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Die Geschichte mit der Spielkasse hatte unter der Gesellschaft Mussidan, Raphaëlla, Barthelasse und Compagnie Unruhe hervorgerufen; was sollte aus der Sache werden, wenn dieser Präsident auf den Einfall kam, seine Nase in alles zu stecken, was ihn nichts anging?
Als aber Friedrich die Geschichte mit dem Einladungsschreiben und die heftigen Vorwürfe berichtete, die ihm deshalb gemacht worden, verloren sie ganz die Fassung.
»Was hast du geantwortet?« fragte Raphaëlla.
»Nichts.«
»Haben Sie ihm nicht die Rippen entzwei geschlagen?« schrie Barthelasse, der in der ersten Aufwallung stets in die Gewohnheiten seines alten Gewerbes eines Preiskämpfers zurückverfiel, obgleich er sich ehrlich Mühe gab, Haltung und Ruhe zu bewahren ... in Paris ...
Raphaëlla zuckte die Achseln: »Den Leuten, die man braucht, schlägt man nicht die Rippen entzwei.«
»Je nachdem. Ich brauchte, wenn das Publikum ungeduldig wurde, nur so zu machen:« – er bog die Kniekehlen, duckte sich zusammen, zog seinen kurzen Hals zwischen seine breiten Schultern ein und streckte seine beiden Arme aus, in der Stellung eines Mannes, der den Angriff seines Gegners in der Arena erwartet – »und gleich war es fertig. Man läßt ihm zu viel Spielraum, zu thun, was ihm beliebt, diesem Abgeordneten. Wozu geben wir ihm sechsunddreißigtausend Franken? Damit er uns am Narrenseil herumführt? Das frage ich euch. Was?«
»Ihn müssen Sie das fragen,« erwiderte Friedrich ungeduldig.
»Ich bin dazu bereit, wenn Sie wollen, mein Lieber; glauben Sie, daß ich mich davor fürchte?«
»Darum handelt es sich nicht,« unterbrach Raphaëlla trocken, »wir brauchen ihn, wir müssen dementsprechend handeln.«
»Ich hab's euch schon gesagt und ich wiederhole es,« fuhr Barthelasse fort, »man wird nur dann seiner sicher sein, wenn man ihn ›unter die Freien aufnimmt‹; am Tage, wo er eine Karte unterschlägt, ist er unser.«
»Und glauben Sie, daß er sich von Ihnen Unterricht erteilen läßt?«
»Warum nicht? Andre, die so viel waren wie er, haben ihn begehrt, und ich kann ohne mich zu rühmen sagen, daß sie sich gut dabei befunden haben.«
Schon öfter hatte dieser Gegenstand das Gesprächsthema zwischen ihnen gebildet, denn seit Adeline die Präsidentschaft des Klubs angenommen, erwogen sie die Frage, wie es anzufangen wäre, um ihn an der Spitze ihres Unternehmens zu erhalten. Solange er die Kehrseite des Klublebens nicht kannte, konnten sie ruhig sein. Aber in dem Maße, als sich seine Augen öffnen würden (und es war unmöglich, daß sie sich, wenn nicht mit einem Male doch nach und nach öffneten), änderte sich die Lage.
»Wir werden ihn ›unter die Freien aufnehmen‹,« hatte Barthelasse gesagt, indem er sich dieses Ausdrucks der Gaunersprache bediente, der auf die Vorurteile anspielt, welchen die Dummköpfe treu bleiben und von welchen die Falschspieler sich freigemacht haben.
»Und Sie bilden sich ein, daß er sich ›unter die Freien‹ aufnehmen lassen werde?« hatte Raphaëlla, die besser als Barthelasse die Eigenart ihres Präsidenten kannte, geantwortet.
Mein Gott, ja, er bildete es sich ein und er begriff sogar nicht, daß es anders sein könnte. Um was handelte es sich denn? Darum, sicher und gefahrlos Geld zu gewinnen, auf eigne Faust, ohne Helfershelfer, mit einer Sicherheit, die derjenigen des Akrobaten auf gespanntem Seile, der seine Sache versteht, gleichkommt.
Warum sollte er denn »nein« sagen? Barthelasse sah dies nicht ein, da es doch nichts Süßeres und nichts Angenehmeres gibt, als das durch Arbeit erworbene Geld.
Aber Raphaëlla und Friedrich, die, ohne im Grunde genommen viel vorurteilsvoller als Barthelasse zu sein, nicht daran glaubten, daß alle Welt auf dem Standpunkt angekommen sei wie sie, das Leben vom Gesichtspunkt praktischer Philosophie zu betrachten, welche lehrt, auf das Geld allein Wert zu legen, ohne sich darum zu kümmern, auf welche Art man es erwirbt, Raphaëlla und Friedrich waren gewiß, daß Adeline und zwar mit Entrüstung sich abwenden werde, wenn man ihm ganz einfach den Vorschlag machen wollte, ihn »sicher spielen« zu lehren. So durfte man es bei dem da nicht anfassen, den sie verächtlich den »Puchotier« nannten, seitdem Adeline sich eines Tages wegen seiner Unkenntnis der Pariser Zustände verteidigt und sich selber jenen Namen beigelegt hatte mit dem Bemerken, daß in Elbeuf die Puchotiers die in Vorurteilen Befangenen der Stadt sind, diejenigen, welche allem Fortschritt abhold sind und nur auf ihren alten Puchot schwören. Was konnte dabei herauskommen, wenn man offen mit ihm sprach?
Man mußte wirklich ein Puchotier sein, um mit solcher Naivetät zu glauben, daß man aus den Beiträgen von hundert Franken und den Erträgnissen einer ehrlichen Spielkasse achtzigtausend Franken Mietzins und Versicherungsprämien, zwanzigtausend Franken Steuern und Umlagen, fünfundzwanzigtausend Franken für Heizung und Beleuchtung, sechzigtausend Franken Bezüge an das Personal, sechsunddreißigtausend Franken Gehalt an den Präsidenten, dreißigtausend Franken Verlust auf die Tafel, und alle die andern Kosten für Zeitungsabonnements, Drucksachen, Konzerte, Feste, d. h. eine jährliche Ausgabe von mehr als dreimalhunderttausend Franken bezahlen könne. Um diese Ausgaben zu decken und um denjenigen einen hinreichenden Gewinnanteil zukommen zu lassen, die das Unternehmen gegründet hatten, dem Geschäftsführer, den Tapezierern, Wein- und Delikatessenhändlern, den Croupiers, den stillen Gesellschaftern, den mehr oder minder einflußreichen Gönnern, oder wie man in diesen Kreisen sagt »Fressern«, welche sich ihre Gönnerschaft nach Prozenten bezahlen lassen, dazu war es nötig, daß gespielt wurde, und nicht in bescheidener, ruhiger Weise, sondern im Gegenteil toll und unter Ausbeutung aller Vorteile seitens einer geschickten Administration. Wie einförmig würde das Diner von manchem Klub oft sein, wenn man nicht dadurch für Gäste sorgte, daß man nach allen Seiten hin, wo man Aussicht hat, auf einen Einfältigen zu stoßen, Einladungen erläßt, wie die, welche Adeline in Entrüstung versetzt hatte. Ja diese Einladungen genügen sogar nicht einmal und es muß ein Personal von »Beitreibern« unterhalten werden, welche ordentliche Mitglieder des Klubs, Gentlemen dem Anscheine nach, aber in Wahrheit arme Schlucker sind, die sich in der Gesellschaft oder vielmehr in einer gewissen Gesellschaft umhertreiben und die Aufgabe haben, auf gut Glück Leute ihrer Bekanntschaft oder solche, die sie zufällig kennen lernen, zu pressen. Diese werden dann an der Table d'hote fein bewirtet und eine Stunde später am Baccarattische in Stücke zerrissen; diese sind es gerade, welche der Spielkasse eine namhafte Beisteuer liefern, während die Statisten, die komödiantenhaft mit geliehenen Jetons spielen und über einen Gewinn vor Freude, über einen Verlust vor Verzweiflung außer sich geraten, mehr die Dekoration abgeben. Und wie könnte diese Spielkasse hinreichenden Gewinn abwerfen, wenn nicht in der Hitze des Gefechts die Croupiers mit den »gewandten Fingern« (das Beiwort ist eins der gebräuchlichsten der Falschspieler) – Spielmarken von Elfenbein und Perlmutter geräuschlos in ihr ausgepolstertes Kästchen gleiten ließen? Und was würde das Geldwechseln einbringen, wenn der Croupier dabei nicht seine gewandten Finger spielen ließe: »Adolph, für fünfundzwanzig Louis Kleingeld,« und während der Diener diese fünfundzwanzig Louis dem Croupier bringt, der nicht vom Tische aufstand, reicht ihm dieser über seine Schulter hinüber zwei Spieltäfelchen, anstatt eins. Diese und manche andre Mittel sind es, die einen Klub blühend – wenn auch nicht musterhaft machen.
Aber um sich ihrer zu bedienen, ohne daß es Adeline merkte, hatte es aller Gewandtheit Friedrichs und der ganzen Geschmeidigkeit seines Charakters bedurft.
Und nun gewann es den Anschein, als ob die Kniffe der Spielkasse bloßgelegt seien und als müßten die Einladungsschreiben aufgegeben werden.
Wenigstens war dies Raphaëllas Rat, die nicht dafür war, auf Hindernisse direkt loszugehen.
»Gib nach,« sagte sie zu Friedrich.
»Was, nachgeben?« schrie Barthelasse.
»Wir müssen auf diese Einladungen verzichten, oder es wird zu einem Skandal, vielleicht zu einem Bruch kommen.«
»Und wie hoffen Sie das Wild zu erjagen, sagen Sie 'mal, mein Lieber? Rechnen Sie darauf, daß es Ihnen gebraten in den Mund fliegen werde? Ich sage es, ich wiederhole es, ihr nehmt zu viel Rücksicht auf diesen Präsidenten, ihr verzieht ihn. Wie, oder glaubt ihr, daß er nicht wußte, wie die zehntausend Franken in die Spielkasse kamen? Das frage ich euch, was? Er hat den Präsidenten gespielt, der nichts sehen, der von nichts wissen will. Ei, mein Gott, ich verstehe es, er ist Abgeordneter, er ist dekoriert, er ist ein geachteter Mann, er muß wohl seinen Ruf schonen – in seinem eignen Interesse. Aber im Grunde seines Herzens weiß er so viel wie wir. Sonst! Er hat ja die Geschichte mit der Spielkasse hinuntergeschluckt, er piepst nicht mehr davon, er wird ja auch die mit den Einladungsschreiben verdauen. Das wird in aller Stille vor sich gehen, das sagt ihm mehr zu, diesem Menschen, das ist so seine Art. Man muß ihn nehmen wie er ist, oder sich seiner entledigen. Wir fahren ruhig fort wie bisher, weil ihr nicht wollt, daß er ›eingeweiht‹ wird, was uns sehr leicht sein würde.«
Indessen behielt Raphaëlla, ungeachtet der Darlegungen Barthelasses, wie dies übrigens stets der Fall war, mit ihrer Meinung recht – man entschloß sich zum Nachgeben.
Am nächsten Tage entschuldigte sich Friedrich, der stets den Dolmetscher der Genossenschaft machte, bei seinem »lieben Herrn Präsidenten«.
»Verzeihen Sie meine etwas lebhafte Art, in der ich Ihnen gestern antwortete, ich habe unrecht gehabt. Ich habe nachgedacht, ich sehe es ein. Wodurch ich mich hinreißen ließ, war, daß das, was Ihnen mißfällt, allerwärts geschieht, und daß viele andre Präsidenten jene Briefe unterzeichnen. Aber Sie gehören nicht zu jenen Präsidenten, ich gebe es zu. Ihre hohe Stellung, Ihre Ehrenhaftigkeit, Ihr so geachteter Name begründen zur Genüge Ihre Empfindlichkeit.«
Er hatte bei seinem Eintritt in das Kabinett des Präsidenten einen Pack Papiere in seiner linken Hand gehabt.
»Hier ist der Rest jener Briefe,« sagte er.
Er warf sie in das Kamin, wo ein Holzfeuer brannte.
Adeline hatte den Beginn dieser kleinen Rede in steifer Haltung angehört, wie ein Mann, der böse ist – und er war es in der That; – er ließ sich besänftigen.
Man konnte sein Unrecht nicht artiger anerkennen. Alle Bedenken, die gegen den Vicomte in ihm aufgestiegen waren, verflogen.
»Sie wissen wohl, daß ich nur die Ehre unsers Klubs im Auge habe,« sagte er, Friedrich die Hand hinstreckend.
»Ei, und ich!« rief dieser aus.
Als Adeline daran dachte, wie es künftig werden solle, bemächtigte sich seiner ein unbestimmtes Gefühl der Unruhe.
»Sie sagten gestern zu mir, Sie wollten den Klub schließen.«
»Sie wissen, daß man in der ersten Erregung leicht zu weit geht. Indessen ist es gewiß, daß wir in eine gewisse Verlegenheit geraten werden, aber mit Ihrer Hilfe können wir uns schließlich herausziehen ... wenigstens hoffe ich es.«
»Was kann ich für Sie thun?«
»Sie sollen sich auf mich verlassen und sich nicht darüber beunruhigen, wenn sich etwas nicht gut anläßt. Seien Sie versichert, daß es Sie nur ein Wort kostet, um Abhilfe zu schaffen. Wie Sie, mein lieber Herr Präsident, stelle ich die Ehre unsers Klubs obenan, ja, wenn ich es zu sagen wagte, noch mehr als Sie, weil für die Eingeweihten ich der verantwortliche Geschäftsführer bin. Allein, neben der Ehre, neben der Achtbarkeit, über die Sie zu wachen haben, sind auch wohlzubeachtende Interessen vorhanden, die infolge der thatsächlichen Leitung des Klubs mich angehen. Man hat mir diese Interessen anvertraut. Zu dem Gelde, das ich selbst in dieses Unternehmen gesteckt habe, ist das mir anvertraute Geld hinzugekommen, und dafür bin ich verantwortlich. Nun wohl, so lassen Sie es mich derart verwalten, daß es denjenigen Gewinn abwirft, den man mit Recht erwarten darf.«
»Aber, was kann ich thun?«
»Sie wollen nicht meinen Ruin; Sie wollen nicht denjenigen der Personen, die Zutrauen zu mir gehabt haben?«
»Gewiß nicht.«
»Seien Sie versichert, daß unter meiner Leitung niemals etwas geschieht, was uns bloßstellen oder auch nur Anlaß zur Besorgnis geben könnte.«
»Was verlangen Sie denn von mir?«
»Lediglich, daß Sie, wie es in allen Klubs der Fall ist, dem Spiel seinen Lauf lassen.«