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XI.
Die kleine Matzke

Der Preis mancher zur Ausstattung seines neuen Heims unerläßlichen Ankäufe stimmte Andreas nachdenklich. Adelheid sah es ungern, wenn er die an ihn adressierten Rechnungen erbrach. Sie nahm sie ihm weg und beglich alles. Aber wie lange sollte das dauern? Die gepreßten Maroquinmöbel, ohne die er sein Arbeitszimmer nicht zu denken vermochte, waren unbegreiflich teuer, und obwohl das geschnitzte und vergoldete Louisquinze-Bett zweitausend Mark kostete, mochte Adelheid nicht darauf verzichten. Wo würde er je diese Unsummen hernehmen? Das Börsenspiel sicherte ihm vorläufig ein behäbiges Auskommen, aber einem ausschweifenden Luxus vermochte diese gutbürgerliche Erwerbsquelle noch nicht zu genügen. Zuweilen träumte er heiß und sanguinisch von einem unerhörten Coup, einem Coup in Türkheimerscher Manier, ohne sich jedoch etwas Genaueres darunter vorzustellen. Seufzend nahm er die in sorgloseren Tagen vernachlässigte Lektüre der Börsenblätter wieder auf.

Dabei erregte es seine Verwunderung, wie geteilt die Ansichten über den Wert der Texas Bloody Gold Mounts waren. Das hartnäckige, wilde Reklamegeheul der dem deutsch-amerikanischen Bankhaus F. W. Schmeerbauch ergebenen »Kleinen Börse« ward lebhaft unterstützt durch die Anstrengungen von »Kabel« und »Abendzeitung«; der »Nachtkurier« jedoch verhielt sich vorsichtig abwartend. Dies schien unbegreiflich, da ja auch Türkheimer hinter dem Geschäft stecken sollte. Sein Leiborgan gab zu verstehen, daß die Ausbeute an Gold sich bisher auf eine einzige, inzwischen versiegte Ader beschränkt habe. Einen schon ausgegrabenen Schacht habe man verlassen müssen. Überdies sei die Umgebung der Gold Mounts ein stinkender Morast mit Fieberluft, ohne Trinkwasser, und für Europäer unbewohnbar. Seit kurzem war das Papier nur noch langsam gestiegen; an dem Tage, wo der »Nachtkurier« solche deutliche Sprache geführt hatte, trat eine Stockung ein. Andreas widmete diesem Umstände seine ernste Aufmerksamkeit, er beschloß, Adelheid kein Geld mehr zu Erwerbung von Gold Mounts anzuvertrauen.

Vierundzwanzig Stunden später aber veröffentlichte das Blatt Jekusers an hervorragender Stelle einen begeisterten Artikel des berühmten Forschungsreisenden Herrn von Birkenbusch-Fellenthien. Es hieß darin, die Gold Mounts glichen ebenso vielen Attrappen; man brauche sie gleichsam nur aufzuklappen, um sie von oben bis unten mit dem gelben Metall angefüllt zu finden. Das Auswaschen erspare man sich meistens, denn viele Goldstücke zeigten bereits die fertige Form von Münzen, wenn auch leider noch ungeprägten. Überdies sei die Gegend eine der gesundesten der bekannten Erde, von blühender Romantik und paradiesischer Fruchtbarkeit.

»Was soll man nun glauben?« fragte Andreas. »Ein so berühmter Gelehrter wird doch nicht lügen?«

»Hoffentlich nicht«, meinte Adelheid. »Soviel ist sicher, daß man sich um Gold Mounts heute rauft. Türkheimer war bisher zurückhaltend, heute aber engagiert er sich beträchtlich. Er hat es mir selbst gesagt.«

»Nun, dann –«

Er zögerte.

»Hier ist alles, was ich im Augenblick erübrigen kann.«

Und er blickte mit gelinder Wehmut den zweitausend Mark nach, die sie in ihren Pelzmuff schob: der Preis des Prunkbettes.

Er schlief unruhig und griff am nächsten Morgen mit einer ahnungsvollen Hast nach dem »Nachtkurier«. Da stand, fett gedruckt, ein Telegramm des Herrn von Birkenbusch-Fellenthien, mit der bündigen Erklärung, er sei nicht der Verfasser des Aufsatzes über die Gold Mounts. Er behalte sich weitere Schritte vor. In ihrem Nachwort zeigte sich die Redaktion empört über den frechen Fälscher, der die Schrift des berühmten Forschungsreisenden auf das raffinierteste nachgeahmt habe. Leider habe sie das Manuskript, nach ihrer langjährigen Gepflogenheit, bereits vernichtet. Weitere Schritte aber behalte auch sie sich vor.

Ein Schmerz, wie er lange, lange keinen mehr empfunden hatte, warf Andreas mit dem Kopf auf seinen Arbeitstisch. Er vergrub das Gesicht in die Hände und stöhnte hinter seinem verlorenen Gelde her. Er hatte es gerade so lieb gehabt, als klebte derselbe Schweiß daran wie an den Groschen seines Vaters, des Winzers, der seine Rebstöcke wie Säuglinge pflegte und froh war, wenn sie alle sieben Jahre einmal gut trugen. Endlich richtete er sich auf, strich sich über die Stirn und beschloß, kalt zu überlegen und rücksichtslos zu handeln. Adelheid war ihm für alles verantwortlich, was geschah! Wie lagen die Dinge im Augenblick? Infolge des Attrappen-Artikels waren Gold Mounts gestern von neunzig auf hundertsiebzig über Pari hinaufgeschnellt; zu diesem Preise hatte Türkheimer sie vermutlich gekauft. Mußte man nun den Kurssturz abwarten, der infolge des »Nachtkurier«-Telegrammes unvermeidlich geworden war? Konnte man nicht vorher realisieren? Adelheid mußte Mittel und Wege kennen. Allerdings würden Gold Mounts heute von allen Seiten auf den Markt geworfen werden, und bis zur Börsenstunde waren sie vielleicht schon wertlos geworden. Gleichviel! Andreas fuhr, unter Versprechung eines Extratrinkgeldes, in die Hildebrandtstraße, doch traf er Adelheid nicht zu Hause, was ihm von schlimmer Vorbedeutung schien. Er hinterließ die schriftliche, in strengen Worten abgefaßte Anweisung, sofort alles zu verkaufen. Nach einem ohne Appetit genossenen Frühstück fand er sich blaß und zornig erregt in der Burgstraße ein.

Hier nahm ihn ein dichter Haufe von Gesinnungsgenossen auf. Die Stimmung erhitzte sich durch das Warten in Nässe und Schmutz. Betrogene Spieler reckten, mitten aus dem Gedränge heraus, ihre Fäuste gegen den Börsenpalast. Sie stießen Drohungen aus gegen Jobber und Ausbeuter; andere, die nicht beteiligt waren, ulkten. Und von eifrigen Schutzleuten sorgfältig zusammengetrieben, gewann die Ansammlung an Umfang und Stärke.

Ein jäher Stoß pflanzte sich in der Menschenmasse fort. Droben war eine Tür aufgegangen, dahinter sah man, inmitten einer Staubwolke, ein Gewirr fuchtelnder Arme und geschwungener Stöcke. Ein gellendes Kriegsgetöse näherte sich, es verfolgte einen stolpernden, verstörten, unkenntlichen Menschen, einen Menschen mit eingetriebenem Zylinder, offener Weste, zerrissener Krawatte und einer Hose, die die Spur von Fußtritten trug. Er flog, wie ein weicher, schmutziger Packen alter Kleider, die Stufen hinab und in einen bereitstehenden Wagen. Die Pferde scheuten, der Kutscher peitschte sie in die gestaute Menge hinein, die mit wütenden Drohungen um sich biß.

»Nieder mit Schmeerbauch!«

»Haut ihn tot, den Hund!«

»Knickt ihm die Eisbeene!«

»So was muß mit 'n Knüppel auf 'n Kopf geschlagen werden!«

»So 'n Ekelmatz!«

Die Ulker riefen in das Fenster des Coupés hinein:

»Machste öfter so 'ne Scherze, Kleiner?«

»Sie Luder uf de Kartoffel!«

»Kaufen Sie sich 'n Krawattengeschäft!«

Dann tobte der Sturm der Hineingefallenen, von berittenen Wachmannschaften mit gezücktem Säbel dahingescheucht, dem fliehenden Gefährte nach. Als Andreas Unter den Linden vor den Büros des Bankhauses anlangte, waren an den Fenstern die eisernen Rolläden herabgelassen. Das dumpfe Murren und Fluchen der Belagernden legte sich: man wollte einen Schuß gehört haben. Es verging eine Viertelstunde, ehe die Autorität, in Gestalt eines Bezirkskommissars, in das Lokal eindrang. Nach weiteren zwanzig Minuten erschien ein Sanitätswagen, und endlich wurde, von lebhaftem Pfeifen und Johlen begrüßt, der herausgetragen, der Friedrich Wilhelm Schmeerbauch gewesen war. Das Volk, vor dessen Erbitterung er aus der Welt geflohen war, blieb ungerührt.

»Hops gehen kann jeder!« rief man der Leiche zu.

»Angst, aber keene Besserung!«

»Un ick schnappe Rooch!«

Der vor der Ladentür aufgestellte Schutzmann zeigte sich jovial. Er erklärte schmunzelnd den Nachdrängenden, daß Schmeerbauch, während er den Revolver in seinen Mund hinein abfeuerte, gleichzeitig mit einem Rasiermesser sich den Hals durchgeschnitten habe. Diese Kunde, die rasch um sich griff, fand überall freudige Aufnahme. Die Menge schüttelte sich vor Lachen, die Kutscher, hinten auf dem Fahrdamm, klatschten sich mit den Händen auf die Schenkel und mußten sich festhalten, um nicht vom Bock herunterzufallen; die Schuljungen sprangen feixend umher.

Aber Andreas bedachte, daß Schmeerbauchs Tod, der auf alle versöhnend einwirkte, ihm dennoch sein verlorenes Geld nicht zurückbringe. Im allgemeinen schienen die Gutgekleideten im Publikum derselben Ansicht zu sein. Ein kriegerisch und achtunggebietend aussehender alter Herr in grauem Zylinder äußerte sehr laut:

»Ist denn diesen Leuten alles erlaubt? Durch bewußte Irreführung der öffentlichen Meinung plündern sie ganze Bevölkerungsmassen aus, um sich darauf der Verantwortlichkeit zu entziehen! Und zum Schutze des anständigen Spekulanten geschieht gar nichts!«

Unter dem aufreizenden Eindruck dieser Worte begab Andreas sich nochmals nach der Hildebrandtstraße. Er sprang, ohne das bedenkliche Lächeln des Dieners zu beachten, in großen Sätzen die Treppe hinan und stand, ehe er sich recht besonnen hatte, vor Adelheid. Sie stieß einen Schrei aus.

»Was ist geschehen? Wie siehst du aus!«

Er sah an sich entlang und bemerkte, daß jeder seiner Tritte eine breiartige Flüssigkeit auf dem Parkett zurückließ. Seine Hose war unten abgetreten, sein Rock durchnäßt und unschön zerknittert. Diese Entdeckungen erbitterten ihn noch mehr.

»Ich bin mit dem Volke in Berührung gekommen! Aber darum handelt es sich nicht. Wer ist denn schuld an dem Ganzen, und daß ich in dem Wetter meinem Gelde nachlaufen muß?«

»Andreas! Deinem Gelde?«

»Sie wünschen die Naive zu spielen, meine Gnädige. Sie haben natürlich keine Ahnung, daß es mit Gold Mounts vorbei ist.«

»Kein Wort! Ich habe den ganzen Morgen Anprobe gehabt.«

»Ah!«

Er pfiff durch die Zähne und durchmaß tragischen Schrittes das Zimmer, dessen Boden unter seinen Füßen allen Glanz verlor. Plötzlich blieb er, hoch aufgerichtet, stehen; er traf die geängstete Frau mit einem durchbohrenden Blick und begann zu skandieren:

»Der Attrappen-Artikel – war eine Fälschung. Gold Mounts sind heute bloß – noch Makulatur! Schmeerbauch – hat sich den Hals abgeschnitten, und ich – bin meine – zweitausend – los!«

Sie antwortete nicht, erschrocken und nachdenklich.

»Türkheimer kann doch nicht auch verloren haben?« meinte sie schließlich. Der matte Erfolg seiner dramatischen Erzählung enttäuschte ihn.

»Das ist wohl die einzige Frage, die dich in der Sache interessiert? Und so was nennt sich Liebe! Ich danke! Was kümmert mich Türkheimer? Wenn sie ihm eine halbe Million abknöpfen oder auch eine ganze, so geschieht ihm nur recht, denn es ist ja doch alles gestohlen, entschuldige, daß ich es sage. Es gibt Lagen, in denen ein offenes Wort befreiend wirkt.«

Tatsächlich hatte er sich ein wenig Luft verschafft. Er fuhr, ohne ihrer bittenden Augen zu achten, erbarmungslos in seiner Deklamation fort:

»Von Wichtigkeit wäre es wohl nur, zu erfahren, ob eigentlich diesen Leuten alles erlaubt ist. Dürfen sie durch Irreführung der öffentlichen Meinung ungestraft ganze Bevölkerungsmassen ausplündern? Und zum Schutze der anständigen Spekulanten geschieht gar nichts?«

Sie zog die Stirn in schmerzliche Falten, fieberhaft suchend nach einem Mittel, um den Geliebten zu besänftigen. Die Verzweiflung verhalf ihr zu einer Erfindung.

»Denke nur, ich habe selbst erst heute morgen meinem Manne zwanzigtausend Mark zu Gold Mounts gegeben. All mein Erspartes.«

»Zwanzigtausend –«

Er stockte; die Größe der Summe brachte ihn um seine Sicherheit. Adelheid griff rasch ein, um ihm eine Beschämung zu ersparen.

»Ob zwei- oder zwanzigtausend, es ist natürlich gleich ärgerlich.«

»Das meine ich ja. Was gehen mich im Grunde die zweitausend an? Ob zwei- oder zwanzigtausend, ich sehe kaum einen Unterschied. Mein Himmel, in der Welt des Gedankens, wo ich mich zu bewegen gewohnt bin, spielen Zahlen eine so untergeordnete Rolle. Aber sich betrogen zu fühlen, das ist das Unerträgliche! Der gemeinen Schlauheit von Leuten zum Opfer zu fallen, die man tief, tief unter sich weiß, in einem uns fremden Element. Ah, was für unschöne Erfahrungen! Sie verstimmen uns für viele Tage.«

Er nahm seine stimmungsschwere Wanderung wieder auf, aber sie war sofort an seiner Seite, sie ergriff voll Leidenschaft seinen Arm.

»Du ahnst gar nicht, wie sehr du recht hast. Du sprichst das Leiden meines Lebens aus. Denn in welcher Welt habe ich leben müssen? Und ich habe doch immer einen Zug zum Höheren gehabt. Mit Dichtern und Künstlern bin ich von jeher so gut gewesen. Natürlich hätte es mir noch schlechter gehen können. Türkheimer hat wenigstens was Kulantes, und was er nicht sehen soll, das sieht er nicht. Aber andererseits –«

Sie zögerte unmerklich, bevor sie auch ihren Gatten dem Zorn des Geliebten opferte. Doch kostete es sie nur geringe Überwindung.

»Aber was für einen Charakter hat der Mann, sobald Geld in Frage kommt! Wenn er mich an der Börse im Stich läßt, das ist nicht das Schlimmste. Ich traue ihm zu, daß er unser Geld noch in Gold Mounts anlegt, während er selbst schon auf den Krach hofft. Man muß ihn kennen, das kommt ihm vor wie ein Witz. Meinetwegen. Aber daß ihm alles und alles nur soviel wie ein Geschäft wert ist: Treu und Glauben und das Familienleben und der ganze Klimbim und ich selbst – oh! Du ahnst es nicht, wie oft er mich, sein Weib, verkauft und wieder zurückgekauft hat.«

Es trat Schweigen ein. Beide dachten, ein wenig peinlich berührt, an Ratibohr. Andreas fragte sich:

»So etwas ist also noch öfter vorgekommen?«

Adelheids Geständnisse rächten den Verlust, den ihm die Leute von ihres Mannes Art beigebracht hatten. Türkheimer und seinesgleichen konnten nicht tief genug herabgewürdigt, nicht mit hinreichend satten Worten gezeichnet werden.

»Tröste dich«, bemerkte er wegwerfend. »Er und die anderen, es sind eben Vertreter einer atavistischen Gaunermoral. Sie stehen nicht beträchtlich über den Affen. Übrigens mußte ich dich ja erst kürzlich auf die gänzlich mißglückte Seele deiner Tochter aufmerksam machen.«

»Und doch habe ich nur ihretwegen bisher auf eine Scheidung verzichtet.«

Sie seufzte tief auf, das Gesicht gegen seine feuchte Schulter gepreßt. Sie fühlte ihn nur halb beschwichtigt, seine üble Laune nur abgelenkt. Seine Stimme behielt den harten Klang, den Adelheid jetzt regelmäßig vernehmen mußte im Verlaufe der erregten Auftritte, die neuerdings zwischen ihnen immer häufiger wurden. Sie konnte es nicht länger verhehlen, daß er Streit suchte. Warum sprach er so grausam zu ihr, wie ein Gegner, der seine Interessen vertritt? Er mußte doch auf ihrer Miene die Furcht und die Pein bemerken, die ihr jedes böse Wort verursachte. Fing denn seine Liebe zu ermüden an? Zum erstenmal beschlich sie dieser Gedanke; er griff eiskalt an ihr warmes Herz, daß es entsetzt zusammenschauerte.

Sie umklammerte fester seinen Arm und rief mit plötzlicher Eingebung:

»Aber wozu all die Rücksichten auf eine hohle Konvention! Wenn ich es nun doch täte!«

»Was?«

»Mich scheiden ließe?«

»Bist du –?«

Er trat erschreckt einen Schritt zurück. Aber als er ihren Einfall ganz erfaßt hatte, wurden seine Augen größer, und sein Gesicht rötete sich.

»Willst du, so laß uns fliehen!« sagte sie dringend.

»Mit dir fliehen? Warum nicht gar?«

Sie lächelte.

»Du glaubst mir nicht? Aber du unterschätzt mich, ich bin zu allem imstande.«

»Es scheint so.«

Die Adern an seinen Schläfen waren geschwollen; er lachte, erst ganz leise, aber unaufhaltsam stärker, unfähig die Heiterkeit zu meistern, die ihm der Gedanke an eine Flucht mit Adelheid einflößte. Am Abend seines ersten Auftretens im Schlaraffenland, damals als er mit unbeholfenen und sanguinischen Eroberungsträumen umging, hatte er da nicht mit sich ausgemacht, daß dies kein Idyll sei, und daß er Frau Generalkonsul Türkheimer nicht auf eine Liebesinsel zu entführen habe? Und jetzt wollte sie dennoch entführt sein, anders tat sie es nicht mehr! Er sah sie bereits, wie sie mit der Grazie der Fetten in einen winzigen Nachen hüpfte. Darin sollten sie beide über das blaue Meer dahinschwimmen nach jenem Eiland schwärmerischer Herzen. Es war köstlich.

Sie sah verwundert und ein wenig betrübt seine Fröhlichkeit immer ausgelassener werden. Doch tröstete es sie, endlich seinen Unmut ganz verscheucht zu haben. Wie hübsch war er, wenn seine Augen lachten, und die gesunden weißen Zähne unter dem blonden Bärtchen! Und Adelheid stimmte ein, erst resigniert, dann von Herzen.

Gleichzeitig erschien Türkheimer in der Tür des Nebenzimmers. Er kam lendenlahm, mit kleinen Schritten herein und ließ sich behutsam in einen Sessel nieder.

»Nun hat die liebe Seele Ruh'. Daß es doch noch harmlose Menschen gibt, die sich angeregt unterhalten können. Mir ist an der Börse ganz mau geworden.«

Er prüfte, pfiffig den Kopf wiegend, den Anzug des jungen Mannes und die feuchten Spuren am Boden.

»Ach, Sie waren wohl auch dabei? Blödsinniger Betrieb was?«

»Ich habe ihn mir von außen angesehen«, erklärte Andreas.

Türkheimer empfand die Zurückhaltung in seiner Stimme.

»Gefällt Ihnen wohl nicht?« fragte er vertraulich.

»So so. Wenn die Bekanntschaft mit der Börse nicht so kostspielig wäre, hätte ich ja weiter nichts gegen das Institut.«

»Sie sind zu gütig. Wahrscheinlich haben Sie auch 'n bißchen geblutet?«

»Ich dachte, Sie wüßten es am besten, Herr Generalkonsul.«

»Nanu? Sie wollen wohl krummer Hund schimpfen?«

Adelheid mischte sich ein.

»James, Herr Zumsee hat dir doch durch mich verschiedene Beträge geschickt, um Gold Mounts zu kaufen. Herr Zumsee ist doch nicht der einzige von unseren Hausfreunden, dem du darin gefällig bist.«

Türkheimer strich sich durch die rötlichen Koteletten. Er grinste, voll Bewunderung für den scharfsinnigen Kunstgriff seiner Gattin. Also auf diese Weise versah sie die jungen Leute mit Mitteln. Die klugen Frauen! Er drückte sich den goldnen Klemmer vorn auf die Nase und zog ein Taschenbuch hervor.

»Stimmt«, sagte er. »Ihr werter Auftrag ist prompt effektuiert.«

»Danke bestens«, erwiderte Andreas kühl. »Gestatten Sie mir indes eine indiskrete Erkundigung, Herr Generalkonsul: Haben Sie gestern auch für eigene Rechnung Gold Mounts gekauft?«

»Frage! Selbstredend. Aus lauter Gutmütigkeit habe ich mitgemacht, um den andern den Spaß nicht zu verderben.«

»Na, dann sind auch Sie damit sitzengeblieben!«

Er seufzte vor Genugtuung. Aber Türkheimer lächelte ihn an, den Kopf auf die Schulter gelegt.

»Das könnte Sie wohl so freuen? Sie Böser! Nun will ich Ihnen gerade mal was verraten. Alle Gold Mounts, die ich mir gestern zugelegt hatte, die habe ich ganz sachte immer gleich wieder abgegeben.«

»Aha!« bemerkte Andreas, tief verstimmt. Er wandte sich kurz ab. Der andere erwischte ihn am Rockschoß.

»Sie meinen, ich will Sie betimpeln, Freund und Meister, ich sehe es Ihnen von hinten an, daß Sie das meinen. Aber ich frage Sie einfach, wozu? Liegt mir etwa nichts an Ihrer Freundschaft? Einen berühmten Dichter wie Sie, den muß man sich warmhalten, das wissen Sie doch? Nu also.«

»Was heißt hier Freundschaft, Herr Generalkonsul, wenn Sie schon gestern gewußt haben, daß der Birkenbusch-Fellenthiensche Artikel eine Fälschung war, und daß es heute einen Krach geben mußte – und mir haben Sie nichts davon gesagt.«

»Regen Sie sich nicht auf, Meister, es steht Ihnen nicht. Immer nobel, wenn's auch fünf Pfennig kostet! Sie sind böse mit mir, weil ich Ihnen noch gestern Gold Mounts gekauft habe. Soll ich Ihnen aber was erzählen? Ich habe Ihnen gar keine gekauft.«

»Ach nein? Sie sind ja – das ist ja –«

»Reizendschön«, ergänzte Türkheimer.

Andreas ergriff in einer freudigen Wallung seine von der Rückenlehne des Sessels schlaff herabhängende Rechte. Innig sagte er:

»Sie sind zu liebenswürdig, Herr Generalkonsul.«

»Nicht wahr? So bin ich den ganzen Tag. Nun hören Sie aber zu Ende.«

»Oh bitte, es eilt nicht mit der Rückgabe meiner zweitausend.«

»Was ich sagen wollte: gestern, als sie auf hundertsiebzig über Pari standen, habe ich Ihnen keine gekauft, aber heute, wo sie einem nachgeworfen werden, da habe ich Ihre ganzen zweitausend darin angelegt.«

»Nicht möglich!«

Der jähe Schreck drückte Andreas auf einen Stuhl nieder. Er fühlte kalten Schweiß ausbrechen. Türkheimer redete weiter, jovial näselnd, mit vorsichtigem Wiegen des Hauptes und kleinen bedeutungsvollen Pausen, durch die er die Wirkung seines Vortrages erhöhte, als berichte er eine scherzhafte Anekdote.

»Schmeerbauchs Schicksal ist nämlich wohlverdient und außerdem lehrreich. Der faulste Macher hat manchmal das feinste Geschäft in Händen, er weiß es bloß nicht. Gewohnheitsmäßig macht er den Leuten was vor und schwindelt, wo gar kein Schwindel nötig ist. Ich frage einen Menschen, wozu werde ich schwindeln, wenn ich doch mit der Ehrlichkeit viel weiter kommen kann. Nu, Schmeerbauch hat Gold Mounts künstlich aufgekitzelt mit seinen albernen Lügen, wo sie doch von selbst viel stetiger und besser gestiegen wären. Da kommt der große Unbekannte, der hat Mitleid mit dem schönen Geschäft und überbietet Schmeerbauch und lügt noch mehr als er. Was geschieht infolge des angeblich Birkenbusch-Fellenthienschen Artikels? Gold Mounts schnellen auf hundertsiebzig hinauf. Und was geschieht infolge des Dementis unseres großen Gelehrten? Sie fallen unter Pari. So mußte es kommen. Was haste, was gibste schneidet Schmeerbauch sich den Hals ab. Und sagen Sie selbst, warum sollte er sich nicht den Hals abschneiden? Hat er es besser verdient? Denken Sie bloß an all die Dummen, die er durch seine Schwindelmache um ihr Geld gebracht hat, meist kleine Leute, die ihre Groschen in ihrem saueren Schweiß aufbewahren, wie Rollmöpse in Essig. Heutzutage muß man schließlich 'n paar soziale Gefühle haben, anders geht es in unserer Zeit nicht mehr, und Dumme sind auch Menschen.«

Andreas vollführte eine mutlose Gebärde, aber Türkheimer fuhr mit lächelnder Überlegenheit fort:

»Jetzt meinen Sie, die Geschichte ist zu Ende. Ist sie aber nicht. Der Krach hat eine Sanierung der Verhältnisse bewirkt. Der große Unbekannte des ›Nachtkurier‹ hat das Geschäft wieder auf eine solide Basis gestellt, schon morgen wird die Börse das zu würdigen wissen. Gold Mounts werden sich aufnehmen und fest werden.«

»Das sagen Sie, Herr Generalkonsul.«

»Tun Sie mir die Liebe und machen 'n vergnügtes Gesicht! Sie haben so was Glückliches an sich, das gefällt uns allen, nicht wahr, Adelheid? Wenn Sie Trübsal blasen, fallen Sie aus der Rolle. Mut, junger Mann! Morgen haben Sie mit Ihren Papierchen schon was verdient, wetten? 'ne Flasche Selterwasser?«

Andreas raffte sich aus seinem Schmerze auf, er sagte möglichst unbefangen:

»Lieber um den Preis der Flasche. Ich kann jetzt jeden Pfennig brauchen.«

»Auch gut.«

Türkheimer schüttelte ihm die Hand; er kicherte lange und herzlich, indes er ihm kleine freundschaftliche Schläge auf den Bauch erteilte. Adelheid, die, unaufmerksam und besorgt, fortwährend ihren Platz gewechselt hatte, wollte sich beim Abschied vergewissern, daß er versöhnt und beruhigt sei. Aber er vermied ihren furchtsam flehenden Blick.

Auf der Treppe begegnete ihm Griseldis von Hochstetten, die ihre hochmütige Ruhe eingebüßt hatte. Ihr halblanger, altjüngferlicher Peluchemantel stand offen; sie hastete die Stufen hinauf, mit abwesender Miene, in ihren Tiefen aufgerüttelt, atemlos und verängstet. Andreas, den sie zu übersehen trachtete, grüßte sie mit Nachdruck. Er sagte im Vorübergehen:

»Gold Mounts stehen unter Pari, mein gnädiges Fräulein.«

Er atmete höher im Genuß dieser Rache; sein Gemüt klärte sich auf. Es kam ihm angenehm zum Bewußtsein, daß er soeben ein recht eigenartiges Gespräch geführt habe. Wer konnte sich rühmen, gegenüber dem Generalkonsul James L. Türkheimer die Töne angeschlagen zu haben, deren er, Andreas Zumsee, sich bedient hatte? Er war ja beinahe frech geworden.

Abends genoß er mehr Rotwein als gewöhnlich. Den wirksamsten Trost aber gewährte ihm das Nachtblatt des »Nachtkurier«. Was eine ganz unwahrscheinlich verruchte Freveltat in sonst milden Seelen an sittlicher Empörung erregen konnte, das kam in dem Jekuserschen Organe zum Ausbruch. Erst jetzt begriff die Redaktion die Scheußlichkeit der Fälschung, deren Opfer sie geworden, in ihrem ganzen Umfange. Also darauf lief es hinaus, daß die vertrauensvollen Spekulanten, die ihr ehrlich erworbenes Vermögen in einem soliden Geschäft anzulegen glaubten, als sie Gold Mounts kauften, durch derartige verwerflichste Machenschaften um das Ihrige gebracht werden sollten. In der Tat mußte man gerade im Namen der anständig denkenden Geschäftswelt energischen Protest einlegen gegen derartige verwerflichste Machenschaften, die geeignet erscheinen dürften, das Ansehen der Börse und des ganzen Kaufmannsstandes zu untergraben und dieselben in der öffentlichen Meinung herabzusetzen. Übrigens verlautete bestimmtest, daß an Allerhöchster Stelle eine mißliebige Äußerung betreffs des Vorkommnisses gefallen sei. Was den Täter anlangte, so hatte er sich augenscheinlich selbst gerichtet! Offenbar hatte Schmeerbauch sich in seinen verbrecherischen Berechnungen getäuscht. Das Dementi unseres geschätzten Weltreisenden kam für seine Pläne um einen Tag zu früh, bevor er realisiert und seinen Raub in Sicherheit gebracht hatte. Vollständig ruiniert und mit dem Fluch eines ganzen Volkes beladen, hatte er, der berufsmäßige Halsabschneider, nichts Besseres zu tun gewußt, als auch an die eigene Gurgel das Messer zu setzen. Habeat sibi. Wenn, wie der Lateiner empfahl, über Tote nur Gutes gesprochen werden sollte, so schwieg man am besten über Friedrich Wilhelm Schmeerbauch.

Am folgenden Vormittag aber las Andreas in der Morgenausgabe ein neues fettgedrucktes Telegramm des Herrn von Birkenbusch-Fellenthien. Wenn in dem unter Mißbrauch seines Namens erschienenen Aufsatze die Behauptung aufgestellt werde, die Gold Mounts glichen ebenso vielen Attrappen, die man gleichsam nur aufzuklappen brauche, um sie von oben bis unten mit fertigen Münzen angefüllt zu finden, so stelle sich dies naturgemäß als eine an das Komische streifende Übertreibung dar. Damit solle indes keineswegs gesagt werden, daß das fragliche Unternehmen nicht ein wissenschaftlich sehr wohl fundiertes sei. Wenn seine erste Depesche eine Börsenpanik zur Folge gehabt habe, so bedaure er dies. Tatsächlich habe man bisher zwei Hauptschächte und fünf Querschächte ausgegraben, und seine wissenschaftlich begründete Ansicht gehe dahin, daß man auch noch weitere wertvolle Erfolge erzielen werde. Die Annahme, das Klima sei eines der fruchtbarsten der bekannten Erde, entbehre zwar eines wissenschaftlichen Nachweises, auch könne die angeblich »blühende Romantik« und »paradiesische Fruchtbarkeit« des Landstriches vor einer wissenschaftlichen Kritik nicht bestehen. Doch gebe es wissenschaftliche Belege dafür, daß mit Anwendung von viel Flanell sowie unter Vermeidung von Alkohol das Leben in fraglicher Gegend sich auch für Europäer zu einem erträglichen gestalte.

Gegen Schluß der Börse begab der junge Mann sich abermals in die Burgstraße. Unter dem Publikum, das weniger zahlreich und viel leidenschaftsloser als gestern umherstand, war das Ergebnis des Tages schon bekannt geworden. Infolge von beruhigenden Pressenachrichten hatten Gold Mounts sich aufgenommen. Bei dreißig über Pari wurden sie, durch Realisationen veranlaßt, etwas nachgebend; aber wiederholte Käufe befestigten sie wieder. Im ganzen besaßen sie steigende Aussichten.

Das Geschäft, das jetzt als streng solide, als eine Anlage für Familienväter galt, befand sich überraschenderweise ganz in den Händen des Hauses James L. Türkheimer. Andreas, der zwei Herren über diese Tatsache ihre Meinungen austauschen hörte, konnte nicht umhin, sich in das Gespräch zu mischen.

»Ich weiß zufällig, wie er's gemacht hat«, sagte er, vor Stolz errötend. »Vorgestern, als Gold Mounts schwindelnd hoch standen, hat er nur Scheinkäufe gemacht, gestern aber, wo sie nichts mehr kosteten, hatte er alles an sich gebracht, was auf den Markt geworfen wurde. Nun beherrscht er das Ganze.«

»Dann muß er die Fälschung im ›Nachtkurier‹ gekannt haben«, meinte sein Nachbar.

»Natürlich, oder vielmehr höchstwahrscheinlich«, erwiderte Andreas, geheimnisvoll lächelnd. Er dachte sich nichts dabei; aber gleich darauf kam ihm ein verblüffender Einfall. Wenn nun Türkheimer selbst der große Unbekannte war, von dem er immerfort gesprochen hatte. Von ihm war der verhängnisvolle Artikel in den »Nachtkurier« lanciert, von ihm der Krach herbeigeführt, der Schmeerbauch das Leben kostete, und von ihm das Geschäft saniert. Das alles lag auf der Hand, wie hatte Andreas es solange übersehen können! Er trat von einem Fuß auf den andern, in der Ungeduld, sein Wissen merken zu lassen. Endlich begann er:

»Diese Finanzleute! Apokryphe Nachrichten in die Blätter bringen, Tausende von Existenzen vernichten, und vermittels des Kraches das ganze Unternehmen an sich reißen, das alles kostet sie gar nichts. Es sind doch Herrenmenschen, wir anderen kommen gegen sie nicht auf. Jetzt behaupten sie, Schmeerbauch sei es gewesen. Liebe Güte, der arme Tote hat einen breiten Rücken. Hoffentlich glauben Sie kein Wort davon? In Wirklichkeit ist es natürlich Türkheimer ganz allein.«

Es hatten sich einige Zuhörer eingefunden; Andreas sah erhobenen Hauptes, voll der eigenen Wichtigkeit, im Kreise umher.

»Das wäre ein bißchen stark«, bemerkte jemand. »Wissen Sie denn die Geschichte so genau?«

»Oh, ich bin sehr intim im Türkheimerschen Hause.«

Mit diesen nachlässig hingeworfenen Worten entfernte er sich. Droben im Vestibül erschienen einige Herren, allmählich entstand eine Ansammlung, dann bildeten sie Spalier: im Hintergrunde zeigte sich Türkheimer. Zwischen den gekrümmten Gestalten verstummender Trabanten durchschritt er, ein machtsattes Lächeln auf den Lippen, dieselbe Tür, durch die in einer tragischen Stunde Friedrich Wilhelm Schmeerbauch ins Freie gelangt war. Sein ungeheurer Nerzpelz fiel von den Schultern schwer und gradlinig, seinen Gang behindernd, bis auf die Füße und hüllte ihn in die unmenschlich steife Majestät eines byzantinischen Gebieters. Die rötlichen Koteletten leuchteten, von einem Sonnenstrahl getroffen, wie ein weithin erkennbares Abzeichen seiner furchtbaren Würde. Auf der Straße umflüsterte ihn nur scheue Hochachtung. Niemand unter den Ausgeraubten dachte daran, einen jener aufrührerischen Rufe, die den unglücklichen Schmeerbauch empfangen hatten, gegen Türkheimer, den Sieger, zu erheben. Er schien, mit kaiserlicher Brutalität, über die Nacken seiner Zeitgenossen hinwegzuschreiten; mochten sie ihn hassen, wenn sie ihn nur fürchteten. Man wollte wissen, er habe heute sechsmalhunderttausend Mark verdient. Einige glaubten nur an achtzigtausend, aber andere sprachen, ohne sich beirren zu lassen, von fünf Millionen.

Türkheimer entfernte sich zu Fuß, er kam nur ganz langsam von der Stelle in seiner schwerfälligen Pracht. Ein eleganter Landauer, mit einem säbelschwingenden Türken in grün-silberner Livree auf dem Wagenschlag, folgte in gemessener Entfernung. Der grün-silberne Lakai ging drei Schritte hinter ihm.

Andreas bemühte sich vergebens, einen Blick des großen Mannes zu erhaschen; aber einige ihm bekannte Börsenbesucher begrüßten ihn. Er drückte Süß und Duschnitzki die Hand.

»Ein großartiger Coup!« sagte er. »Echt Türkheimer!«

»Heißt 'n Schmu«, versetzte Süß mit saurer Miene, aber Duschnitzki, der gewonnen hatte, lächelte selbstgefällig.

»Schmeerbauch mit seiner nichtswürdigen Fälschung ist doch nicht ohne«, meinte er.

»Sie glauben doch nicht an so was?« rief Andreas.

»Diese Finanzleute! Apokryphe Nachrichten in die Blätter bringen –«

Er gab wiederum seine Überzeugung kund, daß Türkheimer und kein anderer der große Unbekannte sei. Dann ließ er die erstaunten Zuhörer stehen. Kaflisch vom »Nachtkurier« lief ihm in den Weg:

»Mahlzeit, Meister. Auch 'n guten Tag gehabt?«

»Was denn sonst? Man mußte doch wissen, daß Türkheimer heute das Geschäft sanieren würde.«

»Sie Schlauberger!«

»Er hat es mir gestern selbst gesagt.«

»Nein, aber Sie!«

Kaflisch riß Augen und Mund auf. Andreas fragte:

»Haben denn Sie etwa auch an die Fabel von der Schmeerbauchschen Fälschung geglaubt, die Jekuser seinen harmlosen Lesern auftischt?«

Er sagte nochmals seinen Spruch her:

»Diese Finanzleute! Apokryphe Nachrichten – –«

»Also Türkheimer ist selbst das Karnickel?« bemerkte der Journalist; er zögerte noch.

»Na, mir kann's ja recht sein.«

Und er öffnete sein Taschenbuch. Andreas wurde ängstlich.

»Was machen Sie da? Ich hoffe doch nicht –«

»Nu, was denn?«

Kaflisch schrieb bereits.

»Daß Sie verraten, was ich Ihnen im Vertrauen erzähle?«

»Im Vertrauen is gut. Wozu erzählen Sie es mir, wenn ich es nicht verraten soll? Und wozu hat Türkheimer es Ihnen erzählt? Natürlich hat er Ihnen angesehen, daß Sie es nicht bei sich behalten können, und das paßte ihm gerade. Sie kennen ihn nicht, er ist eitel wie alle großen Männer und will, daß man seine Taten ahnt, ohne sie ihm beweisen zu können. Und Sie, Meister, haben sich eingebildet, er verrät Ihnen aus lauter Gutmütigkeit seine innersten Geheimnisse? Nein, aber über euch Dichter! Wenn ihr euch nicht gerade zufällig mit Inspiration vollgesogen habt – die übrige Zeit seid ihr gänzlich ahnungslos!«

Kaflisch war verschwunden. Andreas sah sich nach Türkheimer um; sein gesellschaftlicher Instinkt sagte ihm, daß er nicht versäumen dürfe, dem Sieger in der Stunde des Triumphes unter die Augen zu treten. Beim Denkmal Friedrichs des Großen holte er ihn ein und ging über die Straße im Bogen auf ihn zu, sorgsam bemüht, den Augenblick abzupassen, wo sein Gruß bemerkt werden mußte. Türkheimer winkte ihn leutselig heran.

»Sie schulden mir 'ne Flasche Selterwasser«, sagte er.

Der junge Mann vermochte nicht gleich zu antworten; Stolz und Glück erstickten ihn. Er blinzelte mit steifem Hals hochmütig den Vorübergehenden zu, die ihn Seite an Seite mit einem der Machthaber des Jahrhunderts dahinwandeln sahen.

»Bloß eine Flasche Selterwasser?« stieß er endlich hervor. »Oh, Herr Generalkonsul, ich schulde Ihnen viel, viel mehr, als Sie selbst wissen können. Was die Bekanntschaft eines Genies der Tat wie Sie für einen Dichter wert ist, das läßt sich gar nicht ausrechnen! Von gefälschten Pressenachrichten, Irreführung der öffentlichen Meinung und ausgeplünderten Bevölkerungsmassen zu faseln, das überlasse ich den Moralisten. Für mich überwiegt in Ihrer Individualität und in Ihrer Wirksamkeit das Ästhetische. Sie vergönnen uns geschwächten Modernen, einen Eroberertypus, einen Renaissancemenschen zu schauen!«

»Na, na«, erwiderte Türkheimer bescheiden, doch schob er, angenehm berührt, den Spitzbauch ein wenig weiter vor. Andreas war ehrlich begeistert.

»Niedrige Schmeichelei liegt mir fern, aber gestatten Sie mir, es Ihnen ausdrücklich zu sagen, Herr Generalkonsul: Sie sind ein großer Mann!«

»Schon lange! Aber Meister, das feine Geschäft, das Sie heute machen, hat Ihren Dichtergeist wohl 'n bißchen berauscht? Sie kommen mir schon teilweise nach oben entrückt vor.«

»Ist es denn so viel?« fragte Andreas mit zitternder Stimme.

»Was?«

»Was ich – nun, was ich an Gold Mounts verdiene?«

»Für mittlere Ansprüche genügt es. Wenn Sie noch ein paar Tage warten, dann verspreche ich Ihnen – na, sagen wir –«

»Sagen wir?«

Andreas hielt den Atem an. Türkheimer schnippte mit den Fingern; launig und aufs Geratewohl warf er hin:

»Sagen wir dreißigtausend.«

»Dreißigtausend!«

Andreas tat einen Sprung. Um nicht laut aufzujubeln, biß er sich auf die Lippen, daß es schmerzte. Dann sagte er sich, mit sehr ernst gewordener Miene, daß hier eine bemerkenswerte Epoche eintrete. Dies war kein Taschengeld mehr; er fing nun also an, sich im Börsenspiel ein Vermögen zu erwerben. Die Einrichtung in der Lützowstraße, die gepreßten Ledermöbel, das geschnitzte und vergoldete Louisquinze-Bett wurden in diesem Augenblick gleichsam aus einer höheren Sphäre an Fäden zu ihm herabgelassen: er durfte sich ihrer mit gutem Gewissen bemächtigen. Der ausschweifendste Luxus würde allmählich aufhören ein Traum zu sein. Andererseits mußte er kapitalisieren. Da er bei seinen Spekulationen fortan mit größeren Summen operieren konnte, würde das erste Hunderttausend schnell erreicht sein. Nach Zurücklegung einer halben Million beschloß er eine Reise in seine Heimatstadt zu unternehmen, um durch den Anblick seiner Herrlichkeit die Gumplacher zu blenden.

Ein Kotklümpchen, das sein Beinkleid traf, riß ihn aus seinem hochgemuten Sinnen. Ärgerlich schaute er sich nach der Hofkutsche um, die lärmend vorbeirasselte. Zugleich sah er über Türkheimers Gesicht ein leises Lächeln huschen. Andreas meinte es zu verstehen, er versetzte:

»Es ist heutzutage natürlich unfein, demokratische Ansichten zu äußern; aber abgesehen davon: mit was für seltsam altertümlichen Institutionen haben wir in unserer modernen Welt es doch immer noch zu tun. Eine Hofkutsche! Ein Hof!«

»Kommt Ihnen das so komisch vor?«

»Ich stelle mich nur auf den sozialphilosophischen Standpunkt. Was tun eigentlich jene Leute? Sie stellen etwas vor, was sie gar nicht sind, und ziehen sich Furcht und Haß der Menge zu vermittels des Glaubens an eine Macht, die sie längst nicht mehr besitzen. Wo befindet sich denn jetzt die Macht? Wo wird denn über die höchsten Interessen der Nation entschieden, wo regen sich die echten Leidenschaften, wo schwingt man sich auf den sozialen Gipfel oder sinkt in den Abgrund? Es ist doch klar: in einer halben Stunde, die ich auf dem Pflaster der Burgstraße vor der Börse zubringe, habe ich mehr wirkliche Macht zu fühlen bekommen als während einer ganzen großen Haupt- und Staatsaktion.«

»Was Sie da erzählen, hat was Großartiges«, meinte Türkheimer schmunzelnd, »und es braucht gar nicht mal Unsinn zu sein.«

»Es sind doch einfache Tatsachen. Von Diplomaten und Würdenträgern will ich gar nicht reden, aber denken Sie sich irgendeinen Fürsten, der irgendeinem Privatmanne, oder einem Gewerbe, einer Bevölkerungsklasse wenig wohlwill. Er möchte die Betreffenden strafen; seine Brauen verfinstern sich, er schlägt an die Säbelscheide, und meinetwegen stößt er Drohungen aus. Aber was weiter? Ihm fehlen ja alle Mittel, seine Drohungen zu verwirklichen. Er steht ja in gar keiner Verbindung mit uns und unserem bürgerlichen Leben. Auf mich könnte er eine ganz besondere Pieke haben und vermöchte mir doch kein Haar zu krümmen. Sie dagegen, Herr Generalkonsul, können mich einfach totmachen.«

»Ich werde mich hüten. Wie käme ich denn dazu?«

»Eine Laune, ein Wink von Ihnen, und der oder jener ist ruiniert, eine Unmasse Familien geraten ins Elend oder werden glücklich, je nachdem es Ihnen gefällt; notleidende Stände gehen ganz zugrunde oder dürfen ihr Dasein fristen, und die soziale Unzufriedenheit nimmt ab oder wächst. Wenn Sie eine ausgestopfte Uniform tragen würden, Herr Generalkonsul, mit vielen goldenen Tressen, Schnüren, Knöpfen und Quasten, und einen Helm mit wild wehendem Federbusch auf dem Haupte, dann würden alle sehen, wo die Macht sich befindet. So aber traut der blöde Pöbel sie noch immer jenen anderen, Buntgekleideten zu, die bloß Theater spielen. Reden halten, Orden verleihen, feierlich frühstücken und Ehrenjungfrauen auf die Stirne küssen, öffentlich beweihräuchert und hinterrücks verulkt, von der Presse geärgert und von Anarchisten ermordet werden: das alles käme tatsächlich Ihnen zu, Herr Generalkonsul!«

»Nanu!« rief Türkheimer erschreckt. »Von Anarchisten – Was sagen Sie von Anarchisten! Jetzt haben Sie den Mund aber zu voll genommen, ein so liebenswürdiger Plauderer Sie sonst auch sind. Kommen Sie hier herum, mein Lieber, ich zeige Ihnen mein neues Geschäftshaus.«

Sie bogen in die Friedrichstraße ein. Andreas, durch die Beredsamkeit, die das Glück in ihm entfesselt hatte, süß berauscht, rannte heftig gegen einen Herrn an, der stehenblieb, um Türkheimer zu begrüßen. Dieser sagte:

»Da sind Sie ja, Kokott, Sie können gleich mitkommen.«

Andreas erinnerte sich des Baumeisters; er hatte bei dem Huldigungsmarsch nach der Aufführung der »Verkannten« unter den ersten den Dichter beglückwünscht. Es war ein engbrüstiger Mensch mit ungewöhnlich langen Gliedmaßen; sein Kopf saß hoch auf einem sehnigen Halse, der in knotigen Windungen aus dem zu weiten Klappkragen ragte. Ein schütterer schwarzer Bart stand ihm um Backen und Kinn, die Nase lag, nach innen gebogen, tief in dem hageren braunen Gesicht, die Augen blickten boshaft, scheu und tierisch haltlos. Kokott trug keinen Überzieher, und aus den zu kurzen Ärmeln seines fadenscheinigen Röckchens hingen die Hände, lang behaart, groß und erstaunlich gekrümmt, bis über die Knöchel heraus. Er machte den Eindruck, als sei er unglücklich, widerspenstig und voll unbedachter Instinkte.

»Wo bleiben Sie denn?« fragte Türkheimer im Weitergehen. »Warum lassen Sie sich bei mir im Kontor nicht mehr blicken?«

»Ich weiß nicht, ich bin da nicht gern«, sagte Kokott heiser und sanft, mit einem schiefen Blinzeln. Türkheimer kicherte.

»Hat der Mensch 'ne Ahnung von Geschäften? Sie haben ja Ihre fälligen Wechsel nicht bezahlt. Was fange ich denn mit Ihnen an? Sie müssen neue schreiben.«

Der Baumeister wandte sich an Andreas.

»Herr Kollege Zumsee, ich will mich nun lieber auch als Schriftsteller auftun.«

»Warum?«

»Na, wer so viel quer schreibt –«

»Der war gut, Kokott«, bemerkte Türkheimer. »Für den sollen Sie wieder 'ne Kiste haben. Sie wissen doch, fein, fein. Haben Sie noch welche?«

»Ich werde bald das Hemd auf dem Leibe nicht mehr haben. Was tue ich mit all den Zigarren?«

»Sie brauchen sie ja nicht im Hemd zu rauchen.«

Andreas lachte herzlich. Kokott meinte wehmütig:

»Der war noch besser, Herr Generalkonsul.«

Von Zeit zu Zeit sah Türkheimer den Baumeister schmunzelnd von der Seite an. Er schien ihn hinter sich her zu schleppen wie einen großen, bösartigen Affen, der auf seine Kette beißt und dessen Zähnefletschen beunruhigt, aber doch Spaß macht.

Das Gedränge der Vorübereilenden trennte sie. Andreas blieb mit Kokott einige Schritte zurück; er erkundigte sich:

»Also Sie bauen das neue Geschäftshaus?«

Der andere hob die Achseln.

»Ist auch was Rechtes. Ein eiserner Kasten, amerikanisch, zwölf Stockwerke, bloß für Kontore. Wo bleibt da die Kunst? Aber so muß es kommen, wenn wir Künstler in die Sklaverei der Jobber und Volksausbeuter geraten.«

»Oh, oh!« machte Andreas, dem solche harten Worte heute wie grober Undank vorkamen. Aber Kokott sprach einschmeichelnd und mit großer Geläufigkeit weiter.

»Wir können ja ohne sie nicht auskommen. Ich zum Beispiel, ich habe viel Talent, aber kein Geld. Daher habe ich mich von dem da –«

Er wies mit seinem breiten, gelben Daumen auf den vor ihnen herwandelnden Türkheimer.

»Von dem da habe ich mich als Baulöwe frisieren lassen.«

»Aha, als Baulöwe«, sagte Andreas, ohne Verständnis.

»Man weiß ja, wie sie das machen. Er hat mir einen Haufen Geld geliehen, wie ich noch keinen gesehen hatte; davon mußte ich mir das Haus bauen. Natürlich reichte es nicht, und als die Lieferanten mich wegen der rückständigen Zahlung bedrängten, mußte ich Pleite machen. Sie fragen mich, warum ich, ein Künstler, mich auf solche faulen Sachen einlasse, aber man will doch leben.«

»Wovon leben Sie denn?«

»Nun, vom Schweigegeld, das er mir gibt.«

»Ah, Schweigegeld! Erzählen Sie doch weiter!«

»Bei meiner Pleite kam für meine Gläubiger begreiflicherweise nichts heraus, da ich ja leider mittellos bin. Der Bau ging in seinen Besitz über, denn natürlich hatte er sein Darlehen als erste Hypothek eintragen lassen. Die Handwerker haben rein gar nichts bekommen; Rechte hatten sie selbstredend keine. Aus besonderer Menschenfreundlichkeit hat er ihnen erlaubt –, nu, raten Sie mal!«

»Was denn?«

»An dem Neubau weiterzuarbeiten. Das tun sie denn auch von Herzen gern.«

»Großartig!« rief Andreas halblaut, von Bewunderung hingerissen: Kokott schnitt in Türkheimers Rücken eine rachgierige Fratze. Er zeigte sein ganzes Gebiß.

»Das können Sie sich wohl ausrechnen, daß ich von meinem Honorar noch keinen Pfennig gesehen habe. Und ist auch gar keine Aussicht, denn ich bin ja schon, seit ich denken kann, bei ihm in der Kreide. Nachgerade wird alle Tage ein Wechsel fällig, ich muß froh sein, wenn ich ihm zeit meines Lebens gratis Häuser bauen darf. Kriege ich ihn aber mal zufällig mit auf ein Gerüst hinauf, dann soll er bedeutend plötzlicher unten wieder ankommen, als ihm lieb ist!«

So schloß Kokott, dumpf und verhängnisvoll. Gleich darauf versetzte er eifrig:

»Hier herein, verehrter Meister, wir sind schon angelangt.«

Er eilte Türkheimer nach, der vor ihnen die Markgrafenstraße betreten hatte. Er führte ihn in den Neubau hinein und die Treppe hinauf, behende, unter fortwährenden Körperverrenkungen und mit einem Mienenspiel voller Demut. Im ersten Stock rafften eben die Parkettleger ihr Handwerkszeug zusammen.

»Das Parkett haben wir aus der Konkursmasse von Bohmke & Piep«, sagte Kokott. »Es ist umsonst, ganz wie Herr Generalkonsul befohlen haben.«

Ein Arbeiter, der noch beschäftigt gewesen war, erhob sich beim Erscheinen der Herren aus seiner knienden Stellung.

»Nu jrade nich!« äußerte er, indem er an ein Fenster trat. Türkheimer, kurzluftig und darniedergebeugt unter dem Gewicht seines fabelhaften Pelzes, begab sich an ein anderes. Er spähte schalkhaft nach dem Proletarier hinüber, einem glatzköpfigen Manne in gestrickter Weste, fahl, mit lebhaft gefärbter Nase und wüstem, rotem Bart. Unter dem peinlichen Eindruck, den eine gelegentliche Berührung mit der niederen Klasse neuerdings seinem verfeinerten Gefühle beibrachte, schaute Andreas auf die Straße hinab. Ein paar Droschken klapperten vorüber. Plötzlich hörte er den Arbeiter murren:

»Dicket faulet Aas, dhut 'n janzen Dag nischt, fährt uff Jummirädern. Wat ick mir jifte!«

Gleichzeitig sah man Adelheid, in die seidenen Kissen ihres offenen Landauers gelehnt, schattenhaft schnell vorübergleiten. Schon verhallte das Getrappel ihrer Pferde.

Andreas fühlte sich verlegen; er machte ein angewidertes Gesicht. Türkheimer wiegte den Kopf, höchlich belustigt. Aber Kokott geriet in Aufregung. Er beteuerte, unter verzweifelten Verzerrungen seines Gesichtes, sein Bedauern über den Zwischenfall, doch meinte Türkheimer:

»Das ist ja bloß die gesunde Derbheit unseres Volkes.«

Sie stiegen hinab, indes der Proletarier eine runde Flasche an die Lippen setzte. Kokott fuhr fort, sich zu entschuldigen.

»Der Mann ist ein Säufer und ein gefährlicher Revolutionär. Wir hätten ihn längst entlassen, aber er hat zu viel Einfluß bei den Genossen.«

»Wie heißt er denn?« fragte Türkheimer.

»Matzke heißt er.«

Am Haustor vergnügten sich einige Kinder. Sie stoben auseinander, als sich von oben die Stimme des Arbeiters vernehmen ließ:

»Achnes, verdammte Rotztulpe, wat haste mang die Bengels rumzuaasen, wart, zu Hause soll dir aber wat Saures uffstoßen!«

Das lang aufgeschossene Mädchen von siebzehn Jahren, mager, frech, lymphatisch und voll zerlumpter Ansprüche, feixte giftig nach ihrem Vater hinauf. Dann schnitt sie den vorübergehenden Herren einen schiefen Mund und blinzelte einen nach dem andern herausfordernd an mit ihren halb zugekniffenen, wässerigen Äuglein. Aber bei Türkheimer verweilte sie schließlich.

Er kam, ein wenig stärker schnaufend, mit ganz kleinen Schritten herbei, mächtig angezogen durch ihre Schulter, wo ein Stückchen ihres in Kellerluft gebleichten Fleisches aus der zerrissenen Jacke hervorstarrte. Sie ließ ihn, um seine Neugier zu befriedigen, einen kleinen Umweg beschreiben. Ohne eine Regung, aus den Ecken der Lider hervor, verfolgte sie ihn. Die rosigen Nüstern ihrer kurzen, aufgeworfenen Nase und die grellroten, engen Lippen bildeten kecke Flecken in dem Käseweiß ihres Gesichts. Und das Haar, von der Farbe des väterlichen Bartes, zottelte ihr locker, wie brennendes Werg, um den Kopf.

Alle mußten das kitzlig Verlockende in ihrer Erscheinung herausfühlen. Auch empfand man undeutlich, daß sie, schon so reizvoll, das Maß von Gemeinheit, für das sie bestimmt schien, noch lange nicht erreicht habe.

Türkheimer versuchte, sie mit tastender Hand unter das Kinn zu fassen, da drehte sie sich so heftig um, daß er einen Stoß ihres Ellenbogens vor den Magen erhielt. An ihm und Kokott vorüber, einen Arm auf der Hüfte, den Kopf zurückgeworfen und den Mund verführerisch geöffnet, blinzelte sie Andreas zu.

»Die kleine Matzke, sieh mal an, die kleine Matzke«, murmelte Türkheimer, während er an seinen gerade vorgefahrenen Wagen trat.

»Ich muß sagen, Kokott, sie gefällt mir. Sie hat so was Taufrisches. Das Volk ist doch das einzig Wahre. Was meinen denn Sie dazu, Meister?«

Andreas zögerte.

»Wie man's nimmt.«

»Versteht sich, Ihr Geschmack ist das nicht – glücklicherweise. Sie sind noch gar nicht reif dafür. So'n junger Mensch, was dem noch alles abgeht!«

Der lebhaftere Klang in Türkheimers Stimme fiel Andreas auf. Über den Backenknochen hatte die Haut sich schwach gerötet, und in dem erloschenen Blick des großen Mannes züngelte eine kleine Flamme empor. Offenbar bemerkte auch Kokott dies alles; geschmeidig nahm er sich der Sache an:

»Herr Generalkonsul haben ganz recht. Das junge Mädchen verdient alle mögliche Teilnahme. Der Vater! Na, und auch der Vater ist schließlich nicht so schlimm, er hat mehr Unglück, als ein einzelner Mensch haben sollte. Seine Frau haben sie ihm in der Charité verhungern lassen. Da begreift man denn manches.«

»Tut man auch. Es ist wirklich nicht alles in Ordnung in unserer Gesellschaft. Für das Volk muß was geschehen. Schicken Sie Matzke mit Tochter mal zu mir, in mein Privatkontor.«

Aufatmend ließ Türkheimer sich in den Polstern nieder.

»Februar, und schon so warm. Sie können einem viel vormachen, an die Vereisung glaub ich nicht.«

»Ist wohl sicher nur Mumpitz«, bestätigte der Baumeister entgegenkommend.

Andreas lüftete den Hut, die Pferde zogen an. Doch winkte Türkheimer seine beiden Begleiter nochmals an den Wagenschlag. Er holte ein Fünfmarkstück aus der Hosentasche und legte es appetitlich in die Rundung zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Kennen Sie das, Kokott? Machen Sie mal Ihre Judenfratze!«

»Geben Sie mir Ihren Klemmer, Herr Generalkonsul«, erwiderte Kokott. Er drückte sich das Glas auf die plötzlich plattgewordene Nasenspitze, schob die Lippen wulstig vor und zog die Stirn in schmutzige Falten. Sein Gesicht bekam unversehens einen schlaff gierigen, besorgten und hinterhältigen Ausdruck.

Türkheimer schüttelte sich.

»Bravo, Kokott! Sie haben ein schönes Talent.«

»Ich habe viel Talent, aber leider kein Geld.«

Und er haschte, während er die Brille zurückgab, mit der andern Hand nach dem Silberstück. Unter dem angeregten Lachen der Herren setzte sich das Gefährt in Bewegung.


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