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Vierzigstes Kapitel

Adelines Herzensangst war nicht geringer als die Berthas, denn er sah nur zu bestimmt voraus, was den Inhalt dieser Unterredung bilden werde. Der Vater Eck würde, nachdem er von dem, was im Klub vorgegangen war, Kenntnis erhalten hatte, nicht zugeben wollen, daß sein Neffe die Tochter eines Betrügers heirate.

Diese Antwort gab er sich selbst, wenn auch nicht in diesen Worten, so doch in der Schlußfolgerung – ein verfehltes Heiratsprojekt für Bertha.

Und er hatte Paris verlassen, um dieser Anklage zu entfliehen. Seine Hand zitterte, als er an die Thüre des Comptoirs des Vater Eck klopfte.

»Herein!«

Er trat ein.

»Ah! Herr Ateline!«

Es lag mehr Ueberraschung als Freude in diesem Ausrufe.

»Ich war gerade im Begriffe, bei Frau Ateline anfragen zu lassen, wann Sie nach Elbeuf kommen würden.«

»Haben Sie mit mir zu reden?«

Der Vater Eck zögerte einen Augenblick.

»Ja.«

Adelines Stunde hatte geschlagen.

»Ich wollte mich mit Ihnen von unsern Plänen unterhalten,« sagte der Vater Eck. »Seit dem Tage, wo ich bei Ihnen um die Hand der Fräulein Perthe anhielt, habe ich ohne Unterlaß meiner Mutter angelegen, um sie für diese Heirat günstig zu stimmen, bald direkt, bald auf Umwegen. Die Sache war schwierig, sehr schwierig, denn es ist das erste Mal, daß einer von unsrer Familie eine Christin heiraten will. Es galt, mit der Erziehung, den Vorurteilen, wenn Sie wollen, endlich, was noch mehr ins Gewicht fiel, mit den religiösen Anschauungen meiner Mutter zu rechnen, die, wie Sie wissen, sehr ausgeprägt und so tief eingewurzelt sind, wie man es nicht mehr häufig antrifft. Kurz, ich ließ keinen Tag verstreichen, und ich darf schon sagen, daß die Achtung, welche sie Ihnen zollt, mir wesentlichen Vorschub geleistet hat. Ah! Wenn es sich um einen andern als um Herrn Ateline gehandelt hätte, würde sie mir den Mund beim ersten Worte derart verschlossen haben, daß ich ihn nie wieder aufthat. Aber Sie übten, ohne sich zu zeigen, ohne etwas dazu zu thun, bloß weil Sie es waren, eine größere Wirkung aus, als ich; das junge Mädchen, welches Michel heiraten wollte, war keine Christin mehr, sie war Fräulein Ateline, die Tochter von Constant Ateline, und Ihr Name legte Bresche in die Grundsätze meiner Mutter. So standen die Dinge, und ich hatte nur noch ein Hindernis zu überwinden, oder vielmehr Ihrerseits eine Zusage zu erlangen, als eine Indiskretion, ein ärgerlicher Zufall alles über den Haufen warf.«

Obgleich Adeline vorbereitet war, fühlte er doch, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, und es legte sich vor seine Augen wie ein Nebel, durch den er den Vater Eck sah.

»Sie erinnern sich vielleicht,« fuhr dieser fort, »daß ich gelegentlich meiner Reise nach Paris Ihnen den Rat erteilte, Ihrem Klub den Rücken zu kehren, jene Leute ihren Vergnügungen, die für Sie nicht paßten, zu überlassen, und daß ich sogar darauf drängte, soweit es die Schicklichkeit erlaubte. Sie erinnern sich dessen, nicht wahr?«

»Gewiß.«

»Nun wohl, ich hatte meine Gründe; ich sprach nicht in meinem Namen allein. Meine Mutter hatte inzwischen Pariser Bekannte getroffen, die ihr von Ihnen erzählten – und ihr sagten, daß Sie in Ihrem Klub spielten.«

Der Vater Eck machte eine Pause, aber Adeline starrte mit niedergeschlagenen Augen zu Boden und wagte nicht, aufzublicken, um zu ergründen, was sich hinter diesem Stillschweigen verbarg.

»Man hat meiner Mutter viele Dinge hinterbracht,« fuhr der Vater Eck fort, »viel zu viele Dinge.«

Traurig und verlegen sagte er das.

»Und da hat meine Mutter ihre Ansicht über diese Heirat geändert; Sie begreifen?«

Adeline gab keine Antwort. Was hätte er auch sagen können? Die Scham schnürte ihm die Kehle zusammen und drohte, ihn zu ersticken.

»Ich bin trostlos, daß ich so zu Ihnen reden muß, mein lieber Herr Ateline, aber was ist da zu machen, das frage ich Sie, wie, was ist da zu machen?«

»Nichts,« murmelte Adeline vernichtet.

»Was sollte ich meiner Mutter antworten, wie ihre Ansicht bekämpfen, da – ich muß es leider sagen – ich ebenso denke wie sie? Das Menschenmögliche hat meine Mutter gethan, als sie ihre Zustimmung zu dieser Heirat gab, aber sie ließ sich durch die Hochachtung für Sie, Herr Ateline, dazu bestimmen, während es über ihre Kräfte geht, sich darein zu fügen, daß ihr Enkel in eine Familie heiratet, deren Haupt ...« Adeline fühlte den Boden unter seinen Füßen wanken. »... deren Haupt ein Spieler ist. Und solange Sie Präsident jenes Klubs sind, werden Sie spielen; das ist ärgerlich.«

»Präsident des Klubs,« murmelte Adeline, »die Präsidentschaft des Klubs ist es, was Frau Eck mir vorwirft?«

»Und was soll es denn sonst sein? Das ist genug, fürwahr!«

»Aber ich bin es nicht mehr.«

»Sie sind nicht mehr Präsident des ›Grand J‹?«

»Ich habe meinen Rücktritt erklärt, und ich werde nie wieder den Fuß in jenen Klub setzen – noch in irgend einen andern.«

»Niemals?«

»Ich schwöre es.«

Der Vater Eck machte einen Sprung und kam mit ausgestreckten Händen auf Adeline zu.

»Ihre Hand, daß ich sie drücke, mein lieber Freund. Ah! welche Erleichterung!«

Es war nicht der Vater Eck allein, der sich erleichtert fühlte. Adeline lebte wieder auf; aus dem Abgrunde, in welchen er zu versinken drohte, hob er sich wieder zum Lichte empor.

»Sagen Sie Frau Eck, daß ich nie mehr eine Karte berühren werde,« rief Adeline aus, »und daß das Spiel mir Grauen, hören Sie, Grauen erregt!«

»Sie soll es erfahren, und es versteht sich von selbst, daß ihre Gefühle künftig wieder die früheren sein werden – die Heirat ist fertig. Erlangen Sie die Zustimmung der Mama und in einem Monat sind unsre Kinder verheiratet, ich verspreche es Ihnen. Wenn meine Mutter nachgegeben hat, so kann, scheint mir, die Ihrige wohl auch nachgeben. Sind die Voraussetzungen nicht die gleichen? Ich muß Ihnen sagen, daß meine Mutter auf dieser Zustimmung besteht und daß sie die ihrige zurückziehen würde, wenn die alte Frau Ateline in ihrer Feindseligkeit verharren sollte. Sie will eine Vereinigung der Familien, und das ist zu gerechtfertigt, als daß ich ihren Willen nicht achten sollte. Was das Geschäftliche betrifft, so werden wir das miteinander abmachen.«

In seiner freudigen Aufregung hatte Adeline jene schreckliche Frage »des Geschäftlichen« vergessen. Dies Wort stieß ihn rauh in die Wirklichkeit zurück.

»Ich muß Ihnen sagen ...«

Aber der Vater Eck schloß ihm den Mund: »Ein einziges Wort: Haben Sie andre Schulden als die, welche auf dem Besitztum von Thuit ruhen, persönliche Schulden zum Beispiel?«

»Nein.«

»Nun gut, dann wird sich die Sache machen. Ich weiß, daß Sie augenblicklich Fräulein Perthe nichts mitgeben können, ich kenne Ihre Lage. Wir werden ohne dieses fertig werden. Fräulein Perthe ist ein Mädchen, das, schlecht gerechnet, noch immer seine sechsmalhunderttausend Franken wiegt. Es genügt, wenn Sie Michel Ihre Mitwirkung leihen wollen, wenn wir die Fabrik einrichten, welche die alte Fabrik Ateline mit Hausindustrie durch das neue industrielle Etablissement Eck und Debs-Ateline ersetzen soll. In sechs Monaten ist sie in Betrieb. Für fünfundsiebzigtausend Franken können wir die Gebäulichkeiten des Etablissements ›Vincent‹, die vor sechs Jahren viermalhunderttausend Franken kosteten, haben. Darin stellen wir unsre Webstühle auf; unsre Versuche sind gemacht; unsre Muster sind bereit; in sechs Monaten, sage ich Ihnen, wird gesponnen und gewebt; kein im Dunkeln Herumtappen, keine kostspieligen Experimente! Wir lassen von Roubaix Arbeiter kommen, die uns fehlen; es sind genug Arbeiter von Elbeuf nach Roubaix ausgewandert, daß wir einige dieser armen Ausgewanderten zurückkommen lassen können, das wird lustig werden.«

Er begann vor Freude über diesen feinen Kniff kaufmännischer Konkurrenz hell zu lachen.

»Die Vorliebe für die Kammwolle beginnt nachzulassen, man merkt, daß zwei aufeinander gelegte Tuche, ohne daß die Wolle zusammen verarbeitet ist, beim Gebrauche sich schnell abnutzen; man merkt auch, daß die hellen Farben, die beim Schneider in die Augen stechen, an der Sonne verschießen und ausgehen, und nach und nach kehrt man zum gewalkten Tuche zurück. Am Tage, wo sich der Umschlag vollzogen hat, sind wir da, Herr Ateline, und werden entsprechend liefern. Ah! Ah!«

Während er so sprach, ging er munter und leichten Schrittes in seinem Comptoir auf und ab, als ob er erst dreißig Jahre alt sei und das Leben mit jugendlicher Spannkraft von neuem beginne. »Ah! Ah! Das wird lustig werden!« An Michel und Bertha dachte er in diesem Augenblicke vielleicht nicht, aber sicherlich sah er in seinem neuen Etablissement die Spindeln sich drehen und hörte er seine Webstühle klappern.

»Dann müssen Sie sich wieder mit dem Musterkoffer schleppen, Herr Ateline, und mit Ihrem Schwiegersohne die Pariser Kundschaft besuchen – Eck und Debs-Ateline, wir liefern entsprechend. Das alte Haus Ateline blüht wieder auf und es ist anzunehmen, daß es nicht so bald erlischt. Nun hängt das von Ihnen ab; gehen Sie und sprechen Sie mit Ihrer Mutter. Auf baldiges Wiedersehen, mein lieber Freund, meine herzlichen Grüße an Fräulein Perthe!«

Welcher Umschwung! Die Verzweiflung im Herzen, die Schamröte auf der Stirne war Adeline gekommen; neubelebt, glückstrahlend ging er fort. Das Leben, mit dem er abgeschlossen hatte, sollte er mit seiner Tochter und mit seinem Schwiegersöhne neu beginnen.

Wenn er sich getraut hätte, hätte er zu laufen angefangen, um früher bei Bertha zu sein, aber was würde Elbeuf gesagt haben, wenn es seinen Abgeordneten hätte laufen sehen.

Doch ging er so schnell wie möglich, damit er von denen, die ihn ansprechen wollten, nicht aufgehalten würde, und grüßte nach rechts und nach links, ohne sich die Zeit zu nehmen, nach denen, die er grüßte, ordentlich hinzuschauen.

Ja, gewiß, mit Vergnügen wollte er den Musterkoffer wieder schleppen. Bertha verheiratet, verheiratet mit dem Manne, welchen sie liebte, welche Erleichterung, welche Beruhigung! Er würde sie glücklich sehen! Die Spindeln der neuen Fabrik drehten sich auch vor seinen Augen und die Webstühle klapperten in seinen Ohren; die Sprache, in welcher der Vater Eck zu ihm geredet, hatte ihn um zwanzig Jahre jünger gemacht; wie anders klang das, als das ewige: » Messieurs faites votre jeu; le jeu est fait; rien ne va plus!«

Unter dem Vorwande, daß sie das Wägelchen in ihrer Gegenwart wolle reinigen lassen, war Bertha im Hofe geblieben; als sie ihren Vater kommen sah, lief sie ihm entgegen.

Aber noch bevor sie bei ihm war, las sie in seinen Augen, daß er eine gute Neuigkeit brachte.

Mit zwei Worten erzählte er ihr, wie es stand, daß Frau Eck eingewilligt habe und daß die neue Fabrik in dem Etablissement Vincent eingerichtet werden solle.

»In einem Monat kannst du verheiratet, vor sechs Monaten kann die Fabrik im Betrieb sein.«

Sie hing sich ihm an den Hals und hielt ihn lange und zärtlich umschlungen.

»Aber jetzt brauchen wir noch die Einwilligung deiner Großmutter.«

»Wird sie sie geben?« sagte Bertha ängstlich.

»Da Frau Eck die ihrige gegeben hat, scheint es mir unmöglich, daß sie dieselbe verweigere.«

Aber das war nicht die Ansicht der Frau Adeline, als er ihr diese Hoffnung ausdrückte.

»Mama wird uns diesen Kummer nicht bereiten wollen,« sagte er.

»Wenn man überzeugt ist, daß es im Interesse und zum Besten jemands geschieht, so und nicht anders zu handeln, dann legt man wenig Wert auf den Kummer, den man ihm dadurch bereitet – und diese Ueberzeugung hegt deine Mutter. Uebrigens erwartet sie dich in ihrem Zimmer, sprich sogleich mit ihr.«

»Guten Tag, mein Junge,« sagte die Mama, als sie ihn eintreten sah. »Bertha hat mir mitgeteilt, daß du vierzehn Tage bei uns bleibst: da wird es bei allen Sonnenschein geben: ich bin sehr glücklich darüber.«

Sie zog ihn an sich und umarmte ihn.

»Wenn man jung ist, kann man von denen, die man liebt, getrennt bleiben,« sagte sie, »was liegt daran? Man hat eine Reihe von Tagen vor sich, um es wieder einzuholen; aber in meinem Alter, wenn die Stunden gezählt sind, werden sie einem während der Abwesenheit doppelt lang.«

»Du könntest die Sonne noch heller scheinen lassen,« sagte er.

»Ich, mein Junge, und wie das?«

Er setzte dies »Wie« auseinander. Aber sobald er den Mund öffnete, suchte sie ihm das Wort abzuschneiden: »Es sollte niemals mehr von dieser Heirat die Rede zwischen uns sein,« sagte sie lebhaft.

»Es ist keine Rede mehr davon gewesen, solange die Verhältnisse die nämlichen waren, aber heute liegen die Dinge anders.«

Und er setzte die infolge der Einwilligung der Frau Eck veränderte Sachlage und die Erwerbung des Etablissements Vincent auseinander.

»Ich glaube gern, daß sie einwilligt, diese alte Jüdin,« schrie die Mama, »das ist mir wahrhaftig ein schönes Opfer.«

»Sie kann an ihrer Religion ebensosehr hängen, wie du an der deinigen.«

»Ist das eine Religion? Und wenn sie, wie du sagst, an ihrer Religion hinge, würde sie ebensowenig nachgeben, wie ich selbst. Es fehlte gerade noch, daß ich dem Beispiel einer alten Jüdin folgte! Kannst du so etwas von mir verlangen?«

»Ich verlange von dir, daß du Berthas und mein Glück förderst, nichts andres, und dies allein sollst du in Erwägung ziehen.«

»Und mein Seelenheil, die Ehre der Adelines? Wer bringt sich um die ewige Seligkeit, wenn er schon die kalte Hand des Todes in seinem Nacken spürt? Siehst du sie nicht, diese Hand? Warte, bis sie mich gefaßt hat, nachher magst du thun, was du willst, ich werde nicht mehr da sein. Willst du meine letzten Tage vergiften?«

»Ich will Berthas Glück begründen und unser aller Ruhe sichern; – sie liebt Michel Debs ...«

»Die Unglückselige!«

»Die Heirat, die sich darbietet, ist eine vorteilhaftere, als wir sie in unsrer Lage erhoffen können; deshalb bitte ich um deine Einwilligung, deshalb bitte ich dich, flehe ich dich an, nicht auf deiner Weigerung, die uns alle in Verzweiflung versetzen würde, zu beharren.«

»Constant, freudig will ich mein Leben für dich hingeben, ich schwöre es bei deinem Haupte; aber du verlangst mein Seelenheil von mir, das kann ich dir nicht geben. Sprich also nicht mehr von dieser Heirat, niemals, hörst du, niemals mehr!«


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