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Neunundsiebzigstes Kapitel

Den Abenteuern des armen Kophagus setzt ein toller Stier, den meinigen aber der Ehestand eine Grenze. Mein Vater führt sich recht gesittet auf, und mein Quäkerweibchen wird die fashionabelste Frau in ganz London. Wahrlich, mmh!

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Ach, wenig ahnte Herr Kophagus, als er an diesem Tage seine hellen Baumwollenen anzog, wie verhängnisvoll sie für ihn werben würben. Er hatte ungefähr zwei Dritteile seines Heimwegs nach Welbeckstreet, wo er wohnte, zurückgelegt, als er in einer zu Oxfordstreet führenden Straße einen Auflauf bemerkte. Er blickte hin, um die Ursache zu erfahren, da entdeckte er mit kaltem Entsetzen – für ihn den schrecklichsten der Schrecken – einen tollen Stier. Wenn irgend etwas Herrn Kophagus laufen machen konnte, so war es dieser Anblick. Auch lief er redlich, aber die gestrickten Beinkleider und die engen Halbstiefel hinderten ihn bei jedem Schritt. Der Stier suchte ihn, wie mit recht geflissentlicher Bosheit, aus Hunderten, die ihre Behendigkeit versuchten, heraus, und abermals fand sich der arme Mr. Kophagus von den Hörnern einer tollen Bestie in die Höhe geschleudert, wobei glücklicherweise seilt Fall dadurch gebrochen wurde, daß er auf einen großen Hund herabfiel, der in vollem Laufen begriffen war. Der Hund konnte nicht unter dem unglückseligen Manne hervorkommen, war aber dabei doch imstande zu beißen, von welcher Freiheit er einen rasenden Gebrauch machte, während der Fleischer, dem sein Hund am Herzen lag, ebenfalls seine Wut an dem armen Kophagus vermittelst eines Stockes ausließ, womit er ihm mehrfache Hiebe auf den Kopf versetzte. Nachdem er so zwischen dem Stier, dem Hund und dem Fleischer in der Klemme gewesen war, wurde er kläglich zugerichtet in einen Laden gebracht. Nach einiger Zeit kam er wieder zu sich, und als er endlich seine Wohnung anzugeben vermochte, trug man ihn nach Hause.

Gleich darauf, spät abends, erhielt ich einige Zeilen von Susanna, die mir das unglückliche Ereignis meldete. Eben hatte mein Vater einen langen Sermon über kindliche Pflichten, Landmädchen, gute Frauen und dergleichen mit der Nachricht beendigt, daß er nebst Mr. Masterton die junge Miß Temple für eine sehr gute Partie halte, und da ich die Wahl in seine Hände gelegt, demgemäß besagte Dame für mich auserlesen habe. Ich meinerseits hatte soeben meinen Gehorsam durch das Versprechen bewiesen, daß ich mein möglichstes thun wolle, sie zu lieben und seine Wünsche zu erfüllen, als das Billet in meine Hände kam. Ich las es, berichtete meinem Vater den Inhalt, warf mich mit seiner Bewilligung in eine Mietskutsche und fuhr nach Welbeckstreet.

Bei meiner Ankunft fand ich die arme Frau Kophagus ohnmächtig in Susannas Händen. Ich sandte nach dem Wundarzte, den man hinzugezogen hatte, und ging zu Herrn Kophagus hinauf, welchen ich weit besser, als ich erwartete, überdies ruhig und ganz bei Besinnung antraf. Seine Wunden waren von dem Chirurgen verbunden worden; übrigens schien er die Schwere der erlittenen Verletzungen nicht zu kennen. Als der Wundarzt kam, befragte ich ihn und erfuhr, daß trotz aller Verletzungen keine Gefahr zu besorgen sein werde, da nirgends ein Bruch stattgefunden habe; »man könne höchstens eine innerliche Verletzung befürchten, worüber sich jedoch für den Augenblick nichts Bestimmtes sagen lasse.« Ich dankte ihm und tröstete Frau Kophagus mit dieser Nachricht. Dann kehrte ich zu ihrem Gatten zurück; dieser aber schüttelte den Kopf und murmelte, als ich ihm das Ohr hinhielt: »dachte mir's – komme nach London – nichts als tolle Stiere – gestoßen – sterben und so.«

»O nein«, erwiderte ich, »der Wundarzt sagt, es habe keine Gefahr. In einer Woche werden Sie wieder auf sein, nur müssen Sie sich inzwischen recht ruhig verhalten. Ich will Ihnen Mrs. Kophagus herauf senden.«

Ich verließ ihn. Da ich seine Frau beruhigt fand, bat ich sie, zu ihrem Gatten zu gehen, der nach ihr verlange, und blieb mit Susanna allein. Ich unterrichtete sie von allen bisherigen Vorfällen und kehrte nach zwei seligen Stunden in das Hotel zurück. Mein Vater war einige Zeit aufgeblieben, hatte sich aber, da ich ihn vergebens warten ließ, zur Ruhe begeben. Als ich ihn am andern Morgen sah, teilte ich ihm den Bescheid des Chirurgen mit, fügte jedoch hinzu, daß man nach meiner Ansicht für einen Mann in so vorgerückten Jahren alles zu befürchten habe. Mein Vater war mit mir einverstanden, konnte aber nicht umhin, mir zu verstehen zu geben, was ich hier für einen guten Anlaß zu Aufmerksamkeiten gegen Miß Temple habe, da es ja ganz natürlich sei, daß ich einem so alten Freunde wie Kophagus meine Teilnahme beweise. Meine kindlichen Gefühle gaben mir die Antwort ein, daß ich mich allerdings einer so günstigen Gelegenheit nach Kräften bedienen wolle.

Meine Abenteuer gehen jetzt zu Ende. Ich will drei Monate überspringen. In dieser Zeit hatte mein Vater ein Haus in Grosvenor Square bezogen und ausgestattet, während ich meine Muße dazu verwendete, mich unter Lord Windermears Auspizien als Mr. De Benyon wieder in die Welt einführen zu lassen. Ich durfte bald gewahren, daß mein neuer Name als höchst achtbar angesehen wurde. Die Tische in meines Vaters Vorhallen bedeckten sich mit Karten; ich erhielt sogar zwei Einladungen zu Tische von Lady Maelstrom, welche mir meldete, ihre lieben Nichten hätten, nachdem ich verschwunden sei, sich sehr mit meinem Schicksal beschäftigt, und es sei zu befürchten gewesen, daß Emma die Schwindsucht bekomme. Während dieser drei Monate waren Cäcilie und Susanna ein so unzertrennliches Paar geworden, wie es bei den meisten jungen Damen der Fall ist, wenn jede ihren Liebhaber, und keine einen Grund zur Eifersucht hat. Herr Kophagus hatte sich so weit erholt, um wieder aufs Land gehen zu können, wobei er zum großen Kummer seiner Frau das Gelübde that, niemals wieder einen Fuß nach London zu setzen. Er fragte mich, ob ich nicht irgend einen Ort wisse, wo es keine tollen Stiere gebe, und ich zerbrach mir den Kopf, um einen solchen für ihn ausfindig zu machen, jedoch vergebens: denn wenn er selbst bis an den Nordpol gegangen wäre, so würde er dort zwar keinen Stier, aber doch den Bison und Muscus, welche noch weit gefährlicher sind, gefunden haben. Hierauf erklärte er, dies sei keine Welt, worin man leben könne, und um zu beweisen, daß es ihm mit seiner Meinung Ernst sei, starb der arme Schelm ungefähr ein Vierteljahr nach seiner Rückkehr auf das Land an einer Entkräftung, welche die heftige Nervenerschütterung ihm zugezogen hatte. Aber noch ehe dieses Vierteljahr vorüber war, sollten, so hatte man festgesetzt, Harcourt und ich an einem Tage getraut werden. Ich erneuerte meine Bekanntschaft mit dem guten alten Bischof, den ich einst als meinen vermeintlichen Vater überfallen hatte, und er verband uns mit unsern Bräuten. Mein Vater übermachte mir die bereits erwähnte Summe; Herr Masterton gab meiner Susanna zehntausend Pfund, und ebenso hoch belief sich ihr eigenes Vermögen mit der Anwartschaft auf das, was sie von Herrn Kophagus nach dem Ableben seiner Witwe zu erwarten hatte. Timothy kam zur Hochzeit. Ich setzte ihn förmlich in den Besitz meiner Apotheke samt Warenvorrat, und er hat jetzt ein blühendes Geschäft. Obgleich seine Mutter noch nicht entdeckt ist, hat er doch eine sehr niedliche Frau gefunden, was, wie er meint, ebenso gut, wo nicht noch besser sei.

Man glaube ja nicht, daß ich der hübschen Kathlin, welche sich bald nachher an Corny verheiratete, ihre Dienste vergessen hätte. Ein kleines Pachtgut auf Flitas Ländereien wurde ihnen zu so niedrigen Zinsen zugewiesen, daß Corny schon nach wenigen Jahren in den Stand kam, es zu kaufen, und infolge seines Wohlstandes aus einem Aufrührer eine von den festesten Stützen der Regierung wurde.

Ich lebe nun in demselben Hanse mit meinem Vater, welcher sehr glücklich ist und sich äußerst wohl verhält. Er bekommt selten mehr als zweimal in der Woche seine Berserkerwut, was wir als ein großes Wunder ansehen. Während ich gegenwärtige Zeilen schreibe, hat er seine beiden Enkel auf den Knieen. Mrs. Kophagus ist an einen Kapitän in der Leibgarde verheiratet und macht, was Mode und Kleider anbelangt, wie man wohl sagen kann, alles mit. Zum Schlusse will ich, da meine Leser ohne Zweifel neugierig sein werden, ob meine liebenswürdige Gattin noch ihrer früheren Art, sich zu kleiden, anhängt, einen kleinen Wortwechsel bloß mitteilen, welcher gestern Abend stattfand, als sie, für einen glänzenden Ball bei Mrs. Harcourt De Clare geputzt, zu mir hereintrat.

»Da sieh, De Benyon«, sagte sie: »ist das nicht ein hübscher Anzug?«

»Ja, meine Teure«, erwiderte ich, die bezaubernde Gestalt mit all' der Bewunderung, welche sonst nur in den Flitterwochen üblich ist, betrachtend: »recht hübsch; aber meinst Du nicht, Suschen«, fuhr ich fort, mit der Spitze meines weißen Handschuhs auf ihre schneeige Schulter tippend, »daß das Kleid ein wenig zu weit ausgeschnitten sei?«

»Zu weit, De Benyon? o nicht halb so weit als Mrs. Harcourt De Clare und Lady C... ihre Kleider tragen.«

»Nun gut, meine Liebe, ich behauptete nicht, daß es der Fall sei; ich fragte ja nur.«

»Wohlan, wenn Du nur belehrt sein wolltest, De Benyon, so laß Dir sagen, daß es nicht zu weit ausgeschnitten ist. Ich hoffe, Du werdest meine Meinung in diesem Punkte für entscheidend anerkennen, denn wenn ich auch keinen andern Anspruch machen darf, so habe ich doch das Verdienst, die bestgekleidete Frau in London zu sein.«

»Wahrlich, Du überzeugest mich, Susanna!« erwiderte ich.

»Willst Du still sein, De Benyon?«

Als wohlerzogener Ehemann verbeugte ich mich, ohne ein Wort weiter zu reden. Und nun, da ich nichts mehr hinzuzufügen habe, mache ich den Lesern gleichfalls meine Verbeugung und sage ihnen Lebewohl.

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Ende.


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