Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

26. Niggers Heldentat.

Den Aufenthalt in Uguha benützten unsere Freunde, um ihre sämtlichen Boote mit Segeln zu versehen, damit die weitere Fahrt auf dem See bequemer und schneller ausgeführt werden könne.

Eines Morgens nahmen sie dann Abschied von dem edlen Missionar und fuhren wieder weiter, den See hinauf nach Süden.

Am Strande von Tembwe, an der Mündung des großen Flusses Rubuko oder Lofuko und an der Küste von Marungu mit ihren Grasebenen vorbei, die wahrscheinlich früheren Waldbränden ihre Entstehung verdankten, an der Mapotamündung und dem Lande Uemba vorüber, gelangten sie an den Rufuvu, den großen, vierhundert Meter breiten, westlichen Zufluß des Tanganjika.

Vom rechten Flußufer aus steigt hier eine Ebene allmählich zu den großartigen, klippengekrönten Felswänden von Kapembwa empor.

Überall sah man Anzeichen, daß der See in starkem Steigen begriffen war.

»Der Tanganjika frißt das Land!« rief Hassan aus; denn deutlich erkannte man, daß der Seegrund am Ufer aus überschwemmtem Wiesenland bestand, aus dem nun Lotusstengel emporwuchsen und ihre blaßblauen Blüten auf dem Seespiegel wiegten.

»Das Wasser des Sees geht nach Norden,« sagte einer der gemieteten arabischen Bootsführer, »kommt dann aber stärker als zuvor zurück.«

Diese Bemerkung schien auf den zeitweiligen Abfluß des Lukuga hinzuweisen.

Daß der See tatsächlich das Land fraß, wurde später noch deutlicher, als am Abschluß der Seereise die Kanus bei dem Dorf Mwangala über Hütten und Dorfzäune hinwegfuhren, die das Wasser hoch überflutet hatte.

Vorerst ging es aber noch an der Westküste entlang, die immer wilder und großartiger wurde.

Einige unbewohnte aber fruchtbare Inseln zeigten sich im Süden, im Nordosten ragten die furchtbaren Granitmassen des Kaps Mpimbwe empor mit seinen aufgetürmten Felsblöcken, die so wenig Halt zu haben schienen, daß man glaubte, sie schwanken und im nächsten Augenblick stürzen sehen zu müssen. Mächtige Höhlenspalten durchfurchten diesen drohenden Koloß.

Aber noch wunderbarer erschienen die märchenhaften Gebilde der Westküste, an der die Boote hinfuhren.

Tafelberge und Felstürme mit Galerien, an den gewaltigen Turm zu Babel erinnernd, zinnengekrönte Klippen in den phantastischsten Formen erschienen wie überwältigende Bauwerke vergangener Riesengeschlechter, und die staunenden und bewundernden Ausrufe der Schwarzen zeigten, daß tatsächlich der Sinn auch für die großartigen Wunder in der Natur bei ihnen erwacht war und ansteckend gewirkt hatte.

Drei Felstürme mit prachtvollen Galerien und sich stets verjüngenden Aufsätzen, der Mtombwa, Kateye und Kapembwa, galten den Einwohnern von alters her als Wohnsitze von Geistern.

Weiterhin schossen schlanke Steinsäulen zum Himmel empor.

Und als Kaschwalla im Nordosten die aus schönem roten Sandstein gebauten, senkrechten Riesenwände der sogenannten Kastellspitze von Kirungwe erblickte, rief er aus: »O Mutter! Dies ist eine Festung! Sehet, dort sind die Fenster und hier die Tore!«

»Ganz wie im Somalilande!« meinte Hassan würdevoll.

Überall sah man nämlich in den Felsmauern der Ufer mächtige Höhlen, deren Öffnungen oft zehn Meter Höhe aufwiesen und die sich bis zu sechzig Meter Länge in den Berg hineinbohrten.

Toren gleich gähnten solche Löcher am Fuße der Wände, Fenstern gleich öffneten sie sich hoch oben und schauten schwarz in die Tiefe.

Am Fuße eines solchen Höhlenfelsens dehnte sich ein lieblicher Küstenstreifen, mit Tamarinden, Akazien und Tekbäumen vereinzelt bestanden.

Dieser schien wie geschaffen für ein Lager, das vorzügliche natürliche Wohnungen bot.

In den Seitenschluchten rauschten in der jetzigen Regenzeit gewaltige Wasserfälle herab und aus dem hier tiefgrünen Wasser des Sees schossen riesige Steinpfeiler empor.

Fern aber an der Ostküste zeigten sich die Berge von Ndereh, wo der räuberische und mörderische Stamm der Ruga-Ruga haust, der jedoch hier niemand gefährlich werden konnte.

So wurde denn die Landung beschlossen und ausgemacht, mehrere Tage an diesem günstigen Lagerplatz zu verweilen, um die ergiebige Jagd in den Wäldern der Täler und Höhen einmal recht auszunützen.

Nach einer regnerischen Nacht strahlte ein frischer sonniger Morgen über dem Tanganjika auf.

Hamissi, der Koch, stand am Ufer des Sees, Koch- und Eßgeschirre spülend, und dazu mit melodischer Stimme eines seiner »hochpoetischen« Stegreiflieder singend, zu dem er, als musikalischer Dichter, gleichzeitig die nicht üble Weise erfand.

Sein Lied aber lautete heute folgendermaßen:

»Tausend Rupien, o tausend Rupien,
Ist das nicht arg viel Geld?
O ja, eine schöne Summe fürwahr, o, o!
Gibt es wohl so viel Geld in der Welt?
Das will ich meinen, das gibt's, o, o!
Tausend Rupien, o tausend Rupien, –
Wären nur mir solche Schatze verliehen!«

Natürlich wurde dieser begeisterte Sang auf Kisuaheli, der Sprache der Suahelis oder Wasuaheli, vom Stapel gelassen. Doch die getreue deutsche Wiedergabe zeigt, daß der schwarze Dichter sich auf den Tonfall, ja sogar den Reim, nicht schlecht verstand.

Der Somali Hassan bin Mohammed, der in diesem Augenblick unter dem Eingang einer Höhle erschien, die sich am Fuße der dreißig Schritt vom Ufer jäh emporsteigenden Felswand öffnete, hatte offenbar keinen rechten Sinn für Hamissis geniale Poesie, denn er äffte den Sänger in höchst tadelnswerter Weise nach, indem er brüllte:

»Tausend gescheite Gedanken, o tausend Gedanken,
Gibt es so viel in einem Kopfe, o, o?
Wer Hamissi kennt, der bezweifelt das stark:
Allah schenke Verstand dem Tropfe, o, o!«

Hamissi strafte den Spötter mit Verachtung und sang ihm zum Trotz den Vers von den schönen Rupien in unermüdlicher Wiederholung nochmals und nochmals, während Nigger, der Teckel, lustig am Ufer hin und her sprang.

Der Suaheli-Koch besaß auch seinen Stolz, und das mit Recht; denn nicht nur war er Dichter und Sänger, sondern auch als Expeditionskoch leistete er ganz außerordentliches, und des öfteren schon hatte ihm das Lob seiner weißen Herren geschmeichelt: »Wahrhaftig, Hamissi, du bist ein Tausendkünstler; denn aus Nichts verstehst du die schmackhaftesten Speisen hervorzuzaubern.«

Ja, wer verstand es, wie er, den Maisbrei oder den leckeren Milchmais zu bereiten? Wer wußte aus der Banane so zahlreiche verschiedene Gerichte herzustellen? Wer brachte es fertig, die Maniokknollen in so zartes Brot, so feine Puddings, so duftige Kuchen und so nahrhaften Brei zu verwandeln? Und dies waren doch nur erst einzelne kleine Proben seiner unerschöpflichen Kunst, die allen bekannten Rezepten noch immer neue eigene Erfindungen hinzufügte.

Endlich war das Geschirr blank und der Koch und Poet, der offenbar trotz seiner schwarzen Farbe für blinkende Sauberkeit war, betrachtete sein Werk mit Wohlgefallen und bückte sich, alles zusammenzuraffen. Aber – da kroch aus dem Wasser ein großes Krokodil! Zweifellos hätte das grüne Scheusal den ahnungslosen Hamissi, unbekümmert um seine vielseitigen Talente, einfach weggeschnappt, wäre nicht Nigger, der mutige Dachshund, gewesen, der sich als geborener Schwabe vor nichts fürchtete. Mit wütendem Gebell stürzte er auf das Untier und packte es an einer Pfote. Das gefräßige Amphibium schüttelte den schwarzfelligen Frechling ab und gedachte ihn als Vorspeise zu verschlingen. Es hatte aber nicht mit Niggers Gewandtheit gerechnet, der sich bereits in die Kehle seines Widersachers verbissen hatte. Der Biß des kleinen Köters mochte dem Krokodil jedoch belanglos vorkommen, denn es machte sich daran, mitsamt dem Hunde am Halse den eilig fliehenden Hamissi zu verfolgen; da pfiff eine Kugel, von oben herkommend, durch die Luft und bohrte sich in das Auge des Scheusals. Daraufhin wandte sich dieses kopfschüttelnd um und plumpste ins Wasser. Nun erst ließ es der wütende Dachshund los und schwamm triumphierend ans Ufer.

Hamissi schaute empor und sah Hendrik mit rauchender Flinte in der Öffnung einer Höhle stehen, die etwa zehn Meter über dem Uferrand aus den Felsen trat.

»Bwana Hendrik!« rief der Schwarze. »O, Bwana Hendrik! Mir haben Leben gerettet!« Und alsbald stimmte er einen schwungvollen Lobgesang an auf Bwana Hendrik Rijn, den Burensohn von Oranjehof am Muta Nsige, den Helden und Krokodiltöter, der dem Expeditionskoch das Leben rettete, wofür ihm dieser durch Zubereitung der leckersten Speisen ewig danken werde. Er machte sich denn auch alsbald an das Kochen des Mittagessens.

Übrigens war Nigger der eigentliche Held und Lebensretter, was Hendrik dem Suaheli gleich erwidert hatte, und was dieser auch einsah, weshalb er denn während des Kochgeschäfts den Dachshund lobend erwähnte in dem Sang, der seine neue Arbeit begleitete, und hervorhob, daß bei den Weißen sogar die Hunde an Kraft und Hochherzigkeit mit ihren Herren wetteiferten.

Als die Zeit der Mahlzeit erschienen war, versammelten sich die weißen Mitglieder der Reisegesellschaft unten am Seeufer. Sie kamen aus dem Felsen heraus, dessen stockweise übereinander lagernde Höhlen im Innern miteinander verbunden waren und weiter oben in ein Hochtal mündeten, wo die Askaris und Träger der Expedition lagerten und unter Achmeds Aufsicht ihr Mahl bereiteten und verzehrten.

Der Somali Hassan, sowie Hamissi als Leibkoch, genossen meist den Vorzug, mit den Weißen essen zu dürfen, ebenso Tipekitanga und Amina.

Schulze begab sich am Nachmittag mit seinem kleinen Gehilfen Uledi auf einen botanischen Ausflug. Diese Ausflüge, von denen er mit Pflanzen reich beladen heimkehrte, trugen ihm außer seinen andern Spitznamen bei den Schwarzen noch den Namen »der Blattfresser« ein.

Die Neger konnten sich nämlich nicht denken, wozu er so viel Grünes sammle und trockne, wenn es ihm nicht als Speise diente. Sie waren auch fest überzeugt, daß er, wenn er einsame Waldspaziergänge machte, grüne Blätter in Menge esse. Und wenn einmal Mangel im Lager war und der Professor, mit edlem Beispiel vorangehend, so wenig als möglich Speise zu sich nahm, sprachen sie unter sich: »Ja, der Blattfresser natürlich, der hat sich wieder heute morgen im Walde satt gegessen, wie eine Giraffe.« In dieser Eigenschaft erhielt der Professor den weiteren Beinamen: »Bwana Maua« oder »Herr Blume«, das heißt »der Botaniker«.

Heute hatte Schulze Damenbegleitung; Helene und Sannah, die sich die Gegend ansehen wollten, baten ihn, sie mitzunehmen, samt ihren unzertrennlichen Zofen Amina und Tipekitanga. Der Professor erfüllte natürlich gern ihren Wunsch und bog mit ihnen in ein Seitental ein.

Auf einer Felsenhöhe mitten unter Buschwerk und Steingeröll tummelte sich ein Trupp von mehr als hundert Pavianen, die neugierig auf die Wanderer herabsahen, ohne sich weiter aufzuregen, nur daß sie die kurzen, abgerissenen Laute des Erstaunens ausstießen, die ihnen eigen sind, und an das Schrecken des Rehbocks erinnern.

»Bwana Bawessa, schießen Sie einen Affen,« bat Amina, die nicht an überzartem Gemüte litt, »das gibt einen ausgezeichneten Braten.«

»O nein! Töten Sie doch keines der harmlosen Tiere, die so vergnügt spielen!« baten Sannah und Helene gleichzeitig.

»Tue ich auch nicht!« erklärte der Professor. »Davor habe ich von Südamerika her ein Grauen. Und vollends Affenbraten! Ich sage Ihnen, man glaubt ein gebratenes Menschenkind vor sich zu sehen!«

»Hu!« rief Helene, sich schüttelnd.

»Aber ein wenig erschrecken will ich die Gesellschaft mit meiner niefehlenden Büchse,« sagte Schulze, und schoß in die Luft, daß der Knall von den Felsen widerhallte.

Hui! gab das einen Aufruhr. Die wunderlichen Gestalten watschelten und galoppierten an der Wand hinauf mit ganz kostbaren Sprüngen.

Einige aber, nicht faul, griffen nach Steinen und warfen sie ins Tal, so daß ein ganzer Steinhagel niedersauste und die gefährdeten Menschenkinder sich unter die vorspringenden Felsen flüchten mußten.

Tipekitanga war von einem scharfen Stein an den Oberarm getroffen worden, so daß das Blut über ihre glänzende Haut herniederrieselte; aber tapfer, wie sie war, sagte sie: »O, das macht nichts; es ist ein Mückenstich!« Und zwar sagte sie dies in deutscher Sprache, denn mit wunderbarer Gelehrigkeit hatte sie schon gelernt, sich auf Englisch und Deutsch verständlich zu machen, besser als Amina, während sie Kisuaheli ganz fließend sprach, da der Satzbau dieser Sprache dem ihrer Muttersprache glich.

Nun wurde die Höhe erklommen, die dicht bewaldet war. Zahlreiche Elefantenspuren waren zu bemerken; die goldgelbe süße Frucht der Fächerpalmen zog die Dickhäuter hier besonders an.

Uledi machte die Damen auf einen unansehnlichen Baum aufmerksam, der kleine Beeren trug.

»Owindibeeren,« sagte er, »famos riechen!«

Wirklich, als man sich dem Baume näherte, strömte er einen herrlichen Lavendelduft aus, und Helene und Sannah füllten sich die Taschen mit den wohlriechenden Beeren, ein Beispiel, dem Amina folgte.

Dies gab Tipekitanga Anlaß, darüber zu klagen, daß sie keine Tasche besitze, und jetzt bat sie selber um ein Kleid, während sie sich bisher stets geweigert hatte, etwas anderes zu tragen, als höchstens bei Regen und Kälte die Leopardenhaut, die sie seinerzeit bei den Virungavulkanen sich erobert hatte.

Bereitwillig versprachen ihr die weißen Damen, noch heute damit zu beginnen, ihr ein Kleid aus dem schönsten Stoffe zu nähen.

»Aber mit Tasche?« sagte die kleine Prinzessin.

»Mit einer großen Tasche,« beruhigte sie Helene lachend.

Während des Beerenpflückens schoß plötzlich eine große dunkle Schlange mit weitaufgeblähtem Halse aus der Baumkrone hervor und biß Helene in die pflückende Hand, worauf sie sich blitzschnell Sannah zukehrte, die, wie erstarrt, dicht daneben stand und nur zur Abwehr die Hand ausstreckte.

Amina stieß einen gellenden Schrei aus.

Tipekitanga aber, mit ihrer stets bewiesenen Geistesgegenwart und Behendigkeit, hatte alsbald ihren Bogen von der Schulter gerissen, ohne den sie nie ausging, und die Schlange sank auch bereits leblos zu Boden; der sichere Pfeil hatte ihren Kopf durchbohrt.

Schulze eilte herbei und rieb die Bißwunde an Helenes Hand sofort mit Salmiak ein, da er hievon stets ein Fläschchen bei sich trug, schon etwaiger Bienen- und Wespenstiche halber.

Helene mußte auch einen Schluck der unangenehmen Arznei nehmen.

»Es hilft nichts,« sagte der Professor. »Wären wir im Lager, so würde ich Ihnen den Ammoniak in einem Becher Palmwein zu trinken geben, so daß sein niederträchtiger Geschmack weniger bemerklich wäre. Aber Eile tut not: Sie sind von der giftigsten Schlange Afrikas, abgesehen von der Puffotter, gebissen worden, der Uräusschlange.«

»Ist es gar so gefährlich?« fragte Sannah, um die Freundin besorgt.

»Wenn nicht gleich Hilfe zur Stelle ist, allerdings,« erwiderte Schulze; »dann ist ein rascher Tod sogar so gut wie sicher. Doch Sie dürfen beruhigt sein, Fräulein Helene, Salmiak hilft unfehlbar, ich habe das in Amerika erprobt, übrigens kehren wir natürlich sofort um und ich gebe Ihnen noch tüchtig Palmentembo zu trinken, bis Ihnen der Kopf schwindelt.«

»Ich danke, ich danke!« sagte Helene lächelnd.

»Doch, doch! Es muß alle Vorsicht gebraucht werden, eine starke Gabe Alkohol ist das sicherste Mittel gegen eine Herzlähmung, die den von einer Giftschlange Gebissenen droht.«

»Gibt es hier viele giftige Schlangen?« fragte Helene, als sie nun rasch den Rückweg einschlugen.

»Nein! gottlob sind sie selten in Zentralafrika,« war Schutzes Antwort. »Die häufigste Schlange, die hierzulande überhaupt vorkommt, ist der Python Sebä, die ungiftige afrikanische Riesenschlange.«

Im Lager angekommen, mußte Helene auf des Professors Drängen so viel Palmwein hinunterschlucken, bis ihr taumelig zumute wurde; dann mußte sie sich sofort zur Ruhe begeben.

Sannah schnitt nach dem Nachtessen das Kleid für Tipekitanga, um das Versprechen einzulösen, an das die Kleine sie ungeduldig mahnte. Hochinteressiert und beglückt sah diese der Arbeit zu, die beim Schein des flackernden Feuers rasche Fortschritte machte, obgleich das Burenmädchen sie immer wieder unterbrach, um nach Helene zu sehen.

So oft sie aber mit der Fackel die Höhle betrat, fand sie die Freundin in tiefstem Schlaf, was freilich nicht auffallend sein konnte nach dem ungewohnt reichlichen Weingenuß. Auch die Bißwunde zeigte sich nur leicht gerötet und mäßig geschwollen.

Als das Kleid fertig geschnitten war, begaben sich auch Sannah und Amina, die bisher mit den Weibern Getreide gestampft hatte, zur Ruhe, während Tipekitanga die erste Nachtwache bei Helene übernehmen sollte, um dann von Sannah abgelöst zu werden; Amina wollte die Morgenwache übernehmen.

Obgleich Schulze es nicht für nötig hielt, hatte doch Leusohn als Arzt die Nachtwache angeordnet, damit er gleich geweckt würde, falls eine stärkere Schwellung einträte. Im übrigen war er mit des Professors Heilmittel vollkommen einverstanden.

Sorgsam wachte die Zwergprinzessin über ihre geliebte Herrin beim Fackelschein im Vordergrund der Höhle, welche die Mädchen zu ihrer Wohnung erwählt hatten.

Sie lauschte auf das Johlen und Singen der Neger, auf ihr Geplauder und Geplapper; denn die Schwarzen schliefen selten die ganze Nacht durch; allemal erhoben sich wieder ein paar, um unter Gesang oder Schwatzen sich irgend ein beiseite gebrachtes Stück Fleisch am Feuer zu braten oder sonst ein Zwischenmahl zu bereiten.

Die andern ließen sich durch den nächtlichen Lärm so wenig im Schlafe stören als durch das Gebrüll der Raubtiere, und auch die Weißen hatten sich notgedrungen daran gewöhnt, trotz all der Unruhe im Lager, unentwegt weiter zu schlafen.

Sie waren froh, es wenigstens so weit gebracht zu haben, daß die schwarzen Kinder keine Flintenschüsse mehr zu nachtschlafener Zeit abfeuerten, wie sie anfangs aus reiner Lust am Schießen und Knallen getan hatten. Weniger die Nachtruhestörung, als die bedauerliche Munitionsvergeudung und die häufigen Unglücksfälle die das unvorsichtige Geschieße im Gefolge hatte, waren der Grund, daß es mit aller Strenge untersagt worden war.

Um vier Uhr morgens erwachte Sannah aus einem erquickenden Schlummer.

»Wie?« rief sie aus. »Du wachst noch immer, Tipekitanga? Warum hast du mich nicht eine Stunde nach Mitternacht geweckt, wie wir ausgemacht haben?«

Die Prinzessin lachte: »Ich habe die ganze Nacht wachen wollen, ich habe Fräulein Helene so lieb, und wollte sehen, ob der böse Biß nicht gefährlich werde. Tipekitanga braucht nicht alle Nacht zu schlafen.«

Sannah freute sich, aus diesem kleinen Zuge die treue Seele der kleinen Dame zu erkennen, obgleich sie bedauerte, nicht auch etwas von ihrem Schlaf der Freundin geopfert zu haben.


 << zurück weiter >>