Hugo Marti
Das Kirchlein zu den sieben Wundern
Hugo Marti

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167 Thomas der Eiferer

168 In einer wirren, wilden Zeit ist das letzte der sieben Wunder geschehen, unter seltsamen Umständen wie keines zuvor. Damals wurden die Herzen der Menschen aufgewühlt, als ginge ein blinkender Pflug durch den Gottesacker dieser Welt, aber an die Pflugsterzen, die oftmals zitterten, wenn das Eisen im Boden auf einen Stein oder eine alte, zähe Wurzel stieß, hatte Martinus Luther seine festen Fäuste gelegt, und mit kühlem, hartem Blick riß es Furche um Furche in die Schollen, und wenn das Eisen allzusehr stöhnte und knirschte, so biß er die Zähne zusammen und beugte sich nieder, grub mit seinen Fingern den Stein aus dem Boden und warf ihn in weitem Schwunge in den Graben zwischen die Distelstauden und das Unkraut. Hinter ihm aber schritt eine kleine Schar und säete zwischen die aufgerissenen Schollen, allem Wind zum Trotz, der schnaubend in den fallenden Körnerregen brach und ihn verwehen wollte auf die staubige Landstraße hinaus und in den Bach, der müd und schlammerfüllt zwischen den Feldern dahinzog.

Auch durch Basel ging der neue Geist, und seltsame Kunde drang ins Kloster unserer lieben Frau, von wilden Rotten, die in der Karthause und im Klingenthaler Stift wüst getobt und manches schöne Bild von den Mauern heruntergezerrt und in den Rhein gestürzt hätten, aber auch von angesehenen Bürgern, die das Fastengebot gebrochen und Fleisch gegessen haben sollten, gar von Priestern, die schamlos die Kutten weggeworfen und nun wie gemeine Bürger Ehen geschlossen und Kinder auf ihren Namen getauft hätten.

Das alles brachte Bestürzung ins Leben der Klosterbrüder; sie hatten ohnehin in den letzten Jahren sorglos ihr Gut verwirtschaftet und am reichbesetzten Tisch verpraßt und alle ihre Gedanken mehr mit neuen, ausgesuchten und seltenen Gerichten und alten Weinen beschäftigt als mit frommem Beten und wahrem Bußetun und begriffen nun gar nicht, wie jemand mit einem solchen Klosterleben unzufrieden sein und an der schweren Münstertüre zu Wittenberg draußen die lästerlichen Sprüche anschlagen könne. Als nun gar noch in Basel selbst der Unfug um sich griff, verloren die Brüder ganz den Verstand, und anstatt zum Kreuze zu kriechen 170 und in Asche zu knien, huben sie das ausgelassenste, tollste Treiben an, veranstalteten wüste Saufereien in den weiten Klosterräumen und vernachlässigten Gottesdienst und Predigt, also daß im Kirchlein zu den wilden Rosen keine Messe mehr gelesen wurde und das Volk, das etwa noch vor dem Wunderbilde beten ging, mißmutig und voll Trauer den Staub auf dem Altar und die rote Ampel erloschen sah und entsetzt hörte, wie ein Wind vom Kloster her rohen Trinkgesang und weltliche Schelmenlieder in ihr leises, mutloses Gebet trug.

In solcher Zeit geschah das siebente Wunder und hat laut geredet wider die Verkommenheit und Sünde der Mönche und gezeugt von der Reinheit der heiligen Gottesmutter, die ein toller und liebeloser Mönch zu beleidigen wagte. –

Es war einmal zur Mittagsstunde, da die Brüder sich im Speisesaal versammelten zur gemeinsamen Mahlzeit. Einige trugen Schüsseln und Platten herein, aus denen feine Räuchlein emporstiegen, und jedesmal, wenn einer mit einem Gericht unter der Türe erschien, traten die andern in einer langen 171 Reihe herzu und steckten, während es der eine mit gespitztem Mund und hochgezogenen Augenbrauen an ihnen vorbeitrug, ihre Nasen in die Schüssel und zogen den Duft ein und legten die fetten Hände über dem Bauch zusammen. Darauf nahmen sie ihre Plätze ein, unter dröhnendem Lachen und manchen Spässen, und langten zu.

An jenem Tage aber fiel es einem der Brüder ein, daß sie früher manchmal vor dem Essen gebetet hatten, was nun schon lange nicht mehr Brauch war; er suchte in seinen Gedanken und stöberte das einfache Sprüchlein zusammen, und als er es hatte, erhob er sich von seinem Stuhl, fuchtelte mit den Armen, bis alle nach ihm schauten, faltete dann die Hände und sprach mit sanfter Stimme: »Bescher uns, Herr und Gott, ein kleins, bescheiden Essen; wir wolln auch dein und deiner Güte nicht vergessen. Amen.« Bei den letzten Worten öffnete er langsam die Augen, sah demütig auf die vielen Schüsseln und hob die Hand zum Segen über sie. Ein schallendes Gelächter stieg nun zur Wölbung empor, und die Brüder warfen sich in ihre Sessel zurück und schlugen mit den 172 flachen Händen auf die Schenkel und wackelten mit den Köpfen. Und einem von ihnen kam der Gedanke, sie wollten ein neues Gebet ersinnen, und er schrie es in den Lärm hinein, jeder solle aus dem Stegreif einen Vers bilden, der Reihe nach, und wer keinen zustande bringe, dürfe während der ganzen Mahlzeit keinen Becher Wein zum Munde heben. Da gingen alle in Gedanken nach der Klosterschule zurück, wo sie zierliche lateinische Carmina reimen gelernt und im Redekampf sich geübt und spielend Verse gegossen hatten. Nun aber war mit den Jahren der Rost auf ihre Gedanken gekommen; mühsam fahndete jeder in der Rumpelkammer seines Gehirns nach zwei Reimworten, die oft nicht besser zusammenpaßten als ein alter griesgrämiger König zu seiner jungen Frau, und diesen beiden Worten schickte er dann eine Zeile voraus, die oft gar sinnlos war und vor dem Reim herlief, wie die Buben und Mägdlein der Stadtwache vorantollen durch die Gassen.

Da wurde von den Mönchen ein Tischsegen gebetet, wie ihn noch kein Kloster gehört hatte, stoßweise und immer unterbrochen 173 von Lachen und Schreien. Einer begann: »Bescher uns, Herr und Gott, fein weißes Weizenbrot!«, der zweite fuhr fort: »Laß schwimmen den größten Fisch auf unsern armen Tisch!«, der dritte: »Wir loben dich und danken für Käs und süßen Anken!«, und so weiter, einer nach dem andern; »Fürs Täublein auf dem Teller und die Kanne Muskateller! – Für Huhn und Reh und Has und den Falerner im Glas!«, und einer, der früher ein großer Jäger und oft in den wälschen Wäldern auf der Streife gewesen war, schrie sogar: »Schick einmal, liebe Frau, wieder eine wilde Sau!«

Es war ein solcher Lärm im Gemach, ein solches Lachen, Humpenklirren, Tellerklappern und Fußgetrampel, daß keiner der Brüder hörte, wie die Türe geöffnet wurde und ein fremder Mönch in dunkler Kutte, mit einem Strick um die Lenden gegürtet, eintrat. Er tat ein paar Schritte, warf mit einer Kopfbewegung die Kapuze zurück und blickte wild und höhnisch auf die Schmausenden. Da ersah ihn einer der Brüder; das Lachen blieb ihm in der Gurgel stecken und der Mund weit offen stehen, in seiner rechten 174 Hand begann der Becher zu zittern, goß den roten Wein über das Gewand hinunter, fiel und rollte unter den Tisch, die linke Hand wies starr nach dem Fremden, und tonlos kam es von den Lippen: »Thomas der Eiferer –.« So leise das Wort gesprochen war, hörte es doch ein jeder durch das Lachen und Brüllen hindurchzischen wie ein Schlänglein im Gras, wenn man sich behaglich an der Sonne niedergelassen hat, und alle wandten sich auf ihren Sesseln um, so gut es gehen wollte, und saßen nun im Feuer von Thomas Augen und zuckten zusammen, als schwinge der fremde Mönch eine Geißel und zwicke unsichtbar nach ihnen.

Thomas war ein Mönch, der in jenen zerrütteten Zeiten durch die Lande zog und bei allem Volk wohl bekannt war unter dem Zunamen des Eiferers, den er erhalten ob seiner überstrengen, mitleidslosen Art zu predigen und Buße zu fordern; wohl murrte das Volk oft, wenn er zu reden begann, in den Gassen oder auf freiem Feld, aber unerschrocken fuhr er fort, ihnen ihre Sünden vorzuhalten, und da war keiner, den er verschonte, aber ebenso heftig und grimmig zog 175 er gegen die neuen Ketzer los und flehte Gott an, er möge über sie das himmlische Feuer gießen; nach seinen Predigten zog er sich in die nächste Kapelle oder Kirche zurück und ließ die Leute zur Beichte vor sich kommen, und in langen Zügen wartete da das Volk, um ihm seine Vergehen und heimlichen Sünden zu bekennen, obwohl jedermann wußte, daß er schwere Bußen auferlegte und sich nicht leicht zufrieden gab, so daß manche, die von seinem Beichtstuhl kamen, wie blind und von Krankheit geschlagen zum nächsten Wasser taumelten und sich darein warfen oder am ersten besten Baum sich erhängten, weil ihnen die Kraft fehlte, ihre Sünden zu sühnen, wie der Mönch es verlangte.

Dieser Thomas der Eiferer war es, der so unerwartet unter die Brüder getreten war, da ihn der Weg gerade durch die Gegend geführt und er von den Bauern manche Klage über das Leben und Treiben vernommen hatte. Mit seinen eigenen Augen ersah er die Wahrheit jener Klagen, und sein Herz ergrimmte bei dem Anblick dieser lasterhaften Fresserei, desgleichen er seinen Ohren kaum trauen wollte, als er das seltsame Tischgebet hörte.

176 Er schritt nun wie ein wütender Stier auf die Brüder los, so daß diese mit den Sesseln zurückwichen und ihm Raum gaben; er aber faßte mit seinen beiden Händen, die sehnig und hart wie Stahl aus den Kuttenärmeln hervorkamen, den schweren, eichenen Tisch, faßte ihn an der einen Kante, stemmte die rechte Schulter und den Nacken dagegen und hob ihn hoch empor, so daß die Schüsseln, Teller und Gläser ins Gleiten kamen, herunterpurzelten und ihren Inhalt, Fisch und Wildbret, Wein und Brot, unversehens auf die Kutten und in die Schöße der Mönche ergossen, die eben noch so schlechte Sprüche auf all die guten Dinge gemacht hatten.

Jäh und entsetzt erhoben sie sich von den Sesseln, schüttelten ihre Kleider und rotteten sich murrend und mit wütenden Blicken zusammen. Der Eiferer aber trat ohne Furcht vor sie hin und donnerte los: »Ihr Säufer und Vielfraße, schämt Ihr euch nicht eures verruchten Lebenswandels? Hier liegt ihr, tafelt und pflegt euren Bauch, treibt unheiligen Götzendienst und laßt das Volk auf euch die Finger heben und sprechen: Sie sind schlechter als wir! –, während alle 177 Teufel durch die Lande losgelassen sind und sackweise die Seelen einfangen. Ihr seid die betrunkenen Hirten, die hinter dem Gebüsch im Schatten liegen, während der Wolf in die Herde eingefallen ist und wütet.« In dieser Art redete er auf sie ein, mit harter, höhnischer Stimme, warf die hageren Arme in die Luft und schlug mit den Fäusten umher, als kämpfe er gegen unsichtbare Geister. Die Brüder lauschten wortlos, keiner brachte den Mund auf, um ihm Einhalt zu gebieten, nicht der Abt und nicht der Küchenmeister, die beide am verstocktesten waren, sondern alle erbebten unter seinen unbarmherzigen Worten, und als er gar die Strafen ausmalte, welche die Hölle für die ungetreuen Hirten bereit habe, da rannen ihnen im Vorgeschmack der ewigen Marter die bittersten Tränen in die Bärte.

Sie begannen stockend zu reden, munkelten etwas von ihrer Einsamkeit und von ihrem zurückgezogenen Leben und daß sie nichts von den ketzerischen Geschehnissen in der Welt draußen gehört hätten, sie baten ihn dann um strenge Bußen und Fürbitte bei Gott und huben endlich an, mit gleichem Eifer 178 wie sie vorher ihren Bauch gepflegt, nun ihren Rücken zu züchtigen, rissen die beschmutzten Kutten herunter und geißelten sich ihre fetten Wänste, wobei sie aber mehr unter der mühseligen Bewegung des Schlagens als unter den Schmerzen der Hiebe stöhnten und keuchten.

Thomas sah diesem Treiben zu, und so sehr ihn auch die Mißgestalt der feisten Leiber anekelte, freute er sich dennoch über die Umkehr der Mönche, redete ihnen noch lange zu und versprach, er wolle am folgenden Tage im Kirchlein zu den wilden Rosen predigen und Beichte hören, da ihm solches in dieser Gegend aus dem Brauch gekommen, aber bitter nötig scheine. Die Brüder schlichen darauf beschämt in ihre Zellen und warfen sich auf die weichen Lagerstätten, nicht ohne daß noch jeder ängstlich nach dem Gang hinhorchte, ob der Eiferer ihm nicht folge, um die linden Decken und warmen Daunen vom Bett herunterzureißen und dafür einen Strohsack hinzuwerfen. Allein Thomas kniete auf den Steinfliesen des Kreuzgangs und betete zu Gott und der heiligen Gottesmutter um Kraft für den folgenden Tag, da er viel 179 Uebel auszurotten und die Gegend gründlich zu säubern gedachte. Darauf bettete er sich an der Steinwand auf den Bodenplatten, über die der stille Mondschein langsam glitt, deckte seine grobe Kutte über sich und schlief in freier Luft ein.

Am andern Morgen früh erhob er sich, rief die Brüder aus dem Schlaf, ehe es über dem Walde dämmerte, und wies ihnen, die fröstelnd und noch müde vor ihm standen, ihre Arbeiten zu: die einen hieß er ins Kirchlein gehen, zur Frühmesse läuten und nachher reinemachen, andere beschäftigte er im Garten und im Kloster, ihrer drei schickte er in die Dörfer aus, um die Leute zur Predigt und Beichte aufzufordern. Alle begaben sich an ihr Werk, innerlich zwar mißmutig, aber keiner mit unwilliger Gebärde, vielmehr zog der eine an dem Glöcklein, bis er so stark schwitzte, daß ihm das Glockenseil aus der Hand entglitt, die andern putzten, fegten, gruben und jäteten, als hätten sie ihre eigene Seele unter den Händen und wollten sie nun bis zum jüngsten Tag rein und sauber kriegen von allem Schmutz und Unkraut, und nur die drei Boten, die der Eiferer über 180 Land geschickt hatte, fluchten und wetterten unter sich, denn jedesmal, wenn sie sich einem Gehöft näherten, wurden sie zuerst vom bissigen Hund und nachher vom höhnischen Bauer empfangen, der meinte, sie wollten ihn mit frommen Reden traktieren und dafür eine Gans oder ein fettes Schwein heimtreiben; sobald sie aber von Thomas dem Eiferer sprachen, wich der Spott von des Bauers Gesicht und er rüstete sich zum Kirchgang.

Gegen die Mittagsstunde versammelte sich viel Volk beim Kirchlein in den wilden Rosen. Die Brüder aus dem Kloster kamen demütig herbei und nahmen ihre Plätze ein, wurden aber vom Volk mit geringschätzigen Blicken betrachtet und kaum da und dort gegrüßt.

Als aber Thomas auf dem Wege daherkam, sank das Volk ins Knie und verharrte betend. Der Eiferer trat in das Kirchlein, die Menge drängte ihm nach und füllte bald den Raum bis in alle Ecken hinein. Dicht umstanden sie das Bildnis der lieben Frau; die Greise und alten Weiber, die sich nicht ins Gewühl gewagt hatten, lagerten sich vor der Türe im Sonnenschein und lauschten 181 von dort aus den Worten des eifrigen Mönchs. Er sprach streng und ohne Erbarmen, bald zu den Brüdern und bald zum Volk, und so sahen auch bald die Bauern schadenfroh nach den Stühlen der Mönche hinüber, wenn er deren Lässigkeit und Lotterleben tadelte, um dann selber beschämt die Köpfe zu ducken unter den boshaften Blicken der Brüder, wenn er ihren Geiz und ihre Lauheit und ihr Laster verdammte.

Nach der Predigt, als aller Herzen sattsam erweicht schienen, ließ er sich im Beichtstuhl nieder und wartete, wobei er sich nochmals im Gebet stärkte und vor Gott sich prüfte, ob er nicht zu milde und mitleidig geredet habe. Nach einer Weile streckte er erstaunt den hageren Kopf zum Beichtstuhl heraus, um zu sehen, warum kein Sünder komme. Da hörte er, wie sich vor dem Kirchlein die Bauern mit den Brüdern stritten um die Ehre, wer zuerst eintreten solle; es wollte sie aber keiner haben. Unwirsch schrie er durch die geöffnete Türe den Mönchen zu, sie sollten nach dem Kloster zurückkehren und beten und dem Volk nicht den Zugang zur Kirche versperren, worauf ein Bauer an den 182 Beichtstuhl trat und begann, seine Sünden zu bekennen.

Die Brüder aber wandelten beschaulichen Ganges durch das Tälchen zurück nach dem Kloster, ließen sich dort im kühlen Kreuzgang nieder und sahen einander mit schrägen Blicken aus zwinkernden Augen an. Nach einer stillen Weile erhob sich der Bruder Kellermeister, verschwand und kehrte bald mit ein paar Kannen Wein und Bechern zurück. Als die Brüder zögerten, sagte er unter Schnupfen und Schluchzen, er könne es nicht mit ansehen, wie der fremde Bettelmönch den edlen Wein vergieße und schände, der doch eine Gottesgabe sei wie das tägliche Brot, und besser sei er getrunken denn verwüstet, – worauf er eingoß und schleunigst einige Becher leerte. Nicht lange dauerte es, da stand auch der Küchenmeister auf, winkte einem zweiten Bruder, verschwand und kehrte darauf mit vier großen Schüsseln zurück, in denen Schinken, kaltes Geflügel und Wildbret lag. Er seufzte und sprach, ihm sei es unbegreiflich, was der fremde Bettelmönch an diesem Hühnerbeinchen und an jenem Rehrücken auszusetzen finde; Gott habe die 183 Tiere erschaffen und lasse sie heranwachsen, sicher nicht, auf daß sie der Mensch hochnäsig verschmähe; und getötet sei getötet, besser wäre es, man äße das Fleisch heute denn morgen, sonst müsse er es den Hunden vorwerfen bei diesem schwülen Wetter. Das sahen die Brüder alle ein, langten seufzend zu und huben an zu schmausen und zu trinken und spähten nur dann und wann nach dem Weg, der sich durchs Tälchen bis zu den wilden Rosen schlängelte; da sahen sie wohl vielerlei Volk, das langsam nach den Höfen und Dörfern zurückzog, aber nicht den eifrigen Thomas, der noch immer im Beichtstuhl saß.

In einer langen Reihe standen die Bauern und ihre Familien von der Türe des Kirchleins bis zum Beichtstuhl und warteten, aber draußen im Sonnenschein lagerten sich andere, packten mitgebrachte Vorräte aus und stärkten sich, die einen, bevor sie ihre Seele von den Sünden erleichtern wollten, die andern, nachdem ihnen schon die Buße auferlegt worden war.

Da kniete schwerfällig ein alter Bauer und bekannte zitternd, daß er vor Jahren, in kriegerischen Zeitläufen, einem Nachbarn 184 einen breiten Ackerstreifen abgepflügt und zum eigenen Land geschlagen habe. Thomas gebot ihm, das Stück Erde unverzüglich zurückzugeben, worauf der alte Bauer weinend erklärte, der Nachbar sei schon längst gestorben und dessen Söhne ausgezogen in fremde Kriegsdienste; da verlangte Thomas, er solle das Land brach liegen lassen und täglich auf jenem Grund und Boden kniend Gott anflehen, daß der Nachbarssohn heimkehren möge noch zu seinen, des Bauers, Lebzeiten; geschähe dies nicht, so wäre es ein Zeichen, daß Gott seine Buße verworfen hätte. Zitternd erhob sich der Bauer und tastete nach der hellen Kirchentüre zurück, denn vor seinen Augen flimmerte es und seine Knie wankten.

Da kniete ein junger Mann, der kreuz und quer über der Stirne Narben trug und zu erzählen begann, er habe vor einigen Wochen sein Fähnlein in der Lombardei verlassen, da er des Krieges überdrüssig und vom Heimweh geplagt worden sei; wie er aber hier das junge Weib, zu dem ihn seine Liebe zurückgezogen, krank und matt gefunden habe, wie ihn nun eine Sünde plage, um deretwillen vielleicht seine Geliebte leiden 185 müsse, da er einmal, in Kriegswut und Sinnlosigkeit, eine kleine lombardische Kirche in Brand gesteckt und zuvor das Muttergottesbild mit dem Zweihänder zu Boden geschlagen habe. Thomas gebot ihm, er möge vor jedem Marienbild um Gnade für die Freveltat flehen; gesunde das junge Weib, so sei ihm verziehen, sonst hülfe ihm niemandes Hand noch Fürbitte. Schweren Schrittes verließ der Krieger die Kirche und beugte sich draußen zu einem Mädchen nieder, das bleich und mühsam atmend im Grase saß, den Rücken an die helle Kirchenmauer lehnend und mit fieberigen Augen in die Rosen starrend.

Und also knieten sie alle und vernahmen die harten Worte aus dem unerbittlichen Munde und schritten trostlos aus dem Kirchlein, mit unsichtbaren Lasten auf den Schultern.

Abend wurde es, und die letzten Greise, die noch gebeichtet hatten, zogen, auf Krücken und Stöcke gestützt, nach dem Kloster hinunter, wo sie für die Nacht Unterkunft erbitten wollten, denn Thomas hatte verkündigt, er würde am folgenden Tage wieder predigen.

186 Im Kirchlein wallte Dämmerung hin und her, es war still und schien nur noch leise zu flüstern von all der Sünde und Schuld, die hier laut geworden war. Bewegungslos saß der Eiferer im Beichtstuhl, seine Augen brannten, und seine Hände waren ineinander verkrampft. Seine Lippen bewegten sich, dann stand er auf und wollte hinaustreten. Aber jäh fuhr er zurück. Vor seinen Knien erblickte er eine weibliche Gestalt, tief das Haupt auf die Steine geneigt. Die Haare fielen in losem Geringel in den Staub, weiß schimmerte ein schmaler Nacken. Ein einfaches, knapp anliegendes Gewand schloß sich um die Schultern, die leise zuckten wie unter mühsam verhaltenem Schluchzen.

Der Mönch stieß hart hervor: »Was willst du von mir?«

Die Gestalt erhob sich ein wenig vom steinernen Boden und flüsterte: »Ich will beichten.«

Da faßte sich Thomas, setzte sich wieder zurecht und forderte das Weib auf, seine Sünden zu bekennen, auf daß ihm vergeben werde, so Gott wolle.

Das Weib hob nun den Kopf ganz empor 187 und sprach mit sanfter Stimme, durch einen leichten Tränenschleier beinahe lächelnd:

»Viele lieben mich, Männer und Frauen. Kinder bringen mir die schönsten Blumen vom Felde, Mädchen sprechen zu mir von ihrer Liebe und junge Männer suchen bei mir Ruhe vor ihrem heißen Blut. Und alle lieben mich. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehen sie nach mir sich um, Greise recken die dürren Hände nach mir und junge Frauen wünschen, wie ich so lieblich zu sein. Ist sie Sünde, die Liebe, und womit mag ich sie tilgen?«

Das Weib schwieg und blickte aus bangen Augen zum Mönche empor. Diesem schien es, als lächle das Antlitz doch leise, aus aller Seelenangst heraus, und roter Zorn erfaßte ihn, so daß er schrie: »Weiche, Weib, mit deiner verruchten Liebe von diesem geheiligten Ort hinweg.«

Da erhob sich die Frau und schritt durch die Dämmerung davon; hoch und schlank ging sie dahin, den Kopf leise geneigt und beide Hände vor das Antlitz geschlagen. Der Eiferer blickte ihr nach, bis sie unter der Türe stand und die Helligkeit von draußen 188 seine Augen blendete. Als er sich dann rasch erhob und vor das Kirchlein trat, war sie verschwunden und nicht auf dem Wege noch in den Wiesen zu sehen.

Thomas schüttelte den Kopf, wandte sich um und schritt wieder ins Dunkel der Kirche zurück. Er tastete sich nach dem Standbild der heiligen Gottesmutter und sank auf den steinernen Fliesen nieder. Inbrünstig begehrte er zu beten, aber er vermochte nicht seine tollen Gedanken zu bändigen; wohin er blickte, überall trat ihm eine hohe, schlanke Gestalt entgegen, die beide Hände schamvoll vor die Augen geschlagen hatte; neigte er sein Antlitz zur Erde, so blinkte ein schmaler Nacken auf zu ihm und weiche Haare rollten im Staub; schloß er seine Augen, so waren seine Ohren voll der sanften Stimme.

Lange Stunden verbrachte er unter dem Wunderbild, ohne Ruhe zu finden, und sein Haß gegen das Weib und gegen seine eigene Schwäche wuchs, und seine Stirne schlug hart an den Stein. Mitternacht war vorüber, als er in einen kurzen, von Träumen durchschreckten Schlummer fiel, aus dem ihn das erste Frührot weckte.

189 Als er nach dem Kloster zurückkam, empfingen ihn die Brüder mit besorgten Fragen nach seinem Ausbleiben und berichteten ihm auch eine Kunde, die von Basel eingelangt sei; wüste Rotten hätten neuerdings in der Stadt und auf Streifzügen durch das Land die Gotteshäuser geschändet und manche Heiligenbilder zerschlagen und verbrannt. Thomas erbebte und beschloß bei sich selbst, sogleich nach der angesagten Predigt in die Stadt zu eilen. Dann wanderte er mit den aufgeregten Mönchen nach dem Kirchlein in den Rosen zurück, wo sich schon viel Volk gesammelt hatte. Es waren zum größten Teil die gleichen Sünder, die am Tage vorher der Predigt gelauscht und gebeichtet hatten. Wieder kniete der alte Bauer zitternd nieder und wieder beugte der Kriegsmann sein Knie, während seine Geliebte draußen im Grase lag, den Rücken an die Mauer gelehnt und mit den Fingern im Sonnenschein spielend.

Thomas der Eiferer trat vor das Volk hin und predigte gewaltig, und alle stöhnten tief unter seinen Worten. Kaum wagte es einer, ihn verstohlen anzublicken, wie er so 190 dastand, blaß, hager, mit tiefliegenden Augen und einem bösen Glanz darin. Er redete von den mannigfachen Versuchungen der Welt, von den Fallstricken, die der Böse dem Menschen legt, und mit harter Stimme schrie er: »Wo ist das Weib, das in dieser Kirche von Liebe sprach, von der sündhaften Liebe euer aller zu ihr? Stoßt sie hinaus aus eurer Mitte! Denn sie ist verdammt vor Gottes Antlitz.«

Tiefer neigten sich aller Häupter unter dem harten Wort, still war es, daß man die Schwalben flattern hörte vor der Türe im Sonnenschein. Da schritt ein leiser Fuß über die Steinfliesen, ein Gewand rauschte, und ein Schatten ging durch das Licht der Türe. Keiner, der da kniete, hob den Kopf, um das Weib zu sehen, das der Eiferer in Gottes Namen verdammt und von der heiligen Stätte weggewiesen hatte.

Da erscholl von draußen ein Ruf; und siehe, das kranke Weib, des Kriegsmanns Geliebte, stand aufrecht auf den Stufen vor der Türe und starrte auf den Weg, der durch die wilden Rosen ging. Der Kriegsmann sprang empor und trat zu ihr, um sie zu stützen. 191 Sie aber wehrte ihm sanft und sagte leise: »Sie hat mich geheilt, um unserer Liebe willen.«

Das Volk hatte sich von den Knieen erhoben und drängte dem Ausgang zu. Eine Stimme gellte: »Wo ist das Wunderbild?« In aller Augen stieg Entsetzen. Die Mönche begannen zu jammern und schüttelten die Fäuste gegen Thomas, der blaß dastand und auf die rote, kahle Säule starrte. Dann tat einer ein paar Schritte durch das Rosendickicht und spähte den Weg hinunter. Eine Schar Menschen kam vom Kloster her, wie Eisenspeere glitzerte es in der Sonne über ihren Häuptern. Und hinter ihnen schlug eine Feuerlohe aus dem Dach des Klosters empor, steil und breit. Ein Weib schrie: »Die Mordbrenner und Kirchenschänder!« Verzweiflung schlug alle, sie flohen und zerstreuten sich in die Wälder an den Hängen rings umher.

Als die Rotte beim Kirchlein in den wilden Rosen anlangte, fand sie nur den Kriegsmann und sein junges, geheiltes Weib, aber nicht das Standbild, das zu zerstören sie hergekommen war. Die Männer schauten sich erstaunt in die rußigen, heißen Gesichter und 192 verließen darauf den Ort, ruhig und festen Trittes, ohne das Kirchlein zu beschädigen.

Der junge Kriegsmann aber faßte seine Geliebte bei der Hand und wanderte mit ihr davon, durch die roten, wilden Rosen.


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