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XV.
Liebling

Als Andreas sein Arbeitszimmer leer fand, überkam ihn ein Zweifel:

›Sollte ich zu weit gegangen sein?‹

Adelheids Verschwinden sah aus wie ein stummer Protest. Ah, er würde ihre Empörung brechen. Es galt, sich hart zu zeigen. Aber ein herrisches Billett, das er ihr zuschickte, blieb ohne Antwort, und als er sich selbst in der Hildebrandtstraße einfand, ward ihm die kurze Nachricht, die Herrschaften seien abgereist. Zwei Sekunden lang stand er darauf wie erstarrt. Dann besann er sich; die Stimme des Dieners hatte vielleicht nicht die gewohnte Achtung ausgedrückt? Die Rechte begann ihm leise zu zittern, und unvermutet fiel sie klatschend in das Gesicht des Lakaien. Dieser rieb sich die Backe. Andreas betrachtete seine Schmerzensgrimasse: war das nicht derselbe Mensch, der einst Doktor Bedieners Karte von ihm entgegengenommen hatte wie von einem stellungsuchenden Kandidaten? Ein wenig erleichtert wandte er sich zum Gehen. Alles endete mit Ohrfeigen.

»Eine habe ich empfangen, von Claire Pimbuschs äffischem Mittelglied; aber zwei habe ich ausgeteilt, an diesen Laffen und an die kleine Matzke. Das Ergebnis darf wohl als ein befriedigendes gelten.«

Er bewunderte seine Kaltblütigkeit.

»Ich bin größer als die Ereignisse«, bemerkte er, während er sich daheim auf der Ottomane ausstreckte. Er hatte beschlossen, sich der Wirklichkeit, die ihm in diesem Augenblick verächtlich vorkam, durch Schlummer zu entziehen; da wurde ihm Herr Felix Liebling gemeldet.

Der Gehrock des Moralisten war fest und feierlich zugeknöpft, sein schöner schwarzer Bart glänzte und bebte. Er sah Andreas warm ins Auge und begann:

»Die Angelegenheit, mein lieber jugendlicher Freund, die mich zu Ihnen führt, berührt das Geschick mehrerer trefflicher Menschen, darunter auch das Ihrige.«

»Einen Moment!« rief Andreas. Ein kühler Schauer hatte ihn angeweht, von irgend etwas Unheimlichem her, das gerade vor ihm, im unbekannten Dunkel eines Kellerloches, zu lauern schien. Er griff in die Luft, nach einem Gegenstand, den er zwischen sich und das Verhängnis zu schieben vermöchte.

»Mein neuer Curaçao! Sie nehmen doch ein Gläschen?«

»Eigentlich nicht«, sagte Liebling. »Ich habe die Gewohnheit, in fremdem Hause nie etwas zu genießen. Ihnen zuliebe weiche ich von meiner Gewohnheit ab und bitte um Ihren Schnaps.«

Sie hatten ausgetrunken und saßen einander gegenüber. Liebling lehnte den Kopf zurück, sein Blick kam, wie es Andreas schien, von der Decke herab, oder aus noch höheren Regionen, so sonnig und so still eindringlich traf er den jungen Mann. Unerwartet rief er aus:

»Wie schön! Wie schön, mein lieber jugendlicher Freund, blüht Ihnen das Leben! Darf ich ein Gleichnis gebrauchen?«

»Bitte.«

»Ich gebrauche also ein Gleichnis. Ist es nicht, als ob Sie sich auf einem schönen, schönen Eiland befinden. Überall wachsen die modernsten Blumen, große rosenrote Vögel fliegen durch die blaue Luft und singen das Neuste. Dabei riecht es nach Orangenblütenwasser oder nach Maiglöckchenessenz, was Sie wollen ... Die Tische sind gedeckt für die feinste Gesellschaft, die edelsten Frauen, von der liebenden Natur überreich ausgestattet, winken Ihnen. Nun aber kommt es. Plötzlich verbreitet sich ein zweideutiger Duft, und alle ziehen sich einen bis zwei Meter von Ihnen zurück.«

»Mein Herr!«

Andreas war aufgesprungen, doch Liebling streckte ihm beschwichtigend die Hand hin.

»Es ist ja nur ein Gleichnis. Übrigens, wenn Sie es lieber sehen, nehme ich den zweideutigen Duft zurück. Tatsache ist, daß man Sie allein läßt. Symbolische Gestalten, aus deren gefräßigen Mäulern Zettel mit den Inschriften ›Ich bin der Hunger‹ und ›Ich bin die Selbstzerknirschung‹ heraushängen, haben es auf Sie abgesehen und drängeln Sie bis dicht ans steile Meeresufer. Schon machen Sie sich auf das Ertrinken gefaßt, da langt eine rettende Hand nach Ihnen und zieht Sie in einen bereitgehaltenen Kahn. Nun frage ich Sie und jeden Menschen, was werden Sie tun? Werden Sie nicht ruhig mitkommen? Und wenn Ihnen die rettende Hand auch kein so ausnahmsweise günstiges Eiland anweist wie das von Ihnen aufgegebene, aber doch eins, wo sich auskömmlich leben läßt, sagen wir mit dreihundert Mark im Monat – ich frage Sie, würden Sie darum Fisematenten machen? Würden Sie mit den Beinen strampeln und den Kahn umkippen? Gewiß nicht. Soll ich Ihnen jetzt was Ernstes erzählen?«

Ehe der junge Mann sich besonnen hatte, stand Liebling ganz dicht vor ihm.

»Die rettende Hand bin ich«, sagte er tonlos.

Andreas sah ihn mit erblaßten Augen an.

»Sie kommen von Türkheimer, oder von seiner Frau? Machen Sie mal Schluß, und sagen Sie, was Sie wollen.«

Sie setzten sich wieder; bleich und kalt hörte Andreas zu, mit einem Gesicht, als vollführte er eine übergroße Anstrengung.

»Vergleichen Sie nur«, bat Liebling, »was hat Türkheimer aus Ihnen gemacht, und was haben Sie ihm dafür beschert? Wie standen Sie da bis gestern? Als ein geachtetes Mitglied der feinsten Kreise, als einer der beliebtesten Dramatiker Berlins, und ich darf wohl sagen ganz Deutschlands, als das verzärtelte Schoßkind der Frauen und der Musen, umhüpft von Grazien und Scherzen.«

Andreas war leicht errötet. Liebling atmete tief, er sprach langsam und wuchtig weiter.

»Und dem Gönner, der Ihnen bloß aus Menschenfreundlichkeit so 'ne Lebensstellung verschafft hat, haben Sie zum Dank sein Weib verführt, sein einziges, geliebtes, Sie haben die Zwietracht in sein friedliches Heim getragen, und Ihre Schuld ist es, wenn die Tochter sich gegen die Mutter empört. – Und das ist noch gar nichts«, setzte er schnell hinzu, als der junge Mann eine Gebärde der Abwehr machte. »Den Trost seines Alters haben Sie ihm geraubt, das Heiligtum seiner letzten Tage haben Sie mit sinnlichen Händen in den Schlamm gezogen.«

»Sie meinen doch nicht die kleine Matzke?«

»Jüngling, haben Sie in Greisenherzen geschaut? So ein großer Mensch wie Türkheimer, weise und gerissen wie nur einer, glaubt urplötzlich an die Reinheit eines kleinen Mädchens. Eine allerletzte Illusion, hat sie nicht was Rührendes? Und nun sehen Sie sich den Mann an, wie er aussieht, er wankt ja merklich der Grube zu. Und wer hat ihm von hinten einen Stoß gegeben? Sie!«

Andreas senkte den Kopf. Lieblings Worte atmeten eine so bezwingende Wahrheit, daß der junge Mann sich vorübergehend die Schuld an Türkheimers Diabetes beimaß. Der Moralist sah ihn erweicht, er faßte seinen Arm.

»Und für alles das gibt er Ihnen einen Redakteurposten beim ›Nachtkurier‹ und verheiratet Sie mit seinem Herzenskinde, seiner Bienaimée. Wie wird Ihnen?«

Er setzte ihm den Hut auf.

»Kommen Sie. Es kann noch alles gut werden. Freundliche Mächte walten über Ihnen, wir machen das Geschäft gleich fertig.«

Andreas sammelte sich mit Mühe.

»Und wenn ich mich weigere?« fragte er.

Liebling erschrak.

»Daran denken Sie doch nicht! Wie können Sie denn reden! Stellen Sie sich jemand vor, der, mit Türkheimers Fluch beladen, durch die Straßen von Berlin ginge. Die Luft, die er atmete, müßte ihn vergiften, das Holzpflaster, das er beträte, müßte sich öffnen und ihn verschlingen.«

Diese Vorstellung überwältigte Andreas, er ließ sich auf das Sofa fallen und blieb verstört zwischen den Kissen sitzen.

›Ein Narr!‹ flüsterte er sich selbst zu, ›ich bin nichts weiter als ein Narr. Alle haben recht gehabt, die mich Pulcinello, Zeitvertreib, heiterer Plauderer nannten. Den Ernst des Lebens habe ich nicht verstanden, das ist nun einmal meine Künstlernatur.‹

Die Verzweiflung brach vollends herein, er schlug sich vor die Stirn.

›Wenn doch Adelheid die schönste Frau war, die ich je gesehen habe! All meine Tage hätt ich im Fett sitzen können. Statt dessen muß ich auf die kleine Matzke verfallen, ein windiges, spindeldürres Geschöpf, dumm und liederlich. Wenn es mir Spaß gemacht hätte! Aber bloß aus Eitelkeit, um Türkheimer hineinzulegen, und die gute, liebe Adelheid. Und nun liege ich selbst drin.‹

Eine Erinnerung an den Gumplacher Schulmeister zuckte in ihm auf.

»Es ist die Hybris der Alten«, murmelte er.

»Was ist es?« fragte Liebling. Gleich darauf fiel es ihm ein. »Ach so. Sprechen Sie übrigens doch deutsch! Wir Deutsche verstehen jetzt nur noch deutsch und sind stolz darauf.«

»Wie mir das jetzt alles gleichgültig ist«, sagte Andreas, bitter lächelnd.

Liebling griff ihm unter die Achsel.

»Die frische Luft wird Ihnen gut tun«, bemerkte er, und er zog ihn sanft fort.

Der junge Mann überhäufte sich fortwährend mit Vorwürfen.

›Nur die Hybris konnte mich so verblenden. Türkheimer ist doch die Macht, ich der Geist. Natürlich besiegt der Geist die Macht, aber leise, leise, indem er sie heimlich unterminiert. Plötzlich sagt es dann Puff! Der Priester wappnet sich mit Heuchelei, wie der Krieger mit Eisen; das muß ich irgendwo gehört haben. Ich aber habe überhaupt nicht geheuchelt, ich habe meine Schweinereien ja ganz offenkundig betrieben, jeder durfte zusehen.‹

Liebling unterbrach seine reumütigen Gedanken.

»Es ist so am besten für Sie, mein Freund, Sie müssen sich rangieren. Das heißt, so würde die Welt es nennen. Ich möchte lieber sagen: Sie müssen den sittlichen Gedanken in Ihr Leben einführen.«

»Was tue ich mit dem sittlichen Gedanken«, meinte Andreas.

Liebling erklärte bereitwillig:

»Der sittliche Gedanke besteht darin, daß Sie dem jungen Mädchen seine Ehre wiedergeben.«

»Kann ich es denn? Ich habe sie ihr nicht weggenommen.«

»Um so schöner ist Ihre Aufgabe.«

Eine Strecke weiter versetzte der Moralist:

»Das Unvermeidliche, mein lieber jugendlicher Freund, das ist der sittliche Gedanke.«

Als sie bereits vor dem Portal der Villa Bienaimée standen, fügte er hinzu:

»Und dann ist es auch das Bequemste.«

Er ließ den jungen Mann vorangehen, aber beim Überschreiten der Schwelle verspürte Andreas eine tolle Lust, sich umzuwenden, Liebling über den Haufen zu rennen und das Weite zu suchen. Eine Vision, die vor seinem erregten Geiste vorüberzog, hielt ihn zurück. Es lag vor ihm wie eine unabsehbare Hasenheide, wo bei dem Gestank von Schweiß und Fettgebäck, zwischen Schreckenskammern und Riesendamen eine schwarze, fratzenhafte Menge den populären Instinkten, Wollust und Grausamkeit, keuchend frönte. Hier, wo es nach der Volksseele roch, war auch er, Andreas, unterzugehen verdammt. Schon schienen seine Lackschuhe ihren Glanz zu verlieren. Hing nicht von seinem Beinkleid ein Fetzen herunter? Er schüttelte sich, der Alp wich von ihm, und er trat ein.

Liebling begab sich allein in den Salon, Andreas blieb im grünseidenen Vorzimmer sitzen, den Blick auf den Spalt der angelehnten Tür gerichtet. Drinnen rollte die kleine Matzke, in einen Smyrnateppich gewickelt, über den Boden und stieß Dampfwolken aus. Ihre Haare wehten brandrot nach allen Seiten, ihr Gesicht lag als ein käseweißer Fleck im Wachsgelb des Parketts.

»Mir friert nämlich an de Beene«, erklärte sie.

»Darum brauchen Sie sich nicht den Mund zu heizen«, sagte Liebling. Er nahm ihr ohne Umstände die Zigarette fort und warf sie in den Kamin. Sie schrie weinerlich.

»Mein Piejatz!«

Aber er belehrte sie.

»Ich liebe es nicht, wenn Frauen rauchen. Das Weib sollte seinem natürlichen Berufe als Familienmutter treu bleiben, besonders das deutsche Weib. Dies führt mich übrigens auf die Gelegenheit, in der ich herkomme.«

»Was dennchen?«

»Zuvor setzen Sie sich anständig auf einen Stuhl, Fräulein Matzke.«

»Nanu? Sie langen woll eben von Ihre hinterpommerschen Rittergüter an, Herr Graf, un sind eklig uff die feinen Manieren?«

»Fräulein Bienaimée, die Sache ist ernst und erfordert Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.«

Sie erhob sich.

»Na nu los!« sagte sie einfach.

Ein leises Geklimper von Schmelzperlen wurde vernehmbar. Frau Kalinke drückte sich, knicksend und die Speckhände reibend, durch die Tür des Speisezimmers und die Wand entlang. Sie entschuldigte sich:

»Sie machen einen ja förmlich neugierig, Herr Liebling.«

»Die Lage wird dadurch gekennzeichnet«, begann er, »daß Herr Türkheimer von allem unterrichtet und willens ist, mit Ihnen zu brechen.«

Die kleine Matzke wurde plötzlich zornrot.

»Das Ekel!« versetzte sie mit Nachdruck.

»Übrigens weg mit Schaden!« meinte sie gleich darauf, sichtlich bemüht, eine sorglose Haltung zu bewahren. »Mag er doch brechen, und ich will ihm danken, so lange ich atme.«

»Immerhin schulden Sie ihm ein beneidenswertes Wohlleben und die reichsten Aussichten, die Sie nun allerdings verscherzt haben.«

»Un von wejen so'n bißken Scherzen schmeißt er gleich mit Lehm!«

Es zitterten Tränen in ihrer Stimme. Liebling empfand Mitleid mit dem geängstigten Wesen.

»Trösten Sie sich, liebe Kleine. Es handelt sich von seiten Ihres Wohltäters durchaus nicht um gehässige Reklamationen. Herr Türkheimer ist eine viel zu vornehme Natur, als daß er einem jungen Geschöpf, welches ihm mit sonniger Kindlichkeit sein freudloses Alter verschönt hat, einige Augenblicke leidenschaftlichen Überschwanges nachtragen würde. Sie werden begreifen, daß nach dem Vorgefallenen Herr Türkheimer es seiner persönlichen Würde schuldet, die Beziehungen zu Ihnen abzubrechen. Zugleich aber übernimmt er in großmütigster Weise die Sorge für Ihre Zukunft, indem er Ihnen einen wackeren, liebenswürdigen, Ihnen übrigens nicht unbekannten Jüngling als Gatten zuführt.«

»Ist doch ein nobler Mann!« rief Frau Kalinke.

»Un wer is denn der Musterknabe?« fragte Bienaimée.

Liebling neigte den Kopf auf die Schulter, er flüsterte innig: »Sein Name ist Andreas Zumsee.«

»Denn gehn Sie man gleich wieder zu Haus.«

Frau Kalinke fügte hinzu:

»Denn muß ich doch auch fragen: wozu die ganze Brühe?«

»Zum Wohle Ihrer Pflegebefohlenen«, erklärte Liebling mit leiser Zurechtweisung. Sie erwiderte heiter:

»Mir machen Sie nichts vor, Herr Liebling, Ihr Andreas is ja soweit 'n feiner junger Mensch, aber leben tut er bloß von das Taschengeld, das die vornehmen Damen ihm zustecken.«

Sofort gab er der Vorlauten die volle Strenge seines Wesens zu fühlen.

»Sie verkennen meine Grundsätze, liebe Frau, wenn Sie mir zutrauen, daß ich mich zu meiner heutigen Mission herbeigelassen haben würde, ohne zugleich die Gewißheit zu besitzen, daß die Beziehungen des jungen Mannes zu einer Dame, die ich nicht nennen will, nur noch der Vergangenheit angehören.«

»Na gottlob!« erwiderte die Matrone nüchtern, »dann hat er ja überhaupt nischt mehr.«

» Die Falle!« bemerkte Bienaimée. Liebling unterrichtete sie.

»Er wird einen einträglichen Posten erhalten. Übrigens sind Sie selbst ja nicht arm, und Herr Türkheimer wird es sich angelegen sein lassen, Ihre Einkünfte entsprechend zu vermehren.«

Die Damen sahen sich zögernd an.

»Ein Engel aus 'm Paradiese«, sagte Frau Kalinke. »Man glaubt nich dran, un er is da.«

»Natürlich«, erläuterte Liebling, »werden Sie diese Villa mit der Einrichtung verkaufen müssen, da Sie –«

»Meine Villa Bienaimée! Daß ich man nich lache!«

Er ließ sich nicht beirren.

– »Da Sie ja künftig in andern, und wie ich hinzufügen möchte, sittlicheren Verhältnissen leben werden. Wenn Sie, liebes Fräulein, das Ihnen entgegengebrachte Wohlwollen zu würdigen wissen, so ist alles in fünf Minuten erledigt, da ich mit der nötigen Vollmacht ausgerüstet bin.«

Er entnahm seiner Brieftasche ein Papier, das er bedeutungsvoll entfaltete. Frau Kalinke griff eifrig danach. Sie begann herzlich zu lachen.

»Hunderttausend Mark? Tu'n Sie sich man nich weh! Wenn es doch gern und gut 'ne halbe Million wert is, sagt Baumeister Kokott.

O du liebes Gottchen!« machte sie, kurzluftig vor Vergnügen.

Bienaimée setzte die Fäuste auf die Hüften.

»Nu hab ich Sie aber laufen gehört. Also dadrum reden Sie den Leuten 'n Loch in 'n Bauch! Ihr Freund un Bundesbruder Türkheimer hat sich in seinem Edelmut ausgedacht, daß er ein armes, wehrloses Mädchen in ihrem Kummer klein kriegen will, un ritsch, ratsch, Haut über'n Kopf. Un deswegen die ganze Wichtigkeit un der zugeknöpfte Gehrock un die sittliche Würde. Sehn Se mich mal an: Fatzke!«

»Ich könnte sagen: Matzke. Doch lassen wir dies.«

Er war sehr bleich geworden und zog sich, hoch aufgerichtet, drei Schritte zurück. Frau Kalinke rief leise:

»Nein aber! So 'n feiner Mann.«

»Ich hab woll 'n Wort zuviel gesagt?« fragte Bienaimée, ein wenig eingeschüchtert.

»Und was für 'n Wort!« bemerkte die Matrone. »So was kennt man ja gar nicht. Woher haben Sie das man bloß, mein Kindchen?«

»Man nich so tun, Kalinke!« bat Bienaimée. Sie lief auf Liebling zu und klopfte ihn vor den Magen.

»Na, nu sei'n Sie man wieder gut. Sie haben die teuflische Intrige gewiß nicht ausgeheckt.«

»Kein Todfeind traut es Ihnen zu, Herr Liebling«, bestätigte Frau Kalinke. Liebling begann wieder, noch etwas kühl:

»Ich fordere Sie auf, meine Damen, die Sachlage so ruhig und leidenschaftslos zu prüfen, wie sie es verdient, Sie möchten es sonst später bereuen.«

»Keine Drohungen, wenn ich bitten darf!« sagte die kleine Matzke fest.

»Das Ungünstige Ihrer Lage, mein liebes Fräulein, wird dadurch gekennzeichnet, daß Sie sich Ihres Besitztums auf alle Fälle entäußern müssen, weil Ihre Gläubiger dies verlangen werden. Sie haben doch Gläubiger?«

Bienaimée seufzte.

»Nun also. Stellen Sie sich vor, daß die Meute der Geschäftsleute über Ihr Eigentum herfallen würde; meinen Sie, daß sie Ihnen hunderttausend Mark übriglassen würden?«

»Das is 'ne offne Frage«, bemerkte Frau Kalinke.

»Halten Sie Ihre Einwände so lange zurück, bis Sie alles gehört haben, liebe Frau. Herr Türkheimer übernimmt die sämtlichen Schulden des Fräulein Matzke, ja, er bittet Sie, ihn auch ferner als Ihren väterlichen Freund zu betrachten.«

Bienaimée warf sich in die Brust.

»Sie meinen das doch wohl in streng sittlicher Bedeutung, Herr Liebling. Eine verheiratete Frau –«

»Ach lassen Sie man, Kindchen, das gibt sich«, erklärte die Matrone mit einer liebevollen Umarmung. Die kleine Matzke, war stolz und gerührt.

»Verheiratet, es is doch so 'ne andere Sache.«

Liebling schob den Kaufvertrag vor sie hin, drückte ihr die Feder in die Hand. Aber Frau Kalinke erfaßte ihren Arm.

»Was für edle Menschen!« sagte sie zärtlich. »Bloß daß man nich weiß, wozu? Herr Türkheimer muß doch wohl so seine Gedanken haben.«

»Sehr richtig«, erklärte Liebling. »Er denkt, daran, so viele Menschen wie möglich recht glücklich zu machen, zum Beispiel auch Sie, liebe Frau.«

Sie strich mit zwei gespreizten Fingern über ihren glatten schwarzen Scheitel.

»So meine ich es ja doch gar nich, Herr Liebling. Vor de Jewalt nich!«

»Sagen wir zehntausend Mark bar?«

Die Matrone preßte die Hand auf den Busen, sie kicherte verschämt. Bienaimée hatte nachgedacht.

»Un Vatter?« fragte sie. »Er hat sich doch verschworen, daß er in seinem ganzen Leben nich mehr arbeiten will.«

»Zehntausend für Ihren Herrn Vater«, sagte Liebling ernst.

»Un denn auch für meine Aussteuer. Es is bloß, daß man was auf den Leib kriegt.«

»Un die Möbel«, schob Frau Kalinke ein.

»Sie verstehn, Herr Liebling, alles nur einfach, aber geschmacklos. Un für die Hochzeit und den übrigen Klimbim?« – – –

Er zog die Uhr.

»Als Vertreter des Generalkonsuls Türkheimer handele ich nicht und feilsche ich nicht.«

»Kennen wir«, bestätigte Frau Kalinke. »In Kleinigkeiten immer ehrlich.«

»Ich biete hundertfünfzigtausend alles in allem. Übrigens rate ich Ihnen als Freund, die Gelegenheit nicht zu versäumen. Sie kommt möglichenfalls nicht wieder.«

Er rückte ihr nochmals den Kontrakt unter die Augen. Bienaimée neigte sich tief darüber. Mit gekrümmtem Zeigefinger anstrengend arbeitend, malte sie einen steifen, feierlichen Namenszug darunter. Die Matrone seufzte leise dazu.

Dann erhob sich die kleine Matzke auf die Fußspitzen, um Liebling freundschaftlich die Wangen zu klopfen.

»Türkheimer traue ich soviel Gemüt gar nich mal zu, Sie sind gewiß mein rettender Schutzmann.«

Er erwiderte bescheiden:

»Ich tue, was in meinen Kräften steht. Sie sind ein Kind des Volkes, mein liebes Fräulein, und ich bin immer auf Seiten des Volkes zu finden, mein Herz ist bei ihm.«

»Wenn man der Magen nich wäre«, murmelte Frau Kalinke. »Der verträgt es nich.«

Sie erkundigte sich vorsichtig:

»Sie wollen doch König von Palästina werden, Herr Liebling, hab ich gehört?«

Er zuckte die Achseln.

»Un er is doch wirklich 'n schöner Mann«, sagte Bienaimée, laut träumend. Andreas' Bild war vor ihr aufgestiegen, stolz wie damals, als er noch nicht zufrieden, sie geohrfeigt zu haben, die Reitpeitsche über ihr schwang. In der Erinnerung an jenen Augenblick ward sie von wahrer Liebe bezwungen.

»Wie wäre es wohl?« meinte Frau Kalinke. Sie kehrte aus dem Speisezimmer mit einer Flasche Champagner zurück. Liebling ließ den Pfropfen knallen.

Andreas erwachte bei diesem Geräusch aus einem Zustande ratlosen Brütens. Der Mund war ihm ausgetrocknet, er sagte sich:

»Es wäre eine Gemeinheit, wenn sie den Sekt allein austränken.«

Aber nebenan erhob sich Lieblings Stimme.

»Jetzt kommen wir zur Sache selbst. Dazu brauchen wir den Bräutigam.«

Er öffnete die Tür des Vorzimmers. Bienaimée sprang kreischend auf den Flügel und wieder hinunter. Frau Kalinke schmiegte sich an sie, der Moralist stand voll Weihe daneben. Wie hypnotisiert, bleich und gerade ging Andreas auf die kleine Matzke zu, die die Arme ausbreitete.


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