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Vierundzwanzigstes Kapitel

Der Major lehrt mich Whist spielen, und zwar so, daß man nie verlieren kann, indem man nämlich immer gegeneinander und einander in die Hände spielt.

————

Am andern Tag begab ich mich zum Bankier, zog hundert fünfzig Pfund und reiste mit Timothy nach ***, wo mir Flita, vor Freude schluchzend, in die Arme stürzte. Als ich ihr sagte, Timothy sei draußen und wünsche sie zu sehen, fragte sie, warum er nicht hereinkomme. Hier gab sie nun einen Beweis, wie sehr an stillschweigende Beobachtung sie gewöhnt war, denn sie drückte, als er in seiner Livree vor ihr erschien, nicht die mindeste Verwunderung in ihren Mienen aus, noch richtete sie irgend eine Frage darüber an mich. Die Vorsteherin der Schule sprach mit großem Lobe von ihrer Gelehrigkeit und ihrem Eifer. Als sie bald hernach das Zimmer verließ, nahm Flita jene Kette vom Halse und sagte, es sei ihr eine Erinnerung gekommen, die sich an dieselbe knüpfe, nämlich die Dame, deren sie sich entsinne, habe ein paar lange Ohrgehänge von derselben Arbeit und demselben Stoffe getragen. Weiter aber war ihr nichts mehr eingefallen. Ich blieb drei Stunden bei der Kleinen, kehrte dann nach London zurück, ließ mein Gepäck aus der Piazza holen und nahm meine Wohnung bei Major Carbonnell.

Dieser hielt sein Versprechen. Wir lebten freilich gut, denn er konnte nicht anders leben; aber sonst suchte er so viel als möglich Ersparnisse zu machen. Die Saison war jetzt vorüber, und jede Person von Stande verließ die Stadt. Dableiben war nicht möglich, ohne an Ansehen zu verlieren; wir hielten also Rat, wohin wir uns wenden sollten.

»Newland«, sagte der Major, »Sie haben während dieser Saison ein für meine Protektion höchst ehrenvolles Aufsehen gemacht, aber im nächsten Frühling, hoffe ich, werden Sie eine gute Partie machen; denn glauben Sie mir, unter den vielen herzlosen Wesen, bei denen wir uns umgetrieben haben, giebt es immer noch Ausnahmen, nicht bloß Töchter, sondern selbst Mütter, welche sich nicht von schnöden, häßlichen Absichten leiten lassen.«

»Wie, Carbonnell! niemals hab' ich eine so lange moralische Rede von Ihnen gehört.«

»Mag sein, Newland, und werden auch wohl nicht sobald wieder eine hören. Die Welt ist meine Auster, die ich öffnen muß, um zu leben; aber bedenken Sie, daß ich bloß versuche, das Meinige wieder zu erlangen, was die Welt mir abgeschwindelt hat. Es gab eine Zeit, wo ich noch uneigennütziger, zutrauensvoller, unschuldiger war, als sogar Sie zu der Stunde, da ich Sie unter meine Auspicien nahm. Meine guten Eigenschaften haben mich in Leiden und Verderben gestürzt; jetzt, da ich sie abgedankt, führe ich das beste Leben. Wir müssen die Welt mit ihren eigenen Waffen bekämpfen, aber sie hat, wie ich vorhin sagte, immer noch einiges Gute, noch etwas Erz unter den Schlacken, ja, es ist möglich, neben hohem Rang und großem Vermögen zugleich eine unschuldige Seele zu finden. Wenn Sie heiraten, so will ich alles aufbieten, bis Sie beides besitzen; – nicht daß Reichtum für Sie von besonderem Gewicht sein sollte.«

»Verlassen Sie sich darauf, Carbonnell, ich werde nie eine Heirat ohne Reichtum schließen.«

»Ich wußte nicht, daß ich Sie so gut geschult habe. Nun denn, es ist ganz löblich, daß Sie auf den Reichtum Bedacht nehmen; er soll ein Item bei der Partie ausmachen, wenn ich irgend meine Hand im Spiel haben kann.«

»Aber warum ist Ihnen denn so sehr daran gelegen, daß ich heiraten soll?«

»Weil ich denke, Sie werden alsdann den Spieltisch vermeiden, zu welchem ich selbst, wären Sie bei Eröffnung unserer Bekanntschaft im Besitz Ihres Vermögens gewesen, Sie geführt und gemeinschaftlich gerupft haben würde. – Jetzt aber, da ich Sie näher kenne, habe ich eine Neigung zu Ihnen gefaßt, die es nicht mehr zugiebt, daß Sie das Ihrige verlieren sollen; denn bedenken Sie, Newland, mein Anteil an dem Raube würde nicht mehr ausmachen, als was ich bereits von Ihnen habe und noch bekommen kann. Wenn Sie aber heiraten und sich häuslich niederlassen, so giebt es immer ein gutes Haus und einen guten Tisch für mich, so lange ich Gnade bei Ihrer Frau finde, und jedenfalls einen Freund in der Not – davon bin ich fest überzeugt. Sehen Sie, da haben Sie meine Gründe: einige schmecken nach meiner früheren Uneigennützigkeit, andere nach meinem jetzigen Weltsinne. Sie haben die Wahl, welchen von beiden Sie glauben wollen.« – Lachend beschloß der Major mit diesen Worten seine Rede.

»Carbonnell«, erwiderte ich, »gern will ich glauben, daß die bessern Gefühle vorherrschen, daß nur die Welt Sie zu dem gemacht hat, was Sie sind, und daß, wenn die Welt Sie nicht zu Grunde gerichtet hätte, Sie uneigennützig und edel sein würden. Selbst jetzt gewinnt Ihr wahrer Charakter noch oft die Oberhand, und alles, was in Ihrem Thun nicht zu entschuldigen ist, kommt, ich bin davon überzeugt, von Ihrer Armut, nicht von Ihrem schlechten Willen her. Jetzt, abgestumpft durch Zeit und Gewohnheit, wird Ihnen Ihr Gewissen nicht mehr viel Unruhe machen.«

»Sie haben ganz recht, mein lieber Junge; auch lassen Sie mir, indem Sie eine bessere Meinung von mir hegen, als die Welt im allgemeinen, bloß Gerechtigkeit widerfahren. Ich will Ihr Vermögen wo möglich nicht verschleudern, wenn Sie in seinen Besitz gelangen; Sie werden gestehen, daß das meinerseits ein sehr löbliches Versprechen ist.«

»Ich fordere Sie auf, mein Vermögen zu verschleudern!« rief ich lachend.

»Nein, thun Sie's nicht, Newland; sonst bringen Sie mich in den Zug! Vor allem bieten Sie mir keine Wette; das wäre noch gefährlicher. Wir haben, seit wir zusammen leben, von den tausend Pfund nicht mehr als vierhundert ausgegeben, was ich für sehr ökonomisch halte. Was meinen Sie, sollen wir nach Cheltenham gehen? Da finden Sie eine Menge irischer Mädchen, die sich nach Männern umsehen, und bei denen Sie eine gute Aufnahme finden werden.«

»Ich hasse solche Vermögens- und Heiratsjägerinnen«, sagte ich.

»Ich gebe zu, daß sie sich nach guten Partieen umsehen, wie alle Welt; aber lassen Sie mich gerecht gegen sie sein. Obgleich sie auf Ihren Antrag schon am dritten Tag Ja sagen würden, so sind sie, einmal verheiratet, die besten Weiber in der Welt. Vergessen Sie übrigens nicht, daß wir irgend wohin gehen müssen; da ist, denk' ich, Cheltenham so gut, wie jeder andere Ort, – ich will nicht sagen, für eine Werbung, sondern – es paßt mir in meinen Kram.«

Diese letzte Bemerkung entschied über mich. Nach wenigen Tagen waren wir in Cheltenham, erschienen in den Salons und bewegten uns bald im Strudel der großen Welt.

»Newland«, sagte Carbonnell, »die Zeit wird Ihnen lang an diesem einförmigen Orte.«

»Nicht im mindesten!« versetzte ich. »Mit Essen, Tanzen, Spazierengehen fülle ich sie trefflich aus.«

»Wir müssen aber einen bessern Zeitvertreib haben. Sagen Sie mir, sind Sie ein guter Whistspieler?«

»Ganz und gar nicht. Wahrhaftig, das Spiel ist mir kaum bekannt.«

»Sie müssen es lernen, das ist eine fashionable und notwendige Eigenschaft. Ich muß Sie zum Meister darin machen; unsere Morgenstunden sollen dieser Beschäftigung gewidmet sein.«

»Gut!« erwiderte ich; und seit diesem Tage spielten wir jeden Morgen vom Frühstück an bis vier Uhr bei verschlossenen Thüren. Da der Major Meister war, so hatte ich bald alle Feinheiten des Spiels gelernt.

»Ihr Kursus ist fertig, Newland«, sagte er eines Morgens, die Karten bei Seite schiebend. »Nun hören Sie: wenn man Sie zum Spiel auffordert und ich die Partie annehme, so schlagen Sie sie niemals ab; aber wir müssen immer gegeneinander spielen.«

»Das wird uns wenig eintragen«, erwiderte ich; »denn wenn ich gewinne, so verlieren Sie ja.«

»Lassen Sie sich das nicht anfechten; folgen Sie nur meinen Anweisungen und spielen Sie so hoch, als die Leute es haben wollen. Wir bleiben nur noch drei Wochen hier und müssen unsere Zeit aufs beste benützen.«

Ich gestehe, daß ich nicht begreifen konnte, was der Major im Sinne hatte; indessen gingen wir jeden Abend in den Klub. Da wir uns nie zuvor dort hatten blicken lassen, so hielten uns diejenigen, die den Major nicht kannten, für Neulinge, und wir wurden alsbald zum Spielen aufgefordert. »Auf mein Wort, Gentlemen«, sagte der Major, »erstens spiele ich sehr schlecht, und zweitens« – setzte er lachend hinzu – »wenn ich verliere, so werde ich auf keine Weise bezahlen, denn ich bin rein ausgefegt.«

Die Art, wie er dies sagte, machte alle lächeln, und niemand glaubte ihm. Auch ich wurde eingeladen. »Mit dem Major mag ich aber nicht spielen«, bemerkte ich; »er spielt schlecht und hat kein Glück. Ebenso gut könnt' ich gleich mein Geld auf den Tisch legen.«

Dies gaben die andern zu, und wir setzten uns. Den ersten Robber im kurzen Whist gewann der Major nebst seinem Partner; mit den Wetten betrug er achtzehn Pfund. Ich zog die Börse, um den Major zu bezahlen; er lehnte es aber ab: »Nein, Newland«, sagte er, »zahlen Sie meinen Partner, und wir, Sir«, wandte er sich zu dem meinigen – »wollen es gut sein lassen, bis wir vom Spiel aufstehen. Newland, wir lassen Sie noch nicht los, das kann ich Ihnen sagen.«

Ich zahlte meine achtzehn Pfund, und wir fingen wieder an. Jetzt spielte der Major wirklich sehr schlecht; sein Partner bemerkte es vielleicht nicht, denn er war ein gleichgiltiger und mittelmäßiger Spieler, oder wenn er es bemerkte, so war er wenigstens so höflich, nichts zu sagen. Er verlor drei Robber nacheinander, die sich, Sätze und Wetten zusammengerechnet, auf hundert und vierzig Pfund beliefen. Nun warf er die Karten hin, verwünschte sein schlechtes Glück und erklärte, nicht weiter spielen zu wollen. »Wie stehen wir jetzt miteinander, Sir?« fragte er meinen Partner. »Sie waren mir, glaub' ich, achtzehn Pfund schuldig.«

»So ist es.«

»Achtzehn von hundert und vierzig bleibt hundert und zweiundzwanzig Pfund, die ich jetzt Ihnen schulde«, sagte der Major; »wahrhaftig, die werde ich Ihnen schuldig bleiben müssen«, setzte er mit der gewinnendsten Art von der Welt hinzu. »Ich kam nicht in der Absicht, zu spielen, her; nun, ich hoffe, Sie morgen Abend wieder hier zu treffen.«

Der Herr verbeugte sich, und schien ganz zufrieden. Major Carbonnells Partner bezahlte mir hundert und vierzig Pfund, die ich zu mir steckte, worauf wir den Klub verließen.

*


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