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Die Zitrone und die Harmonika samt der Zofe Isolde waren mit einem arabischen Kameltreiber und fünf Kamelen auf die Suche nach den Vermißten ausgezogen.
Der Pascha hatte ihnen die südsüdwestliche Richtung vorgeschrieben und ihnen ans Herz gelegt, sich nicht zu weit vorzuwagen, sondern bald wieder umzukehren, da doch nicht anzunehmen sei, daß sie in dieser Richtung auf die Verirrten stoßen könnten.
Das wurmte die Zitrone, und als sie den Ritt antraten, sprach sie: »Es ist eine Beleidigung, die in unserer Person dem ganzen weiblichen Geschlecht von diesem Pascha angetan wird, daß er uns eine Aufgabe erteilt, von der er selber ganz unverfroren erklärt, daß sie aussichtslos sei. Ich bin nicht gesonnen, mir dies gefallen zu lassen: der Mann soll sein Wunder erleben und sehen, was wir Mädchen vermögen.«
»Herrlich!« stimmte Isolde zu: »Haben wir nicht den König der Wüste erlegt, wessen keiner der Männer sich berühmen kann? Wo bleibt die Hochachtung, die solcher Heldentat schuldig und gebührlich ist? Wir wollen's ihm zeigen! Sorgen Sie dafür, gnädigste Baronesse, daß wir die Verlorenen auffinden, wir allein.«
»Das will ich!« versicherte Hulda: »Aber um dies zu erreichen, dürfen wir nicht die Richtung einschlagen, die uns angewiesen wurde. Mein Bruder wird eine gute Strecke südwestlich gewandert sein. Dann kehrte er zweifellos um, in der Absicht, die Oase wieder zu erreichen. Dabei hat er offenbar die Richtung verfehlt, und zwar wird er zu weit südlich geraten sein; denn wenn er zu weit nördlich geraten wäre, hätte er immer noch auf die Oase stoßen müssen, da sie sich über einen Tagemarsch nach Norden erstreckt. Ausgeschlossen ist dies ja nicht. In diesem Falle jedoch kann höchstens der Professor auf ihn treffen. Das Wahrscheinlichste aber wäre, daß er sich bereits im nördlichen Teil der Oase befand, als wir aufbrachen, und dann findet er ohne unsere Hilfe zum Lager zurück und trifft dort in unserer Abwesenheit ein.«
»Das geht uns jetzt nichts an. Wir haben anzunehmen, er sei in der Wüste verirrt, und das kann nur im Süden sein. In diesem Fall, den ich für den wahrscheinlichsten halte, findet Billinger seine Spur und folgt ihr. Er befindet sich dann im Rücken der Vermißten und wird sie nicht so bald erreichen.
»Ziehen wir nun südsüdwestlich, so sind zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen: entweder wir schneiden die Linie, die mein Bruder verfolgt, an einer Stelle, die er noch gar nicht erreicht hat; dann stoßen wir überhaupt nicht auf seine Spur und geraten zu weit nach Süden. Er aber trifft hernach auf unsere Spur und wird möglicherweise durch sie irregeführt. Finden wir dagegen seine Fährte, so müssen wir ihr folgen, und dann wird Franz, der sie auch gekreuzt haben muß, uns wohl nachkommen, ehe wir ihn fanden, da er jedenfalls weit schneller reitet, als wir. Wir müßten also im besten Fall die Ehre der Wiederauffindung mit dem Diener teilen, und das paßt mir nicht.
»Meine Absicht ist es daher, direkt nach Süden zu ziehen. Sollten wir hier auf die gesuchte Spur treffen, dann sind wir den Vermißten so viel näher als Billinger, daß wir sie unbedingt finden, ehe er uns einholt. Das Wahrscheinlichere aber ist, daß Erich noch nicht so weit vordrang. Wir werden uns daher äußerster Langsamkeit befleißen und von Zeit zu Zeit Stangen in den Sand stecken, an denen ein Zettel befestigt ist, der meinem Bruder ankündigt, daß er den Stangen links, das heißt nach Norden folgen muß, um die Oase zu erreichen. Diese Wegweiser befestigen wir in solchen Abständen, daß von dem einen aus stets der nächste zu beiden Seiten mit bloßem Auge zu erkennen ist, so daß er nicht etwa zwischen zweien durchmarschiert. Die Malzeichen sind ja etwas so Ungewöhnliches und Auffallendes in dieser Öde, daß er unbedingt auf die erste Stange zuhalten wird, die er gewahrt, und somit den Weg zur Oase finden muß, sobald er unsern Weg kreuzt. Mit einem Dutzend Stangen und Zetteln habe ich mich wohlweislich versehen.«
»Ausgezeichnet!« lobte die Harmonika: »So kann es nicht fehlen. Wenn nicht eine der andern Abteilungen zuvor mit ihm zusammentrifft, dann finden wir ihn unbedingt oder retten ihn durch unsere Wegbezeichnung.«
So wandten sich die Damen nach Süden, was freilich eine Unbotmäßigkeit war: es fiel ihnen jedoch nicht ein, sich hieraus ein Gewissen zu machen.
Weiter westlich war die Wüste nur sanft gewellt, so daß sie weithin zu übersehen war.
In der Richtung dagegen, die unsere Freundinnen verfolgten, war der Dünencharakter des Sandmeeres weit ausgesprochener: langgestreckte Hügel und Täler zogen sich von Norden nach Süden.
Die kleine Karawane folgte in gemächlichem Schritt einer solchen Dünenschlucht, die stellenweise so tief eingeschnitten war, daß auch vom Rücken des Kameles aus ein Ausblick nach Westen nicht möglich wurde. Daher wurde von Zeit zu Zeit abgestiegen und der Sandrücken zur Rechten erklettert, um mit dem Fernrohr Umschau zu halten.
Entsprechend dem Plane der Zitrone, wurde äußerst langsam geritten und oft und ausgiebig gerastet. Das Ausschauen und das Stecken der Pfähle hielt auch auf, so daß am Abend des zweiten Tages kaum eine mäßige Tagereise von der Oase aus zurückgelegt war.
Die Zelte wurden in der Niederung wohl geschützt und verborgen aufgeschlagen, eine Mahlzeit gehalten, und dann erstiegen die drei Gefährtinnen den Dünenrücken, um in üblicher Weise umherzuspähen.
Die Zitrone, die sich mit Recht als die Herrin und Führerin der Gesellschaft betrachtete, legte zuerst das Fernrohr ans Auge.
»Heil und Sieg!« rief sie nach kurzer Zeit: »Dort sind sie ja schon!« und sie wies nach Nordwesten.
Jetzt nahm die Harmonika das Glas zur Hand: »In der Tat,« bestätigte sie: »Wir können sie in einer halben Stunde erreichen. Sie sind gerade daran, ihr Zelt aufzuschlagen. Aber, halt! Was ist das? Sie richten ja zwei Zelte auf und es sind vier Männer. Franz und Mahmud sind bereits mit ihnen zusammengestoßen.«
»Heillos!« rief die Zitrone und ließ sich das Perspektiv geben: »Du hast recht! Wir kommen zu spät! Wie mich das wurmt!«
»Nun,« meinte die weniger ehrgeizige Harmonika: »Die Hauptsache ist, daß sie gerettet sind. Wer ihnen zuerst Hilfe brachte, ist schließlich belanglos.«
»Durchaus nicht!« zürnte Hulda: »Mein ganzer schöner und so schlau angelegter Plan ist nun vergeblich: wir sind die Blamierten und unsre großartigen Wegweiser sind jetzt für die Katze. Ich könnte diesen vorwitzigen Bayern erwürgen mit meinen weißen Händen: der muß ja unsinnig geritten sein, um die beiden schon heute einzuholen.«
»Liebe Zitrone,« mahnte die sanfte Harmonika: »Sei nicht ungerecht und grausam! Billingers Eifer ist lobenswert, und dein unbilliges Zürnen verblendet dich.«
»Verblendet mich?« grollte die Zitrone: »Nur zu klar sehe ich.«
»Ich kann dir das Gegenteil beweisen: deine Hände, die du in Erinnerung an bessere Zeiten ›weiß‹ nennst, sind tatsächlich kaffeebraun.«
Hulda warf einen Blick auf ihre zarten Hände und mußte zugeben, daß die Freundin recht hatte: »In der Tat, daran dachte ich nicht in der Erregung,« gestand sie.
»Ja, in der Erregung denkt man an manches nicht, das man bedenken sollte; doch ist mir deine Einsicht ein Trost; denn, da du Franz mit deinen weißen Händen erwürgen willst, droht ihm in absehbarer Zeit keine Gefahr.«
Inzwischen hatte sich die Unke des Fernrohrs bemächtigt und machte ihrem schlimmen Beinamen alsbald Ehre. Neugierig, wie sie war, hatte sie sich nicht damit begnügt, die Lagernden zu beobachten, sondern hatte den Horizont nach allen Seiten abgesucht. Dabei war sie in südwestlicher Richtung einer großen Karawane gewahr geworden, in der sie bald eine Schar Beduinen erkannte.
»Wir sind verloren!« rief sie tödlich erschrocken aus: »Räuber, Mörder, Beduwiner!«
Die Zitrone entriß ihr das Glas und schaute in der gewiesenen Richtung.
»Das sind allerdings Beduinen,« sagte sie: »Und es ist nur zu wahrscheinlich, daß es eben dieselben sind, denen wir erst mit knapper Not entrannen; denn sie kommen aus der Richtung, in der die Niederlassung jener Horde liegt. Es ist auch begreiflich, daß sie nach ihrem mißglückten Raubzug einen neuen unternehmen, und zweifellos haben sie es diesmal auf die Oase abgesehen, in der wir lagern, ohne freilich zu wissen, daß wir uns dort befinden. Uns selber droht jedoch keine Gefahr. Denn da wir am Boden hingestreckt liegen und nur mit den Augen den Hügel übersehen, kann auch das schärfste Araberauge uns unmöglich entdecken. Auch ist ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Zelte dort drüben gerichtet. Meinem Bruder und seinen Begleitern freilich droht die schlimmste Gefahr. Und sie ahnen nichts davon! Mit dem bloßen Auge können sie die Nahenden noch nicht gewahren, zumal es schon stark dunkelt, und an eine Ausschau mit dem Fernrohr scheinen sie nicht zu denken. Mahmuds Augen wären wohl scharf genug, um die Reiter zu erkennen, aber der Araber ist ahnungslos. Und jetzt begeben sie sich schon in die Zelte.
»Wir müssen sie warnen!« rief Monika.
Die Zitrone überlegte, scharf ausblickend: »Das ist unmöglich!« entschied sie endlich: »Wir sind ungefähr in der Mitte zwischen ihnen und den Beduinen, aber ziemlich weit östlich von beiden Teilen. Zwar haben wir näher zu den Bedrohten, allein die Araber reiten schneller und würden uns bald erblicken, wenn wir unser Versteck verlassen; denn so dunkel wird es nicht, daß uns die Nacht verbergen könnte. Ehe die Unsrigen ihre Kamele gesattelt und bestiegen hätten, wären sie überdies schon zur Stelle.«
»So müssen wir in der Oase Lärm schlagen!«
»Das geht schon eher, falls nämlich die Räuber nicht in der Nacht weiterreiten und ihren Überfall in der Morgenfrühe ausführen, was zweifellos ihre Absicht sein dürfte.«
»Dann reitet ihr so schnell als möglich zurück. Da wir kaum einen Tagemarsch entfernt sind und unsre Kamele geschont haben, könnet ihr im stärksten Galopp bis zum Morgen hingelangen.«
»Und du?«
»Ich suche inzwischen die Bande aufzuhalten.«
»Nee!« widersprach die Zitrone: »Das ist meine Sache! Reite du mit Isolde und Achmed in die Oase zurück.«
»Nein!« erklärte die Harmonika energisch: »Diesmal bleibt es bei meiner Anordnung: erstens habe ich schon meinen Plan; zweitens bin ich wie ein Beduinenmädchen gekleidet, du aber wie eine Zitrone. Ich kann mich eher unbemerkt nähern und meine Absichten zu gutem Ende bringen.«
»Nun denn, wenn du einen Plan hast, so will ich nachgeben: ich habe nämlich noch keinen. Aber greife es vorsichtig und schlau an: möge es dir gelingen!«
Hulda brach sofort mit der Zofe und dem Kameltreiber nebst vier Kamelen auf, während Monika noch ihre Zeit abwartete.
Als die Beduinen den Zelten ziemlich nahe gekommen waren, brach die Harmonika aus ihrem Verstecke hervor und jagte nach Südwesten, in den Rücken der Räuber. Diese richteten ihre Aufmerksamkeit so sehr auf ihr Ziel, daß sie die durch das Dunkel stürmende Reiterin, die ebensogut für einen Mann gehalten werden konnte, nicht gewahrten.
Als Monika daher einige hundert Schritt von ihnen entfernt war, trieb sie ihr Tier mit hellem Jauchzen an.
Nun wandten sich die Räuber nach ihr um, und sobald sie sich bemerkt sah, wandte sie sich zu rascher Flucht nach Süden.
Wie sie vorausgesehen und beabsichtigt hatte, lockte sie dadurch eine stattliche Anzahl der Beduinen zu ihrer Verfolgung auf sich. Sie konnten nicht wissen, mit wem sie es zu tun hatten; aber daß der Reiter floh, mußte ihnen verdächtig genug erscheinen, um sich seiner Person versichern zu wollen.
Die Harmonika war eine tüchtige Reiterin und ihr Tier bei guten Kräften: so konnte sie die Jagd eine starke Stunde hinziehen, ehe sie erreicht und gefangen genommen wurde. Die Beduinen zeigten sich sehr enttäuscht und unwillig, als sie erkannten, daß es bloß ein europäisches Mädchen war, das sie so viel kostbare Zeit hatte verlieren lassen. Sie brauchten eine weitere Stunde, um zu den Zelten zurückzugelangen, wo ihre Kameraden auf sie warteten.
Wie ein Sack wurde das tapfere Mädchen im Unmut zu den anderen Gefangenen geworfen. Man überzeugte sich noch, ob Aller Fesseln gut hielten, und ließ sie dann ziemlich unbeachtet liegen, um zu beraten, ob man den Angriff auf die Oase sogleich unternehmen solle, obgleich es jetzt hoher Vormittag würde, bis man sie erreichen konnte, oder ob er infolge der unliebsamen Verspätung bis zur nächsten Nacht verschoben werden müßte.
Die kluge Harmonika ahnte den Zweck der Beratung. Es lag ihr viel daran, daß ein Aufschub beschlossen werde, da ein zeitiger Überfall immer noch die besten Aussichten für die Beduinen bot. Denn, wenn auch die Oasenbewohner bis dahin durch Hulda gewarnt worden wären, so brauchten sie doch mehrere Stunden Zeit, um sich in Verteidigungszustand zu setzen und die nötigsten Hilfskräfte aus den entfernteren Ortschaften herbeizuziehen.
Die Räuber wußten freilich nichts davon, daß ihre Annäherung beobachtet wurde und im Begriffe war, verraten zu werden. Dennoch neigten sie alle der Ansicht zu, das Unternehmen nicht länger hinauszuzögern. Freilich war die Nacht für einen Überfall günstiger und brachte die Angreifer weniger in Gefahr, viele Opfer an Menschenleben bringen zu müssen. Andrerseits glaubte man sich versichert, jetzt noch völlig unvermutet zu kommen und dadurch des leichten Sieges gewiß sein zu dürfen, während man nicht wissen konnte, ob der Anschlag nicht im Laufe des Tages entdeckt werde, wenn man in der Nähe der Oase lagerte, um die Nacht abzuwarten.
Die Gefangenen lagen soweit abseits, daß sie von der Beratung nichts zu vernehmen vermochten. Allein die Harmonika wollte die Entscheidung in dem Sinne, den sie befürchtete, auf alle Fälle vereiteln.
Als sie unsanft zur Erde flog, just neben Franz Billinger, wußte keiner der Gefangenen, was für einen neuen Leidensgefährten sie bekommen hatten. Billinger richtete sich zwar halb auf, doch Monika trug das Gesicht verschleiert, wie ein echtes Arabermädchen. Darum brummte der Bayer:
»I woaß nit, was sö uns do für an G'sölln an dö Rippen g'schmissen hamm. Is dös a vakappta Hallodrih oda an orobischs Weibsbüld, a so a drecketes?«
»Ganz einerlei!« erwiderte der Baron: »Unser Freund ist der neue Gefangene auf alle Fälle, da die Halunken ihn gefesselt haben, wie uns.«
Die Harmonika kicherte inwendig, doch verhielt sie sich still, bis die Beduinen, die ihre und ihrer Gefährten Bande untersuchten, sich befriedigt entfernt hatten.
Dann aber begann sie halblaut:
»Der Hallodrih ist in der Tat ein Weibsbild, aber kein ›a so drecketes‹. Es nennt sich Harmonika, und naht mit den besten Absichten.«
»Ach, vazeihen S', gnädigs Fräulein!« entschuldigte sich Franzl ganz zerknirscht: »Dös wann i ma hätt' traamen lossen, daß Sö's san, hernach hätt' i g'wiß vun koan Hallodrih oda an drecketen orobischen Weibsbüld doherg'redt! Aba wie kimmen denn Sö in dö abärmlich G'fongenschoft?«
»Ja, wie kommen Sie daher?« fragte nun auch Steinberg: »Ihre besten Absichten in allen Ehren, aber ausführen dürften Sie dieselben kaum können.«
»Ich kam freiwillig daher, um die Schurken so lange aufzuhalten, bis Hulda die Oasenbewohner gewarnt hat und diese sich in Verteidigungszustand setzen können. Wir waren nämlich auch ausgezogen, um nach Ihnen zu suchen, und entdeckten Sie heute Abend von ferne, zugleich aber auch die herannahenden Beduinen. Was übrigens meine Absichten betrifft, so habe ich sie zum Teil schon erreicht, zum Teil gedenke ich, sie noch zu erreichen.«
»Det is een juter Mut, den ik mich lobe!« sagte Peter: »Alleene, wat det jnädige Fräulein zu tun jedenken, is mich völlik unklar un unwahrscheenlik. Oder sollten Sie nich jefesselt sin, wie unsereener?«
»Gefesselt allerdings; doch nur solange es mir paßt. Dann werde ich Sie alle befreien. Sie, Franz, müssen sich dann an den Kamelwächter dort hinten anschleichen und ihn möglichst geräuschlos knebeln: das haben Sie ja so famos gelernt aus dem Karl May. Sobald Ihnen dies gelungen ist, koppeln wir die Tiere in aller Stille los und besteigen die nächsten besten, ohne Sattel, denn damit dürfen wir uns nicht aufhalten. Wir jagen davon, – aber nach Süden, versteht sich!«
»Den Kamölwächter will i schun stumm machen,« versicherte der Bayer, »ball Sö ma dö Strick durchschneiden. Aba wie S' dös ferti bringen wölln, is ma a G'hoamnis und a Rätsel.«
»Gesetzt, Sie brächten das fertig,« warf der Baron ein, »so müssen wir nach Norden fliehen, und nicht nach Süden: dann erreichen wir vielleicht glücklich die Oase, ehe die Kerls uns wieder einfangen, sonst aber erwischen sie uns gewiß wieder, über kurz oder lang.«
»Ich sage Ihnen, nach Süden muß die Losung heißen!« eiferte die Harmonika: »Sie dürfen mir glauben, daß ich wohl weiß, was ich verlange. Was hülfe es uns, wenn wir die Oase erreichten und die Verfolger wären uns auf den Fersen und würden uns dort wieder gefangen nehmen? Sie würden ihren Zweck erreichen und die Leute dort überrumpeln, ehe sie genügende Verteidigungsmaßregeln treffen konnten. Es heißt jetzt: Zeit gewonnen, Alles gewonnen! Wir werden allerdings wieder in die Hände der Räuber fallen, aber sie durch unsere Verfolgung so lange hinhalten, daß sie in der Oase einen warmen Empfang finden werden.«
»Wenn Sie freilich so rechnen, so muß ich Ihnen zustimmen; aber wie wollen Sie Ihre und unsere Bande lösen?«
»Das will ich Ihnen gleich zeigen,« sagte die Harmonika fröhlich, und begann Billingers Stricke zu durchschneiden; denn es erwies sich nun, daß sie ihre Hände inzwischen schon frei gemacht hatte.
Wie ihr dies gelingen konnte, erklärte sie den Freunden erst später.
Monika Rommel besaß nämlich äußerst schmale Händchen, dagegen verhältnismäßig breite Handgelenke. Den Vorteil dieser besonderen Naturgabe hatte sie schon als kleines Mädchen erkannt und sich zunutze gemacht. Sie hatte nämlich mit Vorliebe an den Räuberspielen ihres Bruders mit seinen Kameraden teilgenommen.
Dabei war es üblich gewesen, die Gefangenen hart zu fesseln. Monika gelang es jedoch immer, sich ihrer Bande zu entledigen.
Wie sie das machte, blieb den andern ein Rätsel, und sie wahrte ihr Geheimnis. Immer wieder versuchten die Knaben, ihre Hände so fest zu binden, daß sie eine Befreiung für unmöglich hielten. Aber kaum hatten sie eine Weile den Rücken gewandt, so war das junge Fräulein wieder los. Auf die neugierigen Fragen, mit denen sie unablässig bestürmt wurde, antwortete sie stets lachend, sie stehe eben mit Feen im Bunde, die ihr unsichtbar zu Hilfe kämen. Mehr war nicht aus ihr herauszubringen. Selbst ihr Bruder kannte bis heute die Lösung des Rätsels nicht.
In Wirklichkeit war die Sache höchst einfach: während der Fesselung ballte sie krampfhaft die kleinen Fäustchen, wodurch die Muskeln des Handgelenks weit und hart hervortraten. Die zusammengepreßte Faust erschien viel breiter als das Handgelenk. Sowie sie jedoch die Finger ausstreckte und den Daumen unter den Mittelfinger legte, wurden Hand und Handgelenk äußerst schmal und bildeten beinahe eine Linie. Sie vermochte es dann, mit der größten Leichtigkeit aus der Schleife zu schlupfen, die nunmehr ihr Gelenk nur noch ganz lose umschloß.
Diesen Kunstgriff hatte sie auch diesmal, im Ernstfall, angewendet, mit dem üblichen Erfolg. Da die Räuber vorerst nicht daran gedacht hatten, ihre Kleider zu durchsuchen und ihr etwas abzunehmen, zog sie ihr Taschenmesser hervor und durchsägte Billingers Hand- und Fußfesseln. Während dieser sich gleich daran machte, den abgewandt sitzenden, ahnungslosen Kamelwächter zu beschleichen, machte Monika zunächst ihre eigenen Füße frei, und durchschnitt dann die Stricke, mit denen Steinberg, Grill und Mahmud gefesselt waren.
Ein dumpfer Laut verkündete den Befreiten, daß Franzls Fäuste dem Wächter an der Kehle saßen. Lautlos eilten sie hinzu, um bei dessen Knebelung und Fesselung behilflich zu sein. Dann wurden sämtliche Kamele losgekoppelt und jeder bestieg eines davon.
Jetzt hieben sie rechts und links mit Stricken auf die ledigen Tiere ein und brüllten dazu, was die Lungen vermochten, so daß die erschreckten Tiere nach allen Seiten auseinanderstoben.
Die Beduinen sprangen bei diesem Lärm entsetzt auf. Sie waren soeben mit ihrer Beratung zu Ende und gedachten an die Ausführung ihrer schwarzen Pläne zu gehen.
Jetzt wurde ihnen ein unerwarteter Strich durch die Rechnung gemacht: da suchten ihre Reit- und Lasttiere das Weite und die Gefangenen, die der Teufel befreit haben mußte, nicht minder.
Es begann eine wilde Jagd auf die Kamele, doch dauerte es eine geraume Weile, bis einzelne von ihnen eingefangen und bestiegen worden waren, so daß mit der Verfolgung der Flüchtlinge begonnen werden konnte.
Inzwischen waren diese im Dunkel verschwunden, denn der Mond hatte das Einsehen gehabt, gerade jetzt unterzugehen.
»Trennen wir uns!« gab die weise Harmonika die Losung aus, nachdem die Befreiten eine Weile nebeneinander geritten waren.
Alle sahen sofort ein, wie vernünftig der Vorschlag war, da die Verfolger dadurch wesentlich behindert werden mußten.
Mahmud und Grill wandten sich nach rechts, Steinberg behielt die gerade Richtung bei, während Billinger der Harmonika folgte, die sich nach links gewendet hatte.
Peter und der Araber wurden zuerst von den Beduinen entdeckt und zogen die ganze Schar auf sich, da von den andern nichts zu sehen war, und die Nachjagenden meinten, sie seien nur diesen beiden voraus; zum Teil meinten sie wohl auch überhaupt nichts, sondern schlossen sich blindlings ihren Kameraden an.
Die Sonne war schon aufgegangen, als Mahmud und Abu Homrah endlich ergriffen wurden. Nach den drei anderen weiter zu fahnden, schien nun aussichtslos, und da man jetzt doch vor Abend die Oase nicht mehr erreichen konnte, wurde den Kamelen noch einige Ruhe vergönnt und eine Mahlzeit gehalten. Dann ging es mit den beiden Gefangenen nach Norden.
Am Spätnachmittage kam die Oase in Sicht, und da es nun doch schon so weit war, beschloß Scheich Habibi, den Angriff auf die günstigere Zeit nach Mitternacht zu verschieben, und zog sich mit seiner Schar zwischen die beiden nächsten Sanddünen zurück, um dort wohlverborgen die Zeit des Überfalls abzuwarten.
Er konnte nicht ahnen, daß die Bewohner der nächsten Ansiedelung durch die Zitrone längst von seinem Vorhaben unterrichtet waren und daß aus einigen der Hütten, die man von hier aus kaum mit dem bloßen Auge erkennen konnte, einige Fernrohre unablässig nach ihm ausgespäht hatten. Die Ankunft der Bande war daher nicht unbemerkt geblieben, so wenig wie ihr Rückzug in das Dünental, und die Oasenbewohner wußten nun mit ziemlicher Genauigkeit, wo ihre Feinde lagerten.
Doch kehren wir zunächst zu den entkommenen Flüchtlingen zurück.
Als heute morgen die Sonne aufgegangen war, sah sich Steinberg nach allen Seiten um. Weit und breit konnte er keine Spur von Verfolgern entdecken; dagegen erkannte er im Osten einen Zug von Sanddünen, die ihm treffliche Deckung zu bieten versprachen. Er wandte sich daher dorthin und gelangte in das vorderste Dünental, in dessen Grunde er noch einigen Schatten fand.
Von der schlaflosen Nacht und der aufregenden Flucht ermüdet, beschloß er, hier etwas zu ruhen, und gab sich einige Stunden dem Schlummer hin. Dann ritt er gemächlich den Einschnitt entlang gegen Norden, wo er jetzt mit Recht die Oase vermutete.
Zu seinem höchsten Erstaunen erblickte er eine Stange auf dem Dünenrücken zur Linken. Selbstverständlich stieg er ab, da sein Dromedar nur mühsam den steilen, lockeren Abhang hätte ersteigen können, und begab sich hinauf, um das Wunder näher in Augenschein zu nehmen.
Wahrhaftig! Da fand sich ein Zettel an der Stange befestigt mit der deutschen Inschrift: »Nach der Oase!« und ein Pfeil gab die Richtung an.
Das war ja unerhört, was für Überraschungen diese sonst so eintönige Wüste barg! Einmal über das andere schüttelte Baron Erich sein blondes Haupt; aber so sehr dies die aufgerüttelte Gehirnmasse zum Denken anregen mochte, eine Erklärung des Rätsels wollte ihm nicht aufdämmern. Immerhin hatte er jetzt die trostreiche Gewißheit, daß er sich auf dem rechten Wege befinde, und über kurz oder lang die Stätte erreichen werde, wo er seinen rasenden Hunger und Durst würde stillen können.
Er beeilte sich daher, sein Sedassi wieder zu besteigen und es zur schnellsten Gangart anzutreiben.
Aber, was bedeutete das? Da steckte ja schon wieder eine Stange dort oben! Nochmals stieg er ab, um nachzusehen, und fand, daß es ein zweiter Wegweiser war, genau wie der erste. Nun folgten diese Merkzeichen einander in regelmäßigen Abständen, und Abu Haschisch schenkte es sich, den Ritt jedesmal zu unterbrechen, um die Inschrift zu lesen. Nur einmal machte er zur Vorsicht nach längerer Zeit noch eine Stichprobe, die seine Überzeugung bestätigte, daß überall die gleichen Worte wiederkehrten und es sich um eine planmäßige und ausgiebige Wegbezeichnung handle.
So ritt er rüstig weiter bis zum Abend.
Die Harmonika hatte sich, wie wir wissen, bei ihrer nächtlichen Flucht gleich den Dünen zugewandt, und Billinger war ihr in einigem Abstand gefolgt, verlor sie jedoch in der Dunkelheit aus den Augen.
Monika Rommel erreichte nach kurzem, scharfem Ritt das erste Dünental und hoffte, hier von den Verfolgern nicht mehr entdeckt zu werden, auch wenn es tagte: in der Dunkelheit konnten sie ihre Spur unmöglich erkennen, um ihr zu folgen, und so gewann sie auf alle Fälle einen mehrstündigen Vorsprung, den die Beduinen ihr nicht mehr abgewinnen konnten.
Als es hell wurde, vernahm sie jedoch den Hufschlag eines Kameles hinter sich: es mußte ihr schon ganz nahe sein, da im weichen Sande das Getrappel nicht weit zu hören sein konnte.
Überzeugt, daß es sich nur um einen der Beduinen handeln könne, der durch einen Zufall auf ihre Fährte geraten sei, und dem vielleicht noch andere folgten, wandte sie sich gar nicht um, sondern setzte ihr Dromedar wieder in Galopp und gedachte, zur Linken über die Düne wieder in die Sandebene zu entweichen und dort nach Westen zu halten, um die vermuteten Verfolger von der Oase abzulenken.
Da erscholl jedoch des Bayern Stimme hinter ihr: »I bin's, Fräulein Harmonika! Ich, der Franzl! Do brauchen S' fein nit Reißaus z'nehmen, als ob i a Beduwiner waar, a so a lumpeter. I tu Eahna g'wiß nix: im Gegentoal kumm i als Eahna Ihr Beschütza vur dö Halunken, dö spitzbübischen. In moana Begleitigung san S' sicha, dös derfen S' fein glaaben. Und wann so an Mohamediana, so an schuftiga, Eahna z'noh kimmen taat, nachher taat a vum Franzl a Watschen dawischen, aba a pfefferte, daß er vun soam buckleten Kamöl flügt, üba zwoa Sonddünen weg, wie mit oam Luftschüff. Alsdann kunnt a soana Glieda oanzeln z'sommenlesen und zuschaun, ob a's wieda z'sommensetzen konn. Aba ferti bringen tut a dös nit, ball a koan g'lernta Montähr is.«
»Gut, gut!« lachte die Harmonika, die sich auf ihrem Tier gewendet hatte, ihm entgegen: »Unter deinem gewaltigen Schutz fühle ich mich geborgen vor allen Gefahren: dös derfst fein glaaben!«
Auf einmal erblickte Abu Barlah eine der von der Zitrone gesteckten Stangen. Erstaunt hielt er an. Mit seinen scharfen Augen vermochte er aus der geringen Entfernung die Inschrift zu entziffern, die in deutscher Sprache nach der Oase wies.
»Jetz, do schau oana her!« rief er in höchster Verblüffung aus: »Dös is a richtigs Mörwunda, a Sondmörwunda! Ollweil hamma mit Recht g'schimpft, vunwegen, daß in dösa wüsten Sara koane Wegzoaga nit san, und jetz is a richtiga Wegweisa do, und gor a deutscha! A so hoallos ungebüldet, wie i ma vurg'stellt hob, sans dö Orober doch nit, wie's schoant.«
Seine Verwunderung wuchs, als er späterhin noch mehrere solcher Stangen sah. Die lachende Harmonika ließ ihn in dem Glauben, dies sei eine arabische Kultureinrichtung.
Kurz nach Mittag, also lange ehe die Beduinen ihr Lager im Dünental aufschlugen, erreichten die beiden die Oase, wo schon die lebhaftesten Anstalten zur Abwehr des drohenden feindlichen Angriffes getroffen wurden, da Hulda, die Warnerin, seit mehreren Stunden angelangt war, in Begleitung der Unke und des Kamelführers.
Die waffenfähigen Männer der nächsten Dörfer waren schon versammelt, und im Laufe des Nachmittages trafen auch diejenigen der entfernteren Ortschaften ein, mit ihnen Professor Rommel, der seine Nachforschungen nach dem Baron als aussichtslos aufgegeben hatte, nachdem er keine Spur von ihm hatte auffinden können. Mit Recht vermutete er, daß eine der anderen Streifen glücklicher gewesen sein werde.
Äußerst erfreut war er, zu vernehmen, daß er sich in dieser Voraussetzung nicht getäuscht hatte und der Vermißte tatsächlich gefunden worden war.
Betrüblich war allerdings, daß die Harmonika die Vermutung hinzufügen mußte, Abu Haschisch werde wahrscheinlich schon wieder in die Gefangenschaft der Beduinen geraten sein, zugleich mit Peter und Mahmud. Doch war ja zu hoffen, daß diese Gefangenschaft von nur kurzer Dauer sein werde.
Nun war ja die Vermutung der Harmonika, wie wir wissen, eine irrige, da Steinberg den Verfolgern entronnen war und sich auf dem Weg zur Oase befand. Leider jedoch war dieser Irrtum nur ein vorläufiger; denn der Pechvogel geriet an diesem Abend richtig wieder in die Hände seiner Feinde.
Die Sonne neigte sich zum Untergange, als der Vater des Krauts in schärfstem Galopp, ohne an eine Gefahr entfernt zu denken, um eine leichte Windung des Tales bog, das er nun seit dem Vormittag entlang ritt, ohne ein lebendes Wesen erblickt zu haben. Jetzt platzte er aber mitten in das Räuberlager hinein, das sich unmittelbar hinter jener Biegung befand.
Zu spät zügelte er sein Sedassi: noch ehe er es hatte wenden können, wurde er unter triumphierenden Hohnrufen heruntergerissen, und konnte nun seinem Diener und Mahmud Gesellschaft leisten, die er bereits gebunden vorfand.
Die drei freuten sich selbstlos, daß doch offenbar wenigstens Franz und die Harmonika entkommen waren, und sie hofften auf baldige Befreiung.
In der Oase herrschte indessen reges Leben. Der oberste Scheich der dort wohnenden Sippen, Ibrahim, leitete die Vorbereitungen und erwies sich als ein ganz vorzüglicher Feldherr. Durch Rommel, die Zitrone und die Harmonika, die den Feind durch die Fernrohre beobachtet hatten, erfuhr er dessen Lagerplatz, der etwa zwei Stunden entfernt war. Als genauer Kenner der beduinischen Gewohnheiten nahm er an, daß der Angriff erst nach Mitternacht erfolgen werde, wenn die Räuber glauben konnten, alle Oasenbewohner befänden sich im tiefsten Schlafe.
Ibrahim aber beschloß klugerweise, den Überfall gar nicht abzuwarten, sondern ihm zuvorzukommen. Gewiß wären die Beduinen mit Leichtigkeit zurückgewiesen worden und hätten die Flucht ergriffen, sobald sie merkten, daß die Krieger der Oase in großer Zahl versammelt und auf den Kampf wohl vorbereitet seien. Dann wären sie aber ohne bedeutende Verluste entronnen und hätten zu gelegenerer Zeit ihren Plan ausgeführt, wenn sie nicht erwartet wurden: war es doch ein Ding der Unmöglichkeit, sich durch Wochen und vielleicht Monate hindurch in beständiger Bereitschaft zu halten.
Wurde dagegen jetzt ihr Lager umzingelt, so war es möglich, ihnen eine so vernichtende Niederlage beizubringen, daß man fortan nichts mehr von ihnen zu befürchten hätte.
Dies überlegte der scharfsinnige Scheich und sandte gleich nach Dunkelwerden und vor Mondaufgang eine Abteilung in die Wüste, die weiter südlich, im Rücken der Feinde den Taleinschnitt besetzen sollte. Bei umsichtiger Erkundung merkten diese Leute alsbald, daß die Biegung der Schlucht, hinter welcher die Beduinen unmittelbar lagerten, ihnen eine Annäherung bis auf zweihundert Schritt ermöglichte, was äußerst vorteilhaft für sie war. Die Räuber hatten nämlich gar nicht daran gedacht, Wachen aufzustellen: gegen wen denn? Sie waren ja die Angreifer, vor denen man hätte auf der Hut sein sollen. Sie lagen da, in tiefster Verborgenheit, und, wie sie glaubten, hatte niemand eine Ahnung von ihrer Anwesenheit, außer etwa den Flüchtlingen, die jedoch gegen Süden geflohen waren.
Wenn auch der Scheich Habibi ein hellerer Kopf gewesen wäre, als er tatsächlich war, und die Möglichkeit in Rechnung gezogen hätte, daß die Oasenbewohner gewarnt sein könnten, so wäre es ihm doch nie in den Sinn gekommen, diese könnten den Stiel umdrehen und einen nächtlichen Angriff auf sein Lager unternehmen: so etwas war ja überhaupt noch nie erhört! Das Angreifen war Sache der Räuber und niemals derer, die von ihnen bedroht wurden: wußten letztere, was ihnen bevorstand, so setzten sie sich eben in Verteidigungszustand, und damit fertig.
Vom Standpunkt der Wüstenbewohner, die eben nicht mit dem noch nie Dagewesenen zu rechnen verstanden, war es also nicht einmal eine leichtsinnige Unvorsichtigkeit, daß unter den obwaltenden Umständen keine Wachen aufgestellt wurden, sondern eine Selbstverständlichkeit, mit der auch der Scheich der Oase ohne weiteres gerechnet hatte.
Wenn übrigens die Räuber überhaupt noch besonderer Gründe für ihre Sorglosigkeit bedurft hätten, so fehlte es auch nicht an solchen. Sie hatten, so lange es Tag war, fleißig Ausschau gehalten. Von dem Treiben im nächstgelegenen Dorf hatten sie der Entfernung wegen nichts bemerkt; dagegen hatten sie feststellen können, daß keine Menschenseele weit und breit in der Wüste sich zeigte, vor allem, daß aus der Oase niemand in die Wüste hinaus gegangen war. Und endlich, da der Aufbruch eine Stunde vor Mitternacht erfolgen sollte, wachten sie ja alle, nachdem sie sich vor dem Abmarsch noch die nötige Ruhe gegönnt hatten: wozu also Wachen aufstellen, was vielleicht einen Sinn gehabt hätte, wenn das Lager sich dem Schlafe ergeben hätte.
Außer der Abteilung, die im Rücken der Feinde lauerte, hatte der Scheich der Oase noch zwei andere vorausgesandt, die in aller Stille die Sandhügel zur Rechten und Linken des Lagers besetzten, wohl bedacht, daß sie sich vor den unten Lagernden nicht blicken ließen, was nur möglich gewesen wäre, wenn einer sich aufrecht auf dem Hügelkamm gezeigt hätte, so daß seine Gestalt sich gegen den Nachthimmel abhob.
Von drei Seiten war also der Feind eng umzingelt, als der Scheich der Oase mit dem Rest seiner Leute ihn von vorn angriff, kurz ehe der Aufbruch erfolgen sollte.
Sobald die ersten Flintenschüsse knallten, griffen auch die drei andern Abteilungen ein, begünstigt durch den inzwischen aufgestiegenen Mond.
Von allen Seiten schlugen die Kugeln ins Lager, und die Räuber erlitten schon die empfindlichsten Verluste, ehe sie nur dazu kamen, sich ernstlich zur Wehre zu setzen.
Da sie sich völlig eingeschlossen sahen, konnten sie von Anfang an nicht hoffen, erfolgreichen Widerstand leisten zu können. Dennoch dachten sie nicht daran, sich zu ergeben. Daß ihre Angreifer die Oasenbewohner waren, lag außer allem Zweifel, da es eine andere Möglichkeit gar nicht gab. Nun hatten die Beduinen diese ihnen zunächst liegende Oase zu verschiedenen Zeiten überfallen und ausgeplündert, wobei sie alles niedermachten was sich zur Wehr setzte.
Sie wußten also, daß sie es mit erbitterten Gegnern zu tun hatten, von denen sie so wenig Schonung erwarten durften, als sie selber jemals gegen sie bewiesen hatten. Es blieb ihnen also nichts übrig, als ein Durchbruchsversuch, oder der Trost, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Sie wehrten sich daher mit der größten Tapferkeit; doch war die Übermacht zu stark und ihre eigene Zahl schon gleich zu Beginn des Kampfes zu sehr zusammengeschmolzen, als daß es auch nur einem gelungen wäre, sich durch den mehrfachen Ring der Angreifer durchzuschlagen.
Nach einer Viertelstunde lag schon mehr als die Hälfte der Beduinen tot, von den Überlebenden waren die meisten mehr oder weniger schwer verwundet. Nun kam es zum Handgemenge, und in Bälde war der gesamte Rest gefangen genommen und gefesselt.
Für den Baron, Peter und Mahmud war es bei der tollen Schießerei ein Glück gewesen, daß sie am Boden lagen, und zwar etwas abseits, zwischen zwei Wächtern. So konnten sie schon zu Anfang durch die vorrückenden Truppen des Oberscheichs Ibrahim befreit werden, bei denen sich der Professor und Franz befanden, die besonders besorgt waren, daß dies möglichst rasch geschah. Sonst wären sie wohl kaum dem Schicksal entgangen eine oder mehrere Kugeln zu erhalten. Mahmud hatte bereits einen Streifschuß weg.
Die gefangenen Räuber wurden in der Oase zurückgehalten, bis ihre verwundeten Kameraden teils ihren Wunden erlegen, teils mehr oder weniger notdürftig wieder hergestellt waren. Dann mußten alle bei Allah und dem Propheten schwören, nie mehr eine feindliche Handlung gegen die Oase zu unternehmen. Dieser Eid konnte ihnen nicht schwer fallen, da ihnen nach solch blutiger Niederlage alle Lust zu einem derartigen Wagnis gründlich vergangen sein mußte und sie bei ihrer stark zusammengeschmolzenen Zahl in absehbarer Zeit überhaupt nicht mehr dazu imstande gewesen wären.
Hierauf wurden die Gedemütigten frei gelassen und durften zu Fuß heimkehren; denn ihre Kamele, sowie ihre Waffen, und überhaupt alles, was sie bei sich hatten, behielten die Sieger selbstverständlich als rechtmäßige Beute zurück und verteilten es redlich unter sich: das war ja lange noch kein Ersatz dessen, was ihnen im Lauf der Zeiten durch diese Schurken geraubt worden war!
Der Zitrone und der Harmonika verehrte der dankbare Ibrahim je ein Kamel, weil sie es vor allem waren, die den Anschlag der Beduinen verhindert und den glänzenden Sieg ermöglicht hatten.
Zwei Tage nach der Schlacht kehrte auch der Pascha in die Oase zurück: er hatte seine Streife recht gründlich genommen und weit ausgedehnt. Nun freute er sich herzlich, Steinberg und Grill wohlauf anzutreffen; denn des letzteren leichte Verwundung durch die Löwenpranke heilte rasch.
Billinger bedauerte den Kapitän herzlich, daß er den ruhmvollen Kampf versäumt hatte:
»Dös derfen S' fein glauben, Herr Pascha,« sagte er: »Wos mir g'loastet hamm in Eahna Ihra werten Abwesenhoat, dös is nit an d' Wond z'molen! Übalistet hamma dö stinketen Beduwinen, daß sö Maul und Aagen aufig'rissen hamm vur Vawunderung und hoallosa Wut. Fuchstuifiswild san s' g'west. Aba ma hamm s' in d' Pfannen g'hauen, daß koana hoal bliebn is. Auf d' letzten, do is's zum Hondg'meng kummen. Do hot ma da Scheich, da hoamtückisch, soan Dollich ins Herz oanistoßen wölln. Aba da Franzl, nit faul, hot dösan mahommedianischen Schlankerl an echte boarische Watschen vasetzt, so a pfefferte, daß er, wuppdich! üba zwoa Sonddünen wegg'flogen is, wie da fliegend Robert im Struwwelpeta, aba fein ohne Regenschirm. I woaß nit, hot a soane drecketen Glieda wieda z'sammeng'funden oda nit, aba z'letzten is a rattemausetot g'west, dös derfen S' fein glaaben. Mit soane Räuberein und Moritoten hot er's nit ondas vadeant, und wos is am aa oang'folln, da Franzl Billinger derstechen z'wöllen? Dös hätt a sö denken kunnen, daß der sö dös nit g'follen loßt, und dö Sachen hot schief gehn müssen für ihn. Denn, ball's amol hoaßt: er oda i, – nachher is's holta er, wo dran glaaben muß. Denn da Franzl hot ondre Protzen, wie a so an Beduwinenscheicherl, und a boarische Watschen gibt an Auftrieb, wie so a Patent-Daimla-Motor vun an Flugzeugerl: dös gibt a Lustroasen, ob oana Lust hot oda nit!«
Das mit der Ohrfeige war schon richtig: der Vater der Mauleselin hatte sie dem Beduinenscheich verabfolgt, als dieser mit gezücktem Messer auf ihn eindrang. Den Flug über die Dünen hatte freilich niemand beobachtet, was aber in der Hitze des Gefechts nicht zu verwundern war. Immerhin war Habibi von dem wuchtigen Schlag zu Boden geflogen, wo ihn die wohlgezielte Kugel eines erbitterten Oasenbewohners am Wiederaufstehen hinderte, ehe er wieder zur Besinnung kam.
Eines war sicher: mit Franzls derben Bayernpratzen ernstliche Bekanntschaft zu machen, war nicht ratsam.
Einen großen Triumph feierte Steinberg, als er seine Jagdtrophäen vorweisen konnte: die Löwenhaut und das prachtvolle Gazellengehörn. Und es fehlte nicht an aufrichtigen Glückwünschen, als Peter von den Heldentaten, und namentlich von dem unglaublichen »Meesterschuß« auf die Antilope berichtete.
Alle gestanden, sie müßten Abu Haschisch nun Abbitte leisten, daß sie ihn als Jäger bisher ganz gewaltig unterschätzt hätten.