Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Das arme Landmädchen aus Montmorency

Das Rollen des Wagens war nicht geeignet, das Unwohlsein Cara's zu verringern. Sie sprach in abgerissenen Worten auf die theilnehmenden Worte Leons nur: »Ach wäre ich erst zu Hause!«

»Ich will sofort Ihren Arzt aufsuchen,« erwiderte Leon, »sobald Sie zu Hause angelangt sind.«

»Das würde vergebliche Mühe sein, mein Freund. Horten ist Abends nie zu Hause und kommt niemals Nachts zu seinen Patienten. Ich hoffe auch, daß ich keine ärztliche Consultation nöthig habe. Schlaf und Ruhe werden mich am ersten wieder herstellen.«

»Wir biegen in den Boulevard Malesherbes ein. Wir sind gleich zu Hause!« rief der junge Mann.

»Endlich,« seufzte Cara. »Aber wie unangenehm ist es für mich, daß ich ganz allein in meiner Wohnung sein werde. Meine Dienerschaft ist noch in St. Germain.«

»Ich werde Sie hinaufbegleiten und ein wenig für Ihre Bedürfnisse Sorge tragen.«

»O nein!« rief Cara aus. »Das kann ich nicht von Ihnen verlangen. Das ist zu viel.«

»Warum das?« erwiderte der junge Mann galant und setzte lächelnd hinzu, »ich glaube ein sehr guter Krankenpfleger zu sein. Eine innere Eingebung sagt es mir.«

»Ich zweifle nicht daran, Sie sind so sanft und aufmerksam wie eine Frau, aber dennoch ist es unmöglich.«

»Wenn Sie es unmöglich finden, kann ich mich nur Ihren Wünschen fügen.«

»O, es handelt sich nicht um mich! Was würde Ihre Freundin sagen, wenn sie wüßte, daß Sie meine Krankenpflegerin wären.«

»Ich habe keine Freundin, welche sich deswegen beunruhigen würde.«

»Und Bertha?«

»Ich habe schon lange mit ihr gebrochen.«

»Und Raphaelle?«

»Auch mit dieser ist's vorbei …«

Unterdessen hielt der Wagen vor Nr. 17 des Boulevard Malesherbes. Leon stieg zuerst aus und half dann Cara. Sie stützte sich gegen seine Brust und glitt langsam zur Erde.

Während er die Glocke zog, drang sie in ihn, daß er sie nicht weiter begleite, aber ihre Stimme war so schwach, daß Leon die Kranke nicht allein die Treppe hinaufgehen lassen wollte.

»Nun gut,« sagte sie, »ich nehme Ihren Arm an, aber, wenn ich oben bin, verlassen Sie mich.«

Sie wohnte in der zweiten Etage. Die Treppen waren weder hoch noch unbequem, dennoch schien Cara nur mit größter Anstrengung Stufe für Stufe zu erklimmen. Endlich oben angekommen, wollte sie die Etagenthür öffnen, aber sie vermochte vor Schwäche den Schlüssel nicht umzudrehen und so that Leon dies.

»Es ist eine Schande,« seufzte Cara, »wie schwach wir Frauen sind.«

Da auf der Etage kein Licht war, so nahm sie Leon bei der Hand, um ihn zu führen.

»Langsam,« flüsterte sie.

Sie tappten in der That nur langsam, sehr langsam vorwärts.

»Jetzt geben Sie Acht und kommen Sie nahe zu mir heran,« sagte Cara.

Und mit ihrer nackten Hand drückte sie die seinige, und zog ihn selbst zu sich hinein, damit er nicht gegen eine Thüre oder einen Tisch stoße. So durchschritten sie mehrere Zimmer, dann blieb Cara plötzlich stehen.

»Nun sind wir in meinem Wohnzimmer. Warten Sie einen Augenblick, bis ich Licht angezündet habe.«

Sie ließ seine Hand los und er blieb unbeweglich stehen in der Dunkelheit, die durch keinen Lichtschimmer erhellt wurde. Er sah nichts, er hörte nichts, aber roch einen starken Veilchenduft, welcher nur von natürlichen Blumen herrühren konnte.

Cara strich ein Streichholz an der Wand an und das schwache Licht erhellte plötzlich ein großes Zimmer, dessen Wände mit schweren alten Flandrischen Teppichen ausgeschlagen waren. Auf dem Fußboden lag eine Kaschmirfußdecke und die Möbel waren ebenfalls mit kostbaren Stickereien gepolstert. Der Ernst und der Geschmack dieses Stils ähnelte keineswegs den Neigungen der gewöhnlichen Kokotten.

»Erlauben Sie, daß ich eine Spiritusflamme anzünde,« sagte Cara, indem sie ihren Hut abnahm. »Ich möchte mir einen Thee kochen, da ich mich wirklich recht elend befinde.«

»Das werde ich thun,« erwiderte Leon, »denn ich bin Ihr Krankenwärter. Widersprechen Sie mir nicht.«

»Ich wage es nicht, mein Herr. Kommen Sie mit mir in mein Ankleideboudoir, dort werden wir das Nöthige finden.«

Dieses Boudoir war ebenso groß wie der Salon, aber in einem andern üppigen und koketten Stil decorirt. Die Aufmerksamkeit Leons wurde hauptsächlich von den hellen Seidenzeugen der Spitzen und Weißstickereien, welche die Wände und Möbeln verzierten und bedeckten, in Anspruch genommen. Alle Toilettengegenstände waren aus Silber gefertigt und in geschmackvollster Weise ciselirt.

Während Leon sich umschaute, hatte Cara eine Lampe, einen kleinen Theetopf und die Theebüchse geholt und reichte alle drei Gegenstände ihrem Gefährten, welcher sofort den Docht der Lampe anzündete, und Wasser in den Topf goß. Cara legte sich langausgestreckt auf ein breites grauseidenes Sofa und schien vollständig erschöpft zu sein. Ihre Zähne schlugen gegeneinander.

»Wenn Sie mich pflegen wollen,« sagte sie, »und ich bedarf leider der Pflege, wie ich merke, so geben Sie mir bitte jenen Shawl, der an der Wand hängt. Mich friert so sehr.«

Er brachte ihr den Shawl und wickelte die zarte Gestalt in denselben hinein.

»Wie gut sind Sie!« sagte Cara mit gerührter Stimme.

Das Wasser kochte bald und der junge Mann reichte ihr den Thee, nachdem er Zucker hineingeworfen hatte.

Aber Cara konnte trotzdem nicht warm werden, ihre Zähne klapperten und ein Frostschauer durchbebte ihren Körper.

»Lassen Sie mich einen Arzt holen,« sagte Leon.

»Nein,« erwiderte sie, »der Schlaf allein wird mir schon helfen.«

»Aber Sie können doch nicht hier auf dem Sofa schlafen. Sie werden gewiß nicht warm werden.«

»Meinen Sie?«

»Gewiß.«

»Wenn ich es wagen dürfte …«

Sie hielt inne, ohne den Satz zu vollenden.

»Was wagen Sie nicht?«

Cara sah ihn an und fuhr dann schüchtern fort:

»Bleiben Sie hier in meinem Cabinet, während ich ins Schlafzimmer gehe und mich zu Bette lege. Wenn das geschehen, werde ich Sie rufen, damit Sie mir die zweite Tasse Thee bringen. Ich hoffe, warm zu werden.«

»O, dann legen Sie sich schnell ins Bett.«

Cara erhob sich und verschwand in der Thüre, während Leon eine zweite Tasse Thee kochte. Nach Ablauf weniger Minuten hörte er ihre Stimme und folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie lag im Bette und hatte mehrere Decken über sich ausgebreitet. Als er ihr den Thee reichte, erhob sie sich zur Hälfte, sodaß das mit Spitzen besetzte Nachthemd, welches keusch ihre Büste verhüllte, sichtbar wurde.

Ein unschuldiges Mädchen hätte in ähnlicher Situation keinen züchtigeren Anblick gewähren können.

»Jetzt,« sagte sie, indem sie die Tasse zurückgab, »ist es für Sie Zeit wegzugehen. Ich will nicht, daß Sie die ganze Nacht hier bleiben. Ziehen Sie die Etagenthür fest hinter sich zu und sie wird ins Schloß fallen, so daß ich keinen unerwarteten Besuch erhalten kann. Nochmals besten Dank für Ihre Freundlichkeit. Leben Sie wohl.«

Indem sie den Arm unter den Kopf legte, schloß sie die Augen, um zu schlafen. In dieser Stellung war ihr Anblick wahrhaft entzückend und Leon, welcher in einer kleinen Entfernung an einem Tische stand, konnte sich von dem hübschen Bilde nicht trennen. Er fragte sich, ob alle die Geschichten, welche man sich voll Cara erzählte, wahr sein könnten. Er konnte dieselben mit dem reizenden jungen Mädchen, welches er vor Augen hatte, nicht zusammenreimen.

Ohne Zweifel versuchte sie zu schlafen, aber es gelang ihr nicht. Alle Augenblicke wechselte sie ihre Lage und eine jede war reizender als die vorhergehende.

»Sie können nicht schlafen,« sagte Leon, indem er sich dem Bette näherte.

»Es ist schrecklich! Wenn ich die Augen schließe, sehe ich immer die beiden Menschen vor mir zur Erde stürzen.«

»Wollen Sie noch eine Tasse Thee?«

»Nein, ich danke. Warm bin ich jetzt, der Frostschauer hat einem hitzigen Fieber Platz gemacht. Ich glaube, es ist das beste, wenn ich nicht an jene beiden Unglücklichen denke. Wollen wir plaudern?«

»Gerne, wenn Sie das nicht ermüdet!«

»Im Gegentheil, es wird mich auf andere Gedanken bringen. Aber kommen Sie näher zu mir heran. Rücken Sie den Sessel an den Fuß meines Bettes.«

Er erhob sich und that, wie sie wünschte.

»Und jetzt,« sagte sie, »beantworten Sie mir eine Frage.«

»Welche?«

»Wie heißen Sie?«

»Aber …«

»O, ich frage nicht nach Ihrem Zunamen. Wie wünschen Sie, daß ich Sie anrede? Herr Haupois-Daguillon?«

»Nennen Sie mich Leon.«

»Und ich heiße Hortense. Den Namen Cara hat mir die Welt gegeben, aber ich bin nicht auf ihn getauft worden. Also sind Sie einverstanden, daß Sie für mich Leon sind und ich für Sie Hortense?«

»Gerne.«

»Nun gut, mein lieber Leon, ich habe noch eine Bitte an Sie, es ist dieselbe, mit welcher die meisten Erzählungen von ›Tausend und eine Nacht‹ beginnen: Sie erzählen so gut, erzählen Sie mir also eine Geschichte.«

»Aber ich weiß wirklich nicht, was ich erzählen soll.«

»O, das thut mir leid! Strengen Sie Ihr Gedächtnis einmal an.«

»Das hilft nichts. Ich habe mich nie im Geschichtenerzählen versucht.«

»Dennoch versichere ich Sie, daß es ein vortreffliches Mittel wäre, mich zu zerstreuen. Aber, wenn es Ihnen unmöglich ist, so will ich Sie nicht weiter belästigen. Soll ich Ihnen etwas erzählen?«

»Das wird Sie ermüden.«

»Im Gegentheil, es wird mir dabei besser werden. Versprechen Sie mir aber, wenn ich Sie ermüde, daß Sie mich unterbrechen.«

»Das wird nicht geschehen, aber ich verspreche es.«

»Nun dann hören Sie. Der Titel meiner Erzählung lautet:

 

Geschichte eines armen Landmädchens von Montmorency.

Es ist eine wahre Geschichte, in welcher ich nicht ein Wort erfinden werde. Ich beginne also.

Da ich die Lebensgeschichte eines armen Mädchens aus dem Thale von Montmorency erzählen will, so müßte ich Ihnen eigentlich auch eine genaue Schilderung dieser Gegend machen. Aber da dieselbe bereits längst entdeckt ist und alle Beschreibungen mich langweilen, wenn ich in Romanen auf dieselben stoße, so unterlasse ich es, Sie mit einer detaillirten Angabe aller landschaftlichen Schönheiten dieses Erdfleckens zu belästigen und gehe sofort zu unserer Heldin über. Dieselbe ist in Montlignon geboren und war das jüngste Kind einer armen, sehr armen Familie. Der Vater war Erdarbeiter in einer Baumschule und die Mutter half ihm bei seiner Beschäftigung. Unsere junge Heldin … wie nennen wir sie gleich? Es ist bequemer, sie mit Namen zu nennen, aber ich habe so wenig Erfindungsgabe …«

»Nennen wir sie Hortense.«

»Ganz gut. Hortense also kannte ihren Vater nicht, denn dieser starb, als sie zwei Jahre alt war. Die Mutter hatte Mühe und Noth, ihre drei Kinder zu ernähren und deshalb war nichts natürlicher, als daß sie sich, theils aus Liebe, theils aus Lebensklugheit, zum zweiten Male verheirathete. Der Mann, welchen Hortenses Mutter erwählte, war ebenfalls Erdarbeiter, der einen guten Verdienst hatte, aber unglücklicher Weise auch einen Fehler, er trank, und das Geld, welches die beiden Gatten verdienten, wanderte zum größten Theile in die Weinschenke. Er gab seiner Frau nur dann einen kleinen Theil seines Verdienstes, wenn sie es ihm fast mit Gewalt entriß oder sein Herz durch ein Schauspiel zu rühren wußte, in welchem die Kinder als Hungerleider die Hauptrollen spielten. Wenn er am Zahlungstage heimkehrte, umringten ihn seine Sprößlinge, weinten und schrieen: »Wir haben Hunger, gieb uns Brot!« und sie schrieen um so lauter, je schlimmer sie wirklich der Hunger peinigte.

Hortense wuchs jedoch heran und sah frisch und gesund aus, obgleich sie sich fast nur von frischer Luft ernährte, welche jedoch ein besseres Nahrungsmittel zu sein scheint, als man gewöhnlich glaubt. Als sie ihr neuntes Lebensjahr erreicht hatte, ohne bisher die Schule besucht zu haben, erbarmte sich ihrer Unwissenheit eine alte reiche Dame. Diese hatte sich häufig von dem Kinde Erdbeeren und andere Waldfrüchte bringen lassen und fand ein Gefallen an dem aufgeweckten Geiste des Mädchens. Sie schickte Hortense in das Kloster zu Pontoise und versprach auch in Zukunft für ihr Wohlergehen zu sorgen.

Es war eine schöne, vielleicht die schönste Zeit für Hortense, als sie die Klosterschule besuchte und sich niemals wie ihre Gefährtinnen über schlechte Kost beklagte. Auch die Arbeit liebte sie und war bald die erste in ihrer Klasse.

Doch dies glückliche Leben sollte nicht lange dauern. Die reiche Dame starb plötzlich und hatte vergessen in ihrem Testamente eine Summe für Hortense auszusetzen. Die Erben fühlten keine Veranlassung, für ein ihnen wildfremdes Kind zu sorgen und schickten dasselbe nach Montlignon zurück. Damals zählte Hortense dreizehn Jahre.

Im Hause ihrer Eltern fand sie keine freundliche Aufnahme. Als ihre Mutter sie wieder kommen sah, rief sie erstaunt aus: »Was willst du denn hier?« – »O, ich will jetzt wieder bei euch bleiben!« – »Bei uns bleiben! Das ist leichter gesagt als gethan, mein armes Kind. Nein, wir können dich hier nicht gebrauchen. Mache, daß du fortkommst.« – »Aber wohin soll ich denn gehen?« – »Einerlei wohin, meinetwegen zur Hölle. Dort wirst du besser aufgehoben sein als hier, wo dein Vater ärger als der Teufel wüthet.«

Die Mutter fühlte einiges Mitleid und suchte das weinende Kind zu trösten. Mutter und Tochter beriethen dann, was zu thun sei und endlich kamen sie überein, daß letztere in Paris die Gastfreundschaft einer ihrer Tanten anrufen sollte. Hortense erhielt zehn Sous Reisegeld und wurde von ihrer Mutter nach dem Bahnhof in St. Denis geleitet, von wo sie per Eisenbahn nach Paris fuhr.

Mit drei Sous in der Tasche trat Hortense ins Leben ein und suchte ihre Tante, die einen Fruchthandel betrieb, auf. Diese empfing sie nicht auf die freundlichste Weise, dennoch ließ sie sich herbei, dem dreizehnjährigen Kinde einige Beschäftigung, Kost und Logis zu geben, da sie keine bösartige Frau war. In einem Winkel der Invalidenesplanade bot Hortense von nun an, vor einem kleinen Tische stehend, Früchte und Blumen zum Verkaufe aus. Sie können sich vorstellen, mein Freund, daß ein Kind, welches in einem Kloster erzogen worden war, seinem neuen Berufe nur wenig Geschmack abgewinnen konnte.

Drei Jahre jedoch ertrug Hortense ohne zu murren diese elende Existenz; Kälte, Hitze, Wind und Regen vertrieben sie nicht von ihrem Verkaufsorte. Mehr aber noch als ihre Gesundheit litt unter diesen Verhältnissen ihr moralisches Bewußtsein.

Sie sagen vielleicht, weshalb Hortense nicht einen anderen Beruf ergriff. Was sollte sie aber thun? Sie hatte kein Geschäft gelernt und wenn ihr auch kostenlos Unterricht zu Theil geworden wäre, wovon hätte sie unterdessen leben sollen?

Eines Tages wechselte Hortense mit dem Tischchen ihren Standort. Sie bot Blumen an der Ecke der Königinnenstraße aus, als plötzlich ein Phaëton vor ihr stille hielt, ein junger Mann aus demselben heraussprang und ein Veilchenbouquet zu zwei Sous forderte; als sie ihm dasselbe überreichte, blickte er sie lange und forschend an, gab ihr das Geld, redete aber sonst kein Wort und entfernte sich wieder. Hortense verfolgte seinen Wagen mit ihren Blicken, bis er in dem Gewühl der Straße verschwand.

Sie kannte den jungen Mann dem Namen nach. Es war der junge Herzog von Carami, berühmt seiner großartigen Lebensweise wegen und auch berüchtigt durch seine hohen Wetten, seine Spielwuth und das lockere Leben welches er mit seinen Maitressen führte.

Am anderen Tage bot Hortense auf demselben Platze Blumen aus und wiederum kaufte der Herzog ihr ein Veilchenbouquet ab. Aber dieses Mal ließ er sich mit ihr zum großen Erstaunen der Vorübergehenden und Umherstehenden in ein Gespräch ein und schien von den klugen Antworten der hübschen Blumenverkäuferin sehr überrascht zu sein.

Derselbe Auftritt wiederholte sich am nächsten Tage, sowie an den folgenden Tagen, und zwei Wochen später bewohnte Hortense, das arme Landmädchen von Montmorency, ein kleines Hotel der Straße Franz I., welches zehntausend Franken Miethe kostete. Das Mädchen, welches vor kurzem noch barfuß einherlief, setzte von nun an die Fußspitze nicht mehr auf das plebejische Straßenpflaster, sondern fuhr in einem eleganten Zweispänner spazieren.

Von diesem Tage an mußte Hortense stets ein frisches Veilchenbouquet bei sich haben, mochte die Jahreszeit kalt oder warm sein. Es ist ihr eine Erinnerung an die Tage des Elends …«

Als Cara so sprach, betrachtete sie wehmüthig die frischen Veilchen, welche auf dem Tische in einem Wasserglase standen. Dann fuhr sie fort:

»Mein Freund, schelten Sie das arme Mädchen nicht, welches sich also in die Arme des Herzogs geworfen hatte. Es überlegte damals nicht lange, was es dem Herzog verkaufte, denn der schöne junge Mann erschien ihm wie ein Gott, den es anbetete und dem es wieder liebte. Ja, er liebte Hortense, liebte sie leidenschaftlich und gab ihr den schönen Namen Cara.«

Cara schien einen Augenblick verlegen zu sein, dann lächelte sie wehmüthig und sagte:

»Der Herzog sprach oft zu ihr: Ich kann dir meinen Namen nicht geben, eben deshalb sollst du aber den zärtlichsten Namen der Liebe, Cara, tragen. Vier Jahre liebten sich die Beiden innig und bald kam Hortense in Mode. War es möglich, daß sie später eines andern Mannes Geliebte werden würde, wenn der Herzog sie verstoßen sollte? O, der Herzog verstieß sie nicht, dessen war er nicht fähig, aber ein boshaftes Schicksal beschloß die Liebenden auf ewig zu trennen. Der Herzog war brustleidend und das aufgeregte Leben, welches er führte, ruinirte seine schwache Gesundheit vollständig. Die Aerzte befahlen ihm, seinen Aufenthalt in Madeira zu nehmen und Hortense begleitete ihn dahin. Er langweilte sich aber so sehr auf der öden Insel, daß er schon nach einigen Wochen zurückkehren wollte. Auf dem Schiffe starb er in den Armen derjenigen, die ihn liebte.«

Cara hielt inne. Die Stimme versagte ihr vor Rührung. Sinnend legte sie die schmale rechts Hand auf ihre Stirn und fuhr endlich fort:

»Der Herzog hatte seiner Geliebten testamentarisch den größten Theil seines Vermögens hinterlassen. Das Testament aber wurde von der Herzogin von Carami, welche sich mit 53 Jahren mit einem jungen Manne von 30 Jahren verheirathet hatte, angefochten und das Gericht kassirte das Testament. Sie haben gewiß von dem sensationellen Prozesse zwischen mir – um Verzeihung – zwischen Cara und der Herzogin sprechen hören, ich gehe also auf die Einzelheiten nicht mehr ein, erwähne aber, daß diese berühmte Begebenheit die Aufmerksamkeit von ganz Paris auf Hortense lenkte und wenn sie damals einen Nachfolger des Herzogs hätte erobern wollen, so hätte sie nur unter einer großen Anzahl der reichsten Edelleute zu wählen brauchen. Aber sie wollte das Andenken desjenigen, den sie so sehr geliebt hatte, treu bewahren und beschloß als züchtige Witwe desselben ihr ferneres Leben zuzubringen.

Ach, Leon, Sie wissen nicht, welch' große Macht Sorgen und Elend über unsere Entschlüsse gewinnen können. Hortense stand bald an der Grenze des Elends und die Furcht vor demselben ließ sie das heilige Gelöbnis umgehen. Unter denen, welche sich um ihre Gunst bewarben, befand sich auch ein reicher Bankier, Namens Salzondo, dessen Eitelkeit in ganz Paris fast sprichwörtlich geworden ist. Er trug eine Perrücke auf seinem kahlen Schädel und ging dennoch täglich zu einem bekannten modischen Friseur, welcher ihm zum Scheine die Spitzen seines Haares abschnitt, damit die Welt glaube, daß er sich eines natürlichen Haarwuchses erfreue. Salzondo wünschte eine Geliebte zu haben, die ähnlich wie seine Perrücke nur dem äußeren Scheine dienen sollte. Er machte Hortense seine Vorschläge und diese ging aus Furcht vor dem Elend auf dieselben ein, nachdem sie sich lange gesträubt hatte, denn dieser Schritt bedeutete einen völligen Bruch mit ihrer Vergangenheit, wenigstens vor den Augen der Welt, die so gerne verdammt.

Ohne zu antworten, neigte Leon den Kopf und diese Bewegung konnte für Zustimmung genommen werden, die aber nicht gerne gegeben wurde.

»Noch ein Wort,« setzte Cara ihre Erzählung fort, »und ich bin mit meiner Geschichte zu Ende. Nach Ablauf einiger Jahre gefiel Hortense diese Komödie nicht länger. Seit Langem sehnte sie sich nach einem geordneten Leben, ihr böser Ruf peinigte sie selbst am meisten, und die Umgebung, in welcher sie lebte, flößte ihr Ekel ein. Endlich glaubte sie einen intelligenten und arbeitslustigen Mann gefunden zu haben, an dessen Seite sie als legitime Gattin auf eine Rehabilitation ihres Namens hoffen durfte. Sie opferte diesem Manne den größten Theil ihres Vermögens, aber zu spät merkte sie, daß er ein Betrüger war. Von allen Wunden, die ihr schon geschlagen waren, war diese Entdeckung die schlimmste, nicht deshalb, weil sie den Elenden wirklich geliebt hatte – sie hat niemals wieder geliebt, seitdem der Herzog in ihren Armen gestorben war – sondern weil er sie um ihre schönste Hoffnung, eine anständige Frau zu werden, so schmählich betrogen hatte.

Das ist, mein Freund, die Geschichte von dem armen Landmädchen von Montmorency. Ich habe sie Ihnen erzählt, damit Sie erkennen, daß Sie Ihre Freundlichkeit und Güte nicht an eine Unwürdige verschwendet haben. Nicht Cara, aber Hortense spricht Ihnen ihren innigsten Dank aus.«

Cara reichte dem jungen Manne ihre Hand und drückte die seinige zärtlich.

»Jetzt aber,« fuhr sie fort, »habe ich meine Gedanken von dem häßlichen Bilde der verunglückten Akrobaten abgelenkt und ich bitte Sie nun, mich zu verlassen. Ich will nicht, daß Sie die ganze Nacht so ungemüthlich zubringen.«

»Aber …«

»Kein ›Aber‹, mein Freund. Wenn Sie morgen noch an mich denken, wird es mir eine große Freude sein, Sie wieder zu sehen. Ich werde den ganzen Tag zu Hause bleiben.«

»Nun, auf morgen also,« erwiderte Leon und reichte ihr die Hand.

Als Leon sich aus dem Zimmer entfernt hatte und die Etagenthür mit einem dumpfen Geräusche ins Schloß gefallen war, warf Cara schnell die zahlreichen Decken ab und sprang im Hemde aus dem Bette, wie eine Frau, welche weder Kälte noch Hitze fürchtet. Mit einem Lichte in der Hand eilte sie in die Küche. Sie zitterte nicht mehr und marschirte ganz resolut ohne jene Schwankungen, welche Leon bewogen hatten, ihr seinen Arm zu leihen.

Nachdem sie das Licht auf den Tisch gestellt hatte, rührte sie in verschiedenen Kästen und Schubladen herum, ohne zu finden, was sie suchte.

Endlich fand sie in einem Schranke eine halbgefüllte Flasche mit Rothwein und in einer Ecke eine harte Brotkruste, welche einen Ton von sich gab, als ob sie von Eisen wäre, als Cara sie zufällig aus den Tisch fallen ließ.

Aber dies schien Cara nicht zu beunruhigen. Sie nahm ein Küchenmesser und sägte sich ein Stück von dem Brote ab. Dann füllte sie sich den Wein in ein Wasserglas und setzte sich auf die Tischkante. Wahrscheinlich hatte der Thee den Magen so sehr gestärkt, daß er plötzlich großen Hunger empfand. Cara biß mit den kleinen weißen Zähnen herzhaft in das harte Brot hinein und ließ sich das frugale Mahl vortrefflich schmecken.

Nach diesem »Souper« kehrte sie wieder in ihr Schlafzimmer zurück und stellte den Wecker ihrer Wanduhr auf acht Uhr. Nun erst begab sie sich wieder ins Bett und zehn Minuten später lag sie schon in tiefem Schlafe, dessen Ruhe durch keine bösen Träume gestört wurde. Nur die Unschuld, welche sich keiner Sünde bewußt ist, erfreut sich der Gunst des sanften Morpheus, sagen die Moralphilosophen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Das arme Landmädchen von Montmorency schlief auch ohne dasselbe ganz vortrefflich.

Sie schlug die Augen in demselben Momente auf, als der Wecker der Wanduhr zu kreischen begann und ohne sich die Augen zu reiben und die Glieder zu recken, sprang Cara von ihrem Lager auf.

Im Handumdrehen war sie vollständig angekleidet, von Kopf bis zu Füßen die kokette Pariserin, welche die leichtherzige Männerwelt zur Bewunderung hinriß.

Eine Viertelstunde später verließ sie ihre Wohnung, um einen sehr wichtigen Besuch bei dem Advokaten Riolle in der Rue Helder zu machen.

Dort werden wir sie wiedertreffen.


 << zurück weiter >>