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Dante
Als die Begründer des Humanismus in Italien werden regelmäßig die drei ehrwürdigen großen Dichter genannt: Dante, Petrarca, Boccaccio; nicht mit Unrecht, wenn man die Entdeckung des Nationalgefühls und die Erschaffung einer neuen Sprache für alle die neuen Ideale in den Vordergrund stellt, mit mehr oder weniger Unrecht, wenn man die Überwindung des Christentums durch Wiedergeburt der antiken Kultur ins Auge faßt. Ganz offenbar liegt die Vordatierung der antikirchlichen Renaissance bei Dante (geb. 1265, gest. 1321). Der Politiker Dante freilich war ein wilder Feind seines Papstes und ein Verteidiger der kaiserlichen Rechte; aber er war darum in keiner Weise ein Gegner des Papsttums. In seinem unvergleichlichen Gedichte stehen Verse leidenschaftlichen Hasses gegen Bonifazius VIII. und Clemens V. und wiederum Verse leidenschaftlicher Liebe zum Kaiser Heinrich VII.; dennoch war in dem Gedichte, der Commedia, die man bald huldigend die divina nannte, das scheinbar Unmögliche Ereignis geworden: eine dichterische Darstellung der orthodoxen Theologie des heiligen Thomas. Das politische Buch über die »Monarchie« wahrscheinlich zur Begrüßung des Kaisers verfaßt (1311), lehrt uns die Staatstheorie Dantes kennen, mit viel mittelalterlicher Phantastik, ohne jede poetische Einkleidung. Die konstantinische Schenkung, deren Unechtheit Dante noch nicht kannte, sei ein Unglück für die Kirche gewesen; dem Papste gebühre keine weltliche Macht. Die Weltmonarchie und damit die Hut des Weltfriedens stehe dem Kaiser zu, der sein Amt nicht vom Papste habe, sondern unmittelbar von Gott, mittelbar vom römischen Volke. Die bekannte Gleichung (Papst und Kaiser wie Sonne und Mond) treffe nicht zu; der Mond habe Eigenlicht. Autorität besitze der Papst nur in geistlichen Dingen. Doch alle diese Auflehnungen gegen die Verweltlichung der Kirche machen Dante nicht zu einem Ketzer; so haben vor ihm nicht nur in Deutschland Walther und Freidank gedacht, sondern auch gute Katholiken in romanischen Ländern. Und wer die Inbrunst nicht fühlt, mit der Dante in seinem eigentlichen Lebenswerke den Himmel, die Heiligen und die Geheimnisse der katholischen Kirche liebend umfaßt, dem ist nicht zu helfen. Ja, auch die Geheimnisse oder Dogmen. Das ist das Erstaunlichste an Dante, daß sein Dichten an der Gestaltung der abstrusen scholastischen Theologie nicht zuschanden wurde. Die geistige Hauptarbeit aber des humanistischen Rinascimento bestand gerade in der Bekämpfung der Scholastik durch den gesunden Menschenverstand der alten Römer und Griechen.
Denkt man also bei dem weiten Begriffe Rinascimento nur an den Sieg, den die Wiederbelebung des Platon und des echten Aristoteles über die scholastische Theologie des Mittelalters davontrug, so ist es ohne Zweifel eine Vordatierung, den einzigen und unvergleichlichen Dichter der Scholastik der Renaissance zuzurechnen. Die ganze Bewegung setzt sich aber aus mancherlei Teilbewegungen zusammen; das Rinascimento war für die Menschen, die darin lebten, weit weniger ein Kapitel der Philosophiegeschichte als ein jubelndes Erfassen neuer Ideale, als ein ungestümes Vorwärtsdrängen zu neuen Zielen, die durch den neu verstandenen Begriff der Nationalität zusammengefaßt werden. Am wenigsten bewußt waren gerade die Ziele, die wir heute als die Kunstform der Renaissance kennen und oft in schöngeistiger Beschränktheit fast allein unter Renaissance verstehen; deutlich bewußt nur die Ziele, die auf sprachlichem und politischem Gebiete sich zu mehr als einer neuen Weltanschauung, sich zu einer neuen Welt zusammenfügten. Zu einem neuen Leben, zu einer vita nuova. Eine neue Weltanschauung wäre nur ein neues Denken gewesen. Das Rinascimento als politische Bewegung schuf die Nationalitätsidee, das nationale Ideal und brach dadurch mit dem weltlichen wie mit dem kirchlichen Universalismus der vorausgegangenen Jahrhunderte; nicht sofort und nicht deutlich war das nationale Ideal ein ausgesprochener Indifferentismus gegen den Glauben, aber der leidenschaftliche Kult der Nationalität drängte den Gotteskult zurück. Man konnte doch auf die Länge nicht zwei Göttern dienen. In diesem Sinne ist Dante wirtlich der wahre Urheber des Rinascimento.
Eine unerschöpfliche Fundgrube für die Erkenntnis des damaligen Zeitgeistes ist der zweite Band der erstaunlich gelehrten Forschungen, die Konrad Burdach unter dem Titel »Vom Mittelalter zur Reformation« herauszugeben begonnen hat. Burdach vergleicht einmal seinen Weg mit Serpentinen, die auf die aussichtsreiche Höhe eines Berges führen; Burdach läßt sich von seiner wissenschaftlichen Neugier und von seinem verwegenen Scharfsinn oft verführen, seine Serpentinen wiederum zu verlassen und Abstecher ins Dickicht zu machen, und die Mühe wird fast immer belohnt; unsere Vorstellung von der Frührenaissance wird an hundert Stellen wesentlich geklärt und bereichert. Wir lernen den berühmten Tribun Cola di Rienzo als den Mann kennen, in welchem sich das Rinascimento Dantes verkörperte. Die Wiederbelebung des klassischen Altertums wird zu einer Nebenerscheinung, einer Wiederbelebung (einer Wiedergeburt der Welt), einer Auferstehung des Phönix aus dem Brande; auch das Rinascimento ist eine Neuformung der Menschheit, eine reformatio, wobei noch besonders zu beachten wäre, daß in reformatio der scholastische Begriff der Form steckt, der viel mehr bedeutete als bloß die äußere Gestalt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Wiedergeburt des Menschen, die seine innere Neugestaltung ist, und dem Bruche mit der Scholastik; gleich in seinen ersten Anfängen zersprengt das Rinascimento die Welt in nationale Individuen und die Hochrenaissance gar geht bis zum persönlichen Individualismus, entdeckt bei diesem Streben die neue Wissenschaft vom Menschen, die Psychologie; die Scholastik hatte sich weder in Sprache noch in Politik um das Dasein von Völkern gekümmert, hatte als Denkgeschäft nur Logik und Metaphysik bearbeitet und über der vermeintlichen Wissenschaft von Gott die mögliche Wissenschaft vom Menschen vernachlässigt. Unter dem Gesichtspunkte des nationalen Ideals nehmen auch die Kämpfe zwischen Kaisermacht und Papstmacht etwa seit Dante einen anderen Charakter an; man hatte natürlich immer um die Weltherrschaft gekämpft, aber zumeist mit theologischen Gründen, jetzt wird der alte Streit zu einer nationalen, eigentlich zu einer römischen Angelegenheit. Die römische Demokratie ahnte bereits die Unechtheit der konstantinischen Schenkung oder erkannte doch die Schädlichkeit für die Stadt Rom; und ganz Europa sprach es bald den römischen Patrioten nach: die Weltherrschaft gebühre dem römischen Volke, das seine Rechte nach freier Wahl dem Kaiser oder dem Papste übertragen könne. Die stolzen Römer waren sich dabei gar nicht bewußt, daß sie mit so nationaldemokratischen Anschauungen den Boden des Katholizismus bereits preisgegeben hatten oder doch die päpstliche Forderung: der Bischof von Rom sei nicht nur als absoluter Weltherrscher und König der Könige zu verehren, sondern als Statthalter Gottes oder geradezu als Gott. Burdach hat (S. 263 f.) sehr gut auf das Rhetorische, absichtlich Hochmütige des Ausdrucks hingewiesen; daß man aber die Blasphemie der Bezeichnung zu fühlen begann, war den Ansprüchen der Päpste eben doch gefährlich. Der Streit um die Frage, ob die Frührenaissance schon unreligiös gewesen sei oder nicht, ist ein Streit um das Selbstbewußtsein der Zeit; Dante war noch tief religiös gewesen, obgleich sein Nationalismus die universale Religion in den Hintergrund zu schieben begann; aber die führenden Männer des 14. Jahrhunderts stellten sich nicht mehr einzelnen Päpsten feindlich gegenüber, sondern den Anmaßungen des Papsttums selbst, und bereiteten so eine Stimmung vor, die endlich in Gleichgültigkeit oder Verachtung überging.
Rienzo
Zwischen den beiden Dichtern, dem unvergleichlichen Gestalter des Ungestaltbaren, dem nicht zu überschätzenden Dante, und dem in Italien fast ebenso gepriesenen, doch wohl überschätzten Troubadourschüler Petrarca, steht als Bahnbrecher des Rinascimento der Staatskerl Cola di Rienzo, von Dante stark beeinflußt, mit Petrarca innig befreundet. Man denkt bei Rienzo zunächst an den Volkstribun, also den Demokraten, den Republikaner; aber so, wie wir das heute verstehen, war Rienzos Politik nicht festgelegt; die res publica war ihm höchstes Gesetz, nicht die Zufallsform der Republik. Wohl berauschte er sich – sein ganzes Leben war ein Rausch mit allen hohen Genüssen und kleinen Folgen des Rausches – an der Aussicht, die altrömische Republik wiederherzustellen, dem Volke der Stadt Rom die Weltherrschaft wiederzugeben, aber er dachte dabei an so etwas wie eine beschränkte weltliche Monarchie des Kaisers neben einer beschränkten geistlichen Monarchie des Papstes; er vermeinte, Kaiser und Papst seinen Zielen dienstbar zu machen und merkte es nicht, trunken von seinen eigenen Reden, wenn Kaiser und Papst mit ihm spielten und ihn kaltblütig gegen die römischen Aristokraten benützten.
Bei Rienzo war die politische Richtung schon so einseitig ausgeprägt, daß er, wenigstens in den Sprachbildern, als ein Unchrist erscheinen konnte; wie denn der Papst ihm einmal vorwarf, er habe die Gewohnheiten der christlichen Religion (von der Religion selbst ist nicht die Rede) abgeworfen. Diesen Eindruck des Unchristen machte der Wiedererwecker der heidnischen Römergröße überall, auch in Deutschland; und es wirkte nach, daß Rienzo, da er als berühmter Gefangener in Böhmen weiter seine rednerischen Künste übte, wie ein Königssohn aus dem Märchen bewundert wurde, wie ein Prinz, dessen Braut – nach einer geläufigen Vorstellung – die Stadt Rom war. Daß Rienzo für den Bastard eines deutschen Kaisers galt, gehört mit zu seiner Märchengeschichte. In den Prunkreden Rienzos finden sich unaufhörlich Anklänge an die Sprache der altrömischen Dichter; nichts mahnt daran, daß er durch die Schule der Scholastik hindurchgegangen wäre: er kann schon darum gar nicht daran denken, sie zu bekämpfen. Wahrscheinlich war seine Schulbildung nicht tief genug, um ihn als Freund oder Feind der Scholastik auftreten zu lassen; gewiß aber galt sein Interesse nicht scholastischen Fragen, sondern den Forderungen des Lebens. Er war ausschließlich Politiker und machte sich gar nichts aus logischer Konsequenz. Er war so sehr Demokrat und Plebejer, daß er Kaiser und Papst, Kurfürsten und Kardinäle vor den Richterstuhl des römischen Volkes lud, doch sein Lieblingsschriftsteller war Julius Cäsar. In Avignon wurde ganz mit Recht die doppelte Anklage gegen ihn erhoben, die Stadt Rom der Herrschaft des Papstes wie des Kaisers entzogen zu haben; er wurde in diesem Prozesse (1352) auch nur freigesprochen, weil seine Verteidiger ihn für einen Poeten ausgaben und die Ausübung der Poeterei in der Zeit des Rinascimento nach Dante ein heiliger Beruf war. Und die Meinung war überdies richtig. Rienzo war ein Dichter, der anstatt der Sprache das Völkerschicksal meistern wollte, wie in unseren Tagen die Dichter Kurt Eisner und Gustav Landauer. Und wie für den Verfasser des »Aufruf zum Sozialismus« das System von Marx das Gegenteil von Wissenschaft ist, ein Schwindel oder eine Eselei, so war für Rienzo die ganze Scholastik ein Geschwätz, das den handelnden Menschen nichts anging, an dessen Widerlegung weder der Politiker noch der Dichter seine Kraft vergeuden dürfte. Das sagt er nirgends mit so bestimmten Worten, es steht jedoch zwischen den Zeilen seiner Briefe.
Petrarca
Auch Petrarca (geb. 1304, gest. 1374) nahm diese Arbeit eigentlich noch nicht auf sich; in seinen zahlreichen lateinischen und in den italienischen Schriften, die seinen Dichterruhm ausmachen, steht selten ein Wort, das man als Ketzerei gegen die katholische Schulmeinung oder gar gegen die katholische Lehre auslegen könnte; der wahrlich nicht weltfremde Petrarca, der wenigstens die niederen Weihen empfangen hatte, um mit der Tonsur das Anrecht auf eine recht stattliche Zahl von Pfründen zu erwerben, hat sich mit der Kirche niemals überworfen, so heftig er auch Päpste angriff. Humanistisch (im Sinne der Italiener) war sein römischer Patriotismus; nur daß er sich für den Tribun Cola di Rienzo begeisterte, für die römische Demokratie, wie Dante für den deutschen Kaiser. Ganz humanistisch, doch nicht polemisch, nur höflich ablehnend war sein Verhältnis zur Religion und Theologie, so nämlich, daß er seine Moralphilosophie fast ausschließlich auf die Lehren der römischen Stoiker gründete, nicht auf die Bibel. Er war sich auch vollkommen bewußt, den Tugendbegriff der Heiden vorzutragen; er fügte sich in das katholische Kostüm seiner Zeit, aber der theologische Katholizismus war ihm fremd; wenn er sich – nach seinen eigenen Worten – aus seiner Gegenwart hinaussehnte und darum das Studium der antiken Welt zu seiner liebsten Beschäftigung machte, so darf man wohl sagen: es war die katholische Gegenwart, die er vergessen wollte. Er tat als Schriftsteller nichts für die geistige Befreiung seines Volkes; doch sich selbst hatte er so völlig befreit, daß ihm Sünde und Erlösung, an denen das Mittelalter sich zermarterte, nichts mehr bedeuteten. Er predigte den Indifferentismus nicht, aber er lebte ihn vorbildlich.
Man wird bei Petrarca oft an den idealen Egoismus, an die friedliche Freiheit, an die entsagende und betrachtende Gestaltungslust Goethes erinnert; selbst etwas Weltschmerz und etwas Naturfreude, sonst unerhört im 14. Jahrhundert, ist schon nachzuweisen, und recht modern ist seine Ablehnung von Astrologie und Alchimie. Noch näher scheint mir aber eine Vergleichung mit Erasmus zu liegen; auch Petrarca ist kindlich eitel auf seinen Ruhm und auf seinen Umgang mit Königen; auch Petrarca ist ein solcher Virtuose der Form, daß es ihm in seinen Briefen auf eine kleine Umbiegung der Wahrheit nicht ankommt, auch Petrarca ist kein Bekenner; aber er war zu seinem Glück in eine Zeit gestellt, die keinen Bekennermut verlangte, und so blieb ihm das Schicksal des Erasmus erspart: durch Neutralität bei Rückschrittlern wie bei Fortschrittlern anzustoßen. Ich möchte die Vergleichung nicht zu Tode reiten wie einen Witz: seine äußere Weltstellung gegenüber den Gewalthabern, sein freier Briefwechsel mit den Königen des Nordens (nur Voltaire besaß wieder ein so internationales Ansehen), sein Verhältnis zu dem damaligen Reformator, dem er am Ende doch treulos wurde, alles erinnert an Erasmus. Ich will nur einen einzigen Zug hervorheben, weil er auch den Kennern, und just diesen, eine Überraschung bieten wird. Erasmus verachtete die Nationalsprachen; der gelehrteste der Humanisten war so ehrgeizig, daß er die Unsterblichkeit seines Schriftstellerruhms keiner der neuen Volkssprachen anvertrauen wollte, sondern nur dem klassischen Latein der alten Römer. Wie ein Gegenstück zu einer solchen Verbohrtheit scheint Petrarca dazustehen, dessen Weltruhm – heute wenigstens – ausschließlich auf den italienischen Versen gegründet ist, die er seiner ewigen, darum doch etwas langweiligen Laura gewidmet hat. Aber Petrarca – wie sein jüngerer Freund Boccaccio – dachte sich die Sache seines Nachruhms etwas anders: die Gemeinsprache benützte er für die Wirkung des Tages, auf die Nachwelt hoffte er nur durch seine lateinischen Schriften zu gelangen. Ebenso verkehrt – vom Standpunkte der Gegenwart aus – urteilt er über Dante: der sei erhaben durch seine Gedanken gewesen, platt durch die Sprache; der Gemeinsprache sei Dante einzig ergeben gewesen, Petrarca nur in seiner Jugend. Es geht da ein Riß durch das sprachliche Empfinden der früheren und der späteren Renaissancemenschen; es ist ihre entscheidende Tat, daß sie durch die Schöpfung von Nationalstaaten und Nationalsprachen den Katholizismus oder den Universalismus der Einen Kirche für alle Zeit vernichtet haben, und dabei lassen sie sich von einer üblen Konsequenzmacherei verleiten, das alte Latein, das ja auch die Weltsprache, die künstlich am Leben erhaltene, der Kirche war, höher zu schätzen als ihre Muttersprache. Es steht darum wie um die Stellung deutscher Humanisten zum römischen Recht: die Nationalitätsidee lehrte sie das deutsche Gewohnheitsrecht höher schätzen als die scholastischen Rabulistereien der Juristen, doch das Dogma vom klassischen Altertum flößte ihnen doch wieder Ehrfurcht ein vor dem kaiserlichen Rechte, vor den lateinisch geschriebenen Rechtsbüchern der römischen Kaiser.
Petrarca wollte also ein latinisierender Humanist sein, ein Gelehrter, und war ein italienischer Dichter; dieser Zwiespalt seiner Seele wiederholt sich nun in seinem Verhältnisse zur Philosophie und wir haben kein Recht, solche Rätsel des 14. Jahrhunderts mit Worten des 20. aufzulösen. Petrarca war ein lyrischer Dichter, und so war ihm die logische und metaphysische Schulmeisterei der Scholastik tief zuwider, nach Form und Inhalt; aber er wollte ein Gelehrter sein, nichts als Gelehrter, und da gehörte so ein bißchen Scholastik unweigerlich mit dazu. Wie er denn auch ganz gewiß durch den scholastischen Unterricht hindurch gegangen ist. Doch es ist nicht viel haften geblieben, schon darum nicht, weil die sogenannte Philosophie Petrarcas niemals auf Logik oder Metaphysik gerichtet war, sondern so ungefähr auf Moral. Er half sich so, daß er seine Gedanken aus Cicero und Seneca holte und in die Sprache neuplatonischer Kirchenväter einkleidete. Die Geheimnisse der Religion, die Übervernünftigkeiten, um welche eben wieder Wortrealisten und Nominalisten mit den Köpfen gegeneinander stießen, interessierten ihn nicht; für die Liebe Gottes und für eine Art moralischer Psychologie genügten Seneca und Augustinus, an Sonntagen der arg verchristelte Platon. »Ich liebe nicht die Sekten, sondern die Wahrheit.« Gleichgültigkeit gegen alle Dogmatik ist ihm Lebensbedürfnis; er ist ein skeptischer Eklektiker, ohne sich Gedanken darüber zu machen, daß er dann nicht ganz rechtgläubig sein kann. Meines Wissens hat er nur ein einziges Mal, als ganz alter Herr, zu den Schulstreitigkeiten seiner Zeit Stellung genommen, in der merkwürdigen Schrift »Über seine eigene Unwissenheit und die der Anderen«. Da spottet er über das blödsinnige Geschrei der Scholastik und über ihre dialektischen Spitzfindigkeiten; sieht man aber genauer zu, so wendet er sich da freilich gegen Aristoteles und die Aristoteliker, aber doch mehr gegen die Sprachform und gegen den Autoritätsglauben dieser Schule als gegen bestimmte Sätze. Dem Dichter Petrarca wie dem Verehrer Ciceros war vor allem der logikalische Stil der Scholastiker unerträglich. Schon früher hatte er gelegentlich seinen Abscheu vor dieser Unform ausgesprochen. Kein gebildeter Schriftsteller werde so schreiben. In einem Buche müsse logische Kraft heimlich stecken, nicht durch Syllogismen zur Schau getragen werden.
Petrarca steht der Zeit nach zwischen Dante und Boccaccio, ist aber in seinen Gedichten wie in seinen Briefen weit mehr veraltet als seine beiden Ruhmesgenossen; ja, ich stehe nicht an mit dem Geständnisse, daß mir wenigstens ein häufiges Lesen seiner Schriften fast unerträglich ist: seine weltberühmten Sonette können durch die wirkliche Schönheit der Sprache nicht entschädigen für die Kleinlichkeit des Stoffs, für die Unwahrheit des Gefühls, für die Armut, die sich in endlosen Wiederholungen verrät; seine lateinischen Briefe gar wirken oft komisch durch die Aufdringlichkeit, mit welcher ein erbärmliches Schulwissen überall an Stelle der einzelnen Tatsachen tritt: keine Assoziation wird uns geschenkt, kein Satz darf eines antiken Namens entbehren. Dennoch ist Petrarca in mancher Beziehung moderner als Dante und Boccaccio; er ist bei aller Eitelkeit der Lebensführung ein Menschenverächter, ein Pessimist; sein Pessimismus verhilft ihm mitunter zu erstaunlicher Menschenkenntnis, und Religion ist ihm nicht viel mehr als ein Kleid, das er der Mode gemäß trägt. Er war ein Geistlicher; doch man könnte unschwer sein Leben beschreiben, ohne auch nur zu erwähnen, daß er ein Christ war. Dieser Unchristlichkeit widerspricht es wahrlich nicht, daß Petrarca von Jugend auf und bis in sein spätes Alter es mit Männern der Kirche zu tun hatte, daß er zuletzt die äußeren Bräuche der Kirche eifrig mitmachte, daß er von Päpsten zum Amte eines Staatsschreibers ausersehen wurde. Just in seinem Briefwechsel mit dem päpstlichen Hofe von Avignon kommt eine große und oft tapfere Leidenschaft Petrarcas zutage, doch diese Leidenschaft gilt niemals der Kirche, immer nur der Stadt Rom; er betrachtet es als seine politische Lebensaufgabe, den Papst aus Avignon wieder nach Rom zurückzubringen; so gut wie niemals beruft er sich dabei auf einen Vorteil der Kirche; Man muß mit des Petrarca Betriebsamkeit die fast gleichzeitige Rompropaganda der heiligen Catarina von Siena vergleichen, um Petrarcas Weltlichkeit ganz würdigen zu können; Catarina stürmte noch wilder auf die Päpste von Avignon ein, auch sie ist staatsmännisch, auch sie ist oft respektlos, aber sie tritt bewußt als »Heilige« auf, im Auftrage ihres Jesus Christus. Freilich, in der Unterseele wird auch sie vom Rinascimento stark beeinflußt gewesen sein; und moderne Menschen waren beide, die asketische Catarina und der arg verweltlichte Petrarca. es ist ihm einfach eine Forderung des Rinascimento: Rom soll zu seiner alten Größe auferstehen, soll die Herrschaft der Barbaren abschütteln, einerlei, ob das durch den Papst oder durch den Kaiser geschehen kann. Der lästige, bis zur Abgeschmacktheit gezierte Schönredner Petrarca ist nicht wiederzuerkennen, wenn er in seinen mit Recht berühmten Briefen den Kaiser Karl oder einen Papst zur Befreiung Italiens aufruft; und es duldet keinen Zweifel, daß es ihm nur um Italien zu tun ist und um die heilige Stadt Rom, nicht um irgendein Recht des Kaisers oder des Papstes. Ich habe gesagt, man könnte das Leben Petrarcas erzählen, ohne seines geistlichen Amtes oder seines Christentums Erwähnung zu tun; so könnte man über das geschlechtliche Leben Petrarcas berichten, ohne seine Laura, den einzigen Gegenstand seiner Liebesgedichte, auch nur zu nennen; so könnte man seine Begeisterung für Rom darstellen, ohne daß seine Zugehörigkeit zur römischen Kirche irgendeine Rolle spielte. Die Stadt Rom ist sein Tollpunkt. Rom soll wieder die Welt regieren. Zu diesem Endzwecke würde er den römischen Kaiser aus dem barbarischen Böhmerlande mit in Kauf nehmen oder auch den römischen Papst mit seinen geldgierigen und lasterhaften Kardinälen; am liebsten freilich wäre ihm für diesen Endzweck der römische Volkstribun, der fast heidnische Freund Rienzo. Ein Bischof aus dem Hause der Colonna hat den Nagel auf den Kopf getroffen, da er dem Petrarca scherzhaft schrieb: er sei ein Komödiant, er heuchle eine besondere Liebe für den heiligen Augustinus, in Wahrheit sei es ihm nur um die großen Dichter und Philosophen des alten Rom zu tun. Der Glaube an die Unübertrefflichkeit Italiens (auch im Klima, in den Nahrungsmitteln) ist eigentlich sein einziger Glaube.
Das Verhältnis Petrarcas zu den Päpsten seiner Zeit, zu Rienzo und zu Karl IV. ist einzig und allein durch seinen Patriotismus bestimmt, in keiner Weise durch irgendwelche Religiosität. Als Johannes XXII. ein neues und gar nicht unvernünftiges Dogma einführen wollte (daß nämlich die sinnliche Anschauung Gottes den Verstorbenen erst nach Wiedergewinnung ihres Leibes, also nach dem Jüngsten Tage möglich sein werde), als eine förmliche Empörung der Kardinäle darüber entstand, fügte sich Petrarca kopfschüttelnd der antipäpstlichen Entscheidung der Kurie, die – wie Petrarca recht gut wissen konnte – in dem neuen Dogma eine Gefahr für das Ablaßgeschäft witterte. Als (1334) die Wahl des Konklave auf Benedikt XII. fiel und der neue Papst bescheiden ausrief: »Ihr habt einen Esel gewählt!«, kümmerte sich Petrarca gar nicht um die geistigen oder sittlichen Qualitäten des Mannes, sondern nur um die Tatsache, daß auch dieser Papst nicht nach Italien zurückkehren wollte. Als Clemens VI. den päpstlichen Stuhl bestieg, fragte Petrarca wieder nicht danach, ob der Statthalter Gottes ein Verschwender und Weiberknecht war, sondern nur danach, ob Avignon oder Rom der Sitz der lasterhaften Kurie sein werde. Völlig unchristlich ist sein Enthusiasmus für Cola di Rienzo. In den Staatsbriefen, durch die Petrarca den lustigen Clemens VI. zur Rückkehr nach Rom bereden wollte, stieg er so weit hinunter, auch auf die Heiltümer hinzuweisen, den Stab Aarons, die Wiege und die Vorhaut Christi, Milch aus der Brust der heiligen Jungfrau usw., Heiltümer, über deren Unechtheit der päpstliche Hof lachte, der historisch gebildete Petrarca seufzte. Dem Volkstribun gegenüber verschmähte er solche Rhetorik.
Bei der Geschichte Rienzos sollte man den Umstand niemals übersehen, daß Rienzo seine große Laufbahn als ein Beamter des Papstes begann, als apostolischer Notarius. Bei Gelegenheit einer Gesandtschaft der Römer an den Papst, zu Avignon, hatten einander Petrarca und Rienzo kennen gelernt. Rienzo, ein phantastischer Kopf, hatte seine Einbildungskraft eingestellt auf heidnische Schlagworte und Symbole; er verlegte sein theatralisches Auftreten auf christliche Festtage, was er aber dann vorbrachte, waren antike Begriffe (wie »Volkswohlfahrt«) und antike Bilder; er beteuerte seinen Gehorsam gegen den Bischof von Rom, während er schon versprach, die Einkünfte des Bischofs für die Volkswohlfahrt zu verwenden. Und unter der Wohlfahrt wurde bereits die Wiederherstellung der republikanischen Staatsform mitverstanden; und die italienischen Einkünfte, die durch das Jubeljahr bedeutend gesteigert worden waren, sollten nicht ins Ausland gehen, nach Avignon; wir vernehmen da dieselben Töne, die nachher bei Hutten und Luther gegen die Ausfuhr des deutschen Geldes nach Rom laut wurden. Trotzdem bestätigte die Kurie den Rienzo, als er sich unter dem Namen eines Tribuns zum Herrn von Rom gemacht hatte und die römischen Barone demütigte; man rechnete wohl darauf, durch Rienzo die Macht des Adels zu brechen und nachher mit der Demokratie so oder so fertig zu werden. Ohne eine solche Hinterhältigkeit war Petrarca von dem raschen Siege Rienzos einfach begeistert; in seinen Briefen, die die Stelle von Flugschriften oder Zeitungsartikeln vertraten, vergleicht er den Tribun, den dritten Befreier Roms, mit den beiden Brutus, ja auch schon mit dem Kaiser Augustus; wobei zu beachten ist, daß zu den gestürzten römischen Baronen auch die Colonna gehörten, die alten Beschützer und Freunde Petrarcas. Wenn Rienzo die glänzend begonnene Laufbahn einhält, wird Petrarca den Ruhm des Rienzo gar noch als Dichter singen. An der schwülstigen Antwort Rienzos ist besonders merkwürdig, daß sie vom ersten Jahre der Republik datiert ist, also die christliche Zeitrechnung abschafft, wie das 1792 wieder für einige Jahre geschah; auch der Adelstitel wurde gewissermaßen aufgehoben, immer mit kluger Schonung – was Petrarca ausdrücklich lobt – der Gewohnheitsrechte des Papstes. Rienzo handle wie Brutus und spreche wie Cicero.
In Avignon bildeten sich zwei Parteien; die Italiener, die die Minderheit am päpstlichen Hofe bildeten, waren für Rienzo, die zahlreichen Franzosen gegen ihn. Als er aber im Rausche seiner Macht eine Torheit nach der anderen beging, die deutschen Gegenkaiser vor sein Gericht forderte, das Wahlrecht des römischen Kaisers den Kurfürsten absprach, dem römischen Volke zusprach, als er durch die Prachtliebe seiner Umgebung und durch närrische Zeremonien in Rom lächerlich zu werden anfing, da vereinigte sich die französische Partei von Avignon mit den römischen Baronen, die aufs äußerste gereizt, aber nicht vernichtet worden waren, zum Sturze des Tribuns. Petrarca erwies sich als der bessere Staatsmann, doch seine Warnungen kamen zu spät. Das Volk, kindisch wie immer, fiel von Rienzo ab. Er mußte fliehen.
Es ist bekannt, wie er vogelfrei zuerst in Neapel, dann bei den Franziskanern Zuflucht fand, wie er vergebliche Anstrengungen machte, durch einen deutschen Kondottiere – dessen Wahlspruch: »Gottes Feind« – die Gewalt über Rom wiederzugewinnen suchte, wie er abermals einen Aufstand in Rom anzettelte, darauf in Bann getan wurde und sich in der Verzweiflung dem Kaiser zu Prag als Gefangener ergab; wie er vom Kaiser an den Papst ausgeliefert wurde, nach Avignon, wo ihm der Prozeß gemacht werden sollte. Petrarca sagte sich von Rienzo los, ehrlich, nicht wegen seiner Absichten, sondern weil er die Revolution nicht stark zu Ende geführt habe. Es ist weiter bekannt, wie ein neuer Papst den Tribun abermals gegen die römischen Barone auszuspielen suchte und wie Rienzo bei diesem Unternehmen jämmerlich und schmählich umkam.
Petrarca, der Mann des politischen Rinascimento, setzte seine Hoffnungen bald nach dem Fehlschlage des ersten Tribunats mit unveränderter Leidenschaftlichkeit auf den Kaiser; wieder glaubte er, mit der Rednerei seiner Briefe Weltgeschichte machen zu können. In einem verstiegenen Sendschreiben (vom 24. Februar 1350) beschwört er den Kaiser, nach Italien zu kommen. »Italien ist dein wahres Vaterland,« Rom erwarte seinen Gemahl. Der Dichter war inzwischen von Avignon nach Padua gekommen; es hängt offenbar mit seinem Notruf an den Kaiser zusammen, daß er sich jetzt in seinen Privatbriefen schrankenlos über die Zustände am päpstlichen Hofe gehen läßt, wo man den Heiland für Geld verkaufe; er wußte sehr gut, daß das Jubiläum von 1350 ein Ablaßbörsengeschäft größten Stils war, daß die römischen Hausbesitzer und Händler sich an den Pilgern schamlos bereicherten, daß die Kurie selbst sich so weit vergaß, sich den Ablaß, der an die Pilgerfahrt geknüpft war, geradezu gegen Bezahlung der wahrscheinlichen Reisekosten abkaufen zu lassen; er war aber schwach genug, dennoch die vorgeschriebenen Kirchenbesuche in Rom auszuführen, um den Jubiläumsablaß zu gewinnen; es ist nicht unmöglich, daß eine wilde Satire – der Satan belobt darin seinen Statthalter, den Papst, und die Handlungen der Kardinäle –, die um diese Zeit in Avignon Aufsehen machte, den Petrarca zum Verfasser hatte. Der war also, wie man damals immer noch sagte, Ghibelline geworden: nicht der Papst, sondern der Kaiser sollte die italienischen Staaten zu einer Weltmonarchie vereinigen. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Rechnung falsch war. Karl IV. beantwortete die Briefe Petrarcas sehr herablassend, machte ihm Versprechungen und sogar Geschenke, dachte aber nicht einen Augenblick daran, Petrarcas italienische Politik zu der seinigen zu machen. Wohl kam er in seinen persönlichen Angelegenheiten (im Herbste 1354) über die Alpen, vom Dichter im Plakatstil begrüßt, der dafür vom Kaiser mit sehr schmeichelhaften Redensarten abgespeist wurde; aber Karl begnügte sich damit, sich in Rom unter entwürdigenden Bedingungen krönen zu lassen und aus Italien so große Summen zusammenzuholen, als irgend möglich war. Er kehrte zum großen Schmerze von Petrarca ohne jede politische Tat nach Deutschland zurück. » Portanto seco molto oro, ma molta vergogna«, sagt Muratori von ihm; und der Kaiser Maximilian I.: er würde das Reich verkauft haben, wenn er einen Käufer gefunden hätte.
Noch einmal kam es zu einer Annäherung zwischen dem Kaiser und Petrarca; der Dichter nahm eine Einladung nach Prag an; doch es gab da fast nur einen Austausch von Eitelkeiten; auch die Ernennung Petrarcas zu einem deutschen Pfalzgrafen (so ungefähr Hofrichter) und zum Staatsschreiber war nicht viel mehr als eine Eitelkeit. In dem großen Werke Konrad Burdachs »Vom Mittelalter zur Reformation« mag man nachlesen oder erforschen, welche Bedeutung die Beziehungen des italienischen Dichters zu den geistlichen und weltlichen Würdenträgern der Prager Kanzlei für den deutschen Humanismus, für die deutsche Bildung, mittelbar für die Ausbildung der neuen deutschen Sprache gehabt haben mögen.
Mir war es bei dieser ganzen Darstellung von Petrarcas öffentlichem Wirken darum zu tun, die Berechtigung meiner Behauptung zu erweisen, daß die christliche Religion im Dasein dieses Dichters gar keine Rolle spielte. Aber auch in seinem Privatleben, besonders in seinem immer unbefriedigten Ehrgeize nach literarischem Ruhme, war er unchristlicher, als es den Anschein hat. Daß der Gegenstand seiner Liebesgedichte eine verheiratete Frau war, konnte freilich so früh nach dem Zeitalter der Troubadours nicht auffallen und daß diese Mode eher arabisch als christlich war, ahnte er eher als daß er es wußte; auch daß der Held seines großen lateinischen Epos ein römischer Heide war, das gehörte eben zu der Weltanschauung des Rinascimento. Aber auch der Höhepunkt seines Daseins, seine Dichterkrönung, zeigt keinen christlichen Zug. Von Petrarca stammt die resignierte Klage: povera e nuda vai, filosofia; er war dabei Humanist genug, um auch den niederen Lohn für seine Verse nicht zu verschmähen. Um das gleich hinzuzufügen: Petrarca sehnte sich oft danach, zu seinen kleineren und größeren Pfründen auch noch angesehene und glänzende Stellungen zu erlangen, am päpstlichen oder am kaiserlichen Hofe oder bei einem der italienischen Potentaten; aber er war immer zu stolz und zu freiheitliebend, um die Wege zu gehen, die allein zu solchen Stellungen führten. Nur seine üble Eitelkeit war noch stärker als sein schöner Stolz und die Aussicht, feierlich vor dem ganzen Volke mit einem Lorbeerkranze zum Dichter gekrönt, d. h. für den größten Dichter der Zeit erklärt zu werden, seine Unsterblichkeit gewissermaßen verbrieft zu bekommen, lockte ihn mehr als irgendeine Aussicht auf sein Seelenheil. Daß er dabei den Lorbeer und seine ewige Geliebte in Verbindung brachte, gehörte freilich nur zu den anderen unausstehlichen Spielereien, die er mit den Worten Laura und lauro trieb. Doch auch die Dichterkrönung selbst war eine Komödie, in welcher die Religion wie in seinem ganzen Leben nicht mehr als eine Kostümfrage war. Paris und Rom, die beiden Hauptstädte der damaligen Welt, bewarben sich um die Ehre, ihn krönen zu dürfen; er entschied sich für Rom, nur weil man den Gebrauch einer solchen Krönung für eine alte heidnische Sitte hielt. Er unterzog sich einer Dichterprüfung durch den schöngeistigen König von Neapel, und diese Prüfung kümmerte sich wahrlich nicht um den Glauben des Kandidaten. Beim Schalle der Trompeten, unter patriotischen Reden wurde ihm zu Rom der Kranz aufgesetzt, aus dem Kapitol; die einzige christliche Geste war, daß Petrarca den Lorbeerkranz nachher in der Peterskirche aufhing, doch wohl wieder mehr aus Eitelkeit als aus Frömmigkeit. Er hatte es immer nur mit dem heidnischen Rom zu tun; der Papst, der nach Petrarcas höhnischem Worte den Himmel mit dem Finger öffnet und die Gestirne mit der Mütze regiert, hatte Rom verlassen und zählte für den patriotischen Dichter nicht mehr mit. Auf die Äußerlichkeit seiner Beziehungen zur Kirche scheint es mir ein grelles Licht zu werfen, daß er einmal ganz unbefangen niederschreibt, er genieße (zu Mailand) in einer benachbarten Kirche »die unschuldigen Vergnügungen der Religion«. Solche leise blasphemische Äußerungen finden sich in den Briefen mehr als einmal, auch da, wo er das Lob Gottes zu singen behauptet. Er versorgt eine seiner Pfründen, doch seinen Geist will er sich von keinem Amte irgendwie belästigen lassen.
Da Petrarca kein Bekenner war und ihn theologische Fragen eigentlich gar nicht interessierten, sind für seine Entfremdung vom katholischen Glauben auch in seinen wissenschaftlichen Schriften nur wenige Belege zu finden. Ich bin nur verpflichtet, zwei Bücher heranzuziehen, eines aus seiner besten Zeit, eines aus seinem hohen Alter. Das erste ist eine Reihe von Gesprächen mit dem heiligen Augustinus, eine Art philosophischer Dichtung, in der Petrarca sich über sich selbst offener ausspricht als sonst: über seine Eitelkeit, über seinen Ehrgeiz, über seine Unkeuschheit (Augustinus lacht sehr hübsch darüber, daß Petrarca zu beten pflege: »Gott, mache mich keusch, aber nicht zu bald«), über seinen Pessimismus, seinen Weltschmerz oder wie man das lateinische Wort acedia übersetzen will. Erst das dritte Gespräch macht den Versuch, nicht ohne banale Redensarten, auf die Grundzüge in Petrarcas Leben einzugehen, auf sein Liebesverlangen und auf seinen Ehrgeiz. Von der sentimentalen Liebe will der Heilige den Dichter mit realistischen Gründen befreien, fast wie Carlos den Clavigo; Laura sei nach ihren zahlreichen Krankheiten und Mutterwehen (so nach den besten Handschriften) gar nicht mehr begehrenswert; auch dürfe man den Schöpfer nicht über dem Geschöpfe vernachlässigen. Petrarca solle sich je nachdem durch Sättigung, durch Scham oder durch Überlegung von dieser albernen Liebe befreien.
Ernstlicher wird der Dichter wegen seines sündhaften Ehrgeizes vermahnt. Über die Ehre urteilt der Heilige fast genau wie Falstaff: ein von vielen ausgestoßener Lusthauch. Wofür das ganze Treiben? Zuerst mit allen Kräften den Ruhm zu suchen, um ihn schließlich verachten zu lernen. Doch der Heilige scheint zuletzt einzugestehen, daß Petrarca unverbesserlich sei. »Du liebst deine Bücher mehr als deine Seele.«
Aus dem anderen Buche lernen wir einen anderen Petrarca kennen, einen müden Mann von 63 Jahren, der seinen Frieden mit der Kirche gemacht hat und gern das Christentum gegen einen Heiden verteidigen möchte. Er lebte damals in Venedig. Ein Kreis von jungen Averroisten, die mit Aristoteles nichts von einer Weltschöpfung, einer Vorsehung, einem Jenseits wußten, die über Moses spotteten und die Stifter des Christentums verachteten, hatte sich ihm angeschlossen; bald aber von seiner Pedanterie und seinen Phrasen gelangweilt, scheinen sie so etwas wie einen Bierulk gegen den Meister veröffentlicht zu haben: in der beliebten Form eines Prozesses wurde der Nachweis geführt, daß Petrarca zwar ein guter Mensch wäre, aber ein geschmackloser Poet und ein elender Philosoph. Petrarca nahm die Sache tragisch und wendete alle die schon damals verstaubte Gelehrsamkeit, über welche die jungen Venezianer spotteten, zur Widerlegung des Averroes auf. Eigentlich nur zur Widerlegung des esoterischen Averroes, von welchem die radikalsten Freidenker versicherten, er hätte das Judentum eine Religion für Kinder genannt, den Islam eine Religion für Schweine und das Christentum noch ärger beschimpft als die ungereimteste unter allen Sekten. Petrarca bekämpfte die anstößigen Lehren der Averroisten; er gebärdete sich, als ob er ein gläubiger Christ wäre; aber man hört einen Unterton, der mir zu beweisen scheint, daß Petrarca, immer Politiker, eher an dem rücksichtslosen Aussprechen solcher Gedanken Anstoß nahm als an den Gedanken selbst. Was die italienischen Averroisten dieser Zeit lehrten, war nicht mehr und nicht weniger als die Einheit aller Menschenseelen in einer umfassenden Weltseele; man könnte es einen pantheistischen oder atheistischen Monopsychismus nennen; was Petrarca gegen diese Vorwegnahme des Spinozismus einzuwenden hatte, das war im Grunde nicht christlicher als der Angriff, den mehr als 300 Jahre später Bayle gegen Spinoza selbst richtete. Petrarca hatte, wie gesagt, seinen Frieden mit der Kirche gemacht, auch lag es von jeher nicht in seinem Charakter, auch nicht in der Richtung seines Geistes, gegen die Sitte zu rebellieren; wie er als junger Mann lieber die Pein zu enger Stiefel ertrug, als daß er gegen die Mode gesündigt hätte, so trug er als alter Herr immer ergebener die Bürden seines geistlichen Standes. Tapfer, oft überraschend tapfer, war er nur, wenn es sich um die große Passion seines Herzens handelte, um die Stadt Rom. Seine letzte Überzeugung über die beiden Schwerter, das des Reiches und das der Kirche, hat er nur einmal deutlich ausgesprochen, in einem intimen Briefe an einen Kardinal; politisch erbittert darüber, daß das kirchliche Schwert bei den barbarischen Franzosen sei, das weltliche Schwert bei den barbarischen Deutschen, wünscht er und prophezeit er ein baldiges Ende des Reichs und der Kirche; ohne über das Ende zu klagen. Beide Schwerter seien stumpf geworden, das eine wie das andere Licht werde erlöschen. »So ist das Schicksal aller menschlichen Dinge, daß sie nicht dauern können.« Man hat den Satz meines Wissens noch niemals hervorgehoben: die Kirche ein menschlich Ding.
Petrarca war aber so wenig ein Denker oder gar ein Freidenker, daß man diese Züge von Indifferentismus kaum als Feindschaft gegen die Kirche auslegen dürfte; er wollte mit der Kirche nur nichts zu schaffen haben. Und der Dichter, der uns oft wie ein moderner Geist erscheint, steckte wiederum so tief im Mittelalter, daß er sich seines einzigen übriggebliebenen Ruhmestitels, seiner Meisterschaft im Gebrauche der italienischen Volkssprache, geradezu schämte. Wie bereits erwähnt. Auf den Ruhm Dantes war er einfach neidisch; und sah auf den so viel größeren Dichter wirklich hinunter, mit der Begründung, Dante hätte sein Leben lang italienische Verse gemacht, während er selbst diesem Spiele nur einen Teil seines Genies gewidmet hätte. Noch komischer ist für uns ein Zug aus seinen Beziehungen zu Boccaccio. Mit diesem war er befreundet, vierundzwanzig Jahre lang; aber den einzigen und unverwelklichen Ruhmestitel des Genossen, den Decamerone, lernt er nicht kennen. Bis er einmal, kurz vor seinem Tode, das Buch in die Hände bekommt. Und als Zeichen seiner Anerkennung übersetzt Petrarca die letzte Novelle, die rührende Geschichte von Griseldis, ins Lateinische.
Boccaccio
Eine noch gründlichere Kritik an der Sprache der Scholastik, wenn auch immer noch die stille Kritik des besseren Beispiels, übte durch die Modernität seines Stils der dritte Mitschöpfer der italienischen Nationalsprache, Giovanni Boccaccio (geb. 1313, gest. 1375). Seine Wirkung war um so viel stärker, als der Decamerone lustiger zu lesen war, und von Indifferentismus kann bei Boccaccio kaum mehr die Rede sein; er ist schon ein richtiger Unchrist. Er wußte es nur nicht und seine Zeitgenossen wußten es noch weniger; sie fabelten sogar, er wäre von Petrarca (bei der Begegnung von 1359) zur Frömmigkeit bekehrt und zur Annahme der Priesterweihe überredet worden.
Die Schlüpfrigkeit so vieler Novellchen des Decamerone würde natürlich nichts gegen die Rechtgläubigkeit Boccaccios beweisen; Neigung zu Zoten und andächtige Kirchlichkeit schließen einander nicht aus, weder zur Zeit des Rinascimento, noch früher oder später. Aristophanes war ja auch ein frommer Mann. Doch es gibt unter den Geschichten des Decamerone eine ganze Gruppe, deren antikirchliche Tendenz zu offenbar ist, um übersehen werden zu können. Berühmt geworden sind besonders die zweite und die dritte Novelle des ersten Tages, die zweite ist antikatholisch, die dritte antichristlich. Die antichristliche verdient noch mehr Aufmerksamkeit als die antipäpstliche.
Witzig genug ist auch diese, ein sehr einprägsames Epigramm. Es wird – wie so oft im Decamerone – mit leise ironischer Gläubigkeit vorgetragen. Der jüdische Kaufmann Abraham wird von einem christlichen Kaufmanne bedrängt, zum Christentum überzutreten. Der Schauplatz ist Paris. Der Jude entschließt sich endlich nach Rom zu reisen und sich dort persönlich umzusehen. Der christliche Kaufmann ist darüber verzweifelt; alle seine Mühe muß verloren sein, wenn der Jude das Treiben des Papstes und der Kardinäle kennen lernt. Da hilft aber nichts, der Jude geht nach Rom und beobachtet dort mit eigenen Augen: wie die Geistlichen vom größten bis zum kleinsten in menschlichen oder unnatürlichen Lastern dahinleben, wie die Huren und Lustknaben die Kirche beherrschen, wie an dem geizigen Hofe alle Heiltümer feil sind. Der Jude kehrt nach Paris zurück und überrascht den christlichen Kaufmann durch den Entschluß, sich taufen zu lassen. »Die obersten Geistlichen der christlichen Kirche geben sich alle erdenkliche Mühe, die christliche Religion zu vernichten; dennoch macht sie unaufhörlich Eroberungen und Fortschritte; das wäre bei dem Lasterleben des römischen Hofes unerklärlich ohne einen besonderen Beistand des heiligen Geistes.« Und so wurde der seltsam bekehrte Jude Abraham nach seinem Wunsche in der Kirche von Notre-Dame getauft.
Parabel von den drei Ringen
Auch diese ernste Schnurre, wie so viele Stücke des Decamerone, hat Boccaccio selber entlehnt, aus dem alten Dante-Kommentar des Benvenuto da Imola. Über die Entlehnungsgeschichte der anderen Novelle, der antichristlichen oder fast schon atheistischen, gibt es gar eine ganze Literatur, weil diese Novelle, die sogenannte Parabel von den drei Ringen nach rückwärts auf das berühmte Schlagwort von den drei Betrügern weist, nach vorwärts die unmittelbare Quelle geworden ist für die entscheidende Szene in Lessings »Nathan«. Der Zusammenhang mit der Blasphemie von den drei Betrügern (eine Blasphemie freilich nur für die christliche Anschauung, in der der Religionsstifter zugleich Gott ist) wird freilich wieder in Frage gestellt, wenn die Geschichte von den drei Ringen wirklich, wie die Forscher ausgemacht haben, um mehr als hundert Jahre älter ist als die Papstbulle, in welcher das verwegene Wort dem Kaiser Friedrich vorgeworfen wurde. Jedenfalls unterschied sich die ältere Fassung, in die die Geschichte von spanischen Juden gebracht worden war, von der späteren dadurch, daß nur von zwei Ringen die Rede ist, dem Christentum nämlich und dem Judentum. Hätte Lessing den geistreichen Schwank gekannt, wie er spät im Schebet Jehuda überliefert ist, er hätte sich schwerlich dessen dramatische Einkleidung entgehen lassen. Der Jude Ephraim wird vom Könige Pedro von Arragonien gestellt, sich entweder für das Alte oder für das Neue Testament zu entscheiden. Er erbittet Bedenkzeit und kommt dann wie verstört vor den König; eben komme er aus einem schlimmen Handel: ein Juwelier habe seinen beiden Söhnen vor einer weiten Reise je einen kostbaren Ring geschenkt; nun seien die Brüder heute bei ihm gewesen, um sein fachmännisches Urteil über den Wert der Ringe und ihrer Steine einzuholen; er habe sich darauf nicht eingelassen und geraten, die Rückkehr des Vaters, des Juweliers, abzuwarten; dafür sei er beschimpft und verprügelt worden. Der König versteht nicht gleich und will die Brüder bestrafen. Da tritt der weise Ephraim mit der Moral der Parabel hervor: der König solle sich die Antwort auf seine Frage vom großen Juwelier im Himmel holen lassen. So entkommt Ephraim der Schlinge, die ihm gelegt worden ist: er braucht sich nicht zu entscheiden.
Die schlaue Erfindung des Juden wurde in der Folgezeit oft nacherzählt, bald in ausgesprochen christelnder Tendenz; ein dritter Ring, der des Islam, der merkwürdigerweise just in der spanischen Fassung fehlt, wurde hinzugefügt, und für viele Nacherzähler verstand es sich von selbst, daß der Ring der Christen der alleinige wahre Ring sei. Von Mund zu Mund gelangte wohl die hübsche und lehrreiche Geschichte nach Italien, wo sie zuerst von dem Dichter der Cento Novelle antiche, dann von einem Freunde Dantes schon recht frei bearbeitet wurde, bis sie im Decamerone des Boccaccio ihre klassische Gestalt gewann, so daß Lessing, wie wir einmal sehen werden, sie fast unverändert 400 Jahre später in sein ganz lichtes Toleranzdrama herübernehmen konnte.
Man achte darauf, daß im Decamerone das Stück von den drei Ringen unmittelbar auf das antipäpstliche Stück folgt, das wir eben kennen gelernt haben, ausdrücklich als ein Pendant. Der weise Jude heißt bei Boccaccio Melchisedek; aber der Gegenspieler ist schon Sultan Saladin. Der ist durch Krieg und Verschwendung in Geldnot geraten; da erinnert er sich, zu Alexandria, des geizigen Wucherers Melchisedek und nimmt sich vor, sich den Mann durch List gefügig zu machen: er stellt die Frage nach der besten unter den drei Religionen. Der Wucherer ist aber nicht nur geizig und reich, sondern auch weise; er erkennt sofort, daß er keiner der drei Religionen den Vorzug geben dürfe, wenn ihm nicht aus seinen Worten ein Strick gedreht werden sollte. In seiner Angst fällt ihm ein, sich mit einem Geschichtchen auszureden, das er mit außerordentlicher Stilfeinheit selbst als eine fremde Erfindung einführt. » Se io non erro, io mi ricordo aver molte volte udito dire che« usw. Ein reicher großer Herr besaß in seiner Schatzkammer unter anderen Kleinodien einen sehr schönen und kostbaren Ring, den er zum Zeichen des Erbgangs in seinem Hause bestimmte. Jedesmal sollte der Besitzer dieses Ringes der Erbe sein, von allen Brüdern zumeist geehrt. So ging dieser Ring von Hand zu Hand, bis er endlich an einen Mann gelangte, der drei gleich schöne, tapfere und gehorsame Söhne besaß und sie denn auch alle drei gleichermaßen liebte. Als dieser Mann nun dem Tode nahe war und alle drei Söhne sich um den Erbring bewarben, den er jedem einzeln versprochen hatte (ich weiß, daß Lessings Übersetzung schöner ist), ließ er von einem Meister zwei falsche Ringe anfertigen, die der Vater selbst kaum von dem echten unterscheiden konnte. Nach dem Tode des Vaters gerieten die Söhne in Streit darüber, welchem von ihnen die Ehren des Erbrings gebührten. Und da die Ringe nicht zu unterscheiden waren, blieb die Frage in Schwebe und ist es bis heute geblieben.
Wir bemerken heute, daß es in der Fassung des Boccaccio wirklich einen echten Ring gibt, im Gegensatze zu der Erzählung im Schebet Jehuda und zu dem Höhepunkte der Lessingschen Erzählung, daß also der Jude des Boccaccio nicht die Möglichkeit einer Offenbarung leugnet, sondern nur die Möglichkeit eines Kriteriums der wahren Offenbarung. So abstrakt denkt aber Melchisedek nicht. Er sagt nur zu Saladin: »So steht es auch um die drei Gesetze, die Gottvater den drei Völkern gegeben hat und über die ich hier urteilen soll. Jedes Volk glaubt sein Erbe und seine wahre Religion zu haben und deren Gebote zu befolgen. Ob aber eines der Völker das Erbe wirklich hat ( ma chi se l'abbia), auch darüber ist die Frage in Schwebe.«
Wir werden, wenn uns unser Weg von dem klassischen Dichter des Mittelalters zu dem klassischen Gedichte des Deismus geführt hat, die große, schöne und freie Art kennen lernen, in welcher Lessing die Erzählung von den drei Ringen ausklingen läßt. Bei Boccaccio endet die Novelle wie ein Kindermärchen oder auch wie eine Kalendergeschichte: der Sultan sieht sein Unrecht ein und gesteht, er habe dem Juden eine Falle stellen wollen, um von ihm Geld zu erpressen; dieser leiht die nötigen Summen nun freiwillig und erhält sie nachher wieder zurück; der Sultan behandelt ihn fortan als seinen Freund.
In Boccaccio ist die Wandlung des mittelalterlichen Gelehrten zu einem Geistesarbeiter der neuen Zeit restlos vollzogen. Lebenslust, die von der christlichen Kirche verpönte Lebenslust, meldet ihr Recht an; vor der Pest, die sonst nur Orgien schwärmerischer Andacht ausgelöst hatte, flüchten die Erzähler des Decamerone in eine Siedelung der Freude. Wie diese Genossen in ihrer heiteren Villa stehen und gehen und sich in Gesprächen gesellen, das tritt uns leibhaft entgegen, wie mit den Augen eines liebevoll verschönernden Renaissancemalers gesehen. Die Sprache des Buches endlich ist nicht mehr die der Schule oder der Scholastik, sondern die des Lebens. Noch eins: auch Boccaccio hält Vorlesungen an der Universität, aber er liest nicht über die Summa des heiligen Thomas, er liest über die Commedia des Dante.
Der Renaissancemensch
Burdach wendet sich mit Recht (»Über den Ursprung des Humanismus«) gegen das Schlagwort vom Renaissancemenschen, dem ästhetischen Immoralisten; er legt besonders Wert darauf, daß das Wort Humanismus zweierlei bedeutet habe: die Wiederbelebung der Antike und das Streben nach einem Menschenideal. Das »Märchen vom heidnischen Grundzug der Renaissance« dürfte aber doch für das Ende des 15. und für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts viel Wahrheit enthalten; man muß nur an der richtigen Stelle einen Trennungsstrich machen zwischen der humanistischen und der reformatorischen Bewegung; das war ja der tiefste Grund des Zerwürfnisses zwischen Erasmus und Luther, daß die Reformatoren (die ja auch die älteste Kirche wiederbeleben wollten) mit heiligem Ernst ans Werk gingen, daß die Humanisten der Religion gegenüber frivol waren.
Aretino
Mit vielen Beispielen hat Burdach gezeigt, wie die Renaissance einen homo spiritualis, einen neuen Adam als den Idealmenschen hinstellte. Wir werden, wenn erst sein breit angelegtes Werk »Vom Mittelalter zur Reformation« abgeschlossen vorliegt, unsere Anschauung von der Renaissance an hundert Stellen und in ganz anderer Weise zu verbessern haben, als etwa der Herausgeber der neueren Auflagen des berühmten Buches von Jacob Burckhardt gebessert hat. (Ich benütze im folgenden »Die Kultur der Renaissance in Italien« in der 7. Auflage von 1899.) Nicht nur zwei Bedeutungen hat der Begriff Renaissance in den beiden Jahrhunderten, die man unter diesem Namen zusammenzufassen pflegt, und in den nächsten Jahrhunderten der Nachwirkung angenommen. Die Wiederbelebung der antiken Kunst war und blieb die sinnfälligste und schönste Äußerung der ungeheuren Bewegung; sie führte zum Dogma von der ausschließlichen Klassizität des Altertums, um welches unter den Schulmännern der Kampf bis zur Stunde nicht aufgehört hat. Die Wiederbelebung des antiken Lebensideals, seine zuerst unbewußte, dann allzu bewußte Steigerung zu einem verwegenen Individualismus hat aber die Menschen des 15. und 16. Jahrhunderts weit mehr verändert, als Baukunst, Malerei und Bildhauerei es zu tun vermochten. Und den ästhetischen wie den praktischen Strömungen der Renaissance lag doch nur eine Wiederbelebung des antiken Denkens zugrunde, die Aufnahme und Verarbeitung, die Nachahmung und Belebung der antiken Philosophen und Dichter, deren Kenntnis niemals ganz verschwunden war, die aber erst jetzt aus den Schulstuben der Scholastiker in den neu erworbenen Besitz einer ganz neuen Schicht von Gebildeten gelangten. Was uns an dieser tiefsten Wiederbelebung des antiken Denkens zunächst angeht, die Unchristlichkeit, das wurde gewöhnlich gar nicht ausgesprochen, weil die führenden Geister nicht eigentlich Kampfnaturen waren und weil Päpste und Kardinäle die mächtigsten Förderer des ganzen humanistischen Treibens waren. Man lebte in einer Lüge, ohne es zu wissen. Solange Italien religiös gerichtet war, gab es auch dort Ketzer und Reformatoren; das Italien der Renaissance war nicht mehr religiös gerichtet, überließ die Reformation der Kirche den rückständigen Barbaren des Nordens, Die stärkste deutsche Antwort auf den Vorwurf der Barbarei finde ich in dem meisterlichen Totengespräche »Der (vom Himmel) ausgeschlossene Julius«. Der kriegerische Papst Julius II. ist gestorben und Petrus verweigert ihm den Eintritt in den Himmel. Julius redet mit äußerster Verachtung von den französischen und deutschen Barbaren; muß aber zugeben, sie seien Menschen, Christen und sogar an Reichtum und Bildung so hervorragend, daß sie den Neid der Italiener erweckt haben. Warum man sie dennoch Barbaren nenne? Darauf erwidert der als sehr verständig geschilderte Schutzengel des Papstes: »Die Italiener sind zwar aus dem Dreck der barbarischsten Völker wie in eine Senkgrube zusammengeflossen, haben aber aus der Sprache der Heiden die Tollheit angenommen, alle außerhalb Italiens geborenen Leute Barbaren zu nennen; und dieser Beiname gilt bei ihnen für schimpflicher als der eines Mörders oder Gotteslästerers.« Dieses Totengespräch galt lange für eine Arbeit Huttens; dafür würde sprechen, daß in einem seiner Meisterwerke, dem Göttergespräche »Die Anschauenden«, der gleiche Gedanke vorkommt: die Deutschen seien das kultivierteste Volk, die Römer die ärgsten Barbaren. überließ die Rechtgläubigkeit dem Pöbel und erfreute sich eines grenzenlosen Libertinismus in allen Fragen des Glaubens und der Sitte. Vorläufig sei nur an Pietro Aretino (1492-1557) erinnert, mit welchem verglichen Heinrich Heine, an Talent etwa ebenbürtig, ein Waisenknabe an Zotenhaftigkeit, Schamlosigkeit und Erpresserei war, der mit der päpstlichen Kurie auf bestem Fuße lebte, gelegentlich Psalmenübersetzungen und fromme Traktätchen lieferte und ernsthaft daran denken konnte, Kardinal zu werden; den Orden des heiligen Petrus hatte der gassenbübische Schurke wirklich erhalten. Von diesem Manne, dem ersten und erfolgreichsten Revolverjournalisten, rührt ganz gewiß die kecke Gotteslästerung her, die in einer langen Reihe von Epigrammen und Grabschriften auf Aretino verewigt worden ist. Ich will dieses Epitaphium in der knappen italienischen Form anführen:
»
Qui giace l'Aretino, Poeta Tosco,
Che d'ognun disse mal, che di Dio,
Scusandosi col dir: io non Io conosco.«
Natürlich lag dem frechen Spötter der Gedanke fern, sich damit zum Agnostizismus zu bekennen und etwa sagen zu wollen: ich weiß von Gott gar nichts, also auch nichts Böses; wer heute das Wort des Aretino als Motto gebrauchen wollte, müßte es erst agnostizistisch umdeuten. Natürlich war die Meinung nur ungefähr: ich habe nicht das Vergnügen, Gott zu kennen, kann also von ihm keine einzige Skandalgeschichte erzählen. Dahinter steckt aber doch eine Gottlosigkeit, die damals nur in dem realpolitischen Italien möglich war und nie und nirgends überboten worden ist; Aretino, der sich vom deutschen Kaiser und vom französischen Könige bald für einen Witz, bald für sein bloßes Schweigen bezahlen ließ, der die kleinen Fürsten seines Landes bald anbettelte, bald bedrohte, der gewerbsmäßige Erpresser schrieb nicht über Gott, weil er Gott nicht für zahlungsfähig hielt, weil er von Gott weder Lohn noch Strafe zu erwarten hatte.
Humanismus
Aretino war nur nach Talent und Gemeinheit ein Ausnahmsmensch; mit geringerer Begabung und ohne Infamie waren die Italiener der Renaissancezeit ohne Religion und ohne Moral. Machiavelli, der dieses Urteil einmal ausspricht, zögert nicht, dem Vorbilde die Schuld zu geben, das von den Geistlichen gegeben werde. Den übelsten Ruf hatten die Humanisten, also die eigentlichen Vertreter der Renaissance des Denkens; mag man auch eingedenk bleiben, daß Italien damals die hohe Lästerschule Europas war, daß die Humanisten selbst einander aus Neid und aus Ruhmsucht mit ausgeklügelten Bosheiten zu verfolgen pflegten, so bleibt doch der Satz in Kraft: die Humanisten waren nach kirchlichen Vorstellungen gottlose, nach bürgerlichen Vorstellungen sittenlose Menschen. Die geistlichen und die weltlichen Fürsten aber huldigten erst recht dem Grundsatze von Rabelais und Goethe: erlaubt ist, was gefällt. Die Ehe, deren sich doch sowohl die Kirche als die Sitte anzunehmen hatte, verlor ihre Bedeutung so sehr, daß in den ersten Familien zwischen Bastarden und ehelichen Kindern kaum mehr ein Unterschied gemacht wurde. Das Fürstenrecht wurde längst nicht mehr auf Gottes Gnade gestützt, sondern nur noch auf die Macht; und wenn es einem Kondottiere gelang, zu Macht zu gelangen, so wohnte er im Recht. Über die Kondottieri werden von den Zeitgenossen Züge genug erzählt, die ihre übermütige Gottlosigkeit beweisen; sie hatten ihre Sach' auf sich gestellt, nicht auf Gott, kaum auf den Teufel. Auf die weitere Gottlosigkeit der Bürger, die so einen Kondottiere gegen ihre Feinde brauchten, aber als den künftigen Tyrannen ihrer Stadt fürchteten, wirft die köstliche Anekdote ein Licht, die auch nur in dem damaligen Italien für wahr gehalten werden konnte. Ein tapferer Kondottiere hatte die Stadt gerettet und man beratschlagte darüber, in wie unerhörter Weise sein unerhörtes Verdienst belohnt werden könnte. Ein weiser Ratsherr drang mit einem überraschenden Vorschlage durch. »Wir wollen ihn umbringen und nachher zu ihm beten als dem Schutzheiligen unserer Stadt.«
Man sollte niemals vergessen, daß die Renaissance, im übrigen Europa ein neuer Stil, in Italien selbst eine nationale Bewegung war, ein Sichbesinnen auf die Macht und die Größe der Vorfahren, auf die alten Sitten, auf die alte Haupt- und Heldensprache der Römer. Uns erscheint heute die Wiederbelebung der griechischen Welt eine der Grundlagen der Renaissance; in Italien selbst gab es hervorragende Neurömer, die von griechischen Studien nichts wissen wollten. Die Ruinen Roms wurden zu Heiligtümern. Die lateinische Sprache, im übrigen Europa nur die gemeinsame Gelehrtensprache, sollte in Italien wieder die gemeinsame Schriftsprache des Volkes werden; Petrarca, Boccaccio und auch Poggio erhofften ihren Ruhm bei der Nachwelt – wie gesagt – von ihren lateinischen Schriften; es lag an ganz anderen Umständen, vielleicht zumeist an dem Emporkommen des bürgerlichen Individualismus und an der tiefen Wirkung von Dantes Lebenswerk, daß diese Hoffnung sich nicht verwirklichte, daß eine italienische Gemeinsprache gegen alle Mundarten sich durchsetzte und fast im Widerspruche gegen den lateinischen Humanismus zur Freude der Welt eine italienische Literatur entstand. Nur diese nationale Literatur ist lebendig geblieben. Zur Renaissancezeit aber wurde alles, was irgend mit dem Staate oder der Kirche, mit Philosophie oder Naturwissenschaft, mit Politik oder Geschichte zu tun hatte, in lateinischer Sprache niedergeschrieben; daß Dante seine Commedia nicht, wie er zuerst geplant, in lateinischen Hexametern gedichtet hatte, wurde von ernsthaften Leuten bedauert. Man taufte die Kinder auf die Namen berühmter Römer. Wären die angesehensten Humanisten nicht Pedanten gewesen, hätten sie das Wesen der Sprache nicht verkannt, hätten sie – was bei ihrer vollkommenen Beherrschung des Latein möglich gewesen wäre – die Schriftsprache der römischen Klassiker weiter entwickelt und dem Begriffsgehalte des 15. Jahrhunderts angepaßt, so hätte vielleicht eine neulateinische, den Schulmeistern barbarisch klingende Schriftsprache den Sieg über die lingua volgare davontragen können. Ich habe es schon einmal gesagt: das barbarische Mönchslatein des Mittelalters war noch eine lebendige Sprache; erst das klassische Latein der Humanisten, die über Gott und die Welt schrieben und doch kein Wort gebrauchten, das sich nicht aus Cicero oder Terentius belegen ließ, erst dieses reine Latein wurde zu einer toten Sprache.
Doch bezog sich die Frage, in welcher Sprache der Ruhm der Väter erneut werden sollte, nur auf die Form; der Inhalt des patriotischen Denkens war jedenfalls die klarere oder unklarere Vorstellung, das Lebensideal der alten Römer müßte von den Enkeln hochgehalten werden. Solange es der Zeit nicht zum Bewußtsein kam, daß eine Verbindung von Christentum und Humanismus eine Unwahrheit war, brauchten die weltlichen und geistlichen Fürsten, die Städte und Vereine bei der Förderung der Humanisten kein schlechtes Gewissen zu haben. Man schien sich gar nicht über einen Geisteszustand zu wundern, der für die antike Mythologie schwärmte und doch an die alten Götter nicht glaubte, der sich im Denken ausschließlich mit den antiken Philosophen beschäftigte und dennoch der Gewohnheit der Kirchensatzungen treu blieb. Die Humanisten hatten einen sehr schlechten Ruf, wie gesagt; sie galten für eitel, eigensinnig, bestechlich, unordentlich, unzüchtig, ketzerisch, wohl auch für atheistisch; mag man auch viel in Abzug bringen, was die leidige Gelehrtensitte der Zeit den Lästermäulern zu sagen gestattete, so ist doch nicht daran zu zweifeln, daß die meisten Humanisten nicht nur über die Kirche sehr frei dachten, sondern auch über äußere Sitte und innere Anständigkeit. Das schadete ihrem Ansehen nicht, solange die Kirche sich in ihrem Bestande nicht bedroht fühlte. In Deutschland hatte inzwischen Luther, nur als Philologe und Antipapist etwa ein Schüler der Renaissance, sonst ihr Widerpart, nach bescheidenen ketzerischen Anfängen Ernst gemacht mit der Forderung einer Reform an Haupt und Gliedern, und nach wenigen Jahren war die Reformation eine Macht geworden. Jetzt nahm die katholische Kirche ihre ganze Kraft zur Abwehr zusammen und vergaß in den politischen Kämpfen, die zu ihrem Siege im Tridentinum führten, auch die kleinen Gegner im eigenen Lande nicht, die Humanisten; aller Schimpf und aller Klatsch wurde gegen sie verwertet, und als die Gegenreformation mit ihren Bemühungen um die Wiedergewinnung von Frankreich, Süddeutschland, Österreich und Polen einsetzte, war der Humanismus in Italien so gut wie zu Boden geworfen. Nicht die künstlerische Renaissance, die ungefährlich schien und deren Weiterentwicklung man duldete. Was aber zwei Jahrhunderte in der italienischen Christenheit an den Vorstellungen vom Staate und vom Individuum, von Sitte und Religion zerstört hatten, das blieb zerstört; im 13. Jahrhundert waren nur einzelne Gruppen von der allgemeinen Kirche und ihrem Oberhaupte abgefallen; jetzt wurde ein ganzes Volk gewaltsam unter die Herrschaft der Geistlichkeit zurückgezwungen, aber die Verachtung der Geistlichkeit, ein Erbe der Renaissance, blieb, um eine Gelegenheit zum Losbruch abzuwarten. Einige Züge nur mögen belegen, wie stark diese Verachtung der Geistlichkeit zur Blütezeit der Renaissance war.
Einzelne Kondottieri machten aus ihrer Feindschaft gegen Gott gar kein Hehl; einer hatte den Wahlspruch: Feind Gottes und des Mitleids; ein anderer ließ Mönche von einem Turm hinunterwerfen, nur weil er sich über ihr Psalmodieren ärgerte. Unzählige Stellen in Novellen und Schwänken lassen darauf schließen, daß die Mönche dem Volke ebenso verhaßt waren wie den Schreibern, nicht nur die Bettelmönche. Die Inquisition durfte in Italien nicht so unbehindert wüten wie in Spanien, die geistliche Hexenverfolgung nicht so gräßlich wie in Frankreich, England und Deutschland. In Italien, dem klassischen Lande des Humanismus, hatte die Bibelkritik ihren Ausgang genommen und die Aufdeckung kirchenhistorischer Fälschungen; aber auch die Verspottung gefälschter Reliquien begann im Mutterlande des Katholizismus.
Die humanistischen Führer waren Skeptiker und Indifferentisten; sie verachteten die Kirche, so wie sie wirklich geworden war, und ließen es dahingestellt, was alles aus einer guten Kirche hätte werden können. Savonarola, ein Eiferer, ein Ketzer, bekämpfte zugleich die Kirche, wie sie geworden war und den heidnischen Humanismus. Das Volk dachte nicht wissenschaftlich, nicht logisch; es folgte ebenso gern dem verstiegenen Savonarola wie den frivolen Humanisten, wenn es nur über die Geistlichkeit lachen durfte. Der feine Boccaccio benützt ja die schon damals alte Fabel von den drei Ringen zur Empfehlung eines positiven, toleranten Deismus; das Volk hält sich an das ebenso alte Schlagwort von den drei Betrügern.
Pulci
Aufklärung liegt weniger in der Absicht als im Wesen der Renaissance. Im 18. Jahrhundert steigerte sich der bewußte Haß gegen jede positive Religion bis zur Unduldsamkeit gegen das Christentum, bis (bei Parny) zur gotteslästerlichsten Parodie; im 15. Jahrhundert galt der Haß höchstens den Mönchen und was uns heute bei Pulci als Parodie erscheint, war eigentlich nur unbefangene Heiterkeit. Luigi Pulci (I432-1484), als Politiker ein Diener und nur als Dichter ein Freund von Lorenzo de' Medici, ist besonders in seinem » Morgante maggiore« charakteristisch für die Renaissance und für Florenz. Weder er noch später Ariosto haben den Plan, das Rittertum oder gar das Christentum zu parodieren; ganz fern sind sie der einsamen Größe eines Cervantes, der den Ritter von der traurigen Gestalt mit allen Mitteln des gröbsten Humors verspottete und dabei wie unabsichtlich die Seele des Rittertums mit edelstem Humor verherrlichte. Bei Pulci ist die Achtung vor der mittelalterlichen, christlichen Sitte noch so groß, daß er den egoistischen Übermenschen der Renaissance in der Gestalt des ungeschlachten Riesen Margutte darstellt, der ihm aber trotz Laster und Gottlosigkeit als ein Ehrenmann gerät. Die Parodien der Anrufungen von Gott, Christus und Maria, die Parodien der schnellen Bekehrungen und Taufen wirken unmittelbar nur als ein lustiges Gelächter über fromme Dichter, die mit so billigen Motiven arbeiteten; aber nur ein vollkommener Indifferentist konnte die Komik so stark empfinden und so unbefangen gestalten. Übrigens ist Pulci auch künstlerisch betrachtet noch ein ganzer Dichter, wenn man ihn mit den inzwischen überflüssig gewordenen und darum rohen Parodisten der Folgezeit vergleicht, einem Scarron und einem Blumauer.
Epikureismus der Renaissance
Die begriffliche, folgerichtige Entwicklung des Humanismus zur Gottlosigkeit vollzog sich langsam erst außerhalb Italiens durch französische und deutsche Gelehrte, auch wohl durch ausgewanderte Italiener; in Italien selbst war die Verbindung mit den Kirchenfürsten zu eng, waren die weltlichen Fürsten zu häufig politisch an Rom gebunden, als daß die Rücksichten auf die Kirche nicht gewahrt worden wären. Man brachte es fertig, sich in allen Punkten zum Katholizismus zu bekennen und dabei im vertrauten Kreise auf die Philosophie des beinahe legendär gewordenen Epikuros zu schwören: der Weltlauf gehe ohne Vorsehung weiter, die Welt sei durch Zufall entstanden, von einer Unsterblichkeit der der Seele könne die Rede nicht sein. Dieser Epikureismus der Humanisten kann um so weniger überraschen, als damals sehr viele Päpste und Kardinäle praktische Epikureer (im übelsten Sinne des Wortes) waren. Diese Reihe von unchristlichen Päpsten, die über den Literaten Pius II., über den Soldaten Julius II., über das Scheusal Alexander VI. zu dem viel zu hoch gepriesenen Leo X. führt –, diese Reihe heidnischer Päpste war wirklich nur als Folgeerscheinung des Rinascimento möglich. Solchen Päpsten war es nicht nur denkbar, sondern ausführbar, der gesamten Christenheit mit den alten Fabeln das kleine wie das große Geld zu erpressen und die gehäuften Schätze in den Dienst der künstlerischen Renaissance zu stellen, so weit sie nicht vorher von Nepoten und Kurtisanen verschlungen wurden. Die nationalen Richtungen des Rinascimento benützte man politisch, mit den wissenschaftlichen Bestrebungen fand man sich ab, der künstlerischen Renaissance glaubte man sich mit Feuereifer hingeben zu dürfen, und merkte nicht oder wollte nicht merken, daß diese Kunst, der mittelalterlichen gegenüber, heidnische Sinnlichkeit war, weltlicher Luxus, keinesfalls Christentum, weder die christliche Religion noch die Religion Jesu Christi. Auch die klügsten Päpste sahen den Abgrund nicht, dem ihre verweltlichte Kirche zustrebte, überhörten die Reformrufe, die schon längst Abschaffung des Luxus in der Kirche verlangt hatten. Seit ihrem Siege über das deutsche Kaisertum fühlten sich die Päpste als die Herren der Welt und hofften darauf, allmählich, trotz aller kleinen Kriege, mit allen Nationalkönigen Konkordate schließen zu können, d. h. Abkommen über die Teilung der Beute. Glaubensheuchelei gab es am römischen Hofe nur in offiziellen Kundgebungen, im Leben und Handeln herrschte unbeschränkter Libertinismus. Erst seit dem Tridentinum, erst seitdem die Kirche die drohende Gefahr erkannt hatte, kam es zu dem ungeschriebenen Dogma: der Statthalter Christi darf kein Unchrist sein. Es ist das unleugbare Verdienst der Jesuiten, diese Vorsicht bei den Papstwahlen durchgesetzt zu haben. Skandale wurden nach Möglichkeit verhütet.
Enea Silvio
Der skandalöseste unter allen Päpsten der guten alten Zeit war nach meinem Gefühl nicht Bonifazius VIII., nicht Alexander VI., sondern just der erste der Renaissancepäpste, Pius II., der Humanist, der Literat auf dem Stuhle Petri. Als Schriftsteller vielseitig begabt, als Mensch ein angenehmer Schwerenöter, in moralischen Dingen schlimm, nach seiner religiösen Überzeugung ein Unchrist. Ein Bild des Mannes wäre um so leichter zu zeichnen, als Pius II. ein Vielschreiber war und – wie gesagt – Heuchelei noch nicht zu den Lastern des römischen Hofes gehörte; man glaubte noch, sich gehen lassen zu dürfen. Ich muß mich mit dem Herausgreifen einiger Züge begnügen.
Enea Silvio de Piccolomini (geb. 1405, gest. 1464) nahm, als er wahrhaftig und unter dem Jubel des Volkes 1458 zum Papste gewählt wurde, den Namen Pius wahrscheinlich darum an, weil dem Humanisten der pius Aeneas des Virgilius ein vornehmerer Namenspatron schien als irgendein christlicher Heiliger; Virgilius war immer noch der Dichter, Äneas ( pius bedeutete gar nicht Frömmigkeit, am wenigsten christliche Frömmigkeit) der römische Nationalheld. Als Papst Pius II. führte dieser Enea den Ursprung seiner Familie auf Romulus zurück; so etwas war damals Modesache. Enea Silvio sollte als armer Adeliger entweder Jura studieren oder Geistlicher werden; er wurde Humanist, d. h. Literat, und brachte es bereits in jungen Jahren zu der Stellung eines Sekretärs bei einem der Kardinäle am Basler Konzil. Ohne Anhänglichkeit an einen Brotherrn, ohne feste Parteinahme in den Fragen des Konzils – es handelte sich bekanntlich um nicht mehr und um nicht weniger als um die entscheidende Frage, ob die oberste Kirchengewalt beim Papste oder beim Konzil wäre – wechselte der zu allem fähige Sekretär Partei und Parteiüberzeugung vielleicht noch häufiger als seinen Bettschatz (wir wissen nur von zwei unehelichen Kindern, die ihm in diesen Jahren von zwei Müttern geboren wurden); in den kirchlichen Fragen unterstützte er, auch mit der Feder, alle paar Monate eine andere Partei.
Als Gesandter des Basler Konzils kam er 1442 an den Reichstag von Frankfurt a. M. und fand bald Gelegenheit, sich dem Kaiser Friedrich III. zu nähern, mit schwülstigen und stark erotischen Gedichten, für die ihn der deutsche Kaiser, der in Deutschland ebenso fremd war wie in Italien, zum Dichter krönte. Bessere als Enea Silvio, Petrarca nämlich und Hutten, haben diese Komödie nicht verschmäht. Ich brauche nicht erst zu versichern, daß ich dem siebenunddreißigjährigen Manne weder aus der Lüsternheit seiner damaligen und seiner späteren Verse einen Vorwurf machen will, noch aus der Frivolität des Geschlechtslebens, das er jetzt in Wien und Wiener-Neustadt am Hofe des Kaisers führte; er war nämlich in den Dienst des Kaisers getreten und stieg da rasch empor. Nicht einmal aus seiner liederlichen Komödie »Chrisis« oder aus seiner Geschlechtsbeichte an seinen alten Vater will ich ihm einen Strick drehen; zotige Possen wurden von den besten Männern zur Freude der kultiviertesten Kardinäle geschrieben (man denke nur an Machiavellis » Mandragola«) und zwischen Vätern und Söhnen war schamvolle Zurückhaltung über den Zeugungsvorgang nicht mehr oder noch nicht üblich. Auch daß Enea Silvio bereits Subdiakon war, macht mir natürlich nichts aus; nur die kühne Behauptung des nur katholischen Geschichtschreibers Janssen muß doch entschieden abgelehnt werden, als wäre bei Enea Silvio damals durch die Gnade Gottes der Geist der Askese zum Durchbruch gekommen. Weil er gelegentlich auch fromme Redensarten macht. In dem gleichen Briefe, auf den sich Janssen bezieht, gesteht Enea, zynisch wie immer, er habe sich nur an Venus den Magen überladen, er könne Wollust weder empfinden noch gewähren, seine erzwungene Keuschheit habe kein moralisches Verdienst.
Er gab den Weibern den Abschied, weil seine Lüsternheit nicht größer war als seine Kraft, und lebte von nun an, kaum über vierzig Jahre alt, den Lastern der Greise: dem Geldgeiz und dem Ehrgeiz. In den kirchlichen Kämpfen betrog er die beiden Gegenpäpste und seinen Kaiser dazu. Er half die kirchlichen Freiheiten vernichten, die das Basler Konzil errungen hatte, und wurde für seine immer zweideutige Haltung vom Kaiser zum Reichsfürsten ernannt, vom siegreichen Papste zum Bischof und endlich (1456) zum Kardinal. Zwei Jahre später schon wurde er zum Papste gewählt, auf Betreiben des späteren Alexanders VI.
Es fehlt im Bilde dieses Enea Silvio de Piccolomini nicht an Zügen, die noch heute seine schriftstellernden Kollegen mit einigem Humor menschlich schöne Züge nennen könnten. So äußerte er einen lebhaften Lokalpatriotismus für die Stadt Siena, in deren Weichbilde er geboren war; es war nicht der berüchtigte Nepotismus (der ihm übrigens auch nicht fremd war), wenn er auch entferntere Verwandte, ja jeden Sienesen begünstigte; vielleicht ist es wahr, daß er die Heiligsprechung der Catarina (1461) nur darum vollzog, weil sie aus Siena gebürtig war und der Papst seiner Heimat eine so vorzügliche Heilige gönnte. So scheint ein humanistischer Idealismus mitgesprochen zu haben, da er als Sekretär, als Bischof, als Kardinal und endlich als Papst über zehn Jahre lang einen Kreuzzug gegen die Türken betrieb, die (1453) Konstantinopel erobert hatten und die Kultur des Abendlandes ernstlich bedrohten: den christlichen Glauben und die griechischen Handschriften. Der Gegensatz zwischen dem Geiste der einstigen, der frommen Kreuzzüge und dem Geiste dieser neuen Türkenhetze ließe sich vortrefflich an dem Vorgehen des Papstes Pius II. aufzeigen. Auch in den echten Kreuzzügen hatten Geldfragen und andere selbstsüchtige Beweggründe eine Rolle gespielt, bei den Fürsten und bei den Kreuzfahrern, jetzt aber handelte es sich nur um Geld und wieder nur um Geld, das mit äußerster Schlauheit von Geistlichen und Laien, auch von Juden erpreßt werden sollte. Die Schwierigkeiten schienen erst behoben, als eine Art von Börsenspekulation die Mittel zu gewähren versprach: die Aufdeckung reicher Alaungruben. Pius II, wäre aber nicht ein begabter Literat gewesen, wenn er nicht vorher, als die Sache schief zu gehen schien, auf den tollen Einfall gekommen wäre, eine Schrift zur Bekehrung des Sultans abzufassen. Warum sollte Mohammed II. nicht katholisch werden, da er doch, wie man erzählte, auch an den Islam nicht glaubte? Auf den sinnlosen Literateneinfall folgte ein verzweifelter Versuch, die alten Reliquienwunder wieder aufzufrischen; der Kopf des angeblich in Patras gekreuzigten Apostels Andreas – der war als ein Bruder von Petrus so ungefähr ein Onkel der Römer – wurde »entdeckt« und mit großem Pompe nach Rom gebracht. Dann kam die Sache mit den Alaungruben und der halb gelähmte Papst ließ sich nicht länger abhalten, den Kreuzzug zu beginnen und sich persönlich an die Spitze zu stellen. Er starb in Ancona, bevor die Flotte auslaufen konnte. Die italienischen Humanisten hatten nicht wenig über den ganzen Kreuzzug und über die Reliquie des Apostels Andreas gespottet; Filelfo, ein schmutziger Humanist, der ein Lehrer des Papstes gewesen war und nachher in seinen Erwartungen getäuscht wurde, schrieb Pamphlete gegen Pius II., in denen auch die Motive des Kreuzzuges abscheulich verzerrt wurden. Hierin wurde dem humanistischen Papste ein Unrecht zugefügt; er war ein Unchrist, doch hinter dem Abenteuer einer Kreuzfahrt gegen die Tücken steckte, wenn nicht alte Frömmigkeit, so doch eine gewisse neue Romantik und ehrliche Sorge vor der Türkengefahr.
Daß diese wirklich drohende Gefahr nicht allgemein gewürdigt wurde, wenigstens nicht so als Schmach empfunden wie dreihundert Jahre früher der Verlust der heiligen Stätten Palästinas an die Sarazenen, das ist ein weiterer Unterschied zwischen der Renaissance und dem frommen Mittelalter. In Deutschland wenigstens antwortete den Geldforderungen des Papstes eine Stimmung, die kaum anders klingt als fünfzig Jahre später in den wildesten antipäpstlichen Dialogen Huttens. Der Mann, der zwar ohne dichterische Begabung, aber mit gleicher Vaterlandsliebe wie Hutten gegen Pius II. auftrat, verdient an dieser Stelle um so mehr ein kleines Denkmal, als auch die protestantische Geschichtschreibung ihm nicht gerecht worden ist; man wollte es nicht gelten lassen, daß er ein unkirchlicher Luther war, ein besserer Deutscher als Luther. Sein Name, Gregor von Heimburg (geb. bald nach 1400, gest. 1472), ist beim deutschen Volke verschollen; nur Fachgelehrte wissen von ihm.
Gregor von Heimburg
Er war Jurist und Humanist, auf dem Basler Konzil in enger persönlicher Beziehung zu Enea Silvio, dann, als Syndikus und Vertreter der Stadt Nürnberg, der geistige Führer der Reichspartei, die unter anderen Kirchenreformen auch Abschaffung der Gelderpressungen verlangte. Zwischen ihm und Pius II. entwickelte sich der kirchenpolitische Gegensatz zu einem persönlichen Hasse. Nur daraus läßt sich die Szene erklären, die sich 1459 zu Mantua abspielte. Pius II. hatte dorthin anstatt eines Konzils, das er zu scheuen Ursache hatte, einen weltlichen Fürstentag einberufen; über die Steuern zum Kreuzzuge sollte verhandelt werden. Gregor von Heimburg, der so stattlich, deutsch und heldisch aussah, wie gefällige Maler den kleinen und kränklichen Ritter Ulrich von Hutten gern darstellen, richtete eine Rede gegen den Papst, die ebenso scharf war wie vorher seine Schrift. Der deutsche Jurist, der als Vertreter eines österreichischen Erzherzogs erschienen war, lehnte nicht nur jede Verpflichtung Deutschlands zur Heeresfolge ab, sondern machte sich auch über den Papst-Humanisten lustig, der die amouröse Gattung der Literatur über die Alpen gebracht hätte. Und er war so unhöflich, in Gegenwart des Heiligen Vaters nicht einmal sein Barett abzunehmen; die ironische Entschuldigung des martialischen Mannes, er wollte sich keinen Schnupfen holen, machte die Sache nur noch schlimmer.
Gregor von Heimburg, wahrscheinlich aus fränkischem Adel, schrieb schlechtes Latein und schlechtes Deutsch, aber er verstand sich auf deutsche Hiebe. Auf dem Basler Konzil kämpfte Heimburg (oder wie er sich sonst schrieb) für die Beschränkung des päpstlichen Absolutismus neben einigen guten Deutschen; für den Abfall von den Beschlüssen des Konzils wurde der Cusaner mit dem Kardinalat belohnt, Enea Silvio wurde Papst. Heimburg blieb seiner Überzeugung treu. Er veröffentlichte (gegen 1443) anonym eine sehr grobe Schrift gegen die Alleinherrschaft des Papstes. In keinem Lande Europas erlaube sich der Papst so viel gegen den weltlichen Fürsten wie in Deutschland; die Theologen, die den Papst über den Kaiser stellten, seien bestochen. »Die große Hure hat ihre Liebhaber trunken gemacht.« Die Renegaten mochten sich getroffen fühlen, die beiden berühmtesten Schriftsteller der Zeit, der Kardinal von Cusa und Enea Silvio, der ja bald darauf zum Papste gewählt wurde; sie waren überall die Gegner des armen Juristen, der die Interessen deutscher Fürsten vertrat, aber sie waren außerdem seine Todfeinde um seiner romfeindlichen Gesinnung willen. Auf die logischen Gründe Heimburgs antwortete Pius II. mit einem Bannstrahle und der Cusaner, jetzt der Bischof von Brixen und von maßlos politischem Ehrgeize erfüllt, stand in den Streitigkeiten mit seinem Landesherrn wieder dem tapferen Heimburg gegenüber. Den hatte der Herzog von Tirol zu seinem Sachwalter erwählt. Heimburg gab eine neue Schrift gegen den päpstlichen Primat heraus, appellierte vom unfehlbaren Papste an ein gegenwärtiges oder künftiges Konzil, nannte Pius II. einen Ketzer und versetzte auch dem Cusaner einige Jagdhiebe. In dieser Polemik entschlüpften dem deutschen Juristen nicht nur höchst unchristliche, sondern geradezu gottlose Sätze. Der Papst und der Kardinal hatten den Aufruf zu einem neuen Türkenkrieg wie eine Geldspekulation behandelt; da rief der staatsmännische Heimburg dazwischen: seine Hoffnung so allein auf Gott zu setzen, heiße soviel wie die Sache ohne Vernunft dem Zufall überlassen. Heimburg schrieb auch eine Verteidigung des Herzogs von Tirol, die sehr feine Gedanken über den Glaubensbegriff enthält. Es scheint, daß der Cusaner, den eine falsche Einstellung unseres Blickes immer nur als einen Philosophen sieht, den Plan faßte, den gefährlichen deutschen Widersacher widerrechtlich gefangensetzen und als einen Ketzer (wegen der Treue zu den Beschlüssen des Basler Konzils) verbrennen zu lassen. Heimburg ließ sich nicht schrecken; frei und politisch wie Hutten predigte er weiter einen Kulturkampf: die Selbstherrlichkeit des deutschen Reichs. Immer heftiger wurden die persönlichen Ausfälle gegen den Kardinal; einmal wird er ein Esel genannt, über seinen Familiennamen (Krebs) wird wohlfeil gespottet und der Inhalt seiner philosophischen Bücher als magische Geisterseherei verhöhnt. Aber mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. Kurz vor dem fast gleichzeitigen Tode des Kardinals und des Papstes schloß der Herzog von Tirol seinen Frieden mit Rom; Heimburg wurde von Vergleich und Absolution ausgeschlossen, vielleicht nur vom Herzoge vergessen, wahrscheinlich ein Opfer des Hasses seiner sterbenden Feinde. Der alternde Mann flüchtete zu Georg von Podiebrad, dem Könige von Böhmen, der den Plan hegte und hegen durfte, die Kronen Böhmens und Ungarns, des deutschen Reichs und Konstantinopels auf seinem Haupte zu vereinigen, für sein Haus. Heimburg hätte gern diesem neuen Herrn gedient, der als Utraquist ein Feind Roms war und ihm Gelegenheit gegeben hätte, in großen Verhältnissen zu wirken: den freien Ideen des Hussitismus zum Siege zu verhelfen. Die Ungeduld des Königs und seines ältesten Sohnes führten zu einer Niederlage. Noch einmal raffte sich Heimburg zu einer wilden Denkschrift gegen den Papst auf und gegen den »schelmigen« Kaiser Friedrich III. Der neue Papst, Paul II. (Goethe faßte einmal den Plan, im »Ewigen Juden« diesen schönen und eiteln Statthalter Christi dem Heiland als Kontrastfigur gegenüberzustellen), triumphierte über Georg von Podiebrad, die »Oblater« über die »Kelcher«; und als der König von Böhmen (1471) starb, stand der greise Heimburg wieder auf dem Markte und niemand wollte ihn mehr dingen. Er wurde auch aus Böhmen verwiesen; um seiner armen Familie willen bequemte sich der müde Kämpfer zu einigen rechtgläubigen Redensarten, die wie ein Widerruf klangen und ihn kurz vor seinem Tode vom Kirchenbanne lösten. Hätte er nur fünfzig Jahre später gelebt, unter würdigeren Fürsten, dann hätte er vielleicht das Andenken hinterlassen können, das ihm versagt geblieben ist: in seinem geliebten Deutschland als ein Retter und Geistesbefreier gewirkt zu haben. Er war ein Charakter, und so unterlag er dem charakterlosen Enea Silvio.
Pius II.
Und dieser Pius II., der auf seinem Wege zum päpstlichen Stuhle so vielen Herren gedient hatte, eigentlich immer im Geiste seiner Zeit ein Redner und Schreiber der Kirchenreform war, die auf den Konzilien von Konstanz und Basel zur Unterwerfung der Päpste unter die allgemeine Kirche zu führen schien, dieser Pius II. hatte den Mut, durch die Bulle » Execrabilis« (1460) jedes Streben nach einer Reform, jede Berufung auf ein Konzil mit dem Banne zu belegen. Nur daß ein päpstlicher Bannspruch seine Wirkung verloren hatte. Erst das Tridentinum befestigte wieder die römische Macht in den katholisch gebliebenen Ländern. Pius setzte seinen Willen nirgends durch, nicht in Frankreich, nicht in Böhmen, nicht in Tirol, nur daß er etwa in dem immer uneinigen Deutschland einen Sieg über den Erzbischof von Mainz davontrug und daß er mitschuldig daran war, wenn den böhmischen Utraquisten das Wort gebrochen wurde, das ihnen freie Religionsübung verhieß. Der Widerspruch zwischen den Gesinnungen des Humanisten Enea Silvio und der Politik des Papstes Pius II. führte zu einem Ereignisse, das den Anhängern des Papsttums erst recht als ein Skandal erscheinen müßte; umsonst hatte Pius II. als Papst die Schriften des Enea Silvio preisgegeben, umsonst hatte er seine Bücher aus der Zeit des Basler Konzils ausdrücklich widerrufen, seine reformfreundlichen Reden und Abhandlungen kamen dennoch auf das Verzeichnis der verbotenen Bücher. Ein Papst auf dem Index, das war doch nur zur Zeit der Renaissance möglich.
Aber Pius II. war auch als Papst nicht gänzlich von seinem Humanismus abgefallen. Dahin gehört vielleicht nicht sein ehrliches Wort: aus guten Gründen sei den Geistlichen die Ehe verboten worden, aus besseren Gründen müsse sie ihnen wieder gestattet werden. Dahin gehört aber seine verklausulierte Äußerung, das Christentum verdanke seine Weltstellung nur seiner Moral, also nicht den Glaubenslehren. Wir werden diesem ketzerischen Gedanken bei dem berüchtigten Atheisten Campanella und so ungefähr auch bei dem protestantischen Modernisten Schleiermacher wieder begegnen.
In der Umwelt solcher Päpste gelangten die Humanisten nicht zu der inneren Freiheit, sich selbst und ihren Lesern Rechenschaft zu geben über die logische Untersuchung der letzten Fragen, aber sie hatten vor dem Einsetzen der Gegenreformation mitunter (nicht immer) genug äußere Freiheit, um an den Grundlagen des Glaubens zerstörende Kritik zu üben; Valla konnte die Verfasser des Alten und des Neuen Testaments fast wie weltliche Historiker behandeln; ein Arzt in Bologna wurde verhaftet (kam aber mit einer Verwarnung davon), als er die wunderbare Geburt Jesu und die Wandlung leugnete, ja sogar das Ende des Christentums voraussagte; Philosophen und Kondottieri beriefen sich auf das Fatum oder auf die Fortuna, als ob sie von einer göttlichen Vorsehung nie etwas gehört hätten. Die Vermischung von christlichen und heidnischen Begriffen der Mythologie mag man als eine nur sprachliche Mode ansehen; was dahinter steckte, war dennoch echte Renaissance: man gewöhnte sich daran, spielerisch von Göttern zu reden, an die man nicht glaubte.
Astrologie
Von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts unterschied sich der Libertinismus der Renaissance übrigens auch dadurch, daß die Wissenschaft vollständig mit einem Aberglauben durchsetzt war, den man als antik verehrte, der aber zumeist von den Arabern herübergenommen war: mit dem Glauben an eine – so könnte man sagen – Sternenvorsehung. Päpste und Kondottieri ließen die Sterne nach der günstigen Stunde für wichtige Unternehmungen befragen (nur Pius II. teilte diesen okkultistischen Aberglauben nicht), auch Stadtgemeinden hielten sich besondere Astrologen, und selbstverständlich blieben die Universitäten nicht zurück; es gab ohne Widerspruch Professuren der Astrologie, wie es heute ohne Widerspruch Professuren der Theologie gibt. Die Beherrschung dieses Hexeneinmaleins gehörte mit zu der gelehrten Bildung. Die besten Köpfe begnügten sich dem Unfug gegenüber mit der Behauptung, der Mensch habe dennoch einen freien Willen und könne sich mehr oder weniger gegen die Sternenvorsehung auflehnen; Pico della Mirandola hatte ganz recht, wenn er in einem gründlichen Buche verlangte, man müßte zwischen dem Sternenglauben und dem christlichen Glauben, zwischen den Planetengöttern und dem dreieinigen christlichen Gotte wählen. Bei anderen Formen des Aberglaubens, bei dem Glauben an Wunderzeichen und Wahrsagerei, ist es schwer zu entscheiden, ob die Humanisten alte Vorstellungen des Volkes teilten oder ob sie nur literarisch die Vorstellungen aus antiken Büchern übernahmen. Über Zauberei und Hexerei machte man sich in Italien sehr früh lustig, ohne aber so grundsätzlich wie später im Norden Zauberwahn und Hexenwahn zu bekämpfen; die dringende Veranlassung fehlte, weil der bestialische Wahnsinn der Hexenverfolgung in Italien (aus politischen Gründen) nicht so schamlos auftrat wie in Frankreich und in Deutschland. Wie schon erwähnt.
Unsterblichkeit der Seele
Will man das Verhältnis der Renaissance zur Kirche kurz zusammenfassen, so kann man sagen: diese köstlichen, in der Kunst meisterlichen, im Denken oberflächlichen Italiener dachten (um ein Wort Ariostos mit Burckhardt auf sie anzuwenden) nicht über das Dach hinaus. Alle waren sie vom Glauben abgefallen, aber einen förmlichen Abfall zu vollziehen, hielten sie nicht für nötig. In Venedig, in Florenz, am Ende auch gelegentlich in Rom konnte man als Handelsherr, als Dichter und sogar als Staatsmann ungestört leben, ohne ein guter Christ zu sein, in einer Art von Privatreligion, solange man nur kein öffentliches Ärgernis erregte. Die Unsterblichkeit der Seele, eine Lehre doch, mit welcher die Macht der Kirche stehen oder fallen mußte, wurde zu einer sehr umstrittenen Frage; zu Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Unsterblichkeit vom Papste ex cathedra verteidigt, bald darauf von Pomponazzi philosophisch widerlegt. Wenn es aber ein grobsinnliches Weiterleben nach dem Tode nicht gab, wenn ein Schattendasein (wie bei Homeros) an die Stelle der Hölle und des Fegefeuers trat, wenn die Seele gar nach dem Tode zu einer Allseele heimkehrte, dann war es vorüber mit allen jenseitigen Belohnungen und Strafen, mit allem, was drum und dran hing, mit Erlösung und mit Auferstehung. Und auf diesem Boden standen die Renaissancemenschen; nur wenige leugneten die Dogmen des Glaubensbekenntnisses, sehr viele aber lachten über die Unsterblichkeit der Seele. So kam es, daß sie den allerchristlichsten Begriff, den der Sünde, nicht mehr auf sich wirken ließen, daß sie die Reue (um das Wort Nietzsches zu bemühen) für unanständig hielten. In Deutschland führte der Zorn über geistliche Ausbeutung zu der Ketzerei der Reformation, in England entwickelte sich hundert Jahre später die Kritik zum Deismus oder zu einer unchristlichen Vernunftreligion; in Italien fiel man weder von der römischen Kirche ab, noch vom Christentum, aber schon im 15. Jahrhundert herrschte da bei der Oberschicht eine Weltanschauung, die eigentlich gründlicher aufräumte als Reformation und Deismus. Gottesleugnung in Worten oder gar Materialismus war es nicht, wohl aber (wie bei Lorenzo de' Medici) ein platonischer Naturalismus, der mit den hergebrachten Redensarten eines antiken Theismus schlecht genug verchristelt wurde. Wer im irdischen Leben nur noch das Walten unabwendbarer Naturgesetze sah, wer dazu an eine Fortdauer seiner individuellen Seele nicht glaubte, der hatte kein Interesse mehr an Gott, weder diesseits noch jenseits.
Ich werde erst im nächsten Bande eine zusammenfassende Darstellung der Wirkung zu geben versuchen, welche die Renaissance, als sie europäisch geworden war, mittelbar auf die Religion übte, unmittelbar auf die Lehren von Staat und Natur; wir werden da sehen, wie der christliche Gott, der nahezu ein Jahrtausend hindurch die Welt regiert und die Haare auf dem Kopfe jedes Menschen gezählt hatte, fast über Nacht obdachlos wurde durch die neue Astronomie, dazu arbeitslos durch die zur Anerkennung gelangten Naturgesetze. Einstweilen soll uns noch die Bewegung des italienischen Rinascimento beschäftigen, die unmittelbar an den Dogmen der Kirche rüttelte und schon früh zur Leugnung der beiden Hauptlehren führte: der Unsterblichkeit der Seele und der Dreifaltigkeit des einen Gottes. Es ist aber nötig, vorher noch auf einige Strömungen hinzuweisen, die im Rinascimento mündeten, das wir bisher zu einseitig als eine Äußerung des neu erwachten nationalen Geistes betrachtet haben.
Rückgang der Theologie
Da ist zunächst ein Rückgang der Theologie und der theologischen Fakultät zu beobachten, ein sehr langsamer Rückgang freilich, denn abgeschafft ist diese Fakultät an den Universitäten heute noch nicht; es ist wahrlich, als ob der moderne Staat immer noch Professoren der Astrologie besolden wollte. Der Rückgang begann damit, daß die Juristen und die Ärzte über die widervernünftige Logik der Kirche zu lachen anfingen. Man hat den alten Griechen Mangel an Kritik, Mangel an Verifizierung der behaupteten Tatsachen vorgeworfen; mit Recht; aber die antike Kritiklosigkeit war doch noch gesunder Menschenverstand, wenn man sie mit dem Gedankengange vergleicht, der zur Zeit der Scholastik über Recht und Unrecht des Angeklagten, über Tod und Leben des Kranken zu entscheiden sich anmaßte. Das Beweisverfahren, das noch zur Zeit der Hexenprozesse angewandt wurde, ist ja nicht eine grauenhafte Satire, sondern geschichtliche Wahrheit: die Hexe wird ins Wasser geworfen; ihre Unschuld gilt für erwiesen, wenn sie ersäuft, ihre Schuld, wenn sie oben schwimmt. So war es überall, in Fragen des Rechts wie in Fragen der Heilkunde. Die Begriffe der Ursache und der Folge, der psychologischen wie der physiologischen Kausalität waren nicht vorhanden, mußten von Juristen und Ärzten neu entdeckt werden. Aus den Schriften, die Römer und Griechen hinterlassen hatten. Es half nichts, daß die Kirche die bisherige Wundersucht gegen die Neuerer verteidigte; die Fürsten hielten es aus Machtgier mit den Juristen (ungefähr seit Philipp dem Schönen von Frankreich), aus unchristlicher Todesangst mit den naturalistischen Ärzten, und wenn diese Juden gewesen wären; es ist bekannt, daß in jenen Jahrhunderten jüdische Gelehrte, die die Medizin neben anderen Wissenschaften betrieben und darum vom Volke wie von der Sorbonne (1306) als Atheisten gehaßt wurden, sehr häufig die Leibärzte weltlicher und geistlicher Fürsten waren.
Buchdruck
Der Umstand, daß auch Juristen und Ärzte sich zuletzt nicht auf zeitgenössische Schriften beriefen, sondern auf Justinianus und Hippokrates, erinnert uns wieder daran, daß das Rinascimento in seinen Anfängen eine Flucht war aus der Barbarei der Gegenwart in die antike Kultur. In eine Bücherkultur, weil es eine Bewegung in der Gelehrtenwelt war. Gerade im Buchwesen vollzog sich aber zur Blütezeit der Renaissance eine Revolution von außerordentlicher Bedeutung: durch die Erfindung des Buchdrucks, die wahrscheinlich eine deutsche Erfindung war. Man könnte dieses Ereignis sehr hübsch mit der anderen Erfindung der Zeit zusammenstellen: der der Schußwaffen. Könnte sogar Jahreszahlen nennen. Bei der Eroberung von Konstantinopel hatte das grobe Geschütz der Türken als eine neue Waffe die Entscheidung herbeigeführt, und einer der allerersten Drucke (1454) ist eine Vermahnung an die Christen, den siegreichen Türken Widerstand zu leisten. Ohne Zweifel hat auch das unleugbare Übergewicht der Schußwaffen über Schwerter und Lanzen dazu beigetragen, die Christenheit von ihrer Wundersucht zu befreien; es wäre gar zu merkwürdig gewesen, wenn der alte Gott der Schlachten aus höherem Ratschluß immer auf Seite derjenigen Partei gewesen wäre, die das gröbste Geschütz besaß. Man könnte ebenso hübsch das gemeine Metall erwähnen, das hier zum Gießen von Kugeln, dort zum Gießen von Lettern benutzt wurde. Die Erfindung des Buchdrucks hat aber denn doch stärker und rascher auf die geistige Befreiung eingewirkt als die Benützung des Schießpulvers zur Herstellung von Kanonen. (Als eine »Kunst« wurde der Buchdruck ebenso bewertet wie die »Artillerie«.)
Nur sollte man beim Staunen über die Wirkungen des Buchdrucks nicht eine scheinbare Kleinigkeit vergessen: daß nämlich allerdings die ungeheure Vermehrung der Bücher (von 1470 bis 1500 mögen wohl zehntausend Bücher und Flugschriften erschienen sein, die meisten in Italien, fast der ganze Rest in Frankreich und in Deutschland) der Verbreitung der Aufklärung diente oder der Ausdehnung einer Revolution, wie die Reformation eine war, daß aber eine Wechselwirkung nicht zu übersehen ist, daß das Bedürfnis nach Aufklärung oder Revolution, das Bedürfnis nach Abschriften die Erfindung des Buchdrucks erst gezeitigt hatte. Die Buchdrucker, die ihre eigenen Verleger waren, erfanden sich eine kostspielige Maschine für den Ersatz von Buchabschriften, als die Nachfrage nach Büchern groß genug war. Man kann also beide Behauptungen mit gleichem Rechte aufstellen: der Buchdruck hat die Geistesbefreiung beschleunigt und die Geistesbefreiung hat sich den Buchdruck geschaffen. Die Zahl der Bücher wuchs, weil die Nachfrage größer und größer wurde; aber auch die Zahl der Leser wuchs, weil die Bücher häufiger und billiger waren, ohne übrigens darum schlechter zu werden.
Mit diesem Umstande nun, mit der Wechselwirkung von Bedürfnis und Befriedigung des Lesehungers, hängt zusammen der Wettstreit zwischen Kanzel und Presse, der unmittelbar nach Erfindung der Buchdruckerkunst mit den ersten religiösen Flugschriften begann und heute noch nicht mit dem entscheidenden Siege der einen oder der anderen Mitteilungsform beendet worden ist. Heute noch führt z. B. die katholische Kirche ihre mehr modernen Kriege, die politischen, in der Presse, ihren althergebrachten Glaubenskrieg auf der Kanzel. Man wird die Rückständigkeit dieses Waffengebrauchs besser verstehen lernen, wenn ich an verwandte Rückständigkeiten auf ganz anderen Gebieten erinnert habe. Da haben wir aus unseren alten Universitäten ordentliche Professoren, die davon und dafür leben, daß sie ihren Studenten Kompendien vorlesen, die mit geringerem Aufwands von Zeit und Geld aus gedruckten Büchern zu holen wären; ein halbes Jahrtausend hat nicht genügt, dem Buchdruck zum Siege zu verhelfen über die mittelmäßigen Professoren, die weder durch das Feuer ihrer Beredsamkeit, noch durch den Zauber ihrer Persönlichkeit das Buch zu überbieten vermögen. Da haben wir die Parlamente, in denen die Redner – es ist sprichwörtlich geworden – zum Fenster hinaus reden, d. h. mit ihren Gedanken oder Phrasen keine Wirkung auf ihre Kollegen hoffen, sondern einzig und allein auf ihre Parteigenossen im Lande. Ein alter Aberglaube wirkt nach: der gesprochenen Rede des Professors, des Abgeordneten wird eine höhere Weihe beigelegt als einem Zeitungsaufsatze desselben Professors, desselben Abgeordneten. In den ersten Jahrzehnten des Buchdrucks schien die Entwicklung einen schnelleren Schritt nehmen zu wollen: der gedruckten Vermahnung des Flugblatts wurde keine geringere Weihe beigelegt als der gesprochenen Vermahnung des Kanzelpredigers. Der Wortaberglaube haftete auch noch am gedruckten Worte; der Drucker war ein Zauberer; wer lesen konnte, war ein Zauberlehrling. Nicht erst die Heißsporne der Reformation, schon die Bücherhändler auf den Messen verkündeten die Forderung der neuen Zeit: das Buch ersetze die Predigt. Also jedermann sein eigener Pfarrer, und Seelenführer.
Griechen in Italien
Diese Züge vermischen sich, kreuzen sich oft wunderlich mit der Nationalitätsidee des Rinascimento. Eine Kreuzung war es, eigentlich ein merklicher Widerspruch, daß die Begeisterung für den Aufschwung einer muttersprachlichen Literatur sich vermengen konnte mit einer Begeisterung für das tote Latein. Selbst in Italien, wo die Wiederbelebung der alten Heldensprache in der ursprünglichen Reinheit den gelehrten Humanisten als das Wesen des Rinascimento erschien, fehlte dieser Widerspruch nicht, da Dichter wie Petrarca und Boccaccio sich ja ihrer Hauptwerke, der italienischen Dichtungen, ein wenig schämten oder mit diesem Schamgefühl doch kokettieren zu müssen glaubten. Dazu kam in Italien noch, daß der klassische, wie ein Wunder von Geschmack und Weisheit angestaunte Cicero die griechische Sprache geliebt und in griechischen Dichtern und Philosophen seine unerreichbaren Vorbilder erblickt hatte. Das Studium des Griechischen (und dann des Hebräischen) wurde erst den späteren Humanisten zu einer unentbehrlichen Waffe gegen die Autorität der Kirche, zu dem besten Werkzeuge einer neuen Disziplin: der Bibelkritik. Erst außerhalb Italiens kam es zu der vollkommenen Ausbildung dieser neuen Philologie. In Italien selbst gehörte die Wiederentdeckung der griechischen Sprache, so seltsam es klingen mag, zum nationalen Programm der Humanisten, gewann daneben sehr bald freilich eine außerordentliche Bedeutung in dem Streite der philosophischen Schulen, der sogenannten Platoniker, die unchristliche Neuplatoniker waren, und der sogenannten Aristoteliker, die immer noch christelnde Scholastiker waren, hatte aber ursprünglich nicht den Einfluß aus das Wiedererwachen des heidnischen Geistes, den man der Invasion der griechischen Gelehrten gewöhnlich nachrühmt. Es würde viel zu weit führen, ginge auch über meine Kraft, wollte ich allen diesen Zusammenhängen nachgehen; nur auf den Umstand möchte ich hinweisen, daß der römische Hof, als er sich für das alte Griechenland zu interessieren vorgab, durchaus nicht humanistische Ziele verfolgte oder gar freidenkerische und heidnische, sondern ganz einfach gemeine kirchenpolitische Ziele.
Bekanntlich begann der Zustrom griechischer Gelehrter nach Italien, wo die alte Fühlung mit griechischer Urweisheit nicht überall völlig erstorben war, schon vor der Eroberung Konstantinopels durch die Türken. Wohl aber war die Angst vor den Türken die treibende Kraft dieser Gelehrtenwanderung. Der oströmische Kaiser fürchtete die Gefahr schon viele Jahre vor der Eroberung seiner Hauptstadt und war bereit, die Hilfe des Abendlandes gegen die Türken mit einem Religionswechsel zu erkaufen; er für seine Person, konfessionslos wie ein rechter Monarch, hatte das mit dem römischen Papste verabredet, während sein Volk lieber unter einem Sultan griechisch bleiben als römisch werden wollte. Für den Papst aber wäre es natürlich ein scheinbarer Triumph gewesen, eine Tat von »welthistorischer« Bedeutung, wenn es ihm gelungen wäre, die äußerste Not des oströmischen Reiches zu einer Union zu benützen, zur Beendigung des alten Schismas in der Christenheit. Eben drohte auf dem Basler Konzil ein neues Schisma. Der Papst, seit sechs Jahren in erbittertem Kampfe mit diesem Konzil, verlegte, kaum daß Kaiser Sigismund gestorben war und diese letzte Rücksicht fiel (1437), das Konzil nach Ferrara, auf italienischen Boden. Die Rumpfkonzilien von Basel und Ferrara taten einander gegenseitig in Bann oder betrachteten einander als nicht vorhanden, aber schon im ersten Frühjahr 1438 erschien in Ferrara eine gewaltige griechische Gesandtschaft, den griechischen Kaiser an ihrer Spitze, um über die Union beider Kirchen zu verhandeln. Es drehte sich um eine Machtfrage von wirklich großer Bedeutung, ob nämlich der römische Papst auch noch der Herrscher über die morgenländische Christenheit werden sollte; geführt aber wurde der Streit wieder, wie in dem Dogmenkampfe des 4. Jahrhunderts, um Formeln, um Wörter, zumeist um weniger als ein Wort. Auf dem Konzil von Nicäa war ein »i« der Hauptgegenstand des Streites gewesen, auf dem Konzil von Ferrara war es die Partikel »und«.
Dieses Konzil hatte mit seinem Geschäft keinen Erfolg, da es weder zu einer dauernden Vereinigung der beiden Kirchen noch zu einem Kreuzzuge gegen die Türken führte; es gewann aber dennoch für die Kulturgeschichte des Abendlandes eine ungeahnte Wichtigkeit durch die Tatsache, daß zum zweiten Male ein besiegtes Griechenland zum Sieger wurde über die Herren der Welt oder doch zu ihrem Lehrer. Die Griechen aus dem Gefolge des oströmischen Kaisers, die über die Union zwischen der östlichen und der westlichen Kirche verhandeln sollten, brachten den sogenannten Platonismus nach Italien, der sich dort rasch mit dem Rinascimento vereinigte und so eine neue Form der Ketzerei wurde.
Plethon
Der erste Anreger dieser Bewegung scheint Georgios Gemistos Plethon (geb. zu Konstantinopel um 1355, gest. im Peloponnes 1450) gewesen zu sein; er hieß eigentlich nur Georgios, bekam den Beinamen Gemistos um der Fülle seiner Gelehrsamkeit willen und änderte endlich diesen Beinamen spielerisch, um an Platon zu erinnern, in Plethon. Er lebte lange am Hofe von Cosimo von Medici, der unter seinem Einflusse die platonische Akademie begründete; ein unklares Gemisch von platonischen und neuplatonischen Gedanken verbreitete sich von da aus über Europa; das Entscheidende war, daß die christliche Scholastik, die bis dahin auf Aristoteles geschworen hatte, von nun an mit Berufung auf den Heiden Platon bekämpft werden konnte. Auch Platon wurde arg verchristelt; es war aber doch ein ander Ding, ob christliche Theologie in der Terminologie des Aristoteles orthodox vorgetragen wurde oder ob jetzt Platon dadurch schulfähig gemacht wurde, daß man einige christliche Glaubenslehren in ihn hineinlas, daneben jedoch den alten Zeus wieder zum obersten Gotte erhob und die Unsterblichkeit der Seele in einer ganz unchristlichen Fassung vortrug. Plethon erklärte die scholastischen Theologen, welche eine individuelle Unsterblichkeit lehrten, für Sophisten und wurde dafür auch bald als Ketzer abgestempelt. In der Folgezeit entwickelte sich dieser Platonismus freilich wieder zu einem Idealismus, der (bei Cudworth und Henry More) der deistischen, nahezu materialistischen Aufklärung scharf entgegentrat; aber die ersten Schüler des Plethon waren selbst Unchristen und Aufklärer. Plethon soll auf dem Unionskonzil vorausgesagt haben, die Welt werde bald ungefähr zu dem Glauben der Heiden zurückkehren. Dieser altneue Glaube, der vielleicht mehr als die Quellen uns erraten lassen, eine Annäherung an den Islam bedeutete, wäre eine philosophische Kosmologie geworden und setzte nicht mehr und nicht weniger voraus als das Ende des Christentums; Plethon sah im Geiste die Vernichtung der östlichen Kirche durch die Türken, die Vernichtung der westlichen Kirche durch den Ansturm des Rinascimento. Und er klagte nirgends über dieses Erlöschen des alten Glaubens. Wohl äußerte der Grieche auf dem Boden der italienischen Barbaren (für den Griechen waren die Römer wiederum Barbaren) Haß und Verachtung gegen die römische Kirche; doch sein philosophischer Kampf galt dem Christentum überhaupt, der christlichen Dogmatik wie der christlichen Moral; er hatte dieses Antichristentum bereits in der Jugend eingesogen, am Hofe des Sultans Murad I. unter dem Einflusse eines freidenkerischen Juden. Das wäre nun freilich, wenn Plethon das Zeug zu einem Religionsstifter gehabt hätte, eine wirkliche Revolution geworden, nicht eine bescheidene Reformation.
Bessarion
Noch weniger das Zeug zu einem Religionsstifter oder Rebellen hatte sein jüngerer Genosse Bessarion (geb. 1395 zu Trapezunt, gest. 1472); auch er kam mit der großen Gesandtschaft zu dem Unionskonzil von Ferrara-Florenz, doch er lernte bald seinen Vorteil wahrnehmen, sprach und schrieb für die römischen Ansprüche und wurde mit dem Kardinalshute belohnt; im Konklave von 1455 wäre er beinahe Papst geworden. Als Politiker wollte er zugleich der römischen Kurie und seinem armen Vaterlande dienen; auch in dem Streite zwischen Aristotelikern und Platonikern enthielt er sich jeder Maßlosigkeit, widmete sich aber tapfer der Verherrlichung Platons. Seine Wirkung war um so größer, als er in Italien wohnen blieb, auch die lateinische Sprache vollkommen beherrschte und mit seinen Reichtümern die griechischen Flüchtlinge unterstützte. Für die Ausbreitung griechischer Schriften im Abendlande hat er mehr getan als irgendein anderer; und was er, unklar und unbestimmt genug, von seiner Kardinalswürde ganz gewiß gehemmt, über Aristoteles und Platon vortrug, das leitete schließlich doch zu einer Weltanschauung hinüber, die dem mittelalterlichen Christentum gefährlich wurde. Man konnte es noch nicht so ausdrücken, aber man erkannte doch schon, daß die gesamte, auf Aristoteles beruhende christliche Theologie nicht eigentlich Religion war, sondern unvollkommene Gedankenarbeit, ein öder Rationalismus: daß man mit alleiniger Hilfe der Logik niemals zur Erkenntnis der göttlichen Wahrheit gelangen konnte. Einerlei, ob Bessarion wirklich eine religiösere Natur war oder ob er als Kirchenfürst, vielleicht gar als der kommende Papst der endlich vereinigten beiden Kirchen mehr Religiosität heucheln zu müssen glaubte als die anderen Platoniker, in seinen Schriften wurde ein neuer Ton vernehmbar, die Religion wurde zu einem Gefühle der Sehnsucht, die ihre Befriedigung nirgends besser zu finden glaubte als bei Platon. Und wieder wurde es eine Ketzerei, als da die Theosophie der Platoniker die Theologie der Aristoteliker zu überwinden schien. Der griechische Platonismus war ein fremder Zug in dem lateinischen Rinascimento; diese Griechen brachten aus dem Osten einen wirren Neuplatonismus mit herüber, übersetzten wahllos platonische und neuplatonische Schriften, steckten das Abendland mit geheimnisvollen Lehren einer falschen Mystik an und ebneten manchem orientalischen Aberglauben den Weg; aber unchristlich war der Platonismus des italienischen Quattrocento dennoch. Wir können die Sprache dieser Unchristlichkeit nicht mehr recht verstehen, nicht in der Weise, wie wir die konfessionslosen Deisten Englands oder die boshaften Enzyklopädisten Frankreichs verstehen; es ist für uns eine künstliche Sprache und sie war auch niemals lebendig; aber unchristlich war diese ganze Theosophie, trotz ihrer Unterwerfung unter die Kirche.
Ficino
Wer ein Mühlrad in seinem Kopfe nicht scheut, der mache es mir nach und lese einmal die, ich möchte sagen, amtliche »Theologie Platons«, die 1482, nur ein Jahr vor Luthers Geburt, herausgekommen ist. Der Verfasser war Marsiglio Ficino (geb. 1433, gest. 1499). Sein Vater war Leibarzt des Cosimo von Medici, der den Sohn ausbilden ließ und ihn zum Lehrer an seiner platonischen Akademie machte. Er wurde 1473 Priester, gewiß nur, weil er eine Pfründe nötig hatte. Er mußte seiner geistlichen Stellung manches Opfer bringen: er verbrannte einen Kommentar, den er zu dem Gedichte des Gottesleugners Lucretius geschrieben hatte, erklärte sich (im Gegensatze zu Plethon) für wundergläubig und verteidigte das Dasein Gottes gegen alle Zweifler. Und dennoch ist seine »Theologie Platons« ein unchristliches Buch, freilich auch kein atheistisches. Es gibt da ein höchstes Wesen, das man ja auch Gott nennen kann; von dem höchsten Wesen geht ein göttlicher Strahl aus, der das All durchdringt; dieser Strahl ist vorhanden schon im Steine, doch im Steine lebt er noch nicht; er lebt erst in der Pflanze, aber da glänzt er noch nicht; er glänzt im Tiere, aber da wird der Strahl noch nicht zurückgeworfen, wird noch nicht wiedergespiegelt, kehrt noch nicht zu seiner Quelle zurück; erst im Menschen ist der göttliche Strahl ganz und gar: da existiert er, lebt, glänzt er und wird reflektiert. Das ist die Weltseele, die eine und dieselbe ist im höchsten Wesen, in den Sternensphären und in allen Geschöpfen. Ficino beweist die Unkörperlichkeit dieser Seele, aber christliche Unsterblichkeitslehre ist das nicht.
Unsterblichkeit der Seele
Wir haben schon in der Einleitung erfahren, welche Bedeutung der Glaube an eine unsterbliche Seele für den Gottglauben habe; das Christentum des Volkes steht und fällt mit dem Glauben an ein Leben nach dem Tode. Feuerbach hatte in diesem Punkte recht: »Gott und Unsterblichkeit sind identisch. Beide entspringen aus dem Wunsch.« Besser: aus einer ewig unbefriedigten Sehnsucht. Die sprachkritische Untersuchung der Frage ist dem Volke unverständlich: daß da von einem substantivischen Etwas, das niemand kennt oder begreift, der Seele nämlich, eine Eigenschaft ausgesagt wird, die wieder niemand fassen kann, die Unsterblichkeit. Das Volk glaubt, was es will, das heißt nicht: es glaubt nach seinem Belieben, was ihm paßt; es heißt vielmehr: das Volk hält für existierend, für wirklich, was es gern besäße. Das Volk selbst hat die Unsterblichkeit der Seele geschaffen, wie es Gott geschaffen hat. Die Kirche hat sich dann dieser Vorstellung bemächtigt und durch die Idee der Vergeltung (Gottes »Gerechtigkeit«) die Sehnsucht nach persönlicher Fortdauer zu dem gefährlichen System einer postumen Rechtspflege umgestaltet, wobei dann die Unsterblichkeit zu einer bloßen Vorbedingung einer jenseitigen Gerechtigkeit wurde, einer Zuteilung von Belohnung und Strafe.
Weil die Unsterblichkeit eine Sache der Sehnsucht war, kümmerte sich die römische Kirche eigentlich sehr lange nicht um diese Lehre. Sie galt für eine natürliche Wahrheit, nicht für eine offenbarte; sie brauchte nach mittelalterlich-katholischer Anschauung weder eine Offenbarung noch einen Beweis. So paradox es klingen mag: erst das Rinascimento, das den Zweifel an der Unsterblichkeit aus alten Schriften wieder aufbrachte, ließ die Kirche erkennen, daß sie da ein Dogma festzulegen versäumt hätte, und erst Luther mit seiner leidenschaftlichen Sehnsucht nach dem lohnenden Gotte und dem strafenden Teufel hob den Unsterblichkeitsglauben über die nüchternen Definitionen der katholischen Kirche hinaus. Und da scheint es mir bezeichnend für die Zeit des Rinascimento, daß gerade damals – zum ersten Male – die Leugnung der Unsterblichkeit verdammt wurde, just von dem humanistischen Papste Leo X. (auf dem Laterankonzil), dem Unchristen, der, nicht viel mehr als dreizehn Jahre alt, zum Kardinal ernannt wurde – erst drei Jahre später sollte der Knabe die Abzeichen anlegen dürfen –, der dann, als er Papst geworden war, seine Erwählung mit dem recht gut bezeugten Worte quittierte: »Gott hat uns das Amt geschenkt. Treiben wir's lustig.« Oder so ähnlich. Ein Medici, der dem Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode und an die Gerechtigkeit des Weltlaufs zum Range eines Dogmas verhilft. Ebensogut hätte Machiavelli, wenn er Papst geworden wäre – warum nicht ebensogut wie Enea Silvio de' Piccolomini? – den Glauben an einen Sieg des Rechts zum Dogma machen können.
Da ist es nun um so merkwürdiger, daß die Unsterblichkeit der Seele von den Renaissancemenschen bereits geleugnet wurde – so entschieden, daß die Kirche sich der Lehre annehmen zu müssen glaubte –, daß dieser Glaube aber von den eigentlichen Aufklärern einer späteren Zeit, den Socinianern, den Deisten, ja sogar von einigen neueren Freigeistern wieder festgehalten wurde. Die Unitarier, bis auf Priestley, verteidigten die Fortdauer nach dem Tode; Herbert von Cherbury nahm das Dogma in seine fünf Artikel auf.
Dieser auffallende Rückschritt wird wohl daraus zu erklären sein, daß die Aufklärer, die Socinianer so gut wie die englischen Deisten, von der Moral herkamen und darum das Bedürfnis hatten, an die Stelle einer positiven Religion, die sie ernstlich abschaffen wollten, irgendeine positive Moralbegründung zu setzen, daß dagegen die handelnden Menschen des Rinascimento amoralisch waren, ernstlich und ehrlich eine Wiederbelebung des antiken Heidentums anstrebten und sich den Teufel darum bekümmerten, ob bei dem Zusammenbruche der christlichen Kirche auch noch die christliche Sitte einigen Schaden litt.
Es kam aber noch etwas dazu, um die geistigen Rebellen des 15. und des 16. Jahrhunderts freier zu machen als ihre Nachfolger des 17. und des 18. Ich brauche es kaum noch einmal und ausdrücklich zu sagen. Die Wiederbeleber des Heidentums nannten sich nicht umsonst »Humanisten«; sie entdeckten den Menschen wieder und machten den Menschen wieder zum Herrn der Erde, auf welcher tausend Jahre lang der Gott geherrscht hatte. Es war doch nur ein Zufall, eine Mode, das Neueste vom Neuesten, wenn die Unchristlichkeit oder Gottlosigkeit dieser Humanisten an den auferstandenen Platon (den Platon der Neuplatoniker) anknüpfte; der Dualismus von Seele und Leib – eigentlich ein für uns nicht übersetzbarer Trialismus von Geist, Seele und Leib – wurde ja doch beiseite geschoben und ein unklar pantheistischer Monismus an die Stelle der alten Theologie gesetzt. Von der geistigen Knechtschaft des Mittelalters war nur die Gewohnheit des Autoritätsglaubens übriggeblieben. Man schwor auf die überlieferten Worte des Platon und des Aristoteles, immer noch unkritisch, wie nachher die Reformatoren, mit mehr oder weniger Bibelkritik, auf Gottes Wort schworen. Aber die Abkehr von der orthodoxen Lehre war beiden Parteien (und den Unterparteien der Aristoteliker) gemeinsam. Das äußerte sich – drollig genug für uns Spätlinge – besonders darin, daß die Aristoteliker den Platonikern ihren Pantheismus vorwarfen – man bildete für Gott die ganz barbarische Bezeichnung »Unomnia« –, die Platoniker den Aristotelikern einen noch unchristlicheren Naturalismus. Die Frage nach dem Dasein Gottes wurde freilich vorsichtig umgangen, von beiden Parteien. Atheismus blieb immer ein unbewiesener Vorwurf. Aber die individuelle Unsterblichkeit der menschlichen Seele leugneten Platoniker wie Aristoteliker fast unumwunden, namentlich aber die entgegengesetzten Sekten der Aristoteliker, die »alten« und die »modernen« (sie nannten sich jedoch anders). Auch über andere christliche Glaubenssätze hatte man erstaunlich freie Ansichten, legte aber überall Wert darauf, die eigene Sekte als rechtgläubig, die wissenschaftlichen Gegner als ketzerisch hinzustellen. In Theorie und Praxis schien der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele auslöschen zu wollen; man tat aber so, als wüßte man nicht, daß dann ein äußeres Bekenntnis zum Christentum keinen rechten Sinn mehr hatte. Man stritt, auch mehr »zur Belustigung des Verstandes und des Witzes« als zum eigenen Seelenheil. Da gab es einen unsicheren Kantonisten, Agostino Nifo (geb. 1473, gest. um 1545), der sich zuerst den modernen, nachher den alten Aristotelikern zuzählte und sich von dem Unchristen Leo X. bestimmen ließ, ein Buch gegen den Unsterblichkeitsleugner Pomponazzi zu schreiben. So gottlos aber war die Zeit schon, daß Pomponazzi vom Kardinal Bembo und von dem humanistischen Papste selber beschützt wurde, als er sich gegen den »rechtgläubigen« Nifo verteidigte. Das geschah in dem Jahre 1521, da Luther in Worms seine theologischen Händel ausfocht. Man wird verstehen, daß ich mich mit Pomponazzi eingehender zu beschäftigen habe.
Pomponazzi
Pietro Pomponazzi (Petrus – er führte wegen seiner kleinen Gestalt den Necknamen Peretto – Pomponatius, geb. 1462, gest. 1525) nahm unter den Humanisten eine abgesonderte Stellung ein, wenn man sich nur von den Rubrikenmachern der offiziösen Philosophiegeschichten nicht täuschen lassen will. Er berief sich noch nicht auf Platon, verwarf die Araber und hielt sich in der Form und in der abstrusen Logik an den heiligen Thomas. Da er aber ganz entschieden die Sterblichkeit der menschlichen Seele für die wahre Lehre des Aristoteles erklärte, dürfte wohl die Beschuldigung des Atheismus nicht unbegründet sein; denn innerhalb der christlichen Weltanschauung ist der Glaube an Gott ohne den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele – wie gesagt – so unnütz wie ein zerbrochener Krug. Zu seinem Schutze benützte Pomponazzi die wohlfeile Unterscheidung einer zweifachen Wahrheit und unterwarf sich für die Theologie der kirchlichen Vorstellung von der Unsterblichkeit. Eigentlich ist er, wenn man von seiner spitzfindigen Darstellung absieht, ein ganz moderner Geist, nicht nur durch seinen Spott über Pfaffen und Mönche, sondern auch durch den Ernst, mit dem er die Unbeweisbarkeit der Unsterblichkeit der Seele behauptet. Es war sein Glück, daß gerade damals der römische Hof selber gottlos war; er wäre sonst kaum mit dem Leben davongekommen. Man hat ihm die folgende Grabschrift gemacht: »Hier liege ich begraben. Warum? Weiß nicht. Ist mir auch einerlei, ob du es weißt oder nicht. Schön, wenn's dir gut geht. Mir ging's gut, als ich lebte. Vielleicht geht's mir jetzt gut. Ob ja oder nein, kann ich nicht sagen.« Johannes Weyer, der Schüler und der Freund Agrippas von Nettesheim, bezeugt, von einem Arzte gehört zu haben, Pomponatius, der Lehrer des Arztes, wäre ein Atheist gewesen; Weyer hofft aber, Pomponazzi habe sich vor seinem letzten Hauche noch durch Gottes Erbarmen bekehrt; welche Hoffnung vielerlei Glauben voraussetzt. Bayle nahm nicht nur den Humanisten in Schutz, sondern sogar den alten Aristoteles, als ob dieser ein Christ gewesen wäre und eine Verteidigung gegen die Inquisition nötig gehabt hätte. Wichtig ist dabei nur, daß Bayle recht deutlich selbst die Unsterblichkeit der Seele ablehnt; bewiesen wäre die Unsterblichkeit oder Geistigkeit der menschlichen Seele erst durch Descartes worden (und Bayle war kein Kartesianer), folglich hätte Pomponazzi mit vollem Rechte zu seiner Zeit behaupten können, keine Philosophie bewiese die Unsterblichkeit. Bayle gibt den Kartesianern den (offenbar ironischen) Rat, nach den Einwürfen Gassendis die Unbeweisbarkeit zuzugeben und sich auch bei dieser Frage einfach an das Dogma zu halten.
Sehr drollig polemisiert Gottsched gegen den Zweifler Bayle und tritt gegen ihn und gegen den Spötter Voltaire für den Unsterblichkeitsglauben ein. Er selbst will witzig werden und den Leuten es nicht mißgönnen, wenn sie in diesem Stücke mit Rindern und Pferden von einer Klasse sein wollen. Sein Argument ist aber kein anderes als das: dem Volke müsse auch der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und an ein künftiges Leben erhalten bleiben; wo dieser Glaube nicht mehr herrsche, da sei auch die Regierungsform in Gefahr. »Ich wenigstens möchte über ein solches Volk nicht herrschen und würde mich keinen Augenblick meines Lebens sicher halten.«
So albern uns Gottsched und so verwandt, also geistreich, uns Bayle heute erscheint, der große Skeptiker und sein kleiner Übersetzer begehen den gleichen historischen Fehler: den Sprachunterschied zwischen der Humanistenzeit und der ihrigen zu übersehen. Die Worte oder Begriffe, um welche Pomponatius oder Pietro Pomponazzi zeitlebens mit seinen Widersachern kämpfte, waren noch die Worte oder Begriffe irgendeines Aristoteles, des echten, des arabischen oder des scholastischen; das Gezänke um die richtige Auslegung der krausen Sätze war nicht viel besser als das Gezänke, das bald darauf im Luthertum um die Auslegung des Bibeltextes entstand. Die Abhängigkeit von einem Autoritätsglauben, die die theologischen Streitigkeiten uns so ungenießbar macht, erschwert auch oder verkümmert die Freude an den Humanisten, die von einer unbewußt fälschenden Geschichtschreibung allzusehr modernisiert worden sind. Auch von Jacob Burkhardt, der freilich dieses Mittel nötig hatte, um die Bedeutung des Renaissancedenkens erkennen zu lassen. Diese Aristoteliker der Renaissance, die man nur sehr oberflächlich und irreführend in Averroisten und Alexandristen geschieden hat, wollten freilich nicht auf Metaphysisches hinaus wie die katholischen Scholastiker vorher und die lutherischen Streithähne nachher; sie wollten sich mit der ganzen Weltlust ihres Geschlechtes auf das Physische beschränken, wollten die schemenhafte Philosophie des Mittelalters ehrlich in eine Naturphilosophie umwandeln; und daß sie in der Sache (den Namen gab es noch nicht) zu einer Art von Pantheismus gelangten, würde sie unserem Verständnisse nur näher bringen können, weil wir alle durch die Schule des bewußten Pantheismus gelaufen sind. Aber es war nur wenig Heuchelei dabei, es war ein notwendiges Verhängnis, daß diese Philosophen, die immer noch mächtigen Scholastiker, die Averroisten, die Alexandristen (zu denen Pomponazzi gerechnet wird) und auch die Platoniker oder vielmehr Neuplatoniker nach den christlichen Dogmen schielten und zugleich nach irgendeinem Aristotelestexte stierten, während sie die Gesetze der Natur, besonders die Gesetze der Menschennatur zu erforschen vermeinten oder vorgaben. Sie empörten sich mitunter gegen den christlichen Glauben, aber sie konnten diese Empörung nur in christlicher Sprache ausdrücken. Es ist noch nicht ein ironisches Spielen mit der christlichen Sprache, wie etwas mehr als zweihundert Jahre später bei den Enzyklopädisten, es ist das mühsame Ringen um Selbstbefreiung. Auch Pomponazzi klebt noch beim Leugnen der Unsterblichkeit, besonders aber beim Zweifel an der Willensfreiheit, wie ein Vogel an der Leimrute an den Worten des verchristelten Aristoteles, und zappelt sich ab, da er von ihnen loskommen will; erst in seinem letzten Buche, das er 1520 schrieb, das aber erst 1556 (in Basel) erschien, scheint er einigermaßen befreit. Daß er da die Abhängigkeit von anderen Zeitneigungen in oft unerträglicher Weise verrät, namentlich von der Zeitkrankheit Astrologie, kann nicht überraschen, ja, man könnte sagen, er hätte dadurch (wie auch sonst) seine Selbständigkeit gegenüber Aristoteles bewiesen, den er doch einmal mit einem Elefanten im Verhältnis zu einem Floh (beim Floh dachte er an sich selber) verglichen hatte; denn der astrologische Aberglaube ging eher auf die Stoiker und die Neuplatoniker zurück als auf den sehr sublunaren Aristoteles.
Das unchristliche Buch, das ein Schweizer Arzt 35 Jahre nach der Entstehung herausgegeben hat, erhielt einen endlosen lateinischen Titel, der in der zweiten Ausgabe von 1567 abermals verändert wurde. Wir wissen nicht, welchen Titel Pomponazzi selbst gewählt hatte. Die Eingangsworte besagen: »Des Mantuaners Petrus Pomponatius, eines seiner Zeit sehr großen und berühmten Philosophen, Werk über die Ursachen natürlicher Wirkungen oder über Zaubereien.«
Ich halte mich, um den Inhalt dieses Buches kurz anzugeben, an den Auszug, welchen Brucker (Kurtze Fragen, VI, S. 175 ff.) zum Erweise seines Urteils geliefert hat, daß Pomponazzi zu denjenigen zu zählen sei, »welche, wo nicht selbst Atheisten im Herzen, doch Feinde der christlichen Religion sind und den geraden Weg zur atheistischen Ruchlosigkeit führen; und würde ihn vielleicht niemand verteidiget haben, wann obgedachtes ärgerliches und höchst anstößiges Buch seinen Verteidigern wäre zu Gesichte gekommen.« (Bayle hat dieses Hauptwerk nicht gekannt; auch Windelband erwähnt es nicht in seinem Lehrbuch.)
Schon die Art, in welcher Pomponazzi den Verstand und den Willen des Menschen, ja auch wunderbare Gaben, von denen viel die Rede ist, unmittelbar dem Einflusse der Sterne zuschreibt, ist unchristlich; man trieb Astrologie freilich auch am päpstlichen Hofe, war sich dabei jedoch einer heidnischen Ketzerei gar wohl bewußt. Noch viel unchristlicher, wenn auch vielleicht nicht so sakrilegisch gemeint, wie es heute klingt, war sein Versuch, wunderbare Heilungen und überhaupt die Kraft des Gebetes psychologisch zu erklären, durch eine heftige Erregung der Einbildungskraft; Pomponazzi denkt offenbar nicht an Selbsttäuschung oder gar an Betrug, sondern an eine wirkliche Steigerung der Seelenkraft durch ein heftiges Verlangen in der Ekstase; es klingt aber freilich nicht unbedenklich, wenn er meint, durch einen so leidenschaftlichen Glauben könne ein Hundeknochen ebenso viele Kräfte gewinnen wie ein Heiligenknochen. Man versteht solche und ähnliche Äußerungen über die Wirkung des Gebetes (z. B. daß es die Engel oder Intelligenzien bewegen könne, nicht aber den unveränderlichen Gott) besser, wenn man sich von der Einklassifizierung des Pomponazzi unter die Aristoteliker nicht täuschen läßt, wenn man erkannt hat, daß seiner Unchristlichkeit wie der des ganzen Humanismus der heidnische Neuplatonismus zugrunde lag. Und darin ist nun Pomponazzi völlig unchristlich, ja antichristlich, daß auch er einen wesentlichen Unterschied zwischen den einzelnen positiven Religionen nicht mehr anerkennt. Mag man es aber als einen Fortschritt oder als einen Rückschritt empfinden, sein (allerdings schwankender) Standpunkt ist nicht mehr der der Rationalisten des 13. Jahrhunderts. Damals hatte man, nach der wissenschaftlichen und persönlichen Berührung mit dem Islam, die Stifter des Christentums und des Islam miteinander verglichen und war auf die unpsychologische und unhistorische Theorie von den drei Betrügern gekommen. Jetzt verglich Pomponazzi den Christengott mit Jupiter (er verstand kein Griechisch), erblickte in den Lehrern der monotheistischen Religionen und des Heidentums gleichberechtigte Gesetzgeber, ebenbürtige Söhne Gottes, die bei ihrem Auftreten durch die Sterne oder durch ihre Ekstase Wunder wirken konnten. Nachher, d. h. nachdem die Söhne Gottes ihre Aufgabe erfüllt hatten, hörten die Wunder und Zeichen auf, auch die Wunder des Kreuzes. »Deswegen ist auch im christlichen Glauben jetzt alles kalt, und es gibt keine Wunder mehr als erdachte und erlogene; denn sein Ende scheint nahe.« Wohl salviert sich Pomponazzi bald darauf mit der alten List von der doppelten Wahrheit; er rede so nur philosophice, aristotelice, unterwerfe sich übrigens der Kirche; da er aber gelegentlich die Philosophen als irdische Götter dem gläubigen Pöbel entgegenstellt, da er ausdrücklich davor warnt, das freie Denken öffentlich oder gar vor dummen Geistlichen zu äußern, bei Gefahr des Kerkers, der Verbannung oder des Feuertodes, so wird ein Zweifel an seiner wahren Gesinnung kaum möglich sein. Will man die Bedeutung des Mannes erkennen, so stelle man ihn einmal den deutschen Zeitgenossen gegenüber. Luther, der sein großes Wirken nur ein Jahr nach des Pomponazzi Schrift gegen die Unsterblichkeit begann, der ebenfalls von der Mystik, also mittelbar von Platon herkam, beschränkte sich auf eine Befreiung von einigen Mißbräuchen der römischen Kirche, versteifte sich mehr und mehr auf eine neue Orthodoxie und wurde immer unduldsamer; seiner Beschränkung und seiner Tapferkeit verdankte er seinen Erfolg. Erasmus war mehr Humanist als Luther, ein besserer Bibelkritiker und ein feinerer Kopf; doch ohne jede Wirkung, weil er feige war. Pomponazzi, im Herzen Italiens (Padua, Bologna) als Lehrer tätig, konnte an eine Tat wie die Reform gar nicht denken; ein sicherer Tod wäre auf den ersten Schritt gefolgt; gerade weil er aber auf seine Gegenwart nicht wirken konnte und wollte, wahrte er sich die innere Freiheit und wurde so der stärkste Vertreter des eigentlichen Humanismus: das Christentum war ihm zu einem Gegenstande der Geschichte geworden, zu einem Ereignisse, dem man die Nativität stellen, aber auch das Ende voraussagen konnte. Er drang nicht in die Tiefe wie der Cusaner; wir erblicken aber in ihm, vor Bruno und Vanini, einen aus der Reihe der Italiener, die sich aus dem Katholizismus zu einer Höhe hinaufgearbeitet hatten, zu welcher man im Protestantismus noch sehr lange nicht einmal auszublicken wagte.
So dürfen wir den Leugner der Unsterblichkeitslehre heute betrachten. Seinen Landsleuten war er ein unruhiger Gelehrter neben vielen anderen. Das kleine Männchen schien nicht gefährlich und wurde in Rom von den frivolen Kardinälen und Päpsten beschützt. Man sah die Gefahr nicht, obgleich die Reformation bereits ihre Thesen anschlug. Zu den gelehrtesten Humanisten gehörte Pomponazzi nicht; er schrieb kein musterhaftes Latein und fiel oft in die Formen der Scholastik zurück. Zum Atheismus bekannte er sich niemals. Fasse ich aber jetzt zusammen, was schon oben berührt worden ist, so komme ich doch zu dem Schlusse, daß seine Lehre wenigstens dem Christengotte die Eigenschaften absprach, ohne welche er nicht vorstellbar ist; denn Pomponazzi leugnete mit der Unsterblichkeit der Seele ein jenseitiges Leben, leugnete die Vorsehung und leugnete mit einem gewissen Pessimismus die Güte Gottes.
Seine Leugnung der Unsterblichkeit (die Schrift, von 1516, wurde in Venedig verbrannt) machte am meisten Lärm, weil er da, auf den Meister Aristoteles gestützt, am offensten hervortrat. Die Seele sei ebensowenig geschaffen wie die Welt, und müsse darum zugrunde gehen; sie sei zwar als die Bewegerin mit dem Leibe enger verbunden als etwa der Ochse mit dem Wagen, aber sie bedürfe des Leibes als eines Objektes und sterbe mit ihm. Wie der Wille, der ebenfalls unkörperlich sei, aber einen Körper brauche. Hier ist Pomponazzi ganz eindeutig, nimmt als Philosoph kein Wort zurück und beugt sich dem Dogma der Kirche offenbar nur zum Scheine.
Hinterhältiger ist er in der Frage der Willensfreiheit, die aufs engste mit der Frage der göttlichen Vorsehung verknüpft ist. Er klagt, er leide wie Prometheus unter seinem Zweifel. Aber eigentlich weiß er doch, daß die Willensfreiheit neben der Ursächlichkeit des Aristoteles nicht bestehen könne; und noch weniger neben der strengen Prädestinationslehre, die er verwirft, als ob er im voraus den Calvinismus angreifen wollte. Nicht mit gewollter, sicherlich aber mit bewußter Ungeschicklichkeit macht er einen Versuch, die beiden Vorstellungen, an die er nicht glaubt, Vorsehung nämlich und Willensfreiheit, ungefähr und obenhin miteinander zu versöhnen. Gott hätte eine bessere Welt schaffen können, aber nur, wenn er gewollt hätte. Schließlich erkennt Pomponazzi die Autorität der Heiligen Schrift an, fügt aber gleich trotzig und lebhaft hinzu, für die Ohren der Philosophen wäre solches Gerede heller Unsinn ( deliramenta).
Eine bessere Welt wäre also möglich gewesen. Über die Sophismen von Leibnizens Theodizee hätte Pomponazzi gelacht. Auch vom Menschen hat er keine hohe Meinung; der Mensch ist schwach, elend und dumm. So wie die Welt ist, sind die Menschen fast immer schlecht, einen guten wird man alle tausend Jahre einmal finden. Die menschliche Weisheit ist klein, also möge man sich in Gottes Namen von der Kirche leiten lassen. Die Meinung ist diese: die Philosophie widerspricht der Kirchenlehre durchaus, man kann also ein Philosoph nur als Skeptiker sein; weil aber die Skepsis dem handelnden Menschen eher schädlich als nützlich ist, so tut man im praktischen Leben gut daran, sich an die Vorschriften der Kirche zu halten
Man sieht, Pomponazzi war durchaus ungläubig. Die Religionen schätzt er nicht als Kündigerinnen der Wahrheit; sie seien wie Ärzte und Ammen, die Kranken und Kindern zu einem guten Zwecke Fabeln erzählen. Ein ungebildeter Mensch könne wie ein Esel nur durch Belohnungen und Schläge zum Tragen seiner Last vermocht werden. Die Geheimlehre der Denker sei nicht für das Volk; auch Platon, auch Aristoteles habe als Politiker anders gesprochen als zu seinen Vertrauten. Aristoteles wußte sehr gut, daß die Menschenseele nicht unsterblich sei, der menschliche Wille nicht frei, daß die Welt geworden und nicht geschaffen sei.