Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Kapitel.
Bildung – Einbildung – Verbildung.

Sittlich ist die Natur, nach Gottes Willen geordnet,
Unnatur streift Gesetz, Glaube und Sittlichkeit ab.

»Meine hochverehrten Damen und Herren!

Bevor ich meinen Vortrag beginne, muß ich Ihnen ein Geständnis machen. Man hat mir verschiedentlich den Vorwurf gemacht, ich spräche bei Gelegenheiten, wie der heutigen, nicht populär. Jeder ehrliche Mensch erstrebt Besserung, und ich schließe mich nicht davon aus. Als ich mir mein Thema wählte, mußte ich mir aber sagen: ›Deine Besserung steht nicht einmal auf dem Papier.‹ Ich mußte meiner Arbeit im Interesse der Popularität eine andere Überschrift geben; wollte ich Sie, meine jungen Kommilitonen, hierher locken, mußte der Name des Vortrags, den ich draußen an die Litfaßsäulen schlagen ließ, ein anderer sein.

Denn gerade zu Ihnen wollte ich heute sprechen, zu der deutschen Jugend beiderlei Geschlechts. Ich freue mich, daß Sie sich so zahlreich einem hochverehrten Publikum, das mir jahrzehntelang die Ehre seines Erscheinens erwiesen, angeschlossen haben, und spreche Ihnen meinen besonderen Dank dafür aus. Sie brauchen nichts zu befürchten. Der alte Schnitzler kränkt Sie nicht. Er sagt Ihnen nur die Wahrheit. Und die Wahrheit ist immer ein Großes. Aber größer ist, wer sie erträgt.

Bildung – Einbildung – Verbildung – ist der Inhalt, die Warnung meines Vortrags an Sie. Das Wort 1913, das ich ihm als Umschrift prägte, soll Ihnen, soweit es möglich ist, die Perspektive in die Zukunft eröffnen. Mögen Sie selber entscheiden, wie weit es berechtigt ist, dem Höhenfeuer der Kultur, vor dessen Schein die Sterne vergangener Jahrhunderte verblassen, ein Versinken im Dunkel unserer dekadent gewordenen Zeit zu prophezeien.

Eins aber möchte ich vorausschicken: die Wahrheit wird nicht untergehen. Weder die religiöse, noch die wissenschaftliche, noch die soziale. Aber die Frage ist die, ob wir noch aus der Wahrheit sind, oder ob das, was wir Wahrheit nennen, nicht Scheinwesen, also auf deutsch Lüge ist.

Wir fordern die Wahrheit darüber, ob wir auf dem rechten Wege sind. Wir fordern sie im Hinblick auf das Jahr, dessen Endzahlen uns an des Vaterlandes tiefste Not gemahnen, auf die Frage, welchem Ende unser deutsches Volk entgegengeht.

Sollten Sie, meine hochverehrten Damen, in dem Spiegel, den ich Ihnen vorhalte, ein Bild sehen, das Ihnen nicht gefällt, so bitte ich Sie, zu bedenken, daß einerseits der Vertreter der Wissenschaft an eine rein objektive Zeichnung des Weltbildes unter Ausschaltung aller ins Persönliche springenden Einzelheiten durch sein Gewissen gebunden ist, – andererseits aber die Rolle, welche die Frau im Leben der Völker spielt, eine außerordentlich wichtige ist. Die Höhenlage der Zeit wird durch die tagesgeschichtliche Stellung des Weibes bestimmt. Das Jahrhundert, welches das Weib in seiner Idealgestalt als Gattin und Mutter zeigte, war stets ein starkes, wurzelechtes, – die Überhandnahme von Maitressenwirtschaft und Dirnentum, von femininischer Stutzerhaftigkeit und Vermännlichung ist dagegen immer wieder als Vorbotin schwerer, zeitgeschichtlicher Ereignisse aufgetreten.

Denn auch die Frau ist nicht nur einer staatlichen, sondern in erster Linie einer festen göttlichen Ordnung unterstellt. Nach allerhöchsten ewigen Gesetzen ist die Natur geordnet. So lange der Mensch dieselben nicht durchbricht, ist sie sittlich. Alle Unnatur aber, als den Geboten Gottes widerstrebend, ist unsittlich. Die erste Bedingung eines sittlich klaren Weltbildes ist demgemäß die theistische Weltanschauung. Bildung und Kultur, Wissenschaft und Kunst mögen eine Höhe erreichen, wie nie zuvor in der Geschichte, – lehnt eine Nation das Christentum ab, so lehnt sie die vornehmste Seite aller Kultur, die Sittlichkeit, ab und beschwört damit ihren eigenen Niedergang herauf, mögen Bildung und Kultur so hoch stehen, wie sie wollen. Denn Sittlichkeit ist das Grundpostulat gesunden Volkslebens.«

Das waren die Eingangsworte, die der siebenundsiebzigjährige Philosoph zu dem großen Publikum sprach, das sich im Saal des Künstlerhauses versammelt hatte. Bis auf den letzten Platz war der weite Raum gefüllt, in den Gängen standen die Zuhörer, auf den Galerieen drängte sich akademische Jugend. Ein bunt zusammengewürfeltes Milieu beiderlei Geschlechts, angelockt durch eine schlichte Zahl, die durch das Wort eines Großen in das Licht zukünftiger Geschichte gerückt werden sollte. Und ob's nur eine Prophetie war, die ihren Scheinwerfer auf diese Dreizehn warf, – jede Zeit hatte ihre Propheten und Seher, und die Völker lauschten ihren Worten, ob sie ihnen hernachmals ein Hosianna oder Kreuzige riefen.

Die Gedanken des Mannes, dessen Adlerblick ernst auf der großen Versammlung ruhte, schweiften in eine längst verklungene Zeit, wo die Geisteselite von Attika, etwas Neues zu erfahren, den Apostel der Heiden umringte. Etwas Neues begehrte man auch heute noch, Neugier hatte den Saal gefüllt. Der Kreis, den das Interesse an Wissenschaft und Zeitfrage oder persönliche Beziehungen hergeführt, war ein verhältnismäßig kleiner. Kein Wunder. Zwei Generationen hatte der ehrwürdige Philosoph heranwachsen sehen; viele, die mit ihm gearbeitet und geschafft, waren begraben. Kleiner und kleiner ward der Kreis, – wie lange noch, und man trug ihn selbst hinaus! Aber er hatte alles daran gesetzt, mit seiner Zeit fortzuleben und sich das Verständnis für die Jugend zu bewahren. Das erhielt ihn frisch. Wer die marmorweißen, klassisch gemeißelten Züge nicht sah und nur die Stimme hörte, wer nur das geistreiche, die neuste und allerneuste Methode beherrschende Wort vernahm, der wähnte, einen Mann auf den Höhen des Lebens sprechen zu hören. Vier Wochen war er sehr krank gewesen. Keiner hatte geglaubt, daß er je wieder ein Kolleg halten werde, – und nun stand er nach kaum zwei Monaten auf seinem Lieblingsplatz im Künstlerhause, ganz der alte Schnitzler! Und der Strom der wunderbaren Rede floß, und die glänzende Dialektik bannte die Hörer. Es war ein Ereignis, wenn dieser Mann das Podium bestieg.

Kein Laut ging durch die Reihen, kein Rosenblatt hätte unbemerkt zur Erde fallen können. Unverwandt blickte die große Versammlung auf die feine Gelehrtengestalt.

Und der König der Philosophen sprach.

Ein Riesengemälde war's, das er vor seinem Publikum entrollte, ein gewaltiges Zeitbild, titanenhaft, grotesk, ein Felsenbau, von Giganten gefügt, und doch von einer Leichtigkeit und Eleganz, als sei die steinerne Zahl droben über dem Eingang lebendig geworden, redegewaltig.

Wie eine Sphinx träumte die moderne Weltanschauung im Mittagszauber, ein fossiles Abbild des Altertums, dem der Lebensnerv fehlte. Hoch aufgerichtet trat ihr die Kultur zur Seite. Ihre Lichthöfe standen in Rosenglut, ihre Diener öffneten die goldenen Pforten, die Scharen der Geisteselite, die sich dem Tempel der Göttin nahten, willkommen heißend.

Bildung überall, – auf ragenden Bergen ihre Leuchtfeuer, den eisigen Firn der Gletscherregionen überstrahlend, das nächtliche Dunkel mit dem Sonnenlichte des Tages versöhnend. Bildung in einer Höhe und Weite und Tiefe, Bildung in einer Vollendung und Schönheit, wie sie selten über die Erde gegangen. Bildung, der auch der Segen von oben nicht fehlte. Wissenschaft, grünend wie der Stab Aarons mit der duftenden Mandelblüte und ihrer Edelfrucht. Weisheit, die sich zum Licht streckte, die der große Künstler droben durch sein heilig Gepräge geadelt. Und trotz alledem: Als Nebukadnezar sich über den Schöpfer erhob, ward sein Königreich von ihm genommen. Er aß Gras, wie Ochsen, und sein Leib lag unter dem Tau des Himmels.

Geheimrat Schnitzler hielt inne. Sekundenlang ruhte sein Auge mit durchdringendem Ernst auf der großen Versammlung. Lautlose Stille herrschte. Nur aus den entferntesten Reihen klang's wie das Grollen eines fernen Wetters herüber.

»Es gibt eine Pseudowissenschaft,« fuhr er fort, »eine Bildung, die den höchsten Bildner leugnet und das Wort der Schlange im Garten Eden über ihre Pforten setzt: ›Ihr werdet sein wie Gott!‹ Die sich an den Stufen des ewigen Thrones lüsterner Grenzüberschreitung schuldig macht, und das Schicksal der Bauleute zu Babel vergessend, Leib und Leben riskiert. Sie trägt den Keim des Zersetzungsprozesses, den Beginn fressender Fäulnis und Dekadenz in sich. Wer gibt aber unserem Volke die Garantie, daß seinem Wahnwitz nicht die Sprachverwirrung ohnegleichen folgt, daß es sein Spiel nicht durch einen einzigen Schachzug seines supranaturalen Gegners verliert?

Was ist Bildung ohne Gott? Ein Schönheitsbild, das der Tod umlauert, eine Blume ohne Duft, ein Werk ohne Ewigkeitswert! Das größte Wissen nützt uns nichts ohne das feste, sittliche Fundament, dessen Lebenskraft einzig und allein in der offenbarungsgemäßen, absoluten Wahrheit der christlichen Heilstatsachen wurzelt. Ob wir sie leugnen oder umgehen, sie bleibt. Wir haben höchste und allerhöchste Fragen offen zu lassen, haben, so wir ehrlich sind, anzuerkennen, daß es Dinge gibt, die keine Methode, keine Erkenntnistheorie ergründet. Denn die Grenzlinie zwischen Glauben und Wissen ist da. An dieser Grenzlinie aber fordert der Glaube seine Position. Nur an der Grenzlinie. An der Stelle, wo Transzendenz und Immanenz sich begegnen. Es ist das königliche Übergewicht, die supranaturale Oberhoheit, es sind die Reichsinsignien, die dem Glauben zustehen, die er als sein vornehmstes Prädikat beansprucht, nicht etwa, wie Tausende irrtümlich annehmen, die Scheu des Glaubens vor erkenntnistheoretischer Wissenschaft. Er braucht sie nicht zu fürchten. Im Gegenteil. Aber er will ihr die Ehre nicht kürzen, als einer der ersten unter den Paladinen des Theismus zu schreiten, er läßt seine heilige Warnung an Wissenschaft und Bildung ergehen, ihre Krone festzuhalten und zu bewahren. ›Die ganze Astronomie vermag selbst einen der kleinmütigsten Jünger Christi nicht im geringsten auf abweichende Bahnen zu lenken!‹ bekennt der große Kepler (Brief an Müstlin, Lehrer Keplers, vom 11. Juni 1598) und Houston Stuart Chamberlain, der vielen von Ihnen durch seine ›Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts‹ bekannt sein wird, legt das schöne Philosophenzeugnis ab: ›Was das Griechentum für den Intellekt, das tat Christus für das sittliche Leben: eine sittliche Kultur hat die Menschheit erst durch ihn gewonnen. Die Erscheinung Christi bleibt die alleinige Grundlage aller sittlichen Kultur, und in dem Maße, in welchem diese Erscheinung mehr oder weniger deutlich hindurchzudringen vermag, ist auch die sittliche Kultur unserer Nationen eine größere oder geringere.‹ (Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts.)

Und das Geschlecht unserer Tage? Die Krone aller wahren Bildung und Kultur, den Ewigkeitswert unseres Schaffens, die Mitarbeit an einem transzendenten Gottesreich lehnen weite Kreise mit der jedenfalls sehr geistreich klingenden Bemerkung ab, daß die Grenze historischer Feststellbarkeit auch die Grenze historischer Geschehensmöglichkeit sei. Arme Wissenschaft, die eine allerhöchste Weisheit nicht anzuerkennen vermag!

Sie aber, die Träger künftiger Kultur, frage ich: genügt Ihnen eine Bildung, die nur für das Diesseits da ist, die verblüht und vergeht, über die das sausende Rad der Zeit dahinfährt, über die man, ach wie bald, zur Tagesordnung übergehen wird? Ist sie des Lebens wert, des heißen Ringens und Schaffens, ist sie des rastlosen, blutigen Geisteskampfes unserer Tage wert? Denn das Wort, dem sie verfällt, lautet: Erde zur Erde.

Ich kann angesichts dieser Tatsache nicht umhin, zu erklären, daß ich an dem inneren Wert, an der Wurzelechtheit der Grundpostulate einer solchen Bildung ernstlich zweifle, daß ich mich der Frage nicht verschließen kann: Ist das Bildung? Ist diese ephemere Erscheinung, deren strahlendes Licht in unseren Tagen die Welt beglückt, nicht vielmehr jener aristokratischen Blume, der Königin der Nacht zu vergleichen, deren wunderbare, exotische Schönheit nach ein paar Stunden feenhafter Blüte bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, dahinwelkt und verdorrt? Erde zur Erde! – Ist unsere vielgerühmte Kulturseligkeit, unsere phänomenale Bildung nicht in tausend Fällen einfach Einbildung? Ich möchte hinzufügen: Ist's nicht eines Mannes wert, diese Frage zu erwägen? – Es ist mir in meinem langen Leben vergönnt gewesen, in hundert Werkstätten zu blicken, und ich habe viel geschaut, das mich in tiefster Seele erfreute. Nicht nur in die Werkstatt des Mannes lud man mich, auch das Weib erschloß mir die Hallen seiner Arbeit. Aber je älter ich wurde, je mehr drängte sich mir beim Anblick des rastlosen Tagewerks der Gedanke auf, der mir heute beim Betreten des Podiums die Seele bewegte. Der Gedanke an die Frage nach dem Neuen, welche die wißbegierigen Athener an den Apostel der Heidenwelt richteten. Das Neue ist auch bei uns die Frage des Tages. Weltanschauung, Kultur, Bildung, Kunst, nicht zum wenigsten die soziale Frage stehen unter diesem Zeichen. Ich will dieses Streben nicht schelten, es fragt sich nur, ob sein Ziel das rechte ist, und ob es überhaupt seines Zieles gewiß ist. Ob sich nicht, wenigstens hier und da, die Einbildung, der Feind aller wahren Bildung, herandrängt?

Ich wende mich zuerst an Sie, meine hochverehrten Damen. Das zwanzigste Jahrhundert zieht andere Bildungskreise wie das achtzehnte. Daran darf auch der enragierteste Gegner des Frauenstudiums nicht rütteln. Gott hat Schwierigkeiten in unsere Zeit gelegt, die nicht in alter Weise zu lösen sind. Ich stelle, um nicht mißverstanden zu werden, zugleich die Tatsache fest, daß der Baum, den Sie gepflanzt, schon jetzt manch gute Frucht trägt und, will's Gott, noch manche tragen wird. Manche Not ist gelindert, manche Träne getrocknet, manche Sorge gebannt, manche Unebenheit nivelliert. Aber Ihr Beruf, oder richtiger gesagt verschiedene Arten der von Ihnen neuerdings begünstigten Berufe haben eine Klippe. Würden Sie dieselbe glücklich umschiffen, ich erteilte Ihnen, stünd' es mir zu, den Nobelpreis. Die Klippe heißt Vermännlichung oder, dem Wortlaut unseres Themas nach, Verbildung. Letztere kann aber nur eines eingebildeten Übels Folge sein, das Resultat einer Verschiebung sittlicher, religiöser und sozialer Grundpostulate. Gewiß, es gibt Frauen, die geradezu für die Wissenschaft prädestiniert sind. Ihr tiefinnerlicher Forschungstrieb wird sie vor oberflächlicher Arbeit einerseits und vor Vermännlichung andererseits im günstigsten Falle bewahren. Aber das sind Ausnahmen. Wir dürfen uns, abgesehen von den vielen, neuerschlossenen, spezifisch weiblichen Arbeitsfeldern, welche die Frau unbeschadet betreten darf, nicht verhehlen, daß ein Studium, welches das Weib in den Beruf des Mannes drängt, dasselbe einer Gefahr der Vermännlichung aussetzt. Und ist's nicht Vermännlichung im krassesten, fatalsten Sinne des Wortes, – das spezifisch Weibliche wird verwischt, die Grazie und Anmut, mit einem Wort, die Psyche der Frau. Auch hier springt die Frage des Sittlichen ein. Gottgewollte Natur ist sittlich; alles Unnatürliche, Gottes Gebot Widerstrebende, ist unsittlich.

Verstehen Sie mich recht. Das entsittlichende Moment für Sie liegt selbstredend nicht in der männlichen Arbeit an sich, – denn alles Natürliche ist, wie gesagt, sittlich, da, wo Gott der Herr es nach seinem Willen ordnete und pflanzte, – nein, – die Gefahr der Verbildung liegt lediglich in der Grenzüberschreitung, im Verlassen Ihres eigenen Arbeitsfeldes, das er Ihnen zuwies, in der Unnatur, im Besserwissenwollen Ihres alten Menschen. Ob es aber gelingt, das einmal Verlorene zurückzugewinnen? Im umgekehrten Falle würden die entgegengesetzten Früchte jedenfalls ebensowenig Anklang bei Ihnen finden, wie der heutige moderne Frauentypus dem unverdorbenen Geschmack des Mannes weder imponieren noch zusagen kann.

Darum lassen Sie uns die Gefahr fest ins Auge fassen. Ihre Arbeit, Ihr Studium, Ihre belebenden, fruchtbringenden Bestrebungen in allen Ehren, – aber vergessen Sie nicht, Hüterin der Schwelle zu bleiben, darüber die höchste unter den Frauen das königliche Wort setzte: ›Siehe, ich bin des Herrn Magd!‹ – Ich weiß, unsere Zeit liebt dies Wort nicht, weil es dem Weibe einen Dienst vorschreibt. Ach, daß die Frauen unserer Tage wieder das königliche Dienen lernten, daß sie es erfahren möchten, daß nichts das Weib zur Persönlichkeit reift, wie der stille, treue Dienst in gottgestiftetem Beruf. Die meisten unter unseren wahrhaft großen, vorbildlichen Frauen haben nicht auf Kathedern gestanden, sondern sind treue Gattinnen, opferwillige Mütter gewesen, und mehr als eine unter ihnen trug das Diadem. Vielleicht darf einer, der Tage erlebt, wo das Marienzeugnis in hohen Ehren stand, Sie warnen, bitten: Lassen Sie es nicht zur Auflehnung gegen dieses Wort bei sich kommen!

Denn es zieht seine Konsequenzen.

Wir sind an der Arbeit, die deutsche Frauenpsyche zu verbilden. Vermännlichung ist Verbildung. Dieser Verbildung aber liegt nicht nur ein pädagogischer oder kultureller Fehlgriff zugrunde, sondern nicht zuletzt die Ablehnung jenes Jungfrauenwortes. Ihre schwerste Konsequenz, die vielleicht nicht immer die einzelne Persönlichkeit, wohl aber unser ganzes deutsches Volk zu tragen hat, ist die: das Weib, das sich seinem, von Gott gestifteten Beruf gewaltsam entzieht, kann auch nicht seine Zeugin auf Erden sein. Und Tausende unter Ihnen verleugnen nicht nur die weibliche Psyche, sondern entziehen sich bereits skrupellos um eines selbst gewählten Berufes willen den heiligsten Pflichten der Frau.

Contra naturam! Nie im Leben ist dies, ursprünglich der Erkenntnistheorie dienende Wort wissentlich und unwissentlich derartig mißbraucht worden wie in unseren Tagen, wo die dekadent gewordene Frau Gottes heilige Ordnung verachten und sich der perversen Auffassung irgend einer ›allerneusten Methode‹ anschließen zu dürfen glaubt. Selten im Leben bin ich größerem Nonsens begegnet, als der Umwertung dieses Wortes, welche das Licht ungeschminkter Wahrheit zudem kaum ertragen würde. Der große Chamberlain hat uns vorhin eine Antwort gegeben, die unser Geschlecht sich allerdings schwerlich hinter den Spiegel stecken wird. Aber Wahrheit bleibt Wahrheit. Und nur sie ermöglicht uns die notwendige, messerscharfe, reinliche Scheidung.

Sie kennen die Riesenverantwortung, die dem Weibe nicht nur als Gattin und Mutter, als Hüterin kommender Geschlechter, sondern auch als Persönlichkeit obliegt. Mehr als ein treuer Mund hat den Töchtern unseres Volkes vergeblich die Warnung zugerufen: ›Die Zeit, da die Frau das gottgestiftete Ideal zur Verkörperung zu bringen bestrebt ist, wird eine reiche, reine, gesegnete sein; die Zeit der weiblichen Grenzüberschreitung wird immer zum Niedergang eines Volkes führen.‹ Wahrlich, unsere Frauenwelt versteht jene Grenzüberschreitung! Möchte sie auch endlich ihre Konsequenz ziehen: daß unser Volk sich an dieser Verbildung verbluten wird. Denn jede Zersetzung geht von oben nach unten. Jede Verbildung der Type endigt mit Entgleisung. Sie dürfen sich nur nicht wundern, wenn die Dekadenz Ihrer Kreise in den unteren Schichten massiver auftritt, wenn z. B. Ihre fein abgetönte, monistische Weltanschauung den Arbeiter zum Angriff von Altar und Thron reizt. Jede Degeneration hat ihre Abstufungen. Hier Unnatur, dort Verrohung, hier Überkultur, dort Unterkultur, hier Grenzüberschreitung, dort Umsturz der Tradition. Darum sollten Sie nie Ihre vorbildliche Aufgabe vergessen. Die verbildete Frauengestalt aller Gesellschaftskreise ist immer die Vorbotin der Revolutionen gewesen. Unser Volk verträgt es nicht, wenn man ihm Glauben und Sitte nimmt. Die Frauen aber sind zu Hüterinnen dieser heiligsten Nationalgüter gesetzt. Degenerieren sie, so ist der Niedergang ihres Volkes angebahnt.

Und am Horizont wetterleuchtet es.

Was wird uns das Jahr 1913 bringen? Krieg, Umsturz?

Die ersten Wochen des Jahres, in welchem wir stehen, haben uns den furchtbaren Ernst der politischen und sozialen Lage gezeigt. Blutrote Scheinwerfer haben die Situation mehr als einmal erhellt, und doch – nicht von gestern und ehegestern sind die Zeichen der Zeit: der wachsende Ansturm wider das Christentum gegenüber einer Kulturseligkeit, wie sie nur die Antike kannte, eine an Wahnsinn grenzende Perversität, Deutschlands Hochadel aufs schwerste kompromittierende, düstere Prozesse, erlauchte und edle Herren in den Banden der Halbwelt, Kabaretts und Gelage ihres Tages Abschluß, ihre Kronen neuschimmernd im Glanz jüdischen Goldes, Eheirrung das geflügelte Wort modernen Lebens, Ehescheidung der dunkle, täglich wiederkehrende Abschluß wirrer Konflikte, in allen Kreisen Haltlosigkeit, Unglaube, auf den Kathedern der Hochschulen Pseudowissenschaft, auf den kirchlichen Lehrstühlen eine entwurzelte Theologie, und in den niederen Schichten ein gebetsloses, zermürbtes, verzweifeltes Volk, betört und verhetzt durch die eigenen Führer, mit verhaltener Gier der Stunde der großen Abrechnung wartend. Wahrlich, eine grause Perspektive! – Ein Stolypin fehlt uns, der mit eiserner Rute die Verführer unseres Volkes zusammentreibt, wie drüben im Nachbarland die roten Rebellen, – ein Luther, der mit dem Schwerte des Geistes dreinschlägt und das Evangelium der Liebe wieder auf den Leuchter steckt! Geist haben wir genug, aber was für einen? Mit dem heiligen Geist, welcher allein Persönlichkeiten und Völker adelt, hat er nichts gemein! Den brauchen wir klugen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr, den schalten wir als die Fehlfrucht einer sich selbst richtenden Dogmatik aus. Wahrlich, ich kann den Ruf verstehen, der vor wenigen Wochen durch eine angesehene konservative Zeitung ging: ›Herr Gott, gib uns Männer!‹

Und der Zeiger rückt, und die Parzen spinnen am Faden der Zeit – sollen wir müßig zusehen, wie die Zahl 1913 immer düsterer erglüht? Sollen wir sie beschuldigen, die das Holz zum Brande herbeischaffen? Das hieße Eulen nach Athen tragen.

Zudem – wer sagt mir, daß ich frei bin von Schuld? Mein eigenes Gewissen strafte mich Lügen, wollt ich mir diese Ehrenerklärung geben. Und wär's eine einzige, unvorsichtige oder ungerechte Kritik am herrschenden Regiment, ein einzig versäumtes Gebet für den Träger der Krone, ermüdende Treue, erkaltende Liebe, Kleingeisterei und Afterdeutschtum, wär's ein Hauch nur von vaterlandsloser Gesinnung – ich müßte mich schuldig bekennen.

Darum will ich nicht schelten, die uns ferne sind. Nur eins will ich. Euch, die ihr ihres Blutes seid, die ihr bestimmt seid, an Deutschlands Zukunft zu bauen, euch will ich warnen, beschwören: seid auf der Hut! Viele unter euch, meine jungen Kommilitonen, haben Väter, die nicht jenem düsteren Bilde gleichen, Männer, die ein adlig Herz in der Brust tragen, deutsche Edelinge; schlichte, treue Beamte, gewissenhafte Staatsbürger, Stützen von Altar und Thron, Pfleger ihres Volkes und Hüter deutscher Sitte. Sie haben sich wacker gehalten in den heißen Tagen vergangener Wochen. Möchte ihre Treue den Männern, die sich einst ihre Verbündeten nannten, vorbildlich sein! Möchte vor allem ihre Zahl eine größere werden, wie einst zur Zeit des aus ihren Reihen hervorgegangenen eisernen Kanzlers! Das war ein Mann, der beten konnte. Sein Christentum hat ihn nicht, wie unsere Zeit vielfach behauptet, verbauern lassen, es hat ihn auch nicht eingebildet gemacht, hat ihn nicht verbildet, sondern im höchsten Grade gebildet. Aber Volk und Vaterland, über Gegenwart und Zukunft, über Leben und Sterben, über sein eigen Herz schrieb er die hochbedeutsamen Worte: ›Gott, der Preußen und die Welt halten und zerschlagen kann, weiß, warum es so sein muß, und wir werden uns nicht erbittern gegen das Land, in welchem wir geboren sind, gegen die Obrigkeit, um deren Erleuchtung wir beten. Nach dreißig Jahren, vielleicht viel früher, wird es uns eine geringe Sorge sein, wie es um Preußen und Österreich steht, wenn nur Gottes Erbarmen und Christi Verdienst unserer Seele bleibt.‹ Das war dem gewaltigen Manne die Hauptsache für sich und alle, die ihm anvertraut waren. Sein Leben hatte Ewigkeitswert. Ewigkeitswerte waren die Kleinodien, die er seinem Volk erflehte.

Sie wissen, meine jungen Kommilitonen, daß das Herz des ersten Kanzlers besonders warm für die akademische Jugend schlug. Daß Bismarck mit Leib und Seele Student war, daß Sie auch heute noch seines lebendigen Interesses gewiß wären, seiner tatkräftigen Hilfe, seines edelmännischen Rats. Der aber würde lauten: werden Sie deutsche Männer, werden Sie Ewigkeitsmenschen!

Im Gedanken an den berühmten Staatsmann fällt mir ein schlichter Reim aus deutschem Frauenmunde ein. Möchten Sie sich denselben ihm zuliebe und Ehren ins Herz prägen. Er lautet:

»Ewigkeit,
In die Zeit
Leuchte hell hinein,
Daß uns werde klein das Kleine,
Und das Große groß erscheine!« (M. Schmalenbach.)

Hinzufügen aber lassen Sie mich eine persönliche Bitte. Es ist vielleicht die letzte. Bewahren Sie den Ausspruch des Mannes, der Deutschland einig gemacht, dessen höchste Wünsche für sich und sein Volk das schlichte Wort umschließt: ›Wenn nur Gottes Erbarmen und Christi Verdienst unserer Seele bleibt!‹ Halten Sie dies Wort hoch, so wird Ihnen jede Verbildung fern bleiben. Es wird Ihr Tun und Lassen regieren, es wird der Mittelpunkt Ihrer Seele sein, wird Ihr armes Erdenleben adeln und in das Licht der Ewigkeit stellen!

›Wenn nur!‹ möchte sich dies Wort an Ihnen und mir erfüllen, möchte das Volk der Reformation es beherzigen und wieder nach seinem vergessenen Kleinod fragen lernen! Dann würde Deutschland gesunden bis ins Mark. Dann würden ihm wieder Helden geboren werden, dann würden seine Frauen sich wieder ihrer königlichen Würde erinnern. Dann dürfte der Pessimismus der Zukunft unseres Vaterlandes nicht mehr den Totenspruch prägen: Erde zur Erde.

›Wenn nur!‹ – Lassen Sie sich das Erbe des großen Kanzlers nicht nehmen, es birgt Lebenswerte für Zeit und Ewigkeit!«

Ganz still war's im Saal. Als seien Heldengeister erwacht und an den Lebenden vorübergezogen.

Und dann klang fern vom anderen Ende herüber ein scharfes, nicht mißzuverstehendes Zischen.

Der greise König der Philosophen schien es nicht zu bemerken. Er mochte noch unter dem Banne einer großen Zeit stehen, die er als Jüngling erlebt.

Aber Jungdeutschland fuhr herum. Welche Weltanschauung der einzelne auch vertrat, in diesem Augenblick galten keine Unterschiede. Der nationale Zorn war erwacht. Denn es galt nicht nur die Ehre der Alma mater und ihres greisen Nestors, es galt, den silberklaren, makellosen Schild eines großen Toten vor Befleckung zu bewahren. Ein kurzes Grollen ging durch den Saal. Unmittelbar darauf dankte donnerndes Trampeln dem Redner. Aber mit dieser akademischen Ehrenerklärung war's nicht genug. Die Türen flogen auf, und ehe sie sich dessen versahen, waren die bösen Buben kurzerhand an die Luft gesetzt. Da draußen vierzehn Grad Celsius herrschten, war der rasche Temperaturwechsel nicht gerade angenehm. Aber die Hochschüler waren abgehärtet, und nahmen von anderen Leuten dasselbe an. Auch hatten sie keine Zeit, sich länger um ihre Gegner zu kümmern. Der greise Philosoph hatte den Saal noch nicht verlassen, als er sich von Kommilitonen aller Verbindungen umringt sah. In feierlichem Zuge geleiteten sie ihn nach seiner Wohnung. Ein paar Inaktive hatten in aller Eile Fackeln herbeigeholt, und im Schein der wehenden Flammen ging der Zug durch die verschneiten Straßen der schlafenden Stadt. Ein stolzes, hochgemutes, urdeutsches Bild: im Ehrengeleit blühender Jugend der Philosoph in der Krone des Alters.

›Gott sei Dank, es gibt noch solche unter ihnen, die sich ihre Ideale nicht rauben lassen!‹ zog es dem Gelehrten durch den Sinn.

Am Eingang seines Hauses entblößte er das weiße Haupt vor den Kommilitonen. Sein freundliches Dankeswort durchzitterte innere Bewegung. »Vergessen Sie Bismarck nicht, meine Herren!« rief er, die Stimme gewaltsam meisternd, den Zurückbleibenden zu.

Aber er sollte noch nicht zur Ruhe kommen. Kaum ward oben das Fenster der Studierstube hell, so klang es unten in brausendem Chor ›Deutschland, Deutschland über alles!‹

Durch die sternklare Nacht zog die nationale Huldigung.

Oben ward eine gebeugte Gestalt sichtbar, ein Fenster öffnete sich. Der große Denker lauschte den begeisterten Klängen.

Der letzte Ton war verhallt.

»Der König der Philosophen am historischen Eckfenster!« lief es von Mund zu Mund.

Und die Mützen wurden hinaufgeschwenkt, und ein donnerndes Hoch grüßte den Alten zum Abschied.

Sinnend stand er droben und blickte den kraftvollen, männlichen Gestalten nach, wie sie sich in allen Richtungen entfernten. Als der letzte Hochschüler seinen Blicken entschwunden war, schloß er das Fenster.

»Wenn sie nur das Bismarckwort wieder lernten, ich schlösse ruhig die Augen,« sagte er halblaut vor sich hin.

Seine Tochter trat herein. Er merkte es nicht. Erst als sie sich ihm gegenübersetzte, blickten die klugen Augen überrascht auf.

Ein mildes Lächeln grüßte sie. Sorgend sah sie in das marmorweiße, übermüdete Gesicht ihres Vaters. Aber sie wußte, er liebte es nicht, nach seinem Befinden gefragt zu werden.

»Es ist spät geworden,« sagte sie und schob ihm das Andachtsbuch zu.

Er legte die feine Gelehrtenhand darauf und blickte sie voll an.

»Heute nicht, Kind,« sagte er, »Bismarcks Wort will mir nicht aus dem Sinn. Eine schönere Andacht gibt's nicht für einen, der sich zum Schlafen niederlegt!« Er strich mit der Hand über das schneeige Haar. »Wenn nur Gottes Erbarmen und Christi Verdienst unserer Seele bleibt,« sagte er leise, als wanderte sein Geist ferne, fremde Straßen.

Sie kannte seine Selbstgespräche. Aber heute abend hatten sie etwas Eigenes an sich. Etwas, das ihre Sorge wach hielt.

Sie leuchtete ihm in sein Schlafzimmer. Langsam kam er hinter ihr her. Und dann hörte sie ihn seufzen: »Wenn ich's ihnen nur recht gesagt habe!«

Seine Demut trieb ihr die Tränen ins Auge. Aber sie durfte sich nichts merken lassen. Der Vortrag mit seinem feierlichen Abschluß war über die Kräfte des Siebenundsiebzigjährigen gegangen. Auf eine derartige geistige Leistung mußte der Rückschlag folgen. Es konnte nicht anders sein.

Lange lag sie noch wach und lauschte zum angrenzenden Zimmer hinüber. Aber den mondbeschienenen, verschneiten Gärten war der Mitternachtsruf verklungen.

Draußen und drinnen war alles still. Da schloß auch Kindesliebe die Augen, und heimliche Sorgen gingen zur Ruh. Denn morgen war wieder ein Tag.


 << zurück weiter >>