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4

»Nein, das gebe ich nicht zu. Sie werden hier bei mir wohnen. Sie stehen unter meinem Schutze.«

»Der Pascha hat so befohlen.«

»Der Pascha? Was geht mich sein Wille an? Du magst vor ihm im Staube kriechen, armseliger Wurm; ich aber thue es nicht. Bist Du auf ihren Empfang vorbereitet?«

»Ja. Die neue Sclavin soll ein Bad nehmen und sich Kleider auswählen; dann wird der Pascha kommen, sie zu begrüßen.«

»Sie wird das Bad bei mir nehmen. Sie mag sich kleiden und schmücken. Bringe Alles zu mir, sogleich!«

Er zögerte. Da erhob sie abermals die Peitsche.

»Gehorchst Du oder nicht?«

»Der Herr wird mir zürnen und mich strafen!«

»Das ist Dir zu gönnen! Nimm die Bastonnade hin und lecke ihm dafür dankbar die Hand! Jetzt aber eile!«

Er schlich sich wie ein ertappter Sünder von dannen. Zykyma ergriff jetzt Tschita bei der Hand und sagte:

»Kommt! Ich will Euch zu mir führen. Ich besitze die ganze Seite dieses Hauses und habe genug Raum für Euch übrig.«

Sie führte sie in ein nach orientalischer Weise prächtig eingerichtetes Frauengemach. Beide mußten sich neben einander auf einen seidenen Divan niederlassen, während die schöne Wirthin sich mit untergeschlagenen Beinen auf ein niedriges Kissen setzte. Sie hatte die Peitsche noch immer in der Hand.

»Ihr werdet glauben, daß ich ein recht böses, schlimmes Wesen sei,« sagte sie, vergnügt lächelnd, »aber Ihr werdet mich besser kennen lernen. Wo man die Männer zu Weibern macht, da müssen die Frauen zu Männern werden. Wie ist Dein Name?«

»Tschita.«

»Das heißt Blume. Ja, eine Blume bist Du, eine schöne, süß duftende Blume. Es ist, als sei die Sonne über Dich hinweggegangen und habe ihre schönsten und wärmsten Strahlen bei Dir zurückgelassen. Dein Auge ist dasjenige des Himmels, wenn er keine Wolke hat. Ich fühle, daß ich Dich lieb haben werde. Wir sind jetzt allein. Der Neger wird in den Kleidern wühlen und lange Zeit brauchen, das Passende auszuwählen. Kein Mensch hört uns. Darum wollen wir einander mittheilen, was uns zu wissen noth thut. Hattest Du bereits einen Herrn?«

»Nein.«

»Hast Du den Pascha gesehen?«

»Ja. Er war bei dem Händler, mich zu betrachten.«

»Hast Du Wohlgefallen an ihm gefunden?«

»O nein! Ich – ich – ich – hasse ihn!«

Sie stieß das mit plötzlicher Leidenschaftlichkeit hervor, während ihre Augen sich mit Thränen füllten.

»Hat er Dich beleidigt?«

»Nein; aber – aber –«

Sie hielt erröthend inne. Was Sie hatte sagen wollen, das durfte sie ja nicht aussprechen. Zykyma hielt ihre dunklen Augen prüfend auf Tschita gerichtet und sagte dann unter einem siegesgewissen Lächeln:

»Ich habe Dich erst seit Minuten gesehen und der Worte, welche wir gesprochen haben, sind nur wenige, aber ich kenne Dich dennoch bereits. Willst Du aufrichtig mit mir sein?«

»O, gern!«

»Du liebst?«

Tschita blickte auf, zögerte zu antworten, schlug dann die Hände vor das Gesicht und brach in ein herzbrechendes Schluchzen aus. Das war ihre einzige Antwort.

Die Stumme legte die verstümmelten Arme um sie und zog sie an sich; auch ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Zykyma fragte jetzt nicht weiter. Sie benagte die Unterlippe mit den kleinen Zähnchen, als ob auch sie einen Schmerz zu verbeißen hätte. Plötzlich sprang sie von ihrem Sitze auf und trat an das Gitterwerk, um lange und lautlos hinaus in den stillen, einsamen Garten zu blicken, auf welchen sich bereits die Schleier der Dämmerung niederzusenken begannen.

Dann drehte sie sich wieder in das Zimmer zurück, schlug mit der Peitsche durch die Luft, als ob sie irgend eine Person treffen wolle, und sagte:

»O Allah, ich zürne Dir, obgleich ich nur eins Deiner Geschöpfe bin! Warum läßt Du so viele, viele Unglückliche geboren werden! Du bist nicht so gütig, wie in den Büchern steht!«

Sie schleuderte die Peitsche in den Winkel, setzte sich neben Tschita auf den Divan, ergriff ihre Hände und bat in liebevoll flüsterndem Tone:

»Sage mir, daß Du meine Freundin, meine Schwester sein willst!«

»Soll ich denn?«

»Ja, Du sollst. Ich wünsche es, ich bitte Dich darum! Du bist noch in keinem Harem gewesen?«

»Nie.«

»So weißt Du nicht, was ein Harem ist. Ein Harem ist eine Hölle für das Weib, welches ein Herz im Busen trägt. Im Harem herrscht die elendeste Knechtschaft, im Harem gähnt der fürchterlichste Tod, das Elend, das Unglück, der Jammer grinst Dir aus allen Ecken und Winkeln entgegen. Im Harem gebietet ein Mensch, dem Dein Leib gehört, während Deine Seele nach Freiheit schmachtet. Im Harem – o, was soll ich sagen! Es ist ja nicht zu sagen. Aber als der Prophet von den Stufen der Hölle sprach, kannte er die entsetzlichste Tiefe der Verdammniß noch nicht. Der tiefste Winkel derselben heißt – Harem.«

Sie schwieg. Ihr Busen wogte und ihr Athem ging hörbar.

»Bist auch Du unglücklich?« fragte Tschita.

»Unglücklich und elend wie keine Andere. Aber ich bin nicht gemacht zum stillen Dulden, zum ergebenen Leiden. Ich widerstrebe, ich wehre mich, ich vertheidige mich. Man hat mich verkauft, verschachert; aber ich bin dennoch Herrin geblieben. Ich herrsche hier, ich bin Gebieterin und alle die elenden Sclaven zittern vor mir. Das wird so sein und so bleiben, bis –«

Sie brachte ihren Mund nahe an Tschita's Ohr und fuhr leiser fort:

»Bis ich frei bin. Ich bleibe nicht hier.«

»Um Gott! Willst Du fliehen?«

»Ja. Ich sage es Dir. Und nun verrathe mich!«

»Verrathen? Nein, o nein! Nimm mich mit, o, nimm mich mit! Ja, laß uns Freundinnen, Schwestern sein! Ich bin so unglücklich, daß ich sterben möchte!«

»Sterben? Nein, das werden wir nicht. Mein Leben ist in Elend getaucht, aber es ist dennoch zu kostbar, als daß ich es nicht vertheidigen möchte. Wo bist Du geboren?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie? Du weißt es nicht? Das kann ich nicht glauben.«

»Es ist dennoch so. Ich habe meine Heimath nie gekannt.«

»Von woher bist Du nach Stambul gekommen?«

»Von jenseits des Meeres.«

»Welches Meeres? Es giebt Meere mit verschiedenen Namen.«

»Ich weiß es nicht. Ich lebte mit der Mutter in einem kleinen Dorfe. Wir waren nicht immer da gewesen. Ein finsterer, strenger Mann gab uns zu essen und zu trinken. Dann kam ein Schiff und brachte uns hierher.«

»Konntest Du nicht von Deiner Mutter erfahren, wo Ihr früher gewesen waret?«

»Nein. Sie kann nicht sprechen.«

»Auch nicht schreiben?«

»Sie kann es. Sie zeigte mir einmal, daß sie schreiben wolle. Sie hatte dem Manne, bei welchem wir wohnten, heimlich Papier weggenommen und einen Stift von Blei. Diesen mußte ich ihr an den rechten Arm binden und dann schrieb sie.«

»Was?«

»Ich weiß es nicht. Man hat mich nicht lesen und schreiben gelehrt; aber ich sah, daß ihre Schrift eine andere war, als ich bisher gesehen hatte. Der Mann überraschte uns; er sah die Schrift, zerriß sie und schlug die Mutter so, daß sie lange Zeit krank gewesen ist. Seit dieser Zeit hat sie nicht wieder geschrieben.«

»Wie hieß das Dorf, wo Ihr wohntet?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und der Mann?«

»Auch das weiß ich nicht. Ich mußte ihn Herr nennen.«

»So hat man Dich wohl gar mit keinem Menschen sprechen lassen?«

»Mit keinem. Ich durfte nur mit der alten Mutter des Mannes reden und die hat mir niemals eine Frage beantwortet. Sie war so grausam wie er.«

»Arme, arme Freundin! Hat man Dich beten gelehrt?«

»Ja.«

»Zu wem?«

»Zu Allah.«

»So bist Du also auch Muhamedanerin. Betest Du oft?«

»Sehr oft, und meine Mutter auch. Aber sie mag es nicht leiden, daß ich die Gebetkügelchen dazu nehme.«

»Ah! Wirklich? Hm! Wendet sie ihr Angesicht nach Mekka, wenn sie betet?«

»Nein. Sie betet nach allen Richtungen.«

»Allah! Deine Mutter ist eine Christin!«

Tschita erschrak. Sie wußte es nicht anders, als daß der Christ ein zur Verdammniß bestimmtes Wesen sei.

»Was sagst Du?« fragte sie voller Angst. »Eine Christin? Das möge Allah verhüten!«

»Sorge Dich nicht! Du kennst weder unseren Glauben, noch denjenigen der Franken. Der Gott der Franken ist weiser, gütiger und barmherziger als Allah, zu dem wir beten. Gehe auf die Straße und blicke auf die Christen, wie stolz und froh sie einherschreiten. Sehen sie aus, als ob sie für die Hölle bestimmt seien?«

Tschita dachte an den Maler.

»Du hast Recht,« antwortete sie. »Ich kenne einen Franken, der – der – der –«

Sie stockte. Fast hätte sie von ihm gesprochen!

»Was war mit ihm?«

»Er war – war – auch nicht verdammt.«

Zykyma ergriff mit beiden Händen das schöne Köpfchen der neuen Freundin, blickte ihr forschend in die blauen Augen und sagte dann:

»Tschita, Du liebst einen Franken!«

Die Gefragte schlang anstatt der Antwort die Arme um sie und verbarg das erglühende Gesicht an ihrer Schulter.

»Ist es so?« flüsterte Zykyma zärtlich.

»Ja,« hauchte Tschita. Und entschlossener setzte sie hinzu: »Jetzt sage ich dasselbe wie vorhin Du: Nun verrathe mich!«

»Und ich antworte wie Du: Nein, nein! Höre, was ich Dir sagen werde. Auch ich kenne einen Franken.«

»O Allah! Liebst Du ihn?«

»Meine ganze Seele ist sein Eigenthum. Alle meine Gedanken fliegen zu ihm. Jetzt weißt Du, daß ich Dich nicht verrathen werde. Aber sage um Gottes willen keiner Anderen davon!«

»Sind noch viele Andere hier?«

»Ja. Sie sind feig, falsch, boshaft und klatschsüchtig. Sie sehnen sich nach einem Blicke des Pascha, wie sich der Halm nach dem Tropfen sehnt. Sie bieten ihm ihre Schönheit dar, um eines elenden Geschenkes willen. Sie sind keine Frauen, keine Menschen, sie haben keine Seelen, keine Herzen. Sie sind nur Leiber – Leiber! Wenn sie unser Geheimniß ahnten, würden sie uns verrathen und wir wären verloren.«

»Sind sie nicht Deine Freundinnen?

»Nein. Sie hassen mich.«

»Warum? Hast Du sie beleidigt?«

»Ich spreche nicht mit ihnen und kann sie also nicht beleidigen. Aber ich habe etwas gethan, was die Bewohnerin eines Harems niemals verzeiht.«

»Was?«

»Ich habe das Herz des Gebieters erobert.«

»Ah, er liebt Dich?«

»Ja, er liebt mich, nicht wie er die Anderen liebt, sondern mehr, weit mehr. Ich weiß nicht, ob ich schöner bin als sie, aber das weiß ich, daß er sie alle verkaufen oder verschenken würde, wenn ich ihn unter dieser Bedingung erhören wollte.«

»Bist Du nicht sein Weib?«

»Nein.«

»Mußt Du ihm nicht gehorchen?«

»Er hat das Recht, Gehorsam von mir zu fordern. Würdest aber Du ihm gehorchen?«

Diese Frage hatte Tschita nicht erwartet. Das war überhaupt ein Gegenstand, über welchen sie noch gar nicht nachgedacht hatte. Sie hatte so einsam, so verlassen gelebt, sie kannte das Leben gar nicht. Sie wußte nur, daß sie verkauft werden sollte, um Dem zu gehören, welcher den Preis bezahlte. Was aber dieses Gehören zu bedeuten habe, davon hatte sie keine Ahnung gehabt. Sie war noch Kind, noch körperlich und seelisch rein, eine Jungfrau in der schärfsten Bedeutung dieses Wortes.

»Muß ich nicht gehorchen?« fragte sie.

»Weißt Du denn, was er von Dir fordern wird?«

»Was ist es?«

»Kind, Kind! Du bist so unwissend, als ob Du erst jetzt geboren seiest. Er verlangt, daß Du ihn umarmst.«

»O nein!« sagte Tschita erschrocken.

»Daß Du ihn sogar küssest!«

»Nie, nie!«

»Siehst Du! Du willst ihm also nicht gehorchen?«

»Ich werde ihn niemals küssen!«

»Wenn er Dich aber zwingt, es zu thun?«

»Lieber sterbe ich!«

»So ist es recht! Aber Du brauchst keine Sorge zu haben. Du stehst unter meinem Schutze. Er soll es nicht wagen, auch nur ein Haar Deines Hauptes zu berühren.«

»Hast Du denn Macht über ihn?«

»Ja. Er fürchtet sich vor mir. Warum, das wirst Du sehr bald erfahren. Aber weiß Deine Mutter, daß Du den Franken gesehen hast und ihn liebst?«

»Ja. Ich habe es ihr gesagt.«

»War sie zornig?«

»O nein. Sie war ganz entzückt.«

»So habe ich recht vermuthet. Paß auf!«

Sie wendete sich an die Mutter und fragte:

»Nicht wahr, Du bist eine Christin?«

Die Gefragte hatte natürlich jedes Wort des Gespräches vernommen. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck einer unbeschreiblichen Spannung und ihr Auge glänzte unter einer tiefen, seelischen Erregung. Sie empfand eine förmliche Angst, ob Zykyma scharfsinnig genug sein werde. Jetzt, bei dieser Frage, nickte sie hastig und mehrere Male und gab durch bekräftigende Laute ihre Freude zu verstehen, sich endlich einmal mittheilen zu können.

»Bist Du als Christin geboren?« fragte Zykyma weiter.

Die Mutter nickte.

»Im welchem Lande? An welchem Orte?«

Sie deutete unter lebhafter Bewegung nach Westen.

»Ah, sie ist im Lande der Franken geboren. Sie freut sich, daß sie es mir sagen kann. Sie kann nicht sprechen und auch unsere Schrift nicht schreiben, aber ich werde dennoch Alles von ihr erfahren. Alles, was wir wissen wollen. Damit aber müssen wir noch warten. Wir müssen erst von dem Notwendigsten sprechen. Wo hast Du Deinen Franken gesehen?«

»Bei dem Händler Barischa.«

»So hat er Dich gesehen? Mit entblößtem Gesicht?«

»Ja.«

»Hat er Dir ein Zeichen gegeben, daß er Dich liebt?«

»O, noch mehr, noch viel mehr.«

Sie nahm sich den Muth, der neuen Freundin Alles zu erzählen. Auch die Mutter hörte dieses Geständniß.

»Du Arme, Liebe!« meinte Zykyma, als der Bericht zu Ende war. »So wird er Dich also nicht wiedersehen, wenn er morgen kommt!«

»Gott, was wird er thun?«

»Er wird forschen und suchen, Dich aber nicht finden.«

»So sterbe ich vor Jammer. Vielleicht wird Ali, der Eunuch, ihm sagen, wer mich gekauft hat.«

»Es ist möglich, daß Ali es auch nicht weiß. Der Pascha ist klug und der Derwisch ist noch klüger. Aber es soll ihnen nichts helfen. Der Maler soll dennoch erfahren, wo Du Dich befindest.«

»Wer soll es ihm sagen?«

»Darüber sprechen wir später. Es ist aber nothwendig, zu wissen, wie er heißt und wo er wohnt. Hat er Dir seinen Namen genannt?«

»Ja. Dieser Name klingt fremd. Ich hatte Mühe, ihn zu behalten. Er heißt Paul Normann. Paul ist sein Name und Normann heißt seine Familie.«

»Das ist so bei den Franken, welche zwei Namen haben, einen für die Person und einen für die Familie. Wo aber wohnt der Maler?«

»Das habe ich ihn nicht gefragt.«

»Wie schlimm! Du hättest es nicht vergessen sollen.«

»Ich glaubte doch, daß ich ihn wiedersehen werde.«

»Nun, wir werden ihn dennoch zu finden wissen. Der Händler weiß natürlich seine Wohnung. Bei ihm ist es also zu erfragen.«

»Wer aber soll ihn fragen?«

Zykyma wollte antworten, da aber ließen sich draußen Schritte hören. Der Eunuch kam, von mehreren Knaben begleitet, welche alle die Gegenstände trugen, die für Tschita bestimmt waren.

Jetzt hatte natürlich die vertrauliche Unterredung ein Ende. Auf das Bad wurde zwar verzichtet, nicht aber auf die Toilette. Es gab da Gewänder aus Stoffen, deren Kostbarkeit das Herz entzückte, und dabei Geschmeide, wie es nur in den Harems getragen wird. Die Bewohnerinnen der Frauengemächer sind von der Außenwelt abgeschnitten. Sie kommen mit dem Leben nicht oder wenigstens nur in sehr geringe Berührung. Sie haben die Aufgabe, ihrem Herrn zu gefallen und verbringen ihre Zeit mit Beschäftigungen, welche sich eben auf diese Aufgabe beziehen.

Es war eine Vasenlampe mitgebracht worden, da sich indessen der Abend eingestellt hatte. Bei dem Scheine der kleinen Flamme begannen die beiden Mädchen die für Tschita passenden Gegenstände auszuwählen.

Der Verschnittene hatte sich mit seinen Knaben wieder entfernen müssen.

Auch die Mutter nahm an dieser Beschäftigung theil. Es gab ja keine andere für sie. Ihre Wünsche und Absichten mußten freilich auf etwas ganz Anderes gerichtet sein.

Tschita hatte eine Frauenhose von rosa Seide angelegt, darüber ein goldverziertes Jäckchen von demselben Stoffe. Zykyma befestigte ihr einen aus venetianischen Goldzechinen zusammengesetzten Schmuck in das Haar und legte ihr eine eben solche Kette um den schimmernden Nacken. Dann trat sie um einige Schritte zurück, betrachtete sie und sagte dann:

.

»Wie schön bist Du! Viel, viel schöner noch als ich!«

»O nein!« antwortete Tschita erröthend. »Die Schönste von uns Beiden bist Du!«

»Das darfst Du nicht glauben! Ich bin nicht neidisch auf Dich. Ich freue mich vielmehr der herrlichen Gaben, welche Allah Dir verliehen hat. Du wirst dem Pascha viele Sorgen machen.«

»Wieso?«

»Je größer der Schatz ist, den man besitzt, desto mehr wacht man über ihn. Wenn er Dich sieht, wird er bezaubert sein.«

»Er mag mich lieber gar nicht ansehen!«

»Er wird das sogar sehr bald thun.«

»Doch nicht etwa noch heute?«

»Jedenfalls noch heute. Er wird kommen, sobald er vom Friedhofe zurückgekehrt ist.«

»Ist er auf dem Friedhofe?«

»Ja. Er will – doch, das werde ich Dir auch noch erzählen. Ich freue mich auf die Leiden, welche Du ihm verursachen wirst.«

»Ich will ihm nichts verursachen, weder Freuden noch Leiden. Er mag sich gar nicht um mich bekümmern!«

»Kind – ja. Du bist ein Kind, ein liebes, schönes, kleines Kind, welches gar nicht ahnt, warum und wozu es lebt. Es ist uns Frauen eine Gabe verliehen, wie es kostbarer keine zweite giebt, die Gabe, das Herz des Mannes gefangen zu nehmen für alle Zeit, für das ganze Leben. Wir können dem Manne die größten Seligkeiten bieten, ihm aber auch die Hölle bereiten. Der Pascha wird, wenn er Dich so erblickt, ganz glühend nach dieser Seligkeit verlangen, aber er soll nur Qual empfinden. Er soll nach Dir hungern und dürsten wie – horch!«

Es hatte unten im Garten wie ein leiser Vogelruf geklungen. Der Ton wiederholte sich.

»Ah, er ist da! Allah sei Dank!« sagte Zykyma.

»Wer?«

»Du wirst ihn sehen. Ich weihe Dich jetzt in ein Geheimniß ein, welches mir das Leben kosten kann. Aber Du wirst mich nicht verrathen, da es auch Dir großen Nutzen bringen wird. Warte!«

Sie trug die Lampe in das Nebengemach, damit es hier bei ihnen dunkel sein möge. Dann entfernte sie das hölzerne Gitterwerk vom Fenster und ließ eine Schnur hinab, an welcher sie ein ziemlich starkes Seil heraufzog.

»Was thust Du?« fragte Tschita ängstlich.

»Ich erhalte Besuch.«

»Wer kommt?«

»Mein Vertrauter.«

»Gott! Ein Mann?«

»Ein Knabe, oder vielmehr Jüngling, der uns helfen wird, diesen Ort zu verlassen.«

»Wenn man ihn erwischt!«

»O, er ist sehr klug. Er wird sich nicht ergreifen lassen. Er hat sich vorher überzeugt, daß kein Lauscher vorhanden ist.«

Sie hatte während dieser Worte das Ende des Seiles an einen der eisernen Haken, in denen das Gitter ruhte, befestigt und gab dann das Zeichen. Einige Augenblicke später erschien der Genannte in der Fensteröffnung und kam hereingestiegen.

»Sind wir sicher?« fragte sie.

»Ja, Herrin,« antwortete er. »Allah! Du bist aber ja nicht allein!«

»Habe keine Sorge. Diese beiden Freundinnen werden Dich nicht verrathen. Ich habe im Stillen große Angst ausgestanden. Ist er gefangen?«

»Nein.«

»Also gerettet? Allah sei Lob und Dank! Gelang es Dir denn, ihn zu warnen?«

»Ja, aber nicht, wie ich wollte. Ich hätte länger mit ihm sprechen wollen; aber es befanden sich noch Zwei bei ihm, so daß ich weiter nichts sagen konnte, als daß er sich in Acht nehmen solle.«

»Aber weißt Du gewiß, daß er gerettet ist?«

»Ja. Ich habe nachher mit ihm gesprochen. Da war wieder ein Anderer bei ihm, ein Franke in einem Anzuge, wie ich noch keinen gesehen habe. Die Drei sprachen von Dir. Ich soll Dir sagen, daß sie heut Abend hierherkommen werden.«

»Wie? Verstehe ich recht? Hierher? So wissen sie, wo ich mich befinde?«

»Ja.«

»Ah! Du hast es verrathen!«

»Nein, Herrin! Ich habe kein Wort gesagt, es scheint, als ob sie es auf dem Friedhofe erfahren haben.«

»Wer sind Die, welche bei ihm waren?«

»Ich weiß es nicht; ich konnte doch nicht fragen.«

»Nein; aber Du solltest beobachten.«

»Das war unmöglich. Ich sah den Derwisch kommen, der mich nicht bei ihm sehen durfte, und entfernte mich.«

»Deine Botschaft macht mir Sorgen. Er will kommen, nicht allein, die Andern auch mit?«

»Ja. Ich bat sie es nicht zu thun, aber sie befahlen mir, es Dir zu sagen. Du könntest thun, was Dir beliebt, sie aber würden auch nach ihrem Wohlgefallen handeln.«

»Das ist unvorsichtig, im höchsten Grade unvorsichtig. Sie werden sich verderben und mich dazu!«

»Soll ich sie warnen?«

»Du hast es doch bereits gethan!«

»Ja, aber sie hörten nicht auf mich. Doch wenn Du willst, so warte ich, bis sie kommen.«

»Wie willst Du hinaus zu ihnen?«

»O, das ist nicht schwer. Der Verwalter ist ein harter und grausamer, aber kein kluger Mann. Ich werde einen Vorwand finden, hinaus zu dürfen. Was soll ich ihnen sagen, wenn ich sie treffe?«

Sie sann einige Augenblicke nach und antwortete dann:

»Sage ihm, daß er morgen kommen soll, um Mitternacht, ganz allein. Ich weiß zwar nicht, auf welche Weise es ihm möglich sein wird, an der Gartenecke über das Wasser und die Mauer zu kommen, aber ich werde ihn dort erwarten. Ging der Derwisch nur zufällig dort, wo Ihr Euch befandet?«

»Nein. Ich beobachtete ihn. Er stellte sich in der Nähe der Wohnung des Franken auf.«

»So beobachtet er ihn?

»Ja.«

»Warne den Franken! Für jetzt habe ich keine andere Botschaft für Dich. Nimm Dich in Acht, daß Du nicht entdeckt wirst!«

»Selbst wenn man mich ergriffe, würde ich Dich nicht verrathen, o Herrin. Du weißt, daß Dir mein Leben gehört, daß ich es gern für Dich hergeben würde.«

»Ich weiß es. Du bist ein guter und treuer Verbündeter, Allah wird mir Gelegenheit geben, es Dir zu danken.«

Sie gab ihm die Hand, auf welche er voll Inbrunst seine Lippen drückte. Dann schwang er sich wieder in den Garten hinab. Sie band das Seil los, warf es ihm nach und verschloß dann die Fensteröffnung wieder mit dem Gitterwerke.

»Das ist ein großes Wagniß!« sagte Tschita. »Wenn man Euch dabei bemerkt, müßt Ihr Beide sterben.«

»O, ich würde mich nicht so leicht tödten lassen. Ich würde mich meines Lebens wehren,« antwortete Zykyma, indem sie die Lampe wieder holte.

»Du? Gegen Männer?«

»Ja. Ich fürchte sie nicht.«

»Wie könnten Deine Kräfte gegen sie ausreichen?«

»Hast Du nicht gesehen, daß ich den Neger peitschte, ohne daß er einen Widerstand wagte? Es hat hier noch kein Mensch gewagt, mich auch nur mit der Spitze eines Fingers zu berühren. Ich habe einen Retter, einen Talisman. Hier ist er.«

Sie griff in den breiten, seidenen Gürtel, welcher um ihre volle und doch so schlanke Taille geschlungen lag, und zog einen kleinen Dolch hervor. Die zierliche Waffe hatte eine feine, zweischneidige Klinge und einen Griff, welcher aus massivem Golde zu bestehen schien und oben eine große, kostbare Perle trug.

»Ein Dolch!« sagte Tschita. »Glaubst Du, daß man diese kleine Waffe beachten werde?«

»O gewiß! Schau, ich halte die Klinge an das Licht. Siehst Du, daß die Spitze eine etwas dunklere Farbe hat?«

»Ja.«

»Sie ist vergiftet.«

»Ah! Das ist wohl gefährlich?«

»Sehr. Der Mensch, dem ich nur die Hand ein ganz klein wenig ritze, sinkt nach wenigen Augenblicken todt vor mir nieder. Er ist rettungslos verloren. Man weiß das. Ich brauche nur nach diesem Dolch zu greifen, so fliehen Alle vor mir.«

»Hast Du ihnen bewiesen, daß er wirklich so gefährlich ist?«

»Ja. Ich stach damit einen Hund, so, daß er es kaum fühlte. In drei oder vier Secunden streckte er seine Glieder zu meinen Füßen aus und war todt.«

»Dann ist die Waffe von sehr großem Werthe für Dich. Halte sie fest, daß man sie Dir nicht nimmt!«

»Man hat es versucht; es soll aber keinem Menschen gelingen. Sie bleibt in meinem Besitze. Sie ist mir theuer nicht nur des Giftes wegen, denn sie ist ein köstliches Andenken an – – ihn.«

»Ihn? Du meinst den Franken?«

»Ja.«

»Ah, er hat Dir den Dolch geschenkt?«

»Er gab ihn mir. Er hatte ihn im fernen Indien von einem Fürsten geschenkt erhalten. Ich würde diesen Dolch wie mein Leben selbst vertheidigen.«

Da hörten sie draußen die schlürfenden Tritte des Eunuchen. Er trat unter die Thür und sagte:

»Der Pascha kommt. Er befindet sich bereits vor dem Hause. Er wird die Neue sehen wollen. Mache Dich also fertig, ihn zu empfangen!«

Ibrahim Pascha kam vom Friedhofe. Der Fang war ihm mißglückt, und so befand er sich in einer sehr übellaunigen Stimmung. Das bemerkte der Verwalter, welcher ihn vor dem Eingange empfing, sofort.

»Hat man die neue Sklavin gebracht,« erkundigte sich der Herr.

»Sie ist gekommen mit ihrer Mutter, o Herr.«

»Wo wohnt sie?«

»In den Räumen, die Du ihr angewiesen hast.«

Das war nun freilich nicht wahr. Der Eunuch hatte noch nicht den Muth gefunden, zu melden, was ihm durch Zykyma widerfahren war.

In Folge dessen begab sich der Pascha nach der anderen Seite des ersten Stockwerkes. Der Schwarze trat ihm da entgegen, vor Angst schwitzend.

»Oeffne!« gebot der Pascha.

»Nicht hier, o Herr,« sagte der Sklave. »Sie ist drüben bei Zykyma.«

»Bei dieser? Wer hat das befohlen?«

»Zykyma.«

»Ah! Hund, wer ist hier Herr und Gebieter, ich oder diese Tscherkessin!«

»Du, o Herr. Aber sie trat hinzu, als ich die neue Sclavin brachte und ich mußte ihr gehorchen.«

»Ihr also, aber nicht mir! Dafür sollst Du jetzt – – her mit Deiner Peitsche!«

Er wollte, wie er zu thun gewohnt war, den Schwarzen mit dessen eigener Peitsche züchtigen. Dieser aber stammelte voller Angst:

»Gnade, Herr! Die Peitsche ist fort.«

»Fort? Wohin?«

»Zykyma hat sie.«

»Zykyma und wieder diese Zykyma! Wie kannst Du ihr sogar die Peitsche geben!«

»Sie entriß sie mir und schlug mich damit!«

»Feiger Hund! Du sollst nachher dafür zwanzig Streiche auf die Fußsohlen erhalten!«

Zwanzig Hiebe auf die nackten Sohlen, das war eine außerordentliche schmerzhafte Strafe.

»Gnade, Gnade, o Herr!« bat der Eunuch, sofort in die Knie fallend. »Soll ich mich von ihr vergiften lassen! Sie hat ja den Dolch!«

»So nimm ihr ihn!«

»Das vermag Keiner.«

»Weil Ihr alle feige Hunde seid! Ob ich Dir die Strafe erlasse, das soll auf die Neue ankommen. Wie hat sie sich in ihre Lage gefügt?«

»Sie weinte erst.«

»Und dann?«

»Dann war sie guter Dinge. Ich hörte sie mit Zykyma ganz laut und munter sprechen. Sie befindet sich in dem gelben Gemach.«

»Ist sie freundlich, so ist es Dein Glück, sonst mußt Du die Hiebe erdulden. Merke es!«

Er begab sich nach dem angegebenen Gemache. Er befand sich in außerordentlicher Spannung, wie das schöne Mädchen ihn empfangen werde.

Als er bei ihr eintrat, lag sie leicht hingegossen auf dem Divan. Das Licht der Lampe beleuchtete ihre weiche, herrliche Gestalt. Er zog die Thür hinter sich zu und schob den Riegel vor, um bei der beabsichtigten Liebesscene nicht etwa gestört zu werden. An der Thür stehen bleibend, betrachtete er sie einige Zeit lang.

Zykyma hatte Recht gehabt. Er fühlte sich bezaubert. Er hatte diese lichte Mädchengestalt zwar bereits beim Händler gesehen, aber nur für einen kurzen Augenblick. Und jetzt war sie noch ganz anders gekleidet als am Tage. Jetzt, in diesem Augenblick war er sofort und fest entschlossen, sie zu seiner Lieblingsfrau zu erwählen.

»Tschita!« sagte er.

»Herr!« antwortete sie einfach.

Sie hatte sich bei seinem Eintritte keineswegs aus ihrer ruhenden Stellung erhoben. Sie blieb auch jetzt ruhig liegen, ganz als ob sie gar keine Rücksicht auf ihn zu nehmen habe, oder ganz als ob sie wisse, daß sie in dieser Stellung am allerschönsten sei.

»Ich heiße Dich willkommen!« fuhr er fort.

»Ich Dich auch.«

»Wirklich?«

»Muß ich nicht? Du bist der Gebieter, der Herr des Hauses.«

»Ich wünsche aber, daß Du mich nicht als Gebieter willkommen heißest.

»Als was denn?«

»Als Den, den Du liebst.«

»Ich liebe nicht.«

»Aber Du wirst lieben!«

»Vielleicht. Es ist noch lange Zeit!«

»Meinst Du? Nein, es ist nicht lange Zeit.«

»O doch. Ich bin häßlich.«

»Nein. Du bist im Gegentheile schön, schön wie die Jungfrauen des Paradieses.«

»Du sagtest selbst, ich sei nicht schön genug.«

»Das sagte ich aus einem guten Grund. Hier aber kann ich Dir gestehen, daß ich noch nie ein so herrliches Weib gefunden habe, wie Du bist. Ich setze mich zu Dir und werde allen meinen Dienern befehlen, Dich als die Gebieterin dieses Hauses zu betrachten. Jeder Wunsch soll Dir erfüllt werden, und man wird sich bemühen, Dir alle Deine Gedanken aus dem Auge zu lesen. Komm, reiche mir Deine Hand!«

Er war hinzugetreten, hatte sich neben sie gesetzt und wollte nun ihre Hand ergreifen. Da aber schnellte sie sich auf und wich bis an das Ende des Divans vor ihm zurück.

»Wie? Du fliehst mich?« fragte er. »Warum?«

»Du willst Liebe und ich habe keine.«

»Sie wird sich einfinden.«

»Zu Dir? Niemals.«

»Ah! Hassest Du mich etwa?«

»Ja.«

»Beim Barte des Propheten, Du bist aufrichtig!«

»Ich halte es nicht für nöthig, Dich zu belügen.«

»Du versagst mir alle Liebe?«

»Ja.«

»Ah, Du bist nicht nur aufrichtig, sondern sogar beherzt. Weißt Du, daß ich Dich gekauft habe?«

»Ja.«

»Daß Du mein Eigenthum bist?«

»Nein.«

»Ich habe Dich bezahlt, folglich gehörst Du mir!«

Er sprach ruhig und erregungslos. Die Art und Weise, wie sie ihn zurückwies, gab ihm Spaß und erzürnte ihn nicht etwa. Der Widerstand dieses schönen, noch ganz und gar kindlichen Wesens reizte ihn nur. Er versprach sich von ihr eine höchst angenehme Veränderung des ewigen, alltäglichen Einerlei.

»Du irrst,« antwortete sie. »Daß du Geld bezahlt hast, ist noch lange nicht ein Grund, daß ich Dir auch nun gehöre. Das war früher.«

»Wieso?«

»Jetzt hat der Großherr die Sklaverei verboten. Ich bin frei.«

»Thörin!« Ich höre, daß Du mit Zykyma gesprochen hast. Das sind ganz dieselben Worte, welche ich auch aus ihrem Munde gehört habe. Laß Dich nicht von ihr verführen! Ich habe ihr Glück gewollt; sie aber war nicht klug genug, es von mir anzunehmen. Nun mag sie Sklavin bleiben, um Diejenige zu bedienen, der ich meine Zärtlichkeit schenke. Mein Herz gehört jetzt nur Dir. Willst Du meine Sultana sein?«

»Nein.«

»Scherze nicht.«

»Ich scherze nicht. Ich sage Dir meine Gedanken!«

Jetzt nun zog er die Stirn in Falten und hüstelte ungeduldig vor sich hin. Er begann doch, sich zu ärgern.

»Ich warne Dich, klug zu sein. Es ist besser, freiwillig zu geben, was man sonst gezwungen geben muß.«

»O, Niemand kann mich zwingen. Dich zu lieben.«

»Nein; aber ich kann Dich zwingen, mir meine Wünsche zu erfüllen!«

»Niemals.«

»Was wolltest Du thun?«

»Ich vertheidige mich!«

»Hast Du etwa auch einen Dolch! Das ist lächerlich. Kleine, ich hoffe, daß Du bis jetzt wirklich nur im Scherze gesprochen hast. Komm her und küsse mich.«

Er streckte die Arme nach ihr aus. Da sprang sie vom Divan auf und entwich bis an die entgegengesetzte Wand.

»Lieber sterben!« sagte sie.

»Bist Du toll! Du gehörst mir und hast mir zu gehorchen! Komm herbei, hierher, neben mich!«

Sie blieb stehen.

»Wisse, daß ich das Recht und die Macht habe, den Ungehorsam zu bestrafen. Ich könnte Dich herbei holen; aber das widerstrebt meiner Würde. Um Dich zum Gehorsam zu bringen, habe ich meine Diener. Was Du jetzt verschmähst, wirst Du dann von mir erflehen. Also ich biete Dir meine Liebe, mein ganzes Herz. Du sollst mein Weib sein, die Mutter meiner Söhne. Du sollst über mich herrschen, und ich will nichts sein, als der oberste Deiner Diener. Aber Deine Liebe will ich dafür eintauschen. Ich sage Dir noch einmal: Komm, sei meine Sultana!«

»Nie!«

»Warum nicht?«

»Ich hasse Dich. Du hast kein gutes Auge und kein gutes Gewissen. Wer Dein Gesicht erblickt, der wendet sich von Dir. Wähle Dir eine andere Sultana!«

»Meinst Du? Du bist ein Wurm in meiner Hand und wagst es doch, mir zu widerstreben! Ich glaubte, es sei ein kindlicher, launenhafter Trotz; jetzt aber sehe ich ein, daß Zykyma Dich unterrichtet hat. Ich werde dafür sorgen, daß diese böse Saat keine ferneren Früchte bringt. Du verschmähst mich? Gut, Du wirst es später für die größte Gnade halten, mich mit Zärtlichkeiten überschütten zu dürfen. Du nennst mich einen bösen Menschen; das habe ich zu bestrafen und die Strafe sollst Du sofort erhalten.

Er ging zur Thür und öffnete sie. Draußen stand der Eunuch, der Befehle seines Gebieters gewärtig. Er gab ihm einen Wink, hereinzukommen, und befahl dann:

»Führe diese Sklavin hinab zur Prügelbank und laß ihr auf jede nackte Fußsohle fünf Streiche geben, aber so, daß die Sohle aufspringt!«

Der Dicke zog sein Gesicht in ein breites Grinsen und trat zu Tschita.

»Komm! Fort!«

»Er wollte sie fassen; sie aber entschlüpfte ihm bis in die Ecke. Er folgte ihr auch dorthin, fuhr aber erschrocken und mit einem lauten Schrei von ihr bis an die Thür zurück.

»Was giebt's, Kerl?« fragte der Pascha.

»Dort! Sie hat ihn!« stieß der Schwarze hervor.

»Was hat sie?«

»Den Dolch!«

Erst jetzt erblickte der Pascha das gefährliche Werkzeug in den Händchen des Mädchens.

»Verdammung über Dich, Memme!« zürnte er. »Schnell, nimm ihr ihn!«

»Ah! Oh! Sie sticht!«

»Hund, wirst Du gehorchen!«

Er streckte den Arm gebieterisch aus. Der Schwarze raffte all seinen Muth zusammen und näherte sich Tschita wieder. Vielleicht war sie nicht so entschlossen, wie Zykyma, vor welcher er wahre Todesangst empfand.

»Thu ihn weg! Thu ihn weg!« sagte er. »Stecke ihn in den Gürtel oder wirf ihn weg. Wenn Du Dich stichst, bist Du des Todes!«

»Ich werde nicht mich, sondern Dich stechen,« antwortete sie.

»Das wirst Du nicht thun! Du bist ein gutes Kind, ein schönes Kind! Du thust es nicht!«

Einen Fuß langsam vor den andern setzend, trat er ihr näher und immer näher.

»Schnell, Schurke!« gebot der Pascha.

»Ja, schnell!« wiederholte der Eunuch, indem er die ausgespreizten Finger vorstreckte, als ob er Blindekuh spiele. »Schnell, wirf ihn weg und komm mit mir!«

Jetzt war er ihr ganz nahe; da erhob sie die Hand mit dem Dolche und im Augenblicke floh er wieder zurück nach der Thür.

»Sie sticht, Herr; sie sticht!« rief er ängstlich.

»Feiger Schakal! Vorwärts! Schnell!«

»Nein, nein! Versuche es selbst, o Herr!«

»Gut, ich werde sie selbst entwaffnen; aber dann bohre ich Dir den Dolch ins Fleisch, Du Schuft!«

Er ging auf Tschita zu. Er traute es ihr doch nicht zu, daß sie stechen würde.

»Her mit dem Dolche!« gebot er ihr. »Solch ein Spielzeug ist nicht für Dich!«

Er griff nach ihrem Arme.

»Da hast Du ihn!« antwortete sie.

Eine blitzschnelle Bewegung ihrer Hand – – und der Pascha hatte kaum Zeit, einen Sprung zurück zu thun. Der Dolch hatte ihm den Aermel aufgeschlitzt. Es hatte nicht der vierte Theil eines Zolles gefehlt, so war der Angreifende eine Leiche.

»Schlange, giftige!« knirschte er. »Du willst Deinen Herrn ermorden! Das sollst Du büßen! Können wir Dir nicht nahe kommen, so sollst Du auch zu uns nicht dürfen. Wir werden Dich einschließen, bis Du verschmachtend um Gnade bittest! Der Hunger soll Deinen Leib zerreißen und der Durst Deine Seele verzehren. Dann wirst Du gern Gehorsam leisten, um Dein Leben zu erhalten!«

»Ganz so wie bei mir!« ertönte es von der Seite her, wo Zykyma jetzt unter der geöffneten Thür des Nebenzimmers erschien. Schließt uns ein. Wir werden es Euch danken, denn dann haben wir die Freude, Dich nicht sehen zu dürfen!«

»Du bist die Schwester des Teufels!« antwortete er.

»Ja. Diese Schwester des Teufels versteht es, die verschlossenen Thüren von innen zu öffnen. Du hast die Summe, welche Du für Tschita bezahltest, umsonst ausgegeben, o Pascha. Ich habe einen Bund mit ihr geschlossen. Sie ist meine Freundin, meine Schwester, und folglich kann sie nie Dein Weib sein!«

»Ah, Ihr werdet alle Beide noch gehorchen! Ich habe die Mittel, Euch zu bezwingen. Jetzt aber soll einstweilen dieser Hund seine Strafe erhalten. Marsch! Ich will Dir eine Lehre geben, welche Dich veranlassen wird, meine Befehle besser zu respectiren!«

Er stieß den Eunuchen vor sich her, um ihm die Bastonnade geben zu lassen. Bereits nach kurzer Zeit tönte das Gebrüll des Gezüchtigten durch alle Räume des Hauses. –

Als Normann, Wallert und der Lord aus der Hausthür, von welcher aus sie den Derwisch bemerkt hatten, traten, schritt der Engländer so schnell auf den Letzteren zu, daß dieser nicht entkommen konnte und also lieber gleich stehen blieb.

»Was machst Du da?« fragte ihn der Lord, natürlich in englischer Sprache.

»Ich verstehe Dich nicht,« antwortete der Derwisch.

»Packe Dich fort!«

»Allah inhal el Kelb!« brummte der Türke.

»Was sagt er da?« fragte der Brite seine beiden Begleiter, welche dabei standen.

Normann antwortete:

»Er sprach arabisch und heißt Gott verdamme den Hund.«

»Was, Hund nennt er mich? Mich, einen echten, richtigen Englishman? Hier die Antwort!«

Er holte aus und gab dem Derwisch ein paar so kräftige Ohrfeigen, daß dieser mit dem Kopfe an die Mauer flog, an welcher er stand.

»So! Er hat sie und kann sie ohne Quittung behalten. Gehen wir weiter!«

Der Getroffene stand ganz bewegungslos; er sagte kein Wort und rührte keine Hand; aber in seinem Inneren kochte es. Er wußte, daß er sich rächen werde, blutig rächen. Ein Ungläubiger hatte es gewagt, den gläubigen Sohn des Propheten zu schlagen!

»Das war zu rasch gehandelt!« sagte Normann, indem er neben dem Engländer herging.

»Wirklich? Sollte ich ihm die Ohrfeigen langsamer geben? Etwa im Tempo eines Trauermarsches?«

»Gar nicht!«

»Gar nicht? Alle Teufel! Er hat mich einen Hund genannt und mir die Verdammnis angewünscht!«

»Das that Ihnen nichts. Es ist für einen Christen gefährlich, hier in Constantinopel einen Moslem zu schlagen.«

»Soll ich etwa warten, bis ich den Hallunken einmal in London oder Liverpool treffe?«

»Scherzen wir nicht. Es ist geschehen und so können wir es nun nicht ändern!«

Auf dem Kleiderbazar kauften sie sich die Anzüge und begaben sich mit denselben nach der Dampfyacht, weil diese ihnen recht bequem und nahe lag und der Lord diese Gelegenheit benutzen wollte, sich seinen Leuten zu zeigen. Sie hatten hinlänglich Zeit, dort ein Abendessen zu sich zu nehmen. Als sie damit zu Ende waren, kleideten sie sich um und machten sich dann auf den Weg. Doch mußten sie sich vorher mit Papierlaternen versehen. Zu jener Zeit gab es in Constantinopel nicht die jetzige Straßenbeleuchtung. Jeder, der des Abends die Straße betrat, mußte eine Laterne haben, trug er keine bei sich, so wurde er arretirt und war gezwungen, eine ganze Nacht auf einer der Polizeiwachen unter allerlei Gesindel zuzubringen.

Sie schlugen ganz dieselbe Richtung ein, welcher am Tage der Ochsenwagen mit Tschita gefolgt war. Als sie Haskeui hinter sich hatten, von wo der Weg nach Hermannbachis führt, hörten die regelmäßigen Gassen auf und sie konnten die Lichter auslöschen. Die Laternen wurden also zusammengelegt und in die Taschen gesteckt.

Dann kamen sie an die Vereinigung der beiden Bäche, welcher sie bis zu dem Vereinigungspunkte folgten. Es war heute dunkel, doch so, daß man einige Schritte weit zu sehen vermochte.

Vor ihnen floß das Wasser, jenseits dessen sich die Mauer dunkel emporhob. Aber wie breit der Bach eigentlich war, ließ sich doch nicht ganz deutlich erkennen. Der Lord meinte:

»Hätte ich meinen Regenschirm mit, dann könnte ich die Breite und auch die Tiefe messen. Will einmal genauer nachsehen.«

Er trat ganz nahe an das Wasser und kauerte sich da nieder. Dann streckte er den Oberkörper so weit vor, als thunlich war, und gab sich Mühe, das jenseitige Ufer zu sehen.

»Nun?« fragte Normann.

»Tief ist's« berichtete der Lord.

»Woraus schließen Sie das?«

»Ich halte die Hand in das Wasser und fühle, daß es sehr ruhig und ohne Wellenschlag fließt. Da muß es tief sein.«

»Und wie breit?«

»Hm! Es ist zu finster!«

»Ungefähr?«

»Na, ich beuge mich schon genug nach – nach – ich habe die Balance, die Ba– Bal–«

»Fallen Sie nicht hinein!«

»Nein, das fällt mir gar nicht ein. Ich behalte die Balance, denn wenn man einmal die Balance – die Bal – Balan– Sakkerment!«

Er that einen gewaltigen Plumbs und der gute Lord war von der Erde verschwunden.

»Er ist hinein!« sagte Wallert bestürzt. »Es ist tief und er kann ertrinken.«

»Herunter mit den Kleidern! Wir müssen nach!«

»Ja; es wäre doch – horch!«

Es plätscherte gerade vor ihnen.

»Sind Sie es, Mylord?« fragte Normann.

Es schnaufte und pustete.

»Sir, hören Sie uns!«

Es hustete ein wenig und dann fuhr der Verunglückte ganz genau da, wo er seine Rede unterbrochen hatte, in derselben fort:

»Bal– Ba– Balance verliert, dann ist sie auch ganz zum Teufel!«

»Gott sei Dank! Sind Sie beschädigt?«

»Nein.«

»Also auch nicht ertrunken?«

»Ersoffen? Nein, ersoffen bin ich nicht, aber eingeweicht und zwar ganz gehörig.«

»Aber wie konnten Sie doch nur –«

»Die Balance verlieren? Ja, von was man spricht, auf das pflegt man am Allerwenigsten Acht zu haben, und ich sprach ja von der Balance.«

»Sie dehnten sich zu weit hinüber.«

»Ja. Ich dachte, ich könnte die Nase drüben auf das andere Ufer legen. Na, Gott sei Dank, wie tief es ist, das weiß ich nun!«

»Wie denn?«

»Es geht mir genau bis an das Kinn.«

Er war nämlich drin geblieben.

»Und wie breit?«

»Ueber drei Ellen.«

»Kann man drüben Fuß fassen?«

»Nein, aber Wasser.«

»So steigt die Mauer direct aus dem Wasser empor?«

»Ja. Eine Brücke, etwa ein Brett, läßt sich da gar nicht auflegen.«

»Unangenehm, höchst unangenehm! Horch!«

»Dort kommt Jemand.«

»Schnell heraus, Mylord!«

»Wozu denn?«

»Wir müssen hier fort. Man darf uns doch nicht hier erblicken.«

»Nun gerade darum steige ich nicht heraus, sondern ich bleibe im Wasser. Da sucht man am Allerwenigsten einen Entführer aus dem Serail. Laufen Sie nur nicht gar zu weit fort.«

Die Beiden verschwanden und der Lord, verhielt sich ganz ruhig.

Die Schritte näherten sich, langsam, wie von einem Menschen, welcher sich aufmerksam umblickt. Der Fußgänger kam näher und wollte an dem Lord vorüber. Da der Kopf des Letzteren sich in gleicher Höhe mit dem Fußboden befand, so konnte er die Gestalt des Betreffenden sehr genau gegen den Sternenhimmel sehen. Er erkannte zu seiner Freude den jungen Burschen, welcher Wallert am Nachmittage gewarnt hatte.

»Pst!« machte der Lord.

Der Jüngling blieb stehen.

»Pst! Heda!«

Er blickte sich um, sah aber keinen Menschen, obgleich die Laute in nächster Nähe erklungen waren, fast wie aus dem Boden heraus.

»He! Du! Kleiner!«

Jetzt bückte er sich nieder und sah den Kopf über dem Wasser.

»Allah 'l Allah!« sagte er. »Wer bist Du und was thust Du da drin?«

»Nicht wahr, ein tüchtiger Frosch? Wollte sehen, wie tief es ist. Aber Schlamm giebt's! Pfui Teufel! Ich bringe die Beine nicht heraus!«

»Wer Du bist, will ich wissen!«

Der Eine sprach englisch und der Andere türkisch. Darum verstanden sie einander nicht. Da zog der Lord mit einer letzten Anstrengung die Beine aus dem Schlamme und stieg hervor.

»Ich weiß nicht, was Du meinst. Kleiner,« sagte er. »Pst! Heda! Normann! Wallert!«

Er sprach die beiden Namen vorsichtig, in gedämpftem Tone aus, doch wurden sie vernommen. Die Freunde hatten sich nur so weit entfernt, als unumgänglich nöthig war und sich dann auf die Erde niedergelegt. Sie hörten das Sprechen und dann auch ihre Namen und kamen herbei.

»Sie rufen, Mylord?« sagte Normann. »Wer ist es?«

»Es ist der kleine, wackere Kerl, welcher heute mit uns gesprochen hat.«

»Ah, Du bist es,« sagte Wallert, welcher den Jüngling erkannte. »Das ist gut! Hast Du mit ihr gesprochen?«

»Ja.«

»Was sagte sie?«

»Du sollst morgen um Mitternacht kommen, aber ganz allein.«

»Schön, sehr schön! Aber wohin?«

»Hier in diese Ecke des Gartens. Wie Du da hineinkommst, das wissen wir nicht. Du selbst mußt ein Mittel finden.«

»Ich soll kommen und ich komme also, und wenn ich mich durch die Mauer bohren soll.«

»Und vor dem Derwisch sollst Du Dich in Acht nehmen. Er beobachtet Dich; ich selbst habe es gesehen.«

»Wir wissen es bereits. Hast Du noch etwas zu sagen?«

»Nein. Ich habe bereits zu viel Zeit versäumt. Der Pascha wartet.«

»Auf wen? Auf Dich?

»Ja, und auf den Esel, den ich ihm vom nächsten Platze holen soll.«

»Ah, der Paschah ist hier im Hause?«

»Ja. Er will nach seinem Palaste zurück und will nicht laufen, sondern reiten. Ich bin geschickt worden, ihm das Thier und den Treiber zu bringen. Also stelle Dich morgen Abend ein. Ich werde Wache halten, daß Euch Niemand entdeckt.«

Er eilte fort, nach der Stadt zu.

»Verteufeltes Türkisch,« meinte der Lord. »Wer diese Sprache nicht kann, der versteht kein Wort davon. Was sagte der Kerl?«

Wallert erklärte es ihm.

»Prächtig, sehr prächtig! Also endlich die Entführung! Morgen bereits!«

»Nur erst die Unterredung. Noch weiß ich nicht, ob eine Entführung daraus wird.«

»Was denn sonst?«

»Warten wir es ab!«

»Na, ich habe keine Lust, es abzuwarten!«

»So wollen Sie früher fort?«

»So meine ich es freilich nicht. Ich wollte sagen, daß ich keine Lust habe, allzu lange zu warten. Wir machen es so: Wir gehen mit einander –«

»Wie? Mit einander? Daraus wird nichts! Sie haben gehört, daß ich allein kommen soll!«

»Ach, was ich höre und was ich thue, das ist Zweierlei! Da hinein können Sie allein gehen; wir bleiben hier außen und nachher wird sich finden, was zu geschehen hat.«

»Meinetwegen! Aber wie hineinkommen!«

»Ja, das ist die Geschichte. Eine Leiter ist allemal das Beste.«

»Freilich! Aber es ist zu auffällig.«

»Auffällig? Woher? Wer die Nase zu weit herstreckt, der bekommt einen Klapps darauf und – Himmel, da kommt mir ein Gedanke!«

»Dürfen wir ihn erfahren?«

»Ja. Riechen Sie mich einmal an!«

»Danke! Ich bin kein Freund solchen Parfüms.«

»Ich auch nicht, muß es mir aber doch gefallen lassen, daß ich hineingefallen bin. Da wird jetzt ein Esel für den Pascha geholt. Er muß hier vorüber. Wie wäre es, wenn wir ihn auch parfümirten?«

»Eine tolle Idee!« lachte Wallert.

»Es kann ihm gar nichts schaden. Er hat Ihnen heute eine so miserable Falle gestellt. Wir müssen ihm einen Streich spielen.«

»Es kann unangenehm für uns werden.«

»In wiefern?«

»Wir machen ihn auf uns aufmerksam.«

»Pah! Wir tragen andere Kleider. Er kann uns nicht erkennen.«

»Hm! Normann, was sagst Du dazu?«

»Da ist mir bei Eurer Tollheit eine Idee gekommen. Nämlich wie wäre es, wenn wir den Thorschlüssel hier bekommen könnten?«

»Sapperment! Das wäre prächtig! Aber wie sollte das möglich sein?«

»Vielleicht gar nicht schwer. Hier giebt es keine Portiers, welche das Oeffnen besorgen. Der Pascha passirt da gewißlich zu verschiedenen Stunden, auch zur Nachtzeit ein und aus. Er hat also vermuthlich einen Schlüssel bei sich.

»Das ist möglich. Meinst Du etwa, daß wir ihm denselben abnehmen?«

»Ja.«

»Wie?«

»Wir spielen ganz einfach ein Bischen Schinderhannes oder Rinaldo Rinaldini. Es ist wohl Niemand als der Eselstreiber bei ihm. Mit diesen Zweien werden wir wohl fertig.«

»Jedenfalls. Wollen wir unsern Vertrauten fragen, ob der Pascha einen Schlüssel hat?«

»Nein. Hiervon braucht er nichts zu ahnen. Finden wir keinen Schlüssel, so haben wir den Kerl wenigstens in Schreck versetzt. Kommt zur Seite, damit wir nicht gesehen werden. Ich glaube. Schritte zu hören.«

Nach wenigen Augenblicken kam Zykyma's Vertrauter mit einem Eselsjungen und seinem Thiere vorüber. Als die Schritte verklungen waren, fragte der Engländer:

»Wie heißt Schuft im Türkischen?«

»Tschapkyn.«

»Und Schurke?«

»Chowarda.«

»Schön! Ich danke! Jetzt kann er kommen!«

Sie hatten nicht lange zu warten, so hörten sie das Hufgetrappel des Esels. Der Junge lief voran mit der an einem Stabe hängenden Papierlaterne in der Hand; hinter ihm trollte der Esel, der so klein war, daß die Füße des Pascha fast die Erde berührten. Der Herr befand sich in einer grimmigen Stimmung. Er hatte heute einen sehr unglücklichen Tag gehabt. Er dachte aber nicht, daß der Schluß erst noch kommen werde. Er wurde aus seinem finsteren Brüten auf das Unangenehmste aufgeschreckt, denn plötzlich tauchte gerade neben ihm eine lange Gestalt empor und brüllte ihm in die Ohren:

»Tschapkyn! Chowarda! Hundsfott! Komm herab vom Esel!«

Er fühlte zwei Hände um den Hals und wollte einen Hilferuf ausstoßen, konnte aber nur Stöhnen und Röcheln und verlor dann gar die Besinnung.

Als der Eselsjunge den Ruf des Engländers hörte und sich zurückwendete, bemerkte er sofort, daß es sich um einen räuberischen Ueberfall handle. Er erfaßte die Zügel, schwang sich blitzschnell in den Sattel und jagte davon, ohne auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben.

»Den sind wir los!« lachte der Lord. »Nun hier zu diesem da. Ich glaube, er hat die Besinnung verloren.«

»Sprechen Sie nicht!« flüsterte ihm Normann zu. »Wenn er noch hört, so merkt er an Ihrem Englisch, wer wir sind.«

»Er ist ohnmächtig!« meinte Wallert. »Suchen wir in seinen Taschen!«

Sie fanden in der Hosentasche eine Börse, in der Weste die Uhr und in der Jacke einen mächtigen Schlüssel.

»Da ist er!« sagte Wallert. »Jetzt fort.«

»Halt, nicht so schnell!« entgegnete Normann. »Wenn ihm nur der Schlüssel fehlt, so merkt er, daß es gerade auf diesen abgesehen war. Wir müssen ihm also Alles nehmen. Am besten, die ganze Jacke, damit er denkt, wir haben die Jacke gebrauchen können und den Schlüssel nur so nebenbei mit erwischt.«

Das geschah.

»Wollen wir ihn ein wenig untertauchen?« fragte der Lord, als sie Alles eingesteckt hatten.

»Nein; es ist das überflüssig. Jungenstreiche wollen wir doch nicht begehen.«

»Mir auch recht. Gehen wir also!«

Nach etwas mehr als einer halben Stunde befanden sie sich wieder auf der Yacht, wo sie die Kleider wechselten. Dem Engländer hatte das unfreiwillige Bad nichts geschadet, da die Nacht eine sehr milde gewesen war. Als sie ihren Raub näher betrachteten, sahen sie, daß die Uhr ein kostbares mit Brillanten besetztes Werk war. Sie öffneten den Deckel. Da stieß Wallert einen Schrei aus:

»Mein Himmel! Was sehe ich!«

Er riß die Uhr an sich und starrte in das Innere des Deckels. Die Augen schienen ihm aus dem Kopfe treten zu wollen.

»Was giebt es denn?« fragte der Lord.

Beim Klange dieser Stimme fiel es Wallert ein, daß er sich beinahe verrathen habe. Er faßte sich also gewaltsam und antwortete:

»Ich habe mir heute im Stillen Ihren Siegelring mit dem eingravirten Wappen betrachtet. Jetzt sehen Sie sich einmal diese Uhr an.«

Er gab sie ihm hin.

»Wohl auch ein Wappen drin?« meinte der Brite.

»Ja, und fast das Ihrige.«

»Fast? Ah! Alle Teufel! Himmel und Hölle! Das ist ja ganz genau das Wappen der deutschen Adlerhorst's! Und darunter – Herrgott – da steht ja ganz deutlich der Name Alban von Adlerhorst! Was hat das zu bedeuten?«

Auch Normann griff nach der Uhr und betrachtete sie genau. Er warf dem Freunde durch einen Blick die stille Aufforderung zu, an sich zu halten und sagte dann zu dem Engländer:

»Der Name ist allerdings sehr richtig. Und wenn Sie dieses Wappen wirklich kennen, so –«

»Kennen? Natürlich kenne ich es! Ich bin ja selbst ein Adlerhorst! Wir stehen hier vor einem Räthsel.«

»Welches hoffentlich zu lösen ist. Sie erzählten mir, daß Sie in Deutschland nach Ihren Verwandten gesucht, sie aber nicht gefunden haben. Gab es darunter einen Alban?«

»Natürlich. Das Familienhaupt hieß so.«

»Ihm hat diese Uhr gehört. Sie befindet sich im Besitze des Paschas. Dieser muß wissen, woher er sie hat. Wir finden da unbedingt eine Spur von Ihren verschollenen Verwandten.«

»Hier in Constantinopel! Wer hätte das gedacht! Ich werde gleich früh den Pascha aufsuchen.«

»Das werden Sie nicht thun!«

»So! Warum denn nicht?«

»Wollen Sie ihm sagen, daß Sie ihm die Uhr geraubt haben?«

»Verflucht! Sie haben Recht. Aber was soll ich denn Anderes thun?«

»Das will überlegt sein. Thun Sie nichts, bevor Sie nicht mit uns gesprochen haben. Wir werden sehr zeitig zu Ihnen kommen.«

»Ja. Aber, hm! Da stecken Sie ja die Uhr ein, Master Wallert!«

»Ach so!« besann sich dieser. »Sie gehört ja Ihnen, wie die Verhältnisse liegen.«

Er gab sie dem Lord hin.

»Danke!« meinte dieser. »Nun lassen Sie uns doch auch sehen, was sich in der Börse befindet.«

Es wurde nachgezählt. Der Inhalt betrug einige hundert Piaster.

»Hätte nicht geglaubt, daß aus mir jemals ein Straßenräuber werden könne,« lachte der Lord. »Aber ich bin mit meinem ersten Erfolge sehr zufrieden. Schade nur, daß diese Art des Broderwerbes gewöhnlich mit dem Galgen endet! Und hier ist der Schlüssel. Ein Riesenkerl, der – Himmelelement, sind wir dumm gewesen!«

»Warum?«

»Ist's denn der richtige Schlüssel?«

»Hoffentlich!«

»Dieses Hoffentlich kann mir aber nicht genügen. Wir hatten ja da draußen die allerbeste Gelegenheit, zu untersuchen, ob er schließt.«

»Das ist wahr. Daß wir nicht daran gedacht haben!«

»Wir müssen es nachholen.«

»Wieder hinausgehen?«

»Ja. Ich laufe sofort hinaus.«

»Nein, Sir. Bleiben Sie und ruhen Sie sich für morgen aus. Wir Beide werden uns diesen Spaziergang machen.«

Sie verabschiedeten sich bald darauf. Am nächsten Morgen kam der Maler und meldete, daß sie noch während der Nacht hinausgegangen seien und gefunden hatten, daß der Schlüssel passe. Dann zog er eine Nummer der Zeitung »Stambul« hervor und zeigte ihm, daß der Raubanfall auf den Pascha bereits veröffentlicht sei. Es war sogar ein Preis auf die Entdeckung der Thäter gesetzt. Und was das Auffälligste war – die Uhr war beschrieben und das Wappen erwähnt.

»Haben Sie bereits etwas beschlossen?« fragte der Engländer.

»Noch nicht. Ich komme aber jedenfalls wieder, sobald wir einen Entschluß haben.«

Er ging und ließ dem Lord die Zeitung zurück. Dieser las den Bericht abermals und fand da den Palast des Pascha angegeben als den Ort, wo etwaige Meldungen und Mittheilungen anzubringen seien. Die Gasse war genannt.

»Hm!« meinte der Brite. »Es ist jedenfalls am Allerklügsten, gleich vor die richtige Schmiede zu gehen. Diese beiden jungen Leute erfahren noch zeitig genug, was ich thue. Sie sind ja nicht interessirt, sondern ich bin es.«

Er ging hinauf auf das Verdeck, wo der Steuermann saß, um sich von der Morgensonne ein wenig braten zu lassen.

»Master Smith,« fragte er, »haben Sie Lust, spazieren zu gehen?«

»Warum nicht?« antwortete der Gefragte. »Soll ich etwa Euer Herrlichkeit begleiten?«

»Ja. Sie sind ein guter Boxer?«

»Na, ich denke!«

Bei diesen Worten zeigte der Steuermann seine beiden Hände vor, die allerdings ganz das Aussehen hatten, als ob er mit ihnen auf einen Hieb einen Ochsen todtschlagen könne.

»Ich will nämlich zu einem Kerl, dem ich nicht traue.«

»Ah! Na, mir können Euer Lordschaft trauen!«

»Ja, das thue ich. Der Kerl ist nämlich ein Pascha!«

»Schadet nichts! Soll ich ihm einige Knochen zerquetschen oder einige Muskeln zusammenwickeln?«

»Nicht gleich im ersten Augenblicke, sondern nur dann, wenn er unmanierlich wird. Sie bleiben bei mir und weichen keinen Augenblick von mir.«

»Na, gut, er mag sich ein wenig in Acht nehmen. Ich habe noch keinen Pascha zwischen den Fingern gehabt, es soll mich verlangen, wie lange er den Athem im Leibe behält!«

*


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