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Ich wollte einmal muhamedanische Damen beobachten. Ich schlich mich also vorsichtig näher, von Baum zu Baum und erblickte endlich einen offenen Tummelplatz, welcher von weiblichen Gestalten belebt war. Die Damen hatten die verunzierenden, sackförmigen Oberhüllen abgelegt und bewegten sich in den leichten Hausgewändern, welche die Schönheit der Formen so gut hervortreten lassen.«

»Hm! Wie bei Tschita.«

»Na, gut! Bald hing mein Auge nur noch an Einer. Ich sage Dir – doch, ich kann eben nichts sagen; kurz und gut, sie war ein herrliches Wesen, voller Anmuth und Zierlichkeit, und doch eine Juno von Plastik und Körperfülle. Besonders fielen mir die kleinen Füßchen auf und das weiße, köstliche Händchen, an welchem ein Solitär blitzte, wie ich genau sah, als sie mir einmal näher kam, ohne zu ahnen, daß ein Franke hinter dem starken Baumstamme verborgen sei. Ich war so enthusiasmirt, daß ich das Versteck erst verließ, als sie aufbrachen und zu den Wagen gingen, welche am Rande des Haines gewartet hatten. Ich mußte einen Umweg einschlagen, holte aber dann doch die Wagen ein. Als ich an ihnen vorüberging, wurde das Gespann derselben scheu. Der Führer wurde niedergerissen, und die beiden dummen Thiere rannten mit dem Wagen davon, ich natürlich hinterher. Die Insassinnen schrieen natürlich aus Leibeskräften um Hilfe. Es gelang mir, das eine Thier zu fassen. Ich bin nicht von herkulischen Gliedern, aber Du weißt, daß ich eine Muskelstärke besitze, welche man mir nicht zutraut. Ich brachte die Ochsen zum Stehen. Die Gardinen des Wagens hatten sich gelüftet, so daß also Retter und Gerettete sich gegenseitig erblicken konnten. Ich grüßte und wollte mich entfernen; da aber streckte die Eine der Verhüllten ein feines, weißes, köstliches Händchen aus dem Mantel mir entgegen, und eine süße Stimme sagte:

»Du bist ein Franke; nimm meinen Dank nach der Sitte Deiner Heimath!«

An diesem Händchen blitzte der Solitär. Ich küßte es ein – zwei – drei – erst beim dritten Male entzog sie es mir unter dem leisen Kichern der Andern. Später trennten sich die Wagen in der Stadt. Ich hatte nicht auffällig beobachten wollen, wurde also irre und konnte die Wohnung der Betreffenden nicht erspähen.«

»Jammerschade!«

»Vorgestern nun war ich im Bazar der Musselinhändler. Ich kaufte mir eine Kleinigkeit. Da trat eine Verhüllte herein, um sich Proben vorlegen zu lassen. Das war ganz dieselbe Stimme und auch ganz dasselbe Händchen mit dem Diamantringe. Natürlich konnte ich nicht mit ihr sprechen. Gestern kam ich, da ich sie im Gewühl verloren hatte, auf den Gedanken, wieder nach dem Bazar zu gehen. Kaum war ich eingetreten, so kam auch sie.«

»Ah! Sie interessirt sich also für Dich!«

»Ich empfand eine Freude, eine Wonne, ein Glück, wie ich es Dir gar nicht beschreiben kann. Ich habe die Seligkeit eines solchen Gefühls gar nicht für möglich gehalten. Das Herz besitzt wirklich Tiefen, welche man selbst noch gar nicht kennt. Dir wird es mit Tschita ganz ebenso ergangen sein?«

»Natürlich. Eine Schilderung ist da nicht nur überflüssig, sondern gradezu ein Unsinn. Worte können eben an die Göttlichkeit der Liebe unmöglich reichen. Aber, bitte, weiter! Ich bin ganz außerordentlich gespannt. Hast Du diesesmal mit ihr gesprochen?«

»Ja. Freilich kostete es mich eine nicht ganz unbedeutende Ausgabe, um den Kaufmann für einige Augenblicke bis in den letzten Winkel seines Locales zu entfernen. Da wir Beide jetzt Gütergemeinschaft haben, so befürchte ich, daß Du über diese Ausgabe zornig sein wirst.«

»Fällt mir nicht ein. Ich habe Dir ja gesagt, welche Summe ich von dem Lord erhielt. Weiter!«

»Du bist die Rose vom Thale der süßen Wasser?« flüsterte ich ihr leise zu.

»Nein,« antwortete sie.

»O doch!«

»Nein, nein!«

»Laß mich auf einen Augenblick Dein Antlitz sehen!«

»Du bist kühn, Fremdling!«

»Ich kam nur Deinetwegen hierher. Eine Ahnung sagte mir, daß auch Du kommen werdest. Ich werde Dir heute folgen, um zu sehen, wo Du wohnst.«

»Um Allah's willen, thue das nicht.«

»Ich werde es unterlassen, wenn Du wiederkommen willst.«

»Ich komme.«

»Dürfte ich doch einmal mit Dir sprechen! Sei barmherzig. Meine Seele schmachtet nach Dir!«

In diesem Augenblicke kam der Kaufmann wieder herbei. Wir hatten unsere Worte ganz leise und in fliegender Eile gewechselt, und doch war die Zeit zu kurz gewesen. Ich hatte keine bestimmte Antwort erhalten. Ich konnte nicht bleiben, ich mußte bezahlen und gehen. Draußen aber beim Nachbar blieb ich stehen, mir scheinbar die ausgelegten Waaren betrachtend. Da trat auch sie heraus. Sie erblickte mich und ging nun ganz hart an mir vorüber.«

»Komme nicht nach!« flüsterte sie mir dabei zu.

Jetzt mußte ich hinter ihr her, und im Vorübergehen raunte ich ihr zu:

»Wenn Du mir morgen sagst, wo ich Dich treffen kann!«

Und als ich dann stehen blieb und sie an mir vorüber ließ, antwortete sie:

»Ich werde es Dir sagen.«

Also hielt ich Wort und folgte ihr nicht. Natürlich war ich außerordentlich gespannt, ob nun auch sie Wort halten werde, und wirklich, sie kam. Aber der Kaufmann hatte Lunte gerochen, er gab uns keine Gelegenheit, ein Wort zu sprechen. Sie aber hatte sich darauf vorbereitet. Sie ließ so, daß ich es sehen mußte, einen Zettel fallen. Natürlich entfiel mir nun mein Taschentuch, und ich hob Beides auf.«

»Was enthielt der Zettel?«

»Hier ist er. Lies!«

Hermann schob dem Freunde den Zettel hin. Darauf stand in lateinischen Lettern aber türkischer Sprache:

»Hermann Wallert Effendi. Komm heute um zehn Uhr nach dem großen Begräbnißplatz zwischen Mewlewi Hane und Topdschiler Keui. Ich bin in der Ecke nach Nordwest unter dem Epheu.«

»Was! Sie kennt Deinen Namen? Das heißt den Namen, den Du hier führst?«

»Nicht wahr, räthselhaft?«

»Aeußerst. Doch das wird sich aufklären. Um zehn Uhr ist nach türkischer Zeitrechnung zwei Stunden vor Sonnenuntergang. Du willst in Frauenkleidern gehen?

»Nein. Eine Frau allein, über den Meeresarm setzen und dann den weiten Weg bis zum Begräbnißplatze, das würde auffallen. Wir besuchen einfach den Kirchhof und nehmen aber den Anzug mit. Geht es ohne Gefahr, so bleibe ich in dieser meiner Kleidung; ist es aber gerathener, so ziehe ich dort den Frauenanzug an. Der Begräbnißplatz gleicht einem Walde. Da giebt es allemal eine verborgene Ecke, um sich dort unbemerkt umkleiden zu können.«

»Auf alle Fälle halte ich Wache. Wenn wir jetzt aufbrechen, kommen wir grad' kurz vor der angegebenen Zeit hin. Denkst Du nicht?«

»Ja. Rollen wir also den dünnen Anzug wie ein Plaid zusammen; dann läßt er sich ganz unauffällig an einem Riemen tragen.«

Bereits nach eigen Minuten saßen sie in einem Kaik, um sich über das goldene Horn setzen zu lassen.

Diese Kaiks sind lange, schmale, sehr leicht und schnell rudrige Boote, in denen man meist nur nach orientalischer Gewohnheit, das heißt mit untergeschlagenen Beinen sitzen kann. Der Kahn, welchen die beiden Freunde nahmen, war für mehrere Personen eingerichtet und zufälliger Weise der einzige, den es hier an dieser Stelle des Ufers gab.

Eben tauchten die beiden Kaiktschi, wie die Ruderer genannt werden, ihre Ruder in das Wasser, um vom Lande zu stoßen, als ein Mann mit beschleunigten Schritten sich näherte. Er winkte, zu warten. Als er die Landestelle erreicht hatte, fragte er:

.

»Meine Herren, würden Sie mir wohl gestatten, mit einzusteigen? Ich wünsche, überzufahren, und dies ist nur der einzige Kaik, den ich in diesem Augenblick hier sehe.«

Er trug einen vollständig türkischen Anzug. Darum wunderten sich die Beiden beinahe, daß er seine Bitte im reinsten Französisch ausgesprochen hatte. Seine hohe, breitschulterige Gestalt ließ auf eine große Körperkraft schließen. Sein Anzug war mit echten Borden verziert, und aus seinem Gürtel sahen die goldbesetzten Kolben zweier Pistolen und der mit edlen Steinen ausgelegte Griff eines Messers. Er schien also reich zu sein. Man konnte ihn auf vielleicht dreißig Jahre schätzen. Sein Gesicht war bleich, aber nicht von einer krankhaften Farblosigkeit. In den großen, dunklen Augen lag Geist und Leben, und ein starker, sehr gut gepflegter Schnurrbart gab ihm ein kriegerisches Aussehen. Der Fremde konnte als ein seltenes Beispiel männlicher Schönheit gelten. Er trug keine Handschuhe, und so sah man am kleinen Finger seiner rechten Hand einen Solitär von bedeutender Größe glänzen. Dieser Diamant allein repräsentirte ein nicht unbeträchtliches Vermögen.

Seine Bitte wurde natürlich erfüllt. Er stieg ein. Das Boot schien sich unter dem Gewichte seiner Person tiefer in das Wasser zu senken.

Während der Fahrt wurde kein Wort gesprochen, aber es war zu bemerken, daß der Blick des Fremden eigenthümlich forschend auf Hermann Wallert ruhte.

Als sie jenseits ankamen, hatte er bereits eine Börse gezogen und bezahlte die Kaiktschi's. Wallert wollte eine Einwendung dagegen erheben, doch der Andere wies sie mit einer energischen Handbewegung ab.

Das Boot hatte so angelegt, daß Normann und Wallert zuerst aussteigen mußten. Eben als der Letztere den Fuß an das Land gesetzt hatte, trat ein wie ein gewöhnlicher Arbeiter gekleideter Mensch an ihn heran und fragte:

»Bist Du Wallert Effendi?«

»Ja,« antwortete der Gefragte, darüber erstaunt, daß dieser unbekannte Türke seinen Namen kannte.

»Ich habe Dir zu sagen, daß Du Dich in Acht nehmen sollst.«

Er wollte sich entfernen; aber Wallert ergriff ihn schnell beim Arme und erkundigte sich.

»Wo soll ich mich in Acht nehmen?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht auf dem Kirchhofe.«

»Wer läßt es mir sagen?«

»Sie!«

Er riß sich los und lief davon. Das war befremdend!

Der als Türke Gekleidete war hinter Wallert ausgestiegen. Er hatte das kurze Gespräch gehört, obgleich der geheimnißvolle Bote nicht die Absicht gehabt hatte, laut zu sprechen. Es zuckte wie ein fröhliches Lächeln über sein schönes Angesicht. Er trat näher an Wallert heran und sagte:

»Entschuldigung, mein Herr, wenn ich mich zum zweiten Male an Ihre Güte wende, nachdem ich Sie bereits einmal belästigt habe. Dieser Mensch nannte einen deutschen Namen. Ist es der Ihrige?«

»Ja. Ich heiße Wallert.«

»So sind Sie ein Deutscher?«

»Allerdings.«

»Dann mache ich mir das Vergnügen, Sie als Landsmann zu begrüßen. Darf ich mich Ihnen vorstellen?«

Sie waren keineswegs am Ufer stehen geblieben, sondern langsam fortgeschritten. Der Sprecher griff in ein kleines, goldgesticktes Saffiantäschchen, welches an seinem Gürtel hing, und zog eine Karte heraus, welche er Wallert gab. Auf derselben war der einfache Name »Oskar Steinbach« zu lesen.

Wallert verbeugte sich und stellte Normann vor. Alle Drei begrüßten sich durch einen herzlichen Händedruck.

»Wer hätte in Ihnen einen Deutschen vermuthen dürfen,« meinte Normann. »Sie tragen sich wie ein Stocktürke.«

»Ich pflege mich den Gewohnheiten und Gebräuchen desjenigen Landes, in welchem ich mich befinde, anzubequemen.«

»Ah, so reisen Sie viel?«

»Ja. Ich habe das Schicksal des ewigen Juden, nirgends Ruhe zu finden.«

Bei diesen Worten glitt es wie ein Schatten über seine Züge, doch fuhr er sogleich in munterem Tone fort:

»Landsleute sollen sich nicht nur kennen lernen, sondern sich auch einander zur Verfügung stellen. Ich thue das hiermit.«

»Danke herzlich!« antwortete Wallert in seiner einfachen aber vornehmen Weise. »Wir sind Ihnen natürlich ebenso verbunden. Vielleicht will es der Zufall, daß wir uns wieder begegnen.«

»Der Zufall? Wollen Sie es diesem überlassen? Der Mensch soll Herr seines Geschickes sein. Ich hänge mit vollstem Herzen und mit ganzer Seele an dem Vaterlande und fühle mich erfreut, wenn ich in der Ferne ein Kind der heimathlichen Erde erblicke. Darum soll der Zufall keine Geltung haben. Ich bin hier vielleicht bereits besser eingewurzelt als Sie. Sollten Sie in die Lage kommen, irgend einer Hilfe, eines Freundes zu bedürfen, so haben Sie die Güte, sich nach dem alten Kutschu Piati zu bemühen. Dort dürfen Sie nur den Pferdeverleiher Halef nach meinem Namen fragen.«

»Das klingt ja sehr geheimnißvoll!« lächelte Normann.

»Ist aber sehr einfach. Noch einfacher freilich wäre es wohl, wenn Sie mir jetzt erlauben wollten, an Ihrem gegenwärtigen Spaziergange theilzunehmen.«

Er sagte das so unbefangen, als ob es sich von selbst verstehe; aber in seinem Augenwinkel bildete sich dabei ein kleines Fältchen, aus welchem die Schalkhaftigkeit blickte.

Die beiden Freunde befanden sich in einer kleinen Verlegenheit. Sie konnten den liebenswürdigen Landsmann unmöglich mitnehmen, wollten ihm aber die ebenso höfliche wie wohlgemeinte Bitte auch nicht abschlagen. Er fühlte das sofort heraus und fügte daher, ohne eine Antwort abzuwarten, hinzu:

»Ich habe keineswegs die Absicht, Ihnen meine Person aufzuzwingen, aber ich empfinde das Gefühl, daß Sie meiner vielleicht bedürfen werden.«

»Welchen Ursprung könnte dieses Gefühl haben?«

»In dem Menschen, welcher mit Herrn Wallert sprach. Ich glaube, gehört zu haben, daß Sie gewarnt worden sind.«

»Die Warnung gehörte wohl an eine andere Adresse.« versuchte Wallert, auszuweichen.

»O, der Mensch nannte doch Ihren Namen. Sie sollen sich in Acht nehmen, und zwar auf dem Kirchhofe. Der Warner nannte das Wort »sie«; sein Auftrag stammt also von einer weiblichen Person. Das ist hier gefährlich. Der Abendländer hat die Gewohnheit, den Orient in romantischem Lichte zu sehen; leider aber zerfällt diese Romantik bei näherer Betrachtung in gewöhnlichen Staub und es bleibt nichts zurück, als die Gefahr, welcher der Fremde verfällt, weil er entweder von derselben gar keine Ahnung hat oder doch wenigstens ihre Größe unterschätzt. Ich darf Sie natürlich nicht bitten, mich in Ihre Geheimnisse einzuweihen, aber ich erlaube mir wenigstens, Sie zu fragen, ob Sie bewaffnet sind.«

»Man geht hier ja nie unbewaffnet aus.«

»So bedienen Sie sich nöthigenfalls nicht eines Schießgewehrs. Eine Pistole macht zu viel Lärm. Ein Messer ist da viel vortheilhafter. Es arbeitet im Stillen, und man kann sich in Sicherheit bringen, bevor Andere bemerken, daß man gezwungen war, sich zu vertheidigen.

»Ach, auf so bösem Wege gehen wir nun freilich nicht!«

»O! Hm!« lächelte Steinbach nachdenklich. »Bitte, wollen Sie mir gestatten, mir Ihre Wohnung zu notiren?«

Wallert nannte und beschrieb sie ihm. Als er sich die Notiz in sein Taschenbuch gemacht hatte, machte er eine sehr höfliche aber doch einigermaßen gönnerhafte Verbeugung und sagte:

»Es soll mich freuen, Sie wiederzusehen. Ich betrachte einen jeden Landsmann, so lange er mir nicht feindlich gegenübergetreten ist, als Freund, und Freunde pflegt man ja doch nicht zu vergessen. Leben Sie wohl, meine Herren!«

Er wendete sich ab und schritt weiter, einem nahen Gebäude zu, hinter welchem er verschwand. Dort aber hemmte er seinen Schritt. Sein Gesicht nahm einen ernsten, sinnenden Ausdruck an. Er flüsterte vor sich hin:

»Wo habe ich nur ganz genau dieselben Gesichtszüge gesehen, welche dieser Wallert hat? Ich habe sie gesehen, das ist gewiß und zwar unter eigenthümlichen, ungewöhnlichen Umständen. Ich fühle das, obgleich es mir augenblicklich unmöglich ist, mich zu erinnern. Diese beiden jungen Leute scheinen einem Abenteuer nachzugehen und Abenteuer sind hier immer mit mehr oder weniger Gefahr verbunden, besonders wenn eine weibliche Person dabei die Hand im Spiele hat. Sie haben unbedingt eine Heimlichkeit vor. Einen Landsmann weist man nicht so unmotivirt ab. Sie wollten mich nicht bei sich haben und doch interessire ich mich für sie auf eine nicht ungewöhnliche Weise. Ich erfahre da einmal wieder, wie schnell man für ganz fremde Personen eingenommen werden kann. Ich werde Ihnen doch unbemerkt folgen. Es ist mir ganz so, als ob sie mich sehr gut brauchen könnten!«

Die beiden Freunde schritten der Mauer entlang, welche sich von dem Palaste Constantins hinab nach Jeni Bagtsche zieht. Dort liegt der Kirchhof, welcher das Ziel ihres Spazierganges war.

»Eine eigenthümliche Begegnung,« meinte Wallert. »Scheint es Dir nicht auch so?«

»Ganz gewiß. Dieser Mann macht einen bedeutenden Eindruck. Nicht nur seine Gestalt ist eine königliche, sondern man steht da unbedingt vor der Ahnung, daß man es mit einem ungewöhnlichen Geiste zu thun habe. Dieses dunkle Auge hat wirklich die Macht, in das Innere Anderer zu dringen.«

»Er hat uns sofort durchschaut. Warum theilte er uns seine Adresse nicht mit? Warum sagte er uns nicht, was er ist und was er hier thut?«

»Hm! Er verglich sich mit dem ewigen Juden. Vielleicht haben wir es mit einem geistreichen Abenteurer, mit einer neuen Auflage von Cagliostro, Casanova oder Graf von Saint Germain zu thun.«

»Diesen Eindruck macht er nicht. Ah, schau Dir doch einmal die Gestalt an, welche dort an der Wasserleitung hinschreitet! Wenn das nicht ein Engländer ist und zwar ein höchst verrückter, lasse ich mich fressen.«

Da, wo die Wasserleitung aus Ederne Kapusfi kommt, um nach dem Wege von Redosto zu führen, lief eine lange, hagere Gestalt. Sie war nur von hinten zu sehen, doch erkannte man sehr deutlich, daß Cylinderhut, Rock, Hose und Fußbekleidung aus einem sehr auffälligen, grau und schwarz gestreiften Zeuge bestand. Mit demselben Stoffe war auch der riesige Regenschirm überzogen, welchen der Mann trug und auf dem Rücken hing an einem Riemen ein langes Rohr, welches eher einer alten Donnerbüchse als einem Telescop glich.

»Ah, wie kommt der Mensch hierher?« meinte der Maler lachend. »Gestatte mir, daß ich Dir Deinen Cousin vorstelle, Lord Eagle-nest!«

»Wie! Das ist er?«

»Wie er leibt und lebt.«

»Dann ist es allerdings wahr, was ich von ihm gehört habe. Er ist verrückt.«

»Nicht verrückt, aber ein Sonderling.«

»Du sprachst vom Vorstellen! Wir können ihn ja grad jetzt gar nicht gebrauchen.«

»Das weiß ich. Ich stelle ihn Dir also nur aus der Ferne vor. Du wirst ihn ja bald genug Auge im Auge zu sehen bekommen. Dort verschwindet er hinter den Bäumen. Wir aber biegen rechts ab, um zum Thore zu gelangen.«

Der Kirchhof umfaßt ein sehr weites, bedeutendes Areal und hat mehrere Thore, welche als Ein- und Ausgänge dienen. Es war der Haupteingang, durch welchen sie traten. Dort stand ein ernster Türke, welcher sie mit mißtrauischen Augen betrachtete. Als sie an ihm vorübertraten, erhob er die Hand und sagte:

»Halt! Ich bin der Wächter dieses Ortes. Ihr seid Franken?«

»Ja,« antwortete der Maler. »Das siehst Du doch wohl an unserer Kleidung.«

»Ich sehe es. Ich habe die Pflicht, Euch zu warnen.«

»Wovor denn?«

»Es ist eigentlich gegen das Gesetz des Propheten, daß Ungläubige die Stätte betreten, an welcher die Bekenner des Islam dem ewigen Leben entgegenschlummern. Aber der Großherr hat in seiner unendlichen Güte gestattet, daß auch die Franken eintreten dürfen, um zu sehen, wie die wahrhaft Frommen ihre Abgeschiedenen ehren. Doch ist ihnen dabei gar Mancherlei verboten.«

»Schön, mein Freund! Was aber ist uns verboten?«

»Wenn Ihr es wissen wollt, muß ich es Euch sagen.«

»Natürlich! Ich denke, wir müssen es sogar wissen?«

»Natürlich! Aber meine Zeit ist kostbar und wenn ich meine Stimme erhebe, um zu Euch zu sprechen, so seid Ihr verpflichtet, meine Güte mit Dankbarkeit zu lohnen.«

»Ah! Du willst ein Bakschisch?«

»Ja.«

Bakschisch heißt so viel wie Trinkgeld. Es ist dasjenige Wort, welches man im Orient am Oeftersten zu hören bekommt. Normann zog eine Münze vor und gab sie ihm. Sie mochte groß genug sein, denn der Wächter nickte vergnügt und sagte dabei:

»Euer Verstand ist groß und Euer Herz ist voller Einsicht; darum will ich Euch nicht mit den zahlreichen Verordnungen quälen, welche Ihr eigentlich wissen müßtet, sondern Euch nur Zweierlei sagen: Wenn Ihr einen Gläubigen am Tage beten seht, so achtet seine Andacht, ohne ihn zu stören. Und wenn Ihr an die Abtheilung der Frauen kommt, so schließt Eure Augen und wendet Euch von dannen, denn für Euch sind die Schönheiten unserer Weiber und Töchter nicht vorhanden. Wer gegen diese Verordnung sündigt, der hat eine strenge Strafe zu erleiden.«

Er wendete sich ab.

»Das wußten wir vorher!« lachte Normann. »Es war nur auf das Trinkgeld abgesehen. Der Gute ahnt nicht, daß wir gerade gekommen sind einer dieser verbotenen Schönheiten wegen. Also nach Nordwest müssen wir uns wenden. Epheu soll es dort geben. Werden sehen!«

Sie schlugen einen Weg ein, welcher zwischen den Gräbern und Cypressengruppen in der angegebenen Richtung führte. An diesem Wege stand eine Bank, eine Seltenheit auf einem orientalischen Kirchhof. Auf derselben saß ein reich gekleideter Türke, welcher die Kommenden mit scharfem, stechendem Blicke musterte.

»Schau den Kerl!« sagte Wallert. »Dieses Gesicht kannst Du Dir merken. Vielleicht hast Du einmal einen Räuberhauptmann, einen Massenmörder oder überhaupt einen schrecklichen Menschen zu malen.«

»Ja, der hat eine Galgenphisiognomie, ein wirkliches Mephistophelesgesicht. Und wie er uns anschaut! Gerade so, als ob er hier säße, um auf uns aufzupassen.«

Sie schritten vorüber. Sie bemerkten nicht, daß der Genannte unter einem befriedigten Nicken seines Kopfes leise vor sich hinflüsterte:

»Der Eine ist's – der Blonde. Auf ihn paßt die Beschreibung ganz genau. Aber er kommt nicht allein. Warum bringt er den Anderen mit? Dieser ist vielleicht der Maler, mit dem er die Wohnung theilt. Gut! So werden wir also zwei Missethäter ergreifen, anstatt nur einen!«

Er erhob sich von der Bank und folgte den Beiden langsam bis nach einer Baumgruppe, unter welcher eine Anzahl bärbeißig aussehender Männer stand. –

»Habt Ihr die beiden Franken gesehen, welche hier vorübergingen?« fragte er.

»Ja, o Herr!« antwortete Einer.

»Der Kleine von ihnen war es. Ihn sollt Ihr ergreifen. Hilft ihm der Andere, so nehmt Ihr auch ihn fest. Zwei von Euch gehen nach dem Eingange der Epheulauben und warten des Zeichens, welches verabredet worden ist. Sobald es gegeben ist, treten sie ein und ergreifen ihn. Die Anderen mögen die Ausgänge besetzen für den Fall, daß es ihm doch gelingen sollte, aus den Lauben zu entkommen. Ich kehre jetzt zu meiner Bank zurück.«

Die Freunde waren auch an der Baumgruppe vorübergekommen. Sie hatten die Männer bemerkt.

»Das sind Polizeisoldaten,« sagte der Maler. »Mir kommt dies sehr auffällig vor.«

»Mir auch. Was wollen sie hier?«

»Zufällig sind sie jedenfalls nicht da. Sie können unmöglich die Absicht haben, die Seelen der Abgeschiedenen zu arretiren. Darum steht zu vermuthen, daß sie es auf eine Person abgesehen haben, die noch nicht abgeschieden ist.«

»Sapperment! Etwa auf mich?«

»Man sollte es nicht für möglich halten. Aber mir klopft das Herz. Ist das eine Ahnung, oder nur die Folge unseres bösen Gewissens. Vielleicht wäre es besser, das Abenteuer ganz aufzugeben.«

»Fällt mir nicht ein! Ich muß sie sehen, ich muß mit ihr sprechen. Ich verzichte nicht!«

»Da hat man es! Erst hast Du über mich den Kopf geschüttelt und nun kann ich ihn über Dich schütteln, nämlich den meinigen. Aufrichtig gestanden, sehe ich jetzt auch noch gar keine Veranlassung, zu verzichten. Die Anwesenheit dieser Polizisten wird uns mahnen, doppelt vorsichtig zu sein. Freilich, die Warnung da unten am Wasser! Das ist immerhin bedenklich.«

»Sollte sie zurückgehalten worden sein, weil man ihre Absicht entdeckt hat?«

»Pah! Wie sollte man sie entdeckt haben!«

»Vielleicht hat sie zu einer Mitbewohnerin des Harems davon gesprochen.«

»Das wäre unvorsichtig!«

»Aber doch sehr möglich. Diese hat es verrathen. Und nun will man mich in flagranti ertappen.«

»Diese Vermuthung hat allerdings Einiges für sich. Wenn Deine Ahnung richtig ist, so hätte Deine Angebetete Gelegenheit gefunden. Dich heimlich warnen zu lassen.«

»Es scheint so zu sein.«

»Nun, es ist besser, wir machen uns auf den schlimmsten Fall gefaßt; tritt er nicht ein, so ist es um so bester. Also nehmen wir an, diese Polizisten sind nur Deinetwegen da, so wissen sie ganz sicher, was Du hier willst.«

»Natürlich!«

»Sie werden Dir also nach dem Kirchhofswinkel folgen, wohin Du bestellt bist, um Dich dort zu ergreifen.«

»Donnerwetter! Das wäre eine verteufelte Sache. Der Muhammedaner versteht keinen Spaß, wenn es sich um ein hübsches Frauengesicht handelt. Wir haben zwar unseren Gesandten, aber – aber – hm!«

»Ah, ich vermuthe. Deine Liebe wird kühler?«

»O nein! Die Gefahr kann mich nicht abschrecken, der Einladung zu folgen. Aber vorsichtig werde ich sein. Weißt Du, Paul, man kann mich doch nicht ergreifen, ohne mich vorher zu beobachten –«

»Das ist gewiß.«

»Nun, Gleiches mit Gleichem! Wenn sie kommen, um mich zu beobachten, so beobachte Du sie. Du wirst sogleich sehen, daß sie es auf mich abgesehen haben, und in diesem Falle giebst Du mir ein Zeichen.«

»Schön! Worin soll das Zeichen bestehen?«

»In einem Pfiffe.«

»Das ist nicht zuverlässig. Vielleicht pfeifen diese Kerls auch. Überhaupt weiß ich ja gar nicht, ob ich Dir so nahe sein kann, um Dich durch einen Pfiff zu warnen. Wollen erst einmal die Oertlichkeit recognosciren. Im schlimmsten Falle werden wir uns möglichst unserer Haut wehren.«

»Na, ergreifen lasse ich mich nicht. Du weißt, daß ich mich vor einigen Gegnern nicht fürchte, obgleich ich nicht riesenhaft gebaut bin, und zudem habe ich Messer und Revolver – da, da ist die erwähnte Ecke.«

Sie hatten den Ort erreicht, der im Briefe angegeben worden war. Von der Ecke aus war die eine Mauer außerordentlich dicht mit Epheu bewachsen. Die Ranken desselben waren über Stützen gezogen und bildeten eine ganze Anzahl zusammenhängender Lauben, unter denen man an heißen Tagen wohlthätigen Schutz vor der Sonne fand. Aber welche der Lauben war gemeint?

»Es ist jedenfalls nicht verboten, hineinzugucken,« sagte Normann. »Siehe einmal nach, ob Du Deinen Engel irgendwo erblickst, dann werden wir –«

Er hielt inne, denn gerade vor ihnen erschien ein schlanke, aber tief verhüllte Frauengestalt zwischen dem grünen Blätterwerke. Sie legte die Hand auf die Brust und trat wieder zurück.

»Das ist sie, das ist sie!« sagte Wallert, sofort ganz begeistert.

»Erkennst Du sie denn?«

»Ja, ja.«

»O, diese Frauen sehen in ihren sackartigen Umhüllungen einander höchst ähnlich!«

»Sie ist es. Ich schwöre darauf.«

»Gut. So gehe. Aber nimm Dich in Acht. Theile ihr vorläufig nichts von mir mit. Weißt Du, hier giebt es eine solche Menge von Aasgeiern, daß der Schrei eines solchen gar nicht auffallen kann. Sehe ich, daß die Polizisten es auf Dich abgesehen haben, so ahme ich den schrillen Schrei dieses Vogels nach, zweimal hinter einander. Dann weißt Du, woran Du bist und kannst entfliehen.«

»Aber wohin?«

»Im Inneren der Lauben, immer an der Mauer hin. Vielleicht findest Du dabei Zeit, das Frauengewand anzuziehen. Hose, Mantel und Frauenturban, das über Deine fränkischen Kleider anzulegen, erfordert ja nur eine Minute. Den Schleier darüber und kein Mensch wird eine Hand nach Dir ausstrecken.«

»Und sie, soll ich sie verlassen!«

»Pah! Du kannst sie ja nicht jetzt am hellen, lichten Tage entführen! Und wenn man Dich nicht bei ihr findet, so kann man ihr auch nichts thun. Also vorwärts! Spring nur immer frisch hinein, das Wasser wird so tief nicht sein. Ich warte dann in der Nähe des Haupteinganges auf Dich. Jetzt aber werde ich beginnen. Deine Vorsehung zu sein.«

Normann kehrte eine kleine Strecke zurück. Dort gab es ein Grab, an welchem eine Traueresche stand, welche ihre Zweige bis auf die Erde über und um den Hügel herabgesenkt hatte. Sie war so dicht belaubt, daß man gar nicht durch die Blätter zu sehen vermochte. Der Deutsche schob mit den Händen einige der Zweige auseinander und bemerkte, daß diese dichte Blätterkuppel ein ganz herrliches Versteck bildete. Er sah sich um. Er war jetzt vollständig unbemerkt und – husch, kroch er hinein.

Er legte sich auf den ziemlich eingesunkenen Hügel. Der Ort war für seine Absicht geradezu wie geschaffen. Wenn er mit der Hand nachhalf, so konnte er nach allen Richtungen blicken, ohne daß man ihn bemerkte.

Er wartete, lebhaft gespannt, ob sich eine Gefahr nahen werde oder nicht. – Sie nahte allerdings.

Nach bereits kurzer Zeit hörte er Schritte. Er machte eine kleine Oeffnung zwischen den Zweigen und blickte hinaus. Da standen zwei der Polizisten hinter einer großen Cypresse. Von der Epheulaube aus konnten sie nicht gesehen werden; aber er sah es ihren Blicken und Gesticulationen an, daß sie es auf dieselbe abgesehen hatten. Der Eine von ihnen zog einige lederne Riemen aus der Tasche und steckte sie sich in den Gürtel.

»Ah!« dachte Normann. »So ist es also doch wahr. Sie wollen ihn gefangen nehmen. Hier sind Zwei, die Anderen werden die verschiedenen Ausgänge besetzt haben. Ich werde also das Zeichen geben.«

Er ließ zweimal den Schrei des Aasgeiers erschallen. Es gelang ihm so vortrefflich, die Stimme dieses Vogels nachzuahmen, daß die beiden Polizisten die Köpfe nach allen Richtungen drehten, um das Thier zu erblicken.

Seit Wallert in die Laube getreten war, waren nicht mehr als fünf Minuten verflossen. Es vergingen wenigstens noch ebenso viele, dann ertönte von der Laube her ein Pfiff. Die beiden Polizisten sprangen hinzu und hinein.

»Himmelelement!« murmelte Normann. »Jetzt bin ich neugierig, wie es abläuft. Haben sie ihn, ist es ihm nicht gelungen, meiner Warnung zu folgen!«

Er brauchte nicht lange zu warten, so erschien die Frauengestalt unter dem Eingange. Der Schleier war beseitigt. Normann sah ganz deutlich das Gesicht.

»Alle Wetter!« fuhr er fort. »Das ist ja gar kein Mädchen. Das ist ein Knabe, jedenfalls so ein Verschnittener, der nur Mädchenformen hat. Wirklich, man hat es auf Hermann abgesehen gehabt. Möge er glücklich fort sein. Jetzt muß ich mich auch salviren. Finden sie mich hier, so merken sie jedenfalls, daß ich den Wächter gemacht habe, und dann geht es mir schlecht. Ich werde mich so heimlich durch die Anlagen pürschen wie ein Indianerhäuptling durch den Urwald. Wo aber sind die zwei Polizisten? Jedenfalls sind sie im Inneren der Lauben längs der Mauer fort, denselben Weg, den Hermann geflohen sein wird. Da säuselt die Liebliche vorüber. Könnte ich ihr einen Fußtritt oder einen tüchtigen Faustschlag geben, so würde ich mich freuen!«

Der verkappte Knabe hatte den Schleier wieder vor das Gesicht gelegt und ging vorüber dem Ausgange zu.

Normann überzeugte sich, daß sein Versteck jetzt unbeobachtet sei, und kroch heraus. Nach allen Seiten spähend, schlich er sich zwischen Platanen, Akazien, Cypressen, Trauerweiden und allerlei Sträuchern, mit denen die Gräber bepflanzt waren, weiter, um ja von dieser Ecke so weit wie möglich fortzukommen. Dabei gelangte er an einen breiten, offenen Gang, welcher nicht zu vermeiden war. Er lugte vorsichtig hinaus. Da erblickte er einen Polizisten, welcher von rechts daherkam. Links stand ein Zweiter, welcher auf den Ersteren zu warten schien.

»Soll ich zurück, damit sie mich nicht sehen?« fragte er sich. »Nein! Einmal muß ich mich doch sehen lassen, und da ist es besser, ich thue es gleich. Man kann mir nichts nachweisen und ich brauche also keine Angst zu haben. Also jetzt, nehmen wir eine fromme Maske vor!«

Er entblößte den Kopf und kniete an dem Grabe nieder, bei welchem er stand. Es lag ganz nahe am Rande des Weges. Er hörte die Schritte des Polizisten, that aber gar nicht, als ob er sie vernehme.

Der Mann blieb stehen. Er erkannte Den, den er suchen sollte, und war ganz erstaunt, ihn, den Christen, hier am Grabe eines Muhammedaners beten zu sehen. Er wartete eine kleine Weile, dann fragte er:

»Was thust Du hier?«

Normann wendete schnell den Kopf, als ob er erschrocken sei, und antwortete:

»Siehst Du das nicht?«

»Ich glaube gar, Du betest!«

»Natürlich bete ich!«

»Aber das darfst Du nicht!«

»Warum?«

»Die Andacht eines Ungläubigen schändet die Ruhestätte des Gläubigen. Was hast Du überhaupt hier auf dem Kirchhofe zu suchen?«

»Bist Du vielleicht der Wächter desselben?«

»Nein. Aber Du siehst, daß ich Khawaß (Polizist) bin!«

»Das sehe ich; aber was habe ich damit zu schaffen? Gehe Du Deines Weges und ich wandle den meinen!«

»Das magst Du thun, wenn es Dir gelingt. Vorher aber werde ich Dich zu dem Pascha bringen.«

»Zu welchem Pascha?«

»Du wirst es sehen. Komm!«

»Soll das ein Befehl sein?«

»Ja. Geh hier voran! Ich habe keine Zeit!«

»Weißt Du auch, was es heißt, einen Franken zum Gehorsam zu zwingen? Was habe ich gethan, daß Du es wagst, mit mir wie mit einem Verbrecher zu sprechen?«

»Der Pascha mag es Dir sagen. Gehe jetzt!«

Normann weigerte sich natürlich nicht, dem Gebote Folge zu leisten. Er wurde zu der Bank geführt, auf welcher der Türke mit dem Spitzbubengesicht saß – jedenfalls der Pascha, von welchem der Polizist gesprochen hatte. Ein wenig zur Seite stand der Knabe, welcher die Frauenumhüllung abgelegt hatte. Normann erkannte ihn sogleich wieder. Als der Pascha ihn erblickte, zogen sich seine Brauen finster zusammen.

»Warum nur diesen?« fuhr er den Polizisten an. »Wo ist denn der Andere?«

Der Gefragte kreuzte die Arme über der Brust, verneigte sich fast bis zur Erde und antwortete:

»Dein unwürdigster Diener hat nur ihn gesehen und ihn festgenommen. Meine Kameraden werden auch den Anderen sehen und ergreifen.«

»So passe auf Diesen auf, damit er uns nicht entkommt!«

Der Polizist stellte sich neben Normann. Dieser trat vor und sagte:

»Man hat mich gezwungen, hierher zu gehen. Wer bist Du und wer giebt Dir das Recht, mir Zwang anzuthun?«

»Schweig!« fuhr ihn der Pascha an.

»Ich werde nicht eher schweigen, als bis ich weiß, weshalb man sich an mir vergreift!«

»Du weißt es, Hund, Verführer!«

»Wie? Du schimpfest mich? Gut, ich gehe, damit Du nicht wegen Beleidigung des Unterthanen eines mächtigen Herrschers bestraft werdest.«

Er wendete sich zum Gehen, aber der Polizist ergriff ihn am Arme und der Pascha brüllte ihn an:

»Wage es nicht, zu entfliehen! Wenn Du noch einen Schritt thust, so lasse ich Dich binden!«

Normann wollte antworten, schwieg aber, als sein Auge auf einen Mann fiel, den er hier nicht erwartet hatte. Nämlich Lord Eagle-nest kam in diesem Augenblicke zum Thore herein und stieg, als er den Maler erblickte, in langen, eiligen Schritten, wie ein riesiger Storch herbei. –

Als Wallert in die Laube getreten war, hatte das vermeintliche Mädchen in einer Ecke derselben gestanden. Dort hingen die Zweige des Epheus in so langen und reichen Festons hernieder, daß man sich vollständig hinter denselben verbergen konnte.

»Komm hierher!« flüsterte sie ihm zu. »Da kann man uns nicht entdecken.«

Er folgte dieser Aufforderung und ließ sich von ihr unter die Zweige ziehen, wo ein trauliches Halbdunkel herrschte. Sie hatte seine Hand ergriffen. Er hielt ihre Finger fest und fühlte und erblickte den Brillantring, welchen er so wohl kannte. Sie war es also.

Und doch überkam ihn ein gar eigenthümliches Gefühl. Es war ihm gar nicht so, wie es Einem in der Nähe der Geliebten sein soll.

»Wie danke ich Dir, daß Du gekommen bist!« flüsterte sie, indem sie sich an ihn schmiegte.

Dieses Flüstern fiel ihm auf. Warum sprach sie nicht lauter? Sie waren ja allein. Sie brauchte ja nicht gerade so laut zu sprechen, daß man es meilenweit hörte!

»Wie lange bist Du bereits hier?« fragte er in ziemlich kaltem Tone.

»Ueber eine Stunde. Mein Herz sehnte sich nach Dir. Fast befürchtete ich, daß Du nicht kommen werdest.«

»O, Du konntest sicher darauf rechnen.«

»Nicht alle Franken haben den Muth, sich einer solchen Gefahr auszusetzen. Du hast doch meinen Brief keiner anderen Person gezeigt?«

»Keiner. Wer hat ihn geschrieben?«

»Ich selbst.«

»So verstehst Du Dich auf die Schrift der Franken?«

»Es wird uns jetzt vieles Fränkische gelehrt. Aber warum bist Du nicht allein gekommen?«

»Mein Freund begleitete mich, ohne zu wissen, was ich hier auf dem Friedhofe –«

Er hielt inne, denn eben jetzt hatte Normann das verabredete Zeichen gegeben.

»Was horchst Du?« fragte sie. »Ein Geier ließ sich hören. Was wolltest Du sagen?«

»Ich wollte sagen, daß wir uns in Gefahr befinden.«

»O nein! Fürchtest Du Dich?«

»Für mich kenne ich keine Furcht, wohl aber für Dich.«

»Ich habe keine.«

»Aber Du bist ja verloren, wenn man mich hier bei Dir findet.«

»Wer soll uns finden?«

»Die Khawassen, welche draußen unter den Bäumen standen.«

»Hast Du sie gesehen? O, die haben wir nicht zu fürchten.«

»Doch! Ich muß Dich schnell verlassen. Sehe ich Dich wieder auf dem Bazar der Musselinhändler?«

»Ja, aber nur, wenn Du jetzt da bleibst.«

»Ich kann nicht. Mein Leben ist in Gefahr und das Deinige auch. Lebe wohl!«

Er hatte bis zu diesem Augenblicke noch nicht ein einziges liebevolles Wort gesagt oder eine zärtliche Bewegung gemacht. Jetzt wollte er fort; sie aber hielt ihn mit der Hand unter fühlbarer Anstrengung ihrer Kräfte fest und sagte in dringlichem Tone:

»Wenn Du mich lieb hast, so bleibe!«

Sie legte ihre Finger noch fester um sein Handgelenk und streckte auch die andere Hand unter dem Mantel hervor. Ein verirrter, heller Sonnenstrahl brach durch den Epheu und fiel auf ein kleines, metallenes Pfeifchen, welches sie in der Hand hielt. Beim Anblicke dieses Gegenstandes wurde es Wallert klar, woran er war. Er durfte sie weder pfeifen noch rufen lassen. Sie hatte ihn hierher gelockt; er brauchte keine Rücksicht auf den Umstand zu nehmen, daß das weibliche Geschlecht das zartere genannt wird. Er faßte ihre Hand, welche die Pfeife hielt.

»Verrätherin! Das gelingt Dir nicht!«

Bei diesen Worten fuhr er ihr mit der anderen Hand unter den Gesichtsschleier und legte ihr die Finger um den Hals. Ein kräftiger Druck, ein Röcheln – sie verlor den Halt und sank auf den Boden nieder.

»Ein so herrliches Geschöpf und doch eine so niederträchtige Verrätherin!« dachte er.

Er entfernte den Schleier um wenigstens ihr Gesicht noch schnell zu sehen, fuhr aber betroffen zurück.

»Alle Teufel! Eine Mannsperson! Ah, gut, sehr gut! Hier, Kerl, hast Du noch einen Schlaftrunk!«

Er schlug ihm die Faust an die Schläfe; der Verkleidete hatte bereits wieder Luft geschöpft und wollte die Augen öffnen, jetzt aber verlor er das Bewußtsein.

Wallert blickte sich um. Die Nachbarlaube war leer; die nächste auch. Er entfernte sich dorthin. In der vierten oder fünften Laube gab es eben so dicke Epheugehänge wie in der ersten. Er steckte sich dahinter. Man konnte hier ganz gut vorübergehen, ohne ihn zu bemerken.

Er nahm den Riemen von der Schulter und schnallte den Frauenanzug los. Die weiten Pumphosen waren schnell angelegt und unten zugebunden. Darüber kam der Mantel, die turbanartige Kopfbedeckung und zuletzt der Schleier. Jetzt verließ er das Versteck, schritt nur noch durch die Nachbarlaube und trat aus dieser in das Freie hinaus.

Da stand, gar nicht weit von ihm, ein Polizist mitten auf dem Wege, doch mit dem Gesicht abgekehrt. Schnell huschte Wallert zwischen die Sträucher hinein und gelangte auf einen Seitenweg, welche nach dem Hauptgange führte.

Der Flüchtling erreichte denselben und schritt von da in aufrechter, würdevoller Haltung langsam dem Thore zu.

Dort an demselben stand der Wächter mit einem Polizisten. Keiner von Beiden ließ es sich einfallen, die weibliche Gestalt aufzuhalten oder ihr auch nur ein fragendes Wort vorzulegen. Wallert kam also glücklich hinaus und wendete sich schleunigst einem nahe liegenden Olivengarten zu, um unter dem Schutze von dessen Bäumen die Kleider wieder abzulegen.

Er war aber noch nicht weit gekommen, so kam unter den erwähnten Bäumen die schwarz und grau carrirte Gestalt des Lords hervor.

»Wunderschön!« lachte Wallert. »Ich werde mich dem Herrn Cousin vorstellen, aber – freilich ganz anders als ich es vor Kurzem noch vermuthete.«

Sie kamen einander entgegen.

»Good day, Mylord – Guten Tag, Lord!« grüßte er.

Der Lord blieb stehen, ganz starr vor Erstaunen, sich von einer Türkin gegrüßt zu hören und noch dazu in seiner Muttersprache, der englischen.

»Good day, Sir!« wiederholte Wallert.

»Your servant! How do you do – Ihr Diener! Wie geht es Ihnen?« entfuhr es ihm.

Er merkte gar nicht, wie dumm es eigentlich war, diese Worte auszusprechen.

»Ich danke,« antwortete Wallert mit Fistelstimme. »Sind Sie bereits lange von London fort?«

»Sehr! Wo haben Sie mich dort gesehen?«

»In der Paulskirche.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Sie traten während des Orgelspieles die Blasebälge.«

Der gute Lord riß den Mund auf, so weit er konnte.

»Ich –«

»Ja.«

»Sie irren! Sie scheinen mich für einen Anderen zu halten!«

»O nein. Sie sind Lord Eagle-nest.«

»Der bin ich allerdings; aber die Blasebälge habe ich noch niemals in Bewegung gesetzt.«

»Nicht? Ich hätte geglaubt, es beschwören zu können.«

»Aber, Mylady, Sie sind Engländerin?«

»Nein.«

»Was dann?«

»Ich bin eine Türkin und wollte Sie bitten, mich aus meinem Harem zu entführen.«

»Verteufelt, verteufelt! Sind Sie schön und jung?«

»Beides.«

»Bitte, zeigen Sie mir einmal Ihr Gesicht!«

»Nicht eher, als bis ich Sie den Meinigen nennen darf. Bei dem ersten Kusse sollen Sie sehen, daß Sie gar keine Schönere entführen konnten.«

»Beim ersten Kusse? Verteufelt, verteufelt! Sind Sie verheirathet oder ledig. Soll ich Sie Ihrem Manne entführen oder Ihrem Vater?«

»Meinem Vater. Es hat mich noch kein Mann berührt. Sie sollen der Erste sein, der mich umarmen darf.«

»Wirklich? He? Wie? Wie aber steht es mit der Entführung? Wo wohnen Sie und wann soll ich kommen?«

»Das wird Ihnen Herr Normann sagen.«

»Normann? Sapperment! Meinen Sie den Maler?«

»Ja.«

»Was! Sie kennen ihn?«

»Ich weiß, daß Sie miteinander eine Türkin entführen wollen; darum freue ich mich, daß ich Sie hier treffe. Sie können das Nöthige gleich mit ihm besprechen. Ich warte auf Sie Beide.«

Der Engländer wußte nicht, ob er wache oder träume. Da kam ihm die Entführung aus dem Serail ja geradezu entgegengelaufen. Er fragte:

»Gleich mit ihm besprechen? Wo denn?«

»Da auf dem Friedhofe, wo er sich befindet. Sie werden ihn bald sehen. Sagen Sie ihm, daß ich unten am Wasser auf ihn warten werde, da, wo wir ausgestiegen sind. Wenn Sie ihn mitbringen, können wir zu Dreien in dem Kaik überfahren.«

»Was! Ueberfahren? Ich auch mit?«

»Versteht sich.«

»Wohin denn?«

»In meine Wohnung.«

»Verteufelt, verteufelt! Geht das rasch! Und von dort sollen wir Sie entführen?«

»Wenn Sie die Güte haben wollen, ja.«

»Ob ich die Güte haben will! Na, da brauchen Sie gar nicht erst zu fragen. Aber, mein schönes Kind, dann wäre es ja viel klüger, Sie blieben gleich jetzt bei mir! Warum erst wieder in Ihre Wohnung und dann Sie entführen?«

»Nun, sonst wäre es ja keine Entführung!«

Der Engländer starrte sie betroffen an und sagte dann:

»Ah, ja! Daran habe ich gar nicht gedacht! Sie haben Recht, vollständig Recht. Ich will Sie ja entführen! Aber wenn wir Beide dabei wirken, ich und der Maler, wer kriegt Sie dann? Er oder ich?«

»Sie wechseln ab. Eine Woche er und eine Woche Sie.«

»Verdammt!« meinte der Carrirte. »Das ist nun freilich nicht nach meinem Geschmacke!«

»So machen Sie es schmackhafter, ganz wie Sie wollen. Sie können sich ja mit ihm besprechen.«

»Gut, das lasse ich mir eher gefallen! Also ich werde ihn jetzt auf dem Friedhofe treffen, um ihm zu sagen, daß er dahin kommen soll, wo Sie ausgestiegen sind?«

»Ja, so ist es.«

»Und dann werden Sie mit uns Beiden überfahren, um sich entführen zu lassen?«

»Sehr gern!«

Die kleinen Augen blitzten vor Freude durch die Gläser der mächtigen Hornbrille. Er blinzelte der Türkin höchst vertraulich zu und fragte:

»Könnte man denn da nicht etwas auf Abschlag erhalten?«

»Was denn?«

»Nun, eine Umarmung ungefähr.«

»Sie verlangen zu viel!«

»Einen Handkuß. Das ist doch bescheiden!«

»Ja, den lasse ich mir eher gefallen.«

»Also bitte!«

Er nahm den Regenschirm in die linke Hand und streckte die rechte verlangend aus.

»Nicht so schnell! Wir müssen uns vorher überzeugen, ob wir unbemerkt sind.«

»Keine Angst! Ich sehe Niemand. Es ist kein Mensch in der Nähe, keine Seele. Also bitte, Ihre Hand!«

Da streckte Wallert seine Hand aus den Falten hervor und sagte:

»Es ist der erste Handkuß, den ich von einem Manne erhalten. Möge er Ihnen gut bekommen!«

Der Carirrte küßte die Hand zwei-, dreimal und sagte dann:

»Sie machen mich zum glücklichsten Sterblichen. Auch ich erfahre erst jetzt, wie ein Händekuß schmeckt.«

»Nun, wie schmeckt er, Mylord?«

»Ganz unvergleichlich! Es läßt sich dieser Geschmack nicht mit Worten beschreiben. Wie herrlich muß da erst ein Kuß auf Ihre Granatlippen sein! Ich brenne vor Verlangen, dies kennen zu lernen.«

»So eilen Sie, den Maler zu holen! Je schneller Sie jetzt handeln, desto eher kommen Sie zum herrlichen Ziele. Leben Sie wohl, Mylord!«

Sie wendete sich um und verschwand in langsamem Gange und selbstbewußter Haltung unter den Bäumen. Er war stehen geblieben und blickte ihr nach, bis sie verschwunden war.

»Zum herrlichen Ziele!« wiederholte er entzückt. »Ja, die entführe ich, diese und keine Andere! Dieser Gang, diese Haltung! Diese Manier, diese Stimme und dieses zarte Händchen! Verteufelt, verteufelt! Die herrliche Tschita des Malers Normann kann nicht so schön sein wie diese Türkin! Mein muß sie werden, mein, mein, mein! Und wenn man sie hundertmal in einen Sack steckt und in das Meer wirft und ersäuft, ich hole sie mir alle hundertmal wieder heraus! Was wird der Maler sagen! Ich muß sogleich zu ihm.«

Er wendete sich dem Friedhof zu. Als er den Eingang desselben passirte, erblickte er sofort den Gesuchten und schritt direct auf ihn zu.

»Siehe da, Master Norman»,« sagte er. »Gut, daß ich Sie treffe! Ich habe Ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen, über welche Sie staunen werden.«

Er streckte ihm die Hand entgegen, erhielt aber dabei von dem Polizisten einen Stoß.

»Geri tschek!« gebot der Mann.

Der Brite blickte den Maler erstaunt an und fragte:

»Wie was das? Geri und Schecke? Was will dieser Kerl von mir?«

»Er sagte geri scheck! Das heißt: geh zurück!«

»Was! Das klänge ja gerade, als ob man mir hier etwas befehlen wolle!«

»So ist es auch. Das ist ein Polizist.«

»Was mache ich mir aus der Polizei?«

»O, o! Ich bin Gefangener.«

»Sie? Nicht möglich! Weshalb?«

Sie hatten englisch gesprochen. Der Pascha hatte ihnen schweigend zugehört. Jetzt sagte er zu dem Lord, und zwar auf englisch, wenn auch in gebrochener Aussprache:

»Was haben Sie mit meinem Gefangenen zu schaffen?«

»Geht Sie das etwas an?«

»Ja. Ich bin hier der Befehlende. Wer sind Sie?«

»Ich bin Lord Eagle-nest. Verstanden!«

»Verstanden, ja! Aber das geht mich ebenso wenig an, wie Sie sich aus der Polizei machen. Entfernen Sie sich!«

»Oho! Spricht man so mit einem Peer von Großbritannien und Irland! Ich werde mir Genugthuung zu verschaffen wissen und – ah, wer ist das?«

Die Thüre zum Wächterhäuschen hatte sich geöffnet und Steinbach trat heraus. Er mochte sich bereits seit längerer Zeit im Inneren befunden und die Vorgänge von da aus beobachtet haben. Er kam herbei, nickte dem Maler freundlich zu und wendete sich dann fragend an den Pascha:

»Warum ist der Mann gefangen?«

»Was geht das Dich an?«

»Vielleicht mehr als Dich!«

»Allah 'l Allah! Kennst Du mich?«

»Ja, Du bist Ibrahim Pascha, der Sohn von Melek Pascha.«

»So wirst Du wissen, daß man mir zu gehorchen hat.«

»Deine Diener haben Dir zu gehorchen, sonst aber kein anderer Mensch!«

»Das wagst Du, mir zu sagen? Wer bist Du?«

»Du kennst mich nicht?«

»Nein.«

»So höre meinen Namen!«

Er neigte sich zu dem Sitzenden nieder und flüsterte ihm etwas in das Ohr. Der Pascha erhob sich sofort von der Bank. Sein Gesicht legte sich in höfliche Falten; er machte eine Verbeugung und sagte:

»Verzeihe, daß ich das Glück noch nicht hatte, Dein Angesicht zu sehen! Ich ließ mir heute eine Abtheilung Polizisten geben, um eine Schmach zu bestrafen, welche meinem Hause widerfahren sollte.«

Der geheimnißvolle Deutsche lächelte ihm überlegen in das Gesicht und fragte:

»Welche Schmach meinst Du?«

»Man wollte mir mein Lieblingsweib verführen.«

»Wer wollte das thun? Dieser Mann?«

Dabei deutete er auf Normann.

»Nein, er nicht, aber sein Freund.«

»Er nicht? Und doch hast Du ihn ergreifen lassen?«

»Er ist mit ihm gekommen. Er ist mitschuldig.«

»Kannst Du das beweisen?«

»Ich beschwöre es!«

»Wo ist sein Freund?«

»Wir suchen ihn.«

»Und wo ist Dein Weib?«

»Daheim im Harem.«

»Ich denke, man hat sie verführen wollen!«

»Ja, man wollte es.«

»Wo denn? Hier?«

»Ja.«

»Und sie ist nicht da? Sie ist nicht gekommen?«

»Nein. Sie weiß nichts davon.«

»Ah! Man hat sie hier verführen wollen; sie aber weiß nichts davon und sie ist gar nicht gekommen! Wo hast Du Deine Gedanken? Wenn sie nicht da ist, kann sie nicht verführt werden und es kann also auch kein Mensch polizeilich festgenommen werden.«

Der Pascha hatte ein solches Argument nicht erwartet. Er zog die Brauen zusammen und legte die Stirn in Falten. Der Zorn regte sich in ihm.

»Der Freund dieses Menschen heißt Wallert,« sagte er. »Er hat mit meinem Weibe gesprochen, draußen im Thale der süßen Gewässer. Ich habe es erfahren und ihm an ihrer Stelle einen Brief geschrieben, um ihn hierher zu bestellen. Er ist gekommen. Ich legte diesem Sclaven Frauenkleider an; er sollte für das Weib gehalten werden. Wallert hat mit ihm in der Laube gesteckt. Er hätte es gethan, auch wenn es wirklich mein Weib gewesen wäre. Ich suche ihn und werde ihn festnehmen. Er soll seine Strafe bekommen!«

»Ja, bestraft muß der Schuldige werden. Aber das ist nicht er, sondern Du bist es.«

»Ich? Beim Propheten, das darf mir Niemand sagen!«

Er hatte die Hand an seinen Gürtel gelegt. Steinbach machte jetzt ein ernsteres Gesicht und sagte:

»Nimm die Hand vom Gürtel! Das kann ich nicht vertragen. Du sagst, Wallert habe Dein Weib verführen wollen; das ist nicht wahr, das ist unmöglich, da sie gar nicht hier gewesen ist. Du hast vielmehr ihn verführen wollen, um ihn zu verderben. Du hast ihn hierher gelockt, also bist Du es, welcher Strafe verdient hat. Du hast mein Angesicht noch nicht gesehen. Es pflegt mild und freundlich zu sein. Verursache ja nicht, daß es sich in zornige Falten lege. Ich will Dir keinen Befehl geben, aber ich rathe Dir, nach Hause zu gehen und an Klügeres zu denken, als daran, unschuldige Fremdlinge in das Verderben zu stürzen. Kommen Sie, Normann. Kommen Sie, Lord Eagle-nest! Wir haben hier nichts mehr zu suchen.«

Er wendete sich scharf ab und schritt zum Thore hinaus. Der zurückbleibende Pascha ballte die Fäuste und brummte ihm einige Worte nach, welche nicht wie Segenswünsche klangen.

Als die Drei draußen vor dem Thore angekommen waren, blieb Steinbach stehen und fragte lächelnd den Maler:

»Nun, hatte ich nicht Recht, als ich sagte, daß Sie meiner Hilfe sehr bald bedürfen würden?«

»Wer konnte das ahnen!«

»Daß Sie sich in Gefahr befanden? Das war doch sehr leicht zu ahnen.«

»Nicht das meine ich, sondern daß Sie uns hier zu helfen vermöchten.«

»Ach so! Nun, ich freue mich, daß ich auf den Gedanken gekommen bin, Ihnen zu folgen. Glauben Sie mir: Wer in die Hände Ibrahim Paschas fällt, der hat alle Ursache, zu klagen. Seien Sie froh, so losgekommen zu sein!«

»Aber Wallert! Der befindet sich noch im Friedhofe!«

»Nein. Er ist bereits fort.«

»Ah, Gott sei Dank! Haben Sie ihn gesehen?«

»Ja. Sagen Sie ihm, daß ich ihn an den Stiefeletten erkannt habe. Ich stand in der Wohnung des Wächters, als er durch das Thor entkam. Er hat viel gewagt. Hat er Ihnen Alles mitgetheilt?«

»Ja, Alles.«

»Hat er gewußt, um wessen Frau es sich handelt?«

»Nein. Er hat sie für ein Mädchen gehalten.«

»Das ist sie auch. Der Pascha hat sie noch nicht berühren dürfen. Es liegen da sehr eigenthümliche Verhältnisse vor, über die ich nicht sprechen will. Wo hat er sie gesehen?«

Normann erzählte in aller Kürze, was er vom Freunde erfahren hatte. Steinbach nickte dann und sagte:

»Also ihren Namen kennt er nicht?«

»Nein.«

»Er soll ihn wissen. Sie heißt Zykyma. Das würde zu Deutsch heißen, die Blüthe des Oleanders.«

»Könnte man wohl erfahren, wo dieser Ibrahim Pascha wohnt?«

»Warum oder wozu?« fragte Steinbach lächelnd.

»Nur so!«

»Pah! Ihre Gedanken sind leicht zu errathen. Sie wünschen zu wissen, wo er wohnt, um zu erfahren, wo sie zu finden ist. Aber dabei könnten Sie sich verrechnen. Sie wohnt nämlich nicht bei ihm.«

»O weh!«

»Gerade das Gegentheil von o weh! Und da ich mich für Sie interessire, so will ich Ihnen den Ort, wo sie sich aufhält, beschreiben. Kennen Sie vielleicht den Judenkirchhof jenseits des Stadttheiles Khalidschi Oghli?«

»Ja.«

»Es giebt da zwei Wasser, welche sich vereinigen, um dann dem Hafen zuzufließen. Gerade in dem Winkel, welcher durch ihre Vereinigung gebildet wird, steht ein Haus, mitten in einem Garten gelegen. Dort hält der Pascha den werthvollsten Theil seines Harems verborgen.«

»Und diese Zykyma auch?«

»Ja. Aber denken Sie an keinen Verkehr mit ihr oder gar an eine Entführung. Die Mauern des Gartens sind unübersteiglich und stoßen an zwei Seiten an das Wasser. Uebrigens hält der Pascha sehr streng Wache. Ich warne Sie!«

»Danke! Aber, Herr Steinbach, woher wissen Sie das Alles?«

»Ganz zufällig.«

»O nein. Sie sind ein Anderer, als Sie scheinen!«

»Denken Sie? Hm!«

»Wenn ich sehe, daß ein Pascha Ihnen gehorcht, so muß er doch wohl unter Ihnen stehen.«

»Dieser Schluß kann immerhin falsch sein!«

»Oho!« meinte da der Lord. »Mich, einen Lord von Altengland, hat dieser Türkenhund behandelt wie eine Feldmaus. Sobald aber Sie kamen, gab er klein zu. Sie sind kein Weichensteller oder Windmüllerlehrjunge, sondern etwas ganz Anderes. Haben Sie nicht vorhin meinen Namen genannt?«

»Ja.«

»Woher kennen Sie mich?«

»Ich hatte das Vergnügen, Sie in London zu sehen.«

»Wo? Bei wem?«

Steinbach zuckte die Achseln und antwortete:

»Vielleicht sprechen wir später einmal hiervon. Jetzt aber muß ich mich verabschieden. Es dämmert stark und in dieser Gegend bricht die Nacht schnell herein. Gute Nacht also, meine Herren. Grüßen Sie mir Herrn Wallert!«

Er wendete sich scharf ab und bog rasch um die nächste Friedhofsecke.

»Ein geheimnißvoller Mann!« sagte der Maler.

»Werden das Geheimniß ergründen! Also mich hat er auch gesehen! Vielleicht auch in der Paulskirche bei den Blasebälgen.«

»Wie kommen Sie auf diese Bälge?«

»Weil vorhin – ah, Sapperment, Herr Normann, mir ist etwas passirt, worüber Sie sich freuen werden!«

»Sagen Sie mir zunächst, wie Sie hier nach dem Kirchhof kommen, Mylord!«

»Nun, auf diesen meinen Beinen!«

»Das kann ich auch ohne Ihre Antwort wissen!«

»Nun ja. Sie wissen, daß ich etwas beabsichtige, ich meine natürlich eine Entführung. Da habe ich gehört, daß die türkischen Damen die Kirchhöfe gern besuchen, daß sie sogar dort ihre Gesellschaften und Klatschgevatterschaften feiern. In Folge dessen kam ich hierher, um mich nach Einer umzusehen, welche ich entführen könnte.«

»So, so! Ihre Mühe ist natürlich vergeblich gewesen?«

»Oho! Was denken Sie von mir!«

Er stellte sich in Positur und nahm eine Miene an, wie ein römischer Triumphator gehabt haben würde.

»Also doch etwas gefunden?« fragte der Maler ungläubig.

»Ja.«

»Wo?«

»Dort, rechts, unter den Bäumen.«

»Da hätte ich horchen mögen!«

»Ja wohl! Da hätten Sie Ihr blaues Wunder gehört. Wir sind nämlich einig.«

»Wer sind diese Wir?«

»Na, wer denn anders als ich und sie.«

»Sie? Ein Weib?«

»Nein.«

»Also ein Mann?«

»Sapperment! Machen Sie keine dummen Witze! Unter einem Weibe verstehe ich ein verheirathetes Subject weiblichen Geschlechts. Das aber ist die Betreffende nicht; sie ist unverheiratet, ein Mädchen.«

»Hopphopp!« meinte der Maler, dem es nicht recht glaubhaft erscheinen wollte, daß der Lord hier eine solche Bekanntschaft gemacht habe.

»Zweifeln Sie etwa?«

»O nein! Haben Sie sie gesehen?«

»Herrgott! Ich werde sie doch sehen, wenn ich sie spreche und mit ihr verabrede, daß ich sie entführen soll.«

»Ach so! War sie hübsch?«

»Die reine Venus, obgleich ich ihr Gesicht nicht gesehen habe.«

»Nicht? Und doch wissen Sie, daß sie eine Venus ist?«

»Ja. Ich durfte ihr die Hand küssen.«

»Dann sind Sie freilich sehr schnell avancirt. Wissen Sie den Namen?«

»Nein.«

»Die Wohnung?«

»Auch nicht.«

»Ich denke, Sie wollen Sie entführen!«

»Natürlich!«

»So müssen Sie ja wissen, wo sie wohnt!«

»Das ist wahr; bis jetzt weiß ich sie nicht; aber sie wird uns jetzt hinführen.«

»Uns? Wer ist das?«

»Das sind natürlich wir, Sie und ich.«

»Ach so! Jetzt will sie uns in ihre Wohnung führen?«

»Ja; sie hat es mir versprochen.«

»Wo treffen wir sie denn?«

»Da, wo sie ausgestiegen sind. Sie will da warten.«

Jetzt begann im Kopfe des Malers eine Ahnung zu dämmern. Er machte ein höchst gespanntes Gesicht und fragte:

»Wie kamen Sie denn mit ihr zu sprechen?«

»Sie kam aus dem Friedhof und ging nach den Oliven zu. Ich begegnete ihr und da grüßte sie mich englisch. Ich fragte sie, ob sie mich kenne und da behauptete sie, mich in der Paulskirche gesehen zu haben, wo ich während des Orgelspiels die Blasebälge getreten habe.«

Jetzt konnte sich Normann nicht länger halten. Er brach in ein lautes, herzliches Lachen aus. Das ärgerte den Engländer. Er stieß mit dem Regenschirm zornig auf die Erde und fragte:

»Was feixen Sie denn? Ich denke nicht, daß eine Entführung etwas Lächerliches ist. Man riskirt doch allemal ein Stückchen Haut dabei!«

»Allemal! Also Sie haben ihr die Hand geküßt?«

»Ja. Und was für ein Händchen! Sie war eine richtige, echte Türkin. Das sah ich daraus, daß sie keinen Begriff von einer wirklichen, ordentlichen Ehe hatte. Sie machte mir den Vorschlag, daß wir Beide, nämlich Sie und ich, uns in sie theilen sollten, nachdem wir sie entführt haben würden. Jeder sollte sie immer acht Tage als Frau haben.«

Normann brach abermals in ein lautes Lachen aus.

»Ja, jetzt können Sie lachen,« meinte der Lord; »dagegen habe ich nichts, denn das kommt mir selbst ungemein spaßhaft vor. Aber ich habe da wahrhaftig die Hauptsache vergessen. Sie trug mir nämlich auf, daß Ihr Freund – ah, dieser Deutsche, der ein Pascha zu sein scheint, sagte doch auch, daß Ihr Freund sich entfernt habe!«

»Ja; wir treffen ihn am Wasser. Kommen Sie!«

Als sie an das Ufer kamen, hielt ein Kaik da, in welchem Wallert wartend saß. Seine Augen leuchteten lustig auf, als er den Engländer erblickte. Normann stellte Beide einander vor. Der Lord nahm den Deutschen sehr genau in Augenschein und sagte dann:

»Wunderbar! In meiner Galerie habe ich das Porträt eines Verwandten, dem Sie sehr genau gleichen. Aber bitte, Herr Normann, der Kaiktschi will doch schon fort!«

»Soll er nicht?«

»Nein. Sie wissen ja, auf wen wir warten.«

Wallert gab sich Mühe, eine unbefangene Miene zu zeigen und fragte:

»Soll noch Jemand mit überfahren?«

»Ja, eine Dame,« antwortete der Lord sehr ernsthaft.

»Das wäre interessant! Sie meinen natürlich eine abendländische Dame?«

»Nein, eine Türkin, die wir heut Abend entführen werden.«

»Ah, ist es das! Es kam nämlich ein verschleiertes Frauenzimmer hierher und sagte mir, daß Lord Eagle-nest kommen und sie hier erwarten werde. Ich solle ihm sagen, daß die Entführung heut unmöglich sei.«

»O weh! Hat sie keine andere Zeit genannt?«

»Nein.«

»Auch keine Adresse? Ihren Namen, ihre Wohnung?«

»Nein.«

»Da schlage der Teufel drein! Wie unvorsichtig von ihr! Wie kann ich sie entführen, wenn ich nicht weiß, wer sie ist und wo sie wohnt! Nun sitzt sie in ihrem Harem, fängt Grillen und kann nicht heraus! Schade, jammerschade! Es war eine Schönheit, eine große, eine pikante Schönheit. Ihr Händchen duftete so eigenthümlich, halb nach Cigarre und halb nach Ricinusöl und einem Tropfen Bergamottengeist. Das war vielversprechend, denn der Cigarrengeruch deutet auf einen festen Charakter und der Ricinusölduft auf ein weiches, elastisches Gemüth. So fällt Einem die schönste Freude in den Brunnen.«

Er senkte den Kopf und schüttelte ihn langsam und mißmuthig hin und her.

Als sie am jenseitigen Ufer ausgestiegen waren und den Weg nach ihrer Wohnung einschlugen, strich der junge Mensch an ihnen vorüber, welcher Wallert gewarnt hatte. Normann erkannte ihn sofort wieder und hielt ihn am Arme fest.

»Halt!« sagte er. »Du bist uns einmal entwichen, wirst es aber nicht zum zweiten Male.«

Der Betreffende mochte vielleicht neunzehn Jahre alt sein. Er trug sich, wie bereits gesagt, wie ein gewöhnlicher Arbeiter, doch hatte es beinahe den Anschein, als ob dies eine Verkleidung sei. Er lächelte den Maler freundlich aber selbstbewußt an und fragte ihn:

»Willst Du mich halten?«

»Ja.«

»Du wirst es nicht können, wenn ich es nicht will!«

»Du giebst doch zu, heut dort drüben mit diesem Herrn gesprochen zu haben.«

»Ja.«

»Wer hatte Dich gesandt?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Hier, nimm!«

Normann zog ein Geldstück aus der Tasche und reichte es ihm hin; der Türke aber trat zurück und sagte:

»Herr, beleidige meine Seele nicht! Ich nehme kein Bakschisch. Ich thue, was mir die Herrin befiehlt; aber ich thue es, weil sie es will, nicht um Geld.«

Da reichte Wallert ihm die Hand hin und sagte: »Das ist brav von Dir. Jetzt kenne ich Dich wieder. Du warst mit im Thale der süßen Wasser, als Dein Gespann scheu wurde?«

»Ja, ich war es. Du hieltest die wüthenden Stiere auf und errettetest die Herrin aus großer Gefahr. Sie hat Dir ihre Hand gezeigt und ich danke Dir auch!«

»Darfst Du von ihr mit mir sprechen?«

»Nein.«

»Sie hat es Dir verboten?«

»Sie gebot mir. Dich zu warnen; aber sie befahl mir, weiter nichts zu thun.«

»Wie konnte sie mich warnen lassen? Wußte sie von dem Streiche, den man mir spielen wollte?«

»Ich kann und darf nichts sagen.«

»Auch ihren Namen nicht?«

»Nein.«

»Wo sie wohnt?«

»Das sollst Du niemals erfahren.«

Da rötheten sich Wallert's Wangen. Grad das reizte seinen Widerspruch.

»Ich werde es doch erfahren!« sagte er.

»Du wirst nie wieder von ihr hören. Sie will es so!«

Da meinte Normann zu dem Boten:

»Laß Dir Etwas sagen, mein Freund! Wenn Du zu Zykyma kommst, dann grüße sie von – – –

»Allah! Du kennst den Namen!« rief der Türke.

»Ja, ich kenne ihn. Sage ihr, daß wir nach dem Kirchhofe der Juden spazieren und an der Mauer sein werden.«

»Beim Propheten! Thut das nicht! Es könnte Euer Leben kosten und auch noch dasjenige anderer Leute!«

»Willst Du uns verrathen?«

»Dann würde ich auch die Herrin verrathen und das thue ich nicht.«

»So haben wir nichts zu besorgen. Höre, was ich Dir sage! Man hat uns in eine Falle gelockt. Ich muß erfahren, wie das geschehen konnte. Davon gehe ich nicht ab. Wir werden also am Abende draußen beim Wasser erscheinen. Was Du thun willst, das ist Deine Sache, wir werden auch zu handeln wissen.«

»Du kennst den Herrn nicht. Er ist grausam. Er würde Euch nicht schonen, wenn er bemerkte, daß Ihr sein Haus umschleicht.«

»Er hat uns schädigen wollen. Wir werden ihn auch nicht schonen, wenn er uns in die Hände geräth. Das ist es, was ich Dir zu sagen habe. Vielleicht gelingt es, mit Deiner Herrin zu sprechen.«

»Das ist unmöglich. Das Wasser ist tief und breit; die Mauern sind hoch; die Thüren fest und die Wächter werden niemals öffnen.«

»Auch nicht mit dem Schlüssel des Goldes?«

»Nein. Sie fürchten die Strenge des Herrn. Er würde sie verschwinden lassen aus dem Lande der Lebendigen.«

»Darfst Du denn mit Deiner Herrin sprechen?«

»Nein, denn ich bin kein Verschnittener; aber zuweilen darf ich heimlich die Sonne ihres Angesichts schauen und ihre leise Stimme hören. Sie hat mir das Leben gerettet und ich lausche dafür nun ihren Wünschen, um dieselben zu erfüllen.«

»Du bist gut und treu. Gehe in Allahs Namen heim. Wir werden uns wiedersehen.«

»Nicht eher, als bis die Herrin es will!«

»Sage ihr, daß hier mein Freund das Leben wagen wird, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Sie mag thun, was sie für gut hält, er aber wird auf die Stimme seines Herzens hören.«

Der Bote entfernte sich, indem er in eine Seitengasse einbog; die Drei gingen in die Wohnung der beiden Freunde. Dort angekommen, blickte der Lord sich um, Wallert aber fragte Normann:

»Ich bin auf das Freudigste überrascht, daß Du den Namen und die Wohnung kennst, nach denen ich so vergeblich geforscht habe. Woher weißt Du Beides?«

Normann theilte ihm seine Unterredung mit Steinbach mit; dies erhöhte nur den Eindruck, welchen dieser auf die Freunde gemacht hatte.

»Jetzt möchte ich aber nur wissen, mit wem Du im Bazar der Musselin-Händler gesprochen hast,« sagte der Maler.

»Wohl nicht mit ihr!«

»Du meinst, mit dem Kerl, welcher sich heute als Frauenzimmer sehen ließ?«

»Jedenfalls. Wer kann in dieser verteufelten Umhüllung einen weiblichen Körper von einem männlichen unterscheiden!«

»Aber der Solitär! Der Diamantring! Sie trug ihn und er hatte ihn auch, wie Du sagst.«

»Das ist das Räthsel. Aber ich werde es lösen. Ich sage Dir, daß ich Deine Worte wahr machen werde, Du magst sie im Ernst oder im Scherz gesagt haben. Ich gehe heut Abend hinaus und sollte es auch nur sein, um zu recognosciren.«

»Recognosciren?« fragte der Engländer. »Unsinn! Fällt keinem Menschen ein, zu recognosciren!«

»Was denn?«

»Recognosciren ist zu wenig. Heraus muß sie, heraus, sie mag wollen oder nicht.«

»Wenn sie nicht will, bleibt sie eben drin!« lachte der Maler.

»Oho! Ich will eine Entführung! Ich will sie, und ich werde sie fertig bringen, so glänzend, daß die größten Componisten sich um das Recht streiten werden, eine Oper darauf zu componiren. Dann erscheine ich mit ihr in eigener Person auf der Bühne. Ich singe den Heldentenor und sie singt den Verlobungsdiscant oder den Hochzeitssopran mit allen möglichen Läufern und Trillern. Man soll mich kennen lernen und auch sie, wenn sie nämlich schön genug ist, sich neben mir sehen zu lassen!«

Die beiden Freunde stimmten herzlich lachend in seine gute Laune ein. Doch meinte der Maler sehr bald wieder ernsthaft:

»Es ist vor allen Dingen nöthig, daß Du Dich prüfst, lieber Hermann. Hat ihr Anblick nur vorübergehend auf Dich gewirkt, so wäre es ja lächerlich, tolle Wagnisse zu unternehmen. Ist aber der Eindruck, den sie machte, ein tiefer, ein dauernder, so bin ich der Allerletzte, der Dich darob schmähen möchte. Ich habe hier ja auch erfahren, was Liebe ist und bin bereit, mit Dir durch Dick und Dünn zu gehen.«

»Ja, ich auch,« fiel der Lord ein. »Ich gehe sogar viel lieber durch Dick als durch Dünn mit Ihnen. Auch ich weiß nun, was Liebe ist; ich habe sie hier kennen gelernt und darum reiße ich Alles um, was sich mir in den Weg stellt.«

»Sie haben hier die Liebe kennen gelernt?« fragte Normann. »Hier in Constantinopel?«

»Ja. Da draußen vor dem Friedhofe unter den Olivenbäumen. Als ich ihr das süße Händchen küßte, da zuckte so ein Stoß durch meine Seele, ein Stoß, grad als ob mich mit dem Knaufe einer Reitpeitsche – – –«

Er hielt mitten in seiner Erklärung inne. Sein Mund blieb weit geöffnet und seine Augen waren mit einem unbeschreiblichen Ausdruck auf Wallert's Hand gerichtet.

»Weiter, weiter!« sagte Normann.

»Alle tausend Himmel und Wolken – – –!« entfuhr es endlich den Engländer.

»Was giebt es? Was haben Sie?«

»Herr Wallert, haben Sie eine Zwillingsschwester?«

»Warum diese Frage?«

»Eine Zwillingsschwester, die in London in der Paulskirche beim Blasebalgtreter gewesen ist und sich jetzt hier in Constantinopel entführen lassen will?«

»Nein.«

»Nicht? Welch eine Aehnlichkeit! Ihre Hand gleicht nämlich ganz genau derjenigen, welche mir die Holde reichte. Sie hatte auch so eine kleine, allerliebste Narbe auf der oberen Seite des Mittelfingers, wie von einer Blatter oder einer kleinen Verletzung. Während des Handkusses erblickte ich das Närbchen sehr genau. Und der Ring, der Ring! Genau auch so!«

»Sie täuschen sich!«

»Nein, nein! Ich habe doch meine Augen!«

»Dann ist es ein Zufall.«

»Anders ist es nicht zu erklären. Ich befinde mich förmlich in Aufregung. Ich muß meinen Gefühlen Luft machen, muß irgend Eine entführen, ganz egal, Welche! Darum schlage ich vor, wir machen uns heut Abend auf und versuchen, diese Zykyma über die Mauern herüber zu bringen. Nicht?«

»Nicht so sanguinisch!« meinte der Maler. »Solche Sachen wollen gute Weile haben und reiflich überlegt sein. Bei einer Entführung ist auch die Zustimmung Derjenigen nöthig, welche entführt werden soll.«

»Zustimmung? Unsinn! Das Mädchen wird gar nicht gefragt, sondern angefaßt, aufgeladen und fortgeschafft. Eine Entführung mit Einwilligung ist keine Heldenthat.«

»O, sie ist auch mit der Einwilligung schwierig und gefährlich genug. Was thun Sie mit einer Person, welche gegen ihren Willen entführt worden ist?«

»Hm! Na, was thun Sie denn mit Einer, welche eingewilligt hat, Master Normann?«

»Heirathen natürlich!«

»Das können Sie ja mit der Andern auch thun!«

»Wenn sie nicht will?«

»Pah! Wir alle Drei sind hübsch genug. Ich möchte das Mädchen sehen, welches Einen von uns nicht haben mochte!«

»Selbst wenn Sie Recht hätten, müßten wir Diejenige, um welche es sich handelt, erst fragen. Wir dürfen nicht unüberlegt handeln.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Wir befinden uns ja hier, um zu überlegen. Kennen Sie den Ort, wo das Haus steht?«

»So genau nicht, wie es nöthig wäre. Auf dem Judenkirchhof bin ich gewesen und habe dabei das betreffende Haus wohl auch gesehen. Das ist aber Alles.«

»Und das Wasser? Die beiden Bäche, welche sich an der Gartenmauer vereinigen? Sind sie breit?«

»Das weiß ich nicht. Mir ist nur bekannt, daß das Wasser bei den alten Kanonenschmiedereien in den Hafen mündet.«

»Sapperment! Wenn das Wasser breit genug wäre!«

»Was wäre da?«

»Ich habe einen herrlichen Gedanken. Ich ließ meine Dampfyacht heizen; wir führen bis an das Grundstück, legten an der Mauer an, kletterten hinüber, holten das Mädchen und dampften dann zurück, irgend wohin, wo man uns nicht erwischen könnte.«

Die beiden Andern lachten und Wallert meinte:

»Sie stellen sich die Entführung freilich sehr bequem vor. Doch bleiben wir ernst. Ich habe die feste Absicht, heut hinaus zu gehen und mir wenigstens die Gegend anzusehen.«

»Gut,« ich gehe natürlich mit,« sagte der Capitain. »Aber wir müssen uns doch dazu vorbereiten?«

»In wiefern?«

»In wiefern?« Welche Frage! Wenn wir so gehen, wie wir hier sind, da sehen wir einen Bach und eine Mauer, über welche wir nicht können, weiter nichts. Wir müssen uns also etwas mitnehmen, was als Brücke dienen kann und eine Leiter dazu.«

»Die Leiter könnte ja zugleich als Brücke benutzt werden.«

»Richtig! Also nur die Leiter! Von der Mauer aus können wir uns dann den Garten und das Haus ansehen.«

»Sehr schön, Mylord! Wir nehmen also eine Leiter auf die Schultern und traben mit derselben durch die Straßen, um die Leute aufmerksam zu machen, daß wir irgendwo einbrechen wollen. Nein. Das geht nicht. Wir werden heut zunächst nur recognosciren. Bevor wir uns nicht mit Zykyma in Verbindung gesetzt haben, können wir ja überhaupt gar keinen Entschluß fassen. Und um zu recognosciren, bedarf es nicht dreier Personen. Da ist eine genug.«

»Was! Ich soll vielleicht nicht mit?«

»Je weniger Personen, desto unauffälliger ist die Sache.«

»Meinetwegen! Aber ich bin nach Constantinopel gekommen, um ein Mädchen aus dem Harem zu holen, und da werden Sie mir doch nicht zumuthen, daß ich Andern dieses Vergnügen überlaste. Nein, ich gehe mit!«

»Aber, bedenken Sie!«

Er warf ihm einen bezeichnenden Blick zu.

»Was soll ich bedenken?«

»Ihr Aeußeres.«

»Mein Aeußere»? Sackerment, ist das etwa zu einer Entführung nicht geeignet?«

»So nicht. Ihre Gestalt – – «

»Meine Gestalt ist lang genug, um über eine Mauer zu klettern und im Harem einzusteigen.«

»Ihre Kleidung.«

»Was haben Sie gegen meinen Anzug? Soll ich etwa in Tricots gehen oder in Badehosen?«

»Das verlangt kein Mensch, mein bester Sir; aber Sie werden zugeben, daß Ihr Anzug zu auffällig ist. Sie könnten sich nur dann bei so Etwas betheiligen, wenn Sie sich anders kleideten.«

»Nun gut, so kleide ich mich eben anders.«

»Damit man nicht sofort den Engländer in Ihnen erkennt.«

»In Ihnen würde man aber auch sofort den Franken erkennen. Ich kann also auch Ihnen rathen, einen türkischen Anzug anzulegen.«

»Sie haben gar nicht Unrecht. Das ist aber auch wieder ein Grund, daß nicht wir alle Drei heut Abend gehen.«

»Warum?«

»Wir müßten drei Anzüge kaufen.«

»Natürlich! Handelt es sich etwa um das Geld?«

»Wir sind keine Millionärs.«

»Aber ich bin einer. Verstanden? Ich habe gesagt, daß ich tausend Pfund Sterling bezahle, wenn Sie mir eine Entführung aus dem Serail oder aus dem Harem ermöglichen. Dabei versteht es sich also ganz von selbst, daß ich alle dabei erforderlichen Ausgaben auf mich nehme. Ich hoffe, daß Sie einverstanden sind?«

»Wir haben keinen Grund, Ihnen da zu widerstreben.«

»Gut, es werden also drei Anzüge gekauft; aber was für welche?«

»Einfache, ganz einfache. Wir müssen uns so kleiden, daß wir keine Aufmerksamkeit erregen.«

»Ganz meine Ansicht. Ich schlage also vor, wir gehen gleich jetzt nach dem Kleiderbazar, um diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Dann machen wir uns sogleich auf den Weg nach dem Judenkirchhofe.«

»Ist nicht indessen einmal Ihre Anwesenheit an Bord nöthig?«

»Nein. Mein Capitain weiß, woran er ist. Ich habe ihm gesagt, daß ich zu unbestimmter Zeit zurückkehren werde. Am Liebsten käme ich erst dann, wenn ich eine Türkin mitbringen könnte. Also, gehen wir!«

Sie brachen auf.

Als sie aus dem Hause traten, war der Engländer der Vorderste. Er zog den Fuß zurück und blieb innerhalb der Thür stehen.

»Hole der Teufel den Kerl!« brummte er.

»Welchen Kerl?« fragte Normann.

»Diesen Derwisch. Da drüben steht er wieder und gafft hier an dem Hause in die Höhe.«

»So möchte ich nur wissen, in welcher Absicht er uns beobachtet.«

»Wollen wir ihn fragen?«

»Er wird sich hüten, es zu sagen.«

»Den Kerl sollte ich London auf der Spionage erwischen! Ich jagte ihm den Regenschirm durch den Leib. Wollen wir es uns gefallen lassen?«

»Was können wir dagegen thun?«

»Oho! Ich bin ein Engländer und habe keine Lust, mir von einem heulenden Derwische auf den Stiefeln herumtreten zu lassen. Ich werde ihm zu verstehen geben, daß er seine Augen da aufsperren soll, wo ich mich nicht befinde. Passen Sie auf, was ich machen werde!«

Der Derwisch stand allerdings nicht ohne Absicht hier. Wie bereits erwähnt, war ihm schon am Tage der Name der englischen Yacht aufgefallen. Er hatte ja aus diesem Grunde den Lord nicht aus den Augen gelassen. Indem er diesem folgte und ihn beobachtete, hatte er bemerkt, daß er zu dem Sklavenhändler gegangen war, zu welchem sich dann auch Normann, der Begleiter des Lords, begeben hatte. Der Derwisch hielt es für nöthig, zu erfahren, was Normann sei und was er bei dem Händler wolle. Darum trat er bei Letzterem ein und klopfte an dieselbe Thür, durch welche der Maler eingelassen worden war.

Als der Händler ihn bemerkte, öffnete er sofort die Thür. Die Derwische stehen im Geruche der Heiligkeit und werden, wenigstens in den unteren Volksklassen, stets mit Ehrfurcht behandelt.

»Sei willkommen!« sagte Barischa. »Hast Du mir einen Befehl Allahs zu überbringen?«

»Nein. Ich komme in einer andern Angelegenheit. Bist Du gegenwärtig reich an schönen Sklavinnen?«

»Ich habe immer die schönsten, welche Du in Stambul treffen kannst. Willst Du Dir einen Harem gründen?«

»Nein. Du weißt, daß mein Orden mir dies verbietet. Aber ich habe von einem hohen Herrn den Auftrag erhalten, ihm eine Sklavin zu suchen, an welcher sich sein Auge erfreuen kann. Darum komme ich zu Dir.«

Das war nicht wahr; aber er erhielt dadurch Gelegenheit, mit dem Alten zu sprechen und sich in dessen Hause umzusehen.

»Ist dieser Herr reich?«

»Sehr. Er rechnet stets nach goldenen Beuteln, nicht nach silbernen.«

»Verbietet Dir nicht Dein Orden, das Angesicht eines Weibes zu sehen?«

»Meine Augen gehören nicht mir, sondern Dem, für welchen ich die Sclavin betrachte; nicht ich sehe sie also, sondern er ist es, der sie sieht.«

»So kannst Du mir folgen. Ich werde Dir Alle zeigen, welche vorhanden sind.«

»Er wurde in ein größeres Zimmer geführt, wo die Mädchen versammelt waren. Er betrachtete sie mit innerem Vergnügen, behielt aber eine sehr ernste, würdevolle Miene bei. Er hatte geglaubt, Normann hier zu finden und fragte sich im Stillen, wo derselbe wohl stecken möge. Er vermuthete, daß wohl noch mehr Mädchen vorhanden seien, bei denen er den Gesuchten finden werde. Darum sagte er, als er sämmtliche Sklavinnen mit dem Blicke eines Kenners betrachtet hatte, zu dem Händler:

»Sind das Alle, welche Du hast?«

»Ja.«

»Das bedaure ich sehr.«

»Warum?«

»Der Pascha, welcher mich sendet, hat mir genau beschrieben, wie Diejenige sein muß, welche er kaufen würde. Unter diesen hier befindet sich aber keine solche.«

»Wie soll sie denn sein?«

»Ich habe nicht die Erlaubniß erhalten, von dem Mädchen des Herrn zu sprechen. Wenn Du weiter keine Mädchen hast, so muß ich gehen.«

Der Händler überlegte einen Augenblick; dann sagte er:

»Ist dieser Pascha wirklich sehr reich?«

»Sehr. Er erfreut sich der ganz besonderen Gnade des Großherrn, der ihn mit Ehren und Kostbarkeiten überhäuft.«

»Ist er geizig?«

»Nein. Er hat eine offene Hand.«

»So will ich Dir sagen, daß ich allerdings noch eine Sklavin besitze, eine einzige. Sie ist die Allerschönste, welche ich jemals gehabt habe und ich wollte sie dem Großherrn anbieten.«

»Allah segne den Padischah! Aber warum soll grad er diese Sklavin haben? Besitzt er nicht bereits die besten aller Länder? Soll ein Anderer sich nicht auch eines schönen Weibes erfreuen?«

»Du vergißest, daß der Großherr am allerbesten bezahlt. Er handelt niemals einen Para vom Preise ab.«

»Du hast Recht. Er handelt niemals. Entweder er bezahlt, was verlangt wird, oder er bezahlt gar nichts. Wenn ihm die Sklavin gefällt und er Dir den Preis nicht giebt, kannst Du ihn nicht beim Kadi verklagen. Hast Du das noch nicht erfahren?«

»Bereits einige Male.«

»So thue, was Dir Dein Verstand gebietet. Zeige mir die Sklavin, damit ich wenigstens sehen kann, ob ich zu meinem Pascha von ihr sprechen darf.«

»Ich werde Dich zu ihr führen. Aber warte draußen, bis ich zurückkehre; ich werde sie benachrichtigen.«

Er ging und der Derwisch kehrte einstweilen in die vordere Stube zurück. Dort befand er sich, als Normann gezwungen war, die Geliebte zu verlassen. Beide betrachteten sich im Vorübergehen mit nicht gerade sehr freundlichen Blicken. Als dann der Händler wiederkam, fragte der Derwisch:

»Kaufen auch Franken Sklavinnen?«

»Nein nur Anhänger des Propheten haben die Erlaubniß, die Freuden der Seligkeit bereits auf dieser Erde zu genießen.«

Aber Du siehst doch Ungläubige bei Dir!«

»Zuweilen. Sie kommen aus verschiedenen Gründen. Warum fragst Du?«

»Ich sah den Franken gehen, welcher jetzt bei Dir war.«

»Er befand sich bei der Sklavin, welche ich Dir zeigen werde.«

»Hat er sie gesehen?«

»Ja.«

»Etwa gar entschleiert?«

»Er mußte sie ohne Schleier sehen.«

»Ist das möglich? Hat Allah Dir den Verstand genommen, daß Du eine Sklavin, deren Anblick einen Pascha erfreuen soll, den Augen eines solchen Hundes preis giebst?«

»Ich weiß, was der Prophet und das Gesetz mir gebietet; aber ich muß die Vortheile meines Geschäftes berücksichtigen. Die Sklavin ist für den Großherrn bestimmt. Er kann nicht kommen, sie zu betrachten, und so wollte ich ihm ihr Bildniß senden. Dieser Franke ist ein Maler, welcher das Bild anfertigt.«

»Es ist dennoch eine Sünde, ihm zu erlauben, das Angesicht einer Tochter des Propheten zu sehen.«

»Sage mir, ob ein Thier, ein Hund ein Weib ansehen kann, ohne daß es eine Sünde ist!«

»Das ist keine Sünde.«

»Nun, dieser Christ ist ja auch nur ein Hund.«

»Diese Entschuldigung will ich gelten lassen. Aber, darf der Maler mit der Sklavin sprechen?«

»Kein Wort ich habe den Wächter bei ihnen stehen.«

»So will ich nicht berücksichtigen, daß das Auge eines Unberufenen auf ihr geruht hat. Zeige sie mir!«

Der Händler führte ihn in das Zimmer, in welchem Normann sich vorher befunden. Tschita saß noch auf dem Divan, doch hatte sie den Schleier vor das Gesicht genommen. Der Derwisch konnte das Portrait nicht sehen, da der Maler es verhüllt hatte.

»Erhebe Dich vor dem Manne der Frömmigkeit, und entferne den Schleier!« gebot der Händler.

Tschita stand auf und enthüllte ihr Angesicht. Das Auge des Derwisches fiel auf sie. Er stieß einen lauten Ruf aus und wich zurück. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer außerordentlichen Ueberraschung. Fast schien es, als ob er sogar erschrocken sei. Es kostete ihm sichtlich eine bedeutende Anstrengung, seine vorherige Gleichgiltigkeit wieder zu zeigen.

Tschita erröthete. Das Gesicht dieses Menschen war ihr widerwärtig. Sie ließ den Schleier wieder über ihr Gesicht fallen; aber der Derwisch trat schnell zu ihr und hob den Schleier wieder auf.

»Was sagst Du von ihr?« fragte der Händler.

»Sie ist so, wie der Pascha sie wünscht. Wirst Du mir erlauben, sie zu prüfen?«

»Thue es.«

Der Derwisch befühlte die Arme, die Schultern und den Busen der Sclavin; er umspannte die Taille, ließ sich ihre Zähne zeigen, kurz er behandelte sie ganz wie eine Waare, welche man ungenirt untersuchen kann. Sie war bleich, sehr bleich geworden, doch wagte sie nicht, ungehorsam zu sein; aber als er sich von ihr wendete, benutzte sie dies sofort, aus dem Zimmer zu entfliehen.

Die dunklen Augen des Derwisches brannten förmlich. Es glühte in ihnen ein Feuer, welches selbst dem Händler auffallen mußte. Darum fragte dieser:

»Sie hat Dir gefallen?«

»Ja. Ich werde dem Pascha empfehlen, sie zu kaufen. Woher hast Du sie erhalten?«

»Von jenseits des Kaukasus.«

»Hast Du selbst sie dort geholt?«

»Nein. Sie wurde zu Schiffe nach Stambul gebracht. Einer meiner Agenten hatte sie gekauft.«

»Wie ist ihr Name?«

»Tschita.«

»Heißt sie wirklich so?«

»Ich kenne keinen anderen.«

»Wer ist ihr Vater, und wie heißt der Ort, in welchem sie geboren wurde?«

»Ich weiß Beides nicht. Der Agent sagte, er dürfe es mir nicht sagen.«

»Sonderbar! Also der Christ hat sie gesehen, und ihr Bildniß gemalt! Wo ist es?«

»Hier. Es ist noch nicht ganz fertig, aber trotzdem außerordentlich ähnlich.«

Er entfernte die Hülle, und der Derwisch betrachtete das Portrait.

»Ja,« meinte er, »es ist ihr ganz ähnlich. Sage mir den Preis, welchen Du forderst!«

»Von dem Großherrn würde ich fünf Beutel in Gold verlangen.«

»Er würde sie Dir entweder voll geben oder gar nichts. Ich biete Dir vier Beutel, welche Du sofort empfangen wirst, ohne daß man einen Piaster abhandelt.«

»Hast Du Auftrag, mir diese Summe zu nennen?«

»Nein; aber ich weiß, daß der Pascha so viel bezahlen wird, wie ich biete.«

»Er mag selbst kommen. Wenn er Tschita kaufen will, muß ich mit ihm selbst sprechen. Er kann sie nicht allein erhalten, sondern er muß ihre Mutter auch nehmen.«

»Warum?«

»Weil die Sclavin ohne ihre Mutter sterben würde. Dann müßte ich das Geld zurückbezahlen.«

»Wie kann eine Sclavin sterben, weil sie die Mutter nicht bei sich hat!«

»Tschita würde es thun. Ich kenne sie. Sie mag ohne ihre Mutter nicht leben. Sie würde nicht allein von hier fortgehen.«

»Man wird sie zwingen.«

»Dann tödtet sie sich ganz gewiß. Sie hat es gesagt, und was sie sagt, das thut sie.«

»Das erschwert den Handel sehr.«

»Nicht so sehr, wie Du denkst. Es soll ja für die Mutter gar nichts bezahlt werden.«

»So ist sie wohl alt?«

»Nicht sehr, wohl aber unbrauchbar. Sie ist stumm.«

»Das ist gut. Ein Weib, welches nicht sprechen kann, hat doppelten Werth. Allah hat das gewußt, als er sie ohne Sprache schuf.«

»O, sie ist nicht stumm geboren. Man hat ihr die Zunge ausgeschnitten.«

Da ging ein blitzschnelles Zucken über das Gesicht des Derwisches; doch faßte er sich gleich wieder und sagte:

»Das thut man zuweilen dort, wo die Schwarzen wohnen. Die Mutter dieser Sclavin aber kann doch nicht etwa eine Negerin sein.«

»Nein. Sie ist eine Weiße.«

»Warum also hat man sie so verstümmelt?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht erfahren können.«

»Ist sie sonst brauchbar? Kann sie kochen, braten?«

Der Blick des Sprechers war mit Spannung auf den Händler gerichtet Dieser antwortete:

»Sie vermag leider keine Arbeit zu thun, da sie keine Hände hat. Auch diese sind ihr genommen worden.«

»Allah 'l Allah! Sie muß eine große Verbrecherin sein, da man sie zu einer solchen Strafe verurtheilt hat. Aber ihre Tochter gefällt mir, und so will ich dem Pascha rathen, auch die Mutter zu behalten. Er wird sich entschließen. Beide zu kaufen, wenn Du mir erlauben wolltest, ihm das Bild zu zeigen.«

»Du willst es mitnehmen? Ich kenne Dich nicht.«

»Willst Du Dich an Allah versündigen? Glaubst Du, daß ein Sohn meines heiligen Ordens Dich um ein Bild bestehlen werde?«

»Das glaube ich nicht. Kann ich erfahren, welcher Herr es ist, zu dem Du es bringen willst?«

»Ibrahim Pascha, der Sohn des Kurden Melek Pascha.«

»Den kenne ich. Er ist der Liebling des Sultans. Du sollst das Bild erhalten. Ali, der Eunuch, mag es Dir dahin tragen, wohin Du es haben willst, und es mir dann wieder bringen.«

Damit hatte der Besuch des Derwisches eigentlich ein Ende. Er hatte hier mehr gefunden, als er gesucht hatte, unendlich mehr; aber er vergaß trotzdem nicht, was ihn hergeführt hatte. Er meinte im Tone der Unbefangenheit:

»Der Prophet hat verboten, daß der Gläubige sich ein Bildniß seines Körpers und Gesichtes anfertigen lasse. Dieses Bild wird also vernichtet werden müssen.«

»Dann muß Ibrahim Pascha es bezahlen. Der Franke fertigt es mir nicht umsonst an.«

»Ich werde vielleicht mit diesem Maler sprechen. Kannst Du mir sagen, wo er wohnt?«

»Hart neben dem Inger Postan-Platz in Pera. Sein Wirth ist ein Grieche und heißt Miledas.«

»Ich werde ihn erfragen. Also gieb mir den Eunuchen mit. Vielleicht kommt der Handel schnell zu stände.«

Der Derwisch war ganz aufgeregt, nur daß er es sich nicht merken ließ. Er verzichtete darauf, den Weg zu Fuß zurückzulegen; das hätte sehr lange gedauert. Er nahm am nächsten Platze zwei Esel, einen für sich und einen für den Eunuchen, und ritt, so schnell ihnen der Treiber zu Fuße folgen konnte, über die Perabrücke hinüber nach Altstambul, wo Ibrahim Pascha seinen Palast hatte.

Der Pascha begleitete zwar kein directes Staatsamt; aber sein Vater war ein hoher Würdenträger gewesen. Das hatte man nicht vergessen, und so kam es, daß der Sohn sich in höheren Kreisen eines nicht unbedeutenden Einflusses rühmen konnte. Es war bekannt, daß er neben seinem großen Reichthum eine ganze Anzahl der schönsten Frauen besaß, um welche man ihn im Stillen beneidete.

Leider aber fühlte er sich nicht so glücklich, als man es hätte denken sollen. Und das hatte seine Gründe. Ueber einen dieser Gründe dachte er eben nach, als er allein in seinem Zimmer saß, das lange Rohr der Wasserpfeife in der Hand und vor sich das goldene Kaffeebret mit der kleinen Tasse von der ungefähren Größe eines halben Eies.

Er wurde gestört. Ein schwarzer Diener trat ein, neigte sein Haupt fast bis zur Diele herab und wartete nun der Anrede seines Herrn.

»Hund!« knurrte dieser. »Habe ich nicht gesagt, daß ich allein sein will! Soll ich Dich peitschen lassen!«

Zu seiner Entschuldigung nannte der Sclave einen Namen: »Osman, der Derwisch.«

Das finstere Gesicht des Herrn nahm sofort einen weniger grimmigen Ausdruck an.

»Was ist's mit ihm?« fragte er.

»Er bittet um die Gnade, Dein Angesicht sehen zu dürfen, Pascha.«

»Er mag hereinkommen. Aber horche nicht, Schakal, sonst lasse ich Dir die Ohren abschneiden!«

Der Schwarze ging und der Derwisch kam.

Der Letztere zeigte keineswegs die Demuth des Ersteren. Er hatte zwar draußen seine grünen Pantoffel ausgezogen, beugte sich aber nicht um einen Zoll aus seiner stolzen, aufrechten Haltung. Nur als er das verhüllte Bild, welches er in den Händen trug, gegen die Wand lehnte, mußte er sich bücken, keineswegs aber that er dies aus Unterwürfigkeit gegen den Pascha.

»Was bringst Du da?« fragte er.

»Eine Ueberraschung.«

»Weißt Du nicht, daß es für den wahren Gläubigen keine Ueberraschung giebt! Allah bestimmt die Schicksale des Menschen, und was er sendet, muß in Ruhe und Ergebenheit entgegengenommen werden.«

»Und doch sendet Allah zuweilen eine Gabe, welche der Mensch für unmöglich gehalten hätte.«

»Bei Allah ist Alles möglich. Also sag, was Du bringst.«

»Ein Bild.«

»Wie? Ein Bild? Bist Du ein Christ geworden?«

»Nein. Ein Christ hat es gezeichnet. Erlaubst Du, daß ich es Dir zeige, Herr?«

»Blicke Dich um! Darf ich hier ein Bildniß sehen, das Werk eines Ungläubigen?«

Er deutete nach den Wänden, deren himmelblauer Grund mit goldenen Koransprüchen verziert war. Der Islam erlaubt nur Arabesken, Ornamente und fromme Sprüche. Bilder verbietet er.

»Hältst Du mich für einen untreuen Anhänger des Propheten?« fragte der Derwisch. »Was ich Dir bringe, darfst Du betrachten. Ich will sehen, ob es für Dich wirklich keine Ueberraschung giebt. Blicke her!«

Er zog den Schleier von dem Bilde. Der Blick des Pascha fiel auf das Portrait. Er stieß einen lauten Schrei aus und sprang so hastig von seinem Kissen auf, daß er das Kaffeebret eine ganze Strecke weit von sich fortschleuderte und die kostbare Phiole der Wasserpfeife zerbrach.

»O Himmel! O Hölle!« stieß er hervor. »Sehe ich recht?«

»Kennst Du sie?« fragte Osman.

»Anna von Adlerhorst!«

»Sie ist es! Schweig! Das ist ihr Gesicht, ihr Mund, ihr goldenes Haar! Das ihre Augen, die wunderbaren Sterne, für deren Blick ich meine Seligkeit gegeben hätte, wenn er mir hätte leuchten mögen!«

»Und doch ist sie es nicht. Es ist das Bild ihrer Tochter.«

»Ihrer Tochter! Wie ist das möglich?«

»Könnte jenes deutsche Weib jetzt so sehen? Wäre sie jetzt so jung?«

»Nein, nein. Du hast Recht. Aber wie kann es ein Bild ihrer Tochter geben, hier in Stambul?«

»Ich kann es mir auch nicht erklären. Aber es ist dennoch sicher, daß diejenige, deren Bild Du hier erblickst, die Tochter derjenigen ist, welche Deine Liebe verachtete, und zugleich die Tochter des ungläubigen, deutschen Hundes, welcher Deinen Vater tödtete.«

»Ja, es muß so sein; es kann nicht anders sein. Das kann nur das Bildniß einer Ad – – einer verfluchten Adlerhorst sein. Aber wo ist das Original? Wo ist es?«

Der Derwisch weidete sich an dem Eindrucke, welchen das Portrait hervorgebracht hatte.

»Nun, Herr, giebt es Überraschungen?« fragte er.

»Ja, ja; das ist eine, und zwar eine große! Antworte!«

»Willst Du dieses Bild kaufen?«

»Ist es zu verkaufen?«

»Ja.«

»Dann kaufe ich es. Ich bezahle, was dafür gefordert wird, sogleich, sogleich!«

Er gab sich gar keine Mühe, seine Aufregung zu verbergen. Er bemerkte den höhnischen Blick des Derwisches nicht; er sah überhaupt nichts, nichts als das Bild.

»Es soll fünf Beutel in Gold kosten.«

»Fünf Beutel? Bist Du toll? Das sind fast neuntausend deutsche Thaler!«

»Vielleicht erhältst Du es auch für vier Beutel, wenn Du sofort bezahlst.«

»Ein Bild kann doch nicht so viel kosten!«

»Und doch sagtest Du, daß Du sogleich bezahlen werdest, was gefordert wird!«

»Konnte ich einen solchen Preis für möglich halten?«

»Allerdings nicht. Ich habe aber eine Beruhigung für Dich. So viel soll nämlich das Bild mit dem Originale kosten.«

»Mit dem Originale? Also ist es hier in Stambul?«

»Ja.«

»Meinst Du etwa eine Sclavin?«

»Eine tscherkessische Sclavin bei dem Händler Barischa, den Du ja auch kennst.

»Wie kommt die Tochter dieser – dieser – – als Sclavin nach der Stadt des Großherrn?«

»Das ist ein Geheimniß, welches wir wohl noch ergründen werden. Sie soll verkauft werden, und zwar nebst diesem Bilde und ihrer Mutter.«

»Ihrer Mutter?« fragte der Pascha, indem er vor Erstaunen einen Schritt zurückwich. »Ist Anna da?«

»Anna?« lachte der Derwisch in fast diabolischer Weise. »Du nennst sie Anna! War sie so sehr Deine Freundin?«

»Nein, nein! Aber antworte!«

»Ja sie ist da, stumm und ohne Hände.«

»O Allah! Hast Du sie gesehen?«

»Nein. Sie soll mich nicht eher sehen, als bis sie sich in unserer Gewalt befindet. Dann wird ihr Entsetzen um so größer sein.«

»Wie aber bist Du auf den Gedanken gekommen, zu dem Verkäufer der Sklavinnen zu gehen?«

»Ich folgte einem Engländer, welcher bei Barischa war. Der Mensch sah schrecklich aus. Seine ganze Kleidung bestand aus viereckigen grauen und schwarzen Flecken, und er hieß auch Adlerhorst.«

»Wie? Ein Engländer hatte diesen deutschen Namen?«

»Er hatte ihn in englischer Sprache. Ein Dolmetscher erklärte es mir. Durch diesen Namen wurde ich aufmerksam gemacht und ging hinter ihm her.«

Er erzählte nun das ganze Erlebniß. Der Pascha hörte dem Berichte mit größter Aufmerksamkeit zu und sagte dann im Tone des Eifer:

»Ich kaufe sie; ich kaufe sie natürlich! Ich werde sogleich zu dem Händler reiten, obgleich ich keine Zeit habe; denn ich muß hinüber nach dem Kirchhof – – ah, das weißt Du noch gar nicht. Ich muß Dir auch ein Bild zeigen.«

»Wie? Auch Du hast Bilder?«

»Ein einziges.«

»Du, ein gläubiger Moslem!«

»Ich brauche es heut noch um den Mann zu erkennen; dann verbrenne ich es oder lasse es ihm heimlich wieder in seine Wohnung legen, damit er nicht bemerkt, daß es weg gewesen ist. Die Schickungen Allah's sind wunderbar. Hier ist das Bild; ich trage es bei mir. Kennst Du den Mann?«

Er zog eine Photographie aus der Tasche und hielt sie dem Derwische vor die Augen. Jetzt ging es dem Letzteren genau so, wie vorhin dem Pascha. Er wich zurück und rief im Tone des Erschreckens:

»Alban von Adlerhorst! Den sendet der Teufel!«

»Ist er es?«

»Ja.«

»Nein!«

»Ja doch! Er ist es!«

»Er ist es nicht. Könnte dieser Mensch jetzt so jung sein?«

»Nein. Du hast Recht! Uebrigens ist er ja todt.«

»Ja; er ist zur Hölle gefahren und zu allen Geistern der Verdammniß. Fluch über ihn!«

»So ist dieser hier sein Sohn!«

»Ich denke es auch. Aber er trägt einen anderen Namen.«

»Das ist leicht möglich. Wo ist er?«

»Hier in Stambul.«

»So möge uns Allah beschützen!«

»Er weiß ja nichts von uns.«

»Wie kamst Du zu diesem Bilde?«

»Ich habe es mir stehlen lassen. Das Original wird heut noch im Gefängnisse sitzen, und ich werde Sorge tragen, daß dieser Hund die Freiheit nie wieder erblickt.«

»Warum?«

»Er hat es auf meinen Harem abgesehen.«

»Was sagst Du? Ist das die Wahrheit?«

»Ja. Vor Kurzem fuhren einige meiner Frauen mit ihren Freundinnen nach dem Thale der süßen Wasser. Dort gingen die Thiere des Wagens durch, in welchem Zykyma, mein Lieblingsweib, saß. Ein Franke kam dazu und hielt die Stiere an. Sie reichte ihm die Hand zum Danke, die er küßte.«

»Das hat das Weib eines Pascha gethan, eines rechtgläubigen Anhängers des Propheten?«

»Ja,« antwortete der Pascha grimmig. »Du warst dabei, als ich Zykyma kaufte. Du hast sie nicht gesehen. Sie ist die Krone meines Harems; aber sie ist ein Teufel. Ich darf sie nicht berühren.«

»Das soll ich glauben, Herr?«

»Es ist so. Ein Mann darf nicht von seinen Frauen sprechen; aber Du bist mein Helfer und Vertrauter; Du kannst es wissen und wirst darüber schweigen. Zykyma hat einen kleinen Dolch, dessen Spitze vergiftet ist. Damit wehrt sie mich ab. Es soll sie nie im Leben ein Mann berühren.«

»Nimm ihr den Dolch!«

»Kann ich? Ich darf es nicht wagen, meine Hand nach demselben auszustrecken. Der kleinste Riß mit der Spitze, nur in die Haut, genügt, daß der Getroffene in wenigen Sekunden todt zur Erde fällt. Dieser Dolch stammt von einer Insel, auf welcher wilde Menschen leben, weit jenseits des Landes Indien noch.«

»So befiehl Anderen, ihr die Waffe abzunehmen!«

»Ich habe es befohlen; aber keiner der Verschnittenen und keine der Dienerinnen hat den Muth, diesem Befehle zu gehorchen. Ich habe sie peitschen lassen, vergebens. Sie lassen sich lieber todtschlagen, als daß sie an dem fürchterlichen Gifte sterben wollen –«

»Man mag warten, bis sie schläft!«

»Da kann Niemand zu ihr. Sie schließt sich ein. Sie ist die Tochter eines Häuptlings; sie ist einmal in der Hauptstadt der Russen gewesen und hat da Vieles gesehen, was die Frau eines Moslem eigentlich nicht gesehen haben sollte. Darum hat sie auch diesem fremden Hunde ihre Hand gereicht und sie sich küssen lassen. Der Hund soll in alle Höllen stürzen! Ich erfuhr es wieder und wurde aufmerksam. Sie ist schön, sehr schön. Sie kann einen Franken verführen. Sie ging nach dem Bazar der Musselinweber und traf mit ihm bei einem Händler zusammen. Ich hatte sie beobachten lassen. Sie durfte nicht wieder fort. An ihrer Stelle aber schickte ich meinen weißen Verschnittenen nach dem Bazar. Ich sann darüber nach, warum der Fremde mein Weib wieder erkannt haben mochte. Er hatte nur ihre Hand gesehen; an dieser nur konnte er sie erkennen, also an dem Ringe, den sie trug. Ich fand einen Vorwand, ihn ihr abzufordern, und steckte ihn dem Verschnittenen an. Es gelang. Der Fremde hat sich überlisten lassen und ist zu einem Stelldichein mit Zykyma verführt worden. Er kommt zwei Stunden vor dem Untergange der Sonne nach dem Kirchhof von Mewlewi Hane, wo ich ihn ergreifen lassen werde. Die Polizisten sind bereits dort.«

»Ihm geschieht sein Recht. Er darf keine Gnade finden. Wie aber hast Du sein Bild erlangt?«

»Ich hatte befohlen, ihm zu folgen. Ich wollte natürlich seine Wohnung erfahren. Ich erfuhr sie und bestach den Wirth, welcher ihm heimlich das Bild wegnahm. Der Wirth ist ein Grieche und heißt Miledas.«

»Wie? Miledas? Wohnt er etwa in der Nähe von Inger Boston?«

»Ja, ganz nahe dabei.«

»Welch ein Zusammentreffen! Dort wohnt auch der Maler, welcher dieses Bild gefertigt hat.«

»Allah! Ein Maler wohnt bei ihm, das weiß ich. Er nennt sich Wallert und der Maler heißt Normann; das sind zwei deutsche Namen. Ob Bruder und Schwester von einander wissen?!«

»Nein.«

»Wie vermuthest Du das?«

»Der Bruder würde sie sofort den Händen des Händlers entreißen. Weißt Du überhaupt, ob er selbst seinen eigentlichen Namen kennt?«

»Er kennt ihn, darf ihn aber nicht nennen. Aber die Zeit vergeht. Sprechen wir später noch darüber. Jetzt eile ich zu dem Händler, um die Sclavin zu kaufen. Ich werde satteln lassen. Geh Du voraus, ihm zu sagen, daß ich komme.«

»Soll ich dort bleiben, bis Du kommst?«

»Ja. Du sollst ja aufmerken, daß Alles in Ordnung verläuft. Der Händler wird die Tochter mit der Mutter hinausschaffen in mein Haus am Wasser. Du folgst ihnen unbemerkt, um zu sehen, ob Beide richtig abgeliefert werden. Dann begleitest Du ihn hierher, um Zeuge zu sein, daß er das Geld erhält. Jetzt geh!«

»Und das Bild?«

»Das bleibt hier!«

Der Derwisch entfernte sich. Als er fort war, trat der Pascha an das Porträt, betrachtete es einige Zeit und murmelte dann vor sich hin:

»Anna von Adlerhorst! Ich trug einen Himmel im Herzen. Du schufst eine Hölle daraus. Ich habe mich gerächt, fürchterlich gerächt. Der Schluß meiner Rache aber soll jetzt erst kommen: Du sollst Zeugin sein, wie Deine Tochter, Dein Ebenbild, meine Sclavin ist und mir die Liebe geben muß, die Du mir versagtest!«

Er hüllte das Bild wieder ein und gab dann die nöthigen Befehle. Einer der Diener mußte hinaus nach dem Hause an den Bächen, damit man sich dort auf den Empfang der neuen Sclavin vorbereite.

Als er dann bei Barischa von dem Pferde stieg, empfing dieser ihn mit sklavischer Unterwürfigkeit.

»Hat der Derwisch Dir gesagt, was ich will?« fragte er.

»Ja, o Pascha. Möge Dein Auge Wohlgefallen finden an der Blume, welche Du pflücken willst!«

»Weiß sie bereits von mir?«

»Kein Wort.«

»Sie darf auch nichts wissen. Sie würde Dir vielleicht nicht gehorchen. Wenn sie mir gefällt und ich sie kaufe, so hast Du sie und ihre Mutter an den Ort ihrer Bestimmung zu schaffen, den der Derwisch Dir beschreiben wird. Du lockst sie hinaus, indem Du zu ihnen sagst, Du würdest sie nach dem Thale der süßen Wasser spazieren fahren. Auf diese Weise umgehst Du alle Schwierigkeiten, welche sie Dir machen könnten. Auch verbiete ich Dir, irgend einem anderen Menschen zu sagen, wer sie gekauft hat.«

»Dürfen es die anderen Sklavinnen erfahren?«

»Nein.«

»Aber mein Eunuch wird es erfahren.«

»Auch er darf es nicht wissen. Ich befehle es! Jetzt nun will ich sie sehen.«

Er wurde in das Zimmer geführt, wo der Maler zu arbeiten pflegte, und der Eunuch holte Tschita. Als der Pascha das schöne Madchen erblickte, konnte er sein Entzücken kaum bemeistern.

»Sie ist schöner, tausendmal schöner, als ihre Mutter war!« dachte er.

Bei der Mühe, welche er sich gab, gelang es ihm, kalt zu erscheinen. Er schüttelte abweisend den Kopf und sagte, so daß sowohl Tschita als auch der Eunuch es hören konnten:

»Man hat sie mehr gelobt, als sie verdient. Ich kann sie nicht gebrauchen.«

Dann ging er. In dem vorderen Zimmer aber blieb er bei dem Händler stehen und sagte:

»Höre meinen Willen! Ich gebe Dir vier Beutel in Gold für das Mädchen und einen Beutel in Silber für das Bild, keinen Para mehr. Im anderen Falle magst Du versuchen, ob der Padischah Dich bezahlt. Willst Du?«

»Wann erhalte ich das Gold?«

»Sogleich, nachdem Du die beiden Frauen abgeliefert hast. Der Derwisch wird Dich zu mir begleiten, wo das Geld schon jetzt bereit liegt.«

»So nimm sie hin, Herr! Du wirst niemals ein Weib sehen, welches schöner ist als dieses Mädchen.«

Somit war der Handel abgeschlossen. Der Pascha überließ sein Pferd dem Derwisch und begab sich an das Ufer, um sich in einem Kaik nach der andern Seite übersetzen zu lassen, wo Wallert gefangen genommen worden war. Er kam dort noch vor demselben an.

Der alte Mädchenhändler hatte ein sehr gutes Geschäft gemacht. Er freute sich darüber, verbarg jedoch diese Freude, als er zu Tschita zurückkehrte. Er machte vielmehr ein zorniges Gesicht, indem er sagte:

»Jetzt konntest Du einen vornehmen Herrn erhalten und die Gebieterin eines hohen Pascha werden. Aber Du machst ein Gesicht, daß er sofort zurück geschreckt ist. Bist Du krank?«

»Nein.«

»Und doch bist Du krank. Deine Wangen sind blaß. Hast Du Schmerzen?«

»Nirgends.«

»Um so schlimmer. Wenn man blaß ist und trübselig, ohne wirkliche Schmerzen zu empfinden, so ist es sehr gefährlich. Ich glaube, Du mußt Luft und Sonnenschein haben. Hast Du einmal vom Thale der süßen Wasser gehört?«

»Wo die Frauen spielen?« fragte sie rasch.

»Ja, den Ort meine ich.«

»Ich habe von ihm gehört.«

»Möchtest Du einmal hin?«

»O, gern, so gern!«

Ihre Augen strahlten vor Entzücken.

»Nun so will ich einen Wagen miethen. Du sollst hinausfahren.«

»Heut? Jetzt, Herr?«

»Ja, jetzt sogleich.«

»Allah danke es Dir! Wer fährt noch mit?«

»Niemand. Die Andern sind nicht krank.«

»O, Eine ist doch krank, sehr krank, nämlich meine Mutter. Willst Du nicht die Gnade haben, zu erlauben, daß ich sie mitnehmen darf?«

»Ich will Dir die Freude machen, hoffe aber, daß Du um so munterer bist, wenn wieder ein Käufer kommt.«

Das gab natürlich eine außerordentlich freudige Aufregung. Der Eunuch ging, um eine Araba zu bestellen, einen zweirädrigen Wagen, von Ochsen gezogen, in welchen Mutter und Tochter stiegen, ohne zu ahnen, daß sie nicht wieder zurückkommen würden.

Die Vorhänge des Wagens wurden fest zugezogen. Niemand sollte die kostbare Perle sehen, welche er enthielt. Der Händler schritt nebenher und der Derwisch kam in einiger Entfernung stolz hinterher geritten, gefolgt von den erstaunten Blicken der ihm Begegnenden, die noch nie in ihrem Leben einen Derwisch vom Orden der Heulenden auf einem so guten und kostbar gesattelten Pferde gesehen hatten.

Der Weg ging durch Sankt Dimitri und Piali Pascha. Als sie den letzteren Stadttheil hinter sich hatten, ritt Osman voran. Er wollte der Erste sein, der Mutter und Tochter empfing und sich an dem Schrecke der Beiden weiden konnte.

Der Bote des Pascha war bereits dagewesen und die Haremsdienerinnen hatten Alles zum Empfange bereit gemacht. Kurze Zeit darauf knarrte der Wagen zum geöffneten Thore herein und hielt in dem Hof.

»Steigt aus!« gebot der Händler. »Wir sind an Ort und Stelle.«

Das ganze, dem Pascha gehörige Grundstück bildete ein spitzwinkeliges Dreieck, an dessen beiden langen Seiten die zwei Bäche flossen, die sich in dem spitzen Winkel vereinigten. Hart am Wasser, also von diesem bespült, hoben sich die wohl sechs Ellen hohen, starken Mauern empor. In derjenigen Mauer, welche die dritte Seite bildete und also von dem einen bis zum andern reichte, befand sich das Eingangsthor, aus starkem, mit Eisen beschlagenem Holze gearbeitet und mit schweren Riegeln und Schlössern versehen.

Durch dieses Thor gelangte man in den Hof und von diesem aus in das Gebäude, hinter welchem dann der dreieckige Garten lag, der mit schattigen Bäumen bepflanzt und mit schön blühendem Buschwerk verziert war.

Also in diesem Hofe hielt der Wagen. Die beiden Frauen stiegen aus. Tschita blickte sich befremdet um und sagte zu dem Händler:

»Ich denke, wir fahren nach dem Thale der süßen Wasser?«

»Ja, das thun wir auch,« antwortete er unter einem befriedigten Lächeln.

»Das kann doch hier nicht sein!«

»Nein. Ich habe Euch vorher hierhergebracht, um Euch zu Frauen zu führen, welche mitfahren werden. Seht dort den Mann! Folgt ihm hinauf in die Gemächer. Er wird Euch die Frauen zeigen, welche mitfahren werden. Ich warte hier, bis Ihr wieder kommt.«

Das beruhigte das Mädchen. Sie nickte ihrer Mutter aufmunternd zu und wendete sich mit ihr nach der Thür, unter welcher der erwähnte Mann stand.

Er hatte ein hageres, keineswegs Vertrauen erweckendes Gesicht und in seinem Gürtel steckte eine Peitsche, das sichere Zeichen, daß er hier eines vorragenden Amtes waltete. Er betrachtete die Nahenden mit scharfen Augen, trat zur Seite, um sie einzulassen und sagte:

»Ich bin der Stellvertreter des Pascha, der Verwalter dieses Hauses. Ihr habt Euch das zu merken!«

Das fiel Tschita auf. Sie antwortete:

»Das geht uns nichts an. Wir haben mit Dir nichts zu schaffen. Wo sind die Frauen, welche wir besuchen sollen?«

»Folgt mir!«

Sein Gesicht hatte während ihrer Worte einen schadenfrohen Ausdruck angenommen. Er wendete sich kurz um und schritt mit ihnen voran, durch einen Gang, welcher nach einem Innenhof führte. In der Mitte desselben befand sich ein Wasserbassin, von steinernen Sitzen umgeben. Der Hof wurde nicht durch Mauern, sondern durch einen viereckigen Säulengang gebildet, auf welchem das Stockwerk ruhte. Die mit dichten Holzgittern versehenen Fensteröffnungen bewiesen, daß sich da die Frauengemächer befanden.

Es befand sich kein Mensch in dem Hofe. Der Mann führte sie über denselben hinweg nach einer schmalen Holztreppe, welche nach oben führte. Dort öffnete er eine Thür und trat mit ihnen ein. Da stand ein dicker Neger mit fettem, schwammigem Gesichte und außerordentlich wulstigen Lippen, der sich vor dem Manne verneigte. Der Letztere deutete mit der Hand auf ihn und sagte:

»Das ist Omar, von jetzt an Euer Wächter, welchem Ihr zu gehorchen habt. Er wird mir berichten, ob er mit Euch zufrieden ist.«

Tschita blickte ihn durch die Schleieröffnung erstaunt an.

»Unser Wächter?« fragte sie. »Dem wir zu gehorchen haben? Höre ich recht?«

»Ich wiederhole mein Wort nie. Wenn Ihr noch nicht wißt, woran Ihr seid, so kommt hier Einer, der es Euch sagen wird.«

Er deutete nach einer Thür, durch welche in diesem Augenblicke der Derwisch eintrat. Er hatte die Worte des Verwalters gehört und sagte zu dem Mädchen:

»Wie es scheint, hat Euch Barischa noch gar nicht gesagt, weshalb Ihr Euch hier befindet?«

Sie erkannte in ihm Den, welcher heute bei dem Händler gewesen war und ihr Zusammensein mit dem Maler gestört hatte. Hatte sie schon aus diesem einen Grunde keine Veranlassung, ihm wohlgesinnt zu sein, so machte der lauernde, höhnische Ausdruck seines Gesichtes einen doppelt unangenehmen Eindruck auf sie.

»Er hat es mir gesagt,« antwortete sie.

»Es scheint nicht so.«

»Wir sollen hier Frauen abholen, um mit ihnen nach dem Thale der süßen Wasser zu gehen.«

»So hat er Euch getäuscht. Ihr werdet nicht an die Wasser gehen, sondern hier bleiben. Dieses Haus gehört dem mächtigen Ibrahim Pascha, welcher Euch gekauft hat.«

»Gekauft – – –?« hauchte sie, im höchsten Grade erschrocken.

»Ja. Das mußt Du doch wissen. Er war vorhin bei Dir, um Dich anzusehen.«

»Der! Ich habe ihm doch nicht gefallen!«

»Das war Scherz. Ihr werdet von jetzt an hier wohnen.«

»O Allah!«

Sie lehnte sich an die Wand, um nicht zusammenzubrechen. Dieser Schlag kam so unvorbereitet, so ungeahnt, daß er sie mit doppelter Stärke traf. Ihre Mutter trat schnell zu ihr und zog sie an sich.

»O Mutter, Mutter!« erklang es trostlos.

Die Angeredete konnte kein Wort des Trostes, der Beruhigung sagen; ihr fehlte ja die Zunge. Sie ließ einen rauhen, unartikulirten Laut hören, welcher wohl als ein Ton des Mitleids gelten sollte.

Der Derwisch trat an sie heran und bohrte den Blick in die Schleieröffnung der Bedauernswerthen, als ob er durch diese dichte Hülle sehen wolle und sagte:

»Alte, Du wirst Dich nicht wundern, daß ich Euch hierher gebracht habe. Du kennst ja Ibrahim Pascha, welcher damals noch Ibrahim Effendi genannt wurde.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Lüge nicht!«

Sie schüttelte abermals.

»Du lügst. Gestehe wenigstens, daß Du mich kennst!«

Sie gab dasselbe verneinende Zeichen.

»Oh, ich verstehe Dich! Du willst mir den Triumph der Rache verkürzen. Du bist schlau, aber Deine Schlauheit hilft Dir nichts. Meine Rache ist doch gelungen.«

Und zu dem Verwalter und dem Neger gewendet, fügte er hinzu:

»Dieses alte Weib ist voller Bosheit und Tücke. Gebt ihr nicht nach: verwöhnt sie nicht durch unzeitige Nachsicht. Laßt ihr die Peitsche fühlen, wenn sie widerstrebt!«

»Ungeheuer!« rief Tschita.

»Schimpfe immer!« lachte er. »Grad dieser Zorn beweist mir, daß mein Pfeil getroffen hat. Ich werde Euch wohl nicht mehr wiedersehen, denn Ihr tretet in den Harem ein; aber ich bin überzeugt, daß Ihr sehr oft an mich denken werdet. Lebt Beide wohl!«

Er ging, der Verwalter mit ihm. Draußen klirrten die Riegel vor der Thür. Die Beiden waren eingeschlossen.

.

»O Gott, o Gott! O Allah!« weinte Tschita, indem sie den Kopf an die Brust der Mutter legte.

Diese zog die Tochter mit ihren verstümmelten Armen noch inniger an sich. Der Schwarze aber öffnete eine andere Thür, deutete da hinein und sagte mit einer fetten, quiekenden Stimme:

»Geht! Ich werde Euch Eure Gemächer anweisen!«

Als sie diesem Befehle nicht sofort folgten, zog er die Peitsche, welche auch er im Gürtel hatte, schwang sie drohend und warnte:

»Gehorcht sofort, sonst folgt sogleich die Strafe.«

Da wankten die Beiden hinaus in den Gang, auf welchen die Thür führte. Der Schwarze schob sie weiter und weiter bis in ein Zimmer, in welchem sich nichts befand als einige an den Wänden liegende Kissen.

»Hier habt Ihr zu warten, bis ich Euch weiter bringe,« sagte er. »Nehmt die Schleier fort. Ich muß Euch betrachten, damit ich Euch kennen lerne.«

Sie gehorchten. Als er das schöne Angesicht des Mädchens erblickte, zog ein unendlich widerliches, fast thierisches Grinsen über sein Gesicht. Er legte ihr die Hand an das Kinn und sagte:

»Du bist hübsch, sehr hübsch. Wenn Du dem Pascha gern gehorchst und Dir mein Wohlgefallen erwirbst, wirst Du vielleicht das ganze Haus beherrschen. Lege auch den Mantel ab!«

Jetzt wendete er sich zu der Mutter. Das Gesicht derselben war von Blatternarben zerrissen.

»Welch ein Contrast!« rief er aus. »Wenn der Gebieter Dich erblickt, wird er vor Schreck krank werden und ich erhalte die Bastonnade. Er darf Dich gar nicht sehen. Ich muß Dich verbergen und werde Dir in einem andern Theile des Hauses eine Kammer zur Wohnung geben. Du gehörst nicht dahin, wo die Schönheit und die Liebe herrscht. Folge mir!«

Er wendete sich nach der Thür.

»Halt!« sagte Tschita. »Sie ist meine Mutter!«

»Das weiß ich!«

»Ich trenne mich nicht von ihr!«

»Du wirst gehorchen. Vorwärts, Alte!«

Tschita legte beide Arme um die Mutter und rief:

»Sie bleibt hier oder ich gehe mit!«

»Du bleibst und sie geht! Siehst Du die Peitsche?«

»Du wirst es nicht wagen, zu schlagen!«

»Ich werde schlagen. Noch bist Du nicht die Lieblingsfrau des Pascha. Du bist keine Gebieterin, sondern eine Sclavin, welche ich züchtigen darf. Ihr werdet also Beide die Peitsche schmecken, wenn Ihr nicht gehorcht. Ihr habt gehört, was der Derwisch sagte. Also Du magst Dich hier niedersetzen und vorwärts mit der Alten!«

Er streckte die Hand nach der Mutter aus, welche aber vor ihm zurückwich. Da riß er ihr den Mantel vom Leibe, damit er besser zielen und treffen könne und holte mit der Peitsche zum Schlage aus.

Das war für Tschita zu viel. Ihre Mutter mißhandeln lassen? Nein! Ein furchtbarer Zorn bemächtigte sich ihrer; sie fühlte einen ungeahnten Muth in sich und warf sich auf den Eunuchen.

»Katze! Willst Du beißen?«

Mit diesen Worten stieß er sie von sich und richtete die Peitsche nun gegen sie, kam aber nicht dazu, den Hieb auszuführen, denn unter der Thür erschien Hilfe: Zykyma, welche mit einem raschen Schritte herbeitrat, von ihm unbemerkt und ihm von hinten die Peitsche aus der Hand riß.

»Hund, Du willst schlagen?« herrschte sie ihn an. »Das sollst Du bleiben lassen! Hier, nimm selbst!«

Er hatte sich zu ihr umgewendet und erhielt in diesem Augenblicke einen solchen Hieb über das Gesicht, daß er einen lauten Schmerzensschrei ausstieß und, die Hände an die getroffene Stelle haltend, gegen die Wand taumelte. Dort blieb er stehen, ohne ein Wort zu wagen.

Zykyma machte in ihrer Schönheit, welche durch ihre gegenwärtige gebieterische und drohende Haltung noch hervorgehoben wurde, einen mächtigen Eindruck auf die beiden Bedrängten.

Sie war eines jener dunklen, üppigen Wesen, welche nur im Orient geboren werden können. Wie sie so da stand, ganz in rothe Seide gekleidet, das aufgelöste, reiche Haar über die Schultern herab fast bis auf den Boden wallend, mit blitzenden Augen und hoch erhobener Peitsche, schien sie zur Königin geboren zu sein.

Ihre feinen, rosig angehauchten Nasenflügel zitterten unter der Erregung des Augenblickes; ihre Lippen hatten sich leise geöffnet, um die kleinen, schmalen, leuchtenden Zähnchen durchblicken zu lassen, und das eine, außerordentlich niedliche, nackt in einem seidenen Pantöffelchen steckende Füßchen war drohend vorgeschoben, als wolle sie sich auf den Neger werfen.

»Hat er Euch bereits geschlagen?« fragte sie mit ihrer kräftigen, aber ungemein wohlklingenden Stimme.

»Noch nicht; er wollte,« antwortete Tschita.

»Seid Ihr die beiden Neuen?«

»Das weiß ich nicht. Wir kamen hierher, um Frauen zur Spazierfahrt abzuholen. Da hörten wir, daß Ibrahim Pascha mich gekauft habe.«

»So seid Ihr es. Warum antwortet die Andere nicht?«

»Sie kann nicht. Man hat ihr die Zunge herausgeschnitten.«

»O Allah! Und was sehe ich da! Sie hat keine Hände!«

»Man hat sie ihr abgeschnitten. Sie ist meine Mutter.«

Ein unendliches Mitleid glänzte aus Zykyma's Augen, als sie auf die Verstümmelte zutrat, ihr die Hand auf die Schulter legte und dabei sagte:

»Habe keine Angst mehr! Du stehst unter meinem Schutze. Du Arme! Man ist grausam gegen Dich gewesen, grausamer als Panther und Tiger sind. Und dieser Feigling wollte Dich schlagen? Ah, er soll sofort den Lohn erhalten!«

Zwei rasche Schritte zum Neger hin. Sie holte aus, und Hieb um Hieb sauste und klatschte auf ihn nieder, ohne daß er es wagte, zu fliehen oder Widerstand zu leisten.

»So,« sagte sie dann. »So wird es Dir stets ergehen, wenn Du es wagst, Eine dieser Beiden nur mit einem Worte zu beleidigen. Du bist weder Mann noch Weib, sondern nur ein feiges, verächtliches Geschöpf. Du wagst Dich nur an Schwache und Wehrlose, armseliger Sklave eines ebenso armseligen Herrn. Wer hat Dir befohlen, gegen diese Beiden die Peitsche zu gebrauchen?«

»Der Derwisch und der Verwalter,« wimmerte er.

»So werde ich mit diesem Letzteren ein ernstes Wort reden. Sage ihm, daß er sich vor mir in Acht nehmen soll. Wo werden diese meine Freundinnen wohnen?«

»Drüben auf der vorderen Seite des Hofes.«

*


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