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18. Gespenstische Sagen.

Nach solcher Einleitung begann Schulze mit der Erzählung der uralten, zum Teil wunderbaren, zum Teil schauerlichen Sagen, die aus grauer Vorzeit uns von den Arabern übermittelt worden sind.

»Ihr habt durch Lord Flitmore gehört von dem merkwürdigen See Möris, den die alten Ägypter gegraben, um den Abfluß des Nils zu regeln. Zur Zeit des Hochwassers flossen die überschüssigen Wasser des Stromes sechs Monate lang in den See: so lange dauerte es, bis derselbe sich anfüllte. Wir müssen annehmen, daß ein so ungeheures Becken nicht lediglich von Menschenhand gegraben wurde, sondern daß eine zuvor vorhandene ausgedehnte Mulde, die früher vielleicht einen See enthielt, nun aber zur wasserlosen Wüste geworden war, von den genialen Herrschern Ägyptens zu ihrem Zwecke ausersehen wurde. Immerhin mag es noch eine gewaltige Arbeit gewesen sein, dies natürliche Becken so weit herzurichten, daß es seiner Absicht entsprach. In der Mitte erhoben sich als Riesenwahrzeichen menschlichen Unternehmungsgeistes zwei mächtige Pyramiden und neben jeder derselben eine steinerne Kolossalstatue auf einem Thronsessel, noch hoch aus dem Wasser emporragend, wenn der See gefüllt war. Durch einen Kanal wurde das Wasser des Blauen Nils in den See geleitet, um in der regenarmen Zeit durch die geöffneten Schleusen eines Abflußkanals wiederum sechs Monate lang dem unteren Nil zuzuströmen. Auf diese Weise wurde vermieden, daß die befruchtenden Nilüberschwemmungen in verderblichem Maße anschwollen, und ebenso, daß zur Zeit der Dürre Wassermangel eintrat oder gar der Nil ganz austrocknete.

»Mit Recht hat Herodot dieses gewaltige Kulturwerk weit über alle anderen Weltwunder gestellt.

»Damit war aber noch nicht alles getan. Der Weiße Nil auf seinem langen Laufe und mit seinen vielen Quellflüssen mochte zuzeiten, auch wenn ihm der Zufluß des Blauen Nils größtenteils abgeschnitten war, immer noch mit verheerenden Wassermassen daherbrausen. Es galt auch hier, ein Regulierungswerk auszuführen, das ein plötzliches, vernichtendes Anschwellen des Stromes verhinderte und nur ein allmähliches Ansteigen zuließ. Dieses Werk soll nun König Am-Kaam oder Hermes der Erste vollführt haben.

»Wie es geschah, ist etwas dunkel, denn die sagenhaften Berichte verweilen mehr bei dem wunderbaren Beiwerk als bei den praktischen Vorrichtungen. So wird erzählt, daß Hermes die starken Quellbäche des Nils in den hohen Gebirgen, wo die meisten Niederschläge niedergingen, also auch das Hochwasser seinen eigentlichen Ursprung hatte, durch gewölbte Gänge leitete. Beim Austritt aus diesen Gängen wurde es mittels hoher Aquädukte achtundfünfzig kupfernen Statuen zugeführt, aus deren gewaltigen Mäulern es herauslief.

»Diese Kolossalstandbilder standen in einer weiten, teils natürlich, teils künstlich abgeschlossenen Talmulde, aus der das Wasser wieder nur durch einen engen Tunnel abfließen konnte. So stelle ich mir die Sache wenigstens vor; denn Näheres wird hierüber nicht gesagt. Auch handelt es sich ja nur um Fabeln. Da aber auch Fabeln einen zweckentsprechenden Sinn haben müssen, ist es nötig, sich über ihre Meinung klar zu werden. War nun in der Tat nur ein beschränkter Abfluß aus jener angenommenen Talmulde möglich, so ist es einleuchtend, daß immer nur so viel Wasser abfließen konnte, als die Öffnung des Tunnels zuließ. Bei Hochwasser staute sich das Wasser in der Talsperre und floß nur ganz allmählich ab.

»Diese Anlage soll sich nach Ti Farschi und Scheich Izz Eddin, sowie anderen arabischen Geographen elfeinhalb Grad südlich vom Äquator befinden.

»Das ist das Großartige; nun aber kommt das Unheimliche. Das Mondgebirge, das sich etwa zwölf Grad südlich vom Äquator befinden sollte, wird von den alten Geographen übereinstimmend als das Quellgebirge des Nils bezeichnet; auch auf den alten Karten erscheint es als solches. Überall tritt uns auch die merkwürdige Ansicht entgegen, daß der Nil sich teils nordwärts, teils aber westwärts wendet, mit anderen Worten, daß die Nilquellen gleichzeitig auch die Quellen des Kongos sind; vielleicht soll das bedeuten, daß ebenfalls zur Vermeidung verheerender Überschwemmungen ein Teil des Nilwassers durch einen Kanal in den Kongo abgeleitet wurde.

»Das Mondgebirge heißt bei den Arabern Djebel el Gumr. Es ist nun begreiflich, daß manche Reisende, die mit einer Karawane nach dem Mondgebirge kamen, aus Neugier den berühmten Berg Gumr bestiegen und sich wohl auch nach dem Weltwunder umsehen wollten, das König Hermes mit den achtundfünfzig kupfernen Statuen geschaffen hatte.

»Nun erzählen uns die arabischen Schriftsteller, daß auch nicht einer von allen denen, die den Berg Gumr bestiegen, wieder zurückgekehrt sei. Eine abergläubische Scheu hielt daher die meisten ab, den verhängnisvollen Aufstieg zu wagen. Immerhin ließen sich je und je einzelne, die an die Gefahr nicht glauben mochten, durch keine Warnungen zurückhalten. Waren sie dann droben angekommen, gebärdeten sie sich wie närrisch vor Freude, fingen an zu lachen, klatschten in die Hände und stürzten sich auf der anderen Seite des Berges hinab, um für immer verschollen zu bleiben.

»Es wurde behauptet, auf der anderen Seite dieses berüchtigten Mondgebirges sei ein unruhig bewegtes Meer, so dunkel wie die Nacht; mitten durch dieses Meer fließe ein silberweißer Strom, so hell wie der Tag, und dieser Silberstrom besitze eine solche magnetische Kraft, daß wer ihn erblicke, toll vor Lust, unwiderstehlich angezogen werde, so daß er sich hinabstürzen müsse.

»Eine solche dämonische Anziehungskraft schreibt ja das Volk in Württemberg auch dem Blautopf bei Blaubeuren zu; und Tatsache ist, daß sich viele in diesen Blautopf stürzen und andere erzählen, sie hätten sich dort so rätselhaft angezogen gefühlt, daß sie nur durch rasche Flucht sich dem Drange entziehen konnten, ins Wasser zu springen. Nun, das scheint eine Art Schwindel zu sein, den die eigentümliche blaue Quelle in gewissen Naturen weckt.

»Was aber die ähnlichen Berichte über den Berg Gumr in ihrer ganzen Nichtigkeit bloßstellt, ist die Behauptung, daß sich dort keiner dem Banne entziehen könne. Nun, wenn alle Besteiger sich hinabstürzten, und keiner wiederkehrte, woher, frage ich, konnte man denn Kunde haben von dem dunklen Meer und dem weißen Fluß? So richten sich solch unsinnige Märchen von selber angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnis.«

Schulze war zu Ende, und man sprach noch lange hin und her über dieses Märchen aus Tausend und einer Nacht. Allgemein waren die Weißen, außer Flitmore, der Ansicht, daß die ganze Geschichte eigentlich in jene Märchensammlung gehöre zu der Messingstadt und den Inseln Wak a Wak. Immerhin war durch Schulzes Erzählung die Begier um so stärker angeregt, den fabelhaften Djebel el Gumr zu entdecken und von Angesicht zu sehen.

Lord Flitmore nahm noch einmal das Wort: »Eine große Rolle spielen in der Sage oder, wie ich lieber sagen will, in den Berichten über den Berg Gumr, die fabelhaften Höhlenbauten, die sich dort befinden sollen. Nun hat Thomson in Elgumi, und zwar im Elongebirge, nordöstlich vom Viktoria-Njansa, große Höhlenbauten entdeckt, die nur von einem Kulturvolk herrühren können, wobei man zunächst an die Ägypter zu denken hat. In einer dieser Höhlen fand Thomson ganze Dörfer. Die Eingeborenen erklären die Höhlen für Gottes Werk und sagen, mehrere von ihnen verlören sich in der Nacht des Berges, ihr Ende hätten sie noch nie gesehen. Peters findet in El Gumi einen Anklang an den Namen Gumr und vermutet, dort möchten die Mondberge zu suchen sein. Ich suche sie weit südlicher; aber die großartigen Höhlen von Elgumi scheinen mir das Werk des gleichen Volkes, das die genialen Anlagen des Berges Gumr geschaffen hat.«

Damit wurde das Gespräch abgebrochen, das einen Gegenstand berührte, der in der Folge für unsere Freunde von merkwürdiger Bedeutung werden sollte.

Weiter ging nun der Marsch durch die Steppe. Hie und da waren Giraffen zu erblicken, und unsere Freunde, namentlich Hendrik, hätten gar zu gern einmal auf die schönen Tiere Jagd gemacht.

Da sie jedoch keine Pferde besaßen, gelang es ihnen zu ihrem Leidwesen niemals, sich dem scheuen, flüchtigen Wild zu nähern, das hier offenbar schon die Menschen als gefährliche Feinde fürchten gelernt hatte.

Ein interessantes Schauspiel hatten die Wanderer in einem Negerdorfe, in dem die Weiber gerade beschäftigt waren einige Hütten zu errichten. Um den kreisrunden Unterbau war in einigem Abstand ein Kranz von Pfählen in den Boden gerammt. Kunstvoll flochten die Negerknaben das Grasdach, das auf kleinen Pfosten ruhte. Das vollendete Dach wurde sodann von den Weibern über die Hütte gestülpt, so daß sein Rand von den Balken getragen wurde, die die oberen Enden der Stützpfähle miteinander verbanden.

Die Grasebene, die nun folgte, war arm an Wild; nur zuweilen traf man auf einige Antilopen, unter denen der Wasserbock vorherrschte.

Es war aber keine Kleinigkeit, unberitten die schnellfüßigen Tiere zu jagen, und nur ein einziges Mal brachte es der junge Bure fertig, einen prächtigen Wasserbock anzuschleichen und zur willkommenen Bereicherung des Mittagsmahles zu erlegen.


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