Hugo Marti
Das Kirchlein zu den sieben Wundern
Hugo Marti

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141 Die beiden Gaukler

142 Nie hat die stolze Stadt am Rhein ihre Tore und Gassen einem bunteren Menschenstrome aufgetan als in den denkwürdigen, lauten Jahren des langen Konzils, während welchen sie so vielen mächtigen und frommen Herren aus allen Landen und von allen Zungen, die Gott loben, als Herberge diente. Da verging kein Tag, an dem nicht die weite Fremde, die große Welt den ehrsamen Bürgern ein zauberisches Gefunkel in ihre stillschattigen Werkstätten und Kramläden gespiegelt hätte. Bald war es ein Reiterzug, der zwischen den Häusern durchtrabte, und die Herren sahen an den Fenstern hinauf und wiesen sich die roten Münstertürme, bald war es ein kostbarer Reisewagen mit Bedeckung und Troß und vielem Gepäck, bald bloß ein staubiger Botenreiter, der sich vom Tore her hastig nach seinem Ziel durchfragte, bald nur ein Wort, ein Name, ein Klang.

»Mit einem Heere wie ein Fürst ist der wälsche Kardinal letzte Woche eingerückt.« »Und der Mainzer gar? Er läßt Wache stehn vor seiner Herberge.« »Hörtest du auch, sie haben den heiligen Vater herbeschieden.« »Den heiligen Vater in Rom?« 143 »Ja, um ihn zu richten.« »Die Byzantiner sind noch immer hier; sie gehen aber nicht zu den Versammlungen.« »Morgen kommen die Ketzer aus Böhmen; mein Hausgast, der Schreiber des engelländischen Bischofs hat es mir erzählt.« »So, die böhmischen Ketzer auch –.« Also unterhielten sich die Bürger der Stadt.

Mit den hohen Herren kam aber nicht nur ihr zahlreiches Gefolge, Schreiber, gelehrte Doktoren, Pfaffen, Ritter, Reisige, Hausgesinde, Knechte und Hunde, es kamen auch Schwärme landfahrenden Volks, Vaganten, Schüler, Gaukler, Spielleute, Weiber, Sieche und Irrsinnige. Genug hatte die Scharwache zu tun, das fremde Pack von den Toren fernzuhalten und was sich in die Stadt eingeschlichen und in den Winkeln der Kirchen und Schenken verkrochen, aufzujagen und mit harter Hand vor die Mauern zu schieben. Nur wer einem großen Herrn diente, zur Kurzweil oder zum Wohlleben, entrann der Wache, die andern aber schlugen sich auf die Landschaft nieder wie Heuschreckenschwärme, saßen bettelnd an den Straßen und lauerten auf die Gelegenheit, 144 im Troß eines Gewaltigen wieder in die Stadt zu schlüpfen. Sie boten ihm ihre Dienste an, prahlten laut und rühmten sich flüsternd: »Ich kochte am Hofe von Ferrara! – Ich sang vor dem Kaiser! – Ich habe das Geheimnis, Gold zu machen. – Ich einen scharfen Dolch und eine stumpfe Zunge.« –

Im Klosterhofe, beim Kirchlein unserer lieben Frau in den wilden Rosen, sah es aus wie auf einem Jahrmarkt. Allerlei witzige und unnütze Kunst wurde da geübt, viel gelogen, gelacht und Schabernack getrieben, und die frommen Brüder standen bei dem fahrenden Volk, hörten gerne und ließen sich um einen Becher Wein und einen Mund voll Brot köstlich unterhalten.

»Was sind das dort denn für zwei traurige Gesellen?«, fragte einer. »Sitzen auf ihren Bündeln und stieren vor sich hin; sehen gar nicht so abgerissen aus in ihrem Habitus, bloß die Gesichter greinen, als ob sie sich selber zu Grabe tragen sollten.«

»Wir sind fahrende Schüler«, antwortete einer der Gesellen.

»Ihr kommt aus dem wälschen Land, höre ich?« fragte der Mönch.

145 »Ja, frommer Bruder, Gott seis geklagt! Ich wußte nicht, daß es hierzulande unsicherer ist auf den Wegen als drüben. Aber so ist es wohl: dort unten haben wir manchen erleichtert um das, was ihm zu beschwerlich und überflüssig zu tragen war, hier wird einem armen Teufel die letzte Freude weggestohlen von einem großen Herrn.«

»Was erzählt ihr da?«, staunte der Mönch. »Ihr seid beraubt worden?«

»Um unsern Schatz, Bruder. Der schwarze Tod soll den Dieb holen, – aber nein, solche Herren haben Freibriefe, vom Satan selber unterschrieben.«

Der Mönch sah die Gesellen mißtrauisch an. »Ich höre nie, daß bei einem fahrenden Schüler der Beutel klingelt, wenn er Reigen springt!«

»O du geldgierige Kutte«, knurrte verächtlich der Gesell und spuckte aus. »Batzen reiben wir uns aus den Fingern, wann es uns beliebt; sind wir nicht erfahren in aller geheimen Kunst und haben zudem das römische Recht ausstudiert nach hinten und vorne? Und da sollte es uns an Batzen mangeln!«

146 »Ich verstehe Euch nicht«, sagte der Mönch und schüttelte den Kopf. »So könnt Ihr ja alles kriegen, was ein Vagantenherz begehrt. Ich verstehe Euch nicht.«

Einer der Gesellen erhob sich vom Boden. »Ja, ihr Kutten seht wenig darauf, was für Seelen ihr eurem Herrgott in den Himmel schickt, glänzende, wurmstichige, verbeulte, gichtige, neidzerfressene, aufgeblasene; wir aber, die wir die Seligkeit schon hier im Jammertale betreiben, – wer weiß, drüben prellt man uns arme Teufel darum! –, wir halten auf erlesene Gesellschaft. Jede Seele ist gleich würdig vor Gott dem Richter, wenn sie nur Buße tut, aber nicht jeder Mund ist gleich rot vor dem richtenden Auge des fahrenden Schülers. – Komm, Bruder, mir fällt etwas ein!«

Die beiden Gesellen verließen den Klosterhof und wandelten auf dem Weg nach dem Kirchlein durch die Matten. Hinter ihnen blieben Lärm und Gelächter zurück.

Eine Weile gingen sie schweigend, mit gesenkten Köpfen, und achteten wenig der Abendschönheit, die das Tälchen ausfüllte wie klarer Wein eine kostbare Schale; aber 147 plötzlich hob der eine der Gesellen das Haupt, pfiff laut in den stillen Himmel hinauf und sagte: »Bruder, wir werden sie wieder haben!«

»Du bist ein Schalksknecht, Vitalis«, murrte ärgerlich sein Gefährte und sah nicht vom Boden auf. »Wer die Schwarze besitzt, gibt sie freiwillig nicht heraus. Was so ein wälscher Hund einmal aufgeschnappt hat, hält er für ewig fest in seinen Zähnen.«

»Sachte, Bruder, sachte«, sprach Vitalis und legte ihm die Hand auf den Arm. »Er hat zwei arme landfahrende Schüler um ihre Liebste bestehlen können, aber nicht um ihren Verstand. Und so wahr als ich diesen noch habe, werden wir mit seiner Hilfe auch den Straßenraub wieder gut machen. Der hohe Herr soll von unsern Scherzen so gekitzelt werden, daß er sich schüttelt und ihm alles davonfliegt: die Freunde von der Seite, die Heiligkeit von der Stirn, die Läuse aus dem Pelz, und die Liebste aus dem Arm. Wir machen ihn zu dem, was er ist, und seine eigene Lächerlichkeit streitet für uns und unsere Sache. Lustig, Bruder! Wir spielen ihm und seinem Hofstaat, den Glatzen und 148 Federkielen, seines Lebens eigen Satyrspiel vor und schenken ihm nichts. Du wirst sehen, was uns der Erfolg in die Arme wirft.«

Und während die beiden Gesellen langsam weiter gingen, legte Vitalis mit weiten Armbewegungen, kühnen Worten und frohem Lachen den Schlachtplan aus. »Diesmal spielen wir nicht für Geld, Bruder, nicht zur Unterhaltung, nicht einmal zur Erbauung; wir spielen um unseres Lebens Sonne, Rache treibt uns und köstlicher Preis lockt, – da geraten die Schaustücke am besten, hörte ich immer sagen.«

»Du und ich, wohl, – aber wo finden wir des Spiels dritte Personam?«, wandte sein Geselle ein.

»Laufen nicht unseresgleichen manche hier herum? Ich hoffe wohl, einen zu treffen, mit dem ich dieselbe Bank auf irgendeiner hohen Schule gedrückt oder am selben Schenktisch die Würfel geschmissen habe. Die Welt ist klein für den, der lange Beine oder lange Finger hat, und unsereiner findet überall Freunde, und gute.«

»Was gewinnen sie dabei, einen hohen Herrn zu necken? Prügel oder Aergeres.«

149 »Wenn wir ihnen erklären, worum es geht –.«

»Wollen sie den Gewinn teilen!«

Vitalis faßte ihn hart am Arm und wies auf ein junges Weib, das ihnen entgegenschritt. Es ging mit geneigtem Kopf am Wegrande, wie jemand, der wenig seines Pfades achtet, und als es näher kam, sahen die Gesellen mit Erstaunen sein kostbares Gewand und sein Angesicht, das lieblich, aber von tiefer Trauer beschattet war.

Vitalis verneigte sich zierlich und sprach: »Nehmt, hochedle Frau oder liebreizende Jungfrau, den Gruß von zwei armen Scholaren entgegen, die es wenig leiden mögen, daß so große Schönheit von so kummervoller Miene umrahmt und verunziert sei. Keinen Erfolg möchte ich unsern bescheidenen Künsten höher anschlagen, als Euren Lippen, ehe Ihr wieder von uns geht, ein Lächeln aufzuzaubern.«

Das junge Weib sah die Gesellen aus großen Augen an und schien den Worten nicht ungern zu lauschen. Es sagte mit wohlklingender Stimme:

»Ist es etwa nicht hart für mich, bei 150 einbrechender Nacht allein durch dieses Land wandern zu müssen, in dem am hellen Tage nicht einmal ein Mann sicher geht?«

»Ihr sprechet wahr, wir habens erfahren. Aber wo liegt das Ziel Eurer einsamen Fahrt?«, fragte Vitalis.

Ohne zu antworten, wies das junge Weib mit seiner weißen Hand nach den roten Türmen hinab.

»So sollt Ihr wohl am Konzil teilnehmen«, sagte Vitalis. »Warum nicht?«, fuhr er fort, als sie traurig den Kopf schüttelte. »Disputieren dort nicht Straßenräuber wie der Kardinal Capranova, der wälsche Hund –«

»Schweig still!«, rief der andere Geselle und legte ihm die Hand auf den Mund.

»Wen nennt Ihr da?«, fragte das Weib hastig, und ihre Augen wurden licht und scharf. »Kennt Ihr ihn? Könnt Ihr mich zu ihm zurückgeleiten? Ich habe ihm ein Wort zu sagen.« Sie stampfte mit einem Fuße auf und warf trotzig ihren Kopf in den Nacken.

»Da gehen wir gleichen Weg in gleichem Amt«, nickte Vitalis. »Aber wieso, wenn Ihr zu seinem Gefolge gehört, streift Ihr allein hier vor der Stadt umher?«

151 Das Weib wies rückwärts nach dem Kirchlein, das hell in den wilden Rosenbüschen stand, und sagte: »Unsere liebe Helferin kann wohl Wunder tun, auch gegen Kardinäle.«

Vitalis und sein Gefährte schauten sich an, und ihre Mäuler standen weit offen. »Ihr seht aus wie zwei verdurstete Fische«, lachte das junge Weib.

»Meines Schauspiels dritte Persona ist gefunden, Bruder«, rief Vitalis aus und rieb sich die Hände. »Darf ich Euch ein wenig ausfragen, liebreizende Jungfrau? Und seht, das Lächeln blüht schon auf Euren Lippen!«

Das junge Weib nickte.

»Sahet Ihr im Gefolge jenes geistlichen Herrn eine dunkelhaarige Dirn in die Stadt ziehen?«

»Ob ich sie sah!«, rief das Weib.

»Ist sie nicht schön wie der erste Frühlingstag?«, fragte der andere Geselle hastig, aber darauf antwortete das junge Weib nicht.

»Schweig still«, zischte Vitalis. »Fragt man so? Du verdirbst alles. – Seht, nun gedenken wir eben dem Kardinal jenes dunkelhaarige Ding wieder wegzustehlen, – wollt Ihr uns helfen?«

152 »Ob ich will!«, rief freudig das Weib.

»So hört.« Und Vitalis erzählte auch ihr sein Schauspiel. Sie nickte zu allem, fügte selber da und dort ein Wort ein, – »ich kenne ihn; das trifft wie der Bolzen die Scheibe!«, lachte sie.

»Es ist gefährlich für Euch«, wandte der Geselle ein. »Weibsvolk darf nicht schauspielern, Ihr wißt es. Der Büttel ist rasch bei der Hand.«

»Der Kardinal wird auf den Knien vor ihm für mich um Gnade bitten, wenn ich es will«, sagte das junge Weib. Und obgleich über diesem Gespräch der Abend hereingebrochen war, sahen die beiden Gesellen doch noch auf ihrem weißen Gesicht ein ruhiges Lächeln.

Langsam und unter kurzweiligen Reden schritten die drei durch die Nacht, rasteten eine Weile im Kloster bei dem fahrenden Volk und machten sich dann auf den Weg nach der Stadt, immer von dem bevorstehenden Schauspiel sprechend. Am frühen Morgen kamen sie vor das Tor und auf ein Wort des jungen Weibes erhielten sie Einlaß.

153 »Wie sollen wir Euch nennen?«, fragte Vitalis.

»Ich heiße Maria«, sagte sie leise.

»Wie die Gottesmutter, die uns helfen mag«, fügte Vitalis hinzu. Und er wie sein Geselle zügelten ihre Reden, solange sie mit dem jungen Weibe zusammen waren, und erwiesen ihm alle Achtung in wohlgesetzten Worten und untadeligem Benehmen, wie sie es auf ihren weiten Fahrten abgeschaut und gelernt hatten. Das Weib aber ging ruhig in ihrer Mitte, und niemand in der Stadt, selbst nicht im dichtesten Gewühl, beleidigte es durch Blicke oder Zurufe, gleich als sähe es kein Mensch. –

Gegen Abend an diesem Tage, als der Kardinal Capranova mit seinen Freunden und seinem Gefolge tafelte, ließen sich drei Schauspieler bei ihm anmelden, die um die Erlaubnis baten, den hochedlen Herrn durch ein sinnreiches Gleichnis unterhalten zu dürfen.

»Sie kommen wie gerufen«, sprach der Kardinal. »Ein leckeres Mahl und ein witziges Spiel darnach: besser unterhält kein Wirt seine Gäste. Ich halte sonst wenig von 154 dieser Kunst, aber als letzten Gang bei der Tafel laß ich sie mir gefallen. Den Gauklern meinen geneigten Gruß, und die Komedia mag beginnen.«

Die Gesellschaft rückte zusammen, die Kelche und Pokale wurden mit rotem Wein neu gefüllt, dann ging die Türe auf, und herein traten die drei Schauspieler. Der eine Geselle stellte sich mit dem Weib in des Gemaches dunkelste Ecke, Vitalis aber tat langsam einige Schritte ins Zimmer, seufzte laut, faltete die Hände über seinem Bauch und hub an zu reden:

»Gott erbarme sich meiner Seele und aller geplagten Kardinäle. Welches Leben müssen wir führen –!«

Unter lautem Aechzen und Stöhnen brachte er seine Klagerede vor, verfluchte sein Geschick, das ihn ruhelos von Konzil zu Konzil treibe, ohne Rücksicht auf seinen gebrechlich zarten Leib und die Entbehrungen der langen Reisen.

»An fremden Orten, unwirtlichen Stätten, bei karger Speise, harten Betten, mit saurem Wein, – dies ist das Leben eines Kardinals, der sich auf Reisen begeben.«

155 Die Gesellschaft lachte, manche nickten und riefen: »Wahr, wahr spricht er!«

Vitalis aber fuhr fort: »Was soll ich in meinem Reisewagen wohl mit mir in die Fremde tragen?«

Er ging sinnend hin und her und schüttelte den Kopf. Da schlich sich sein Geselle an ihn heran und flüsterte:

»Euer Hausaltar ist von Silber schwer und nicht von seinem Ort zu rücken. Doch vor diesem Bildnis auch, seht her, tut sich ein Kardinal gern bücken!«

Er ging in die Ecke zurück, faßte das junge Weib an der Hand und führte es zu Vitalis mit den Worten:

»Gott nimmt es wohl nicht so genau mit einem Kardinal auf Reisen, er mag nun unsre liebe Frau oder sonst ein schönes Weib lobpreisen!«

Vitalis schnalzte fröhlich mit der Zunge und rief: »In solchem Heiligendienste täglich scheint mir die längste Reise erträglich! Hab Dank für deine guten Räte! Und will ich dich, sooft ich bete, meinen treuen Freund und Helfer nennen.«

156 Der Geselle grinste zur Seite und lachte laut : »Den Teufel nennen mich, die mich kennen!«

Jäh war der Kardinal von seinem Sitze aufgesprungen, Unruhe unter die Gäste gefahren, das Lachen stumm geworden; alle liefen durcheinander, der Kardinal schrie, man solle die Gaukler fassen; ein dunkelhaariges Weib trat zu Vitalis und flüsterte ihm zu: »Was hast du getan? Kommt, kommt rasch!«, und zog ihn und seine Gefährten zur Türe hinaus. Aber bewaffnete Knechte eilten ihnen nach, und am selben Abend saßen des erbosten Kardinals Schauspieler im Turm; jäh hatte so ihre lustige Komedia ein trübes Ende gefunden.

Vitalis nickte vor sich hin und sagte: »Ein Liebhaber handelt immer kopflos, und morgen werden wir es um unserer Tollheit willen auch sein.«

»Sahst du die Schwarze? Sie wollte uns helfen«, stöhnte sein Geselle. »So liebt sie uns doch.«

»Was seid Ihr so verzagt?«, tröstete sie das junge Weib und lachte. »Unser Spiel ist nicht zu Ende; noch habe ich kein Wort in meiner Rolle gesprochen.«

157 Aber sie konnte ihren Sinn nicht erheitern. »Ich muß wohl für euch handeln«, sagte sie zuletzt.

»Für dich und uns! Aber wundermächtig mußt du sein, wenn es uns nützen soll«, spotteten sie kleinmütig.

Während der hohe Rat der Stadt am nächsten Tage für das Vergehen die strenge Strafe besprach, ließ der Geheimschreiber des Kardinals vor den ehrwürdigen Herren um Gehör bitten und sprach, als er vorgelassen wurde, folgende Worte zu ihnen: »Nicht liegt es im Sinne meines gnädigen, erlauchten Herrn, die Strafe der Uebeltäter durch seine eigene, obzwar berechtigte Entrüstung zu verschärfen; er gedenkt vielmehr für die von Gott verlassenen Sünder vor euch ein mildes Wort der Gnade einzulegen und beantragt, sie nach erfolgtem Bußgang aus der Stadt zu weisen, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, ihre losen Zungen weiter zu gebrauchen, sei es im Komediaspielen oder aber in einer Verteidigungsrede, die bei einer weiteren Verfolgung ihres Vergehens notwendigerweise angehört werden müßte.«

158 Nach dieser klugen und milden Rede schüttelten zwar einige der Ratsherren ihre Häupter und brachten Bedenken gegen eine solche Rechtspflege vor, da aber der Kardinal sich weigerte, jemals als Kläger aufzutreten, entsprach die Mehrheit des Rats seinem Vorschlag und beschloß, die Missetäter in kürzester Frist aus der Stadt zu schaffen und so jedem weiteren Unfug vorzubeugen.

Zur Zeit, da alle die fremden Herren in der Münsterkirche die Morgenmesse anhörten und viel Volk auf dem großen Platze versammelt war, um sich den prunkvollen Zug all dieser Würde und Heiligkeit staunend zu beschauen, bewegte sich ein minder großartiges und frommes Trüpplein vom Turme her durch die Straßen der Stadt nach dem Münsterplatz hinauf, wo es gerade eintraf, als die Pforten der Kirche aufgetan wurden und die fremden, gewaltigen Herren heraustraten.

Zwei Häscher, in schwarzen und weißen Wämsern und mit Spießen in den Händen, schritten voran und schoben das gaffende Volk zur Seite. Dahinter gingen barfuß und barhaupt, in langen, weißen Gewändern, 159 die armen drei Sünder, zwischen den beiden Gauklern das junge Weib, und trugen brennende Kerzen in den Händen, die ihnen im Luftzuge heiß auf die Finger tropften. Zum Schlusse kamen wieder zwei Büttel, mit barschen, grämlichen Gesichtern unter den Eisenhauben. Während aber die beiden fahrenden Schüler bleich und mit schlotternden Gliedern daherwankten, im Ungewissen darüber, ob der Gang zum Richtplatz oder in die Freiheit führe, schritt ihre Mitschuldige aufrecht und ruhig dahin, nur die Stirne vor den spottenden Blicken ein wenig gesenkt und gerötet und mit der freien Hand das flackernde Lichtlein beschützend.

»Stellt euch hier zur Seite«, herrschten sie die Häscher an, mißmutig über die Störung, welche der breite Zug der Geistlichkeit vor der offenen Kirchenpforte hervorbrachte. Mit strengen Gesichtern gingen die fremden Herren an den drei Uebeltätern vorbei und wandten ihre Augen beleidigt weg, wenn aber von den jüngeren Pfaffen oder den Rittern einer das Angesicht des Weibes erblickte, stutzte er und staunte ob der makellosen Schönheit, die hier in den Kleidern der 160 Schmach und der Buße vor allem Volk sich demütigen mußte.

Mit einem Male ging ein leiser Ruck durch das junge Weib, daß selbst seine verängstigten Gefährten zur Linken und Rechten es spürten und zu ihm aufsahen: sein Nacken wurde steil, seine Stirne hob sich hoch, die Lider schlugen sich frei von den glänzenden Augen empor und sein Blick flog herrisch dem wälschen Kardinal entgegen, der im Zuge dahinschritt, leise und lächelnd zu seinem Nachbar sprechend, als ob er die Sünder nicht sähe, die am Vorabend vor seiner reichen Tafel eine so bittere Komedia gespielt hatten.

»Was geschieht?«, schrie man aus dem Volk. Gedränge und Rufen erhob sich. »Der Kardinal ist hingestürzt.« »Nein, nicht hingestürzt«, gellte eine Stimme, »er ist vor den büßenden Gauklern auf die Knie gesunken.« Die Büttel mußten ihre Spieße gebrauchen, um den drängenden Haufen zurückzuzwängen. »Er beugt seine Stirne in den Staub vor dem einen der Sünder!« »Das ist ein Weib –.« »Ein Weib, er kniet vor einem Weibe!«

161 Getöse erfüllte den Münsterplatz. Der Kardinal wurde in seine Herberge getragen; er lebte, aber seine Glieder waren reglos, sein Mund ohne Laut.

Als die drei Sünder in aller Hast zum Turm zurückgeführt worden waren und noch am Abend des gleichen Tages vor dem geistlichen Gerichte standen, hub das junge Weib zu sprechen an und sagte:

»Was haltet Ihr noch länger diese beiden armen, unschuldigen Schüler gefesselt und gefangen, die schon hart genug ihr geringes Vergehen mit Angst und Schande gebüßt haben? Ich, die ich einen Kardinal zu meinen Füßen in den Staub gebeugt habe, hatte wohl auch die Macht, diese zwei Gesellen an meiner Seite in ihr Verderben zu führen, und bin also allein schuldig. Laßt sie laufen, ehe sie ganz vom Witz und Leben kommen!«

Hastig und schlau fragte ein Pfaffe: »Du bekennst also, allein die Schuld zu tragen daran, daß der ehrwürdige Kardinal vor dir sein Knie gebeugt, wie es Sitte ist nur vor dem Bildnis unserer lieben Frau oder einer Heiligen?«

162 »Ja«, sagte das junge Weib laut, und das Lächeln wich nicht von seinen Lippen.

»Sie hat bekannt und sich gerühmt, gleichzustehen mit unserer lieben Frau oder einer Heiligen«, flüsterten die Richter und verließen kopfschüttelnd das Zimmer. »Morgen fressen die Flammen einen schönen Leib und peinigen die Teufel eine verlorene Seele.«

Die beiden Gaukler aber wurden noch nicht freigelassen, obwohl sie schuldlos erkannt waren. Sie mußten vielmehr selber den Bütteln helfen, das Reisig zum Holzstoß heranzuschleppen und aufzuschichten, was sie unter Zähneklappern und Stöhnen verrichteten.

»Sie hat ihr Wort gehalten und wahrlich für uns gehandelt«, keuchte Vitalis und reichte seinem Gesellen einen Bündel Reisig.

»Sie läßt ihr Leben dafür«, wimmerte der andere und stieß das Gezweig dicht an den Pfahl, von dem schon die eisernen Handschellen an den Ketten herunterhingen.

»Lauft, für diesmal«, schrie ihnen der Büttel zu, als der Scheiterhaufen geschichtet war. »Dem Galgen entrinnt ihr doch nicht; Vögel wie ihr fliegen früher oder später 163 auf den Ast, welcher dürr ist und doch die saubersten Früchtlein trägt!«

Da aber schon das Volk sich neugierig auf dem Platze zu sammeln begann, verbargen sich die beiden Gesellen in der Menge und gedachten, das unselige Schauspiel, das sie ja selber ausgeklügelt hatten, bis zum Ende anzuschauen. Und keiner sagte ein Wort zum andern, auch vermieden sie es, sich in die Augen zu blicken.

Mit einem Male legte sich Stille über die tausend Köpfe, und als sich Vitalis und sein Gefährte auf die Zehen erhoben, sahen sie einen groben Karren, der von einer knochigen Mähre gezogen wurde. Ein rotwamsiger Scherge führte das Roß am Halfter, auf dem holpernden Leiterwagen aber saß die Sünderin und schaute über alles Volk hinweg. Und nun nickte sie ihren beiden Gefährten ganz leise zu, unmerklich für alle Augen, die auf ihr ruhten, und nur den armen Gesellen verständlich, welche von diesem letzten Gruß der ruhigen Augen als wie von Mittagssonne tief durchwärmt und geheilt wurden. Kummer und Angst wich von ihnen, und der Platz, der ihnen eben noch düster und abendtrüb 164 vorgekommen war, erfüllte sich vor ihren staunenden Augen mit einem Licht, wie sie es nie zuvor gekannt hatten. So sahen sie kaum, wie das Weib auf den Holzstoß trat und an den Pfosten festgebunden wurde, und erst als der Rauch und Qualm hoch emporstieg, erblickten sie noch einmal durch eine Ritze wie durch einen zur Seite geschobenen Vorhang hindurch den schlanken Leib in den züngelnden Flammen als wie auf einer Woge von blutroten Rosen schweben. Und das Volk lief langsam auseinander.

Bis in die späte Nacht hinein rauchte der Scheiterhaufen. Da erscholl aus einer der stillen Gassen Getöse wie von laufenden Schritten und Stimmengewirr, und auf den halbdunkeln Platz strömte ein Haufen erregter Menschen, fahrendes Volk, Weiber, Mönchskutten und Gaukler durcheinander, allen voran die schwarzhaarige Dirn, um welche die beiden Gesellen ihre Komedia vor dem wälschen Kardinal gespielt hatten.

»Das Kirchlein in den Rosen steht leer«, schrien sie. »Habt ihr unsere liebe Frau erblickt? Sicher hat sie irgendwo ein Wunder getan.«

165 Seufzend wiesen die beiden Gesellen auf den verglimmenden Holzstoß: »Irgendwo, vielleicht; nur nicht an dieser Stätte.« Als sich aber alle hinzudrängten, sahen sie über der erlöschenden Glut rein und leise schimmernd das Bildnis unserer lieben Frau aus der Asche emporragen, unberührt von Feuer und Rauch, lächelnd, wie sie es immer in den wilden Rosen erblickt hatten. Und alle beugten still und staunend ihre Kniee.

Später in der Nacht hoben es die beiden Gesellen auf ihre Schultern und trugen es durch die schlafenden Gassen davon; hinter ihnen ging, lachend und weinend zugleich, die schwarzhaarige Dirne, und in langem Zuge folgten die Gaukler und Bettler, die Scholaren und Landfahrer, die Weiber und Spielleute, alle, die mit ihren brotlosen Künsten zum großen Konzil in die Stadt am Rhein gepilgert waren. Als sie an der Herberge des Kardinals vorbeikamen, sahen sie in einem der Fenster ein blasses Lichtlein flackern und geschäftige Aerzte hin und her eilen; der wälsche Gast aber tat seine letzten Atemzüge, und an seinem Lager standen manche der hohen geistlichen Herren und 166 sprachen seiner entfliehenden, verzagten Seele weisen Trost zu.

Unbehelligt verließ der Zug die Stadt, das Tor stand offen und die Wache schlief, und als sie auf dem Landwege nach dem stillen Tale und den wilden Rosen wanderten, huben sie an ihre Lieder in den mannigfaltigen Sprachen aller Länder zu singen, und weit in der lauen, dunkeln Nacht verklang der Ton ihrer Fiedeln und Stimmen.


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