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Die ausgestreute Saat bringt uns eine goldene Ernte. Wir verkünden den Leuten, was sie zuvor schon wußten, und werden von wundervollen Thoren für wundervolle Weise angesehen.
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Wir packten zusammen und verfügten uns in ein anderes Marktstädtchen. Thimothy, in schwarze Kleidung gesteckt, worin er einem Leichenbesorger höchst ähnlich sah, erhielt ein Pferd und folgenden Auftrag dazu: Er sollte gemächlich reiten, bis er dem bewußten Städtchen auf eine halbe Meile nahe gekommen sei, alsdann im schönsten Galopp hineinjagen, vor dem besten Gasthof ansprengen und Gemächer für den großen Aristodemus, welcher in einer halben Stunde eintreffen würde, bestellen. Alles in dieser Welt beruht auf dem Schein, wenigstens wenn man sie betrügen will: Jedermann im Städtchen hatte von dem großen Aristodemus gehört, jedermann war begierig, etwas Näheres über ihn zu vernehmen, und Timothy wurde mit Fragen überhäuft. Er erklärte jedoch, er sei bloß sein Kurier, und wisse weiter nichts, als was andere Leute von ihm sagen; aber diese Sagen waren in Tims Fassung außerordentlich wundersam. Dieser hatte kaum Zeit, sich der besten Zimmer im Hotel zu versichern, als Melchior ankam, in einem lang herabfließenden seidenen Talar, mit einer langen weißen Perücke, einem Barett und mehreren Goldketten. In der That, er war bewunderungswürdig verkleidet. Ich bildete sein Gefolge und trug altdeutsche Studententracht nebst einer langen, braunen Lockenperücke, die mir auf die Schultern herunterfiel. Unsere Ankunft erfolgte in einer vierspännigen Postchaise, welche donnernd am Gasthause vorfuhr, so daß alle Häuser in der Straße erzitterten und alle Fenster sich mit Köpfen füllten. Das Städtchen war nämlich nicht sehr groß, obgleich es früher einige Bedeutung gehabt hatte. Die Manufakturen, die sie einst besessen, waren verlegt worden, und jetzt wohnten nur noch Partikuliers hier, welche durch ihre eigenen oder ihrer Vorfahren Bemühungen ein unabhängiges Vermögen erlangt hatten.
Die Kutschenthür wurde von dem getreuen Timotheus geöffnet, welcher Hausknecht und Aufwärter als Parias beiseite schob, worauf der große Aristodemus zum Vorschein kam. Als er die Thürstufen hinanschritt, versperrte ihm eben jemand den Weg, und Melchior, der ihn sogleich erkannte, sagte mit gebietendem Ton: »Tritt beiseite, Acciseeinnehmer! Niemand kreuzt ungeahndet meinen Pfad.«
Der Acciseeinnehmer, der größte Bramarbas im ganzen Städtchen, schlüpfte ganz bestürzt über die Allwissenheit auf die Seite; die ganze Menge hob die Hände vor Erstaunen empor. Der große Aristodemus gelangte zu seinen Gemächern, die Thür wurde alsbald geschlossen und ich ging hinunter, die Chaise zu bezahlen und das Essen zu bestellen, während Timothy, von den Trägern unterstützt, mit unserm, diesmal sehr ansehnlichen, Gepäck beschäftigt war.
»Mein Herr will niemanden sehen«, sagte ich zum Wirt: »er gedenkt die Stadt morgen wieder zu verlassen, wenn gewisse Briefe, die er mit der Post erwartet, ankommen sollten. Also haben Sie die Gefälligkeit, dies Getümmel zu entfernen und ihm Ruhe zu verschaffen, denn er ist sehr erschöpft, da wir seit Tagesanbruch hundert und fünfzig Meilen weit gereist sind.«
Als Tim und ich mit unseren Verrichtungen fertig waren, begaben wir uns zu Melchior in sein Zimmer und ließen den verbreiteten Neuigkeiten ihren Sauf. »Der Anfang verspricht viel«, sagte Melchior. »Bis jetzt haben wir ziemlich Geld und Zeit verschwendet; nun müssen wir sehen, ob wir's nicht zehnfach wieder ersetzt bekommen. Japhet, Du mußt nach dem Abendessen noch einmal hinuntergehen und Veranlassung nehmen, den Wirt über die Armen im Städtchen zu befragen, denn ich bin sehr wohlthätig und thue gerne etwas für sie. Du kannst andeuten, daß ich den sämtlichen Ertrag meiner Kunst, mit dem ich doch nichts anzufangen wisse, den Armen schenke.«
Ich that nach seinem Geheiß; wir speisten, packten unsere Sachen aus und gingen zu Bett, nicht ohne die Thüren verschlossen und die Schlüssel abgezogen zu haben.
Am nächsten Morgen hatten wir alles in Bereitschaft, und da die Briefe begreiflicherweise nicht ankamen, so waren wir genötigt, da zu bleiben. Der Wirt gab mir alsbald allerlei Winke von Besuchern, welche gar zu gern meinen Herrn befragen möchten. Ich erwiderte, daß ich mit ihm reden wolle. Übrigens, sagte ich, sei es nötig, ihnen zuvor anzudeuten, sie müßten entweder Gold oder – gar nichts anbieten. Nach einer Weile brachte ich seine Einwilligung, aber nur für eine oder zwei Personen. Ob wir nun gleich erforderlichenfalls verschiedene Apparate besaßen, so waren wir doch der Ansicht, es werde eine größere Wirkung machen, wenn bei dem ersten Auftritt alles ganz einfach sei. Somit behielt Melchior seinen Sitz am Tische, der mit einem schwarzen Teppich behangen war. Stickereien mit wunderlichen Charakteren zierten diesen, auf dem Tisch aber lag ein Buch mit Hieroglyphen und daneben ein elfenbeinerner Stab, mit Gold ausgelegt. An der Thür stand Timothy, mit einem kurzen römischen Schwert umgürtet, ich selbst hielt mich in ehrfurchtsvoller Haltung hinter dem großen Aristodemus.
Die erste Person, welche Zutritt erhielt, war die Frau des Bürgermeisters. Glücklicheres konnte uns nichts begegnen, denn da die Vornehmeren immerwährend im Munde der Leute sind, so waren wir über sie und ihren Gemahl vollkommen unterrichtet. Aristodemus winkte mit der Hand, ich brachte einen Stuhl und lud sie mit einer stummen Bewegung zum Sitzen ein. Aristodemus blickte ihr ins Gesicht; dann wandte er einige Blätter um, bis er endlich bei einem stehen blieb, das er mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. »Bürgermeisterin von ***,« sagte er nach einer langen Pause, »was ist Dein Begehr?«
Sie fuhr zusammen und erbleichte. »Ich wünschte zu fragen« –
»Ich weiß es, Du möchtest wohl manches fragen, wenn ich Zeit hätte zu hören. Unter anderem möchtest Du gerne fragen, ob Du noch irgend Hoffnung habest, Deinem Gemahl einen Erben zu schenken. Ist es nicht also?«
»Ja, so ist's«, antwortete die Dame und suchte nach Luft.
»Ich vernehm' es aus diesem Buche«, fuhr Aristodemus fort. Aber nun laß mich nun auch an Dich eine Frage richten: Du möchtest mit Segnungen überschüttet werden und willst doch nichts Gutes thun? Du bist reich, aber welchen Gebrauch machst Du, welchen macht Dein Gemahl von diesen Reichtümern? Seid Ihr freigebig? Nein. Gebet, so wird Euch gegeben. Ich habe gesprochen.«
Er winkte mit der Hand, und die Dame erhob sich. Sie hatte eine Guinee zwischen den Fingern und die Börse in der Hand. Jetzt nahm sie noch vier andere heraus, um sie mit der ersten auf den Tisch zu legen.
»Wohl gethan, Dame. Der Engel der Mildthätigkeit wird Seine Sache führen. – Artolph, laß das Geld unter die Armen verteilen.«
Ich beugte mich stillschweigend. Die Dame entfernte sich.
»Wer kann sagen, daß ich nichts Gutes thue?« hob Melchior lächelnd an, sowie sie hinausgegangen war. »Ihr und ihres Mannes Geiz ist so weltbekannt, als ihr Wunsch, Kinder zu haben. Wenn ich sie nun zum Wohlthun bewege, so dien' ich der Menschheit.«
»Aber Ihr habt ihr Hoffnung gemacht.«
»Allerdings, und eben die Hoffnung ist geeigneter, ihre Wünsche zu fördern, als irgend etwas anderes. Die Hoffnungslosigkeit beraubt kinderlose Gatten sehr oft der Möglichkeit, ihre Wünsche zu erreichen. Wie manches Paar, das nach jahrelangem Warten alle Hoffnung sinken ließ und sich in den Willen der Vorsehung ergab, hat in dem Augenblick, da die ängstliche Begierde einschlief, noch Kinder bekommen! Japhet, ich bin ein scharfer Beobachter der menschlichen Natur.«
»Das glaub' ich«, war meine Antwort, »nur glaub' ich nicht, daß Eure letzte Bemerkung richtig war. Aber Timothy klopft an die Thür.«
Eine andere Frau trat herein, fuhr jedoch beim Anblick des großen Aristodemus entsetzt zurück und schien entfliehen zu wollen, ein Versuch, der ihr dadurch, daß Timothy den Schlüssel abgezogen hatte, vereitelt wurde. Wir kannten sie nicht, und das kam uns ungelegen; nichtsdestoweniger erhob Melchior die Augen von seinem Folianten und lud sie mit der bewußten Handbewegung zum Sitzen ein. Etwas zitternd vertraute sie ihm, sie sei eine Witwe, deren ganze Hoffnung auf einem jetzt zur See befindlichen Sohn beruhe. Sie habe seit langer Zeit nichts von ihm vernommen und müsse ein Unglück fürchten, was sie in die äußerste Bekümmernis und Not versetzte. »Ich habe nichts zu bieten als diesen Ring«, setzte sie hinzu. Dann brach sie in Thränen aus und rief: »Könnt Ihr mir sagen, ob mein Sohn noch lebt? Solltet Ihr aber die Kunst, deren Ihr Euch rühmt, nicht in Wahrheit besitzen, o so beraubt ein armes freundloses Wesen nicht und laßt mich in Frieden gehen!«
»Wann kam sein letzter Brief?« hob Melchior an.
»Schon vor sieben Monaten«, sagte sie, »von Bahia.« – Sie zog den Brief aus ihrem Arbeitsbeutel und hüllte das Gesicht ins Taschentuch.
Rasch las Melchior die Adresse, dann wandte er den vor ihm liegenden Brief auf die andere Seite.
»Frau Watson«, sagte er.
»Himmel! kennt Ihr denn meinen Namen?« rief die Frau.
»Frau Watson, ich begehre Deines Sohnes Brief nicht zu lesen, ich weiß bereits, was er enthält.« Er durchlief sein Buch. Nach einer Pause von wenigen Sekunden sagte er: »Dein Sohn lebt.«
»Gott sei Dank!« rief sie, schlug die Hände zusammen, und ließ den Arbeitsbeutel fallen.
»Du mußt aber seine Rückkehr nicht allzubald erwarten, er ist nach Wunsch beschäftigt.«
»O, das thut nichts! – Er lebt! er lebt! – Gott segne Euch, Gott segne Euch!«
Melchior gab mir ein Zeichen, indem er auf die fünf Guineen und den Arbeitsbeutel wies. Schnell hatte ich das Geld hineingleiten lassen, während die glückliche Mutter in ihr Taschentuch weinte.
»Genug, Frau, Du mußt gehen. Noch andere bedürfen meiner Hilfe.«
Die arme Frau erhob sich und bot ihm den Ring.
»Nein, nein, ich bedarf Deines Geldes nicht. Ich nehme es von den Reichen, um es den Armen zu geben; von den bedrängten Witwen nehm' ich's nicht. Öffne Deinen Beutel.«
Die Witwe hob ihn auf und öffnete ihn. Melchior ließ den Ring hineinfallen, nahm den Stab von dem Tisch, schwang ihn und berührte den Beutel: »So Du rechtschaffen bist, möge dies Deine gegenwärtige Not erleichtern. Suche, so wirst Du finden.«
Die Witwe verließ das Zimmer unter dankbaren Thränen, und ich muß bekennen, daß auch mich meine Gefühle übermannten. Als sie fort war, bemerkte ich zu Melchior, bis jetzt habe er für nichts gearbeitet.
»Freilich, Japhet, aber verlaß Dich d'rauf, daß ich klug gehandelt hätte, wenn ich die Frau auch nur aus eigennützigen Gründen unterstützt haben würde. Übrigens, offen gesagt, es geschah aus Mitleid. Wir sind wunderlich aus Gutem und Bösem gemischt. Ich führe Krieg mit Narren und Schurken, aber nicht mit der ganzen Menschheit. Ich gab dies Geld von Herzen gern; sie war bedürftig. Mag es nun als Entschädigung für meine sonstigen Betrügereien in die Wagschale kommen oder nicht, genug, es hat mir Vergnügen gemacht.«
»Aber Ihr spracht, ihr Sohn sei am Leben.«
»Allerdings, während er vielleicht tot sein kann; – aber ist es nicht gut, sie, wenn auch nur auf kurze Zeit, zu trösten und diese ängstliche Spannung zu heben, welche schlimmer ist als eine wirkliche Unglücksnachricht? Hat doch jeder Tag schon seine eigene Plage.«
Beinahe schien es, daß diese gute Handlung Melchiors ihren Lohn finden sollte; denn das Erstaunen der Witwe, als sie das Gold in ihrem Arbeitsbeutel fand, ihre Erzählung von dem ganzen Hergang, ihre feste und überzeugungsvolle Versicherung, daß sie den Beutel gar nicht aus der Hand gelassen, und daß ihn Melchior bloß mit seinem Stab berührt habe – alles dies erhob seinen Ruf zu einer solchen Höhe, daß man von gar nichts anderem mehr im Städtchen sprach. Um aber der Sache die Krone aufzusetzen, brachte ihr die folgende Post einen Brief und Rimessen von ihrem Sohne. Die dankbare Frau kam sogleich zurück, legte zehn Guineen auf den schwarzen Teppich, überschüttete den Zauberer mit Segenswünschen und verehrte ihn, als ein übernatürliches Wesen. Das war ein sehr glückliches Zusammentreffen: nun begann unsere Ernte, wie Melchior vorausgesagt. In vier Tagen hatten wir über zweihundert Pfund eingenommen, und jetzt schien es uns Zeit zur Abreise zu sein. Die erwarteten Briefe kamen unverzüglich an. Als wir in unserer vierspännigen Postchaise abfuhren, war die schaulustige Menge so groß, daß wir Mühe hatten, hindurchzukommen.
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