Kurt Martens
Roman aus der Décadence
Kurt Martens

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Vorwort

Als dieser »Roman aus der Décadence« vor fünfundzwanzig Jahren – zuerst in dem von Otto Erich Hartleben herausgegebenen »Magazin für Literatur«, dann im Verlag F. Fontane & Co. als Buch – veröffentlicht wurde, war Décadence ein verdächtiges Modewort, dem man nur eine halbironische Bedeutung zugestand. Erfreute sich Deutschland nicht politisch, wirtschaftlich und kulturell seiner höchsten Blüte? Die sich am sichersten fühlten, spielten am leichtfertigsten mit den Begriffen von Niedergang und Zusammenbruch, gleich jener Gesellschaft des französischen ancien régime, die ungläubig spottete: Après nous le déluge! Das Erstlingswerk eines jungen Schriftstellers aber wollte die Décadence ernst genommen wissen. Weder warnen noch hetzen wollte er, sondern nur darstellen.

Eine Sittenschilderung entstand, ein Zeitroman, ein kleines deutsches Weltbild, das sich ebensogut wie in Leipzig in Berlin, Hamburg oder München hätte spiegeln können.

Inzwischen ist jene Frucht vom Ende des Jahrhunderts, von der wir so behaglich schmausten, überreif zu 6 Boden gefallen. Der Wurm – es war also wirklich einer da! – wurde herausgeschält. Aus ist es mit der Kultur des fin de siècle. Wir müssen – leider und Gottseidank! – wieder einmal von vorn anfangen.

Das Werk, das die Reihe meiner Gesammelten Romane und Novellen eröffnet, ist unversehens aus einem Zeitroman zu einem historischen Roman geworden. Zum mindesten sind die Anschauungen und Lebensgewohnheiten seiner Gestalten nun historisch zu werten. Reste davon haben sich erhalten, doch auch über sie ist das Urteil des Volkes bereits gesprochen; sie sterben sichtlich ab, oder werden von der Not der Zeit und einer neuen Gesetzgebung bald hinweggeräumt werden.

Vor fünfundzwanzig Jahren sagte ich: So sind die Zustände, so lebt die Gesellschaft, so geht es bei der Masse zu, so denken die Einzelnen. So sieht es bei uns aus, sagte ich damals. So sah es aus, sage ich heute (und Wenige werden mir noch widersprechen) – das ist der ganze Unterschied.

Doch nein! Auch der Verfasser ist ein anderer; denn er ist doppelt so alt geworden, als er damals war. Zwar bekennt er sich noch zu den Tatsachen, die er erzählte, zu der Echtheit der Menschen, die ihn damals bewegten, zu der Kunstform, die sich ihm aufdrängte. Nur erscheint ihm heute alles in milderem Lichte: der Bürger will ihm weniger verstockt, der Revolutionär 7 weniger kühn, die Intelligenz weniger intelligent vorkommen. Grelle Farben dämpften sich, harte Töne verwischten sich, schon ist das ganze Gemälde etwas nachgedunkelt, und über keck aufblitzendem Metall hat sich Patina gebildet.

Zu betonen ist heute wie ehedem: Der Roman, wiewohl in der Ich-Form vorgetragen, ist keine Autobiographie. Sein Held Just ist keineswegs identisch mit dem Verfasser, wenn auch beider Ideen und Erlebnisse sich teilweise deckten. Just ist ein vom Autor objektiv gebildetes, von ihm losgelöstes und kritisch betrachtetes Geschöpf der Phantasie. Der Ablauf einer Generation hat beide nur um so weiter voneinander entfernt. Was Just beobachtet und erzählt, wird von seinem Schöpfer auch jetzt noch vertreten. Die Schlüsse aber, die Just daraus zieht, läßt der Verfasser auf sich beruhen und spricht dieser amoralischen Erscheinung so wenig seine Billigung aus wie der revolutionären des Dimitri. Der eine war kein Narr, der andere kein Schurke. Was sie dachten, fühlten, wollten, war eben nur typisch für ihre Zeit, daher bemerkenswert.

Die Frauen und Mädchen aber? Ach, ihre Natur bleibt wohl die ewig gleiche. »Nach Sitte strebt das Weib« auch in Epochen der Sittenlosigkeit. Sein Instinkt erhält sich konservativ, auch wenn er zwischendurch einmal hysterisch revoltiert. Des Weibes Liebesspiele 8 stimmen im Zeitroman auf ein Haar mit denen aus einer Geschichte von vor fünftausend Jahren überein. Man darf sich, ja man soll sich darüber entrüsten, kann ihnen aber doch nicht gram sein; er ist das bindende und zerstörende Element in jeder Gesellschaft.

Eine neue Generation wuchs in unserm Vaterland heran, ganz unähnlich der vorigen, die in ihrer Genußsucht und ihrem Übermut so schwer erkrankte, so bitter verarmte. Der alternde Verfasser des »Romans aus der Décadence« kennt und versteht sie, liebt diese Jugend über alles. Gläubig und ehrerbietig grüßt er ihre Ideale, die auch die seinen wurden. Sind es doch jene »Alten Ideale«, denen er in einer Roman-Trilogie gehuldigt hat, einer Trilogie, die dem »Roman aus der Décadence« auch in der Gesamtausgabe folgen wird.

In die Hände der Jugend lege ich dies mein frühes Buch, daß sie erkennen möge, welches die Sünden ihrer Väter waren. Zum Heil der Söhne wurden schon an den Vätern selbst deren Sünden heimgesucht. Deshalb wird die Jugend, solange sie auch noch die Folgen spüren mag, davon erlöst bleiben, vorausgesetzt, daß sie die Spuren meidet, die den deutschen Geist noch jedesmal in den Abgrund führten.

München, im Februar 1922

Kurt Martens

 


 


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