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Cara hatte richtig geahnt. Leon würde sehr ärgerlich darüber gewesen sein, wenn jemand auch nur mit einem Scheine von Recht hätte sagen dürfen, daß er bei seiner »kleinen Frau« wohne. Das vortreffliche Arrangement, welches Cara betreffs seiner Privatwohnung getroffen hatte, enthob ihn aller Scrupeln. In den Augen der Welt wohnte er fortan allein und in seiner eigenen Wohnung konnte ihn jeder aufsuchen. Die Rücksicht auf die Convenienz war gerettet worden und Leon war nicht der Mann, welcher dies gering anschlug. Er war ein Jünger der Convenienz, dieser Religion des bürgerlichen Mittelstandes. In Wirklichkeit bezahlte er die Miethe und alle sonstigen Ausgaben. Das Geld, welches er jetzt besaß, war ihm viel zu theuer gekommen, als daß er den Besitz desselben nicht würdigen sollte. Sein Gewissen war also beruhigt.
Während dessen verharrten Herr und Madame Haupois noch immer in vollem Vertrauen darauf, was Favas prophezeit und Baron Valentin bestätigt hatte. Täglich sahen sie dem Wiedererscheinen ihres Sohnes entgegen und Herr Haupois hatte bereits eine kleine Anrede an denselben memorirt, die sicherlich ihre Wirkung nicht verfehlen sollte.
»Du hast uns, lieber Sohn,« so wollte der alte Haupois sagen, »zu Maßregeln gegen dich gezwungen, die uns selber höchst fatal waren. Jetzt, wo du zurückgekehrt bist, wollen wir auf dieselben nicht weiter zurückkommen. In unserem gegenseitigen Verhältnis ist nur eine kleine Aenderung eingetreten. Nach wie vor wirst du dein Taschengeld erhalten. Ich wünsche aber, daß du dich von jetzt an mehr als früher dem Geschäfte widmest und um dir größere Lust zu diesem Entschlüsse zu machen, erhöhe ich deinen Geschäftsantheil auf 10 Procent unserer Einnahmen.«
Wie sollte der verlorene Sohn beim Wiedereintritt ins Elternhaus durch diese Güte nicht gerührt werden!
Aber der verlorene Sohn kam noch immer nicht, statt dessen erblickte der alte Kaufherr auf einem seiner Spaziergänge das Plakat, welches die Auction des Haushaltes »in Folge der Abreise der Mademoiselle C…« ankündigte.
»In Folge der Abreise …« Ah, diese Worte waren beruhigend und erfreulich. Herr Haupois ging sofort nach Hause und machte seiner Frau von dem, was er gesehen, Mittheilung und diese eilte vor Freuden selbst auf die Straße, um das Placat mit eigenen Augen zu lesen. Wie schlug ihr mütterliches Herz, als sie wirklich las: »In Folge der Abreise der Mademoiselle C…«, während zu gleicher Zeit die weibliche Phantasie durch das Verzeichnis der kostbaren Waaren mächtig erregt wurde: »Kunstmöbel, Marmor … Gemälde, Diamanten, Wagen …« Durch solchen Luxus verführten also diese Damen die jungen Leute und dieses Luxus wegen ruinirten sich die Letzteren.
Also endlich! Das verführerische Weib verläßt Paris und bald wird Leon von ihr befreit sein. Wenn er auch heute noch nicht kommt, so doch morgen oder übermorgen; wahrscheinlich tröstet er seine Geliebte noch in diesen Tagen, denn er ist gut und zärtlich, dieser brave Junge.
Aber der Verkauf fand statt und der brave Junge kam noch immer nicht ins elterliche Haus zurück, statt dessen trat eines Morgens der alte Kammerdiener Jakob mit verstörter Miene ins Zimmer, sodaß Herr und Madame Haupois zu gleicher Zeit ihm zuriefen:
»Mein Gott, Jakob, was ist geschehen?«
»Der junge Herr ist vor ungefähr zwei Stunden hierher gekommen und begab sich sofort auf sein Zimmer. Unglücklicherweise habe ich ihn nicht kommen sehen, sonst würde ich Sie schon früher benachrichtigt haben.«
»Von wem hast du es denn erfahren?«
»Von dem Kammerdiener des jungen Herrn, von Josef. Er sagte mir soeben, daß er seinen Abschied bekommen habe und abgelohnt sei.«
Herr und Madame Haupois betrachteten sich erstaunt und unruhig. Jakob, welcher einen Augenblick schwieg, als ob er nicht wage weiter zu sprechen, fuhr dann in seiner Erzählung fort:
»Das ist noch nicht alles. Herr Leon hat seine Koffer vollgepackt mit Wäsche, Kleidern und einem Theile seiner Bücher, hat sie dann in einem Miethswagen tragen lassen und ist wieder abgefahren, nachdem er Josef den Schlüssel zu seiner Wohnung übergeben hatte.«
Der alte Diener entfernte sich auf einen Wink seines Herrn, welcher in den nächsten zehn Minuten kein Wort sprach. Die beiden Ehegatten blickten sich erschreckt und erstaunt an, bis Herr Byasson ins Zimmer trat, der täglich einen kurzen Besuch machte, um seinen alten Freunden die Hand zu schütteln und eine Tasse Kaffee zu trinken. So war es seine Gewohnheit seit mehr als zwanzig Jahren. Heute errieth er auf den ersten Blick, daß etwas passirt sei, aber man ließ ihm keine Zeit, eine Frage zu thun. In wenigen Worten berichtete ihm Herr Haupois, was er soeben gehört hatte.
»Und was haben Sie zu thun beschlossen?« fragte der alte Freund.
»Vorläufig nichts! Was sollen wir thun?«
»Mein Mann,« fiel Frau Haupois ein, »könnte ihm schreiben, aber wohin soll er den Brief adressiren? An die Adresse jener Dirne? Das geht nicht an.«
»Wenn ich nicht schreiben kann, so will ich ihn lieber selbst aufsuchen und sprechen,« sagte Herr Haupois.
»Das hieße,« meinte Herr Byasson, »Ihrer väterlichen Würde zu nahe treten. Wenn ihn jemand aufsuchen soll, so will ich es thun. Sie würden Leon nur im Gegenwart von Cara sehen und es könnte sich dann eine höchst peinliche Scene abspielen. Sie sind erzürnt auf ihn und er seinerseits ist auch gegen Sie vorwurfsvoll gesonnen. Dieses Rendezvous könnte eine Explosion zur Folge haben, welche unter bewandten Umständen die Sache bis zum Aeußersten verschlimmerte. Ich selbst werde hingehen, mein Freund, und ihm auseinandersetzen, daß er ein Narr ist, ein vollständig verrückter Narr.«
»Was für Vorwürfe könnte er mir denn machen?« rief Herr Haupois aus.
»Es scheint mir doch sehr wahrscheinlich, daß er sich nur deshalb in die Arme dieses Weibes geworfen und sich ihr mehr als je genähert hat, weil ihn die Curatelverhängung bis tief ins Innere empört hat. Als Sie, mein Freund, auf Anrathen von Favas diesen Schritt thun wollten, habe ich nichts gesagt, weil ich nicht gefragt wurde und keine Lust hatte, mich ohne Anlaß in Familienstreitigkeiten zu mischen. Aber Gutes habe ich nicht geahnt und mehr als drei Mitglieder des Familienrathes vertraulich gebeten, nicht in diese Maßregel zu willigen, das gestehe ich offen.«
»Wollten Sie denn, daß er uns ruinire?«
»Ich glaube nicht, daß es dazu gekommen wäre. Er würde ohne Zweifel einen guten Theil jenes Vermögens, welches ihm später gehört, verschwendet, aber jedenfalls nicht das Ganze verpufft haben. Junge Leute müssen sich die Hörner ablaufen und das kostet Geld, und besonders dann, wenn sie von einer wirklichen Leidenschaft beherrscht werden. Leon ist leidenschaftlich, und wenn er liebt gewiß zu allen Thorheiten aufgelegt. Sie glaubten, ein unfehlbares Mittel gefunden zu haben, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen und nun ist gerade das Umgekehrte eingetroffen. Wenn ich dies besonders betone, mein lieber guter Freund, so wünsche ich nicht, dadurch Ihren Schmerz zu vergrößern, aber Ihnen klar zu machen, wie Leon zu seinem tollen Entschluß gekommen ist. Nur Sanftmuth und Freundlichkeit können ihn jetzt wieder zur Vernunft bringen.«
»Ach, vielleicht haben Sie Recht!« seufzte Madame Haupois. »Wann wollen Sie ihn aufsuchen?«
»So bald wie möglich, heute oder morgen.«
»Nun wohl, gehen Sie, gehen Sie, wir überlassen es Ihnen, ihm zu sagen, was Ihnen gut dünkt.«
Herr Byasson entfernte sich sogleich, um Leon aufzusuchen. Das war nicht schwer, denn wo anders sollte er sein, als bei Cara. Deshalb erkundigte sich der alte Herr zuerst bei den Commissären, welche die Auction abgehalten hatten, nach der Adresse von Cara. Sie wurde ihm sofort mitgetheilt und schon eine Viertelstunde später stieg Byasson die vier Treppen empor, welche zu der Wohnung Leons führten. Er zog die Glocke an der Thüre zur Linken. Nach einiger Zeit öffnete sich die gegenüber liegende Thür und Byasson wandte sich rasch um. Er sah nur noch die weiße Mütze einer Kammerzofe hinter der Thüre verschwinden, die schnell wieder geschlossen wurde.
Bald darauf ging auch die Thür links auf und Leon in eigener Person stand vor Byasson. In seinen Mienen drückte sich eine große Ueberraschung aus.
»Bin ich auch indiscret, mein junger Freund?« fragte Byasson.
»Durchaus nicht! Treten Sie näher, ich bin im Gegentheil glücklich, Sie zu sehen. Sie finden mich aber leider gerade im Begriffe meine Siebensachen auszupacken.«
Byasson setzte sich aufs Sopha und sah sich ein wenig erstaunt in dem einfach decorirten Zimmer um, wo nichts an eine Modedame erinnerte.
»Mein liebes Kind,« begann er darauf, »du ahnst wohl, daß ich nicht gekommen bin, um dir nur eine Anstandsvisite in der neuen Wohnung zu machen. Ich freue mich aber, dich wohl und munter zu sehen, denn ich liebe dich von ganzem Herzen, wie ein Kind, welches unter meinen Augen geboren und aufgewachsen ist. Ich komme jedoch heute, um ein ernstes Wort mit dir zu reden. Vor einer halben Stunde verließ ich deine Eltern, welche kurz vorher von Jakob erfahren hatten, daß du ohne irgend eine besondere Anzeige deine alte Wohnung verlassen hattest. Du kannst dir denken, wie verzweifelt deine arme Mutter ist, sie schwimmt in Thränen. Dein Vater ist überwältigt von bitterem Schmerze und beide beweinen dich, als ob du todt wärest.«
»Wer hat mich getödtet?«
»Wer hat sie zuerst beleidigt? Doch lassen wir das. Die Vorwürfe kommen zu spät. Ich bin gekommen, um freundschaftlich ein Wort mit dir zu sprechen, fühle mich hier aber nicht gemüthlich und bitte dich daher, mit mir einige Minuten auszugehen.«
Leon wurde durch diese Bitte unangenehm berührt und zeigte auf seine gefüllten Koffer.
»Ich wollte heute auspacken,« sagte er.
»Nur um eine Stunde Zeit bitte ich dich, kannst du diese Bitte einem alten Freunde abschlagen?«
»Und wohin wollen wir denn gehen?« fragte Leon halb ärgerlich.
»Sei ohne Sorge, ich werde dir keine Falle stellen, das liegt nicht in meiner Art. Begleite mich in meine Wohnung, wo wir bei geschlossenen Thüren frei von der Leber reden können, ohne behorcht zu werden.«
»Nun, wie Sie wünschen, mein alter Freund. Ich bitte aber, mich einige Minuten zu entschuldigen, um mich anzukleiden.«
Leon ging in sein Schlafzimmer und schloß die Thür hinter sich zu. Byasson wartete, aber erst nach Ablauf einer Viertelstunde trat der junge Mann wieder herein.
Die beiden Herren verließen Leons Wohnung und gingen nach der Rue St. Augustin, wo Byasson im dritten Stocke eine kleine gemüthliche Wohnung inne hatte. In dem Salon, wo die Herren Platz nahmen, herrschte eine geniale Unordnung. Hier und dort standen und lagen Kunstgegenstände aller Art. Auf dem Sopha war ein ganz neues Oelgemälde aufgestellt, welches noch nicht ganz trocken war. Die Stühle waren besetzt: auf dem einen stand eine Marmorvase, aus dem anderen eine Elfenbeinfigur und auf dem dritten lag eine aufgeschlagene Mappe mit Stahlstichen. Alte Fayencen standen in der Ecke oder an die Tische gelehnt und diese selbst waren mit schweren Teppichen belegt.
»Du kannst dir denken, mein liebes Kind,« begann Herr Byasson die Unterredung, »in welcher Lage ich mich befinde. Ich bin ein alter Freund deiner Eltern, der älteste vielleicht, und auch der deinige. Ich liebe dich, als wenn du mein eigener Sohn wärest, deshalb ist es wohl ganz natürlich, wenn ich mich in dem Augenblicke, wo du dich von deinen Eltern trennen willst, in deine Angelegenheit mische und meine Vermittelung anbiete. Was wird diese Trennung für Folgen haben? Nur Unglück und Verzweiflung für alle. Doch nein, ich irre mich, eine Person wird darüber glücklich sein, aber verdient diese es auch, daß du ihr deine Familie, deine Zukunft, deine Ehre opferst?«
»Diejenige, von der Sie sprechen, ohne sie zu kennen, Herr Byasson, ist meine Geliebte. Ich liebe sie wirklich.«
»Du sagst, ich kenne sie nicht! Ach, ich kenne sie, wie ganz Paris sie kennt. Ihr Ruf ist unglücklicher Weise so groß und so zweifellos, daß man über sie urtheilen kann, ohne einige hundert Zeugen abhören zu brauchen. Ich will dir weder eine Strafrede halten, noch dich beleidigen, aber es ist mir ein Bedürfnis, dir alles zu sagen, was ich auf dem Herzen habe, und es ist in der That nicht meine Schuld, wenn ich deine Geliebte nicht sonderlich loben kann. Wer ist denn diese Frau, die du deinem Vater, deiner Mutter, deiner Familie, deinem Glücke, deinem guten Rufe vorziehst und mit ihr ein Leben führst, das deiner Ehre nicht zum Vortheile gereicht? Hat sie auch nur eine Eigenschaft, welche deine Thorheit entschuldigen könnte?«
»Ich liebe sie.«
»Hat sie große Talente? Besitzt sie einen angesehenen berühmten Namen? Sie ist nicht einmal jung und leidenschaftlich mehr. Und ihretwegen giebst du alles preis? Bedenke doch, mein Sohn, auf wie lange sie dir Befriedigung verleihen kann. Du wirst sie nicht immer lieben. Das Alter kommt rasch, sehr rasch, und besonders bei Damen, deren Vergangenheit eine so lasterhafte wie diejenige Cara's war. Sie ist schon jetzt alt und könnte wahrhaftig deine Mutter sein. Das brauche ich dir wohl nicht zu sagen, denn du hast die Spuren verwelkter Jugend deutlich im Hellen Tageslichte auf ihrem Antlitze lesen können.«
Leon fühlte sich durch diese Reden des alten Herrn beunruhigt, aber da er sich nicht erzürnen wollte, zwang er sich zu einem Lächeln und antwortete:
»Herr Byasson, Sie lieben die Kunst und die Schönheit. Wohl, denken Sie doch einmal nach, wie alt Diane von Poitiers war, als Jean Goujou sie nackend darstellte?« Von diesem berühmten plastischen Werke der französischen Renaissance, zu welcher die Maitresse Franz I. Modell saß, befindet sich eine vortreffliche Abbildung in Kuglers »Atlas der Kunstgeschichte«.
»Ach, das sind Possen!«
»Fünfzig Jahre war sie alt, nicht wahr? Und dennoch wurde sie ihrer Schönheit wegen angebetet und von einem Manne geliebt, der das dreißigste Jahr noch nicht erreicht hatte. Hortense ist noch nicht fünfzig, nicht einmal vierzig Jahre alt und mir erscheint sie kaum dreißig.«
»Eines Tages wird sie dir wie eine Sechszigerin erscheinen, wenn der Schleier von deinen Augen fällt. Und dieser Tag wird bald da sein! Ein Wort der Verleumdung, welches man dir zuflüstert, vielleicht die Langeweile eines Augenblicks, oder besser als dieses alles, die Stimme deiner Ehre und deines Gewissens werden dir die Augen öffnen und du wirst ein Weib von dir stoßen, das du vor kurzem noch als Göttin verehrtest. Sie ist deiner nicht würdig und diese Erkenntnis wird dir über kurz oder lang kommen.«
»Ich wiederhole es, Herr Byasson, Sie sprechen von einer Person, die Sie nicht kennen.«
»Gut, dann nenne mir eine Eigenschaft dieses Weibes, welche es deiner würdig macht. Du bist von Cara verführt worden, weil sie ihre Fehler und Laster und ihre gewinnsüchtige Speculation in das glänzende Gewand der falschen Liebe zu verstecken versteht. Sie weiß sich zu benehmen, und hat seit 25 Jahren Studien an lebenden Geschöpfen gemacht, die ihrer Habsucht zum Opfer fielen. Sie ist eine Komödiantin und spielt ihre Rolle mit unvergleichlicher Geschicklichkeit. Aber ich kenne sie, diese raffinirten erfahrenen Frauen, welche zu gleicher Zeit die Maitressen und die Gebieterinnen ihrer jungen Liebhaber sind. Mit der Rechten vergiften sie die Unglücklichen mit Haschisch und Canthariden und mit der Linken streicheln sie die mageren Wangen der Kranken. O, davor erschrecke ich und deshalb bat ich dich um diese Unterredung, damit du dich hüten mögest. Wenn du zu einem armen unschuldigen Mädchen, meinetwegen der Tochter deines Concierge, eine Leidenschaft gefaßt hättest, ich würde es bedauern, aber nicht tadeln, und viel weniger erschrecken, denn dein Herz und dein Körper würden nicht darunter leiden.«
»Warum haben Sie das nicht meinem Vater gesagt, als ich Madeleine liebte und heirathen wollte?«
»Und mein Vater hat Ihnen so wenig wie mir Gehör geschenkt. Sie sehen also, daß meine Eltern nur um ihr Geld besorgt sind. Nach den Wünschen meines Herzens fragten sie nicht, und ihr alleiniges Bestreben geht dahin, mein Leben und meine Lebensweise nach ihrem Geschäftsinteresse zu regieren. Nun wohl, dagegen empöre ich mich, und weil es mir nicht erlaubt wurde, ein junges ehrenhaftes Mädchen zur Gattin zu nehmen, an deren Seite ich glücklich geworden wäre, habe ich mir eine Frau zur Geliebten genommen, welche geschickt genug ist, mich über den Verlust meiner ersten Liebe zu trösten. Das versteht Cara wirklich und die Fabel von den Canthariden paßt nicht auf sie. Als ich ihre Bekanntschaft machte, trieb mich eine Laune dazu, dieselbe fortzusetzen. Cara gefiel mir, das war alles. Aber bald lernte ich ihre inneren Vorzüge schätzen und habe gesehen, daß sie mehr, viel mehr als eine Laune werth ist. Heute liebe ich sie, und bin glücklich, von ihr wieder geliebt zu werden. Nennt diese Liebe meinetwegen eine Narrheit; vielleicht ist sie es auch, wenn man sie nur vom Standpunkte der praktischen Klugheit betrachtet, aber leider habe ich das Unglück, so geboren zu sein, daß ich die Narrheit, welche mich glücklich macht, der Klugheit vorziehe, die mich langweilt.«
»Aber, liebes Kind …«
»Alles, was Sie noch sagen können, Herr Byasson,« erwiderte Leon, »ist bereits gesagt. Ich vergeude meine Jugend, ich compromittire meine Zukunft, ich setze mich den vernichtenden Urtheilen derjenigen aus, die sich ›ehrenwerthe Leute‹ nennen, es ist wahr, ich glaube es, ich weiß es sogar ganz gewiß, aber ich liebe auch, ich werde wiedergeliebt, ich lebe, ich fühle, daß ich lebe. Ach ihr seid alle ganz vortrefflich mit euren klugen Reden. Ihr sagt: das junge Mädchen, das du liebst, hat kein Vermögen, deshalb ist es klüger, daß du sie nicht liebst, vergiß sie, es ist weise, eine reiche und gut situirte Tochter zu lieben. Die andere ist deiner Liebe nicht würdig, wir, die wir sie nicht kennen, kennen sie doch besser als du. Ja, ja, so sprecht ihr und ich entgegne nichts darauf, als nur das Eine: Ich liebe sie und nichts soll mich von ihr trennen. Wenn meine Familie mich von sich stößt und entehrt, so finde ich allein bei ihr Zuneigung und Trost. Als ich den Gerichtssaal verließ, wo mir mein Urtheil verkündet wurde mit Einwilligung meiner Mutter … meiner Mutter, Herr Byasson, und man mich zu einem todten Manne gemacht hatte, wessen Arme breiteten sich mir damals auf? Die ihrigen. Und Sie wollen, daß ich mich jetzt von dieser Frau, die mich getröstet hat, lossage? Cara hat mir ihr Vermögen geopfert und meine Eltern haben mir öffentlich Schmach angethan aus Furcht, daß ich einige Franken zu viel ausgeben könnte. Nein, nein, ich werde mich nicht von ihr lossagen, ich werde sie nicht verlassen, denn das würde eine Feigheit und Infamie sonder Gleichen sein. Meine Narrheit kann auch vernünftig reden, wie Sie sehen, und ist unheilbar.«
»Du denkst nur an Cara. Erinnere dich doch auch deines Vaters und deiner Mutter.«
»O, ich erinnere mich ihrer sehr wohl und weiß, daß sie sich meiner nicht erinnerten, als sie jene Bitte beim Gerichte vortrugen.«
»Sprechen wir nicht mehr von dem Vergangenen. Was willst du jetzt thun?«
»Für den Augenblick nichts. Ich bin unfähig etwas zu thun.«
»Wovon willst du denn leben? Willst du dich von Cara unterhalten lassen und der Schmarotzer deiner Geliebten sein?«
»Sie vergessen, daß ich zweihunderttausend Franken geliehen habe. Von diesen habe ich noch die Hälfte, das genügt vorläufig, um mit ihr zusammen leben zu können.«
»Und wenn du diese 100 000 Franken ausgegeben hast, so denkst du, daß deine Eltern vor Kummer gestorben sind und dir die Hälfte ihres Vermögens hinterlassen haben, welches du mit deiner Buhlerin ebenfalls verschwenden willst. Ach, mein lieber junger Freund, du sprichst in deiner Verblendung schlimme Worte.«
Leon wollte antworten, aber im selben Augenblicke klopfte es an die Thüre.
»Lassen Sie uns ungestört!« rief Byasson ärgerlich.
Aber man pochte noch einmal und stärker. Byasson erhob sich ärgerlich und öffnete die Thüre.
»Ein eiliger Brief für Herrn Leon Haupois,« sagte der eintretende Commis.
Byasson wollte den Brief zurückweisen, aber Leon hatte bereits einige Worte trotz der Entfernung gehört. Er trat ebenfalls zur Thüre hin und erkannte an dem Billetpapier die Chiffre von Cara. Er nahm den Brief und blickte auf die Schriftzüge der Adresse, die ihm ganz fremd waren. Schnell öffnete er das Couvert und überflog die wenigen Zeilen, welche also lauteten:
»Madame befindet sich sehr unwohl und der Arzt ist besorgt. Da Madame fortwährend nach Ihnen ruft, so wage ich es, Sie davon zu benachrichtigen. Luise.«
Leon faltete das Papier zusammen, nahm schnell seinen Hut und wandte sich an Byasson.
»Wir werden die Unterhaltung fortsetzen, wenn Sie wollen. Augenblicklich muß ich fort. Entschuldigen Sie mein schnelles Aufbrechen …«
Als Leon in der Rue Auber anlangte, fand er seine Geliebte ohne Besinnung auf ihrem Bette ausgestreckt liegend und neben ihr einen jungen Arzt, den Luise auf gut Glück aus der Nachbarschaft geholt hatte.
»Es ist nur eine Ohnmacht,« sagte der Arzt, »beruhigen Sie sich, eine Gefahr ist nicht vorhanden und Madame wird bald wieder zur Besinnung kommen.«
In der That öffnete Cara nach einigen Minuten die Augen und ließ ihre Blicke verstört umherirren, bis sie Leon trafen. Sie schlang ihre beiden Arme um seinen Hals und verfiel in ein leidenschaftliches heftiges Schluchzen.
»Madame hat jetzt nur Ruhe nöthig,« sagte der Arzt und empfahl sich mit einer höflichen Verbeugung.
Leon setzte sich neben Cara's Bett hin und nahm ihre Hand in die seinige. So blieben beide stumm nebeneinander, denn der junge Mann wagte nicht, nach der Ursache des plötzlichen Unwohlseins zu fragen, da der Arzt möglichste Ruhe vorgeschrieben hatte.
Endlich nahm Cara, als sie sich ein wenig erholt zu haben schien, selbst das Wort:
»Armer Freund,« sagte sie, »wie glücklich bin ich, daß du zurückgekehrt bist; deine Stimme war es, die mich wieder zum Bewußtsein zurückbrachte, denn ich glaube fest, daß ich nahe am Sterben war; ich fühlte und sah nichts mehr und würde lange Zeit bewußtlos geblieben sein, wenn nicht plötzlich deine Worte mein Herz erzittern gemacht hätten. Da wachte ich auf. Wie glücklich traf es sich, daß du gerade in jenem Augenblicke zurückkehrtest.
»Es war kein Zufall, ich bin von Luise benachrichtigt worden, daß du krank seiest.«
»Wie, von Luise?«
»Sie schrieb mir, daß ich sofort kommen sollte.«
»Das verstehe ich nicht und doch glaube ich, daß sie sehr erschreckt war. Nach deinem Weggehen dachte ich daran, was du mir gesagt hattest und bildete mir ein – verzeihe es, mein Freund – daß dein Freund Byasson dich überreden würde, nicht zu mir zurückzukehren, und daß wir uns niemals wiedersehen sollten. Da fühlte ich plötzlich eine Ohnmacht, mein Herz hörte zu schlagen auf, ich sah dich nicht mehr, stieß einen lauten Schrei aus und erinnere mich noch dunkel, daß Luise ins Zimmer stürzte. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr.«
»Diese plötzliche Ohnmacht muß Luise sehr erschreckt haben, wie sie schrieb. Aber wie wußte sie, daß ich bei Byasson sei?«
»Ich weiß es nicht und will sie fragen. Ich habe ihr nichts von deinem Besuche gesagt und es ist mir wirklich unangenehm, daß sie dir geschrieben hat.«
»Wie, es ist dir unangenehm, daß ich gleich zu dir geeilt bin?«
»O nein, nein, ich bin glücklich, ich bin die glücklichste Frau der Welt, daß du gekommen bist, aber es wäre mir lieber gewesen, wenn du ohne den Brief zurückgekehrt wärest. Dein Freund Byasson hat dich sicherlich nicht in seine Wohnung entführt, um dir dort seine Gemälde und Antiquitäten zu zeigen; er wollte dich überreden, zu deinen Eltern zu gehen und mich zu verlassen. O, sage nicht nein, dieser Gedanke machte mich ohnmächtig. Als ich mir deine Lage vorstellte und die Frage vorlegte: Wird er der Stimme seines Freundes oder derjenigen seiner Liebe folgen? Wird er zu seinem Vater zurückkehren oder zu mir? da erfaßte mich ein betäubendes Angstgefühl. Aber trotzdem wollte ich nicht, daß Luise dir schreiben sollte. Dir selbst überlassen, trägst du auch die Verantwortung für deinen Entschluß. Es war eine Probe, welche mir Gewißheit verschaffen sollte, ob du mich wirklich liebtest. Wenn du nicht zurück gekommen wärest, hätte mich der Schlag getroffen, aber was hätte daran gelegen, ich wäre jetzt todt und fragte nicht mehr nach irdischer Glückseligkeit. Aber wenn du freiwillig zu deiner kleinen Frau zurückkehrtest, welch' eine große Freude hätte mich ergriffen. Du willst mir jetzt sagen, daß du mich nicht vergeblich hättest warten lassen, aber du bist jetzt doch nur gekommen, weil du keine Wahl hattest. Die freiwillige Rückkunft hätte alle meine Zweifel besänftigt. Du bist gut, du bist mitleidig, mein Freund, aber Mitleid ist keine Liebe, deshalb gehe wieder zu deinem Freunde Byasson zurück, nicht jetzt gleich, aber morgen oder übermorgen, und setze das Gespräch mit ihm fort.«
Indem Cara so ihrem Geliebten die Erlaubnis der freien Wahl ertheilte, entzog sie ihm dieselbe im gleichen Augenblicke, und Leon suchte Herrn Byasson weder am anderen Tage noch in der folgenden Woche auf, um nicht zuzugestehen, daß er wirklich einen Moment zweifelhaft war, ob er den Bitten Byassons nachgeben sollte oder nicht. Wie Luise die Adresse Byassons erfahren hatte, klärte sich bald auf. Während ihrer Bewußtlosigkeit lag Cara im Fieber und hatte mehrfach den Namen Byasson ausgerufen, und Luise, welche den Kopf verloren hatte, hatte sich eingebildet, daß Herr Leon sich bei Byasson befinden müßte, dessen Adresse sie in dem Adreßbuch aufsuchte.
Während der folgenden Tage nach diesem Vorfalle wartete der alte Freund des Hauses Haupois-Daguillon vergeblich auf einen Besuch Leons und entschloß sich endlich, bei der nächstbesten Gelegenheit einen neuen wirkungsvolleren Versuch zu machen, Leon zu sprechen. Er hörte wohl von diesem durch einige alte Freunde und Kameraden desselben, hauptsächlich durch Clergeau, aber der verlorene Sohn selbst gab kein Lebenszeichen von sich. Auf die eindringlichsten schriftlichen Bitten um ein Rendezvous ertheilte er keine Antwort, und als seine Freunde ihn dazu überreden wollten, schnitt er ihnen mit dem ersten Worte die Rede ab. Mit Henri Clergeau erzürnte er sich so heftig, daß jener nichts mehr von ihm wissen wollte.
Auch bei seinen Gläubigern, dem Kutscher Rouspineau und dem Bankier Brazier, verfolgte er dasselbe System, sich todt zu stellen. Er verwies sie auf den Richterspruch. Er besitze nichts, er könne nichts thun und sie möchten sich daher mit ihrer Forderung an seinen Vater wenden. Es war ein Glück für die beiden sauberen Herren, daß Herr und Madame Haupois ein Wort mit sich reden ließen. Um den Ruf ihres Namens zu retten, versprachen sie die Schulden ihres Sohnes zu bezahlen, aber nur unter der Bedingung, daß die Wechsel formell protestirt würden und Leon niemals erfahre, daß sie ein solches Arrangement getroffen hätten. Von dem Tage an, wo Leon ein Wort davon zu wissen bekomme, würden sie ihre Abzahlungen einstellen.
Aergerlich darüber, daß Leon seinen Bitten kein Gehör gab, beschloß Byasson bei Cara selbst Bresche zu legen, und bat sie schriftlich um ein Rendezvous. Diese wollte zwar nicht, daß Leon von den freundschaftlichen Angriffen des alten Herrn belästigt würde, weil sie ihrer Herrschaft über Leon noch nicht ganz sicher war, fürchtete aber für sich selbst nichts und bewilligte jenem das Rendezvous, um welches er gebeten.
An dem Tage, an welchem Byasson zum ersten Male in die Thür trat, die ihm bisher verschlossen war, hatte Cara vorsichtiger Weise ihren »kleinen Mann« aufs Land geschickt. Sie selbst befand sich in ihrem Salon und beschäftigte sich gleich einer sorgsamen Hausfrau damit, Knöpfe an die Hemden Leons zu nähen. Byasson »überraschte« sie bei dieser trivialen Arbeit. Sie erhob sich in leichter Verlegenheit und bot ihm einen Stuhl an.
Byasson hatte sich wohl vorbereitet und begann schnell und frisch von der Leber weg die Unterhaltung.
»Sie wissen,« sagte er, »daß ich Geschäftsmann bin. Enthalten wir uns also aller Sentimentalitäten und ich hoffe, daß wir uns dann verstehen werden, denn Sie sind ohne Zweifel eine sehr praktische Frau.«
Cara lächelte.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Welchen Preis wollen Sie für Leon haben?«
»Das ist eine komische Frage.«
»Es findet sich schon ein Käufer.«
»So? Aber vielleicht kein Verkäufer, mein Herr.«
»Wie Sie wollen! Sie verkaufen, ich kaufe.«
»Auf welchen Termin zu liefern?«
»Sofort.«
»Und Sie bezahlen auch per Kassa?«
»Damit hat es keine so große Eile, aber wir geben Ihnen Sicherheit.«
»So denke ich nicht. Jeder Tag, an welchem ich im Besitze Leons bleibe, bringt mich der Erfüllung meiner Hoffnungen näher.«
»Nun, so bitte ich, Ihren Preis zu stellen. Das geht Sie an und nicht mich.«
»Ich gestehe, mein Herr, daß ich gänzlich unvorbereitet und nicht im Besitze einer Tafel bin, aus welcher alle Wahrscheinlichkeiten des Lebens und des Todes eingezeichnet sind, wie in den Katalogen der Versicherungsgesellschaften. Machen Sie mir ein anständiges Angebot und dann können wir uns über dasselbe einigen.«
Byasson hatte geglaubt, daß er auf dem geschäftlichen Gebiete mit Cara leichtes Spiel haben werde, aber er sah sich getäuscht und blieb einen Augenblick die Antwort auf Cara's Frage schuldig. Diese fuhr nach einer kleinen Pause fort:
»Also wollen Sie Ihre Karten nicht auf den Tisch legen? Nun gut, dann will ich versuchen, eine Rechnung aufzustellen. Als ich Ihren Freund kennen lernte, besaß ich einen Haushalt, welcher 600 000 Franken werth war. Ich mußte denselben, um Ihrem Freunde nützlich sein zu können, zwangsweise verkaufen und erhielt nur 300 000 Franken. Meine Einbuße beträgt ebensoviel: also erster Posten auf Ihrer Rechnung 300 000 Franken. Außerdem habe ich Leon 100 000 Franken geliehen, macht zusammen 400 000 Franken. Ferner habe ich 100 000 Franken Unkosten gehabt, um Leon und mich hier in dieser Wohnung zu installiren. Macht also in runder Summe eine halbe Million Franken, welche Leon mir schuldet und von welcher ich nicht einen halben Sous ablassen kann.«
»Aber …«
»Ich bin noch nicht zu Ende, mein Herr. Wenn Leon mich verläßt, ist er für mich todt und ich kann mich als seine Witwe betrachten. Sie verstehen wohl, mein Herr, daß ich gegründeten Anspruch auf eine gute Witwenpension habe, die ich auf 25 000 Franken jährliche Renten fixire, welche ein Kapital von 500 000 Franken repräsentiren. Eine halbe Million und noch eine halbe machen zusammen eine ganze, und meine Forderung beträgt also, wenn ich Ihnen Leon verkaufen soll, rund und nett eine Million in guten Werthpapieren. Was bieten Sie mir nun?«
Wenn man an den Ufern des Flusses Oleron geboren ist, besitzt man nicht viel Phlegma. Byasson sprang vom Stuhle auf und rief entrüstet:
»Sie bilden sich also ein, Madame, daß Leon Sie ewig lieben wird?«
»Lieben?« fragte Cara lächelnd und erstaunt zurück. »Sie sprechen von Liebe? Ich glaubte, wir wollten nur rein geschäftlich unterhandeln. Können Sie denn mit einer Frau, wie ich eine bin, in einem anderen Tone reden?«
»Aber …«
»Ah, Sie wollen also jetzt, daß wir die persönlichen Gefühle mit in Rechnung ziehen. Sehr gerne, es ist mir sogar erwünscht. Sie fragen mich, ob Leon mich ewig lieben wird. Darauf kann ich nichts antworten, denn ›ewig‹ ist sehr lange. Aber ich versichere Sie, mein Herr, daß Leon mich heirathen wird, wenn ich es will. Wie hoch taxiren Sie das Vermögen, welches er einst erben wird? Auf fünf Millionen, nicht wahr? Nun, diese Fünfe gebe ich für eine einzige hin, d. h. wenn ich ein habsüchtiges Geschöpf wäre, würde ich einen sehr schlechten Tausch machen. Aber ich bin keine von Ihren ›ehrenwerthen‹ Frauen, die nach Geld heirathen, sondern nur eine Frau von Ehre, welche die Achtung vor der Familie ihres Geliebten respectirt. Ich habe bis heute nicht daran gedacht, daß Leon mich heirathen sollte. Aber nur bis heute, wohlverstanden, wenn Sie auf meine Forderung nicht eingehen, die Sie selbst hervorgerufen haben. Glauben Sie ja nicht, daß ich aufschneide und die Macht, welche ich über Leon besitze, übertreibe. Wenn ich will, wird Leon mein rechtmäßiger Gatte. Sie kennen seinen Charakter und seine Natur, er hat ein zärtliches Herz und eine sehr empfindliche Seele. Wenn solche Leute, wie er, einmal lieben, lieben sie innig und treu, und er liebt mich, sonst wäre er zu seinen Eltern zurückgekehrt, die er so unglücklich gemacht hat. Aber ich bin ihm unentbehrlicher als jene, wie die Thatsachen lehren. Ach, wahrhaftig, es ist schade, daß Ihr ihn nicht frühzeitig mit einem unschuldigen jungen Mädchen vermählt habt, wie sehr würde er seine Frau geliebt haben! Er besitzt alle Eigenschaften für einen guten Ehemann: Zärtlichkeit, Sanftmuth, häuslichen Sinn und vor allem Treue. Die Männer, die ihm gleichen, lieben gewöhnlich nur eine. Zuerst lieben sie schüchtern, dann leidenschaftlicher, endlich lieben sie mit ganzer Seele und mit ganzem Herzen. Diese Männer sind häufiger, als man insgemein denkt, es sind furchtsame Leute, Gewohnheitsmenschen etc. Doch Sie kennen Leon besser als ich und ich will daher schweigen. Nun antworten Sie mir gefälligst.«
»Antworten? Madame, ich würde Ihnen antworten, wenn Sie ernstlich gesprochen hätten.«
»Ich schwöre Ihnen, daß ich nie ernster war, als eben jetzt, und es scheint mir, daß meine Forderung eine sehr billige ist, wenn Sie die näheren Umstände bedenken. Ich möchte, daß diese Frage in Leons Gegenwart discutirt würde und wette darauf, daß er das Glück, mit und bei mir zu leben, höher als eine halbe Million anschlägt. Bedenken Sie doch, daß er seit dem Augenblicke, wo er mich kennen lernte, keine Minute des Ueberdrusses und der Langenweile gehabt hat. Sie bilden sich ein, daß es sehr leicht ist, Eure schönen Söhne glücklich zu machen, diese bedauernswerthen Jünglinge, welche thöricht erzogen sind, an nichts Interesse finden und für nichts sich begeistern können. Nur in einem Punkte sind sie energisch: ihre bürgerliche und ehrenhafte Eitelkeit zu befriedigen. Sie nehmen uns nicht für das, was wir sind, nicht unserer Schönheit oder unseres Geistes wegen, sondern lediglich unseres Rufes wegen, um ihrem Hochmuth zu schmeicheln. Ach, die Schmach, welche sie uns anthun, ist eine große, und das Geld, welches wir gewinnen, haben wir ehrlich verdient. Doch ich will jetzt nicht weiter in Sie dringen. Ueberlegen Sie in Ruhe, meine Forderung ist wahrlich sehr bescheiden.«
Cara erhob sich, und als Byasson, verblüfft über den Erfolg seines neuen Angriffs, kein Wort erwiderte, fuhr sie fort:
»Erlauben Sie mir, Ihnen zu beweisen, daß Leon, wenn Sie lange Zeit zur Ueberlegung gebrauchen, warten kann, ohne daß er dadurch unglücklich wird.«
Lächelnd und graziös dahingleitend führte sie Byasson in ihr Wohnzimmer, in den Salon, in das Speisezimmer, ja sogar in ihr Ankleideboudoir und sagte:
»Hier ist mein Arsenal, Sie sehen, es ist nicht sehr groß aber das Wichtigste, was wir Damen besitzen.«
Sie öffnete Kästen und Schränke, Schiebladen und Thüren und zeigte dem alten Herrn alles, was sie aus dem letzten Schiffbruche an Kostbarkeiten gerettet hatte. Byasson mußte auf dem Sopha Platz nehmen, und beobachtete von hier aus die Grazie und den Anstand, welche allen ihren Bewegungen und Gesten inne wohnten. Der alte Herr lächelte und blickte dem schönen Weibe in die dunklen Augen.
»Woran denken Sie?« fragte diese schmeichelnd.
»Ich denke … wollen Sie es wissen?«
»Wenn ich der Vater Leons wäre, so würde ich Sie wie ein wildes Thier auf diesem Sopha erdrosseln.«
Cara sprang entsetzt auf, aber gleich darauf lächelte sie und erwiderte mit einer graziösen Verbeugung:
»In der That, mein Herr, das wäre die einzige und einfachste Methode, um mich unschädlich zu machen. Nur durch rohe Gewalt könnten Sie mich besiegen, und da Sie dies selbst eingestehen, so nehme ich Ihren wunderlichen Einfall für ein Compliment und danke Ihnen.«