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Charakteristisch für den Standpunkt des Verfassers sind sogleich die ersten Worte. Ein heutiges politisches Handbuch würde etwa beginnen: »Die Verfassungen der Völker im staatsbürgerlichen Vereine«. Dagegen heißt es hier: »Die Gewalten, welche Herrschaft über die Menschen ausüben«. Dieser Herrschaft setzt Macchiavelli die Freiheit entgegen, wie die Griechen und Römer Tyrannei und Republik einander entgegensetzten. Aber in seinen Betrachtungen über die Republik ( Discorsi sul Livio) ist eben sowol als im Buche vom Fürsten nur von der Befriedigung des Ehrgeizes und der Herrschsucht, hier des Einzelnen, dort der Partei, die im Staate regiert, und den äußern Verhältnissen die Rede. Nach einer von Simonde Sismondi am Schlüsse seiner Geschichte der italienischen Republiken vortrefflich ausgeführten Bemerkung sind in diesem Gemeinwesen des Mittelalters, wie in den griechischen und römischen, die Ideen von Freiheit und Unabhängigkeit nur auf diese äußern Verhältnisse und nicht auf den einzelnen Bürger angewandt, auch nur der herrschenden Mehrzahl zu Gute gekommen; während dagegen der Genuß der Freiheit und des Vermögens jedes Einzelnen, so weit dies Alles mit der Ordnung des Ganzen vereinbar ist, den Hauptgegenstand der politischen Speculation unserer Zeit ausmacht. An dieser für das menschliche Geschlecht sehr wohlthätigen Veränderung hat die Neigung zu metaphysischen Speculationen unverkennbar großen Antheil, und das darf bei der Beurtheilung des Zeitgeistes im achtzehnten Jahrhunderte nicht übersehen werden. Die Entwickelung abstracter Begriffe über die Rechte der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft erregt meistentheils bei denen, die die wirkliche Welt im Auge haben, nur ein mitleidiges Lächeln. Allerdings gehen aus dem Spiele mit abstrakten Begriffen oft Theorien hervor, die auf Nichts anwendbar sind, und diese haben unsinnige und verderbliche Unternehmungen erzeugt. Aber die Versuche wesentlicher Verbesserungen der rechtlichen Verhältnisse im Staate, mit denen sich unser Zeitalter so ernstlich beschäftigt, erhalten durch die sorgfältige Prüfung und Sonderung allgemeiner Begriffe eine bestimmte Richtung. Wir verdanken daher der Metaphysik wirklich weit mehr, als diejenigen glauben, welche sich mit der Verbesserung der Gesetze beschäftigen und sich des Einflusses der ihnen verhaßten oder von ihnen verachteten Systeme abstracter Begriffe auf ihre eignen Arbeiten nicht bewußt sind.
Dies Kapitel zeigt kurz die Vortheile, die es dem gebornen Fürsten so leicht machen, sich zu erhalten, so lange nicht ein Sturm von außen sich erhebt, der alle Berechnungen der Politik zu Schanden macht. Betrachten wir kurz die Ursachen, welche solche Katastrophen herbeizuführen im Stande sind.
Wenn es den erblichen Regenten so leicht ist, sich gegen innere Gefahren zu sichern, warum werden sie so oft ein Raub äußerer Feinde, denen zu widerstehen die Kräfte des Staates doch noch wol zureichten? – Weil sie diese Kräfte so wenig gebrauchen. Eben weil es so leicht scheint, und wirklich so leicht ist, eine angeerbte Herrschaft zu behaupten, so schläfert das Bewußtsein dieser Sicherheit ein. Die Fürsten werden sorglos, indem sie sehen, wie das Volk ihnen anhängt, und daß es ihnen anhängen muß. Ihre Rathgeber wissen es nur zu gut, daß Alles, was den Menschen werth ist, die Sicherheit des Eigenthums und die Erhaltung aller gewohnten Verhältnisse, mit demjenigen steht und fällt, der das oberste Glied der Kette in der Hand hält. Hierauf verlassen sie sich. Aber alle moralischen Bande unter den Menschen sind gegenseitig. Das Volk erkennt mit seinem geraden Sinne und unverdorbener Empfindung, daß es seiner Obrigkeit unterthan sein müsse, um frei zu leben und das Seinige sicher zu genießen. Die Religion heiligt dieses Verhältniß durch die Lehre, daß alle Ordnung von Gott kommt, der diejenigen eingesetzt hat, die sie handhaben. Aber die Großen und ihre Rathgeber, welche nichts empfinden, was der rechtlichen Denkungsart des Volks entspricht, verkennen ihren Gehalt. Sie halten die Anhänglichkeit desselben, worin ihre eigne größte Stärke liegt, für Eigennutz, und verachten sie als Beweise einer knechtischen Gemüthsart. Daher dürfen sie es denn auch nicht wagen, ihre Unterthanen in der Gefahr mit Bewegungsgründen aufzufordern, die ihr eignes Betragen für leere Worte erklärt hat.
Die Anhänglichkeit eines Volkes an das Haus seiner Fürsten beruht auf Ueberlieferungen der Ahnen: sie ist mit der Liebe zu alten ererbten Einrichtungen zu der Verfassung und den Maximen der Verwaltung, die dem ganzen Stamme des Volkes und seiner Häupter eigen sind, innigst verwebt. Wer mit diesen tief gegründeten Verhältnissen willkürlich spielt, zerstört den Grund, auf dem die Sicherheit des Staates und der regierenden Familie beruht. Es kann der Eitelkeit schmeicheln, Einrichtungen des Staates nach Gefallen abzuändern und seinen eignen Willen an die Stelle alles dessen zu setzen, was auf die Einsichten und die Autorität einer Reihe von Geschlechtern gegründet war. Wenn aber der Sinn des ganzen Volkes widerstrebt, so entstehen Schwierigkeiten, die der Kraft des mächtigsten Herrschers unüberwindlich sind. Bricht der allgemeine Unwille in offenbaren Widerstand aus, so ist die größte Kriegsmacht nicht immer vermögend, ihn zu überwältigen. So verlor Joseph der Zweite Belgien, als er die alten politischen und religiösen Ordnungen mit einem Schlage vernichten und einen neuen Staat nach seinen Ideen an die Stelle setzen wollte. Kommt es nicht so weit, so ist der bloße unthätige Widerstand der Untergebenen, die alle Mitwirkung verweigern, und das, was ihr guter Wille leisten sollte und könnte, den Dienern höhere Befehle überlassen, schon hinreichend, die Anschläge der Allgewalt zu vereiteln, die sich ohnmächtig fühlt, wenn sie von den eignen Dienern verlassen wird, welche nichts mehr ausrichten können. Eben so wenig vermag der Eigensinn des mächtigsten Regenten, der an ererbten Gewohnheiten festhält, welche mit dem Bedürfnisse der Zeiten und der veränderten Denkart des lebenden Geschlechts in Widerspruch gerathen. Man hat gesehen, daß Regierungen, die Recht und Macht auf ihrer Seite zu haben schienen, in solchen Unternehmungen bei der ersten Erschütterung gefallen sind; und wenn sie bestehen bleiben, so vergeht dennoch das, was sie festzuhalten vermeinten, ohne daß sie es merken, unter ihren eignen Augen und Händen.
Das persönliche Betragen, wodurch ein Erbfürst sich bei seiner Würde behauptet, ist z. B. von Haller in seinem »Handbuch der Staatenkunde« vortrefflich dargestellt. Wenn dieser Autor aber hinzufügt, daß Macchiavelli sich viel vergebliche Mühe damit gemacht habe, Mittel auszudenken, wie die Herrschaft aufrecht erhalten werden könne, da dieses doch aus ihren natürlichen Gründen ganz von selbst erfolgen müsse, so vergißt er, daß Macchiavelli nur von den Mitteln redet, eine neue Herrschaft zu gründen und zu erhalten, die nicht, wie sein Tadler von aller Regierung voraussetzt, aus natürlichen Verhältnissen erwachsen, sondern von Einem Manne willkürlich geschaffen ist. Und damit hat er sich so wenig eine vergebliche oder überflüssige Mühe gegeben, daß vielmehr oft ein Zweifel entsteht, ob der Schriftsteller, der doch Alles geleistet hat, was die Kräfte des menschlichen Verstandes in dieser Absicht vermögen, genug gethan habe. Denn es liegt, wie die Folge dieser Betrachtungen zeigen wird, in der Sache selbst, daß aller Aufwand von Verstand, und sogar die Ueberspannung aller Mittel, die sich aus demselben ziehen lassen, oftmals nicht zureicht, eine aus bloßer Selbstsucht errungene Herrschaft zu befestigen.
Dies Kapitel behandelt also die Mittel, ein fremdes Land zu unterjochen, nicht den Zweck selbst. Davon sagt der Autor nur vorsichtig: »Solche Unternehmungen werden immer bewundert« – nicht: »Sie verdienen bewundert zu werden«. Ein ewiger Friede ist unmöglich. Das Bestreben der Völker, ihren Zustand zu verbessern, führt natürlich Gelegenheiten herbei, kriegerische Talente und Tugenden zu zeigen, und die Helden solcher Kriege sind es, die von ihrem Volke als Wohlthäter verehrt, von der ganzen Welt bewundert werden. Dagegen täuschen sich die Eroberer, die nur eine wilde Herrschsucht zu befriedigen suchen, wenn sie die abgedrungene Schmeichelei der in Furcht gesetzten Völker für Beweise der Verehrung nehmen. Ihre Zeitgenossen verfluchen sie. Das folgende Geschlecht, das sie nicht mehr zu fürchten hat, schätzt sie gering.
Wenn Macchiavelli auch an alles dies gedacht hat, so hielt er vermuthlich dafür, es sei vergeblich, es den Großen zu sagen, die Lust haben, auf Eroberungen auszugehen. Aus dem Glücke der Menschen, das sie aufopfern, machen sie sich nichts, und an dem Erfolge ihrer Unternehmungen pflegen sie nicht zu zweifeln. Auch von der Seite ist ihnen schwer beizukommen. Wenn denn also erobert werden soll, so müssen die Mittel erwogen werden, wie eine eroberte Provinz behauptet werden kann. Hierüber sagt Macchiavelli sehr viel Treffendes. Dennoch übersieht er das sicherste Mittel, wodurch Eroberungen dauerhaft werden können. Dasselbe liegt außer seinem Gesichtskreise, da er nur die Neigungen und das persönliche Interesse des Machthabers beachtet, ohne die Völker an sich selbst für etwas gelten zu lassen. Durch diese engherzige Denkart wird das System des scharfsinnigsten politischen Schriftstellers mangelhaft: durch sie ist auch Napoleon I., der es vielleicht besser als je Einer im wirklichen Leben dargestellt hat, zu Grunde gegangen.
Welches andere Mittel gibt es denn, die neuerworbene Herrschaft über ein fremdes Volk zu sichern, welches man beim Macchiavelli vermißt? Es ist dies: eine Behandlung, welche Achtung und Zutrauen gegen das ganze Volk beweist, und indem sie die eigne Zufriedenheit desselben zu ihrem nächsten Zwecke macht, dadurch zugleich das kräftigste Mittel für die Zwecke des Herrschers erzeugt. Wenn man dem Volke die Verfassung läßt, die ihm lieb ist, und es von seinem vorigen Regentenhause nichts mehr zurückwünscht, als die Personen, so hat man die Erinnerung daran nicht so sehr zu fürchten. Wer Menschen für sich gewinnen will, muß ihnen die Ueberzeugung beibringen, daß Er es ist, durch den sie erhalten können, was sie verlangen. Wer sie nur fühlen läßt, daß er ihnen nehmen kann, was ihm gefällt, und daß sie Alles als Gnade annehmen müssen, was er ihnen wol lassen will; wer hiermit freiwillig auf alle feineren Beweggründe Verzicht leistet, und blos auf Gewalt trotzt, spielt ein gefährliches Spiel; denn Gewalt ist stets, und wäre sie auch noch so groß und schiene sie noch so fest begründet, feindlichen Zufällen unterworfen.
Schon von Hume ( Essays 1, 3) ist, wie ich sehe, bemerkt, daß das von Alexander eroberte Persien nicht so beschaffen war, wie Macchiavelli es darstellt, und daß die Fortdauer der von Jenem gegründeten griechischen Herrschaft auf andern Ursachen beruht habe. An sich selbst aber ist das Raisonnement des Macchiavelli zutreffend und vollkommen auf die Geschichte des Mittelalters anwendbar, in welchem die Verfassungen sich gebildet hatten, die Macchiavelli vor Augen lagen. In den Verhältnissen, die er darstellt, war die Ursache des abwechselnden Erfolges der langen Kriege zu suchen, die Frankreich und Spanien mit einander führten. Unruhige Große, die fremde Feinde hereinriefen und von ihnen abfielen, sobald die Verblendung aufhörte, mit der sie erwarteten, diese würden nicht für sich selbst, sondern für sie kämpfen und erobern. Ludwig der Vierzehnte dämpfte diese Unruhen, indem er den Uebermuth der Vasallen, woraus der Factionsgeist Nahrung zog, demüthigte. Seit jener Zeit hat sich auch der türkische Staat verändert. Die Verhältnisse der Statthalter in den Provinzen zum Sultan sind nicht mehr ganz dieselben, und daher findet das Raisonnement des Macchiavelli keine genau zutreffende Anwendung in der neueren Geschichte von Europa.
Macchiavelli hat Völker vor Augen gehabt, die heftigeren Leidenschaften unterworfen und größerer Aufopferungen fähig waren, als die meisten Nationen der spätern Zeit. Er redet von Zerstörung ganzer Städte, von völliger Auflösung von Staaten, wie von ganz gewöhnlichen und nothwendigen Dingen. Dies ist bei einem Schriftsteller natürlich, der die Zeiten der Guelfen und Ghibellinen im Sinne hatte: Zeiten, da Städte wie Mailand vom Kaiser Friedrich dem Ersten zur Vernichtung verurtheilt wurden, mit nicht mehr Bedenklichkeit, als womit heut zu Tage ein Edelmann etwa in Ländern, wo noch Leibeigenschaft herrscht, seine Bauern verpflanzt, um ihre Höfe einzuziehen. Nimmt man hierzu die unversöhnliche Rachsucht, die ewige Mordlust, die verblendete Wuth des italienischen Volkes, so wird es begreiflich, wie er Grundsätze aufstellen konnte, die nachmals bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts der allgemeinen Denkungsart und den Empfindungen der Gewalthaber selbst widerstritten. Die neuere Regierungsweisheit, ihre Finanz- und Kriegskunst, lehrt aus der Unterjochung der Völker Vortheile ziehen, die mit so gewaltsamen Maßregeln unvereinbar sind. Damals erforderte die geringere Macht der Fürsten und die Unvollkommenheit ihrer Veranstaltungen ein ganz anderes Verfahren. Wenn man erwägt, wie klein das Heer war, das Karl der Fünfte als Herr von Spanien und Indien, von Belgien und einem Theile von Deutschland und Italien mit aller Anstrengung dieses unermeßlichen Reiches auf Einen Punkt znsammenzubringen vermochte, wie schwer es ihm ward, das erforderliche Geld anzuschaffen, und wie unsicher dadurch alle Eroberungen wurden: so sieht man wohl, daß damals andere Maßregeln ergriffen werden mußten, als in den Zeiten, in denen die Herrscher über Armeen von Hunderttausenden und vermittelst eines grenzenlosen Credits über alles Geld der Völker disponiren.
Savonarola war ein halb religiöser, halb politischer Schwärmer. Während des Exils der Medici in den ersten Jahren des sechzehnten Jahrhunderts machte ihn ein großer Theil des florentinischen Volkes zum Abgotte. Der religiöse Fanatismus war der Grund, auf dem sein politischer Einfluß beruhte, und er hätte die Florentiner dadurch so unumschränkt beherrschen und seine Pläne durchsetzen können, etwa wie Mahomed, wenn er nicht in der Quelle seiner Gewalt selbst angegriffen wäre. Die Zwistigkeiten seines Ordens mit andern Mönchen erregten ihm Neider und Nebenbuhler, die eben so ausschweifende Wunderthaten des Glaubens ankündigten, als er selbst. So ward das Volk irre und sah ruhig zu, wie ein Mann verbrannt ward, der wenige Monate vorher dreist hätte wagen dürfen, seine Gegner zum Feuertode zu verdammen. – So unsicher ist Alles, was auf der Kombination heterogener Dinge beruht! Wenn der ehrliche Fanatiker zu Grunde geht, sobald er seine Schwärmerei gebrauchen will, sich politischen Einfluß zu verschaffen; wie muß es dann erst dem ergehen, der nur die Maske davon annimmt, und sich dessen, was bei Jenem in allem Ernste Beweggrund war, nur als eines armseligen Kunstgriffs bedient.
Es bedarf übrigens kaum einer Erinnerung, daß Alles, was Macchiavelli von der geringen Kraft der Neuerungen und von der Unzuverlässigkeit ihrer Anhänger sagt, nur auf die Unternehmungen bezogen werden darf, die von einzelnen unruhigen Köpfen herrühren. Wenn diese Neuerer auch anfangs schwach und an Zahl unbedeutend sind, so können sie es durch ihren lebendigen Feuereifer und ihre hartnäckigen Anstrengungen doch bald dahin bringen, die Majorität, die unter sich nicht einig ist und nur schlaffen Widerstand leistet, zu beherrschen und sie zu zwingen, ihre Ansichten anzunehmen und sich ihrer Führung zu unterwerfen.
Wahrscheinlich geht es dem Leser bei der ersten Lectüre dieses Kapitels wie den Bewohnern von Cesena, als sie den ermordeten Remiro d'Orco ausgesetzt fanden: staunend verstummten sie bei dem Anblick. Man sollte fast glauben, Machiavelli habe diese Geschichte idealisirt, um Etwas aufzustellen, das in seiner Art nicht zu übertreffen war. Vielleicht war der Richter nicht blos ein harter aber gerechter Mann von etwas grausamer Gemüthsart, sondern er befriedigte seine eigenen schlechten Leidenschaften, unter dem Vorwande der Gerechtigkeit, die er handhaben sollte. Cäsar Borgia hat ihm vielleicht eine Zeit lang nachgesehen, weil er ihn sonst brauchbar fand, und am Ende der Gerechtigkeit selbst ein Opfer gebracht, indem er ihn hinrichten ließ. War er aber wirklich das, wofür Macchiavelli ihn ausgibt, so war auch dieser einzige falsche Streich des Fürsten hinreichend, zu verhindern, daß sich nie wieder ein Mann von Ehre und zuverlässiger Gesinnung zu seinem Dienste hergab. Und eines Mannes von Ehre und zuverlässiger Gesinnung bedurfte doch der Herzog von Valentinois zur Ausführung seiner Pläne.
Dieser Held des Macchiavelli, dessen Betragen er so oft allen denen zum Muster aufstellt, die nach der Herrschaft streben, war klüger, entschlossener, und ging zusammenhängender zu Werke, als die große Zahl derer, welche sich damals, so wie Er, Alles erlaubten, um sich zu erheben. Die Herren, die er zu Sinigaglia ermorden ließ, wie Macchiavelli in einer besondern Erzählung ausführlich berichtet, waren um nichts besser als er, und in Rücksicht auf ihre Unterthanen viel schlechter. Insbesondere liest man von dem Oliverotto, Herrn von Fermo, eine solche Reihe von Schandthaten, daß es eine Art von Beruhigung gewährt, zu erfahren, daß er am Ende durch einen mächtigern bösen Geist bestraft und von der Erde hinweg geschafft worden. Wo der ganze Haufe der Mächtigen sich den wildesten Leidenschaften ergibt und die Menschheit auszieht, da ist es ein großer Gewinn, wenn Einer durch die Ueberlegenheit seines Verstandes die Oberhand behält. Dieser wird, um seines eignen Vortheils willen, manches Gute thun, manches Ueble hindern. Der Cäsar Borgia war unstreitig listiger und hatte dabei etwas Größeres in der Gesinnung, als seine Mitwerber. Ob er aber wirklich ein solches Ideal von Verstand war, wozu ihn Macchiavelli machen will, könnte noch bezweifelt werden. Das Gespräch mit dem, dessen Macchiavelli gedenkt, kann den Verdacht erregen, daß es einigen Einfluß auf sein Urtheil gehabt habe. Es war allzu schmeichelhaft, von dem furchtbaren Manne, der Geißel seiner Zeit, einer vertraulichen Mittheilung gewürdigt zu sein, als daß derselbe nicht dadurch ein größeres und bewunderungswürdiges Ansehen erhalten haben sollte. Er mag inzwischen den Ruhm, den Macchiavelli ihm beilegt, verdient oder nur erschlichen haben: von größerem Interesse ist die Frage, ob es denn wirklich, so wie Macchiavelli behauptet, für eine Vollkommenheit des Regenten gelten kann, wenn er die Menschen insgesammt nur als Werkzeuge seiner Absichten ansieht, und sich aller Empfindungen für sie entäußert, um große Zwecke zu erreichen.
Daß Große der Erde so denken, ist ja etwas sehr Gewöhnliches. Man braucht dazu auch nicht Regent zu sein. Vielmehr ist es noch eine Frage, ob es nicht den Geringern öfter gelingt, Höhere und Mächtige, die sich das nicht träumen lassen, so zu mißbrauchen, als den Großen, welche die Geringem bei Weitem nicht so gut kennen, als sie von ihnen gekannt werden. Ist es aber die rechte Denkungsart für die Ausführung großer Entwürfe, wenn man die Menschen um sich her nur als eine eigne Art von Maschinen ansieht, deren Kräfte und Wirkungen der Berechnung unterworfen werden können, und das ganze verwickelte Gewebe ihrer Verhältnisse als ein Spiel betrachtet, in welchem man, eben so wie in andern Glücksspielen, nur so lange glücklich sein kann, als man sich der eignen Empfindung entschlägt und alle Handlungen von dem eiskalten Verstande bestimmen läßt?
Die Triebfedern der Menschen liegen doch nicht so deutlich vor Augen, daß ihre Wirkungen nach klaren Gesetzen mit Sicherheit vorher bestimmt werden könnten. Der größte Kenner wird unzählige Male durch unerwartete Anomalien überrascht. Wie selten findet man einen nur mäßig consequenten Menschen! Wer vermag die übrigen mit einiger Zuverlässigkeit zu errathen?
Eben so wenig kann man sich selbst zu einem bloßen Werkzeuge seines eignen Verstandes machen. Wenn der Macchiavellische Politiker auch von sich selbst ganz sicher sein könnte und sich nie verriethe, so thut doch sein erkünsteltes Betragen nicht die rechte Wirkung. Wer von lebhafter Empfindung ergriffen, ist, reißt Andere mit sich fort. Diese Kraft des wahren Gefühls ist nicht durch eine, wenngleich noch so gut ausgedachte und gespielte Rolle zu ersetzen. Die Menschen lassen sich auf die Länge nicht so anführen. Gerade die Einfältigsten sind darin oft zum Bewundern scharfsichtig. Sie sind nicht im Stande, sich selbst klar zu machen, warum ihnen so übel zu Muthe ist: aber ihre eigne ehrliche Gesinnung verräth ihnen, daß sie nur zum Spiele des überlegenen Verstandes dienen sollen. So glücklich auch einzelne schlau ausgesonnene Streiche ausfallen, so verfehlt das ganze Gewebe der Kunst doch seinen Zweck.
Endlich verzeiht das allgemeine Urtheil dem, der sich Alles erlaubt, die Schlechtigkeit seiner Mittel, doch nur dann, wenn er das Ziel wirklich erreicht hat. Wer es wagen will, sich über die Moralität ganz hinwegzusetzen, muß also wenigstens des Ausganges gewiß sein. Er muß zum Voraus Alles übersehen, auf jeden Fall gefaßt sein und nie einen falschen Schritt thun. Cäsar Borgia, den Macchiavelli als das vollkommenste Muster eines politischen Betragens aufstellt, hat doch Einen Fehler gemacht. Und gerade durch diesen Fehler ist er zu Grunde gegangen. Denn eben die Papstwahl, wobei er den Schritt verfehlte, den er thun mußte, um sich sicher zu stellen, stürzte ihn in die Gefangenschaft, worin er sein Leben beschloß.
Wenn aber auch in einem ganzen langen Leben, unter den schwierigsten Umständen, durchaus kein Fehler gemacht würde, – eine Sache, die leichter zu denken, als auszuführen ist – so bleiben noch immer die zufälligen Begebenheiten übrig, die sich gar nicht voraussehen lassen. Wer nicht sich selbst aufs Spiel setzen und seine ganze Zufriedenheit daran wagen will, wie die Karte fällt, wird bei jedem unerwarteten Vorfalle darauf zurückgeführt, daß die reine Absicht mehr werth ist, als alle Kunst; die ächte Güte des Willens mehr, als aller Verstand, der seiner Natur nach dem guten Willen dienen sollte, statt daß er verkehrter Weise zum Herrn eingesetzt wird.
Bisher ist von der klugen Benutzung günstiger Umstände die Rede gewesen. Wie aber, wenn das Glück, dem so Viele, die groß geworden sind, die Gelegenheit dazu verdanken, seinen Beistand versagt? Alsdann muß derjenige, der herrschen will, auch diesen Mangel ersetzen und sich selbst den Weg eröffnen. In einem vollständigen Lehrbuche des Ehrgeizes darf die Anweisung hierzu nicht fehlen, und davon handelt Macchiavelli im achten Kapitel.
Die angeführte Ueberschrift schon gibt zu erkennen, welche Gesinnungen man zu erwarten hat.
Es gibt mehrere Wege zum Throne. Große Verdienste: dreiste Verbrechen. Beide kommen in der Geschichte vor. Von beiden muß hier erklärt werden, wie man glücklich durchkommt oder untergeht.
So viel ist wahr: allgemeine Gesetzlosigkeit ist der schlimmste Zustand, in den ein Volk gerathen kann. Das erste Bedürfnis; jeder menschlichen Gesellschaft ist bürgerliche Ordnung; Gesetze und Gewalt sie einzuschärfen. Man muß aber erst Herr sein, ehe man regieren kann. Die Zügel müssen also mit starker Hand ergriffen werden, und es möchte immerhin Einer für sich selbst Ausnahme von allen moralischen Gesetzen machen, wenn er dadurch in den Stand gesetzt würde, alle Andern zu ihrer Befolgung anzuhalten. Ein einziges Verbrechen, das dahin führt, könnte als nothwendige Abweichung von der Regel entschuldigt werden, wenn es das einzige bliebe. Das ließe sich aber nur von dem erwarten, bei dem es nicht aus dem Herzen entsprungen, sondern vernunftmäßig beschlossen wäre, weil es mit ruhiger Ueberlegung als das einzige Mittel zu großen und guten Zwecken erkannt worden. Hat aber die Geschichte wol Männer aufzuzeigen, die ein großes Verbrechen begangen hätten, blos um wohlwollenden Neigungen einen freieren Wirkungskreis zu eröffnen? So meint es auch Machiavelli selbst nicht. Er sieht die Sache nur aus dem Gesichtspunkte des Ehrgeizes an. Für diesen gibt er Lehren: die dadurch errungene Herrschaft mag dann gebraucht werden, wie es dem Mächtigen gefällt.
Besondere Beachtung verdient noch die letzte Bemerkung dieses Kapitels, da sie nicht nur für den hier behandelten Fall gilt, sondern auf jeden Regenten Anwendung findet. Bei allen harten Verfügungen, zu denen man durch außerordentliche Umstände veranlaßt wird, ist es immer sehr wohlgethan, Macchiavelli's Rath befolgend, mit einem einzigen Schlage zu vollführen, was man vorhat. Vorzüglich trifft diese Erinnerung die Behandlung großer Staatsverbrecher, »Schlage den Hirten und die Schafe werden sich zerstreuen.« So lange aber diese in Ungewißheit bleiben und Strafe für das Vergangene besorgen, werden sie gereizt, sich durch Erneuerung der fehlgeschlagenen Entwürfe zu retten. Haben sie nichts mehr zu fürchten, so verlieren sie allmählich das Interesse an der Sache und an den Führern, die dafür gelitten haben, und bemühen sich es Andere vergessen zu machen, daß sie an der verunglückten Unternehmung Theil gehabt. Große politische Verbrecher nehmen ferner außer ihren entschiedenen Anhängern leicht eine Menge ihrer Mitbürger durch blendende Verwände ihrer verrätherischen Anschläge für sich ein. Diese, welche, ohne selbst für die Sache thätig gewesen zu sein, günstig von ihr dachten und den Unternehmern wohlwollten, sind nicht leicht eines Bessern zu belehren. Aber sobald sie die Hoffnung aufgeben müssen, daß die Sache gelingen könne, so werden sie gern glauben, sie sei vergessen. Darüber vergessen sie sie wirklich am Ende selbst. Dazu aber ist nothwendig, daß sie sobald als möglich für beendigt erklärt werde. Alsdann wird die Aufmerksamkeit des großen Haufens bald durch die neuen Angelegenheiten des Tages abgelenkt.
Ueber dies treffliche Kapitel ist nichts weiter zu sagen, als daß es einen Zustand der Welt voraussetzt, der nicht mehr existirt. Sobald Heere von Hunderttausenden auf dem Kriegstheater erscheinen und die Uebermacht entscheidet, kann nicht mehr von der Vertheidigung kleiner Herrschaften die Rede sein. Damals bedeutete jeder einzelne Fürst, der eine Stadt befaß, und jede kleine Republik etwas, sobald Verstand da war, die geringen Kräfte zu gebrauchen und unter der großen Menge der Nachbarn durch geschickte Unterhandlungen Hilfe zu suchen. In solchen Zeiten haben alle Kräfte des Verstandes und des Gemüthes Gelegenheit zu freier Entwicklung. In Perioden aber, wo eine übermächtige Gewalt Alles besiegt und unterjocht, kommt nichts auf, was Interesse zu erregen verdiente. Die Nachwelt aber übt Gerechtigkeit aus: sie mag nichts von den Thaten dessen hören, der doch wähnte, sie werde sich ganz allein mit ihm beschäftigen!
Dieses Kapitel ist das dürftigste oder vielmehr das einzige schwache im ganzen Werke. Macchiavelli hat im Eingange versprochen, von den verschiedenen Arten der Herrschaft zu reden. Man erwartet hier also Bemerkungen über die eigenthümlichen Verhältnisse; in denen sich die geistlichen Fürsten befinden, über die starken und die schwachen Seiten ihres weltlichen Ansehns und über die in der That höchst merkwürdige Rolle, die sie in der Geschichte spielen. Wenngleich Macchiavelli überhaupt die Unternehmungen, die Grundsätze, das Betragen der Fürsten, in Beziehung nicht auf die regierten Völker, sondern nur auf die Befestigung der Herrschaft selbst betrachten wollte, so war noch immer genug über die geistlichen Fürstenthümer zu sagen. Diese, sagt er, bestehen unter dem Schutze des religiösen Vorurtheils, und wenn einer nur durch glückliche Intrigue oder Zufall auf den heiligen Stuhl erhoben worden, so wird von ihm nichts weiter gefordert, um sich zu behaupten. Hat er Geist genug, sein Glück zu benutzen, und Sinn für den einzigen Genuß, der eines Fürsten würdig ist, für die Befriedigung der Herrschsucht, so wird er es machen, wie Sixtus der Vierte, Alexander der Sechste, Julius der Zweite, Leo der Zehnte. Hat er das nicht, so mag er sein Leben mit Beten zubringen, oder mit Schlemmen, wie es ihm gefällt. Abgesetzt wird er dafür nicht werden. Mit diesem bösen Spotte fertigt Macchiavelli den heiligen Stuhl ab. Jene Päpste, von denen er hin und wieder redet, waren Männer von heftigen Leidenschaften und Meister in der Politik, die in Italien zu ihrer Zeit die höchste Ausbildung erhalten hatte und deren Geheimnisse Macchiavelli aufdeckt. Sie waren insgesammt seine Zeitgenossen, und er hatte keinen Andern auf dem päpstlichen Stuhle gesehen.
Aber es hat auch Perioden in der Geschichte gegeben, in welcher die Häupter der Kirche in ganz anderm Geiste auf die Angelegenheiten der Völker einwirkten; wo sie Schiedsrichter der Könige waren und durch ihr friedliches Ansehn größere Kriege beilegten, als der feurige Ehrgeiz Julius des Zweiten erregt hat. Auch dies hing von dem persönlichen Charakter und den Talenten einzelner Päpste ab. Aber die Mittel, wodurch sie so große Dinge ausgeführt haben, lagen in der Natur ihrer Würde. Die veränderte Denkart verschiedener Zeiten erforderte jedesmal besondere Modificationen. In: sechzehnten Jahrhunderte konnte die Sache nicht durch einen hingeschleuderten Bannstrahl ausgemacht werden, wie zu der Zeit Gregor des Siebenten; aber das Verhältnis; des heiligen Stuhls zu den weltlichen Monarchen war doch im Grunde immer dasselbe, wenn es gleich nicht mit so hoher Hand geltend gemacht werden durfte.
Die Päpste genossen als Oberhäupter der christlichen Kirche ein Ansehn, das allemal um so viel größer und unverletzlicher war, jemehr sie sich bemühten, im Geiste ihrer Würde zu handeln und das Interesse ihrer weltlichen Besitzungen und ihrer Familien so weit zu verläugnen, daß es wenigstens nicht als nächste und vorzüglichste Triebfeder hervorleuchtete. Alle Verhandlungen, die mit dem Päpstlichen Hofe geführt sind, oder in welche dieser auch nur verwickelt gewesen ist, haben einen eignen Charakter. Der überlegnen Macht darf der Schwächere nicht wagen entgegen zu setzen: » Ich will nicht«( non volumus). Aber wenn sein demüthiges: » Ich kann nicht« ( non possumus) durch den Zusatz » wegen meines Gewissens« geschützt wird, so erhält er vielleicht Gerechtigkeit für Andre, wenigstens Schonung für sich selbst. Di« Verhandlungen unter den erbittertsten Gegnern nehmen einen ganz andern und sanftern Charakter an, wenn eine Person dazwischen tritt, die sich gegen Beleidigungen nicht wehren kann, die man aber nicht beleidigt, ohne sich selbst mehr zu beschimpfen, als seinen Gegner. Wie oft hat die Dazwischenkunft eines als Fürsten ohnmächtigen, aber wegen der allgemeinen Verehrung der Völker gegen seine geheiligte Person gefürchteten Papstes die entschlossensten, ehrgeizigsten, ungestümsten Kriegshelden aufgehalten, und ganzen Ländern einige Jahre Ruhe verschafft! Wenige Fürsten haben es gewagt, gegen sie die Härte, den Ungestüm, den Eigensinn zu äußern, wodurch ihre Uneinigkeiten unter sich so fürchterlich werden. Die Politik des römischen Hofes besteht in geschicktem Zaudern, Durch unendlichen Aufschub, Wiederholung derselben Aeußerungen in andrer Gestalt und mit veränderten Wendungen ist dort unzählige Male einbrechendes Ungewitter abgeleitet. Von wem anders hätte man sich das gefallen lassen, als von dem, der in seinen Verhandlungen mit weltlichen Mächten die Sprache des alten Mannes zu der feurigen Jugend redete, und den diese Sprache wohl kleidete, Wenn man in der Geschichte findet, wie die Gesandten der größten Mächte ihrer Zeiten, französische und spanische Abgeordnete, unter dem Vorsitze eines päpstlichen Legaten, der nur ermahnen soll und gar nicht drohen kann, wenigstens den Anschein friedlicher Gesinnungen annehmen und durch den Anstand gegen den gemeinsamen Vater der christlichen Völker zu einem nachgibigen Betragen verleitet werden, so kann man sich nicht enthalten zu wünschen, daß noch jetzt eine Autorität vorhanden sein möchte, der diese Mittel zu Gebote standen.
Die Religion bezieht sich auf die Bedürfnisse, die Rechte und Würde der menschlichen Natur, auf welche der Geringste wie der Höchste und Mächtigste Anspruch machen darf. Wie die bürgerlichen Verhältnisse auch beschaffen sein mögen, in der Kirche sind die Menschen an sich selbst etwas: da dürfen sie nicht als bloße Werkzeuge und Untergebene ihrer Herren betrachtet werden. Dem Oberhaupte einer solchen geistlichen Gemeinheit steht es daher sehr wohl an, Bewegungsgründe vorzubringen und an Grundsätze zu erinnern, die in dem Munde des weltlichen Staatsmannes vielleicht verlacht würden.
Der Einfluß der geistlichen Gewalt auf die Angelegenheiten der Welt ist zwar eben sowol dem Mißbrauche unterworfen, als die Herrschaft des Schwertes; und es ist doppelt empörend, wenn das angebliche Seelenheil der Menschen nur zum Vorwande der nämlichen Leidenschaften dient, die der Kriegsheld auf andern Wegen zu befriedigen sucht. Ein Lehrbuch der geistlichen Regierungskünste, von einer Feder wie Macchiavelli's, müßte noch unangenehmere Empfindungen erregen, als die Stellen im Buche vom Fürsten, die das Gefühl am meisten beleidigen. Dieser Mißbrauch der geistlichen Herrschaft hat den Bemühungen der weltlichen Regenten, ihr Ansehn zu vernichten, allgemeinen Beifall verschafft. Die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts hat entschieden für diese Partei genommen, und nach den Grundsätzen eines speculativen Naturrechts die geistliche Autorität aus der bürgerlichen Verfassung verwiesen. Aber die Staaten der wirklichen Welt sind nicht nach reinen Abstractionen angeordnet, und ihre Verhältnisse können nicht nach einfachen Principien beurtheilt werden. Der ursprüngliche Beruf des christlichen Priesterthums, der die Gelehrsamkeit als seine vorzüglichste Beschäftigung voraussetzt, hat auf die ganze innere Verwaltung und auf die äußern Verhandlungen der geistlichen Fürstentümer einen großen Einfluß. Selbst die Hofhaltung des Oberhauptes der katholischen Kirche ist danach eingerichtet, und die ganze Politik desselben sucht die weltlichen Angelegenheiten einem höhern, zwar nicht immer wohl verstandenen, aber an sich selbst ehrwürdigen Interesse unterzuordnen.
Zu den Zeiten Macchiavelli's war die Hierarchie von demselben verderblichen Geiste ergriffen, der ganz Italien verwirrte. Aber der Sinn für literarische Cultur und Liebe zu den Wissenschaften, die sich mit der größten Schnellkraft entwickelten, erzeugte einen neuen Charakter, den auch die hohe Kirche annahm. Bald nach dem Zeitalter Macchiavelli's bestieg ein Mann den heiligen Stuhl, der die Satyre, die wir gelesen haben, mit der That widerlegte, und bewies, was Regententugenden auf jener Stelle vermögen. In einer kaum fünfjährigen Regierung hat Sixtus der Fünfte nicht allein sein Ansehn bei fremden Mächten eben so gut und noch weit mehr behauptet, als Alexander, Julius und Leo. Er vollbrachte daneben in dieser kurzen Zeit Alles, Alles, was die thätigste fürstlichste Verwaltung zu leisten vermag. Ruhe und Ordnung wurden hergestellt, öffentliche Sicherheit geschafft, die vorher im Kirchenstaate Niemand kannte; Gerechtigkeit gehandhabt, der Wohlstand befördert, und dabei eine unglaubliche Menge der glänzendsten Unternehmungen vollendet, die der Stadt Rom die Bewunderung der hinströmenden Welt verschafften.
Dieser Sixtus gehörte zu den seltenen Männern, denen Alles zu gering ist, was allein persönlichen Ehrgeiz oder Familieninteresse befriedigt, die nichts ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Bemühungen werth achten, als öffentliche Ordnung und Wohlfahrt; für die nichts so großen Reiz hat, als was das Interesse des menschlichen Geistes angeht. Solche Menschen können auch auf Thronen geboren werden. Aber in der Beurtheilung der Bedürfnisse des Privatlebens wird ihnen der immer überlegen sein, der durch diese selbst hindurchgegangen ist. Hierin könnte ein Vorzug der Verfassung liegen, worin die Regenten nicht durch das Recht der Geburt bestimmt werden. Aber in welchem Wahlreiche wird man durch jene Eigenschaften auf den Thron erhoben, außer im geistlichen? Wenn in einem andern der Privatmann hoffen darf, die Intriguen der Familien und Parteien durch persönliches Verdienst zu überwinden, so ist es nur der Kriegsheld. Die Geschichte des Dejoces, den die Meder wegen seiner Gerechtigkeitsliebe zum Könige gewählt haben, gehört in die alten Zeiten, von denen man gar viel erzählen kann. Auf den päpstlichen Stuhl aber sind in allen Perioden von Zeit zu Zeit Männer erhoben, von deren Herkunft Niemand etwas wußte, und die sich blos durch persönliche Vorzüge den Weg gebahnt haben.
Familienintrigue hat zwar oft auf die Wahl von Päpsten und auf die Politik derselben einen entscheidenden Einfluß gehabt, und die Nepoten haben nicht blos in der innern Staatsverwaltung, in welcher ihnen keine ständischen Rechte Widerstand leisteten, großen Schaden gethan; sie haben auch oft die Staatshändel aller Mächte von Europa verwirrt, die das Ansehn des heiligen Stuhls vielmehr hätte besänftigen sollen. Die Farnese, die Caraffa, die Barberini spielen keine schöne Rolle in der Geschichte. Aber das ganze Gebäude der hohen Kirche beruht so wesentlich auf der Bildung des Geistes, ihre weltliche Macht, Reichthum und Einfluß ist so sehr mit den Anstalten für wissenschaftliche Cultur verwebt, daß Verdienste um diese letztere immer in guten Zeiten einen überwiegenden Einfluß haben, und selbst in den schlechtesten nicht ganz zurückgesetzt werden können. Wenn man zum Beispiel die Schilderung liest, die der Cardinal Bentivoglio, selbst ein ausgezeichneter Staatsmann und Schriftsteller, von dem Cardinals-Collegium und dem päpstlichen Hofe macht, so wie er es unter Clemens dem Achten bei seinem ersten Eintritte in die Welt fand, so erstaunt man über die Menge von Cardinälen und andern hohen Dignitaren, die sich durch Gelehrsamkeit oder durch große Geschicklichkeit in Staatshandlungen zu ihrer Würde emporgeschwungen hatten, ohne durch irgend etwas Anderes empfohlen zu sein. Rom hat nicht zu allen Zeiten eine so ehrwürdige Prälatur besessen; aber Talenten, Einsichten und Kenntnissen ist der Weg zu hohen Würden niemals ganz verschlossen gewesen, selbst nicht unter den Päpsten, die ihre Erhebung keinen persönlichen Vorzügen verdankten.
Die deutsche hohe Geistlichkeit, welcher man das in mancher Rücksicht verdiente Lob durch einseitige Schilderung aller Nachtheile der ehemaligen deutschen Reichsverfassung mit Unrecht zu entziehen sucht, ist jedoch hinsichtlich des persönlichen hervorstechenden Glanzes einzelner Prälaten weit hinter der italienischen zurückgeblieben. Man hat es schon in sehr frühen Zeiten darauf angelegt, den Weg zu hohen Stellen allen denen zu verschließen, die sich nur auf Verdienste berufen konnten; und diese Bemühungen des deutschen Adels, alle Stellen in hohen Stiftern in dem Kreise gewisser Geschlechter festzuhalten, in welchem sie nach einer gewissen Billigkeitsrolle vertheilt werden müßten, ist nicht ohne Wirkung geblieben.
In Rom hat man nie lernen können, so zu denken. Der Besitzstand, bei dem die deutschen Prälaten sich so Wohl befanden, war gar nicht hinreichend, die Absichten und Bedürfnisse der ganzen Hierarchie zu befriedigen. Der Einfluß, den sie immer zu erweitern strebte und nur mit ausnehmender und ununterbrochener Aufmerksamkeit aufrecht erhalten konnte, erforderte vielmehr eine große Thätigkeit und Bekanntschaft mit der ganzen Welt, mit der vergangenen und mit der lebenden. Es ist daher ganz falsch, Was Macchiavelli von der Geistlichkeit sagt: das ihre Häupter auf ihren hohen Stellen durch die Kraft der Trägheit, die in allen Einrichtungen liegt, erhalten werden, sie mögen sich aufführen wie sie wollen. Vielmehr hat sich in der Geschichte keines einzigen Staates deutlicher gezeigt, wie viel wahrer Verstand und gute Gesinnung in der Welt vermögen, als gerade in der Geschichte der Päpste.
Die Philosophen und Geschichtschreiber der neuern Zeiten haben sich mit großem Erfolge bemüht, die geistliche Gewalt verhaßt zu machen, indem sie ihr Alles zur Last legen, was Geistliche gethan haben, ohne zu beachten, ob sie die Kraft dazu durch ihren geistlichen Stand erhielten, und ob man der Herrschsucht ihr Gift genommen hätte, wenn ihr das geistliche Kleid ausgezogen wäre. Die französischen Schriftsteller insbesondere machen sehr bittere Bemerkungen darüber, wie viel Unheil die Cardinäle in der Staatsverwaltung gestiftet, Richelieu und Mazarin fanden es zwar sehr vortheilhaft, ihrer Person durch den römischen Purpur Schutz zu verschaffen. Würden sie aber anders regiert haben, wenn sie als weltliche Minister die Macht besessen hätten, die sie nicht ihrer geistlichen Würde, sondern persönlichem Einflusse auf die Gemüther ihrer Regenten verdankten? Der geistliche Beruf hat freilich einem Alberoni Gelegenheit gegeben, sich dem Regenten von Spanien zu nähern und das Schicksal mehr als Einer Monarchie zum Spiele seines Ehrgeizes zu machen; aber auch dem Ximenes, d'Ossat und andern großen Männern den Weg zu Stellen eröffnet, die den vorzüglichsten Menschen so schwer zu Theil werden, wenn sie nicht durch die Geburt begünstigt sind.
Die Philosophie hätte sich also begnügen sollen, die Anmaßungen der Kirche in billige Schranken zurückzuweisen, ohne sie zu vernichten, um dagegen ein für die Würde der menschlichen Natur eben so gefährliches System der bürgerlichen Ordnung nach den Gesetzen des äußern Rechts zu erheben.
Das leichtsinnige und fehlerhafte Urtheil des Macchiavelli über die geistlichen Fürsten erforderte diese Betrachtungen über die Vortheile, welche das System der katholischen Hierarchie gewährt. Es ist hier nicht der Ort, von den wesentlichen Fehlern derselben zu reden, welche die Veranlassung zu der Trennung der Protestanten von ihr gegeben, und die Wiedervereinigung kaum möglich machen. Diese Fehler werden nicht durch die Veränderungen gehoben, welche vermöge der neuern Denkart in der katholischen Kirche entstanden sind, und die ihr zugethanen Völker laufen daher Gefahr, die Vortheile zu verlieren, welche sie besaßen, ohne durch diejenigen entschädigt zu werden, die die protestantischen errungen haben.
In dem kirchlichen Systeme dieser Letztern findet die Einwirkung einer geistlichen Gewalt auf Staatsverhandlungen mit andern Mächten gar nicht statt. Was aber ihren Einfluß auf innere Landesangelegenheiten betrifft, so kann hier nur der Gesichtspunkt im Allgemeinen angegeben werden, von dem die Untersuchung darüber ausgehen muß.
Es ist überhaupt das größte Problem des natürlichen Staatsrechts und der Politik, wem man in der bürgerlichen Gesellschaft die Befugniß ertheilen solle, sich der willkürlichen Gewaltthätigkeit zu widersetzen. Das Gesetz Gottes geht über das Gesetz der Menschen. Seit den rasenden Tyrannen Roms, die sich zu lebenden Göttern erklärten, hat selten ein Regent gewagt, seinen Völkern ins Gesicht zu sagen, er wolle, daß ihm mehr gehorcht werde, als Gott. Aber wie soll die Stimme des unsichtbaren Gottes durchdringen? Wer soll sie erklären? Soll derjenige, den das Volk für ihren Ausleger hält, gar keine weltliche Macht in Bewegung setzen können, so wird er zu einer leeren Stimme in der Wüste, sobald es dem Regenten gefällt. Soll er Mittel besitzen, sich Gehorsam zu verschaffen, so entsteht ein innerer Krieg, sobald seine Vorschriften mit dem Willen des weltlichen Regenten disharmoniren. Diese letzten schrecklichen Folgen hat die katholische Kirche oft erfahren. Jenem Nachtheile ist die protestantische ausgesetzt, sobald die Geistlichkeit, wie es nach den eingeschränkten Ideen derer sein sollte, die einem dürren Systeme zu Gefallen alle Verhältnisse möglichst vereinfachen, als besoldete Diener des Regenten betrachtet werden, welche bestellt sind, Moral zu predigen und die bürgerlichen Gesetze einzuschärfen. Wo sollte wol ein solcher bestellter Officialis der Sittlichkeit den Muth hernehmen, seinem Herrn, den alle Welt fürchtet, ins Gewissen zu reden? Friedrich Wilhelm dem Ersten von Preußen hat doch ein Landprediger den Vers aus der Bibel vorgehalten: »Wer einen Menschen stiehlt«, um damit seine gottlose Menschenräuberei für die Potsdamer Garde zu strafen. Wer wird dergleichen unternehmen dürfen, wenn es weder Vorsteher der Nation gibt, die von ihr, und nicht vom Regenten abhängen; noch auch Lehrer göttlicher Weisheit, die einen höhern Beruf anerkennen, als ein Bestallungspatent!
Die Reformatoren der Kirche haben dies Alles wohl gefühlt. Sie verkannten ihren Beruf nicht. Sie haben den geistlichen Stand, dem die Sorge anvertraut ist, eine höhere Bildung des Menschengeschlechts zu erhalten, nicht zu Dienern des irdischen Gemeinwesens, zu Staatsdienern herabgewürdigt. Die Fürsten der Zeit haben sich nicht vermöge ihrer fürstlichen Würde zu Häuptern der Hierarchie erklärt. Das hätte das damalige Volk nicht gelitten. Die deutschen Fürsten haben als natürliche Beschützer der Kirche, deren mächtigste Glieder sie waren, die bischöflichen Rechte und Pflichten auf sich genommen, nachdem die Gemeinden sich von der katholischen Hierarchie losgemacht hatten. Dieser wesentliche Unterschied wird kaum mehr beachtet, seitdem die Speculationen über das Staatsrecht und über die Staatsklugheit eine angeblich metaphysische Wendung genommen haben, vermöge deren ein strenges äußeres Recht das Wesentliche aller sittlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft ausmachen soll: da doch die Menschen, aus denen der Staat besteht, die Gesetze über äußeres Recht nicht eher begreifen, und die Verpflichtung sie zu befolgen nicht anerkennen, bis sie durch viele religiöse Bemühungen und moralischen Unterricht dazu fähig gemacht sind.
Der Hauptgedanke, auf welchen diese lehrreiche Darstellung der vergangenen italienischen Zeiten führt, ist ganz allgemein wahr und zu allen Zeiten nützlich. Selbst ist der Mann. Jeder muß sich selbst zu schützen suchen, so viel er kann. Man darf nie Andere für sich tapfer, vorsichtig, klug sein lassen und sie dafür bezahlen; denn wer Schätze hat, fremden Schutz zu erkaufen, dem werden sie gerade von demjenigen genommen, den er zum Wächter zu bestellen dachte. Der Genuß des Reichthums erschlafft und nimmt selbst dem, welchem es nicht an Einsicht fehlt, die Kraft zu handeln. Daher hat großer Reichthum der Völker von jeher schlimme Perioden herbeigeführt: entweder Unterjochung von Außen oder Revolutionen im Innern, wodurch die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten und das Eigenthum der Nation in die Hände derjenigen Classen gerieth, die bis dahin noch keinen Antheil am Ueberflusse gehabt hatten. Hieraus ergibt sich auch die Ursache, warum Seemächte, trotz des größten Reichthums und selbst des übertriebensten Luxus, den er veranlaßt, groß und mächtig bleiben können. Die Quelle ihrer Schätze führt das Heilmittel selbst bei sich. Die Schifffahrt gelingt nur durch die äußerste Anstrengung aller Kräfte des Geistes und des Körpers. Daher nöthigt der Seehandel, der den größten Gewinn bringt, zugleich zu dem emsigsten Bestreben nach einer Ausbildung, die auch im Kriege Ueberlegenheit gibt. Wenn eine Seemacht jemals andere Nationen in Sold nähme, um für sich die Gefahren und Mühseligkeiten der Schifffahrt zu übernehmen, so wäre sie verloren. Aber auch nur dann. Die große Seefahrt und die Gesetze, die sie veranlaßt, werden gewöhnlich nur aus dem eingeschränkten Gesichtspunkte des Handelsgewinns angesehen. Die Veranstaltungen, die sich darauf beziehen, sind aber noch weit wichtiger in moralischer Rücksicht. Sie befördern die ernsthafte Beschäftigung und Abhärtung, sie erhalten einen männlichen Charakter in der Nation. Und da das Seewesen einer großen Menge von wissenschaftlichen Kenntnissen bedarf, so entsteht daraus das Phänomen einer kriegerischen Macht, die zugleich alle Künste des Friedens zu vervollkommnen sucht; wohingegen eine sehr kriegerische Nation auf dem festen Lande immer Gefahr läuft, in Rohheit der Sitten zurückzusinken.
Macchiavelli kannte die Begriffe von Recht und Sittlichkeit und ihren Einfluß auf die Menschen sehr wohl. Aber sie galten ihm nur als Erscheinungen im menschlichen Gemüthe, die gleich andern Neigungen und Vortheilen in die Berechnungen über die Triebfedern der menschlichen Handlungen mit aufgenommen werden mußten, ohne ihnen einen Werth an sich selbst zuzugestehen. Eben so kannte einer von seinen Schülern, die ihn am besten begriffen hatten, die sittlichen Triebfedern der Menschen gut genug, um sie für seine Zwecke und zu dem Verderben derer zu mißbrauchen, die er dadurch zu seinen Werkzeugen machte. Aber dieser Mann, Napoleon der Erste, verkannte die Natur der Dinge, wenn er die ganze lebende Welt um ihn her nur im Verhältnisse zu seiner Person beurtheilte, und in Beziehung auf sich ordnen wollte. Er wähnte, sich für ein personificirtes Schicksal erklären zu dürfen. Der mächtigste Mensch bleibt doch immer nur ein Triebrad des Schicksals unter vielen. Er ist und bleibt abhängig, so wie Andre, nur auf andre Art. Es ist daher etwas Verkehrtes in der Sinnesart, die alles Allgemeine, Höhere, Edlere der Persönlichkeit unterordnet, und deshalb kann sie schon vor dem Richterstuhle des bloßen Verstandes nicht bestehen; wohingegen derjenige, der sein persönliches Interesse höheren Zwecken unterordnet, auch alsdann mit sich einig bleibt, wenn er diese verfehlt, und sogar, wenn er selbst darüber untergeht.
Diese Bemerkungen sind von der größten Wichtigkeit für jeden Regenten. Die Freigebigkeit ist eine natürliche Eigenschaft des hohen Sinnes. Man fühlt sich über andre Menschen erhaben, indem man ihnen wohl thut. Sie ist also ganz eigentlich eine fürstliche Tugend. Der Geiz hat etwas Kleinliches und ist daher in einer hohen Stelle unanständig. Bei dem, der nach der Herrschaft strebt, kommt noch hinzu, daß er des Beistandes so Mancher bedarf, und denselben durch alle Mittel suchen, ihn also auch oft erkaufen muß. Betrachtet man aber die Folgen, so sieht man auf der Seite der Freigebigkeit undankbare Günstlinge, die immer mehr fordern, je mehr sie erhalten haben; ganze Classen, die als ein Recht ansehen, was Einem unter ihnen zugestanden worden; die, wenn sie das gesammte fürstliche Gut unter sich getheilt haben, denjenigen gering schätzen, der nichts mehr zu geben hat und sich gegen ihn auflehnen; mißlungene Unternehmungen, weil es an Mitteln fehlt; unbelohntes Verdienst, ungerechte Vorenthaltung rechtmäßiger Forderungen, allgemeine Unzufriedenheit, zuletzt Verachtung.
Der Geiz hingegen, nicht aber die Habsucht, die vielmehr mit leichtsinniger Verschwendung nahe verwandt ist, kann wol mit Gerechtigkeitsliebe bestehen. Strenge Wirtschaftlichkeit macht den Grund aller guten Regierung aus. Ist aber der Geiz nicht die Folge ernsthafter Ueberlegung und Vorsicht, entspringt er vielmehr aus Neigung, so fällt er auf die Gegenstände, welche nicht die wichtigsten sind, sondern nur die nächsten; er läßt große Dinge fahren, um Kleinigkeiten zu ergreifen, freut sich nicht über den Zweck der guten Haushaltung, sondern nur über das Ersparen selbst, mißgönnt daher Jedem die wohlverdiente Belohnung geleisteter Dienste und erzeugt allmählich die tiefe Abneigung, welche derjenige stets einflößt, dessen Macht man fürchtet, ohne seinen Charakter zu achten.
Die Lehren dieses Kapitels sind einleuchtend. Dennoch wird es Männern von menschenfreundlicher Gemüthsart sehr schwer, sie anzunehmen. Sie hoffen immer, die Menschen werden zu ihren Gunsten eine Ausnahme machen. Ihre eignen Gesinnungen verleiten sie auch in Andern entsprechende zu wünschen – vergeblich zu erwarten. Aber es wird im Gegentheil demjenigen, der einmal im Rufe der Menschenliebe steht, von allen Seiten angesonnen, sich gefallen zu lassen, was keinem Andern widerfährt, und das ist der wahre Grund, warum die angebliche Tugend der Gutmüthigkeit – sehr verschieden von der Liebe zum Guten – so allgemein erhoben wird. Sie ist in Wahrheit nur Schwäche eines harmlosen Gemüths und schon im Privatleben verächtlich. Wer den Menschen im Ernste wohl will und für sie thätig sein mochte, muß kämpfen und überwinden, den widerstrebenden Eigennutz der Schlechtgesinnten in Furcht setzen, die Schwachen zwingen mitzuwirken und oft diejenigen selbst, denen er wohlthun will, nöthigen, ihr eigenes Bestes zu besorgen. Im öffentlichen Leben gibt es gar keinen größeren Fehler, als jene Gutmüthigkeit, die immer nachgibt: Schlechte schont und Gute preisgibt; bescheidene Selbstverläugnung vorschützt, um zurückzubleiben, wo es die Pflicht erfordert, hervorzutreten, und die verächtlichste Feigheit mit dem nichtswürdigen Ruhme der Standhaftigkeit im Leiden, da wo man sich wehren sollte, beschönigt. Vorzüglich ist Nachgibigkeit und unzeitige Schonung im Verhältnisse zu Untergebenen verderblich. Die Liebe zu Vorgesetzten erfordert einen überwiegenden Zusatz von Achtung, Diese ist mit der Furcht näher verwandt, als mit der Zuneigung. Ein anderer Bestandtheil der Liebe zu Vorgesetzten ist Vertrauen auf ihren Schutz. Dazu gehört wieder die Ueberzeugung, daß Andre sich vor ihnen fürchten. In einem andern Sinne als Macchiavelli es behauptet, ist es in der That wahr: die Furcht ist das Band der bürgerlichen Gesellschaft.
Unter allen Lehren, die Macchiavelli den Großen gibt, haben diese den allgemeinsten Beifall gefunden. Auf ihn berufen sich alle Staatsmänner, die Verträge und Zusagen brechen und den Betrug mit dem Namen der Politik rechtfertigen möchten. Doch hat ein so erfahrener Mann unmöglich sagen wollen, daß ohne Gefahr immer und immer nur betrogen werden könne. Das hat er auch nicht gesagt, denn er verlangt ja von seinem Fürsten, daß er gegen Tugend und Laster nur gleichgiltig sein, Eines wie das Andere üben und beides nur als Mittel gebrauchen solle, Absichten zu erreichen. Die Großen und Mächtigen begehren gewöhnlich von den Fesseln moralischer Gesetze befreit zu werden, um ihre Leidenschaften zu befriedigen. Das aber gewährt ihnen Macchiavelli nicht. Es fordert vielmehr keine noch so strenge Moral, so große Aufopferungen, als diejenige Staatskunst, welche von keiner Moral etwas wissen will, und Alles, was der Mensch thut, den kalten Berechnungen des Verstandes unterwirft, um einen einzigen Zweck zu erreichen. Wer danach strebt, Herrschaft zu erringen, und wenn er sie hat, zu erweitern, darf nichts Anderes wünschen. Macchiavelli sagt gar nicht, der Fürst darf sich über die Moralität ganz wegsetzen, sobald es ihm beliebt, weil er mächtig genug ist, es ungestraft zu thun. Dazu kannte er das Volk zu gut und beurtheilte zu richtig, was auf dasselbe wirkt. Er verlangt aber vollkommene Gleichgiltigkeit gegen die Tugenden im Herzen selbst. Der Fürst soll den Redlichen und Unredlichen spielen, so wie es die Umstände verlangen. Es ist also auch nicht damit gethan, sich gegen Gefühl und Gewissen abzuhärten und bei keinem Verbrechen anzustoßen, das in den Plan des Ehrgeizes gehört. Wer dies leistet, hat nur die Hälfte der Forderung erfüllt. Er muß sich daneben das Ansehn aller Tugenden geben. Hier aber erkennt man den scharfsinnigen Beobachter der Menschen gar nicht. Aristoteles, der in seiner Politik (im fünften Buche, elften Kapitel) dem Tyrannen Lebensregeln gibt, die überhaupt mit dem Macchiavelli ziemlich übereinstimmen, verlangt ebenfalls, daß er den Schein aller Tugenden annehme, die ihm fehlen. So nöthig sind die wahrhaft königlichen Tugenden jedem Herrscher, daß er den Ruf, sie zu besitzen, nie ganz entbehren kann. Aber Aristoteles räth ihm, sich ihnen möglichst zu nähern, davon anzunehmen, was er nur vermag, und wenigstens den Schein der andern zu suchen. Macchiavelli hingegen verbietet ihm die Tugenden selbst, weil sie ihm hinderlich sein würden; verlangt aber dabei, daß er ihren Schein annehme, so oft er ihrer Wirkung nicht entbehren kann. Kann nun wol der bloße Schein diese hervorbringen? Wir sehen schon im gewöhnlichen Leben, wie wenig Zutrauen und welche tiefe Abneigung diejenigen Menschen erregen, denen es nur aus den Effect ankommt, die sich daher selbst immer im Auge haben und einen Spiegel mit sich umhertragen. Sie mögen sich noch so gut darauf verstehen, andre Menschen anzuführen, sie werden dennoch bald für das erkannt, was sie sind. In den kleinsten Zügen ihres Betragens liegt ein »Hüte dich!« das seine Wirkung nicht verfehlt. Die Großen sind vielleicht mächtig genug, das vorwitzige Urtheil ihrer Unterthanen zu unterdrücken. Aber auch der Nachwelt? Und doch hat schwerlich jemals ein Fürst existirt, der Geist genug hatte, die schwere Rolle zu spielen, die Macchiavelli vorzeichnet, ohne den Wunsch zu hegen, daß er auch nach seinem Tode so beurtheilt werden möchte, als er sich bemüht, vor seinen Zeitgenossen zu erscheinen.
Wer mächtig genug ist, ehrlich handeln zu können, thut daher immer noch besser, der Heuchelei zu entsagen. So lange Verstand gegen Verstand kämpft und der Macchiavellische Fürst sich auf seinem wohlbekannten Fechterboden befindet, wo Verrath und Treulosigkeit von beiden Seiten angewendet werden, die Absichten durchzusetzen, wird stets der Schlaueste den Sieg davontragen. Wenn es aber darauf ankommt, nicht den Listigen zu überlisten, sondern die Ehrlichkeit zu berücken und die gerade Einfalt des Herzens sich nicht mehr anführen lassen will, so vermag alle Kunst nichts mehr, und Satan selbst hat nicht Verstand genug, um die Tugenden des Gemüths zu ersetzen, die fortan allein etwas auszurichten vermögen.
Was insbesondere die Wortbrüchigkeit betrifft, von der Macchiavelli als von einer notwendigen und gewöhnlichen Sache redet, so bedarf es einer genauen Bestimmung, wann sie dem Fürsten erlaubt sein kann. Es ist ein alter und mit religiöser Ehrfurcht bewährter Ausspruch, daß das Wort der Fürsten heilig sein solle. Die Wahrhaftigkeit ist überhaupt das Band, das die menschliche Gesellschaft zusammenhält. Selbst die einzelne Lüge kann nur da etwas wirken, wo Wahrheit allgemeine Regel ist. Von Andern verlangt sie daher auch ein Jeder, und der ärgste Lügner schreit immer am lautesten gegen den Betrug, der gegen ihn gespielt wird. Die ganze Welt aber vereinigt ihre Stimme, denjenigen, der sich nicht etwa einmal eine Unwahrheit oder einen Wortbruch zu Schulden kommen läßt, sondern in dessen Charakter es liegt, durchaus unwahr zu sein, wie eine Pest der Gesellschaft zu fliehen.
Die Natur hat aber dem Menschen die List nicht umsonst gegeben. Sie ist die Schutzwehr des Schwachen gegen Stärkere; sein Vertheidigungsmittel gegen übermächtige Gewalttätigkeit. Mit Recht sagt daher Macchiavelli, daß der Fürst sich darauf verstehen müsse, den Fuchs und den Löwen zu spielen. Weil er unter Menschen wandelt, die mehr von der thierischen Natur an sich haben, als vom Geistigen, so muß er gleichfalls die Bestie herauskehren, wenn es Noch thut. Beides soll er können, den Fuchs spielen und den Löwen. Der Löwe ist stark, wirft Alles nieder und verzehrt, was ihm gefällt. Wenn er theilt, so nimmt er das beste Stück, weil er Löwe heißt. Der Fuchs hilft sich mit List, um zu erlangen, was er zu seiner Erhaltung bedarf. Aber den Wolf, den Feind aller Geselligkeit, der selbst mit seines Gleichen nur Verbindungen des Augenblickes eingeht, um über den Dritten herzufallen und nie in einer friedlichen Gemeinschaft angetroffen wird, dieses ganz ungesellige Thier soll kein Mensch jemals nachahmen. Vielmehr soll ja der Fürst, wie Macchiavelli selbst sagt, den Löwen machen, um die Wölfe zu vertreiben. Noch in andern Stellen seiner Werke spricht er nachdrücklich gegen diejenigen, die wie die Wölfe unter Menschen leben. Wenn denn also dem Menschen die Schlauheit des Fuchses gegeben ist, damit er die Wölfe ins Verderben ziehe, gegen die er sich nicht wehren kann, wohlan, so gebrauche die List, so oft sie nothwendig ist. Lüge, brich dein Wort, verschwöre dich, verleite deinen Gegner durch die hinterlistigsten Vorspiegelungen und stich ihm den Dolch ins Herz, indem du ihn umarmst. Aber beweise, daß dies Alles nothwendig war, um dich von der Noth zu befreien, die die Bosheit über dich brachte: und du bist gerechtfertigt. Zeige, daß es nothwendig war, um das dir anvertraute Volk vom Untergänge zu retten – und du wirst als ein wohlthätiger Schutzgeist verehrt werden. Wer kann sich der lebhaftesten Theilnahme erwehren, wenn die Unternehmungen des selbstsüchtigen, unersättlichen, gegen Wohl und Wehe der Menschen gefühllosen Ehrgeizes und der Habsucht durch die Verschlagenheit des Unterdrückten auf den Urheber der Mißhandlung zurückfallen?
Es ist um so viel nothwendiger, die Künste der List und Verstellung richtig zu würdigen, da sie einen ganz eigenthümlichen Reiz für die Großen haben, der aus den besondern Verhältnissen ihrer Lage entspringt. Wer so viel vermag, sollte man denken, wird sich die Mühe nicht geben wollen, sich zu verbergen. So Vieles kommt ihren geringsten Wünschen entgegen. Sie brauchen kaum zu wollen, so geschieht schon, was ihnen angenehm ist. Wie selten hat Einer von denen, die sich ihnen nahen, die Dreistigkeit, etwas zu tadeln, das sie thun. Aber das Alles trifft doch nur die Kleinigkeiten, die ihre eignen persönlichen Neigungen angehen. In Allem, was zu ihrem politischen Leben gehört, ist es ganz anders. Sie finden in den verwickelten Anstalten der bürgerlichen Ordnung, in der Organisation der Gewalt selbst, mit der sie ihren Willen vollziehen, Schwierigkeiten und Widerstand. Sie verachten die Menschen und mißbrauchen sie ohne Scheu. Dennoch können sie dieselben nicht zu Maschinen machen. Der unumschränkteste Monarch muß sich herablassen, ihre eignen Gesinnungen und Empfindungen zu schonen. Außerdem ist Alles, was ihn umgibt, unaufhörlich beschäftigt, von jeder seiner Aeußerungen Vortheil zu ziehen. Er lernt bald, daß Alles, was von ihm herkommt, von der größten Wichtigkeit ist und oft Wirkungen thut, die ihn selbst überraschen. Wenn er nicht etwa von dem Feuer eines ungestümen Temperaments beherrscht wird, das keinen Zwang erträgt, so wird er in sich selbst mißtrauisch und geneigt zur Verstellung.
Kommt hierzu noch eine verkehrte Bildung des Geistes, entschuldigt er bei sich selbst den Mangel an Entschlossenheit und Muth mit dem Grundsatze, es sei besser, Alles, was auf geradem Wege zweifelhaft sein könnte, mit versteckter Kunst zu Stande zu bringen; findet er ein Vergnügen darin, Schwierigkeiten aufzusuchen, und bewundert seinen eignen Verstand, wenn er mit seinen Mittelchen die Kraft des Willens zu ersetzen sucht, – so entsteht zuletzt ein Gewebe, darin sich der Künstler, der es angelegt hat, selbst verstrickt und verliert.
Die Wirkungen der Politik, die Macchiavelli lehrt, haben sich niemals deutlicher gezeigt, als in der Geschichte der Familie, für die sein Buch zunächst bestimmt war. Lorenzo von Medici, dem er es zugeeignet hat, ist nicht Herr von Florenz geworden. Aber er scheint doch von den Rathschlägen, die ihm hier ertheilt werden, Gebrauch gemacht zu haben. Er hatte, wie es scheint, Anlage zu einem Schüler des Macchiavelli im praktischen Leben. Ein früher Tod unterbrach seine Ausbildung. Aber er vererbte diesen Schatz von Grundsätzen auf seine Tochter. Catharina von Medici nahm sie mit sich nach Frankreich. Dort ward das florentinische Gewächs von den Landsleuten, die sie dahin begleiteten, sorgfältig gepflegt. Die Geschichte der französischen Nation hat dadurch eine ganz eigne und ihrem ursprünglichen Charakter fremde Wendung genommen. Der Herzog von Retz, den Catharina aus Florenz kommen ließ, hatte einen entscheidenden Einfluß auf die Entschließungen Karl des Neunten und Heinrich des Dritten, und brachte Pläne zur Reife, die in französischen Gemüthern schwerlich gediehen wären. Mehrere Italiener umgaben Heinrich den Dritten. Unter diesen der Abbate del Bene, von dem sich jener Monarch, dessen Charakter und dessen Leben ein sonderbares Gemisch von Wollust, Trägheit, Leichtsinn und tiefer Verstellung, dreister Thätigkeit und Grausamkeit war, in den Stunden, wo es ihn anwandelte, Politik zu studiren, den Tacitus, Polybius und mehr als diese den Fürsten von Macchiavelli vorlesen ließ. Das erzählt Davila, der durch seinen Bruder, einen Kammerherrn der Catharina, mit Heinrich dem Dritten und seinem Hofe genau bekannt war. Davila, selbst ein Italiener, spricht von der Catharina und ihren Söhnen mit der sympathetischen Empfindung des Landmanns. Daher ist seine Geschichte dieses mehr italienischen als französischen Hofes so natürlich, so lebendig, so anziehend, Er fühlte ganz anders, wie die florentinischen Gemüther gesinnt waren, als französische Schriftsteller. In den Erzählungen solcher Geschichtschreiber sieht man die Menschen selbst vor sich; in den Bemerkungen andrer über die ihnen fremden Gestalten entgeht das Eigenthümlichste und Feinste. Ueber ächt französische Charaktere muß man hingegen französische Schriftsteller lesen: über Heinrich den Vierten den Voltaire. Den Helden der Galanterie und des Point d'honneur stellt dieser mit eben so vielem Talente dar, als Davila die Catharina, die er wegen ihres verschmitzten Herrschertalents vergöttert. Die Lehren, die er hier vernahm, übte er auch dann und wann einzeln, nach Laune aus. Und damit bekräftigte er selbst recht nachdrücklich die Bemerkung seines Lehrers, daß die Menschen selten den Muth und die Beharrlichkeit haben, etwas recht und ganz zu sein, und daß sie eben dadurch zu Grunde gehen.
Die Mutter aber war anders. Beides, natürliche Anlage und Bildung durch die Lehren des Meisters in der italienischen Politik, vereinigten sich in ihr, und in ihrer Lage fanden sich Veranlassungen, die ganze Rolle zu spielen, die er vorgezeichnet hatte. Ihre Ansprüche auf die Regentschaft wahrend der Minderjährigkeit ihrer Söhne waren zweifelhaft. So weit befand sie sich mit dem Fürsten des Macchiavelli in gleichen Verhältnissen, und die Schwierigkeiten, die ihr entgegenstanden, wurden noch durch ihre fremde Abkunft vermehrt. Große persönliche Vorzüge waren erforderlich, sie zu überwinden, und solche hat sie unstreitig besessen.
Catharina von Medici hatte so viel Verstand und Talent, als irgend eines der Weiber, die in der Geschichte berühmt geworden sind. Der begeisterte Verehrer ihrer Vorzüge, der Geschichtschreiber Davila, hält ihr bei der Erzählung ihres Todes folgende Standrede:
»Die großen Eigenschaften dieser Frau, welche dreißig Jahre lang die Augen von ganz Europa auf sich gezogen hat, erhellen besser aus ihrer Geschichte, als ich sie in wenigen Worten darstellen könnte. Ihr Verstand war unerschöpflich an Mitteln, um die unerwarteten Zufälle zu verbessern, und die Wirkungen des üblen Willens der Menschen zu vereiteln. Hierdurch ertrug sie während der Minderjährigkeit ihrer Söhne die Last der bürgerlichen Kriege, während welcher sie zu gleicher Zeit den Religionseifer, die Widerspenstigkeit der Unterthanen, die Bedrängnisse des Schatzes, die Verstellung der Großen und die ungeheuern Unternehmungen des Ehrgeizes bekämpfte. Ihre Beständigkeit, ihr hoher Sinn, womit sie, eine Fremde, es unternahm, das Ruder der Regierung den einheimischen Großen zum Trotze zu ergreifen, womit sie sich desselben bemächtigte und es festhielt gegen alle Künste der Widersacher und den Schlägen des Schicksals zum Trotze, hatte mehr Aehnlichkeit mit dem Geiste eines in den großen Welthändeln gebildeten Mannes, als mit der Gesinnung eines an die Weichlichkeit des Hofes gewöhnten und von ihrem Eheherrn unterdrückten Weibes. Aber die Geduld, die Gewandtheit, die Mäßigung, womit sie sich zu behaupten wußte, und ungeachtet des in ihrem Sohne selbst gegen sie allmählich entstandenen Argwohns die Regierung so festhielt, daß er es nicht wagte, ohne ihren Rath und ohne ihre Einwilligung zu handeln, selbst da, wo er ihr nicht traute: dieses ist der größte Beweis und das kräftigste Kunststück ihrer vorzüglichen Gaben. Daneben wußte sie sich stets über die natürlichen weiblichen Schwächen zu erheben und unterlag nie den kleinlichen Neigungen, welche vom rechten Wege abführen. Sie hatte einen hellen Verstand, wahrhaft königliche Anmuth in ihrem Benehmen gegen die Menschen, mächtiges Talent zu reden, lebendige Neigung sich freigebig und geneigt gegen die Guten zu beweisen, den bittersten und unversöhnlichen Haß gegen die Andern. Sie ließ nicht ab, ihre Anhänger zu begünstigen und zu erhöhen, und dennoch konnte sie es nicht dahin bringen, daß der französische Stolz ihre italienische Geburt vergessen hätte. Die unruhigen Köpfe hörten nie auf, sie als die Feindin ihrer Absichten zu hassen, und insbesondere ist sie von den Hugenotten verleumdet worden, als wenn sie nur aus unbegrenzter Begierde zu herrschen Rathschläge gegeben, wodurch Frankreich doch aus den größten Gefahren gerettet worden ist. Mit allen diesen Tugenden war sie der allgemeinen Unvollkommenheit der menschlichen Natur unterworfen und hatte ihre Fehler. Man hielt dafür, ihr sei durchaus nicht zu trauen: etwas zu allen Zeiten, vorzüglich aber und ganz besonders zu den unsrigen Gewöhnliches. Sie dürstete mehr nach Blut oder verachtete das Menschenblut wenigstens mehr, als ihrem Geschlechte wohl ansteht, und es ward bei vielen Gelegenheiten offenbar, daß sie alle und jede Mittel, auch die ungerechtesten und verrätherischsten gut fand, um nur zu ihrem Zwecke zu gelangen. Aber bei billigen Beurtheilern werden diese Fehler, welche die Noth der Zeiten veranlaßte, durch die erwähnten großen Eigenschaften bedeckt.«
Wenn man nun diese große Königin, dieses Ideal italienischer Politik, deren Bild Davila hier beinahe mit denselben Ausdrücken entwirft, womit Macchiavelli seinen Fürsten zeichnet; wenn man sie näher betrachtet und ihre Geschichte erwägt, so wie sie von ihrem Lobredner selbst erzählt wird, was findet man, denn für große Wirkungen ihrer hochberühmten Eigenschaften? Die schlaue Frau wußte durch ein verstecktes Spiel, durch die Künste der verführerischen List, die sie in der That im vollkommensten Maße auszuüben verstand, alle Parteien in gewissem Gleichgewicht und sich über sie erhaben zu erhalten. Jede dieser Parteien ward zwar bald inne, daß mit ihr gespielt werde, mußte sich aber diesem Spiele hingeben, so oft es ihr gefiel, es wieder anzuknüpfen, weil sie anfangs als Regentin die rechtmäßige Gewalt und nachmals als geliebte und gefürchtete Mutter einen entscheidenden Einfluß hatte. Der heimliche Widerwille und das Mißtrauen, mit welchen diese Nachgibigkeit beständig verbunden war, vereitelte aber auch auf jener Seite alle ernstlichen Unterhandlungen, und so ward es unmöglich, so lange sie lebte, die bürgerlichen Unruhen beizulegen, welche Frankreich solche Uebel zugefügt haben, daß man wirklich nicht einsieht, wovon Catharina das Reich errettet haben soll.
Die innern Kriege, die Frankreich vierzig Jahre lang zerrissen haben, wurden beendigt, indem der rechtmäßige Erbe der Krone zu der Kirche übertrat, welcher bei weitem der größte Theil des Volkes leidenschaftlich anhing. Heinrich dem Vierten war es lange vorher gesagt, er werde den Thron von Frankreich nie besteigen, wenn er das Volk nicht durch diesen Schritt versöhnte. Er war selbst davon überzeugt und ging Jahre lang damit um, durfte es aber nicht wagen, aus Besorgniß, die Partei, die ihm schon anhing, zu verlieren, ohne der andern gewiß zu sein, Catharina hatte schon Unterhandlungen mit ihm angefangen, die dahin führen sollten, und durch deren glücklichen Ausgang das, was einmal geschehen mußte, zum Besten der französischen Nation viel früher geschehen wäre. Was vereitelte denn diese Bemühungen der klügsten Frau ihrer Zeiten? Der geringe Umstand allein: der kleine Naturfehler, über den Davila so leicht weggeht: – »Ihr war nicht zu trauen.« – Nachdem sie unzählige Male gelogen und betrogen hatte, da konnte sich auch der treuherzigste Mensch auf der Erde nicht mehr von ihr anführen lassen. Solche Politik ist gut, um Kriege anzuzetteln. Wenn man aber das Feuer auslöschen möchte, das durch so schlaue Künste angefacht ist, so findet man selbst mit Erstaunen, daß alle die Werkzeuge, wodurch der feine Verstand so bewunderungswürdiges Machwerk zu Stande gebracht hat, nichts mehr vermögen; daß das einzige Wort eines zuverlässigen redlichen Mannes eine sicherere Grundlage abgibt, als die künstlichsten Veranstaltungen der List, und daß Achtung und Zutrauen der Menschen kräftigere Mittel sind, etwas Großes zu vollbringen, als die Ueberlegenheit des Verstandes, wenn sie gemißbraucht wird, Andere zu bethören, die sich für die erlittene Demüthigung mit unversöhnlicher Erbitterung rächen, sobald sie können.
Lange vor dem Macchiavelli und Davila hatte schon der jüngere Philipp von Macedonien ein Beispiel davon gegeben, was die Geschichte des Betrugs und der List für einen Ausgang nimmt. Er versuchte sich zum Oberhaupte der Griechen zu machen, um den Römern die Spitze zu bieten. Ungefähr so wie Cäsar Borgia sich eine überwiegende Macht in Italien zu erwerben trachtete, um den Fremden zu widerstehen. Und mit denselben Mitteln. Was war das Ende? Er hatte in allen griechischen Staaten so viel Mißtrauen, so viel heimliche und öffentliche Feindschaft erregt, daß es ihm unmöglich ward, die Nation mit sich zu vereinigen. Er unterlag im Kampfe, ohne nur einmal von seinem eignen Volke bedauert zu werden.
Die Menschen hören indessen nicht auf, den Verstand ohne alle Beziehung auf die Eigenschaften des Gemüths, die ihm zur Unterlage dienen müssen, wenn er wahren Werth haben soll, ausschließlich zu bewundern. Der scheinbare Erfolg seiner Kunststücke im Einzelnen verleitet sie nicht allein zu dem Vorurtheile, daß es in der Welt nur auf Verstand ankomme; sie verkennen auch seine Natur. Das sichere treffende Urtheil, welches in verwickelten Verhältnissen das Geringfügige übersieht und den Punkt festhält, auf den Alles ankommt, ist ihnen zu einfach. Ein Gewebe von kleinen Künsteleien, von Auswegen des Augenblicks, die immer tiefer in die Verwicklung führen, von verschmitzten Ränken, gefällt ihnen besser. Doppelzüngigkeit, Falschheit und List, über deren zweckmäßigen Gebrauch Macchiavelli selbst Lehren gibt, die wol einiges Bedenken erregen könnten, ob man sich auch zutrauen dürfe, sie so anzuwenden; diese Untugenden gelten am Ende für Beweise von Verstand und Talent, oder sollen den Mangel daran ersetzen. Wer gar keine Lust hat, die Maske des Löwen vorzunehmen, die ihn auch schlecht kleiden würde, glaubt genug gelernt zu haben, wenn er zu lügen, zu betrügen, sein Wort zu brechen weiß. So ist es zu gewissen Zeiten in der Geschichte dahin gekommen, daß man überall, wo sich Jemand in vollendeter Nichtswürdigkeit nur recht schamlos beweist, den Geist von Macchiavelli's Fürsten zu erkennen geglaubt hat. Zu diesem aber gehört die Tapferkeit des entschlossenen Gemüths eben sowol, als die Gewandtheit des listigen. Nur in dieser Beziehung verträgt die Welt die Unredlichkeit. Der Abscheu, den diese einflößt, nimmt dabei den Charakter einer grauenvollen Bewunderung an; geht aber in Verachtung über, sobald diese nachläßt: » Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas!«
Interessant ist der Rath Macchiavelli's an den neuen Fürsten, sich nicht an den Weibern seiner Unterthanen zu vergreifen.
Einem gebornen Prinzen wird es ja nicht schwer, solche Neigungen zu befriedigen. Die Weiber kommen ihm natürlich stets entgegen. Er ist immer allein schön, klug, liebenswürdig. Er hat also wenig Versuchung, die Schranken zu übertreten, die ihm der Anstand vorschreibt, und in der fürstlichen Erziehung wird auf die Erhaltung des Anstandes so viel Werth gelegt, daß er ihn wol einmal verletzen, aber sich schwerlich ganz darüber wegsetzen wird. Anders der Privatmann, der zur Unabhängigkeit von den Gesetzen, die Andre binden, gelangt ist und keine Scheu vor dem öffentlichen Urtheile hat, er ergibt sich den Ausschweifungen der Wollust nicht allein aus Sinnlichkeit oder Eitelkeit, sondern oft aus bloßem Uebermuthe. Manche neue Fürsten haben einen Genuß darin gesucht, ihre Unterthanen auf diese Art zu beschimpfen, und die hierdurch gereizte Rache hat mehr Fürsten das Leben gekostet, als der Patriotismus von Republikanern.
Der neue Fürst selbst beschäftigt sich größtentheils mit herrschsüchtigen Plänen und wird durch die Rücksicht auf diese einigermaßen zurückgehalten. Aber Söhne und Brüder, die ihre Erhebung nicht eignen Bemühungen verdanken, verlieren alle Besinnung im Rausche der neuen Größe. Unzählige Beispiele finden sich in der Geschichte der römischen Imperatoren und des neuen Italiens. Eines lag dem Macchiavelli vermuthlich zunächst vor Augen.
Der alte Pandolfo Petrucci von Siena ließ morden, zwang reiche Erbinnen, seine Anhänger zu heirathen, und verfuhr überhaupt gewaltthätig mit den Bürgern, wo es in seinen Plan gehörte. Dabei behauptete er sich bis an das Ende seiner Tage. Aber sein Sohn, Borghese Petrucci, der die Früchte der väterlichen Bemühungen von früher Jugend an einerntete, wußte nicht was Alles beginnen, um sie zu genießen. Er beraubte Diesen und Jenen, verführte und mißbrauchte mit Gewalt Weiber und Töchter. Dafür ward er verjagt. Nicht besser machte es in Florenz selbst Alessandro von Medici, der nach Macchiavelli's Tode nicht durch eigne Talente und Bemühungen, sondern durch Protection Herzog geworden war: auch er ward deshalb ermordet. Die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts enthält noch mehrere Beweise, bis zu welchem Unsinne der Uebermuth der Emporkömmlinge die unnatürlichsten Ausschweifungen der Wollust treiben kann. Was zum Beispiel ein Pietro Luigi Farnese, Sohn des Papstes Paul des Dritten, mit dem Erzbischofe von Bologna vorgenommen, als dieser ihn bei einem feierlichen Einzuge bewillkommte, grenzt beinahe an das Unglaubliche ...
Es ist bereits einige Male Pandolfo Petrucci erwähnt, der sich zum Oberhaupte des Staats von Siena aufgeworfen hatte, ohne jedoch den Namen eines Herrn zu führen. Er verdankte den ruhigen Besitz seiner hohen Stelle vorzüglich dem Antonio Giordani von Venafro, der die Aemter eines Richters und öffentlichen Lehrers zu Siena bekleidet hatte, und dem Pandolfo als Staatssecretair und in Gesandtschaften diente. Den Rathschlägen dieses Mannes werden die feine Politik und das feste Benehmen, seiner grausamen Gemüthsart aber auch die Mordthaten zugeschrieben, wodurch sein Gönner sich emporschwang und erhielt. Von der Sinnesart des Giordani und zugleich vom Geiste der damaligen Zeit kann die Antwort als Probe dienen, die er als Gesandter dem Papst Alexander dem Sechsten gab. Dieser fragte ihn, wie er es anfange, die Sieneser zu regieren? – »Mit Lügen, heiligster Vater.« –
Der alte Petrucci brachte es dahin, daß sein Sohn Borghese Petrucci (seine Mutter war eine Borghese) nach seinem Tode in seine Stelle einrückte. Aber der leichtsinnige und ausschweifende junge Mensch hatte nicht so viel gesunden Verstand, dem alten Rathgeber seines Vaters zu folgen. Er hatte einen Günstling, Pochintesta, der sich die ausschweifendsten Mißhandlungen seiner Mitbürger erlaubte. Antonio rieth ihm, sich durch die Hinrichtung desselben die Liebe des Volkes zu erwerben. Er aber ergab sich ihm, dem geliebten Genossen aller eigenen Bubenstücke, immer mehr, anstatt ihn zu züchtigen. Die Partei, welche den Borghese Petrucci zu verdrängen suchte, bemerkte bald, wo seine Stärke lag, und fing damit an, ihm den Antonio verdächtig zu machen. Der gedankenlose Borghese ging in diese Falle und ertheilte dem beschwerlichen Mentor den Abschied mit angeblichem Bedauern und in der Einkleidung eines Rathes, er möge der allgemeinen Abneigung ausweichen und sich entfernen. Recht wohl, erwiderte Jener, ich werde Ihnen das Quartier bestellen. Der junge Fürst mußte wirklich bald nachfolgen. Die Petrucci hatten es mit den republikanisch gesinnten Florentinern gehalten. Die Revolution zu Florenz, wodurch die Medici in demselben Jahre wieder eingesetzt wurden, als Pandolfo starb (1512), zog also natürlich auch in Siena eine Katastrophe nach sich, wodurch unter dem Schutze Papst Leo X. Rafael Petrucci, Bischof von Grosseto und Castellan des Castel Sant' Angelo zu Rom, ein Vetter und geschworener Feind des Borghese Petrucci und Anhänger der Medici, statt des vertriebenen Borghese auf kurze Zeit Oberhaupt von Siena geworden war. Antonio von Venafro war glücklich nach seiner Vaterstadt entkommen und beschloß daselbst sein Leben in Ruhe. Borghese aber ward wahnsinnig und starb bald darauf in Neapel.
Der Fürst von Siena und sein Minister mögen in Einem verdienten Schicksale untergegangen sein und mit so vielen Andern vergessen werden. Was gehen sie uns weiter an? Aber das Mittel, wodurch der alte Rathgeber entfernt und der Fürst seiner Stütze beraubt worden, verdient Aufmerksamkeit. Dieser ließ sich überreden, sein Freund sei allgemein verhaßt; durch die Entfernung desselben werde ihm die Liebe des Volkes erhalten und seine Herrschaft gesichert werden. Eben so erregten die Günstlinge Königs Karl des Zweiten von England, denen der unbestechliche Clarendon im Wege war, zuerst ein leises Gemurmel: der Kanzler fange an verhaßt zu werden, er sei auch gar zu wenig nachgibig, sein Benehmen allzu rauh. Es fanden sich ihrer bald genug, die mit einstimmten, weil er sich geweigert hatte, ihre unziemlichen Begehren zu erfüllen, und so gelangte eine angeblich allgemeine Stimme vor den Thron, der König müsse seinen Minister entfernen, um selbst bei dem Volke beliebt zu bleiben. Clarendon mußte weichen, und nur sein Andenken hat eine verspätete Genugthuung von der unparteiischen Nachwelt erhalten.
Noch viele andere Fürsten sind in ähnliche Schlingen gefallen. Auch bessere, und diese eben durch den Mißbrauch, den man von ihren vorzüglichsten Eigenschaften gemacht hat; ihrer Achtung gegen das öffentliche Urtheil und gegen die Gesinnungen des Volkes. Dazu gehört wahrlich nicht einmal die Schlauheit eines Arlington oder Buckingham.
Nie ist das alte, wenn man so sagen will, abgedroschene Kapitel der Moral die uralte Lehre, die schon jener griechische Philosoph beim Stobäus seinem jungen Prinzen ertheilt: »Hüte dich vor Schmeichlern!« so lebendig und eindringend vorgetragen als hier. Nur ist der Satz: »Die Menschen sind ihrer Natur nach schlecht« hier nicht recht passend, wenigstens zu allgemein gefaßt. Die Menschen sind nicht alle schlecht – wenn auch unläugbar die überwiegende Mehrzahl. Sie sind nicht alle eigennützig, von sträflichen Leidenschaften getrieben, wahrer Zuneigung und Vertrauens unwerth. Durfte wol Heinrich der Vierte den Sully für schlecht halten? Und hätte dieser eine solche Meinung ertragen? Aber nur ein Fürst, der wie dieser die Schmeichelei verschmäht, kann einen Sully finden. Macchiavelli hat vorhin in Kapitel 22 selbst einen Minister aufgestellt, dem der Fürst unbedingt vertrauen und den er in sein eignes Schicksal verflechten soll. Der Autor dürfte doch kaum gemeint haben, daß der Fürst dies mit einem »schlechten«, wenn auch noch so klugen Menschen wagen solle!
Die Geschichte der großen Weltereignisse sowol als die einfache Lebenserfahrung bestätigt ohne Zweifel die in diesem Kapitel vorgetragenen Lehren. – Jedes Zeitalter hat seinen eignen Charakter. Es hat nicht allein eine jede Generation ihren besondern Geschmack, ihre eigentümlichen Grundsätze und Empfindungsweisen, sondern auch viele Begebenheiten, welche zufällig scheinen, weil ihr Zusammenhang mit den Gesinnungen und Neigungen der Menschen nicht klar vor Augen liegt, nehmen etwas von jenem eigenthümlichen Geiste der Zeit an. Nur derjenige kann hoffen, eine große Wirkung hervorzubringen, dessen Talente in gewissem Verhältnisse zu seinen Zeitgenossen stehen, und der in das, was sie treiben, auf die rechte Art eingreift. Dies Verhältnis des einzelnen handelnden Mannes zu dem, was ihn umgibt, läßt sich nicht immer in bestimmten Ausdrücken angeben und auf Grundsätze zurückführen. Der Beobachter der Welt stößt in der Geschichte und im täglichen Leben häufig auf ein unerklärliches Etwas, welches vollkommen gut ausgesonnene Pläne vereitelt. Es war nicht die rechte Zeit. Ein altes Sprüchwort sagt: »Der Mensch, der des Morgens mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bette tritt, stößt den ganzen Tag über allenthalben an und läuft Gefahr, ein Bein zu brechen.« Wer das Unglück hat, in seine Laufbahn mit einem ersten falschen Schritte einzutreten, kommt den ganzen Tag seines Lebens über nicht in den rechten Tact, und findet stets Widerstand.
Die größten Talente, ja auch Vorzüge des Gemüths, haben nur eine gewisse Zeit, während welcher sie vollgültig sind. Glücklich, wenn ein günstiges Geschick den Mann von vorzüglichem Geiste abfordert, ehe die Periode abgelaufen ist, in welcher er etwas zu leisten vermag; oder wenn er den rechten Augenblick trifft, sich aus der thätigen Welt herauszuziehen, um dem herben Schicksale zu entgehen, ungeachtet der größten Anstrengung, geringeren, aber gerade jetzt besser angebrachten Kräften weichen zu müssen.
Macchiavelli sah selbst wohl ein, daß es unmöglich ist, dem Menschen vorzuschreiben, wie er handeln soll, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob er, nach seiner individuellen Gemüthsart, gerade er so handeln kann. In einem Briefe an Piero Soderini, worin er nicht mit der feierlichen Miene des Lehrers der Fürsten auftritt, sondern vertraulich seine Meinung mittheilt, drückt er es ganz vortrefflich aus. »So wie die Natur,« sagt er, »den Menschen verschiedene Gesichter gegeben hat, so haben sie auch verschiedene Gemüthskräfte und verschiedene Launen. Auf der andern Seite sind auch die Zeiten gar sehr von einander verschieden. Demjenigen gelingt Alles ad votum, der es mit dem Zeitalter in seinem Verfahren recht trifft, und derjenige ist unglücklich, der mit demselben in Widerspruch geräth. Die Zeiten und die Umstände ändern sich aber gar oft, ohne daß die Menschen ihre Einfälle und Handlungsweise danach abändern. Wer so gescheidt wäre, Zeit und Umstände allemal zu kennen und sich danach zu richten, würde immer glücklich sein oder sich doch vor Unglück hüten. So würde der Weise wirklich den Sternen und dem Schicksale zu gebieten scheinen. Aber solche gibt es nicht: die Menschen können ihre Natur nicht so ändern.«
Können das die Menschen nicht? Hängt ihr Betragen also auch nicht blos von der richtigen Beurtheilung der Umstände allein ab? Bestimmt wirklich die eigenthümliche Gemüthsart, der Charakter des Menschen, auf welche Art er in das Gewebe der Begebenheiten, das ihn umgibt, eingreifen, und ob er etwas ausrichten werde? So ist es ja falsch, worauf doch das ganze System des Macchiavelli beruht: daß der Fürst sich ohne Vorliebe für irgend Etwas ganz allein von der kalten Beurtheilung leiten lassen müsse, um in seinen Unternehmungen glücklich zu sein. Am Schlusse des Kapitels, wo er Alles übersieht, was der Fürst gethan haben mag, und das Schicksal aller seiner Unternehmungen so treffend weissagt, gesteht der Lobredner des Verstandes selbst ein, daß zu einem großen Manne etwas ganz Anderes erfordert wird als Verstand, und daß es die Kräfte des Gemüths sind, welche die Rolle bestimmen, die er spielen wird.
Das Schlußkapitel, der Aufruf zur Abschüttelung der fremdherrlichen Ketten, hat jetzt für uns nur als ein Meisterstück der Beredtsamkeit Interesse.
Es fand sich thatsächlich damals in Italien kein Fürst, der der Unternehmung gewachsen gewesen wäre, durch neue Anordnungen der Nation Einheit und Unabhängigkeit zu verschaffen. Die Intrigue fuhr daher fort, das Land zu zerreißen, und die Völker blieben ein Spiel fremder Mächte. – Der Historiker Sismonde de Sismondi sucht (in seiner Histoire des republiques de l'Italie) die Ursachen des tiefen Verfalls des italienischen Volkes seit dem fünfzehnten Jahrhundert in dem Untergange der großen Republiken in der Lombardei, wodurch zuletzt auch das Ende der Freistaaten in Mittelitalien und die Unterwerfung der ganzen Nation unter fremde Herrschaft herbeigeführt worden ist. Es ist begreiflich, daß die rohe Gewaltthätigkeit, wodurch die Herrschaft in allen Landschaften und Städten von Italien unzählige Male genommen und verloren worden, in Unbändigkeit des schwelgerischen Genusses überging, und daß allgemeine Erschlaffung erfolgen mußte, sobald Nachfolger und Enkel jener Emporkömmlinge zum ruhigen Besitze der Gewalt gelangten. Aber dagegen schützt auch die republikanische Verfassung nicht. In der Geschichte von Venedig entwickelt sich zufolge der Darstellung, welche Daru (Histoire de la republique de Venise) aus urkundlichen Quellen entworfen hat, in ihrem Entstehen, Fortschreiten und Verfallen der Verfassung derselbe Charakter, der den gleichzeitigen italienischen Einzelherrschern eigen ist.
In den Bewegungen eines von Parteien zerrissenen Volkes werden alle Anlagen des Geistes und des Gemüthes gereizt, sich zu entwickeln, aber nicht blos die schlechten, auch die besten und edelsten. Man sieht daher in Republiken, auch in Zeiten der größten Verdorbenheit, einzelne große Bürgerseelen aufstehen; dahingegen unter der Tyrannei nichts von Allem aufkommt, was bei Macchiavelli virtù heißt. Sie verschwand sehr bald in Florenz unter den Großherzogen, und von dieser Seite hat die frühere Erhebung der Visconti und Sforza zu Herren von Mailand der Nation viel geschadet. Aber die Unabhängigkeit von Italien würde schwerlich durch die Herstellung der mailändischen Republik bewirkt sein. Diese würde gleich den toscanischen Freistaaten nur dahin gestrebt haben, schwächere Nachbarn zu unterdrücken, statt mit ihnen einen großen Verein zu bilden, um sich gegen fremde Uebermacht zu schützen. Schon vormals hatte die Geschichte des alten Griechenlands ein Gleiches gezeigt.
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Wenn man nun den ganzen mit Macchiavelli zurückgelegten Weg hier nochmals mit einem Blicke übersieht, so wird man von einer sonderbaren Empfindung ergriffen. Jedes einzelne Urtheil, jeder Rath, jeder Anschlag ist so zutreffend, daß man der überredenden Kraft nirgends widerstehen kann, sobald man sich einmal von dem Rade hat ergreifen lassen, welches unaufhaltsam mit sich fortreißt. Vorausgesetzt, daß der erste Schritt einmal geschehen sei, so kann er nicht besser verfolgt werden. Es muß Alles so kommen, wie Macchiavelli sagt. Man muß also auch so handeln, wie er angibt, um die Abgründe zu vermeiden, zwischen denen sich der Weg hinzieht. Dennoch bleibt immer in der Tiefe des Gemüths etwas, das widerstrebt und die Ueberzeugung zu Schanden macht. Macchiavelli kann dreist seine Leser auffordern, etwas gegen seine einzelnen Urtheile einzuwenden. Aber wer könnte wol das Ganze für mehr als für ein Spiel des Verstandes halten? Das ist es eben: das ganze Buch ist nur die Frucht des Verstandes. Von Theilnahme am Schicksale der Menschen, von Rücksichten auf ihre Empfindungen, von ihrer Zufriedenheit als einem Zwecke an sich selbst ist gar nicht die Rede. Man vermißt durchaus Alles, was vom Gemüthe abhängt und aus der Empfindung für Andere entspringt, oder was der Sinn für einen erhabenen schönen Zweck eingeben könnte. Daher bleibt der Leser immer unbefriedigt, so viel er auch zu bewundern findet. Moralisches Gefühl hat Macchiavelli entweder gar nicht gehabt, oder es ist in ihm von politischen Leidenschaften ganz unterdrückt. Was aber bloßer Verstand zu leisten vermag, das hat er erreicht. Und deswegen ist im Einzelnen so viel von ihm zu lernen; auch für den, der die ganze Denkungsart und die Grundsätze, die im Buche herrschen, verabscheut. Niemals hat ein politischer Schriftsteller die Handlungen der Menschen und ihre Folgen mit mehr Scharfsinn entwickelt, und gerade vom gewöhnlichen Fehler der Scharfsinnigen findet sich bei ihm keine Spur: von der Ueberfeinheit. Keiner hat jemals besser gewußt, jedesmal den Punkt, auf den Alles ankommt, zu treffen. So wie man von seinem großen Landsmanne Michel Angelo erzählt, daß er immer mit dem Meißel in den Marmor geradezu hinein gehauen und auf ein Haar getroffen habe, wie weit er gehen müsse, eben so gibt Macchiavelli immer mit Einem Worte das Rechte an, verwirft alle Künsteleien, die nur verwirren, und sagt den Mächtigen auf den Kopf zu, was in ihrem Sinne tief verborgen liegt. Hiermit stimmt auch sein Vortrag überein. Es ist bekannt, daß die Italiener ihn für ihren besten Prosaisten halten. Von der Weitschweifigkeit, dem verwickelten und weit ausgesponnenen Periodenbau der meisten italienischen Schriftsteller, von diesem allgemeinen Fehler, der fast der Sprache selbst eigen zu sein scheint, ist er ganz frei. Die Vollkommenheiten seines Vortrages, der gedrängte Inhalt und der kräftige Ausdruck sind aber am auffallendsten im Buche vom Fürsten. Dieses thut denn auch eine Wirkung, welche der größten Erwartung entspricht, die der Verfasser davon gehabt haben mag. Man fühlt, daß es unmöglich ist, besser anzugeben, wie man die Herrschaft erwerben und behaupten könne, sobald es nur um dieses zu thun ist, und alles Andere nicht beachtet werden soll.
Aber das Bild dieser Herrschaft steht auch in Begleitung aller furchtbaren Genien, die sie herbeigeführt haben, der Gewalt, der List, der Treulosigkeit, Heuchelei und Schamlosigkeit, mit ihrem Gefolge, dem dumpfen Mißtrauen der Unterworfenen, und der tiefen Verschlossenheit ihres gedemüthigten Herzens, dies Alles steht in der schrecklichsten Verbindung zu einem Ganzen vor den Augen des Lesers, und läßt nicht ab, ihn zu verfolgen. Wer die Geschichte selbst durchgedacht hat, wird unablässig aufgefordert, immer wieder aufs Neue zu prüfen, wie denn diese Resultate der Beobachtung dessen, was geschieht und was geschehen kann, mit den Grundsätzen über das, was geschehen sollte, die Niemand verläugnen kann, in Uebereinstimmung gebracht werden mögen.
Diese Untersuchung, deren Hauptmomente in den Bemerkungen über das Buch angegeben sind, ist um so viel interessanter, da es nicht nothwendig ist, eine gänzliche Unempfindlichkeit gegen das Wohl andrer Menschen, und einen selbstsüchtigen Ehrgeiz bei dem Schüler Macchiavelli's vorauszusetzen. Ein Kopf, der von schwärmerischen Plänen zur Verbesserung des Menschengeschlechts und seiner Verhältnisse im Großen eingenommen ist, kann sich auch wol verleiten lassen, alle einzelnen Menschen als Werkzeuge seiner gutgemeinten großen Absichten anzusehen und alle Verpflichtungen, die sich auf die gewöhnlichen Vorschriften der Sittlichkeit gründen, einem erdichteten höhern moralischen Zwecke aufzuopfern.
So ist der Geist der Politik, die Macchiavelli lehrt, auch in philosophischer Gestalt und mit einer moralischen Larve, in dem Grundsatze, daß der Zweck die Mittel heilige, zum Vorschein gekommen. So sehr aber dieser Lehrsatz auch von den Leidenschaften begünstigt wird, die sich vortrefflich darauf verstehen, ihre Wünsche dem angeblichen höhern Zwecke unterzuschieben, so ist doch die gewöhnliche Moral zu tief in den Empfindungen gegründet, als daß man häufig Menschen finden sollte, die sich in einem ganz consequenten Betragen darüber weggesetzt hätten.
Dieses geheime Gefühl der moralischen Bande wird oft unterdrückt, erwacht aber immer wieder. Daher kommt es denn, daß die Menschen in ihrem Benehmen (so lautet eine der berühmtesten und treffendsten Bemerkungen Macchiavelli's in seinen »Discursen« 1, 27) nie ganz gut oder ganz böse sind, und eben deswegen in so vielen großen Unternehmungen verunglücken.
Sie möchten wohl: aber da sie doch nicht dürfen, so wollen sie auch nicht recht. Sie fangen an, in Hoffnung, der Zufall werde das Uebrige thun. Verweigert dieser seinen Beistand, so bedenken sie sich, Schritte zu thun, von denen sie doch voraussehen konnten, daß sie unvermeidlich sein würden. Einige Treulosigkeit, einige Verrätherei, einige Verletzung der allgemeinen Gesetze der Sittlichkeit hält Jeder im Gedränge der Umstände für erlaubt, und verzeiht man einander allenfalls. Wenn es aber dadurch so weit gekommen ist, daß ein letzter dreister Streich zum Ziele führen würde, so versagt das Herz. Wären die Menschen etwas besser, so blieben sie von Unternehmungen zurück, die sie in solche Verwicklungen führen; wären sie etwas schlechter, so verfolgten sie ihre Zwecke ohne Bedenklichkeit bis ans Ende, opferten alles Andre auf und verlören vielleicht Manches, erhielten aber doch das Eine, worauf es abgesehen war. Sie erhielten es vielleicht in einzelnen Fällen. Aber wohin führt ein ganz consequentes unsittliches Betragen? Lassen sich dadurch Zwecke erreichen, die eines wirklich großen Geistes würdig wären? Macchiavelli selbst gesteht ein, daß es dazu nicht hinreicht, indem er von seinem Idealfürsten verlangt, er solle trotz seiner innern Gleichgiltigkeit gegen die Moralität den Anschein und den Ruf aller Tugenden erwerben, die er ihn im Herzen zu verachten befiehlt. Was aber davon zu halten ist, das haben wir vorher gesehen.