuchtenden Gewande hervorgehoben, selbst durch die schwarze, vorn auseinander fließende Hülle wie elektrisch wirkbar, war doch wie von einem Kreise umgeben, den kein profaner Gedanke zu durchdringen vermochte.
»Willst Du Dich nicht setzen?« fragte sie.
Das war dieselbe weiche, glockenähnliche und doch wie Aeolsharfenton klingende Stimme, mit welcher sie ihn heut gefragt hatte, welche er für die Prinzessin halte. Er ließ sich neben ihr nieder und nahm sich den Muth, das eine ihrer Händchen zu ergreifen.
»Welch ein Tag, welch ein Abend!« seufzte er auf. »Mir ist, als sei ich gestorben und wandele in einer Atmosphäre, in welcher ein jeder Athemzug eine ganze und vollständige Seligkeit ist. Es kommt mir so ganz anders vor als im gewöhnlichen Erdenleben. Es ist so sonderbar, so wunderbar!«
»Was ist wunderbar?« fragte sie.
»Du selbst und Alles bei und an Dir. Du bist wunderbar wie ein überirdisches, unbegreifliches Wesen. Meine Begegnung mit Dir war wunderbar, und noch viel wunderbarer ist es, daß Du, eine Bewohnerin des Harems, so ungehindert ihn verlassen kannst, um bei mir zu sein.«
»Das ist nicht wunderbar. Ich gehöre nicht zum Harem des Padischah.«
»Nicht?«
»Nein. Ich bin eine Freundin der Prinzessin Emineh, welche ich täglich besuche. Wenn der Abend dunkelt, fahre ich dann nach Hause.«
»In den Harem Deines Vaters?«
»Ich habe keinen Vater.«
»Deines Bruders?«
»Ich habe auch keinen Bruder.«
»O Allah! Dann kann es nur sein, in den Harem Deines Mannes!«
»Nein. Ich habe Dir heut gesagt, daß ich einem Manne verlobt bin; aber ich gehöre ihm noch nicht und werde ihm niemals gehören.«
»Dann bist Du ein Räthsel, welches ich nicht zu lösen vermag, aber ein süßes, entzückendes Räthsel. Allah gebe, daß die Lösung nicht so verhängnisvoll ist wie in einem abendländischen Märchen, welches von einer wunderbaren, herrlichen Meerfee, Namens Melusine, erzählt. Sie vermählte sich mit einem Sterblichen und machte ihn unendlich glücklich, damit er später um so unglücklicher werde.«
»Graf Reimund von Lusignan war an seinem Unglücke selbst schuld. Er achtete Melusinens Geheimniß nicht.«
»Wie?« fragte er überrascht. »Dieses Märchen ist Dir bekannt?«
»Ich kenne sehr viele Erzählungen der Abendländer.«
»Wird auch das Räthsel Deines Lebens nun durchdringlich und erlösbar sein?«
»Ja, und ich werde an demselben sterben.«
»Nein, nein! Das wird Allah verhüten!«
»Es ist sein Wille; er hat es im Buche des Lebens verzeichnet.«
»Glaubst Du so fest daran, daß Allah das Schicksal des Menschen seit Anbeginn bestimmt hat?«
»Ist es nicht so.«
»Nein. Nenne mich einen schlechten Anhänger des Propheten, aber ich glaube nicht an diese Vorherbestimmung. Allah gab Dir das Leben und stattete Dich mit reichen Gaben aus. Je nachdem Du diese Gaben benützest, so wird sich Dein Leben gestalten.«
»Muß? Ah! Dein Geschick mag sein, welches es wolle, ich werde es besiegen.«
»Wenn es doch so wäre!« hauchte sie. »Ich aber bin eine Sclavin des Geschickes und muß es auch bleiben.«
Sie schwieg, aber er fühlte wie sich ihre warme, weiche Gestalt leise an ihn legte. Da sagte er in innigem Tone:
»Willst Du mir eine recht, recht große Bitte erfüllen?«
»Kann ich?«
»Ja, sehr leicht.«
»So sage es!«
»Lege einmal Dein herrliches Köpfchen hier her an meine Schulter!«
Sie hatte seinen Wunsch erfüllt. Die Kaputze sank und ihre reichen, hellen Locken wallten von seiner Achsel wie ein kostbarer, süß duftender Schleier hernieder. Er legte den einen Arm um ihre Taille, aber leise, leise und ehrfurchtsvoll, als ob er eine Königin berühre. Dann fragte er:
»Hast Du einmal dem Muthe, der Stärke eines Mannes vertraut, unwandelbar, so daß nichts Dich irre machen konnte?«
»Einem Einzigen,« sagte sie leise.
»Wer war das? Dein Vater?«
»Nein Du bist es.«
Da packte das plötzliche Entzücken auch seinen andern Arm und legte ihn um ihre Schulter.
»Ists wahr?« fragte er unter stockendem Athem.
»Ja.«
»So liebst Du mich?«
»So sehr, so sehr! Und Du?«
»Und ich liebe Dich unaussprechlich, unbeschreiblich. Fordere von mir Alles, Alles, was menschenmöglich ist, und ich werde es thun. Verlange von mir das Unmögliche, und ich werde es wenigstens versuchen! Schau, ich halte Dich in meinen Armen; ich weiß, daß Du mich liebst; ich ahne die Seligkeit, welche es ist, Deine Lippen zu küssen, aber ich thue es nicht. Du bist mir so viel werth wie Himmel und Erde; ich muß Dich erringen; ich will Dich verdienen; ich will Deinen Besitz dem Geschicke abkämpfen; ich werde das Schicksal zwingen. Dich freizugeben; nur sage mir, wer Du bist.«
»Das darf ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Es bindet mich – – –
»Ein Schwur?«
»Nein. Wenn ich davon spreche, muß eine mir so über Alles theure Person sterben.«
»Du Aermste! Also schweig! Aber ich werde es doch erfahren; ich werde Dich und jene Person aus den Banden lösen. Das schwöre ich Dir bei – – –«
»Schwöre nicht!« bat sie schnell und ängstlich. »Es wird Dir unmöglich sein, den Schwur zu erfüllen. Ich habe Dich gesehen, und mein Herz ist Dir entgegengeflogen. Ich darf Dir nicht gehören; ich darf nicht mit Dir gehen; Du wärst verloren, ich auch und noch Mehrere. Aber einmal wollte ich bei Dir sein, ein einziges Mal nur; dann wirst Du mich niemals, niemals wiedersehen. Ich werde in meinen Thränen ertrinken und nie ein Lächeln für diese Welt mehr haben.«
Da legte er seine beiden Hände an die Arme, hielt sie von sich, sah sie staunend an und fragte:
»Du sollst untergehen? Du, die Herrliche, die Unvergleichliche? Ah dann reiße ich den Himmel ein wie Simson das Haus der Philister! Nein, nein und abermals nein! Du sollst glücklich sein, und sollte ich vorher Millionen Qualen erdulden! Weißt Du, was ein Mann vermag, wenn er nur wirklich will? Weißt Du, daß die Liebe die Kraft und das Können des Mannes verhundertfacht? Verlange Alles, Alles von mir, ich thue es! Sage, daß Du heut verschwinden mußt – ich werde es geschehen lassen. Gebiete mir, niemals nach Dir zu forschen – ich werde gehorchen. Aber es wird eine Stunde kommen, in welcher ich Dich in meinen Armen halte, um Dich nimmer wieder von meinem Herzen zu lassen. Allah will das so; ich weiß es, denn ich fühle es.«
»O könnte ich das glauben! Welche Seligkeit!«
»Glaube es, so wie ich es glaube, meine heißgeliebte, herrliche – – o bitte wie nennst Du Dich?«
»Man heißt mich Gökala.«
»Gökala!« fuhr er erschrocken auf. »O Allah! Du, Du bist Gökala?«
»Kennst Du den Namen?«
»Ich habe ihn erst heut gehört.«
»Von wem? Wohl im Serail, von dem Oberwächter?«
»Nein, sondern auf der Straße von einem Manne, welcher mir sofort verdächtig vorkam. Es stellte sich heraus, das er ein Russe ist.«
Wäre es nicht finstere Nacht gewesen, so hätte er sehen können, wie Gökala erbleichte.
»Hast Du auch seinen Namen erfahren?«
»Ja. Er heißt Rurik.«
»O, Allah! Er ist es!«
»Wie? Du kennst ihn? Stehst Du in irgend welcher Beziehung zu diesem Menschen?«
»Darauf darf ich nicht antworten.«
»Gut, ich habe Dir gesagt, daß Du mir nichts, gar nichts mitzutheilen brauchst, ja, daß Du mir gebieten darfst, mich nicht nach Dir zu erkundigen, und dennoch werde ich mein Ziel erreichen, nach welchem ich seit heut mit allen meinen Kräften strebe. Schweige also! Aber ich werde über Dir wachen wie Allah über den Häuptern seiner Kinder wacht. Wehe dem, welcher es wagen sollte, Dir ein einziges Haar zu krümmen!«
»O nein, nein; sprich nicht so! An meinen Füßen haftet das Verderben. Wer mir folgt, wird mit in das Unheil verwickelt. Wir lieben uns; aber wir müssen entsagen.«
»Nein, und tausendmal nein! Ich halte Dich hier in meinen Armen, und lasse Dich nicht. Ich werde Dir zwar gehorchen und heut wieder von Dir gehen; aber ich werde Dich wiedersehen; ich werde diesen Nurik, der eine dämonische Macht über Dich auszuüben scheint, zu finden wissen.«
Da ergriff sie seine beiden Hände, drückte sie an ihr Herz, und bat im flehendsten Tone:
»Thue das nicht! Laß ihn! Erkundige Dich nicht nach mir und nach ihm! Ich wiederhole, daß es Dein und auch mein Verderben sein wird.«
»Ah! Ich sollte diesen Menschen fürchten!«
»O, ihn weniger. Er ist der Diener eines Anderen. Aber dieser Andere ist ein Satan, ein Teufel, welcher mich besitzen will und meinen Widerstand durch die grausamsten Martern zu besiegen strebt.
»So werde ich auch ihn hindern. Er martert Dich! so soll er tausendfältige Qualen erleiden. Selbst der Teufel ist zu besiegen, zu überlisten. Ich werde ihn finden, indem ich jenen Rurik beobachte.«
»O Allah, was soll ich thun! Ich begreife Dich nur allzu gut. Ich weiß, daß die Liebe allmächtig ist; aber Du bist doch nicht Gott, Du bist doch auch nur ein Mensch, und Du bist – – Orientale.«
»Kennst Du den Unterschied zwischen einem Orientalen und einem Abendländer?«
»Ja.«
»So weißt Du auch, daß Du Dich vergeblich aufopfern würdest. Alle Deine Bemühungen sind nur umsonst und führen von Unglück zu Unglück.«
»Du willst sagen, daß ein Orientale dem Abendländer nicht ebenbürtig ist. Du hast im Allgemeinen Recht; aber es giebt auch Ausnahmen, und ich, ich bin – – eine solche Ausnahme.«
Er hätte beinahe gesagt: ich bin kein Orientale, doch war es ihm noch möglich, ein anderes Wort dafür zu sagen. Es trat eine kurze Pause ein, während welcher Gökala zu überlegen schien. Dann sagte sie:
»Deine Beharrlichkeit würde meinem Herzen unendlich wohl thun; sie würde mich in meinem Leiden trösten und mir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben; aber ich weiß ganz gewiß, daß sie nur schlimmen Erfolg hat. Ich bin darum gezwungen, Dir mitzutheilen, was ich eigentlich zu keinem Menschen sagen sollte. Du frugst nach meinen Verwandten und ich antwortete, daß ich keine hätte. Das ist wahr und doch nicht wahr. Ich habe Verwandte, aber ich mußte ihnen entsagen, um sie zu retten. Der, welchen ich einen Teufel nannte, hat große Macht über sie. Er ist Herr über ihr Leben, über Alles, was sie sind und haben. Sie und ich, wir sind von einem Geheimnisse umgeben, welches von keinem Menschen berührt, viel weniger erforscht werden darf. Rüttelst Du nur leise an demselben, so giebst Du nur den Meinen den Tod.«
Sie hatte im wärmsten, dringlichsten Tone gesprochen. Er antwortete nicht sogleich, dann aber sagte er:
»Meine Liebe zu Dir ist unendlich; sie ist so groß, daß Du Alles, Alles von mir verlangen kannst, nur das Eine nicht: daß ich Dir entsagen soll.«
»So will ich es nicht verlangen. Magst Du von einer Stunde träumen, die uns vereinigen werde. Das giebt ja auch mir in meiner Finsterniß einen kleinen, schwachen Strahl der Hoffnung, daß meine Knechtschaft doch einmal ein Ende nehmen könne. Aber bitten muß ich Dich, mir heut, wenn wir auseinandergehen, nicht zu folgen!«
»Ich gehorche, um so williger, als es ja andere Wege genug giebt, welche zu Dir führen.«
»Welche Wege sind das?«
»Gestatte mir, nun auch meine Geheimnisse zu haben. Darf ich Dein Räthsel nicht berühren, so kann ich mein Ziel nur dadurch erreichen, daß ich und mein Wollen auch Dir ein Räthsel bleiben.«
»So zwingst Du mich zu der weiteren Bitte, nicht nach mir zu fragen.«
»Ach, das ist eine Bitte, welche ich kaum zu erfüllen vermag.«
»Wenn Deine Liebe so groß ist, wie Du sagtest, so wirst Du mir diesen Wunsch erfüllen.«
»Gut! Also auch das verspreche ich Dir. Ich werde nicht nach Dir fragen; aber wenn es kommen sollte, daß man von Dir erzählt, so werde ich sehr aufmerksam zuhören.«
»Dagegen kann ich nichts thun. Und nun laß uns von diesen Dingen schweigen. Allah hat uns diesen Abend geschenkt. Er ist der einzige, der uns gehört. Wir werden uns höchst wahrscheinlich niemals wiedersehen, und so wollen wir ihn feiern als die erste und letzte Gabe, welche der Himmel unserer Liebe gewährt.«
Sie schlang beide Arme um ihn und legte den Kopf an seine Brust. Er fühlte die herrliche, königliche Gestalt so warm, so eng an sich geschmiegt; er fühlte das regelmäßige Heben und Senken ihres Busens; ihr Athem stieg würzig zu ihm auf, er dachte der Worte des persischen Dichters:
»Es weht wie würz'ger Sumatra
Dein Hauch mir um die Wangen,
und leise schleicht Dein Arm sich nah,
Mich liebend zu umfangen.«
Es war ihm so unbeschreiblich um das Herz, welches vor süßer Wonne und bitterem Weh hätte zerspringen mögen. Er drückte sie fest, fest an sich und flüsterte ihr zu:
»Mein Himmel, meine Seligkeit! Und nach dieser Seligkeit soll ewiges Entsagen, ewige Verdammniß folgen! Ist das möglich? Das kann Allah nicht wollen.«
»Er will es!«
»Er will es nicht! Ein Gott kann nicht so grausam sein; er kann seine Freude nicht haben an dem Elende der Wesen, welche aus seiner allmächtigen Hand hervorgegangen sind. Wer das behauptet, lästert Gott!«
»Schweig jetzt! Schweig, und laß Dich lieber küssen!«
Sie näherte ihre Lippen den seinigen; er aber wich zurück und sagte:
»Ich habe vorhin gelobt, Dich nicht zu küssen, bis ich Dich als mein Eigenthum errungen habe.«
»Ich entbinde Dich dieses Gelöbnisses.«
»Wirklich? Du Liebe, Du Süße!«
»Ja. Und wenn Du mich nicht küssen magst, so wirst Du es mir doch nicht verwehren, Dir zeigen zu dürfen, wie lieb ich Dich habe.«
Sie zog seinen Kopf zu sich herab, und ihre Lippen vereinigten sich, als wollten sie Tod oder Leben aus der Schale der Liebe trinken.
Hinter ihnen leuchteten zwei Augen in phosphorescirendem Glanze. Sie sahen es nicht. Der, welchen Gökala einen Teufel genannt hatte, war leise wie ein Gedanke herbeigeschlichen, um ihr Gespräch zu belauschen. Er lag in unmittelbarer Nähe des Baumes, hart an der Bank und konnte jedes Wort vernehmen. Er hatte die Hand am Griffe seines Dolches. Die Eifersucht wühlte in seinem Herzen; aber sein Kopf behielt die Oberhand. Stach er jetzt den Nebenbuhler nieder, so konnte Lärm entstehen und Gökala ihm entwischen; im Boote aber hatte er beide fest und sicher.
»Also heut zum letzten Male!« sagte Steinbach. »Wie traurig das klingt! Weißt Du, was es heißt, zu scheiden auf Nimmerwiedersehen?«
»Ich weiß es, und wenn ich es nicht wüßte, so würde ich es fühlen. Wie schwer, o wie schwer wird es dem Herzen, vom Liebsten auf der Welt zu lassen!«
»Es giebt im Lande der Deutschen ein Lied mit einer traurig innigen Melodie. Du könntest die deutschen Worte nicht verstehen. Dieses Lied spricht davon, daß es in Gottes Rath bestimmt ist, daß man scheiden muß vom Liebsten, was man hat – – –
»Obwohl doch nichts im Lauf der Welt
Dem Herzen, ach, so sauer fällt
Als scheiden, ja scheiden!«
fiel Gökala ihm in die Rede, und zwar in deutscher Sprache.
Da fuhr er vom Sitze auf, sie, die ihre Arme um ihn geschlungen hatte, mit sich emporreißend.
»Wie, Du sprichst deutsch!«
»Du wohl auch?« fragte sie, ganz erschrocken darüber, daß sie unter dem Eindruck ihrer Gefühle nun doch einen Theil ihres Geheimnisses gelüftet hatte.
»Ja,« antwortete er. »Bist Du vielleicht gar eine Deutsche?«
»Nein, nein!«
»O! Gökala, der Ton, in welchem Du dieses doppelte Nein ausrufest, sagt mir, daß Du doch wohl eine Deutsche bist. Die Verhältnisse zwingen Dich, es nicht einzugestehen; aber Deine Aussprache ist so, daß ich mich nicht irre machen lassen kann. Trotz der wenigen Worte, welche ich hörte, kann ich bereits behaupten, daß Du die Aussprache einer Hannoveranerin hast.«
»Du irrst. Du irrst! Aber sag, bist Du ein Deutscher?«
»Ja; ich will es Dir nicht verschweigen, denn ich weiß, daß Du dieses Geheimniß wahren wirst.«
»Warum trägst Du orientalische Tracht? Warum giebst Du Dir den Schein, ein Türke zu sein? Zum Vergnügen?«
»O nein; es ist Beruf.«
»Ah! Bist Du Diplomat oder Officier?«
»Bitte, frage nicht weiter!«
»So hast Du Deine Geheimnisse auch!«
»Ja, obgleich sie nicht so traurig sind, wie die Deinigen zu sein scheinen. Aber nun wirst Du Dich an Deinen Vergleich zwischen Orientale und Abendländer erinnern. Glaubst Du auch nun noch nicht, daß ich Dir vielleicht zu helfen vermag?«
»Nein. Nun erst recht nicht.«
»Warum?«
»Wollte ich diese Frage beantworten, so würdest Du ahnen, was Du nicht wissen darfst. Jetzt ist es nun ganz sicher und bestimmt, daß wir scheiden müssen, scheiden auf Nimmerwiedersehen. O Gott, o mein Gott!«
Sie umschlang ihn stürmisch und drückte sich an ihn. Sie hatte ihre Wange an die seinige gelegt, und er fühlte an den Thränen, die ihn befeuchteten, daß sie weine.
»Weine nicht, Gökala,« bat er. »Das kann ich nicht ertragen. Deine Thränen könnten mich veranlassen, mein Wort zurückzunehmen. Bitte, sage mir, warum der Umstand, daß ich ein Deutscher bin, die Sicherheit, daß wir uns nicht wiedersehen werden, verdoppelt!«
»Du bist – – Du bist jedenfalls – –« schluchzte sie leise.
»Was? Was meinest Du?«
»Du hattest Zutritt in den Serail; du durftest die Prinzessin sehen. Du bist jedenfalls ein hochgestellter Mann.«
»Nun, wenn ich es wäre?«
»So wäre auch unter besseren Verhältnissen unsere Liebe eine unglückliche.«
»Das sehe ich nicht ein!«
»Dürftest Du eine nicht Ebenbürtige zum Weibe nehmen?«
»Was frage ich nach der Gleichheit des Standes, wenn ich nur Dich habe! Und übrigens warst auch Du bei der Prinzessin. Du wirst also wohl nicht das Kind obscurer Eltern sein.«
»Ich darf davon nicht sprechen. Aber Eins muß und will ich Dir sagen. Auch dies ist mir auf das Allerstrengste verboten; aber meine Liebe zu Dir ist so groß und selbstlos, daß ich Dir das Schreckliche mittheilen will, um Dich zur Entsagung zu bewegen, welche Dir dann viel, viel leichter fallen wird.«
»Ich entsage auf keinen Fall!«
»O doch! Du wirst!«
»Nein! Ich schwöre es!«
»Schwöre nicht, ehe Du mich gehört hast!«
Sie hatte sich seinen Armen entwunden; sie stand hoch und stolz vor ihm; der schwarze Kaftan mit der Kapuze war ihr entfallen. In ihrem weißseidnen Gewande stach sie hell und deutlich von dem abendlichen Dunkel ab. Er konnte sie deutlich erkennen, fast so, als ob es Tag sei. Er sah, daß ihr Busen sich unter der Gewalt ihrer Gefühle hob und senkte. Es mußte wirklich etwas Schreckliches sein, was sie sagen wollte. Darum bat er:
»Schweig, Gökala! Ich mag es nicht hören!«
»O doch! Du sollst und Du mußt es hören! Darfst Du eine Ehrlose lieben?«
»Ehrlos?« fragte er erschrocken. »Du und ehrlos?«
»Ja. Schau, wie entsetzt Du bist!«
»Das Wort, welches Du aussprichst, ist allerdings ein fürchterliches. Du ein ehrloses Wesen? Nein, nein; das ist nicht wahr; das kann ich unmöglich glauben!«
»Es ist wahr!«
»Beweise es! Doch nein! Du kannst es nicht beweisen. Und selbst dann, wenn Du es bewiesest, würde ich es nicht glauben. Ich würde vielmehr annehmen, daß Du Dich eines so entsetzlichen Mittels bedienst, um mir die Entsagung zu erleichtern.«
»Du würdest Dich irren. Was ich sage, ist wahr.«
»Nein! Und wenn es Alle sagen; wenn die ganze Welt es mir in die Ohren schrie, ich würde es nicht glauben. Du bist rein. Ein Auge, wie das Deinige, kann unmöglich lügen. Wer mir sagen wollte, daß Deine Seele befleckt sei von jenen Sünden, welche – –«
»O Gott, nein, nein; das nicht! Das meinte ich nicht!« fiel sie rasch ein. »Ich kann schwören, daß noch nie die Hand eines Mannes mich berührte.«
Er sah nicht, welch tiefe Gluth sich ihres Gesichtes bemächtigt hatte. Er antwortete:
»Verzeihe! Ich konnte ja an nichts Anderes denken. Was ist es denn, was Du meinst?«
»Etwas ebenso Schlimmes.«
»Es kann nur dieses eine Schlimme geben.«
»Und doch giebt es ein Zweites. Ich bin – – Gott, Gott, wie schwer fällt es mir, das Wort zu sagen.
»Bitte, verschweige es! Ich glaube an Dich. Deine Selbstanklage vermag mein Vertrauen nicht zu erschüttern.«
»Es muß gesagt werden. Ich bin – – Spionin.«
Er schwieg. Sie lauschte eine ganze Weile, was er nun sagen werde. Sie konnte wegen der Dunkelheit nicht sehen, daß er lächelnd den Kopf schüttelte. Dann sagte er:
»Spionin! O, Du Schlauköpfchen!«
»Du glaubst es nicht?«
»Nein; außer Du gestehst es mir, daß Du eine ganz gewaltige Diplomatin bist.«
»Nicht das bin ich, sondern eine gemeine Spionin. Ich komme in den Serail zu der Prinzessin, um sie auszuforschen und sie zu verrathen.«
Da trat er den Schritt, welcher sie trennte, auf sie zu, zog sie abermals an sich, strich ihr mit der Hand über die lockige Fülle ihres Haares und sagte:
»Meinst Du, daß ich dies glaube? Ja, eine Spionin magst Du sein, eine Verrätherin aber niemals!«
»Ist Beides nicht ganz dasselbe?«
»Nein. Beides steht gewöhnlich im Zusammenhange, dieser Zusammenhang aber ist hier nicht vorhanden. Ich ahne, was Du mir nicht sagen darfst. Man hat Dich gezwungen, die Geheimnisse des Serail zu erforschen.«
»Meinst Du?«
»Ja. Du hast, von den Verhältnissen getrieben, gehorchen müssen. Man hat Dir den Zutritt verschafft. Deine Vorzüge haben Dir die Freundschaft der Prinzessin erworben, das erwartete man ja wohl. Emineh theilt Dir nun Alles mit, was sie denkt und fühlt, und – –«
»Nein. Du sollst es verrathen; aber Du thust es nicht. Wenn Du eine Verrätherin bist, so ist Gott ein Teufel und die Engel im Himmel sind böse Geister!«
»Glaubst Du? Glaubst Du das wirklich?«
Diese letzte Frage erklang leise, aber unter einem tiefen, erlösenden Athemzuge.
»Ja. Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin so sehr, so innig davon überzeugt, daß ich es mit tausend Eiden beschwören, und gegen tausend Gegner mit der Waffe in der Hand beweisen würde!«
»Herr Gott im Himmel, ich danke Dir!« erklang es jubelnd. »Er liebt mich wirklich! Er vertraut mir in dieser Weise! Wie glücklich mich dies macht! Ja, Du Lieber, Du hast Recht. Ich soll sie ausforschen, um sie dann zu verrathen. Aber ich thue es nicht. Ich habe bisher zu der Ausrede gegriffen, daß ich noch gar nicht mit ihr gesprochen habe, daß ich nur erst mit den anderen Frauen verkehrt bin. Und wenn diese Ausrede nicht mehr zureicht, werde ich das gerade Gegentheil von dem sagen, was sie verlangen.«
»Das weiß ich, meine liebe, meine süße Gökala! Daß Du eine Spionin bist, das verdunkelt Deine lichte, klare Erscheinung nicht um einen Hauch in meinem Auge. Ich weiß nun, daß Du in einer Sklaverei lebst, welcher Du Deinen Willen unterzuordnen hast. Aber diese Sklaverei wird ein baldiges Ende finden. Zunächst will ich Dich vor dem schwarzen Sklaven warnen, welcher der Wärter des Leoparden im Serail ist.«
»Warum?«
»Er soll Dich bewachen.«
»Ah! Woher weißt Du das?«
»Ich erfuhr es zufällig und werde nun die Augen offen halten. Warne Emineh vor diesem Neger, welcher bei einem Kaffeewirthe heimliche Zusammenkünfte mit dem Russen Rurik hat. Hier ist die Handhabe, an welcher ich Deinen Teufel fassen werde. Ich halte mein Versprechen und werde nicht nach Dir fragen; aber wehe Deinem Peiniger, wenn er in meine Hände geräth!«
»Nimm Dich in Acht!«
»Pah! Ich bin nicht furchtsam!«
»Ihm ist Alles gleich. Er bebt vor keinem Verbrechen zurück. Ich habe lange Zeit und schwer gelitten. Tausendfach aber wäre mein Gram, wenn ich sehen müßte, daß Dir durch mich ein Unglück widerfahren würde –«
»Mache Dir keine Sorge, meine liebe, liebe Gökala – aber Gökala – das kann Dein eigentlicher Name nicht sein!«
»Nein. Prinzessin Emineh nannte mich so.«
»Sie hat das Richtige getroffen. Gökala, Himmelsblau. Als ich diesen Namen hörte, dachte ich sofort an Dich.«
»Und wenn ich an Dich denke, Geliebter – Deinen Namen weiß ich nicht.«
»Ich den Deinigen auch nicht!«
»O, den Einen hast Du ja. Den wirklichen muß ich Dir leider verschweigen. Darfst Du den Deinen auch nicht nennen?«
»Nein.«
»Selbst den Vornamen nicht?«
»Eigentlich auch ihn nicht, denn selbst der Vorname kann zur Lüftung des Geheimnisses führen.«
»Kein Mensch wird ihn aus meinem Munde hören. Bitte, bitte! Selbst wenn man an Jemand nur denkt, möchte man gern den Namen dabei haben!«
»Mein Vorname ist Oskar.«
»Oskar. Ich danke Dir. Nun weiß ich wenigstens, wie ich Dich zu nennen habe, wenn ich in den Stunden meiner Einsamkeit mich mit Deinem Bilde beschäftige.«
»So wirst Du an mich denken?«
»Zu aller Zeit, zu jeder Stunde!«
»Ich an Dich auch. Wirst Du Dich aber auch deutlich meines Gesichts, meiner Züge erinnern können?«
»Ganz bestimmt. Glaube mir, daß sie mir tief in das Herz gegraben sind.«
»So wie Dein Bild in mein Herz. Es wird darin wohnen bis zum letzten Hauche meines Lebens. Komm, laß Dich noch ein wenig nieder. Die Kaikdschi's haben ja Zeit. Und wir wissen nicht, wann wir uns wiedersehen werden.«
Er zog sie abermals zu sich nieder. Ihre Hände und Lippen fanden sich zu neuer, süßer Vereinigung.
Sie bemerkten nicht, daß der dunkle Körper des Lauschers sich jetzt schlangengleich von der Bank zurückzog. Er wand sich vollständig geräuschlos am Boden hin, bis er sich so weit entfernt hatte, daß er, ohne gesehen zu werden, sich erheben und zum Boote zurückkehren konnte.
Zwei der Leute saßen im Fahrzeuge. Der Dritte, Rurik, stand wartend am Ufer. Als er den Nahenden bemerkte, trat er ihm um einige Schritte entgegen und fragte:
»Ging es, ohne daß sie es bemerkten?«
»Ja, sehr leicht. Diese beiden Subjecte sind so verliebt in einander, daß sie Augen und Ohren nur für sich haben. Ein wahres Glück, daß ich auf den Gedanken kam, zu lauschen. Ich habe da Einiges gehört, was uns von großer Wichtigkeit ist. Der Kerl ist kein Türke.«
»Das dachte ich schon längst.«
»Sondern ein Deutscher.«
»Sein Vorname ist Oskar. Er ist auf alle Fälle Diplomat. Der Vorname kann uns als Anhalt dienen, den wirklichen Namen zu erfahren. Und sodann weiß er, daß Du mit dem Schwarzen im Kaffeehause verkehrst.«
»Das wäre dumm!«
»Es ist so. Gökala soll die Prinzessin warnen, wird es aber nicht thun können, da sie den Serail niemals wieder betreten wird.«
»Stellte es sich heraus, daß sie uns belügt?«
»Ja. Sie hat übrigens diesem Deutschen so viel von ihren Verhältnissen mitgetheilt, daß es unbedingt nöthig ist, ihn unschädlich zu machen. Seine letzte Stunde hat geschlagen. Jetzt weiß ich, woran ich bin.«
»Gut. Was befehlen Sie, gnädiger Herr? Einen Schuß – einen Stich mit dem Messer?«
»Der Schuß macht zu viel Lärm; das Messer aber arbeitet geräuschlos.«
»Gut. Ich werde das auf mich nehmen. Soll es in der Gegenwart Gökala's geschehen?«
»Könnte ihr nichts schaden, ist aber nicht nothwendig. Ich glaube, sie würde um Hilfe rufen, wenn sie ihren liebenswürdigen Anbeter in Gefahr sähe. Nein. Jedenfalls steigt sie am Serail aus, um, wie täglich, nach Hause zu gehen. Wir rudern weiter und da kannst Du den Stich anbringen. Aber genau in's Herz! Wer es mit einem Leoparden aufnimmt, der ist selbst als Verwundeter zu fürchten.«
»Keine Sorge! Ich werde mich so plaziren, daß ich gar nicht fehlstoßen kann.«
Es verging noch eine ziemlich lange Zeit, ehe die Beiden endlich sich dem Ufer näherten. Gökala stieg ein und nahm in der Mitte des Bootes Platz. Steinbach wollte sich wieder an das Steuer setzen.
»Laß mir das über,« sagte der Eine der Verkleideten. »Das Kaik schwimmt jetzt mit dem Strome; wir arbeiten ja gar nicht.«
So kam es, daß er sich neben Gökala setzte.
Es herrschte heut vom schwarzen Meere her eine ziemlich bedeutende Strömung, so daß das Boot ganz von selbst eine ziemlich schnelle Fahrt machte. Steinbach hatte den Arm um Gökala gelegt und hielt das Auge fest auf die vielen Lichtpunkte gerichtet, welche wie Leuchtkäfer über das Wasser flogen. Es waren die Laternen der Kaiks.
Als sie Defterdar Burani erreichten, ging die Strömung links ab, so daß sie sich in der Nähe des Ufers hielten, sich nun in mehr stillem, ruhigem Wasser befanden. Aus diesem Grunde griffen die Kaikdschi's wieder zu ihren Rudern.
Bei der Körperbewegung, welche eine Folge des Ruderns ist, war dem Russen Rurik die eine Rundfeder seines falschen Bartes hinter dem Ohre hervorgesprungen; der Bart hing in Folge dessen nur am andern Ohr, und das Gesicht war frei. Er zog schnell das Ruder ein, um den Bart wieder zu befestigen. Dadurch aber machte er Steinbach auf sich aufmerksam. Das Auge des Deutschen fiel auf den Russen; in demselben Moment fuhr ein anderes Kaik nahe vorüber; das Buglicht desselben fiel auf den Russen und Steinbach erkannte sofort den Mann, der ihm mit dem Schwarzen begegnet war. Er griff sofort nach seiner Pistole und rief:
»Ans Ufer! Rasch, ans Ufer!«
*