Hugo Marti
Das Kirchlein zu den sieben Wundern
Hugo Marti

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27 Der Junker von Dorneck

28 Wie es vorkommen mag, daß in einen wohlgepflegten Garten mit geraden, schattenspendenden Baumreihen und sauberen Beeten voll Blumen und Gemüsen, in eine Ecke beim Zaun vielleicht ein fremder, vom Wind verwehter Samen geraten kann, der in die dunkle Erde fällt und keimt und sproßt, und übers Jahr, so steht da – nicht ein üppiges, nichtsnutziges Unkraut mitten im Weg, aber eine seltsame, fremde Blume, wie deren keine andere im Garten vorkommt, oder wächst da langsam ein wilder Rotkirschenbaum mit säuerlichen Früchten auf, knorrig und eigensinnig, und der Herr des Gartens will das fremde Gewächs erst ausrotten, läßt es aber dann geduldig und neugierig stehen, um zuzuschauen, was daraus werden mag, und seine Enkelkinder und spätere Geschlechter haben vielleicht sogar einmal Freude daran und weisen stolz ihren Gästen die ungewöhnliche Blüte oder das seltsame Holz, –

So kam auch zu jener Zeit, als das Kloster unserer lieben Frau in den Rosen noch gering war, ein fremdes Weib in die Sippe derer von Dorneck, und sie wäre um ein kleines wieder daraus verstoßen worden, hätte 29 nicht, als ein guter Gärtner, die heilige Mutter selber ihre schützende Hand über sie gehalten. Und das geschah also:

Hanns, Herr von Dorneck, kehrte an einem Frühlingstage über den blauen Hauenstein und durchs waldige Tal der Ergolz zurück in seine Heimat, Basel zu. Als er im Abendschein die Türme der Stadt aufragen und die Dächer funkeln und den Rauch steil zum Himmel steigen sah, bog er zur Linken ab und nahm den Weg zu seiner Burg. Mit dem Arm wies er hinüber nach der rot und dunkel glühenden Stadt und dem flimmernden Strom und sagte zu der Frau, die neben ihm ritt, lachende Worte. Ein paar Gesellen und Troßknechte folgten und trieben die Rosse fröhlich an.

Die Frau fragte etwas, in wälscher Sprache und klingendem Ton. Der Ritter erwiderte: »Seit langen Jahren sah ich dieses Land nicht mehr. Und nun gefällts mir besser, als da ichs verließ. Hier will ich ausruhen von wälschen Händeln, in diesen Buchenwäldern.«

Langsamen Trottes zogen sie durchs Gehölz, und wo der Pfad sich eng zwischen 30 einem moosigen Felsblock und den dichten Stämmen durchzwängte, legte der Junker seinen Arm um das dunkle Weib und fragte: »Gefällts auch dir? Und reuts dich nicht, aus deiner heißen Ebene mir gefolgt zu sein in unsere Waldhügel?«

Sie schüttelte lachend den Kopf, drehte ihn aber dann zu ihm und bat: »Liebster, wirst du hier ruhig leben und mich nie verlassen?«

Da hielt er sein Roß an, wartete, bis die Gesellen und Knechte herangeritten waren, und sagte laut: »Gesellen, hört! Manches haben wir zusammen unternommen, gesehen und erlebt, und doch halte ich dafür: schöner erschien mir nichts als diese Täler und Buchenforste, durch die wir heute reiten. Hat auch nicht jeder unter euch von seinen Fahrten und Abenteuern sich Beute heimgeführt wie ich, so findet er wohl hier seinen Schatz, schmuck wie einst und kostbarer, als da er ihn verließ. Und darum mein ich und sag ich es euch: was die jungen Jahre von uns verlangten, haben wir über alles Maß geleistet; ein schlechter Kerl, der Mann, der um Abenteuer nochmals die Heimat mit der Ferne vertauscht!«

31 Die Männer lachten und nickten und laute Fröhlichkeit klang durch den Zug.

Da sie aber über den letzten Kamm ritten, sahen sie tief im Talgrund unter sich, mitten in den wilden Rosen, das Kirchlein stehen, das um der lieben Frau Bildnis gebaut war und wunderten sich darob und berieten hin und her; der Junker aber wütete: »Da haben sie sich fein eingenistet, dieweil der Herr weg war! Was gilts, wir finden unsere Burg wieder als ein Siechenhaus?«

Und er gab dem Roß die Sporen und sprengte den andern voran, denn es hielt ihn nicht mehr zurück. Die Burg aber stand verschlossen, wohl verwahrt hinter Riegel und Mauer, und der alte Torwart öffnete Gatter und Tür, als wäre der Herr am Morgen ausgeritten und hätte sich nicht ein Jahrzehnt und mehr in der Fremde herumgetrieben.

Als die dunkelhaarige Frau in den Burghof ritt, sah sie staunend auf zu den dicken Türmen, an denen die Schwalben ab und zu flogen, nach den zackigen Brustwehren und dem gepfählten Torgatter, und hob sich auf die Fußspitze, um durch eine Scharte 32 hinauszulugen ins hellgrüne Geäst der Buchen. Und dann erfüllten Stimmen, Lärm und Lachen die weiten Säle und Kammern, Fenster gingen klirrend auf, und wieder flackerte das Feuer im breiten Kamin.

Da es aber vollends eindunkelte und sie aus dem Tal ein feines Geläut herauftönen hörten, blickte der Junker die Frau an, und diese schlug ein Kreuz über Stirn und Brust. »Wollen wir unsere Nachbarn besuchen gehn?«, fragte er und lachte böse. Sie sagte leise: »Ja; seit langer Zeit kniete ich nicht mehr zum Gebet.«

So stiegen sie durch den schattendunkeln Wald hinab und über die Grashalde, traten in die wilden Rosenbüsche ein, die kaum erst belaubt waren, und dann ins Kirchlein.

Dämmerig nur lag das Licht der letzten Stunde auf den Häuptern der knieenden Mönche und dem Gewand ihres laut betenden Bruders. Ganz im Schatten stand das Bild der lieben Frau, vor dem sich der Mönch manchmal tief verneigte.

Keck und mit lautem Klirren seiner Sporen trat der Junker vor die Mönche und mit der rechten Faust zog er die widerstrebende, 33 dunkelhaarige Frau hinter sich her. Sie barg ihr Gesicht in der Hand und wollte zu Boden sinken, aber des Ritters Arm hielt sie herrisch aufrecht.

»Friede sei mit dir, Herr«, sprach ihn der Mönch an und trat einen Schritt zurück. »Störe nicht den Dienst unserer lieben Frau, wer du auch seist.« Und er streckte seine magere Hand aus dem Kuttenärmel hervor.

»Wer ich auch sei!«, höhnte der Junker. »Und wenns mir gefällt, vertreib ich euch heute noch aus diesem Talgrund und reiße euer Gehäuse ein oder zünde es euch über euren kahlen Köpfen an. Denn ich bin der Herr auf diesem Grund und Boden, und wenn ihr knieen wollt, so kniet vor meinem Lieb, die meine und eure Herrin ist!«

Und nun stand die dunkle Frau unter dem Bildnis, aber nicht lächelnd und mild wie dieses, sondern in Scham und Herzensangst die großen Augen vergrabend in beide Hände.

Der Mönch erwiderte gelassen: »Dem Weib, das du vor uns gestellt, dienen wir nicht, denn wir kennen nur eine einzige Herrin; die steht über ihr. So es dein eheliches Gemahl ist, Junker Hanns von Dorneck, 34 soll sie von uns ehrerbietig gegrüßt sein, so du sie aber aus Uebermut hergeführt hast von deinen unsteten Zügen, so weiche mit ihr aus dem Angesicht der Reinen, Makellosen.«

Bei diesen Worten sank die fremde Frau ganz zur Erde und lehnte ihre Stirne an den Stein, auf dem das Bildnis stand, und umklammerte ihn mit weitgereckten Armen. Der Junker aber stampfte und schrie: »Was kümmert mich eure Herrin? Ist sie dunkel von Haar wie mein Lieb, schwarz in den Augen und bräunlich wie eine reife Frucht? Ist ihre Minne süß wie wälscher Wein? – Komm, Liebste.« Aber als er sich zu ihr niederbeugte und sah, daß sie weinte, lachte er und spottete: »Was vergießest du Tränen vor dieser da, die ich nie geliebt und der ich nie einen Dienst getan, wie es doch allen schönen Frauen gegenüber bei mir Sitte ist?« Und er faßte sie wieder am Handgelenk, hob sie vom Boden empor und verließ mit ihr das Kirchlein.

Am folgenden Tage saß sie zu Hause, in der Erkerkammer; diese hatte ihr der Junker einrichten und alle südländischen Teppiche 35 und Tücher dorthin bringen lassen, die in seinem Troßgepäck verschnürt gewesen waren. Sie aber kümmerte sich gar wenig um alle Herrlichkeiten, mit denen sie sonst so gerne gespielt hatte, breitete nicht die köstlichen Stoffe über die kahlen, großen Stühle und Bänke aus, sondern saß bekümmert am schmalen Fenster und hielt das Silberkreuz, das ihr an einer schlangenschuppigen Kette um den Hals hing, in den Händen. Es hatte ihr aber der Junker dies Kleinod geschenkt, das erstemal, da er sie auf der gewölbten Brücke in Venezia erblickt und weil sie so begehrlichen Auges die Schmuckstücke, Spangen und Gürtel auf den Krämertischen betrachtet hatte. Und seither war es nie von ihrem schmalen, bräunlichen Halse gekommen.

Der Junker aber freute sich seiner wiedergefundenen Heimat, indem er bei einfallendem Abend allein in den Wald hinausritt, mit leichtem Speer und seiner Armbrust hinter einem Wilde her. Und stundenlang war er einem Hirsch auf der Spur, trieb sein Roß durch Dickicht und Hochwald, über Berge und durch Schluchten, und hetzte das 36 flüchtige Tier endlich in das stille Tälchen, nach den Rosenbüschen hin. Dort verschwand es im Schatten des Abends.

Der Junker sprang aus dem Sattel und brach durch die Büsche, mit gespannter Armbrust. Da saß auf der Treppenstufe vor des Kirchleins Tür eine Jungfrau und hielt einen Rosenzweig in der Hand, der trug kleine, zackige Blätter, aber noch keine Blüten.

Die Jungfrau erhob sich, da sie den Ritter sah, und wandte sich zum Gehen. Er aber herrschte sie an: »Hast du nicht einen Hirschen hier durchjagen sehen?«

»Nein, Herr«, sagte sie scheu und senkte das Haupt.

Der Junker trat nun näher und sah ihr ins Gesicht: »Du bist von hierzulande?«

»Ja, Herr.«

»Du warst wohl im Kirchlein, rate ich recht, oder besser: wartest du auf deinen Schatz?«

»Ach nein, Herr, ich erwarte niemand. Welcher Bursch blickte nach mir?«

»Nicht doch!« lachte der Junker und faßte sie am Arm. »Ist mir der Hirsch entgangen, so habe ich ein ander Wild eingefangen.« 37 Und er wollte sie küssen, sie aber wehrte es ihm und streckte den stachligen Rosenzweig zwischen ihr und des Ritters Gesicht, so daß er zurückweichen mußte.

»Laßt das, bitte ich Euch«, flehte sie. »Es brächte Euch und mir wenig Ehre. Hab ich Euch nicht gestern mit eurer schönen Frau aufs Schloß reiten sehen?«

»Da hast du falsch gesehen«, lachte der Junker. »Ein Mann darf wohl zwei Liebchen haben.«

»Wie sollt ich Euch zu Gefallen sein, Herr«, fragte sie nun und sah ihn spöttisch von der Seite her an. »Liebet Ihr nicht Haare so schwarz wie der Schatten in der Tannenschlucht, und ein Gesicht braun wie reife Frucht? Doch schaut nun auf mich!« Und sie warf ihre goldblonden Flechten über die Schulter nach vorne, daß sie ihr über die Brust fielen.

»Du weißt es selber, wie schön dir die Zöpfe um die Ohren hangen«, drohte er. »Kannte ich dich nicht, als ich ein Knabe noch war?«

»Vielleicht, Herr«, erwiderte sie gelassen.

»Wohlan denn, Dirn, sei nicht stachliger als der Rosenmaien, den du dir vors 38 Gesicht hältst und aus dem als einziges Röslein dein roter Mund hervorleuchtet. Laß es mich brechen, denn wahrlich, wieviele schöne Blumen ich mir je auf den Helm gesteckt habe, – solch frische Hagrose riß ich mir nie vom Strauch!«

»Herr«, sagte die Jungfrau leise, »ist es nun Sitte geworden, daß man Blumen bricht ohne Dank und Gegengabe? Das hörte ich nimmer so.«

Der Junker schnalzte mit der Zunge und lachte. »Dank sollst du reichlich haben, und die Gegengabe wähle dir selber aus meinem fremdländischen Plunder. Laß sehen, was soll es sein? Ein Tuch, fein gewoben und luftig wie der Wind?«

»Nein, Herr, meine Gewandung kleidet mich gut genug.«

»Ein Teppich, in tausend Farben und mit wunderlichen Bildern, darauf es sich wohl liegt?«

»Nein, Herr, denn wo sollte ich ihn ausbreiten?«

»Golddurchwirkte Bänder, ins Haar zu flechten, daß sie herniederhangen bis auf die Fersen?«

39 »Nein, Herr, denn meine Haare flattern gern frei im Wind und brauchen keiner Bänder, um zu leuchten.«

»Nun denn, was begehrst du von mir?« Die Jungfrau besann sich eine Weile und sagte dann:

»Die fremde Frau, die so stolz mit Euch zum Schloß hinauf geritten ist, trug ein Kreuz an einer Kette um ihren Hals.«

»Das Kreuzlein!« lachte der Ritter. »Sein Wert ist ein Spott neben allem, was ich dir anbot.«

»Und solch ein Kreuz wünsche ich mir. Läge es nicht ebenso schön auf meiner Brust?«

»Schöner, ja«, entgegnete der Ritter und sah auf die schlanke Kehle der Jungfrau. »Aber wo soll ich dir solch ein Kreuzlein herbeschaffen? Ich kann ja nach der Stadt reiten, die Goldschmiede in Basel arbeiten manch zierlich Stück.«

»Nein, Herr, es soll dasselbe sein, vom selben Silber, gleich besetzt und gleich gefaßt. Denn so wie jene Frau will ich es haben.«

»Ein güldenes, noch schöner und feiner, wird dir sicher auch gefallen«, sagte der Ritter ungeduldig.

40 »Dann wird Euch ein anderes Mädchen, reicher und stolzer als ich, wohl auch gefallen, Herr.« Und sie wandte sich ab, als wollte sie gehen.

»So bleib doch«, rief er ihr nach. »Aber sage mir, wo soll ich solch ein Kreuz hernehmen?«

»Die dunkle Frau wird es wohl kaum vermissen, unter all den andern Schätzen, die ihr eigen sind.«

»Du bist toll, Dirne«, lachte der Junker. »Was ich ihr geschenkt, soll ich ihr wieder vom Halse stehlen, um es dir umzuhängen?«

»Liebtet Ihr sie nicht auch einmal?«, fragte die Jungfrau leise. »Oder Ihr braucht ja nur dorthin zurückzureiten, wo Ihr jenes Kreuz erkauft habt, um mir ein gleiches mitzubringen.«

»Dirn, weißt du, was du sagst? Hast du vom wälschen Land gehört, jenseits der hohen Berge, die du erst erblickst, wenn du auf unsere höchsten Waldgipfel steigst? Du verlangst zuviel.«

»Auch Ihr, Herr, seid nicht zu bescheiden. Aber nun laßt mich gehen, die Nacht bricht herein.«

41 »Nein, höre. Wenn ich wiederkehre mit dem Kreuze, willst du dein Wort halten und mir Liebste sein?«

»Wenn ich sehe, was Ihr um meinetwillen getan, wird meine Liebe darnach sein, Herr.«

»Und willst auf mich warten?«

»Allabendlich will ich Euch erwarten, hier in den Rosen. Und seht, Herr, nehmt diesen Zweig hier und steckt ihn auf Euren Helm oder bindet ihn um den Schwertgriff, auf daß er Euch an den Heimweg mahne und den Pfad zurück weise.«

Der Junker nahm das stachlige Aestlein aus ihrer Hand, und als ers auf der Kappe befestigt hatte und aufsah, war die Jungfrau im Schatten verschwunden.

Er aber stieg auf sein Roß. Wie im Traume ritt er die ganze, frühlingslaue Nacht hindurch, und als am Morgen die Sonne aufstieg und aus der Ferne die Schneeberge herüberglitzerten, wieherte das Pferd und warf den Kopf empor und trabte zu, als hätte es die ganze Nacht geruht. Und das Rosenzweiglein wippte fröhlich im Frühwind.

Die dunkle Frau in der Burg aber harrte und harrte auf die Rückkehr des Junkers.

42 Es verflossen viele Tage, und die Zugbrücke wurde für ihn nicht niedergelassen. Es vergingen Wochen, und sein Horn ward nirgends in den Forsten gehört. Da bekümmerte sich die dunkle Frau, und ihres Schmerzes war kein Ende. Wohl behandelten die Gesellen und der Troß in der Burg sie mit aller Achtung, die der Herrin gebührt, gemäß der Weisung ihres Herrn, des Junkers, und weil sie um der Freigebigkeit und Frohmütigkeit der dunkeln Frau willen schon manch lustigen Tag erfahren hatten; die ganze Sippe aber des Ritters, die auf den umliegenden Schlössern, im Land herum und auch in der Stadt am Rhein drunten hauste, hatte unterdessen von der Rückkehr ihres Vetters vernommen, und da ihnen Kunde ward von der einsamen Burgherrin auf Dorneck, die niemand sah noch kannte, taten sie sich zusammen und gedachten, sie bei Gelegenheit zu vertreiben und das wohlverwahrte Burgnest zu Handen ihres Vetters zurückzuheischen. Daß dieser ja wohl auf seinen unsteten Zügen irgendwo einmal verbluten werde, ohne die Heimat wiederzusehen, war ihnen selbstverständlich und so unlieb nicht.

43 Zu jener Zeit aber, da die Anverwandten des Junkers unter dem Vorwand, für seine Rechte einzutreten, in der Stadt zusammenkamen, wo ihrer einer im Rate saß, legte sich die verlassene Frau im Schloß unter Tränen und Klagen um ihre Einsamkeit hin und gebar ein Knäblein, wohlgestalt und kräftig, und obgleich sie oft den entsetzlichen Wunsch gehabt hatte, dabei zu sterben, riß sie dieses nackte, kleine Kindlein mit Gewalt in die Welt zurück. Sie gab ihm vor dem Bilde der Gottesmutter in den wilden Rosen den Namen seines Vaters und schenkte bei diesem Anlaß den Mönchen ein schönes Stück Land, wie sie es schon lange wünschten. So standen ihr auch die Brüder redlich bei und unterstützten ihre Ansprüche wider die Sippe der habgierigen Verwandten, indem sie die fremde, dunkle Frau als rechtmäßige Herrin und das Knäblein als zukünftigen Junker von Dorneck anerkannten und diese Meinung kraft ihres weiten Einflusses übers ganze Land verbreiteten. Und alle, besonders die Geringen und Armen, hielten treu zu der allezeit traurigen Frau, die an ihnen viel Gutes vollbrachte.

44 Der Junker von Dorneck, als er nach raschem Ritt am zwanzigsten Tag in der schönen Stadt Venezia einzog, fand dort viel Volk versammelt, große Bewegung und Erregung überall und manchen bekannten Ritter aus den Gauen jenseits der Schneeberge. Er hielt sich jedoch nicht bei ihnen auf, sondern sein Sinn stand nach dem Silberkreuze, um dessetwillen er den tollen Ritt unternommen hatte, und er trieb sein Roß, das noch immer kräftig ging wie am ersten Tag, nach der geschweiften Brücke, auf der die Krämerbänke standen.

Dort aber knäuelte sich vor seinem Pferd eine dichte Menge, die sich bald still wie Sonnenglut, bald schreiend wie Frühlingsföhn um einen hageren Mönch herumdrängte. Die Worte, die der braungekuttete Bruder ins Volk stieß und schleuderte wie Dolche und Speere, hörte der Junker nur zum Teil, als aber der Mönch weiterschritt und das Volk sich hinter ihm nachschob, händereckend und schreiend: »Wider die Heiden, mit Gott, mit Gott!«, da begriff er das ungebärdige Treiben.

Er ritt nun auf die Höhe der Brücke, 45 mitten im Haufen der stoßenden, drängenden Nachzügler. Aber die Krämerbänke waren leer, verschlossen standen die Kisten, und die Goldschmiede daneben paßten auf, daß ihnen im Getümmel nichts weggetragen wurde. Auf den Ladentisch, wo der Junker sein Silberkreuzlein zu finden hoffte, schwang sich nun eckig, aber behende ein Mönch und winkte einer Schar Ritter, die von der andern Seite her auf die Brücke gekommen waren, und sie trieben lärmend ihre Rosse zur Bank heran, worauf der Mönch ihnen ein rotes Kreuz an die Achsel heftete.

»Hanns von Dorneck!« schrie einer, und alle sahen sich nach dem Junker um, der unentschlossen sein Pferd zügelte. »Das ist ein glückhaftes Zusammentreffen. Reit her zu uns, und Gruß und Willkomm! Hast du auch den Weg getan, um das Kreuz zu nehmen?«

»Ja«, stieß der Junker durch die Zähne. Und schon glänzte blutrot von seiner Schulter das Zeichen des Kreuzfahrers, das ihm der Mönch angeheftet hatte. Mit den Rittern zog er zur Herberge, aber sein Mund war verschlossen und sein Lachen karg, so daß ihn 46 die Kumpane kaum wiedererkannten. Und alle besahen staunend auf seiner Stahlhaube das Zweiglein, das frisch aufgeblüht und voll dunkler Rosen war. Und am dritten Tage darauf zogen sie zu Schiff nach dem heiligen Land, die Heiden mit ihren guten Schwertern zu bekreuzigen.

In der stillen Burg aber, mitten in den tiefen Buchenwäldern, erwuchs das Kindlein der dunkelhaarigen Frau zum Knaben, glich mehr und mehr in Nase und Mund dem Vater, in den Locken jedoch seiner allezeit traurigen Mutter, und wurde stark und geschmeidig. Tagelang streifte er durch die Wälder, fischte und stellte dem kleinen Wilde Fallen, und gegen Abend stieg er auf Umwegen oft zu den wilden Rosen hinab, seitdem dort einmal ein junges Weib mit ihm gespielt und gelacht hatte. Doch von diesen heimlichen Besuchen beim Kirchlein erzählte er seiner Mutter nichts, denn diese ließ ihn zwar frei herumlaufen, hatte ihm aber eingeschärft, mit keinem Menschen sich einzulassen, weder zum Spiel noch zur Rede, aus Angst, des Junkers Sippschaft könnte sich des Knäbleins bemächtigen wollen.

47 Eines Tages kam der Knabe erhitzt und unrastig in die Burg zurück, setzte sich auf den Schemel zu seiner Mutter Füßen, legte sein Haupt an ihre Kniee und fragte: »Mutter, sag, wo ist mein Vater?«

Da erschrak die dunkelhaarige Frau im tiefsten Herzen. Sie legte ihre Hand auf seinen Scheitel und sagte: »Draußen, Kind, irgendwo in der weiten Welt. – Das ist so Ritterart«, fügte sie hinzu, »nur die Bauern auf dem Land oder die Handwerker in den großen Städten bleiben zu Hause sitzen.«

»Ja«, staunte das Kind. »Aber kommt er nie wieder? Soll ich ihn denn nie sehen? Er ist sicher groß und stark und schön anzuschauen, Mutter?«

Die Frau nickte. »Wohl, Kind, werde wie er, einmal, aber reite nicht weg, gelt, eh deine Mutter tot ist.«

»Nein«, versicherte er. »Ich muß dich doch beschützen vor den bösen Leuten, die dir unsere Burg wegnehmen und dich auf die Landstraße weisen wollen. Aber, Mutter, wenn der Vater da wäre, wagten sie das nicht zu tun, denke ich. Warum kommt er 48 denn nicht ab und zu einmal heim? Er kann ja wieder wegreiten. Nur daß sie Furcht bekämen und dich in Ruhe ließen.«

Die Frau schüttelte traurig den Kopf. »Er ist zu weit weg, der Vater. Und er weiß ja, daß du nun an seinem Platze und für ihn vor deiner Mutter stehst.«

»Aber doch, Mutter, einmal wird er wieder heimreiten, gelt? Auf seinem starken Roß, im blanken Harnisch, und vielleicht Blumen um den Helm gesteckt? Ja, Mutter?«

»Wills Gott«, nickte sie und stand hastig auf.

Das nächstemal aber, da der Knabe in den wilden Rosen drunten mit der jungen Frau spielte, sagte er ihr ernsthaft: »Weißt du, mein Vater wird doch einmal heimkehren, auf seinem starken Roß, im blitzblanken Harnisch, und Blumen um den Helm gesteckt. Die Mutter hat's gesagt.«

»So –?«, staunte die Frau und sah sinnend in die Weite. –

In seinem zehnten Jahr aber wurden des Knaben Jagdzüge durch die Wälder immer kühner, und manchen Abend sandte die Mutter einen Knecht nach ihm aus, besonders 49 im Frühling und wenn die Vögel lockten. Auch zu den Rosen stieg er seltener hinab und saß lieber auf der steinigen Kuppe des Berges, unter den knarrenden, leise schwingenden Föhrenstämmen, und sah über die weiße Landstraße, die in langsam gemächlichem Bogen durchs Tal hinauf und über den blauen Hochpaß schimmerte: von dorther mußte einmal der Vater kommen, das starke Roß kostbar gezäumt, Schwert und Harnisch funkelnd in der Sonne. Sein Sohn und Erbe erwartete ihn.

Die dunkle Frau war schaffig, still und hart geworden, als wäre sie hier im Lande geboren und nie jenseits der Berge gewesen. Sie hielt Ordnung in Burg und Bann mit starkem, aber gerechtem Sinn. Der Junker sollte alles besser wiederfinden, als da er es verlassen. Und wer immer ihr mit Ansprüchen nahte, die Sippe, die den Besitz verlangte, Edelleute, die ihre Hand erbaten, wurde abgewiesen. Und nur, wenn sie zeitweilig im großen Turm zu schaffen hatte, blieb sie einen tiefen Atemzug lang an der schmalen Zinnenscharte stehen, von wo aus man übers Land weithin sah, über alle 50 Baumkronen hinweg, und dann spähte sie den Weg auf und nieder, sah wohl Kaufleute nach der Stadt ziehen, einen Trupp Reisige oder einen geistlichen Herrn mit Wagen und Geleite, nicht aber den Ritter. Und so erwartete ihn auch sein Weib von Tag zu Tag.

In den wilden Rosen aber stand manchmal am Abend die blonde, junge Frau und lauschte in die Stille der Dämmerung hinaus, nach Hufschlag oder Geklirr der Rüstung. Und strich dann mit leichter Hand über die Zweiglein der Rosenbüsche, lächelte und sagte leise: »Er tut einen langen Ritt um des Kreuzes und meinetwillen.« Und auch sie wartete auf ihn, wie sie es ihm gelobt.

In diesem zehnten Jahre aber seit der Geburt des Knaben war die Sippe des Junkers entschlossen, das Besitztum an sich zu bringen, so oder so, mit Gewalt oder durch Güte. Konnte das fremde, dunkle Weib an heiligem Orte beweisen oder beschwören, daß sie des landesfernen Junkers Gemahl und der Knabe des Ritters Sproß sei, so sollte sie durch einen billigen Vergleich entschädigt werden und in ihr Land heimkehren, da der Junker nach zehn Jahren den Weg auf seine 51 Burg wohl nicht mehr finden werde; hatte sie aber jahrelang willkürlich Schloß und Land besessen, sie, die der Junker eben zurückgelassen hatte wie seine Jagdrüden, Trinkschalen und Prunkwämser auch, so sollte sie endlich davon weichen und ihr Brot anderswo verdienen oder erbetteln.

Dies alles zu richten hatte die Sippe einen Tag festgesetzt, wo sie im Kirchlein zu den wilden Rosen zusammenkommen wollten und wo auch die fremde Frau erscheinen sollte, sich zu rechtfertigen oder ihr Urteil zu empfangen. Sie aber sah diesem Tage mit Kummer und Besorgnis entgegen.

Und er kam, stieg klar und warm über die Berge ins Tal, lagerte sich geruhsam einige Stunden auf der Halde vor dem Forst und schickte sich an, licht und milde noch lange in den Abend hinein zu verweilen, ohne Hast und plötzlichen Aufbruch.

In dieser frühen Abendstunde wartete der junge Hanns, das zehnjährige Kind, auf seine Mutter, um sie auf ihrem Gang nach dem Kirchlein in den wilden Rosen zu begleiten. Er wußte, daß Männer aus der 52 Stadt kommen würden, die ihm Burg und Vater nehmen wollten. Und die Mutter weinte.

Das Burgtor war verschlossen, aber die kleine Pforte daneben stand offen, das junge Grün der Buchen schimmerte in den grauen Hof herein.

Der Knabe starrte in den dunkeln Graben hinunter, auf dessen unbeweglichem Wasserspiegel breite, trockene Blätter schwammen.

Schritte knirschten auf dem steinigen Wege, der durch den Wald herauf führte. Der Knabe wandte den Kopf. Ein Mann stieg heran; bärtig war sein Antlitz unter der Kappe, wie sie die Bauern trugen, struppig um den Mund, sein Gang langsam, müde, am Rücken hing ihm ein zerfetzter Mantel. Der Stock in seiner Hand war abgegriffen und abgewetzt im Staub langer Straßen.

»Wohin willst du hier gehen, Mann?«, fragte der Knabe.

Der Wanderer sah ihn seltsam an und tat noch ein paar Schritte gegen die offene Pforte. Da stellte sich der Knabe mitten zwischen die Türbalken, breitbeinig, und warf den Kopf zurück.

53 »Hier kommt kein Fremder herein, das sollst du wissen, Mann«, sagte er zischend, und sein Kopf wurde rot bis zu den Haaren hinauf.

»So?«, erwiderte der Wanderer langsam. »Und wer bist denn du, daß du mir den Eingang wehrst?«

»Meine Mutter ist die Burgherrin von Dorneck, und ich bin ihr Bub, der Hanns.«

Der Wanderer tat groß die Augen auf und fragte noch: »Wie alt seid Ihr, Junker?«

»Zehn Jahre«, kam es ihm trotzig entgegen.

Da wandte sich der Fremde langsam ab und senkte den Kopf. Mitleidig sagte der Knabe:

»Geh du nun zum Kirchlein in den wilden Rosen hinunter, du kennst es sicher; meine Mutter tut jedem gern ein Gutes, besonders denen, die weither kommen. Dort wirst du sie bald treffen; geh nur und warte auf uns.«

»Ja, Kind, bitte für mich bei ihr«, sprach der Wandersmann und ging wieder den Weg zurück, unter den Bäumen, der niederwärts ins Tal führte.

Der Knabe rannte in die Burg, seiner Mutter von dem fremden Bettelmanne zu 54 berichten. Sie aber beeilte sich, ward hastig und erregt, voll Angst und voll Erwartung, und legte oft ihre Hand an die heiße, leis pochende Stirn.

Als der fremde Wanderer über die Grashalde nach dem Tälchen heruntergestiegen und durch die Rosenbüsche geschritten war, erschimmerte vor ihm, still in der Abendsonne, das Kirchlein, auf der Treppe aber saß die Jungfrau. Sie hob bei den raschelnden Schritten den Kopf, legte die Hand über die Augen und stand dann auf.

Er wollte lächeln, trat aber nicht näher, so daß ein Rosenstrauch zwischen ihr und seiner Dürftigkeit stand, und grüßte sie: »Ich dachte kaum, Euch wiederzusehen!«

Sie näherte sich ihm: »Sagte ich nicht, ich wollte Euch erwarten? Und wenn es gleich noch länger gedauert hätte, bliebe mein Wort doch bestehen.«

Da wagte es der Wanderer, seine Augen zu ihr zu erheben, und er sprach erschrocken: »Ihr seid wie ich Euch verließ, so jung und schön.« Und gleich wieder sank sein Haupt, und sein Blick fiel auf die schäbigen Hüllen, die um seinen siechen Körper hingen.

55 »Nun wohl, und was Ihr mir versprochen, bringt Ihr mir?«, fragte die Jungfrau. »Ein Wort gilt wohl das andere.«

Da warf der Wanderer mit einem Ruck seiner linken Schulter den zerfetzten, von tausend Winden zerschlissenen, von tausend Sonnen gebleichten Mantel auf seinen rechten Arm herunter und bot ihn langsam, zaudernd der Jungfrau dar. Fahl glomm das Kreuz aus den Falten heraus.

Sie aber nahm ihn mit ihren weißen Händen an sich. »Dank, Herr! Das Silberkreuz ist wohl nur einmal vorhanden in dieser Welt und soll also auch nur an einer einzigen Frau Nacken hängen. Aber dieses hier ist mir lieber.«

Nun stieg aus seiner zerschundenen Hand, wie aus ungepflegtem Erdreich, auch noch ein kleines Zweiglein auf, über und über mit Rosen bedeckt. »Es war mir Licht und Luft, Heimat in der Fremde«, sagte der Wanderer. »Nehmt es wieder an Euch, von der es kam.«

Sie schüttelte den Kopf. »Was mir gehört, hab ich genommen, Herr, und bin Euch schuldig.«

56 Da lachte er, lauter als vorher und froh, und sagte: »Ein alter Fetzen Gewand, aus dem alle Schönheit und jeder Stolz verweht und verluftet ist, was wollt Ihr mit dem beginnen? Macht Euch nicht noch lustig über mich!«

Von ferne ertönten Stimmen und Hufgetrampel, die Jungfrau verschwand, und hinter ihr flatterte ein Zipfel des dunkeln Mantels. Der Wanderer aber stellte sich bescheiden innen im Kirchlein auf, im Schatten neben der Türe.

Mönche traten ein, die Sippe derer von Dorneck hielt sich zusammen und redete laut, und als die Burgherrin, die dunkle Frau, mit ihrem Knaben an der Hand, über die Türschwelle schritt, grüßte sie Stillschweigen. Sie ließ sich vor dem Bilde unserer lieben Frau nieder, und der Knabe kniete neben ihr. Plötzlich zupfte er sie am Aermel und flüsterte: »Mutter, dort steht der fremde Bettelmann.«

Mitten aus dem Gebet zwang es ihr die Augen nach dem Wanderer, der still an der Türe stand, und langsam richtete sie sich empor, wuchs und hob die Hände nach ihm und sprach: »Bist du es, bist du es?«

57 Da trat er ins helle Licht unter das Bild der Gottesmutter, auf daß sie ihn alle erblickten in seiner Armut, und sagte: »Ja, ich bin es, der vor zehn Jahren ausgezogen ist und heute wieder in sein Haus zurückkehrt zu Weib und – Kind.«

Unwillig murrten seine Verwandten, lachten sogar und fanden bittere Worte. Und auch die dunkle Frau blickte hart auf die Verkommenheit seines Aussehens und ließ enttäuscht die Arme sinken. Der Knabe aber rief laut: »Er hat wohl Roß und Rüstung verborgen, irgendwo im Walde, und wollte sehen, ob du ihn wiedererkenntest, Mutter!« Und jubelnd lief er auf den Wanderer zu, warf seine Kinderarme um ihn, nahm ihm das Zweiglein aus der Hand und schwang die roten Rosen wie ein Schwert im Lichte vor ihm hin und her.

»Nein«, sagte der Mann, »so wie ich hier stehe und um keinen Hufnagel reicher ist nun der Junker von Dorneck. Mein gutes Roß liegt im Sand der Wüste, getroffen von einem Pfeil, meine Rüstung, zerschlagen und verbeult, hat der heidnische Sieger genommen. Hart war die Haft, weit der Weg; ich 58 bin müde und möchte ruhen, zu Hause ruhen.«

Da trat die dunkle Frau hervor und sagte einfach: »Komm, alles ist dir bereitet.« Und auch sie stellte sich ihm an die Seite.

»Glaubt ihm doch nicht, Vettern«, schrie einer aus der Sippe. »So kommt jeder Landstreicher zu einem warmen Ofensitz am Abend!« Und alle lachten.

»Wie, du?«, brach es nun aus dem wegmüden Mann hervor und grollte. »Du willst mir nicht glauben? Weise Narben, wie sie auf meiner Stirne stehen!«

Alle starrten auf die Schrammen, die blutrot auf seiner Stirne gezeichnet waren, gleich einem Kreuz, wie es nachlässig und hastig der Pfaffe schlägt am Ende des Gottesdienstes vor dem Mittagsmahl oder wie es eben ein Heidensäbel versteht.

Aber der Spötter gellte: »Raufhändel in wälschen Weinbuden und Dirnenschenken lassen dieselben Andenken!«

Da richtete sich der Mann hoch auf und spähte in alle Ecken des Kirchleins, über die Häupter der Mönche und Verwandten hinweg, und rief laut: »Jungfrau, in deren 59 Hände ich meinen Mantel, den zerfetzten, mit dem heiligen Kreuz geschmückten, gelegt habe, tritt als Zeugin für mich auf!«

Alle warteten, sahen sich um, schwiegen. Und wieder rief der Mann laut: »Um dich habe ichs getan und meine Ruhe und Manneskraft hingegeben, – zahl deine Schuld und hilf mir!«

Da rauschte es leise über seinem Haupt, und aus dem Dunkel, in dem das Bildnis der Gottesmutter schon stand, glitt der alte Mantel auf die Schultern des Ritters herab, und warm wie ein Blutzeichen leuchtete im letzten Abendstrahl das rote Kreuz auf seiner gebeugten, müden Gestalt. Jauchzend schwang sein Knabe den Rosenzweig.


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