Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Karte zu Kapitel 41.-45.

41. Das Geheimnis der Mondberge.

Der Luapula wurde bis zum Bangweolosee verfolgt.

Dieser See lief im Süden in gewaltige Papyrussümpfe aus, die eine Fläche von zehntausend Quadratkilometern bedecken.

Hier lernten unsere Freunde das merkwürdige Sumpfvolk der Batua oder Watua kennen. Ihre bienenkorbartig zusammengedrängten Hütten ruhten auf Schilfbündeln, die auf dem Moraste schwankten. Die zwei Meter hohen kleinen Wohnungen hatten kaum achtzig Zentimeter hohe Türöffnungen, vor denen Männer und Frauen auf schön geflochtenen Grasmatten hockten, während die Kinder wie große Kröten im Sumpfe herumkrabbelten.

Die Batua lebten von der Jagd und dem Fischfang und hatten mit den Riesenschlangen, die im Moraste hausen, auf Leben und Tod zu kämpfen. Vergiftete Pfeile, mit haarscharfen Widerhaken versehen, Harpunen und lange Wurfspieße waren ihre Waffen. Die Frauen trugen Tierfelle als Mäntel, die Männer Schurzfelle. Diese Kleidungsstücke waren mit außerordentlich schönen und kunstvollen Verzierungen geschmückt. Auch Tontöpfe, Löffel und Näpfe verstanden die Leute anzufertigen aus Muschelschalen, Schildkröten und Kürbissen.

Prächtige Seerosen, in allen erdenklichen Farben schimmernd, verwandelten die Papyrussümpfe in märchenschöne Gärten.

Auch musikalisch waren die Batuas; sie besaßen Musikinstrumente mit Saiten aus gedrehtem Gras und hohe, schmale Holztrommeln, zu deren eintönigem Gebrumm sie merkwürdige Tänze auf dem schaukelnden Moorboden aufführten.

Doch Flitmore hatte Eile und hielt sich bei dem interessanten Volke nicht länger auf, vielmehr verfolgte er den stärksten Zufluß des Bangweolosees quellaufwärts nach Süden.

Dieser Fluß entströmte dem nun ganz nahen Lokingagebirge.

Am Fuße des Gebirges wurde das Lager aufgeschlagen und ein Aufenthalt von mehreren Tagen in Aussicht genommen, während welchem die Quellen des Flußes, den Flitmore für den südlichsten Quellfluß des Nils hielt, aufgesucht werden sollten.

Die Neger errichteten wie gewöhnlich ihre Fundos, das heißt ihre Lagerhütten aus Ästen, Zweigen und Laub,« nur daß sie dieselben, angesichts des längeren Aufenthalts, sorgfältiger und haltbarer herstellten.

Auch für die Weißen mußten Fundos gebaut werden; denn die Zelte waren nicht mehr zu brauchen. Schon zuvor stark mitgenommen von der Reise im Regen und Sonnenschein, waren sie durch das wütende Nashorn vollends zugrunde gerichtet worden.

»Wollten wir den Mund so voll nehmen, wie Stanley,« sagte Flitmore, auf das Gebirge weisend, »so könnten auch wir, und vielleicht mit mehr Recht, als er, sagen, daß hier ›zum ersten Male, seitdem die Sintflut verschwand, die Meere sich sammelten und die Erde trockenes Land wurde, den Blicken und der Kenntnis des zivilisierten Menschen sich eine durchaus unbekannte Gegend eröffnete‹. Aber halten wir Freund Stanley seine Unkenntnis zu gut, die ihn zu der Behauptung verführen konnte, der erste sich für zivilisiert haltende Mensch zu sein, der unbekannte Länderstriche entdeckte, und seien wir weniger anmaßend.«

»Immerhin glaube ich versichern zu dürfen, daß wir alte Wunder wiederentdecken werden, von denen nur noch dunkle Sagen auf uns gekommen sind, die allgemein für Fabeln gehalten werden. Aber nicht solche Entdeckungen sind unsere wichtigste Aufgabe, sondern ein Rettungswerk; gebe Gott, daß wir nicht zu spät kommen und lasse er es uns gelingen!«

Nach diesen Worten nahm Flitmore Hendrik Rijn beiseite, um sich mit ihm über einen Gegenstand zu besprechen, der ihm besonders am Herzen liege.

»Hören Sie, junger Freund,« begann er, »als ich seinerzeit Gelegenheit hatte, Ihre Farm vor den Tommies zu schützen, waren außer Ihnen und Ihrer Mutter noch fünf Schwestern von Ihnen anwesend. Nun sagte Ihr Vater, außer Sannah seien alle im Konzentrationslager zugrunde gegangen. Ist das sicher?«

»Als meine arme Mutter und meine Schwestern in das Konzentrationslager geschleppt wurden,« entgegnete Hendrik düster, »gelang es mir, mit Sannah zu entfliehen. Wir begaben uns zu Vater an die Front; ich kämpfte mit, und Sannah begleitete uns auf allen Kreuz- und Querzügen. Als wir endlich nach dem Friedensschluß nach der Mutter und den Schwestern forschten, erfuhren wir nur, daß keine mehr am Leben sei. Wir besuchten ihr Grab, das sie mit vielen anderen teilten, ehe wir auswanderten.«

»Einzelheiten erfuhren Sie nicht?«

»Wenig. Hunger und Krankheiten, die so schrecklich in den Lagern wüteten, rafften die Meinigen hinweg, wie so viele Tausende anderer –.«

»Merkwürdig!« murmelte der Lord. »Höchst merkwürdig und sehr traurig! Ach, wenn ich an die blühenden Mädchen denke!«

Damit endete dieses Gespräch.

In der Morgenfrühe des folgenden Tages wollten die Weißen gemeinsam ihre Entdeckungsfahrt antreten.

Vergebens ließen ihnen die Schwarzen durch eine Abordnung, bestehend aus Achmed, Hassan, Kaschwalla und Juku, vorstellen, wie gefährlich ihr Unternehmen sei. Achmed, der Hauptsprecher, sagte unter anderem: »Unsere Väter haben uns gräßliche Dinge erzählt von diesem Berge Gumr; noch keiner, der ihn bestiegen hat, ist je zurückgekehrt; der Mondsee hat alle verschlungen. Von Djinns und bösen Geistern sind die Mondberge bewohnt, ja, man sagt, sie seien die Behausung von Iblis selber, dem Vater alles Bösen. Aber das ist gewiß, verzaubert sind sie und verhext, darum bitten wir unsere weißen Herren und flehen sie an, Allah nicht zu versuchen und den Berg zu meiden.«

Hierauf erwiderte Flitmore im Stile der Araber: »Es gibt keinen Schutz und keine Macht, als bei Gott dem Erhabenen. Uns ruft gebieterisch eine heilige Pflicht. Gott wird unser Schutz sein; denn er ist mächtig auch wider die bösen Djinns und Iblis, den Erzfeind. Und nun ihr seht, daß unser Entschluß unabänderlich feststeht, fragen wir euch: wer will uns begleiten? Wir bleiben vielleicht einige Tage dem Lager fern, und müssen mindestens eine Traglast mit Lebensmitteln mitnehmen.«

Außer Amina und Tipekitanga, welche schon zuvor erklärt hatten, ihre Herrinnen nicht verlassen zu wollen, und ginge es in das finstere Reich der Dämonen hinein, meldeten sich nur Hamissi und Kaschwalla.

Letzterer erklärte, er hänge nicht mehr am Leben, seit Sangula von ihm gegangen sei, und wie sie für ihn den Tod erlitten habe, so sei er mit Freuden bereit, auch sich zu opfern für seine weißen Herrn.

Hamissi sagte einfach: Da eine Last mitzunehmen sei, brauchen die Herren einen Träger, und da die andern Furcht hätten, so werde er der Träger sein, auch könnte den Weißen vielleicht ein geschickter Koch nützen im Reiche der Gespenster.

Kaschwallas Anerbieten wurde abgelehnt. Der Mann wäre als Träger keine große Hilfe gewesen, besonders bei einem steilen Aufstieg, wo er Mühe gehabt hätte, den eigenen Leib hinaufzuschleppen.

So war denn Hamissi der einzige, der von den schwarzen Männern den Weißen folgte, und da ein Träger genügte, verzichtete Schulze darauf, noch andere zu einem Unternehmen zu befehlen, vor welchem so blasses Entsetzen sie erfüllte.

Vor Sonnenaufgang brach die kleine Gesellschaft auf, um die Quellen des geheimnisvollen Nils zu suchen.

Schulze und Leusohn dachten sich die Sache einfach; sie meinten, es handle sich nur darum, dem Laufe des Flusses bis zu seiner Quelle entgegenzufolgen, dann müsse sich zeigen, was von den alten Sagen zu halten sei.

»Das werden wir allerdings zuerst versuchen müssen,« entgegnete Flitmore; »aber ich fürchte, die Sache hat einen Haken.«

Nigger, der treue Dachshund, begleitete unsre Freunde, als sie nun flußaufwärts wanderten in ein enges Gebirgstal hinein.

Nach fünfstündiger mäßiger Steigung im Flußtale befanden sie sich in einem Felsenkessel, dessen Hintergrund durch einen hohen, sichtlich von Menschenhänden aufgetürmten Wall verschlossen war. Die Mauer bestand aus ungeheuren aufeinandergeschichteten Steinblöcken und gebot jedem menschlichen Fuße halt. Unten an der Talsohle war das Hindernis von einem Tunnel durchbohrt, den die hindurchströmenden Wasser des Flusses vollständig anfüllten.

»Sehen Sie, das sah ich voraus!« sagte Flitmore, als alle stumm bewundernd vor den überwältigenden Felsmassen und dem aus finsterem Schoß hervorbrausenden geheimnisvollen Wasser standen. »Alle die kühnen Reisenden, von denen das Altertum und das Mittelalter zu erzählen wissen, daß sie diese Stelle erreichten, stimmen in der Behauptung überein, daß der Nil unter dem Berge Gumr hervorfließe.«

»So sind wir denn am Ziele!« rief Schulze entzückt. »Die auffallende Übereinstimmung der Tatsachen mit den sagenhaften Berichten der Alten haben nun auch mich überzeugt, daß wir tatsächlich hier die wahrhaftige Nilquelle schauen; ich wünsche Ihnen Glück, Lord Flitmore, Sie haben das Geheimnis der Jahrtausende gelichtet.«

Der Engländer schüttelte den Kopf. »Unsere Aufgabe ist noch nicht gelöst,« entgegnete er. »Die Stärke der hier hervorquellenden Wassermassen zeigt an, daß mehrere Quellbäche im Innern des Gebirges sich zu diesem Flusse vereinigen. Diese Quellen wollen wir finden, und erst hinter dieser Zyklopenmauer winkt uns die Lösung des Rätsels. Da aber hier ein Aufstieg unmöglich ist, müssen wir dem Geheimnis auf einem anderen Wege beizukommen suchen.«

Abends trafen die Nilforscher wieder im Lager ein, mit Jubel begrüßt von den Schwarzen, die nicht geglaubt hatten, ihre Herren wiederzusehen.

Gleich in der nächsten Morgenfrühe wurde nun die unmittelbare Besteigung des Geisterberges unternommen. Den zurückbleibenden Schwarzen gebot Flitmore, fünf Tage auf ihre Rückkehr zu warten.

Hendrik, von Nigger gefolgt, war den anderen voran, als der Leichtfüßigste. Er erreichte zuerst den Gipfel des Berges. Einen lauten Ausruf der Überraschung ausstoßend, winkte er den Nachkommenden lebhaft mit den Armen. Plötzlich aber stieß er einen Schrei aus und war verschwunden. Ein klägliches Geheul des Entsetzens scholl vom Lager unten herauf, wo die Askaris und Träger unter Achmeds Oberbefehl zurückgeblieben waren. Man konnte von dort unten den nächsten Gipfel des Berges sehen, und alle hatten den Aufstieg mit ängstlich gespannten Blicken verfolgt. Nun waren sie Augenzeugen von Hendriks plötzlichem Verschwinden, und es bestätigten sich damit die schauerlichen Sagen, die ihnen überall zur Warnung erzählt worden waren.

Atemlos keuchten die anderen Bergsteiger den Gipfel vollends hinauf, um zu sehen, was aus Hendrik geworden sei. Johann und Flitmore waren die ersten, die oben ankamen; auch sie verschwanden, wie vom Boden verschlungen.

Helene und Sannah, die Leichtfüßigen, folgten unmittelbar darauf mit Amina und Tipekitanga zu ihrer Seite.

Der Professor rief ihnen noch nach, vorsichtig zu sein, innezuhalten und einen Augenblick auf den Doktor und ihn zu warten, ehe sie den unheimlichen Gipfel beträten.

Aber schon standen sie droben.

Ein Ausruf des Entzückens ließ sich aus Helenes Mund vernehmen; dann aber versanken die vier Mädchen gleichzeitig vor den Augen der entsetzten Männer, die nur noch wenige Schritte vom Gipfel entfernt waren.

»Entsetzlich!« stöhnte Schulze. »Lassen Sie uns vorsichtig sein, Doktor; dort oben lauert irgend ein unheimliches Rätsel, vielleicht ein Felsüberhang, von dem man abgleitet, um auf der andern Seite in die Tiefe zu stürzen.«

Langsam betraten die beiden die Höhe. Hamissi, der seinen schweren Ballen mit Lebensmitteln auf dem Kopfe trug, war noch um einiges zurück.

Der Gipfel des Berges war äußerst schmal. Eine Plattform aus einer einzigen gewaltigen, stark verwitterten Granitquader bedeckte den Boden. Sie war kaum zwei Meter breit und erhob sich nur wenig aus der Erde, so daß Schulze und Leusohn bei ihrem vorsichtigen Nahen über sie hinweg in die zur Linken gähnende Tiefe blicken konnten, noch ehe sie die Steinfließen betraten. Gebannt blieben sie stehen: da unten war ein tiefeingeschnittenes, steilwandiges, aber sehr breites Tal, in dem ein halbzerfallener ägyptischer Tempel mit seinen ungeheuerlichen Riesensäulen aufragte. Der Grund um ihn her war mit mächtigen kohlschwarzen Basaltblöcken gepflastert. Die Blöcke aber waren unbehauen, und ihre unregelmäßigen runden Formen erweckten ganz den Eindruck, als sähe man vor sich ein schwarzes Meer, das mitten im wildesten Wellenschlage plötzlich erstarrt sei. Zwischen diesem Steinmeer hindurch schäumte ein Fluß, weißglänzend wie Schnee.

»Beim Himmel, die alten Sagen behalten recht!« rief Leusohn aus.

»Lassen Sie uns ganz vorsichtig auf der Plattform vorgehen,« schlug der Professor vor, »damit mir uns überzeugen können, ob unsere unseligen Freunde dort abgestürzt sind. Vielleicht sind sie am Leben und man könnte ihnen Hilfe bringen. Ich meine, ich höre gedämpfte Rufe aus der Tiefe.«

»Es ist so,« bestätigte der Doktor, »aber der Ton kommt von links.«

»Wahrhaftig!« rief Schulze. »Dort weiter links scheint sich auch ein Abgrund zu öffnen, eine ganz enge Schlucht.«

Damit hatten sie die Plattform betreten und gingen vorsichtig gegen den Rand vor, während Hamissi soeben den Gipfel des Berges hinter ihnen erreichte.

Da geschah etwas Schreckliches: die breite Granitplatte wich unter des Professors und Leusohns Füßen; sie kippte nach unten um, und die beiden stürzten in eine Höhlung, die anfangs gleich einem Brunnenschacht senkrecht abfiel, dann aber als sehr stark geneigter, gewölbter Gang abschüssig in das Innere des Berges führte.

Als der treue Hamissi seine Herrn hinabgleiten sah, besann er sich nicht lange, sondern warf seinen Ballen ab und folgte ihnen mit einem Sprunge, über ihm kehrte die dicke Platte in ihr Gleichgewicht zurück, den Zugang verschließend, und in dichter Finsternis sauste Hamissi den andern nach.

Auf glatter Bahn ging es mit rasender Schnelligkeit hinunter in die nachtschwarze Tiefe; nach einiger Zeit jedoch wurde die Neigung der Abschußfläche zunehmend geringer, die Geschwindigkeit der Rutschfahrt nahm ab, und rauhe Unebenheiten des Bodens gestatteten, durch Anstemmen der Füße nach und nach anzuhalten. Gleichzeitig drang von unten ein Lichtschimmer heraus, und als Hamissi sich vollends hinabgleiten ließ, fand er eine mannshohe Öffnung, die ins Freie führte.


 << zurück weiter >>