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So war es für die Leiter der römischen Kirche, die nicht blind waren, seit den Konzilien von Konstanz und Basel deutlich geworden, daß sich hinter der Forderung einer Reformation der Abfall von der Kirche vorbereitete, in wachsender Ausdehnung. Die früheren Ketzereien waren trotz innerer Zusammenhänge mehr örtlicher Art gewesen; nun hatte aber der Kaiser Sigmund schon in Konstanz Herausgabe der Kirchengüter vorgeschlagen, und der Hussitismus war, weit über Böhmen hinaus, zur Forderung der Zeit geworden. In Basel erkannte der Kardinal Julian, daß die Klagen des niederen Volkes und die Beschwerden der hussitischen Ketzer sich zu einer europäischen Revolution zu vereinigen drohten, deren Ausgangspunkt leicht Deutschland werden konnte. Man wußte natürlich nicht, daß die Spannung sich just in der Reformation und im Bauernkriege entladen würde; aber man sah so etwas kommen.
Da mag es für die vorsorglichen Staatsmänner der Kirche nahegelegen haben, der unerhörten Gefahr mit einem unerhörten Mittel zu begegnen: den volkstümlich gewordenen Hexenglauben zu einer Waffe gegen die volkstümliche Ketzerei zu benützen. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters war der Teufelsglaube von selbst mächtig geworden; jetzt erst besann sich die Kirche darauf, eine weit verbreitete Folge dieses Glaubens, den sie geduldet und gefördert hatte, zugleich zu formulieren und zu verfolgen: die Hexerei.
Jede Darstellung der Geschichte des Hexenprozesses muß ein falsches Bild geben, wenn der wichtigste Zug außer Acht gelassen wird, auf den doch nicht auf jeder Seite besonders hingewiesen werden kann; wenn nicht trotz aller Entrüstung über die Infamie der geistlichen wie der weltlichen Fürsten und Richter, trotz allem Mitleid mit den Opfern der Folter die unbestreitbare Tatsache festgehalten wird, daß Päpste und Reformatoren,
Glaube an die Hexen
Gesetzgeber und Richter, ja daß die Opfer selbst an das Dasein von Hexen glaubten, gewissermaßen noch leibhaftiger glaubten als an das Dasein von Gott und Teufel. Wir dürfen vor der Formulierung nicht zurückschrecken, daß der Hexenprozeß schließlich doch eine logische Folge des Hexenglaubens war, und der Hexenglaube eine Religion, eine richtige, transzendente, dogmatische Religion; es genügt nicht, daß wir nach Überwindung dieser positiven Religion, um den Religionsbegriff zu retten, von einem Götzendienste reden oder – mit einer Halbheit – von einer religiösen Epidemie. Es war eine Religion wie andere Religionen, konnte sich auf Übereinstimmung der Völker, auf übernatürliche Erscheinungen und auf Lehrsätze der Kirche berufen; natürlich auch auf die Heilige Schrift. Darum ist Gewicht darauf zu legen, daß die rechtgläubige Priesterschaft die Hexenvorstellung, die länger als zwei Jahrhunderte zu ihren Lehren von Gott und Teufel gehörte, bis zur Stunde nicht ausdrücklich fallen gelassen hat; darum mußte die Befreiung vom Hexenglauben in einer Geschichte des Atheismus ausführlich behandelt werden.
Noch im 16. Jahrhundert, da doch schon Weyer und andere uneigennützige Menschen den Glauben an die Hexerei verloren hatten, wäre es nicht als eine Blasphemie herausgekommen, eben diesen Glauben an die Hexen und den Teufel sowie den Glauben an Gott als den gleichen Begriff zu betrachten. Heute bin ich mir deutlich der »Blasphemie« bewußt, wenn ich die Gleichheit dieser Glaubensbegriffe hervorhebe. Die Gleichheit oder Ähnlichkeit der Begriffe liegt (wenigstens bei Gott und Teufel) nicht in irgendeinem logischen Schlusse, sondern in der Sache selbst: einem menschenähnlichen Wesen, das niemals jemand gesehen hat, werden nützliche oder schädliche Änderungen des Naturverlaufs zugemutet; von diesem gedachten menschenähnlichen Wesen werden also Wunderwirkungen erhofft oder befürchtet. Bei den Hexen liegt die Sache etwas anders, doch nicht günstiger. Ihre Personen sind nicht bloß gedacht, unterliegen vielmehr höchst real der Folterqual und der Feuerpein; nur ihre Hexeneigenschaft ist gedacht. Man müßte sie also in logischer Beziehung billig nur mit den Priestern vergleichen, lebendigen Menschen mit erdachten Eigenschaften; verwunderlich ist es nicht, daß die Priester des Gottes in den Hexen Priesterinnen des Teufels sahen und von einer schwarzen Messe redeten; hätte es wirklich (außer Wahnsinnigen, Somnambulen und durch die Folter wahnsinnig Gewordenen usw.) solche Hexen gegeben und hätten diese Hexen eine Hierarchie gebildet, sie hätten am Ende sich selbst für Priesterinnen des wahren Gottes und die ordinierten Geistlichen für Priester des Teufels ausgegeben. Nur daß es keine Hexen gegeben hat, wenn deren auch von katholischen und protestantischen Behörden seit etwa 1484 bis ins 18. Jahrhundert hinein ungezählte Scharen entsetzlich gemordet worden sind.
Wer nun an der Vergleichung zwischen Gottesglauben und Teufelsglauben, zwischen Priesterherrschaft und Hexenmord Anstoß genommen hätte, der könnte sich über die Zusammenhänge belehren lassen durch die einfache Erwägung, daß erst die deistische Bewegung seit Ende des 17. Jahrhunderts dem Glauben zugleich an das Priesterrecht und an die Hexengefahr ein Ende zu bereiten anfing. Zwar hatte schon hundert Jahre vorher Weyer, der Schüler und Freund Agrippas von Nettesheim, zu beweisen gesucht, daß die Bibel das Dasein von Hexen nicht lehrte, daß da eine falsche Übersetzung vorläge; solche logische oder historische Beweise blieben solange unwirksam, bis die öffentliche Meinung in ihrem Glauben an übernatürliche und widervernünftige Kräfte überhaupt erschüttert war. Lecky Selbstverständlich sind für die Psychologie des Hexenwesens die beiden Bücher von J. Hansen (»Zauberwahn« und »Quellen und Urkunden«) benützt worden, ferner Soldans »Geschichte der Hexenprozesse« (in der Ausgabe von 1880) und endlich der »Hexenhammer« selbst, zumeist in der deutschen Übersetzung von 1906. Soldans Geschichte der Hexenprozesse (von 1843) ist von Heinrich Heppe, seinem Schwiegersohne, nach gründlichen Vorarbeiten dem Stande der neuen Forschung angepaßt, aber erst nach Heppes Tode in der neuen Fassung herausgegeben worden. (»Geschichte der Aufklärung in Europa«) hat schon sehr gut darauf hingewiesen, daß der Zweifel an der Hexerei dem Zweifel an den positiven Religionen unmittelbar folgte. Wie die antiken Religionen viel duldsamer waren als die monotheistischen des Orients und gar die des Abendlandes, so hatten die Verfolgungen der Magier in Griechenland und der Wahrsager oder Mathematiker in Rom bei weitem keinen solchen Umfang angenommen, wie die Hexenfurcht und der Hexenmord in den christlichen Ländern; man konnte in Rom ein vortrefflicher Kaiser sein (Marcus Aurelius, der edle Philosoph, und Julianos, der edle Romantiker) und dennoch die Wahrsagerei aus rein politischen Gründen benützen oder bekämpfen. Der Grund liegt auf der Hand. Die antiken Theologen, wie man die griechischen Philosophen nennen darf (weil sie sich doch auch mit der Kosmogonie und den letzten Ursachen der Moral beschäftigten), wußten nichts von bösen Geistern; die christlichen Theologen dagegen lehrten das Dasein solcher Dämonen oder Boten des Teufels, schon Tertullianus und Augustinus, und konnten sich dabei auf besonders roh gefälschte Bücher des Alten Testaments und leider auch auf das Neue Testament berufen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das englische Wort lullaby etymologisch auf spätrabbinische Legenden zurückgeht; man erklärt es aus Lili abi; Lilith war die erste Frau Adams und wurde als Blutsaugerin vorgestellt; daher ihre Beschwörung ein Wiegenlied oder ein Zaubermittel für den Schlaf des Kindes. Wahrsagerei wurde von den philosophischen Theologen des Altertums vielfach verhöhnt und vom Staate lässig bestraft; bei den christlichen Theologen dagegen gehörte die Hexerei mit zum offiziellen Glauben, wurde als die äußerste Gefahr gefürchtet und darum mit so grauenhafter Wut verfolgt. Unter den christlichen römischen Kaisern galt die Wahrsagerei für einen heidnischen Aberglauben und wurde als solcher in den Bann getan; woher es denn gekommen sein mag, daß die christliche Geistlichkeit, sonst nicht eben schüchtern in der Versilberung des Volksglaubens, die Wahrsagerei im ganzen und großen nicht in den Kreis ihrer Geschäfte zog; heutzutage wäre nur zu beobachten (ich habe es selbst getan), daß in Italien die niedere Geistlichkeit einen schwunghaften Handel mit günstigen Lottonummern treibt.
Teufelsanbetung
Nun war es den bestialischen Hexenmördern gewiß nicht gegenwärtig, was die Kulturgeschichte längst ausgemacht hat, daß das siegreiche Christentum, als es den heidnischen Aberglauben namentlich aus dem Lande – pagani – nicht auszurotten vermochte, ihn als Dämonenglauben durch seine Verfolgung gewissermaßen anerkannte. Die Götter wurden zu Teufeln, ihre Verehrer zu Teufelsanbetern. Und diese Teufelsanbetung wurde nicht als ein Blödsinn behandelt, sondern als der Dienst eines schlechteren, eines feindlichen Gottes. Wie die alten Juden die Götter ihrer Nachbarn nicht etwa leugneten, sondern bloß deren Anbeter umbrachten. So könnte man wirklich mit einigem Rechte behaupten, die Hexenmordbrenner hätten bei ihrem Tun den alten Kampf gegen das Heidentum unbewußterweise wieder aufgenommen. Wieder aufgenommen. Denn etwa achthundert Jahre lang, vom völligen Siege des Christentums an bis zu den ersten Anzeichen der Renaissance, also in der ganzen Zeit der unbedingten Herrschaft des Christentums im Abendlande, wurden die Teufelsanbeter nicht systematisch verfolgt, trotzdem der Teufelsglaube in üppigster Blüte stand. Wie sicherlich in der antiken Welt nicht so viele Wahrsager und christliche Bekenner oder Märtyrer zusammen hingerichtet wurden, wie etwa Hexen nur im 16. Jahrhundert, so wurden in den acht Jahrhunderten des ungebrochenen Mittelalters kaum so viele Teufelsbündler verurteilt, als in einem einzigen Jahrzehnt des Zeitalters der Hexenverfolgung. Ja, der spätere Begriff der Hexe kam vereinzelt erst im 12. Jahrhundert auf; und da darf es nicht übersehen werden, daß eben gegen das Ende des 12. Jahrhunderts zum ersten Male von zwei Seiten her an dem Bau der Kirche gerüttelt wurde: von der Philosophie her durch den Rationalismus der Araber (Averroës) und vom Volke her durch die Ketzerei der Albigenser. Es wurde für die Kirche, die längst verweltlicht war, zu einer Frage des Daseins, keine Waffe im Kriege gegen ihre Feinde zu verschmähen. Wenn es den Teufel nicht gab, so mußte man ihn erfinden; Voltaires Wort über Gott gilt auch für den Teufel. Das Volk verstand weder den Rationalismus der heraufdämmernden Renaissance und die Bedeutung des Nominalismus (Abälard), noch den orthodoxen Wortrealismus, der sich später in Thomas kanonisierte, es verstand nicht einmal die antikirchliche Politik des Kaisers Friedrich II., es verstand nur die Bannflüche des Papstes und den Teufel. Das eigentliche Mittelalter war in Staat und Kirche starr geblieben; als sich um das Jahr 1200 herum die Entwicklung regte, begann die weltliche römische Kirche ihren rücksichtslosen Krieg gegen die Entwicklung. Um das Jahr 1200 herum wurde zum ersten Male die Inquisition gegen die Macht des Teufels und der Hexen aufgeboten; nicht so, daß der Teufel und seine Hexen von einem schlauen Priester erst erfunden werden mußten; das Volk hatte bei seinem aufkeimenden Zweifel noch ein schlechtes Gewissen und glaubte darum leicht an den Teufel und seine Hexen. Der Zweifel war noch mit der gröbsten Unwissenheit gepaart. Als im 14. Jahrhundert der schwarze Tod Europa entvölkerte, wuchs durch seine Schrecken zugleich der Glaube an die Macht des Teufels und der Kirche. Warum sollte die grobe Unwissenheit, die die Schuld an der Seuche bald den Juden, bald den Schnabelschuhen zuschob, nicht auch an die beiden Gewalten denken, die sich in die Weltregierung zu teilen schienen? Als vierhundert Jahre später – nur vierhundert Jahre – das Erdbeben von Lissabon ein Entsetzen über die Phantasie Europas brachte, da war die Wirkung ganz anders: man revidierte seinen Glauben an die allgütige göttliche Vorsehung, wandte sich vom Optimismus und von der Kirche ab und besaß bei besserem Naturwissen im Zweifel ein recht gutes Gewissen.
Diese gewissenhafte und schreckhafte Zweifelssucht, die stoßweise vom Ende des 12. Jahrhunderts ab zur sogenannten Reformation führte, d. h. nur zur Bekämpfung der römischen Kirche und einiger ihrer Mißbräuche, konnte dem Hexen- und Teufelsglauben nichts anhaben, weil der Zweifel eben mit einer immerwährenden Seelenangst verbunden war. Da war kein Fortschritt, wenn die Parteien einander gegenseitig vorwarfen, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Es ist bekannt, wie Luther überall den Teufel sah; er war nur konsequent, wenn er gegen die Priesterinnen des Teufels zu wüten befahl. In der Hauptperiode der Hexenprozesse, im 16. und im 17. Jahrhundert, machte Land und Konfession keinen Unterschied; in Deutschland und in Frankreich, in Spanien und in Italien, in Flandern und in Schweden, in England, Schottland und Irland wurden die armen Weiblein ins Feuer geworfen, als ob sie fühllose Holzscheite gewesen wären. Und vorher unter der Tortur gewöhnlich in einer Weise gemartert, die man doch eigentlich nicht bestialisch oder viehisch nennen sollte; niemals war ein Vieh so bösartig wie die geistlichen Hexenrichter.
Die armen Weiblein glaubten gewiß nur in den seltensten Fällen von Hause aus daran, daß sie Hexen waren; aber sie glaubten wohl alle daran, daß es überhaupt Hexen gab, daß Hexen mit dem Satan Unzucht trieben, und waren so durch die Mittel der geistlichen Überredung oder der Tortur leichter davon zu überzeugen, daß sie selbst mindestens unbewußt teuflische Buhlschaft getrieben hätten.
Frühchristliche Teufel
Nach dem Glauben des Urchristentums wurde das Dasein von Geistern oder Dämonen nicht etwa geleugnet, sondern wurde der Mensch nur vor Schädigungen, die Geister ihm zufügen wollten, durch den stärkeren Geist des Erlösers geschützt; die ursprüngliche Kirchenlehre lehrte und verlangte den Glauben an Dämonen, an ganz leibhaftige, wenn auch oft luftartige oder feuerartige Dämonen, die so etwa Nachkommen des Teufels sind. Der Teufel als oberster Gegengott haßt nicht so sehr die Menschen als die Christen, welche gegen seine Bosheit von einem noch stärkeren Dämon in Schutz genommen werden. Auch die späteren Kirchenväter, bis ins 4. und 5. Jahrhundert hinein, treiben die gleiche Dämonologie; und besonders bei Lactantius findet sich ausgeprägt der Gedanke, die Götter der Heiden (Jupiter, Diana, Mercurius) seien Dämonen, die sich für Götter ausgegeben haben. In dieser Nomenklatur steckt natürlich die gleiche Frechheit des Wortes, das die höchsten Wesen der eigenen Religion Götter, die der fremden Religionen Götzen nennt; aber dahinter steckt tief verborgen noch ein geschichtlicher Schnitzer, der meines Wissens noch niemals bemerkt worden ist; die Götter der Griechen waren so ungefähr oder durchschnittlich um ein Jahrtausend älter als die Gottheit der christlichen Religion, die Kirchenväter stellten es aber so dar, als ob jetzt erst die Dämonen, die sich durch das Christentum bedroht fühlten, unter den Götternamen Jupiter, Diana usw. den Kampf gegen die neue Religion aufgenommen hätten. Als ob also die viel ältere griechische Religion nach christlichen Begriffen zu bewerten wäre. In solcher Weise hat dann Augustinus, nach Paulus der Hauptbegründer der christlichen Theologie, auch die Satanalogie schaffen helfen und die natürliche Weltanschauung logisch, historisch und moralisch auf den Kopf gestellt, da er das Reich des Teufels dem Reiche Gottes entgegensetzte und zu der Vermessenheit kam, die Tugenden der Heiden für glänzende Laster zu erklären. Man hört es nicht gern, es ist aber dennoch wahr, daß Augustinus, den Katholiken, Protestanten und auch freiere Literaten um die Wette rühmen, der stärkste Anreger des mittelalterlichen Teufelswahns gewesen ist. Man achte darauf, daß auch schon hier der »wahre« Glaube mit Tugend, der falsche mit Unsittlichkeit gleichgesetzt wurde.
Vorwurf der Unzucht
Eine Besonderheit des christlichen Hexenwahns ist es, daß die ausschweifendste geschlechtliche Phantasie mit religiöser Verfolgungswut Hand in Hand ging, um aus der Zauberei der Hexen die schmutzigste aller Ketzereien zu machen. Zwar war früher und später von Christen und Heiden dem Andersgläubigen gern nachgesagt worden, was irgend für unsittlich galt: Mord und Perversität; solche Dinge berichteten die Heiden von den Urchristen, glaubte jede christliche Sekte von der anderen; und die herrschende Sekte, die sich die rechtgläubige Kirche nannte, warf allen kleineren Sekten, den sogenannten Ketzern, nebenbei auch widernatürliche Unzucht vor. Nebenbei oder doch nur so, daß die Unsittlichkeit als eine Folge des Abfalls vom wahren Glauben erschien. Als dann der Teufel sich mehr und mehr zum Gegengotte ausgebildet hatte, zum Anstifter sowohl des Unglaubens als der Unzucht, da war es vielleicht nicht zunächst die Kirche selbst, sondern die Phantasie von kleinen Geistlichen und religiös wie geschlechtlich erregten Laien, die die Vorstellung vom Teufelsbündnisse der Zauberer mit all den sexuellen Zügen ausstattete, mit denen man von jeher Andersgläubige verächtlich zu machen suchte. Unmerklich mag sich die Meinung eingeschlichen haben, die Zauberei der Hexen wäre als ein Werk des Teufels auch eine Art von Ketzerei. Diesen Volksirrtum konnte die Kirche gar nicht teilen, weil die Hexen höchstens Gottes Gebote mißachteten, das Dasein Gottes und seiner Gebote aber nicht anzweifelten; aber die Kirche benützte diesen Volksirrtum, bewußt und verbrecherisch, als sie das ganze Hexenwesen unter den Begriff der Ketzerei brachte und so die Teufelsfurcht und die Hexenfurcht des Pöbels dazu mißbrauchte, die Ketzerverfolgungen populär zu machen. Die Kirche, die noch kurz vorher die Zaubereien der Hexen für Einbildungen (allerdings für vom Teufel eingegebene Einbildungen) erklärt hatte, verwertete jetzt die im Finstern weiter schleichenden Legenden von einer heimlichen Teufelsanbetung und von richtigen und gültigen Teufelsbündnissen. Die Lehre der Manichäer und Katharer wurde von der rechtgläubigen Kirche – irrtümlich oder verleumderisch – so dargestellt, als ob deren Ritual in einer Absage an den wahren Gott und in einer Parodie des katholischen Gottesdienstes bestünde. Wie dem auch sei, die verruchteste geschlechtliche Phantasie begann sich jetzt erst auszutoben in der Schilderung der angeblichen Orgien der Teufels- und Ketzerfeste; die fromme Etymologie kam jetzt auf – die noch im 17. Jahrhundert von dem Jesuiten Gretser aus Markdorf vorgetragen wurde, die aber schon im Templerprozesse eine Rolle spielte –, nach der der Name der Katharer oder Ketzer von Kater und Katze ( cattus) herkäme, weil nämlich (so wußte es Alanus von Ryssel) der Satan in Gestalt eines Katers erschien, dem die Ketzer durch einen Kuß auf den Hintern huldigen mußten; daß solche Geschichten mitunter wenigstens bewußte Verleumdungen der Kirche waren, wird deutlich in dem Falle, wo die Katholiken die Geistestaufe ( consolamentum) und den Friedenskuß der Katharer in ein Bündnis und eine fleischliche Vereinigung mit dem Teufel umdeuteten. Das Teufelsbündnis insbesondere, der eigentliche Pakt, wurde zu einer juristischen Formalität ausgestaltet, die Unterschreibung der Chirographa mit dem eigenen Blute wurde zum Ritual. Aber auch der geschlechtliche Verkehr zwischen den Ketzern und dem Satan oder seinen Unterteufeln bildete sich jetzt zu einem Volksglauben aus und wurde zum wesentlichsten Zuge in dem Bilde von einer Hexe. Das Neue war nicht im Koitus zwischen Menschen und Dämonen zu suchen; davon hatte die griechische Mythologie und die jüdische Bibel nur zu viel erzählt; und die Namen der Dämonen waren sogar in die lateinische Übersetzung der biblischen Inkuben eingedrungen. Neu war – deutsch gesagt – die Schweinerei, die die kirchliche Vorstellung von der Körperlichkeit und zugleich Geschlechtslosigkeit der Dämonen zur Aufpeitschung der Phantasie in doppelgeschlechtige Wollust umsetzte. Auch Nachdenklichkeiten über den Vorgang der Zeugung bei so halb körperlichen Wesen lasen die Frommen mit Vergnügen; so etwas galt z. B. bei Cäsarius von Heisterbach für Naturwissenschaft; er erzählt erstaunlich viele Fälle von Teufelsunzucht.
Teufelsbuhlschaft
So wenig Bestimmtes wir darüber wissen, irgendwie wird es gewiß mit der Herkunft der Hexenreligion aus der perversen Phantasie männlicher Mönche zusammenhängen, daß der Vorwurf der Hexerei zuletzt meist am weiblichen Geschlechte hängen blieb. Bestand der Kultus dieser Religion zumeist in der Teufelsbuhlschaft, so war es naheliegend, daß Weiber sich zu dieser Buhlschaft drängten. Der Hexenhammer bucht da nur eine schon vollzogene Entwicklung. (Lächerlich und doch sehr bezeichnend ist der tolle Versuch einer etymologischen Erklärung im Hexenhammer: zu dieser Sekte neige besonders das Weib, femina, quia habet minorem fidem.)
Die Hauptschuld daran, daß solche Schweinereien als theologische Sätze den Hexenprozessen zugrunde gelegt werden konnten, trug wieder der heilige Thomas; man sollte nämlich nicht vergessen, daß dieser letzte Doctor ecclesiae (die vier ersten waren Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor der Große gewesen) der summus philosophus der Dominikaner war, der Inquisitoren. Thomas hatte eine Erklärung für alles, aber auch für alles: für die Nachtfahrten der Hexen, für die Wollust der Dämonen, für die Zeugungskraft des Inkubus. Wer für eine solche Verwilderung des Menschengeistes noch einige Heiterkeit aufzubringen vermag, der kann in zwei dem Namen nach bekannten Büchern bequem nachlesen, was die christliche Theologie auf der Höhe des Mittelalters den Lesern, also nicht dem ungelehrten Pöbel, zu bieten wagte: in Deutschland das ebenerwähnte Gespräch über Gesichte und Wunder des Mönchs von Heisterbach (gest. um 1240), in England die Chronik des Benediktiners Matthäus Paris (gest. um 1260), der um so merkwürdiger ist, weil er einen nicht mehr zu überbietenden Aberglauben mit einer Art von politischer Freigeisterei verbündet.
Die sogenannte Teufelsbuhlschaft wurde den Ketzern schon vor der Blütezeit der Hexenprozesse gelegentlich zum Vorwurfe gemacht, so zu Toulouse bereits im Jahre 1275, so den Tempelherren, deren Prozeß 1307 begann. Doch erst zur Zeit der Hexenverbrennungen waren Kirche und Volk ganz einig in den Vorstellungen von einer fleischlichen Vermischung der Ketzer und der Teufel. So gründlich hatte sich – etwa im 13. Jahrhundert – die Religion der Erlösung, die Religion Christi in eine neue christliche Religion verkehrt, daß man das Gegenteil vom Erlösergedanken glaubte; nach der Meinung des Heilands und seiner Jünger sollte der Teufel keine Gewalt mehr über die Menschen haben und nicht mehr zu fürchten sein, nach der Lehre der Kirche war der Teufel fürchterlicher geworden als je zuvor. Es ist schwer zu sagen, zu welchen Teilen sich bei den Wortführern der Kirche da mittelalterliche, aus antikem Pöbelaberglauben stammende Dämonenangst und eine berechnete Irreführung des Volkes mischten; gewiß ist nur, daß die Kirche in der wachsenden Sorge um ihren Bestand gegenüber den Zeichen von Abfall einen Vernichtungskrieg gegen die Ketzer begann und in diesem Kriege jede vergiftete Waffe für erlaubt hielt; keine Waffe aber schien giftiger und wirksamer als die neue Lehre, die sich von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zum Dogma ausbildete: der Teufel hat eine übergroße Gewalt, den Menschen an Leib und Seele zu schaden, der Teufel hat die Ketzer verführt, die Ketzer, insbesondere die Hexen, die als eine besondere Sekte dargestellt werden, sind Teufelsanbeter. Dieses werdende Dogma wurde von der Inquisition in ein System gebracht. Der ganze Wahnsinn hätte natürlich nicht öffentliche Meinung werden können, wenn nicht im Gegensatze zur antiken Welt auch gute Köpfe (wie Albert der Große) und starke Geister (wie Friedrich II.) dem wildesten Aberglauben der Magie und Astrologie ergeben gewesen wären. Neu war gegenüber der verhältnismäßigen Duldsamkeit des Altertums nun auch das Bestreben des weltlichen Rechts, das Volk vor den Tücken des Teufels zu schützen; der Sachsenspiegel führte die Verbrennung von Leuten ein, die (die Zusammenstellung hatte die entsetzlichsten Folgen) »ungläubig sind und mit Zauber umgehen«; der logische Gedankengang ist nicht zu verkennen: der Ungläubige, der Ketzer erkennt den Teufel für seinen Gott an und wird dafür mit der Gabe der Zauberei belohnt; Ketzerei, Zauberei und Hexerei fallen zu einem Begriffe zusammen und müssen von Rechts wegen ausgerottet werden. Der Schwabenspiegel und viele sächsische Stadtrechte übernahmen die Strafandrohung des Sachsenspiegels fast wörtlich.
Kanon Episcopi
Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß die Kirche gerade in der Zeit ihrer unbestrittenen Herrschaft – nur damals, nicht nachher – manchen Versuch machte, dem eingerissenen Zauberwahn entgegenzutreten; nur darf man da nicht etwa an Aufklärung im modernen Sinne denken. Der berühmt gewordene Kanon Episcopi ist ein solcher Versuch, den allgemein verbreiteten Volksaberglauben nur just so weit zuzulassen, als er sich mit der Kirchenlehre vertrug. Der Glaube an Tierverwandlungen, an Liebestränke, an Wahrsagerei, an übernatürliche Ortsveränderungen und dergleichen mehr war aus dem Altertum in die Vorstellungen der christlichen Völker herübergenommen worden, in solchem Maße, daß für ein natürliches Verhältnis zur Natur, geschweige denn für eine Naturwissenschaft, gar kein Platz war in der Weltanschauung der ersten fünfhundert Jahre etwa nach Augustinus. Der Mensch hatte sich daran gewöhnt, sich auf Schritt und Tritt vom Übernatürlichen umgeben und getragen zu sehen. Erst den Arabern war es vorbehalten, der Natur wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen. Will man sich ein Bild machen von dem ganzen Fetischismus der ersten Hälfte des Mittelalters, so lese man in einer Geschichte der Heilkunde nach, was damals an kirchlichen und unkirchlichen Heilmitteln angewandt wurde. Agobard von Lyon, der diese dämonische Medizin tadelte, vermochte keine Schule zu gründen; wer als Arzt natürliche Mittel anzuwenden gewagt hätte, wäre als ein Unchrist betrachtet worden; wie es denn jüdischen Ärzten vorbehalten blieb, etwas von der Überlieferung der antiken Heilkunst in die neue Zeit herüberzuretten. Nun wurde aber der Kirche dieses Dämonen- und Teufelswahns zu viel. In den Jahrhunderten des Kampfes zwischen der Jupiter- und der Jesusreligion hatte die Kirche ihre Sache auch dadurch zu fördern geglaubt, daß sie, mehr unlogisch als unehrlich – wie gesagt – die Götter der Griechen und Römer zu Teufeln machte, zu übermenschlich starken Dämonen; nach ihrem Siege hatte nun die Kirche ein Interesse daran, diesen Dämonen die übermenschliche Kraft wieder zu nehmen oder doch zu beschneiden. Bis in die Zeit der letzten Karolinger hinein gaben sich darum Synoden und Könige redliche Mühe, das abzuschaffen, was ihrem robusten Glauben als Aberglaube erschien: den Bilderdienst des Morgenlandes, den Überrest der germanischen Volksreligionen, besonders die arg gewordene Teufelsfurcht. Zu diesen modernistischen Anläufen, die aber eher eine Kirchenreform als Aufklärung waren, gehört auch der sogenannte Kanon Episcopi, der frühestens im 7., spätestens gegen Ende des 9. Jahrhunderts entstand. Dem Kanon liegt ein strammer Teufelsglaube zugrunde, aber doch nur so, daß die gefährlichsten Wahnvorstellungen des Volkes hart getadelt werden. Der Hexenwahn wird sogar mit der Ausschließung aus der Kirchengemeinde bedroht. Es heißt da (Soldan I., S. 131): »Es gibt verbrecherische Weiber, welche, durch Vorspiegelungen und Verblendungen der Dämonen verführt, glauben und bekennen, daß sie nächtens mit der heidnischen Göttin Diana, mit Herodias, mit einer zahllosen Menge von Frauen auf gewissen Tieren reiten und über die Erde und ihre Länder fliegen.« Das sei falsch und ein Blendwerk des Teufels. Was also wieder mehr als ein halbes Jahrtausend später von den ersten Bekämpfern des Hexenprozesses gewagt wurde, Preisgabe des Hexenwahns ohne Preisgabe des Teufels, das ist hier schon in so früher Zeit gewissermaßen ein Programm und bleibt die Lehrmeinung der Kirche während des 10. Jahrhunderts. Und seltsam: just als der Kanon Episcopi allgemein bekannt wurde, um dann auch in das Kirchenrecht aufgenommen zu werden, begann der Umschwung, der endlich dazu führte, daß der Hexenwahn beinahe zu einem kirchlichen Dogma wurde, der Zweifel am Dasein der Hexerei zu einer ketzerischen Meinung. Thomas von Aquino war der Mann, der die schwerste Verantwortung für die späteren Hexengreuel trug; er stellte den Satz auf: der katholische Glaube will, daß die Dämonen wirklich sind und mit ihren Werken schaden können.
Der Hexenglaube selbst wurde gelegentlich gleich bei seinem ersten Aufkommen bekämpft, doch beileibe nicht von Freigeistern, sondern von weltlich und staatsmännisch gesinnten deutschen Prälaten, die (wie schon Karl der Große) im tollsten Aberglauben der abendländischen Kirche nur das feindliche Heidentum erblickten; diese Männer verglichen wohl nachdenklich das abendländische Christentum, also den römischen Katholizismus, mit der griechischen und der orientalischen Kirche, und glaubten dort eine höhere Geistigkeit und Vernünftigkeit wahrzunehmen. Unter den Karolingern und den Ottonen hatten diese Prälaten noch die Kraft, gegen den Hexenwahn als gegen einen Rest der besiegten heidnischen Volksreligion aufzutreten, wohlgemerkt, nicht als gegen eine Ausartung des christlichen Glaubens. Nur daß ein solcher Protest, wenn er Nachwirkung gehabt hätte, im Sinne der Aufklärung hätte wirken können, ebenso wie – ich wiederhole es – einige Kapitularien Karls des Großen (gegen das Taufen der Glocken, gegen das Besprechen des Hagels) sicherlich gegen den alten heidnischen Aberglauben gerichtet waren, aber unter Umständen dem neuen Aberglauben gefährlich werden konnten.
Wir besitzen außer dem Kanon Episcopi wenig über hundert Jahre später noch den Erlaß eines Bischofs von Worms, der befiehlt, an die Wettermacherei und an die Verwandlung in Werwölfe nicht zu glauben; schwere Kirchenbuße wird denen angedroht, die an ihrer Überzeugung von den Luftfahrten und den kannibalischen Bräuchen der Hexen festhalten.
Man hat mit Überschätzung der deutschen Überlegenheit die Hypothese verteidigt: der deutsche Geist wäre im Begriffe gewesen, des Hexenwahns Herr zu werden, aber der romanische Katholizismus hätte wie auch sonst das ganze Unheil gestiftet; man vergißt dabei, daß eben germanisches Heidentum dem Hexenglauben mit zugrunde lag und daß auch die Reformation, die man für die höchste Leistung des deutschen Geistes ausgibt, sich noch länger als ein Jahrhundert sehr lebhaft an der Hexenverbrennung beteiligte.
Jungfrau von Orleans
Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts schien in Frankreich, wo die Ketzerverfolgung besonders grausam am Werke gewesen war, ein Abbau des Inquisitionsprozesses zu beginnen; die Menschlichkeit einzelner Richter hätte nichts gefruchtet, aber die Eifersucht der weltlichen Macht auf die geistliche hatte Erfolg. Von Anfang an hatte die Inquisition die Hexen nur wegen ihres Irrglaubens vor das geistliche Gericht gefordert, während der von ihnen angeblich angerichtete Schaden und auch die ihnen nachgesagte Unzucht nach gemeinem Recht des Staates hätte bestraft werden müssen. Im Jahre 1390 überwies nun das Parlament von Paris alle Hexenprozesse den weltlichen Gerichten. Die Inquisition gab freilich nicht nach, und der berühmte Hexenprozeß von 1430, just aus der Zeit des Konzils von Basel, der der Jungfrau von Orleans, gibt ein gutes Beispiel dafür, wie die Politik – damals, wie immer – in Glaubensfragen hineinspielte, wie es – damals, wie immer – in diesen göttlichen Dingen »menschelte«. Ein französischer Bischof, der durch die Gnade der Engländer dafür Erzbischof zu werden hoffte, setzte es durch, daß die Retterin Frankreichs als Hexe lebendig verbrannt wurde; politische Rücksichten haben dann, vierhundertfünfzig Jahre später, zur Seligsprechung, vorläufig noch nicht zur Heiligsprechung der Jeanne d'Arc geführt. Die Pariser Universität hatte der Verurteilung zugestimmt.
Die Päpste wurden nicht müde, die Vorrechte der Inquisition zu behaupten; aber es gab in Frankreich bei den Kirchenfürsten eine höfische (bei geringeren Theologen eine nationale) Strömung, die der päpstlichen Inquisition entgegenwirkte und oft den Eindruck von Freigeisterei erweckt. Ein Prior Edelin (die Schreibung des Namens ist unsicher) äußerte Zweifel an der Wirklichkeit der Hexenfahrten; aber er wurde (1453) zum Widerrufe gezwungen und starb im Gefängnisse. Andere Geistliche nahmen die Zweifel an der Wirklichkeit der Hexenfahrten wieder auf und waren nicht abgeneigt, selbst die Geständnisse von Hexen für Einbildungen zu erklären, aber für Eingebungen des Satans; so wurden die armen Weiblein bald als Zauberinnen, bald als Dienerinnen des Teufels weiter verbrannt; der Vorwurf der ketzerischen Vauderie, von der der Religionskrieg in Frankreich ausgegangen war und der auch gegen Jeanne d'Arc erhoben wurde, genügte oft zur Einleitung des Prozesses; »Vauderie«, Waldenserei, war das Schimpfwort, mit dem man nach wie vor Geistlichkeit und Volk gegen die Opfer erregte. Ein französischer Geschichtschreiber der Zeit sagt ausdrücklich, man habe das Verbrechen des Abfalls Vaudoisie genannt. Die Spanier führten in den Niederlanden die Bezeichnung » vaudois« für alle Zauberer und Hexen ein. In Deutschland fehlte es nicht an Stimmen, die das ganze Hexenwesen für einen verdammenswerten Aberglauben erklärten; da und dort (in Prag, in Italien) wurde kirchlich bestraft, wer an die Wirklichkeit der Zaubereien glaubte. Wo aber bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts Menschen der Zauberei und des Teufelsbündnisses beschuldigt wurden, da wurde das Verfahren von der Inquisition im Rahmen eines Ketzerprozesses durchgeführt, bis endlich die Hexenbulle von Innocenz VIII. den Begriff der Ketzerei ausschaltete und den schonungslosesten Religionskrieg unter dem volkstümlicheren Namen der Hexenverfolgung zu führen gestattete.
Hexenbulle
Wollte man die Leistung dieses Papstes nur politisch bewerten, so müßte man über die Kraft staunen, zu der sich Rom da, so wenige Jahre vor dem großen Schisma, aufraffte; Innocenz VIII. (1484-1492) durfte sich noch in England als Verleiher der Krone, in Deutschland als Gönner aufspielen; er brachte keinen Kreuzzug gegen die Türken mehr zustande, aber doch wieder einen Ausrottungskrieg gegen die Waldenser von Piemont. Wollte man jedoch den moralischen Maßstab anwenden, so war der römische Hof damals schlimmer als zur berüchtigten Zeit der Hurenherrschaft. Schamlos bereicherten sich Papst und Kardinäle durch Simonie und trieben ebenso schamlos Nepotismus. Für die Verwaltung des Kirchenstaates, wo Mörder und Straßenräuber geduldet wurden, ist ein Wort bezeichnend, auch wenn es nur gut erfunden sein sollte; auf die Frage, warum die Verbrecher nicht bestraft würden, soll der höchste Beamte geantwortet haben: Gott wolle nicht den Tod des Sünders, sondern daß er lebe und zahle. Über das Geschlechtsleben des Papstes spricht ein unübersetzbares Epigramm das Urteil: der achte Innocenz habe acht Söhne und acht Töchter gezeugt ( Octo Nocens pueros genuit etc.) und heiße darum mit Recht der Vater von Rom. Dafür wurde die heilige Lanze als unschätzbare Reliquie mit großem Prunke nach Rom gebracht und der Verehrung empfohlen. Wir sind in der Zeit, da der edle Märtyrer Savonarola, kein Freigeist, nur ein politischer Rebell und Ketzer, eine solche Kirche nicht nur von Simonie und Nepotismus zu reinigen versuchte, Savonarola, der schon als zwanzigjähriger Jüngling die Verse von dem Zusammensturze der Welt gedichtet hatte: »Ich sehe keinen Hoffnungsstrahl, ich sehe keinen, der sich seiner Laster schämte. Der eine leugnet Gott, der andere sagt, Gott schlafe.« ( Chi Te nega, chi dice che Tu sogni.)
Und dieser achte Innocenz, unchristlich in Leben und Lehre, hat 1484, im ersten Jahre seines Pontifikats, den Hexenwahn zu einem christlichen Dogma gemacht, einfach durch eine Bulle, während andere Dogmen Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte zu ihrer Durchsetzung brauchten. Als Volksaberglaube bestand ja der Wahn schon vorher; wie sehr aber Innocenz VIII. die Verantwortung trug für die kirchliche Anerkennung dieses Wahns, das sieht man am besten, wenn man die Entstehung der Bulle ins Auge faßt, einer Verordnung mit Gesetzeskraft, die bis zur Stunde nicht aufgehoben ist, mag auch ein gewisses Schamgefühl einen nur verstümmelten Abdruck im Corpus juris canonici veranlaßt haben. Die oberdeutschen Inquisitoren Sprenger und Institoris waren nämlich auf Widerstand gestoßen; angesehene Geistliche und Juristen glaubten sich auf die natürliche Vernunft und auf ältere Kirchensatzung berufen zu dürfen, wenn sie lehrten, die Hexen existierten bloß in den Köpfen abergläubischer Menschen; in dieser Not wandten sich die Inquisitoren an den Papst, der denn auch sofort und feierlich die Hexerei als eine wirklich bestehende Art der Ketzerei anerkannte. Ausdrücklich wird für Oberdeutschland, Mainz, Köln, Trier, Salzburg und Bremen das Vorkommen von Hexereien, von Schädigungen für Menschen, Vieh und Feldfrüchte bezeugt, auch der fleischliche Verkehr mit Incubus und Succubus, ausdrücklich werden die geistlichen und weltlichen »Besserwisser« getadelt, die von einer Bestrafung der Teufelsketzer absehen wollen. Die Inquisitoren werden aufs neue mit der Hexenverfolgung fast in ganz Deutschland beauftragt und die Inquisitionsgegner mit den schwersten Kirchenstrafen bedroht. Das Vorhandensein eines Satansreiches in Deutschland und die Notwendigkeit seiner Bekämpfung sollte, so befahl der Papst, von allen Kanzeln gepredigt werden, d. h. durch Aufhetzung des Volkes sollten die vernünftigen Bischöfe zum Gehorsam gegen Rom gezwungen werden. Die Oberaufsicht über die ganze Hexensache sollte gegen alles Kirchenrecht der geldgierige und von Rom abhängige Bischof von Straßburg führen. Die Schmutzereien, mit denen die Einbildungskraft des Hexenhammers sich am liebsten beschäftigte, die Hexenfahrten und die Unzucht beim Hexensabbat, werden zwar in der Bulle nicht besonders erwähnt, aus Vorsicht, weil über diese Dinge auch zwischen frommen Schriftstellern Streit war; sonst aber legte die Bulle die amtliche Grundlage für jede verbrecherische Tollheit des Hexenhammers.
Bulle und Hexenhammer bleiben demjenigen unverständlich, der nicht den allgemeinen Zauberwahn als einen Grundzug des Mittelalters erkannt hat. Dieser Grundzug gilt ja für die Gläubigen wie für die Ungläubigen; Kaiser Friedrich II. und sein ganzer Kreis vertraute auf die Zuverlässigkeit der Astrologie wie heute ein Moderner auf die Unfehlbarkeit von Statistik und Medizin. Man täte vielleicht besser daran, von Magie zu reden, anstatt von Zauberei. Die Magier des Mittelalters waren Zauberer mit schlechtem Gewissen.
Zauberer
Man vergleiche eines der Hexengeständnisse mit einer der spätgriechischen Hexengeschichten, etwa mit dem Lukios, der für eine Schöpfung des Lukianos gegolten hat, und man wird das Neue und das Alte im christlichen Hexenglauben deutlich auseinanderhalten können. An Hexen oder Zauberweiber glaubte auch die alte Welt; ein lustiges Gruseln ging von diesen Vorstellungen aus, wie von nordischen Märchen; lustig waren auch die Berichte über die Liebesabenteuer, um derentwillen die Hexen sich durch Salben in allerlei Tiere verwandelten. Auch von widernatürlicher Unzucht war viel die Rede. Nur daß der christliche Begriff der Sünde dabei fehlte: das schlechte Gewissen. Es kam eben der Teufelsglaube hinzu; bei den Frommen wie bei den Hexen selbst die Angst vor dem Teufel. Der Teufel wurde zum Liebhaber der Hexen; und weil inzwischen die Kirchenlehre in ein System gebracht worden war, konnte und mußte das Bündnis mit dem Teufel und die Bestrafung solcher Gottlosigkeit dem Systeme eingefügt werden.
Nicht ganz unbeteiligt an dem Wahnsinn war ein anderes Wortsystem, das des geschriebenen römischen Rechts. Auch da wurde die Zauberei zu den Verbrechen gerechnet, und weil die Strafandrohung bestand, mußte es logischerweise auch Zauberer geben.
Was Zauberei eigentlich sei, das weiß die Welt nicht mehr, die nicht mehr wundergläubig ist; denn die Zauberei oder die Magie ist nicht mehr und nicht weniger als die geheimnisvolle Fähigkeit eines Menschen, wunderbare oder unnatürliche Wirkungen hervorzubringen durch Ursachen, die von der Naturwissenschaft als irgendwelche Ursachen nicht anerkannt werden. Ein Unterschied zwischen den Wundern der Bibel und den Leistungen der Zauberer ist nicht vorhanden, wenn man genauer zusieht: der Zauberer führt die Wirkungen, die aller Erfahrung widersprechen, mit Hilfe der ihm dienenden Geister aus; die sogenannten Wunder werden eben von dem obersten Geiste vollbracht, oft erst auf die Bitten von Zauberern, die diesem obersten Geiste dienen und dafür durch solche Wunder belohnt werden. Die zauberische Macht ist da und dort beim Geiste; einen Unterschied kann ich nur darin erblicken, daß beim biblischen Wunder der oberste Geist seine Freiheit zu behalten scheint, bei der Magie des Mittelalters die Geister von den Zauberern gezwungen werden können, nur daß beide Vorstellungen ineinander überfließen. So war die Jungfrau von Orleans für die von ihr besiegten Engländer ein teuflisches Zauberweib, für die siegreichen Franzosen eine wundertätige Heilige; selbst Jesus Christus war ja nur seinen Jüngern als ein Wundertäter erschienen, den Heiden als einer der vielen Magier.
So ist man, um die Seelensituation in der Bulle und im Hexenhammer zu begreifen, gezwungen, sich in die Weltanschauung des 15. Jahrhunderts zurückzuversetzen. Mit den Bezeichnungen moderner Psychologie ist nichts getan. Natürlich kann man den Hexenwahn eine Suggestion nennen oder eine geistige Epidemie, aber nur dann, wenn man die Vorurteilslosigkeit besitzt, auch den Fanatismus jeder beliebigen Religion als eine Suggestion oder als eine Epidemie aufzufassen. Wollte man das Christentum des 15. Jahrhunderts nach dem wichtigsten Bestandteil seiner Vorstellungen umtaufen, so müßte man es einfach den Hexenglauben titulieren, die Hexenreligion. Was man heute Suggestion nennt oder eine Epidemie, das mochte die Folter bei der Herbeiführung von Selbstbezichtigungen sehr wirksam unterstützen. Es ist aber nicht anders: der Hexenglaube, heutzutage fast nur noch heimlich bei uns fortspukend, war damals ein Hauptbestandteil des Teufelsglaubens; und der Teufelsglaube war ein Hauptbestandteil der christlichen Religion, der amtlichen, nicht etwa bloß der Volksreligion. Man sieht: gewänne der von den Kirchen festgehaltene Teufelsglaube wieder seine alte Macht, so wäre eine Rückkehr zum Hexenglauben und zu den Hexenverbrennungen nur folgerichtig. Woraus ich noch zurückkommen werde.
Hexenhammer
Das Kirchenrecht über das gesamte Hexenwesen ist niedergelegt in einem richtigen Kodex, dem »Hexenhammer«, der zwar nicht förmlich Gesetzeskraft erlangte, der aber – wie etwa die Coustumes in Frankreich – den Prozessen »gewohnheitsrechtlich« zugrunde gelegt wurde. Der Papst hatte die Mordbrennerei in seiner Bulle von 1484 angeordnet; der Hexenhammer erschien 1487; die junge Buchdruckerkunst verbreitete das wahnsinnige Buch bis zum Reichstage von Worms allein in dreizehn Auflagen, und die junge Reformation wetteiferte mit der katholischen Kirche in dem Bestreben, den Lehren des Hexenhammers nachzukommen.
Als die Dominikaner Sprenger und Institoris den »Hexenhammer« (der Name lautet in der Urschrift mit ebenso einprägsamer Assonanz » Malleus maleficum«) als ein Rechtsbuch herausgaben, standen alle Begriffe des Hexenwesens bereits fest; sie konnten sich schon auf recht viele Prozesse, auf die Zeugenaussagen und die Geständnisse der Akten, sie konnten sich auf die Volksmeinung und die Entscheidungen der Kirche berufen. Das »wissenschaftliche« Verdienst der beiden Blutmenschen bestand nur darin, daß sie die Vorstellungen des Pöbels und der Kirche in ein System brachten, das vor den Ansprüchen der scholastischen Logik und der Jurisprudenz recht gut bestehen konnte. Ich möchte es dem Leser überlassen, einen Vergleich zu ziehen zwischen der Dogmengeschichte und der Entwicklung des Hexenglaubens; in der Satanologie wie in der Theologie ging der amtlichen Kodifizierung eine Zufallsgeschichte voraus, in deren Verlaufe das neue Dogma in immer weitere Kreise drang; einen besonderen Reiz könnte die Vergleichung zwischen Satanologie und Theologie dadurch erhalten, daß man das Eingreifen des Ewigweiblichen in das Geisterwesen genauer als bisher beachtete: wie entgegen der christlichen Verachtung des Geschlechtslebens die Vergötterung eines Weibes, doch freilich nur der unbefleckten Jungfrau, sich durchsetzte und wie nun wiederum in einer schmachvollen Reaktion der Geschlechtsgenuß nur um so mehr in den Schmutz gezogen wurde, beim Weibe noch viel tiefer als beim Manne, wie das sinnliche, zum Geschlechtsgenusse verführende Weib zum Grundübel gemacht wurde, zum Haupte der Sünde, zum Genossen des Teufels, wie aus dieser Vorstellung heraus allmählich das Verbrechen der Hexerei fast ausschließlich zu einem Verbrechen der Weiber gemacht wurde. Der Teufel wurde männlich dargestellt, die perverse Einbildungskraft der Mönche war männlicher Art, kein Wunder, daß bei den teuflischen Buhlschaften die Weiber die Hauptrolle spielten. In der päpstlichen Bulle von 1484 war noch unterschiedlos von Männern und Weibern die Rede, die ein Bündnis mit dem Teufel eingingen.
Die beiden Dominikaner, die die Abfassung dieser Bulle erwirkten und in den beiden folgenden Jahren das Gewohnheitsrecht kodifizierten, Institoris und Sprenger, verdienen an den Pranger der Kulturgeschichte gestellt zu werden als die Verfasser des infamsten und unheilvollsten Buches aller Literatur. Sie haben einen Aberglauben, der sich im Volke bald mit der Kirche, bald gegen die Kirche herausgebildet hatte, erst prozeßfähig gemacht, indem sie dummschlau die Schädlichkeit der Hexen und damit ihre weltlich juristische Verfolgbarkeit in den Vordergrund stellten, ohne die Grenzen zwischen kirchlicher Ketzerei und weltlicher Strafbarkeit ganz aufzuheben; sie haben es auch erreicht, daß von da ab beinahe nur Weiber der Unzucht mit dem Teufel beschuldigt wurden. Die Frage, ob Institoris oder Sprenger den größeren Anteil an dem Fluchbuche habe, wird wohl niemals völlig geklärt werden; wahrscheinlich hat Institoris, der auch sonst in gleichem Sinne schriftstellerisch tätig war, die Hauptmasse des Stoffes geliefert, wahrscheinlich ist Sprenger mit seinem ganzen Ansehen, das er um seiner Frömmigkeit willen besaß, beim Kaiser und bei den Universitäten für die gemeinsame Arbeit eingetreten. Übrigens scheinen die beiden Mitarbeiter einander gehaßt zu haben wie Hund und Katze.
Der Titel des Werkes ist nach alten Vorbildern geformt. Wer seit dem heiligen Hieronymus sich um die Verfolgung oder um die Bekämpfung von Ketzern verdient gemacht hatte, hatte den ehrenvollen Beinamen eines Ketzerhammers (oder eines Judenhammers) erhalten, und von den Personen war die Bezeichnung auf die Bücher übergegangen; auch »Ketzergeißel« war beliebt. Bezeichnend ist, daß Institoris und Sprenger, während ihre Vorlage Mallus haereticorum hieß, ihr Buch Malleus maleficarum nannten. In der Anordnung und juristischen Behandlung des Gegenstandes hielten sie sich an ein hundert Jahre altes Handbuch für Ketzerrichter. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß der Hexenhammer in der Zeit von Ende 1485 bis Ende I486 niedergeschrieben wurde. Ich verweise für die Einzelheiten und für die Belege zu der Lebensgeschichte der Verfasser auf die musterhafte Darstellung von Joseph Hansen (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns, S. 360 ff.).
Sprenger
Von den beiden geistlichen Mordbrennern scheint Jakob Sprenger der unbedeutendere und ehrlichere gewesen zu sein, vielleicht der dümmere, vielleicht doch der klügere. Er war etwa zehn Jahre jünger als Institoris. Im Dominikanerkloster von Köln, dem er als Student, als Professor der Theologie und endlich als Prior angehörte, machte er besonders von sich reden, da er eine Muttergotteserscheinung hatte, die ihn zum Begründen einer Brüderschaft und eines Altars für die neu aufgekommene Rosenkranzandacht aufforderte; auch einen besonderen Ablaß für das Rosenkranzgebet erlangte er vom Papste. Aus Italien brachte er einen Finger der heiligen Anna nach dem reliquienreichen Köln. Für solche Verdienste wurde er zum Ketzerrichter für Mainz, Trier und Köln ernannt, und dürfte sein Amt namentlich gegen die Hexen ausgeübt haben. Nach Veröffentlichung des Hexenhammers wurde er Provinzialvikar, und muß bei der von Rom befohlenen strengen Reform des Ordens manchen Streit mit den Klosterleuten gehabt haben. Er starb im Dezember 1495. Für die Theologen der Zeit war er wesentlich nur der Mann der Rosenkranzandacht.
Institoris
Ein ganz anderer, ein rühriger, politischer Kerl war Heinrich Institoris aus Schlettstadt. Er wurde um 1430 geboren und starb, wieder als Bekämpfer von Ketzern, diesmal von den Böhmischen Brüdern, 1505 in Mähren. Mehr als einmal hatte er es mit den geistlichen Gerichten zu tun, 1473 wegen einer Majestätsbeleidigung, 1482 gar wegen Unterschlagung von Ablaßgeldern, 1488 – offenbar auf Anzeige von Sprenger – wegen anderer Skandale; eine Fälschung des Fakultätsgutachtens über den Hexenhammer wurde ihm nachgewiesen; aber sein Eifer für den Glauben an das Dasein der Hexensekte, das damals von den deutschen Theologen noch angezweifelt wurde, und für den Glauben an den Primat des Papstes war so lebhaft, daß dieser bissige domini canis von Rom immer wieder in Gnaden aufgenommen wurde. Schon kurz nach seiner Bestrafung wegen Majestätsbeleidigung war er mit besonderen Vollmachten zum Ketzerrichter ernannt worden, ungefähr für Oberdeutschland und die Rheinprovinz. Nach der argen Geschichte mit den Ablaßgeldern schrieb er ein wildes Buch zugunsten des Papsttums, das von einem Vorläufer Luthers angegriffen worden war, erhielt Verzeihung und zum Dank für seine Tätigkeit als Hexenrichter einen besonderen »Ablaß«, der seinem Kloster zu Schlettstadt zugute kam. Zweifellos hat der Widerstand, den menschliche Kirchenfürsten den sich häufenden Hexenverbrennungen entgegensetzten (in Innsbruck sogar mit Erfolg), den beiden Dominikanern den Gedanken eingegeben, zunächst die Bulle des Papstes zu veranlassen und dann, als auch diese nicht wirkte, den Hexenhammer zu schreiben. Die Privatarbeit erwies sich wirklich als stärker; sie erreichte, was dem päpstlichen Machtworte versagt blieb. Aber eben um das Ansehen des Hexenhammers zu stärken, hatte Institoris (ohne Mitwirkung von Sprenger, wie es scheint) eine Fälschung begangen, die ja nicht die einzige Fälschung in der Dogmengeschichte der Theologie und der Satanologie war. Von der Kölner theologischen Fakultät hatte sich nur eine Minderheit für den Hexenhammer ausgesprochen; ein Notar fälschte diese Minderheit zu einer Mehrheit um, und so wurde das Gutachten den Ausgaben des Malleus maleficarum beigedruckt. Vielleicht war der Bruch zwischen Sprenger und Institoris eine Folge dieses Schelmenstücks. Institoris war in Gefahr, exkommuniziert zu werden. Doch er schrieb und predigte zu Augsburg und zu Salzburg so fanatisch über eine wundertätige blutige Hostie und gegen Ketzerei und Hexerei (er gebraucht da im lateinischen Text für die Hexen das deutsche Wort die »Unholden«), daß das Verfahren gegen ihn wieder eingestellt wurde. Noch deutlicher als aus dem Hexenhammer erhellt aus einer dieser Schriften (von 1496), daß die deutsche Geistlichkeit damals das Dasein von Hexen noch leugnete, daß Institoris die Hauptschuld trägt, wenn bald darauf der Volksaberglaube zu einem katholischen und protestantischen Dogma wurde.
Nach dem Tode seines Mitarbeiters, des Provinzialvikars Sprenger, war und blieb Institoris nicht nur beim Papste, sondern auch bei seinem Ordensgeneral wohlgelitten. Er schickte von Venedig aus eine wütende Schrift in die Welt, in welcher er das unmittelbare Gottesgnadentum des Kaisers leugnete, den Kaiser ausdrücklich für einen Diener des Papstes erklärte und jeden, der anderer Meinung war, mit dem Ketzergerichte bedrohte. Ein so tüchtiger Mann schien allein fähig, gegen die »Waldenser von Böhmen« aufzukommen, gegen die Nachkommen der Hussiten, die Böhmischen Brüder, die die Oberherrschaft des römischen Bischofs und den weltlichen Besitz der Geistlichkeit nicht dulden wollten. Nach einer alten Notiz trugen ihm seine Bekehrungsversuche in Böhmen nur ein mitleidiges Lachen ein; schon zwanzig Jahre vorher hatte, als Institoris die Hexenverfolgungen zu Innsbruck einführen wollte, der wackere Bischof von Brixen von ihm gesagt: »Er bedunkt mich propter senium ganz kindisch sein worden.« Es war kein Grund vorhanden, ihn kindisch zu finden, ihn des Lachens oder des Mitleids wert zu halten; er war der tollwütige Bluthund der Kirche.
Ein solches Urteil möchte ich als ein sachliches verstanden wissen, nicht als ein moralisch wertendes. Ich meine das im vollen Ernste; hatte die christliche Kirche des Abendlandes, damals noch eine einige katholische Kirche, überhaupt das Recht, die Ketzerei zu unterdrücken um des Bestandes der Kirche willen und um des Seelenheils der Ketzer willen, dann war sie im Notrecht des Krieges und durfte auch Bluthunde verwenden, so bald es nötig schien. Und den Charakter von Bluthunden wird kein Verständiger nach Menschenmoral bewerten wollen. Nur soviel darf festgehalten werden: die Verfasser des Hexenhammers haben nur gebucht, in gutem Aberglauben gebucht, was seit einigen Jahrzehnten in südlichen Ländern der Inquisitionsprozeß gegen die sogenannten Hexen vorzunehmen für ein Recht hielt; für die nördlichen Länder aber wurden sie eben durch ihr Buch die Gesetzgeber des Hexenprozesses, ja die Stifter des Hexenglaubens. Sie bekehrten in zäher Lebensarbeit Volk und Geistlichkeit zur Satanologie der Kirche. Nicht einmal die juristische Durcharbeitung des Prozeßrechts ist ihnen eigentümlich; die holten sie – wie gesagt – aus einem Handbuche für Ketzerrichter, das dann gegen Mitte des 18. Jahrhunderts der aufklärerische Abbé Morellet schaudernd wiederentdeckt und den Enzyklopädisten in einer französischen Übersetzung vorgelegt hat. Der Verfasser dieses alten Handbuchs, des » Directorium inquisitorum«, war der Generalinquisitor Eymericus (1320 bis 1399), natürlich Spanier und Dominikaner, dessen Anweisung zum Ketzerbrennen später noch oft gedruckt wurde. Morellet stöberte, als er 1758 in Rom war, ein Exemplar des Buches auf und veröffentlichte einen Auszug unter dem Titel » Manuel des Inquisiteurs« (1762). Er verzichtete darauf, seine Empörung in Anmerkungen auszusprechen; der Wortlaut sollte genügen, solche Empfindungen wachzurufen. Die Wirkung des Manuel auf die Freidenker war sehr stark. Friedrich der Große las das Buch und Voltaire antwortete mit einem seiner wildesten Ausbrüche gegen l'Infâme. »Les hommes ne méritent pas de vivre, puisqu'il y a encore du bois et du feu, et qu'on ne s'en sert pas pour brûler ces monstres dans leurs infâmes repaires.« Einer Bemerkung wert ist es, daß derselbe Morellet den berühmten Aufruf zu einem modernen Strafrecht, das Werk von Beccaria, ins Französische übersetzte, daß der freisinnige Malesherbes ihn dazu veranlaßt hatte und daß Malesherbes über den Ketzerprozeß des Eymericus sagte: das ganze heutige Strafrecht stünde noch auf dem gleichen Boden. Eigentümlich war den Verfassern des Hexenhammers vielleicht nur die perverse Einbildungskraft, die die mit dem Teufel getriebene Unzucht in den Vordergrund stellte und so das Verbrechen der Hexerei auf die armen Weiblein einschränkte. Nicht einmal wahnsinnig sollte man den Institoris und den Sprenger deshalb nennen oder schelten; wenigstens nicht, solange man nicht die Erreger anderer geistiger Epidemien ebenfalls unter den Begriff des Wahnsinns faßt. Viel schwerer noch wäre die Frage zu entscheiden, ob die römische Kurie die Epidemie des Hexenglaubens mit bewußter Absicht, mit Vorbedacht verbreiten ließ, um – wie es nachher oft genug geschah – die vom Volke freundlich behandelte Ketzerei unter dem Vorwande der gefürchteten Hexerei bequemer ausrotten zu können. Für diese Frage wäre es nötig, vorher genau zu untersuchen, wer den Ausdruck »Sekte« für die Hexen, der in den Quellen oft vorkommt, zuerst gebraucht hat.
Hexenhammer
Über den Inhalt dieses unheilvollen Narrenbuches kann ich mich kurz fassen, weil es in den letzten Jahrzehnten oft in volkstümlichen Darstellungen behandelt worden ist. Bekanntlich gab es dreierlei Hexen: solche, die schaden und helfen konnten, solche, die nur schaden, solche, die nur helfen konnten. Verbrannt wurden auch die letzten, weil auch sie einen fleischlichen Bund mit dem Teufel geschlossen hatten. Noch bekannter ist es, daß dieser Bund mit dem Teufel das Wesentliche an der ganzen Hexerei war, daß die tollste geschlechtliche Phantasie dieses Teufelsbündnis ausgestaltet hatte, daß der Teufel oder die Teufel mit den Getreuen als Männer oder als Weiber Unzucht treiben konnten (als incubi oder als succubi), daß der Bund mit dem Teufel ganz juristisch als ein Vertrag, aber mit ekelhaften und blasphemischen Kulthandlungen abgeschlossen wurde. Wir haben schon gesehen, aus welchen Gründen die Phantasie des Volkes sich fast immer nur mit den armen Weiblein beschäftigte, die mit einem incubus Unzucht trieben, nur selten mit Männern, denen ein Teufel als succubus diente; wozu gleich zu bemerken ist, daß die Weiber der Teufelsbuhlschaft meistens trotz aller Teufelsmacht wenig bemittelte oder bettelhafte Menschenkinder waren, daß dagegen den Männern des Teufels häufig ungemessene Reichtümer nachgesagt wurden. Dieses Verhältnis änderte sich erst später, als verruchte Hexenrichter (überall, aber besonders katholische zum Zwecke der Gegenreformation) Hexenprozesse gegen wohlhabende Familien anstrengten, um Geld oder Bekehrung zu erpressen. Der Abgrund von Dummheit wurde zu einem Abgrund der Schuftigkeit. In der klassischen, fast möchte man sagen: idealen Zeit der Hexenprozesse glaubten aber die Richter an die Macht der Hexen, wie die Verfasser des Hexenhammers an alle diese Dinge glaubten. Wenn es möglich wäre, beim Lesen des Hexenhammers zu lachen, so könnte man über die Angst lachen, die die Gesetzgeber und die Richter vor den armen Weiblein verrieten. Zwar hatten die sicherlich »inspirierten« Verfasser des Hexenhammers es wie ein Dogma aufgestellt, daß die mit Hexenverfolgung beauftragten Amtspersonen (ebenso die durch wundertätige Engel beschützten oder mit den guten Zaubermitteln der Kirche versehenen Leute) gegen den bösen Zauber gefeit seien, aber solche Versicherungen genügten den Richtern nicht; sie suchten sich im Verkehr mit den verdammten Weibern auch noch durch besondere kräftige Mittel zu schützen: die Hexen durften sie nicht berühren, mußten von rückwärts in den Gerichtssaal geführt werden, mußten sich rasieren lassen; auch galten Amulette für wirksam, die die Richter um den Hals trugen.
Der gute Glaube der Verfasser des Hexenhammers kann kaum in Zweifel gezogen werden. Diese juristischen Henkersknechte waren von dem Rechte ihrer Sache genau so felsenfest überzeugt, wie nur etwa heute ein Richter von der Gerechtigkeit eines Spruchs, der einen Mann wegen einer politischen Äußerung oder eine verzweifelnde Mutter, die ihr hungerndes Kind ins Wasser geworfen hat, zu schwerem Kerker verurteilt. Die Verfasser des Hexenhammers besaßen die Skrupellosigkeit ihres Glaubens. Sie gaben eine Anleitung, wie man die Hexen durch das Versprechen der Begnadigung zu erwünschten Aussagen bringen und dann sein Wort brechen könne. Wenn die Hexen mit geschwollenen oder blauen Gesichtern vor Gericht erschienen, so hatte der Teufel sie geplagt; wenn sie Selbstmord versuchten, so hatte sie der Teufel dazu überredet. Der Hexenhammer behauptete ernsthaft, die Sünde der Hexen wäre weit schwerer als die des Teufels; denn die Hexen wären von dem Glauben abgefallen, den sie in der Taufe angenommen hatten.
Der Hexenprozeß
Der Hexenhammer und die durch seine Schule gegangenen geistlichen und weltlichen Juristen waren also durchdrungen von der Überzeugung, die Hexen (ebenso wie die Ketzer und die Atheisten) wären noch schändlicher und noch strafbarer als die Teufel; wozu noch kam, daß man an die Hexen herankonnte, an die Teufel aber nicht; aus diesem nicht mehr menschlichen Hasse ist nun natürlich die unsägliche Grausamkeit im Verfahren gegen die Hexen zu erklären. Nicht etwa aus der Barbarei des Zeitalters. Die Leute, die heute den Hexenprozeß mit der Roheit der mittelalterlichen Sitten historisch und oberflächlich entschuldigen, um sich eine Wiederaufnahme dieser Prozesse vielleicht vorzubehalten, sind sich ihrer Unwahrhaftigkeit nicht einmal bewußt. Das Feuer gegen die Hexen wütete niemals so heftig wie in den hundert Jahren nach der Blüte der Renaissance, als allerdings Worte und Taten der Herrenmenschen kraftvoll und hart waren, das Ideal der Menschlichkeit aber, der Humanismus, schon allgemein verkündet wurde. Der juristische Wahnsinn der Folterung bestand zwar von alter Zeit her; aber zu seiner ganzen Tollheit ist das Prozeßmittel der Tortur erst durch den Hexenprozeß ausgebildet worden, nicht umgekehrt. Das Gefühl von der unvergleichlichen Strafbarkeit der Hexen erzeugte den unvergleichlichen christlichen Haß, und dieser Haß ertötete bei den ungebildeten wie bei den gebildeten Henkern jede Regung natürlichen Mitleids. Wenn die Opfer in der Folterkammer wie Ochsen brüllten oder die »Schwerenot« kriegten, so rissen die Richter ihre Witze darüber. Fast noch grauenhafter als solche Berichte sind die scheinbaren Milderungen, zu denen sich die geistliche Juristerei (und zwar schon seit dem Handbuche von del Rio) heuchlerisch verstand; »maßvoll« ( modice) sollte die Angeklagte gefoltert werden, nicht länger als eine Stunde auf einmal, zwischen zwei Folterungen sollte immer ein Tag der Ruhe eingeschoben werden. Heuchlerisch oder vorsichtig zögerte die Kirche auch, die sogenannten Hexenproben (des Untertauchens, des glühenden Eisens) anwenden zu lassen; erst als der Gerichtsbrauch dazu führte, daß die Angeklagte unter allen Umständen starb, entweder in der Probe oder nachher auf dem Holzstoß, hatte man nichts mehr gegen diese Ordalien. Ich habe schon erwähnt, daß es als eine besondere Art der Hexerei ( maleficium taciturnitatis) ausgelegt wurde, wenn die Angeklagte auf der Folterbank nichts aussagte, ob der Grund nun ein unerhörter Grad von Seelenstärke war oder physiologisches Versagen des Sprachzentrums. Es ist nicht auszudenken, welche Greuel in hunderttausend und aber hunderttausend Hexenprozessen verübt wurden. Einer der letzten und darum äußerlich wirksamsten Gegner der Hexenprozesse, der Jesuitenpater Spee, war nur allzusehr im Recht, wenn er in seiner Cautio criminalis den Angeklagten den ingrimmigen Rat gab, vor der Folter lieber gleich ihre Schuld zu bekennen und den Feuertod zu sterben, anstatt viele Tode. Wer der Hexerei verdächtig war, konnte nicht mehr entrinnen. Die Folter arbeitete zuverlässig. Schauerlicher als alle kirchlichen Beweisgründe dieses braven Jesuiten klingt seine Behauptung zu uns herüber: alle Kapuziner und Jesuiten, alle Prälaten und Doktoren, auch der Papst und Spee selber würden sich spätestens nach der dritten oder vierten Folterung der Zauberei schuldig bekennen.
Und immer wieder muß daran erinnert werden, daß das Dasein von Hexen genau wie das Dasein Gottes kirchengesetzlich geschützt wurde, daß also die Leugnung des Hexendaseins eine Ketzerei war wie die Leugnung Gottes. Ich werde noch zu erzählen haben, wie schwer es den Hexenleugnern, die eben auch Freidenker waren, gemacht wurde, ihre Meinung auszusprechen. Weyer, Thomasius, Balthasar Bekker, alle wurden dafür verfolgt, daß sie gegen die Hexenverfolgungen auftraten.
Teufel
Wie gesagt, der Hexenhammer hat nur mit robuster juristischer Dummheit kodifiziert, was Kirche (auch Thomas) und Pöbel seit Jahrhunderten zum Range einer Religion erhoben hatten, was erst drei Jahre vorher vom Papste allgemein ausgesprochen worden war: was sein sollte, war das Reich Gottes und seiner Priester; was auf Erden wirklich war, war das Reich des Teufels und seiner Priesterinnen, der Hexen. Ich habe in anderem Zusammenhange von dieser Religion des Teufels geredet, der (ebenso wie der Gott der christlichen Volksreligion und der Gott des Dogmas) aus antiken, orientalischen, jüdischen, altgermanischen und allgemein menschlichen Elementen gemischt war. Es ist ein weiter Weg von dem Teufel des Augustinus, dem alten Manichäer, der das böse Prinzip im dualistischen Weltregiment war, bis zu dem albernen und grotesken Teufel, der es in zahllosen Legenden mit der gütigen Schlauheit der Gottesmutter zu tun hatte und immer so kläglich unterlag. In den von schlechten Poeten erfundenen oder nachgeschriebenen Legenden siegte jedesmal das Kreuz und die heilige Jungfrau, konnte der Teufel jedesmal ausgelacht werden; das war ihre Moral. In der Volksmeinung war der Teufel mächtiger, mindestens so mächtig wie Gott; der Teufel lauerte auch hinter dem Kreuze, und jeder gläubige Christ zitterte vor ihm. Will man den wirklichen Glauben der abendländischen Christen (etwa von Beginn der Kreuzzüge bis zu deren Abflauen) in nackten Worten ausdrücken, unbekümmert um die Streitigkeiten der Theologen, die freilich um feinere Distinktionen stritten, so kann man sagen: es gibt zwei Götter, den weißen und den schwarzen Gott, Maria und den Teufel; wenn Maria nicht hilft, durch den Zauber der Priester herbeigerufen, so zwackt uns der Teufel, hier und drüben, durch den Zauber seiner weiblichen Geistlichen, der Hexen.
Erotik
Eine Durchkreuzung dieser Glaubenslehren muß noch festgestellt werden; an der Ausgestaltung des Teufelsglaubens und des Priesterrechts beteiligten sich mit einer Gutgläubigkeit, die uns zu Unrecht als Schamlosigkeit erscheint, die Gelehrten des Mittelalters, die scholastischen Theologen; ich wenigstens kann keinen Wesensunterschied finden zwischen ihren Beweisen für das Dasein des Teufels (und Gottes) und den Beweisen für die Obmacht der Kirche und ihrer Priester. An der Ausgestaltung jedoch der Marienanbetung und des Hexenwesens beteiligten sich zumeist die dichterischen Köpfe der Zeit, die freilich auch gewöhnlich Kleriker waren; Marienkult und Hexenfurcht kommen aus der gleichen Quelle, aus der erotischen Mönchsphantasie. Nur um der Hurerei zu entgehen, solle man ein Weib nehmen, hatte Paulus gelehrt; an sich war das Weib des Teufels. Da berührten sich in der Mönchsphantasie die Extreme: dem einen, dem optimistischen Schwärmer, idealisierte sich die einzige reine Jungfrau zum Gotte, dem anderen, dem pessimistischen Feigling, verfinsterte sich jedes Weib, das ihn schreckte, zur Hexe, zur Buhlschwester und Priesterin des Teufels. Ohne diese heimliche Erotik wäre es sicherlich nicht zu der Erfindung der Hexen gekommen; die scholastische Theologie hatte gar keine Ursache, dem Teufel just weibliche Diener zu geben; die Logik ist nicht sinnlich und hätte den rein juristischen Bund mit dem Teufel (den ja auch Thomas lehrte) wohl gewöhnlich von Männern schließen lassen, als den ordentlichen Rechtssubjekten, ohne alle die Zutaten ekelhafter Unzucht; wenn die Logik pervers ist, so ist sie es nicht in geschlechtlicher Hinsicht. Auch die geilen Bettelmönche, deren kräftige Unkeuschheit durch unzählige Schnurren sprichwörtlich wurden, hatten keinen Anreiz, den Teufel und seine Hexen für ihr eigenes sündhaftes Privatleben verantwortlich zu machen; gerade ihre herrschende Todsünde verhinderte es, daß ihre Phantasie in pathologischer Weise erotisch wurde; sie waren erotisch in der Realität, ohne jede Phantasie. Aber die anderen Mönche, die ihr Gelübde der Keuschheit ernst nahmen, deren unterdrückte Brunst sich vor der Liebesinbrunst der neuen Nationalliteraturen entsetzte, weil sie durch jedes Liebeslied gesteigert wurde, deren gehemmte Glut (wie die der alten Anachoreten, aber anders) in erotischen Wahnsinn sich verkehrte, diese besseren Mönche waren berufen, sich in die Vorstellungen der allerreinsten Maria und der allerverworfensten Hexen hineinzudenken und hineinzuwühlen. Es ist gewiß kein Zufall, daß die zuchtlos gewordenen (von den Spiritualen zu unterscheidenden) Franziskaner die lustigen Mönche waren, die lebten und leben ließen, daß die strengen Dominikaner, die blutigen domini canes jeder Inquisition, wie den ganzen Kreuzzug gegen die Hexen, so auch die Kodifikation des Hexenglaubens und des Hexenrechts auf sich nahmen. Es wäre noch günstig für die Dominikaner, wenn man annähme, bei ihnen hätte sich durch die kranke Mönchsphantasie die Angst vor Teufel und Hexen (und aus dieser Angst die wahnsinnige Abwehr) unbewußt entwickelt. Eine ungeheure Blutschuld aber hätte der Orden auf sich geladen, wenn er – wofür manches doch spricht – im Gegensatze zu den demokratischen, oft reformsüchtigen, ketzerischen, ja freigeistigen Franziskanern (Roger Bacon, Duns Scotus, Ockam), mit klarem Bewußtsein der Alleinherrschaft des Papstes gedient und in dieser Absicht auch alle die ruchlosen Mittel gewollt hätte: Kampf gegen Kaiser und Könige, Ausrottung der Ketzer, Verbrennung der Hexen. Man darf wohl ein untrennbares Gemisch von Bewußtheit und Unbewußtheit annehmen, von Pfaffheit und Aberglauben. Jedenfalls kann der »Hexenhammer« unmöglich absichtsvoll ergrübelt worden sein; diese Dominikaner waren ihrer Sache gläubig gewiß.
Satanologie
In diesem erstaunlichen Buche, an dessen Scheußlichkeit kaum eine Schöpfung irgendeines Heidentums heranreicht, waren also die Werke des Teufels und der Hexen sauber und christlich in ein geschlossenes System gebracht worden, wie sonst nur die Werke Gottes und der Heiligen; die Satanologie wurde ganz ebenso gelehrt und geglaubt wie die Theologie; die Legenden der Heiligen waren nicht besser bezeugt und nicht immer so aufregend zu lesen, wie die Legenden von Hexen. Man sollte besser sagen: die Satanologie bildete einen wesentlichen Bestandteil der Theologie. Wer irgend an die Sätze der Theologie glaubte, der glaubte auch an den Teufel und an die Hexen, mochte er sonst so engelhaft sein wie Thomas von Aquino oder so gelehrt wie Gerson von Paris. Selbst der tapfere Revolutionär Bodin, der erste Begründer einer neuen Staatslehre, stärkte noch mit seinem Ansehen den Hexenaberglauben. Was heute nur noch zur Religion der ganz Ungebildeten gehört, in Deutschland und in England nicht ganz so allgemein wie z. B. in Italien, das gehörte im 16. Jahrhundert noch zum Vorstellungskreise der Gebildeten: das Dasein und die Wirkung böser Geister, die besonders Wind, Wetter und Krankheiten erzeugten, und die durch menschlichen Willen beeinflußt werden konnten. Der Wille des Teufels konnte durch Verträge gelenkt werden wie, wieder nach der noch bestehenden Kirchenlehre, der Wetterwille Gottes durch Bittgänge. Bis auf Bacon von Verulam waren die Grundlehren über den Kausalzusammenhang in der Natur nicht so klar, geschweige denn die naturwissenschaftlichen Kenntnisse so verbreitet, daß man leicht an wunderbaren Erscheinungen (Verwandlung der Hexen in Tiere, gleichzeitiges Dasein der Hexen im Ehebette und auf dem Brocken) Anstoß genommen hätte. Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind, in der Satanologie ebensogut wie in der Theologie.
Wurde erst das Dasein von Hexen für mehr als wahrscheinlich gehalten, gehörte es mit zu dem Inventar der Religion, so gehörte die Ausgestaltung dieser Vorstellungen freilich der zufälligen Autorität einzelner Fachschriftsteller, die sich durch eine Verbindung scheinbarer Logik und zügelloser Phantasie auszeichneten; zu diesen Zufälligkeiten mag man es auch rechnen, daß die christliche Lehre, unbekümmert um die Ausschweifungen so vieler hohen und höchsten Geistlichen, den Geschlechtsgenuß mit der Erbsünde in Zusammenhang brachte, den Teufel hineinzog und darum geneigt war, ihre Satanologie zu einer hohen Schule geschlechtlicher Perversität zu machen. Wesentlich war dieser Zug dem ursprünglichen Hexenglauben nicht. Wie gewisse wüste Phantasien der Christologie ursprünglich fremd waren.
Die Bulle
Die katholischen Bischöfe und die niedrige Geistlichkeit unterwarf sich der Hexenbulle von 1484 nicht sofort; menschliche Vernunft und vernünftige Menschlichkeit sträubten sich noch lange gegen den Widersinn, der Dogma werden sollte. Und die Gelehrten schämten sich noch lange, den Hexenwahn anzuerkennen. Außer den Juristen Alciatus und Ponzinibius ist vor allem Erasmus zu nennen, der, vor Beginn der Reformation noch nicht so ängstlich wie später, in seinem »Lob der Narrheit« die Zauberei und die Zauberrichter verspottete. Einzelne Stimmen, die Menschheit erkennen lassen, ertönen auch noch, da der Wahnsinn schon allgemein geworden ist. In Nördlingen, wo ein armes Weib sechsundfünfzigmal gefoltert worden war, predigte der Superintendent Lutz gegen das unchristliche Prozeßverfahren, freilich nicht auch gegen den unchristlichen Hexenglauben. Ein Landgraf von Hessen, Philipp der Großmütige, ließ die Folter nicht anwenden und die Todesstrafe nicht vollstrecken. Nicht ganz so fest und nicht so frei wie sein Ratgeber, der Humanist Camerarius, aber immerhin ein Gegner der Tortur und der Hexenbrände war der Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel. In den Ländern der österreichischen Hausmacht fügten sich die Fürsten der Hexenbulle und dem Hexenhammer erst, als die Gegenreformation ihr Vernichtungswerk begonnen hatte. In der Schweiz wehrten sich die deutschen Kantone länger als die französischen. In den Niederlanden, wo die Hexenprozesse erst seit der politischen Unterdrückung, die dann zum Aufstande führte, häufiger wurden, wurde ein Gutachten der Professoren von Leiden (1594) entscheidend; es beschäftigt sich zwar nicht mit dem Hexenwahn selbst, macht sich aber in ganz rationalistischer Weise über die Wasserprobe lustig: wenn das Wasser die Hexen nicht dulde, warum trage sie die Erde, warum lasse sich die Luft von ihnen einatmen? In der Lombardei empörten sich die Bauern gegen die Hexenbrände; und die aristokratische Republik Venedig war der erste Staat, der als solcher die Inquisition überwachte und die lutherische Ketzerei ebensowenig verfolgen ließ wie die unschädliche oder doch nicht gotteslästerliche Zauberei. In England, wo schon Richard III. die Inquisition für seine Ziele benützt hatte, wurde der Hexenprozeß unter Elisabeth ein politisches Werkzeug; immerhin war die Strafe des Scheiterhaufens nicht üblich, bis der Sohn der Maria Stuart zur Regierung kam und die ganze Raserei jetzt auch jenseits des Kanals wütete. In Frankreich, dem Mutterlande des Ausrottungskrieges gegen die Ketzer, hatte sich die nationale Kirche gegen Rom und auch gegen den Zauberwahn zusammengeschlossen, hatten die Parlamente z. B. die Revision des Prozesses der Jungfrau von Orleans durchgesetzt, so daß zum Kummer der Hexenfürchtigen und Teufelsfürchtigen, zu denen auch der politische Aufklärer Bodin gehörte, die Brände aufhörten und die Hexen, nach der Meinung der Frommen, ihr Wesen ungestraft treiben konnten und maßlos überhand nahmen; der Zustand, der in der Carolina festgelegt ist, schien Rechtsbrauch zu werden: daß eine Anklage nicht wegen des Teufelsbündnisses erfolgte, sondern nur wegen nachweisbarer Schädigungen; nachdem aber der Hexenhammer erst in Deutschland so gut wie Gesetzeskraft erlangt hatte, ging das Brennen auch in Frankreich wieder los, etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Molitoris
Aus der ältesten Literatur über die Hexenbulle verdient eine Schrift hervorgehoben zu werden, aus der deutlich hervorgeht, wie sich auch gebildete Juristen den römischen Forderungen anzupassen wußten; ich meine das Buch, das Ulrich Molitoris, der Prokurator des Bischofs von Konstanz, 1489 unter dem Titel » de Lamiis et pythonicis mulieribus« herausgab und das 1544 unter dem Titel »Hexen-Meysterei ... Ein schön Gespräch von den Unholden« usw. in deutscher Übersetzung erschienen ist. Es war in vorsichtiger Gesprächsform ein Gutachten für den Erzherzog Sigmund von Tirol, der nach seinen erbitterten Streitigkeiten mit der päpstlichen Kurie und mit dem Kardinal von Brixen, dem großen Cusaner, jetzt die Hexenverfolgungen begünstigte und darüber mit dem Landtage von Tirol uneins wurde. Das Gespräch, zu welchem der ziemlich freigeistige Molitoris seine Zuflucht nahm, war so eingerichtet, daß ein Schultheiß von Konstanz die abergläubische Volksmeinung vorträgt, der Erzherzog für den gesunden Menschenverstand eintritt und schließlich der Verfasser die allein richtige Lehre der Kirche vorträgt. Der Erzherzog, dem Molitoris seine besten Gedanken leiht, weiß ganz gut, daß auf das Gerede der Leute nicht viel zu geben sei und erst recht nichts auf Geständnisse, die durch die Folter erpreßt wurden. Gäbe es Hexen, sagt der politische Erzherzog, so brauchte man im Kriegsfalle nur eine solche Hexe, gut bewacht, an der Grenze aufzustellen und das feindliche Land von ihr verwüsten zu lassen. Selbst die Berufung auf die Bibel läßt der Erzherzog nicht gelten. Das eigentliche Gutachten ist, was die Zaubereien der Hexen betrifft, nicht weniger aufgeklärt: im Grunde können weder Teufel noch Hexen den Menschen schaden, ganz gewiß nicht ohne Gottes Zulassung; die Hexenfahrten und wohl auch die Teufelsbuhlschaften seien Träumereien und Einbildungen. Trotz alledem kommt Molitoris zu dem überraschenden Ergebnisse, die bösen Weiber, die nach seiner Überzeugung gar keine Hexen sind, seien des Todes schuldig wegen ketzerischer Bosheit, weil sie von Gott abgefallen sind und ein Bündnis mit dem Teufel geschlossen haben.
Justizmorde
Wir ersehen daraus und aus ähnlichen Versuchen, sich mit der Tatsache der Hexenverfolgung abzufinden, daß auch wohlmeinende Juristen sich der Inquisition just in dem bedenklichsten Punkte unterworfen hatten; sie wähnten sich dem Pöbel überlegen, weil sie die Tatsache oder die Schädlichkeit der Hexenkünste anzweifelten, weil sie die Hexenfahrten und die Teufelsunzucht ins Fabelreich verwiesen, doch sie gaben gerade das zu, worauf es der Inquisition bei ihren Religionsmorden ankam: die Ketzerei der armen Weiblein, die sich irgendwie dem Teufel ergeben hätten. Der Hexenhammer hat freilich die ganze Jurisprudenz grauenhaft verderbt dadurch, daß er die bisher eigentlich ungesetzlichen Hexenbrände der letzten Jahre zur Regel und zum Gesetze der folgenden Jahrhunderte machte; womöglich noch unheilvoller war aber seine Wirkung auf die Religion, weil der Hexenhammer ausdrücklich als einen Lehrsatz aussprach, was die Bulle immerhin nur zu verstehen gegeben hatte: daß jeder gute Christ an das Dasein der Hexen zu glauben hätte. »Es ist die ärgste Ketzerei, an die Wirkungen der Hexen nicht zu glauben.« War diese Definition, in der eine ganz infame Rechtsverdrehung versteckt lag, erst durchgedrungen, bei den Fürsten und den weltlichen Gerichtshöfen aus Nachgiebigkeit gegen Rom oder aus ganz gemeinen Beweggründen, beim Volke aus einer zu bestialischer Gewohnheit gewordenen Freude an dem Schauspiel der Hexenbrände, dann hatte die Inquisition leichtes Spiel, die bequeme Form des Ketzerprozesses auf die Hexen anzuwenden und umgekehrt unter dem Beifall der weltlichen Macht und der öffentlichen Meinung die Ketzerei mit Stumpf und Stiel auszubrennen. War die Hexerei eine Art von Ketzerei, so war auch gegen die Hexen das formlose Verfahren gestattet, das die kirchlichen Richter gegen die Ketzer eingeführt hatten: die inquisitio, d. h. die Untersuchung von Amts wegen; man brauchte das umständliche Anklageverfahren nicht mehr, nicht einmal die Berufung auf eine beschworene Denunziation, sondern auf das erste beste Gerücht hin durfte die Inquisition einschreiten, und die Folter sorgte für den Schuldbeweis.
Die Juristen der Kirche mußten nun wissen, daß sie bei der Vermengung von Ketzerei und Hexerei ein falsches Spiel trieben, daß sie unzählige Justizmorde begingen. Die Hexen mochten nach kirchlichem Glauben des Verbrechens der Zauberei und des Verbrechens der Unzucht schuldig sein, der Ketzerei waren sie nicht einmal verdächtig. Ketzer waren und sind die Abtrünnigen, die an dem Dasein von Teufeln und Hexen zweifeln. An Teufel und Hexen zu glauben, das war Dogma, das war eine der wichtigsten Forderungen der Kirche, der römischen wie der protestantischen. Und dieser Umstand würde allein hinreichen, die Zeit des sogenannten Mittelalters viel weiter auszudehnen, als es hergebracht ist: etwa zweihundert Jahre länger anzunehmen, bis zu dem Einsetzen der deistischen Aufklärung, wo Philosophie und Staatsrecht die Forderung der religiösen Toleranz aufstellten und die Hexenbrände langsam aufhörten.
So haben Hexenbulle, Hexenhammer und Hexenprozeß jedes Straf recht vernichtet und die Religion durch Dogmatisierung des Hexenwahns vergiftet; nicht genug daran hat die Gewöhnung an die Hexenbrände die Weltanschauung des Volkes noch weit mehr verdummt und verfinstert als sie jemals in den ersten tausend Jahren des Mittelalters dumm und finster gewesen war.
Ideale und niedrige Beweggründe
Und doch hatte die Kirche mit ihrer Dogmatisierung des Hexenwahns nicht nur das entsetzlichste Verbrechen, sondern auch einen Fehler begangen. Sie hatte den Glauben an den Teufel und seine Hexen zu eng mit dem Glauben an den Gott und seine Engel verknüpft; so kam es, daß der Gottglaube oder die Religion einen unheilbaren Schaden erlitt, als endlich nach zwei Jahrhunderten zahlloser Hexenbrände die Staaten, niemals die Kirche, von tapferen Aufklärern, die nicht immer Freigeister waren, langsam zur Abschaffung der Hexenprozesse überredet wurden.
Nichts dürfte freilich jetzt, nach Ablauf einer so langen Zwischenzeit, schwerer zu beurteilen sein als die Seelensituation der Gelehrten, Theologen und Juristen, die vor der Weltgeschichte die Verantwortung für das Wüten der Hexenbrände tragen; unser heutiges Strafverfahren, in Prozeß und Vollstreckung, ist wahrlich nicht auf der Höhe des richtigen Rechts, aber mit dem Prozeß und der Vollstreckung der Hexenzeit läßt es sich denn doch nicht vergleichen. Beim Volke kämen wir zur Not mit den Begriffen des Aberglaubens und der Suggestion aus, die das Umsichgreifen der Unmenschlichkeit erklären könnten; bei Päpsten und Fürsten mit dem Kampfe um die Macht, der womöglich noch unmenschlicher machte. Aber die Juristen und Theologen besaßen doch die ganze Bildung ihrer Zeit, die selbst für die Widerstrebenden eine Renaissancezeit war, die einen ein geschriebenes Recht, das mindestens die Rechtsformen einzuhalten befahl, die anderen eine Religion, deren Bücher nichts von Hexenverfolgungen wußten. Wir müssen, um eine Erklärung zu finden, die idealen und die gemeinen Beweggründe der Hexenrichter unterscheiden; die idealen konnten erst von der wissenschaftlichen Aufklärung unwirksam gemacht werden, die gemeinen noch später von der politischen.
Die idealen Beweggründe lassen sich wohl alle zurückführen auf die Tatsache, daß die Gelehrsamkeit des 15. und 16. Jahrhunderts fast überall noch durchsetzt war mit der Scholastik und der Wundersucht des Mittelalters. Ein mit Recht so berühmter Mann wie der Abt Trithemius (gest. 1516) hat 1508 ein Buch gegen die Zauberei vollendet auf Befehl des Markgrafen von Brandenburg, das nicht nur alle Hexengeschichten glaubt, sondern geradezu gegen die Klasse der Hexen aufhetzt, die ein Bündnis mit dem Teufel geschlossen hatten. Allerdings war Trithemius selbst der Magie ergeben; aber auch verhältnismäßig freie Geister wie Reuchlin, Erasmus und Pico von Mirandola waren, wenn sie Unchristen waren, doch wundersüchtige Unchristen; die Dämonen gehörten eben als wirksame Kräfte in die ursächliche Kette der Naturerscheinungen mit hinein. Diesen Vorstellungen erlag selbst ein Paracelsus, den man heute überschätzend und doch wieder mit einigem Rechte für den Erneuerer der Heilkunde hält, ihnen erlag selbst ein Cardanus, der an so vieles andere nicht glaubte. Eine Ausnahmestellung nimmt Agrippa von Nettesheim nur darum ein, weil er zugleich oder durcheinander der schlimmste Förderer des okkultistischen Aberglaubens war und der entschiedenste Aufklärer in einem Hexenprozesse. Noch van Helmont war bei seinen Zeitgenossen ebenso gefeiert als Alchimist wie heute als Chemiker. Die Juristen vollends mußten sich als gute Christen zu dem Hexenglauben der Kirche bekennen und trieben in ihrem eigenen Fache einen zu öden Alexandrinismus, um über die quaesito juris hinaus zu der quaestio facti zu gelangen; kaum daß einmal der Rechtslehrer Ponzinibius aus Piacenza Zweifel an dem Dasein des Teufelsbündnisses vorzutragen wagte. Zwischen katholischen und protestantischen Gelehrten gab es bezüglich des Hexenwahns manchen kleinen Unterschied in der theologischen Konstruktion, gar keinen Unterschied im Aberglauben selbst; nur daß natürlich Luther und Calvin im Katholizismus ein Werk des Teufels erblickten, der wieder erstarkende Katholizismus in jeder Ketzerei, also auch im Protestantismus. Delrio, Stapleton († 1598), sodann die Jesuiten lehrten mit großer Bestimmtheit, daß die Ketzerei mit der Zauberei und die Zauberei mit der Hexerei emporgewachsen sei. Man kann im allgemeinen sagen, daß die katholischen Hexenverfolgungen mehr aus dem schlauen Macchiavellismus, die protestantischen mehr aus der Dummheit der geistlichen Führer entsprangen.
Denn die Verquickung von Zauberei und Ketzerei war bereits der Übergang zu dem gemeinsten Beweggrunde der Hexenverbrennungen. Es war nicht anders möglich, als daß die deutschen Kirchenfürsten oft unehrlich waren, wenn sie Hexen brennen ließen, nur um die Ketzerei in ihren Gebieten auszurotten und so die Herrschaft zu behaupten oder wiederzugewinnen; nach dem Augsburger Religionsfrieden konnte ein Protestant nur gezwungen werden, das Land des Bischofs mit Hab und Gut zu verlassen; wollte der Bischof das Vermögen einziehen, so mußte er den Ketzer schon als Zauberer verbrennen lassen. In Frankreich lernten die Richter das gleiche Verfahren gegen die Hugenotten üben, d. h. die gesetzlich geschützten Ketzer in der gesetzlichen Form des Hexenprozesses umzubringen. Ebenso hielt es die Gegenreformation in Polen. Nur etwa in Spanien, wo die Inquisition allmächtig und die Ketzerei vogelfrei war, brauchte man die Maske des Hexenprozesses nicht und ließ einem ehrlichen Blutdurst gegen Ketzer oder Andersgläubige die Zügel schießen. Wo die Reformation die Macht der Kirche ernstlich bedroht hatte – und im zentralisierten Frankreich war oder schien die Gefahr eine Zeitlang noch größer als in Deutschland –, da wurde jedes Mittel vom Zwecke geheiligt, vom Willen zur Macht. Nicht nur die allmählich lauter werdende Forderung einer Duldung Andersgläubiger wurde durch den Hexenprozeß umgangen, sondern auch, was unter Umständen noch mehr galt als das Gesetz, die milde Absicht des Landesherrn. Ein Fall ist typisch: ein Ratsherr Franz I. wurde vom Könige geschützt, als man ihn der Hinneigung zum Protestantismus beschuldigte; da wurde einfach aus dem Ketzer ein Teufelsanbeter gemacht, der König mußte verstummen und der Ärmste wurde mit durchbohrter Zunge lebendig verbrannt.
Nur dem Grade, nicht dem Wesen nach tiefer als die Einleitung von Hexenprozessen um der Macht willen, steht die widerwärtigste Erscheinung des ganzen Treibens, daß nämlich Landesherrn und Richter sich an den Hexenverbrennungen bereicherten. Das geschah begreiflicherweise sehr oft gegen Gesetz und Recht; die Bestechlichkeit der Inquisitoren war nicht geringer als die anderer Beamten. Aber auch nach Gesetz und Recht fielen den Landesherrn, den Richtern, den Angebern und den Henkern so beträchtliche Sporteln zu, in weiser Abstufung, daß für sie alle ein Anreiz bestand, die Hexenprozesse zu vermehren. Für das Kurfürstentum Trier ist nachgewiesen worden, daß der Eifer der Hexenverfolgung sich abschwächte, als die Einnahmen der Verfolger herabgemindert wurden, »wie im Kriege die Kampflust nachläßt, wenn die Landsknechte kein Geld bekommen.« In Österreich bildete sich die Hexenrichterei zu einer juristischen Spezialität aus, von der man leben konnte. Spee erzählt von einem Hexenrichter, der in irgendeiner Gegend die Hexenangst der Bauern so lange aufstachelte, bis er sich durch ein Geldgeschenk bewegen ließ, gegen die Hexen einzuschreiten. Auf manchen Rittergütern des protestantischen Deutschland gab es die meisten Hinrichtungen im Verhältnisse zur Volkszahl; man hat es daraus erklärt, daß die Adeligen, denen zugleich die Justiz anvertraut war, im Dreißigjährigen Kriege ihre Finanzen durch Hexenbrände aufbesserten, wie sie zweihundert Jahre vorher als Raubritter sich an ihren Untertanen erholt hatten. So sprechen nicht etwa erst neuere Aufklärer, so urteilten schon die Zeitgenossen der Hexenprozesse. In den Religionskriegen waren die geistlichen und weltlichen Richter die Kriegsgewinnler, die der Kirche die Ketzer als Hexen oder Zauberer ans Messer – lieferten. Das beklagte schon der gelehrte Jurist Zasius: »Die Gerichtsherren strafen nur, um ihre Einkünfte zu vermehren.« Der edle Spee jammert darüber, daß viele nach den Hexenhinrichtungen langen als den Brocken, von denen sie fette Suppen essen wollen. Sprichwörtlich beinahe wurde der grimmige Scherz des Kanonikus Loos: der Hexenprozeß sei eine neue Alchimie, eine Kunst, aus Menschenblut Gold zu machen. Besonders scharf sind die Anklagen, die Agrippa von Nettesheim, natürlich erst in seinem skeptischen Bekenntnisse, gegen die Habsucht der Inquisitoren erhebt. »Diese blutgierigen Geier (die Inquisitoren) gehen über ihre Vorrechte hinaus und drängen sich ungesetzlich in das Gebiet der ordentlichen Richter ein, indem sie sich anmaßen, über Dinge abzuurteilen, die gar nicht ketzerisch sind, sondern nur anstößig oder sonst irrtümlich ... Der Inquisitor darf eine Leibesstrafe in eine Geldstrafe verwandeln; so kommt es, daß die Inquisition unter jenen Unglücklichen nicht wenige hat, die eine jährliche Steuer zahlen müssen, wenn sie nicht von neuem angeklagt werden wollen.« Solche Erpressungen scheinen besonders in Italien üblich gewesen zu sein; auch Cardanus klagte bitter darüber, daß Ankläger und Richter sich durch die Hexenprozesse bereicherten und Fabeln erfanden, um den Schein des Rechtes zu wahren.
Es wird Moralisten geben, die den Beweggrund des Hasses oder der Rachsucht noch gemeiner finden werden als den der Habsucht; ich möchte es auf die Umstände ankommen lassen. Übrigens hatte es der Gepeinigte zur Zeit der Hexenverfolgungen überaus leicht, sich an seinem Peiniger zu rächen. Wenn ein kleines Kind die Dienstmagd nach einem Zanke, wenn der Ehemann seine Frau aus Überdruß, wenn irgendein Mensch einen anderen aus grundloser Bosheit der Zauberei beschuldigte, so folgte auf die Anzeige mit ziemlicher Sicherheit Prozeß und Verurteilung; das Verfahren sorgte durch die Folter für den Erfolg. Mitunter führte die Rachsucht zu grotesken Ergebnissen. Da gab es Hexen, die unter der letzten Tortur ihren Richter als Genossen der Teufelsfeste angaben und ihn selbst so der Folter und dem Holzstoß preisgaben. Da gab es Hexen, die in ihrer Verzweiflung hochgestellte Personen anzeigten und in seltenen Fällen wirklich eine Niederschlagung der ganzen Untersuchung erwirkten.
Es braucht nicht erst hinzugefügt zu werden, daß die reineren und die ganz unreinen Beweggründe den Hexenprozeß nicht hätten so ausbreiten und so lange dauern lassen können, wenn nicht die Einstellung des öffentlichen Geistes auf diesen Greuel vorausgegangen wäre; der Niedergang der Religion hatte zu einer allgemeinen Teufelsfurcht geführt, der Niedergang der Jurisprudenz zu einem Aufhören des Rechtsschutzes; und als die Kirche den Hexenprozeß brauchte, um die Ketzer zu treffen, da raffinierte sie in ihrem unfehlbaren Machtgelüste das Beweismittel der Folter. Dieses Mittel wirkte so zuverlässig, die Geständnisse steigerten überdies Hexenwahn und Hexenangst so maßlos, daß man sich nicht über die lange Dauer der Ungeheuerlichkeit wundern darf, sondern nur etwa darüber, daß die Sache überhaupt einmal ein Ende nahm.
Bis dahin sind im Namen Gottes nach Schätzungen, denen freilich nicht die statistischen Zählungen unserer Tage zugrunde liegen, Hexen in solcher Menge lebendig verbrannt worden, daß wir vor der Nennung der Ziffer zurückschaudern; es muß sich um mehrere Millionen von Opfern gehandelt haben, deren jedes zuerst teuflische Folterqualen und dann die entsetzlichste Todesart erlitt. Im Namen des Christengottes. Und nur langsam standen einzelne tapfere Männer, die nicht immer freie Geister waren, gegen den methodischen Wahnsinn auf; ein Ende fand die Schmach wirklich erst, als in der Weltanschauung oder im Unterbewußtsein der gebildeten Oberschicht der Christengott durch den Deismus, endlich auch dessen abstrakter Gott durch den Atheismus abgesetzt worden war. Erst dann war mit dem Glauben an den Gegengott oder den Teufel auch der Glaube an die Hexen unhaltbar geworden.
Folter
In unseren Tagen, da das Mitgefühl sich bis zur Wehleidigkeit gesteigert hat und Nietzsche das Mitleid darum schon als Sklavenmoral verhöhnen durfte, wo die Urenkel der Hexenrichter beim Anblick der alten Folterwerkzeuge oder bei der Beschreibung ihrer Anwendungen in Ohnmacht zu fallen drohen, wo es eine gesetzliche Tortur – wenigstens eine körperliche – in keinem Strafgesetzbuche mehr gibt, ist eine Kritik dieses Beweisverfahrens überflüssig geworden. Nicht überflüssig scheint mir aber ein Hinweis darauf, daß die Folter im vorchristlichen Altertum gegen freie Menschen nur ausnahmsweise gestattet war (bei sogenannten Majestätsverbrechen), daß sie gesetzlich nur gegen Sklaven angewandt wurde, also gegen Wesen, die überhaupt als Sachen betrachtet wurden, Hatte jemand zum Zwecke der Feststellung einer Tatsache einen Sklaven so gefoltert, daß der Tod erfolgte, so hatte er dem Herrn dieses Sklaven eben nur den Sachschaden zu ersetzen. daß diese Sklavenfolter wahrscheinlich ohne die christliche Grausamkeit ausgeführt wurde, daß endlich sowohl die ordentliche Verwendung der ganzen Einrichtung wie ihre abgefeimte Bosheit eine Erfindung der Kirche und der kirchlichen Juristen war. Obgleich das Verfahren, von der Religion Christi gar nicht erst zu reden, dem juristischen Gewissen entschieden widersprach; man ergänzte da den sogenannten unvollständigen Beweis einer Schuld durch die Erpressung eines Geständnisses, d. h. man fügte dem Angeklagten so lange gesteigerte Höllenqualen zu, bis er ohne zu wollen und ohne zu denken nachsprach, was man von ihm verlangte, bis er – das war eine wichtige Nebenabsicht der Henkersknechte – die ihm in den Mund gelegten Mitschuldigen nannte. Als der Hexenhammer den Prozeß gegen die armen Weiblein festlegte, war die Folter freilich schon lange in Gebrauch; aber der Gebrauch war kanonisch geregelt worden im Prozesse gegen die Ketzer, durch päpstliche Bullen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Ich gebe nur ein Beispiel für die Schamlosigkeit, mit der die Kirche das Zwangsmittel der Folter gegen jeden Einwand der Jurisprudenz festzuhalten wußte. Die geistlichen Richter waren bei Androhung der Irregularität oder der Exkommunikation verpflichtet, mit der Folterung aufzuhören, bevor der arme Sünder starb oder ihm eines seiner Glieder zerbrochen wurde; vorher brauchten sie nicht aufzuhören. Aber selbst diese Einschränkung war ihnen noch unbequem. Da verfügte der Papst Urban IV. (1261), derselbe, der nach dem Tode Friedrichs II., zur Zeit des Interregnums, die Verelendung des deutschen Reichs systematisch betrieb, für die Hinrichtung des letzten Hohenstaufen sorgte und dafür die allgemeine Feier des Fronleichnamsfestes einsetzte, daß in solchen Fällen, wo Übereilung des Inquisitors zu weit gegangen war, der eine geistliche Richter den anderen absolvieren konnte, wodurch dann die Strafe der Exkommunikation oder der Irregularität sofort wieder aufgehoben war.
Der Wahnsinn, in der Erpressung durch Höllenqualen ein Beweismittel der Wahrheit zu erblicken, war schon früh von freien Geistern durchschaut worden. Es mag genügen, die Meinung von Montaigne anzuführen, nach der neuen Ausgabe der alten Übersetzung von Bode (Gesammelte Schriften, III., S. 65): »Es ist eine gefährliche Erfindung um die Tortur; Montaigne gebraucht noch – wie hundert Jahre später Thomas Corneille – den Ausdruck gehennes, der (doch wohl) aus dem hebräischen gehinnom, dem Höllental, die Bedeutung »Qual« behielt, im Neufranzösischen als gêne immer noch einen gewissen Zwang bedeutete und erst im deutschen genieren (sich) ganz albern wurde: sich schämen, sich zieren. Die technische Bezeichnung für das Gerichtsverfahren der Folter war in Frankreich entweder torture oder noch gewöhnlicher das unschuldige Wort question, das als »peinliche Frage« auch in die deutsche Rechtsterminologie überging. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß Inquisition und question den gleichen entsetzlichen Mißbrauch des harmlosen lateinischen Wortes für Untersuchung in die Welt gesetzt haben. Es war dem Christentum und seinen Inquisitoren vorbehalten, das Hervorpressen eines Bekenntnisses durch Höllenqualen zu einem neuen Beweise zu machen für das Dasein Gottes, des Teufels und der Hexen. sie scheint mehr eine Prüfung der Geduld (richtiger übersetzt: der Beharrlichkeit, patience d'Allemand = deutsche Ausdauer) als der Wahrheit zu sein. Und derjenige, der sie aushalten kann, verbirgt die Wahrheit so gut wie der, welcher solche nicht auszuhalten vermag ... Woraus dann entsteht, daß, wenn der Richter einen Menschen hat foltern lassen, damit er nicht unschuldig hingerichtet werde, er solchen nun unschuldig und gefoltert hinrichten läßt. Tausend und tausend haben durch falsche Bekenntnisse auf der Folter ihr Leben verloren ... Verschiedene Völker, die hierin weit weniger barbarisch sind als die Griechen und Römer, von denen sie Barbaren genannt werden, halten es für scheußlich und grausam, einen Menschen zu martern und seinen Körper zu peinigen, eines Verbrechens wegen, dessen er noch nicht überführt ist. Was kann er für eure Unwissenheit? Seid ihr nicht höchst ungerecht, die ihr, um ihn nicht ohne Ursache zu töten, ihn eine schrecklichere Strafe leiden lasset als den Tod? Um einzusehen, daß dies Wahrheit sei, betrachte man nur, wie oft ein Inquisit lieber, ohne schuldig zu sein, sterben als die Marter der Folter aushalten mag, die schrecklicher ist als die Hinrichtung selbst und oft durch ihr Übermaß der Hinrichtung zuvorkommt und sie vollzieht.« Was sich gegen den Nutzen der Folter irgendwie sagen läßt, das hat la Bruyère nüchtern und kurz zusammengefaßt: » La question est une invention merveilleuse et tout à tait sûre pour perdre un innocent qui a la complexion faible, et sauver un coupable qui est né robuste.«
Die Folter verschwand nur langsam aus dem Gerichtsverfahren der Niederlande und Englands; nach einer hübschen Anekdote sagte (1627) der Leutnant Felton, der Mörder Buckinghams, des beim Volke verhaßten Günstlings von Karl I., als ihm vor der Hinrichtung auch noch die Folter angedroht wurde (Felton sollte seine Mitschuldigen nennen, der Vorsitzende des Gerichtshofs war der Bischof Lord): »Herr Bischof, ich weiß nicht, was mir die Folterqualen auspressen werden; es ist aber möglich, daß ich Sie als meinen Hauptschuldigen bezeichne oder irgendein anderes Mitglied des Staatsrats; es wäre also gut, mir überflüssige Martern zu ersparen.« In Preußen wurde die Folter sofort nach dem Regierungsantritt Friedrich des Großen abgeschafft, sogar in Rußland durch Katharina II. 1769. Nur in Frankreich, dem Lande der Encyclopédie und Voltaires, blieb sie bis zur großen Revolution in gesetzlicher Kraft und in Übung. Der Artikel » Question« der Encyclopédie ist in seinem ersten Teile mit überraschender Zurückhaltung geschrieben, mit historiographischer Ruhe, ohne jede Entrüstung; der zweite, philosophische Teil verlangt freilich die Abschaffung der Folter, aber nur wie etwa die Abschaffung des Duells. Voltaire hat der Sache in seinem Dictionnaire philosophique zwei Artikel gewidmet, unter den Schlagworten » Question« und » Torture«. Das erste Stück rühmt die Kaiserin von Rußland und verlangt die Aufhebung der Folter, doch mit der seltsamen Einschränkung, die auf römisches Recht zurückgeht: niemand würde etwas dagegen haben, daß Königsmörder gefoltert würden. Sonst enthält schon das erste Stück manches gute Wort. »Ich habe immer vermutet, daß die Tortur von Dieben erfunden worden ist, die bei einem Geizhals eingebrochen waren und seine Schätze nicht finden konnten.« ... »Man hat den Zweikampf ein Gottesurteil genannt; man müßte die Folter ebenso ein Gottesurteil nennen« ... »Ich wage es fast zu sagen, daß dieser Greuel, in der Zeit der Aufklärung und des Friedens begangen, schlimmer ist als die Bluttaten der Bartholomäusnacht, die in die Finsternis des Fanatismus fallen.« Der ganze echte Voltaire mit seinem trotz alledem entzückenden Grinsen kommt aber erst im zweiten Stücke zum Worte. » C'est une étrange manière de questionner les hommes.« Ein Straßenräuber hat die Folter zuerst in Anwendung gebracht; die Eroberer haben den nützlichen Brauch übernommen gegen Menschen, denen sie eine böse Absicht zutrauten, z. B. die Absicht, frei zu sein. Auch die göttliche Vorsehung foltert uns mitunter vor dem Tode durch entsetzliche Krankheiten; und weil die ersten Machthaber nach der Meinung ihrer Höflinge Ebenbilder der Gottheit waren, handelten sie nach Kräften wie die Vorsehung. Mit ungeheurer Ironie wird bemerkt, daß ein so sanftes, mitleidiges und wackeres Volk wie die Juden die Folter gar nicht gekannt habe; das auserwählte Volk hatte dieses Beweismittel gar nicht nötig, es konnte die Wahrheit entweder ausknobeln lassen oder seinen Oberpriester fragen. Und unbarmherzig bekommt Frankreich moralische Rutenstreiche dafür, daß es bei der Einrichtung der Folter beharre. Die übrigen Völker Europas kennen Frankreich nur als das Land der Romane und der Verse, des guten Theaters und der guten Oper und der gefälligen Mädchen; sie wissen nicht, daß es im Grunde keine grausamere Rasse gibt als die französische. Wenn so ein Gerichtsrat, der für sein Geld das Recht erworben hat, seinen Nächsten zu vivisezieren, nach der Sitzung zum Mittagessen nach Hause kommt, fragt ihn die Frau neugierig: »Schatz, hast du heute niemand foltern lassen?«
In Deutschland hatte Thomasius schon 1705 eine besondere Schrift gegen die unchristliche Tortur herausgegeben; er gab damit wie mit seiner ganzen Rechtsphilosophie den Ton an für die Vermenschlichung des Strafrechts in Preußen; doch selbst dieser unermüdliche Aufklärer erhoffte eine völlige Abschaffung der Folter erst für eine spätere Zeit. Der Inquisitionsprozeß, der jeden Verdächtigen auf jede unbegründete Anzeige hin zu zerfleischen gestattete, schien eine ebenso unausrottbare Einrichtung des christlichen Staates, wie man sich im Altertum ein bürgerliches Leben ohne die Einrichtung der Sklaverei nicht vorstellen konnte; die Aufhebung der Sklaverei schien damals eine Utopie zu sein, die Aufhebung der Folter schien eine Utopie bis ins 18. Jahrhundert hinein.
Bevor ich mich nach der notwendigsten Darstellung der Greuel jetzt der Geschichte des Kampfs gegen die herrschende Hexenreligion zuwende, verdient doch einer der bösartigsten Theologen dieser Religion besondere Erwähnung.
Jakob I., der König von England und Schottland, ebenso dumm wie gelehrt, ebenso eitel wie boshaft, hatte, als er nur erst Schottland regierte, eine Dämonologie herausgegeben, die mit königlicher Entschiedenheit alles noch besser weiß als die Theologen es wissen; ein gewisser Rationalismus im einzelnen macht das Buch noch ekelhafter, als uns der brutal gläubige Hexenhammer erscheint. Die Hexen fahren körperlich durch die Luft nur durch kleine Entfernungen; blitzschnelle Fahrten nach entfernten Orten werden nur im Geiste ausgeführt, weil die Raschheit der Bewegung das Atmen hindern würde. Die Unzucht mit dem Teufel sei möglich, die Erzeugung von Kindern nicht; vor der Reformation habe es in England mehr Geister und Gespenster gegeben, jetzt mehr Hexen; das häufigere Vorkommen von Hexen in barbarischen Gegenden (Lappland, Finnland, den shetländischen Inseln) komme daher, daß des Teufels Unverschämtheit immer gröber werde, je dicker die Unwissenheit sei. Der Teufel sei ein Affe Gottes; so huldigen die Hexen ihrem Herrn durch einen Kuß auf den Hintern, wie Moses den Herrn nur von hinten sah.
Nun aber genug und übergenug von den Stiftern und Heiligen der Hexenreligion; es ist Zeit, zu den Befreiern von diesem Wahne überzugehen.