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Lolaministerium ...
Für Berks war der Weizen schnittreif; der Günstling der Gräfin wurde Kabinettschef, Staatsminister, Ratgeber des Königs. Auch Fürst Wallerstein, Minister der Vor-Abelschen Periode, erhielt wieder ein Portefeuille.
Das Programm der neuen Regierung war ein entschlossener Vorstoß im liberalen Sinne der Zeit und schien ernst und gut gemeint.
Damit die Ultras nicht eine Änderung des Systems in ihrem Sinne erwarteten, wurde rasch eine freisinnige Studienordnung an der Münchener Hochschule eingeführt und verfügt, daß keiner der aus der Schweiz verbannten Jesuiten sich länger als einige Tage in Bayern aufhalten dürfe.
Hier war die Hand der Gräfin zu spüren, die den Schlag gegen eine fromm lächelnde satanische Maske führte. Traf er, oder ging der Schlag ins Nichts?
Das politische Glaubensbekenntnis des Kronrates war jedenfalls danach angetan, ein freudiges Echo zu erwecken:
»Daß nur eine wahrhaft freigesinnte, auf vollkommen gerechte Tatbeweise sich stützende Regierung Bayerns Aufgabe nach innen wie auch im deutschen Staatenkomplex und nach außen lösen könne.«
Auch Wallerstein bemühte sich eifrig, die modernen Ideen in die Staatsverwaltung einzuführen, eine Vermittlung und Aussöhnung der Parteigegensätze im Lande anzubahnen und dem bayerischen Staat die hervorragende Stellung in Deutschland zu sichern, die dem Lande vom Geist der Entwicklung angewiesen schien. In ruhigeren Zeiten wäre ihm dies vielleicht gelungen; aber die Gemüter waren voll Gärung und geheimen Aufruhr, die Ereignisse warfen drohende Schatten voraus.
Als Morgengabe gleichsam brachte der neue Minister den Parteien, was sie am heftigsten begehrten: die Freigebung des Wortes, d. h. die Aufhebung der Zensur über die Besprechung innerer Landesangelegenheiten laut königlicher Verordnung vom 16. Dezember 1847.
Aber selbst dieser Akt der Liberalität konnte dem neuen Ministerium nicht das Herz der freisinnigen Parteien gewinnen. Die Entlassung des Ministeriums Maurer und die Erhebung Berks befestigte in der Öffentlichkeit die Meinung, daß der Staat ein Spielball für die Launen der Begünstigten geworden sei. In allen Kreisen griff die Aufregung um sich; es war nicht mehr der Widerstand einer einzelnen Partei, sondern die Stimmung der öffentlichen Meinung, die sich drohend erhob.
Der Wille des Volkes ...
In jeder neuen Regierungshandlung, wie gut sie auch gemeint sein mochte, erblickte man jetzt ein Danaer-Geschenk. Es wurde dem Kabinett nicht verziehen, daß es seine Entstehung einer Kombination der Gräfin verdankte, und daß es sich anscheinend ihre Einmischung in die Regierungsgeschäfte gefallen ließ.
Zu oft sah man ihre Karosse vor dem Ministerium des Innern stehen; die albernsten Dinge dienten den niederen Instinkten der Bevölkerung als Vorwand zum Spott oder Haß: man hatte Berks beobachtet, als er das Schoßhündchen der Gräfin nachtrug, und nannte ihn Hundeträger und H...minister. Man hatte die Gräfin Zigaretten rauchend in den Fenstern des Ministerialgebäudes bemerkt; sie hatte stundenlange Beratungen mit dem Maitressenminister.
Staatsgeschäfte!
Die Gewährung der Preßfreiheit, durch den Zeitgeist bedingt und wohl kaum aufzuhalten, sollte die Stellung des neuen Ministeriums befestigen. Die Tat war kühn, aber gefährlich. Obschon unvermeidlich, erwies sie sich als Fehlgriff. Das Volk sollte wieder ins politische Leben eintreten, die geistigen Kräfte den gebührenden Anteil nehmen an der Gestaltung der Dinge. Schön gedacht! Aber die Magd, das war die Presse seit zwei Jahrzehnten, ward Tyrannin, als sich die Bande lockerten; aus dem feilen Servilismus erwuchs ebenso roher als nebelhafter Radikalismus, und die zweifellos auch vorhandenen edlen Ideen versanken in dem Schmutz, der zutage drängte und alle guten Bestrebungen erstickte. Als wären die Kloaken übergelaufen, so ergoß sich der Unflat ...
Die trüben Fluten wälzten sich vor allem über die Urheber der neuen Freiheit, Berks und seinen Anhang. Sie mußten es durchhalten.
Die Sündflut über sie!
*
Der Kampf gegen den Absolutismus – die Flammenzeichen mehrten sich an dem europäischen Horizont.
Die Demokratie wollte sich in schweren Wehen entbinden; das Lolaministerium kam ihr mit großer liberaler Geste entgegen, verfing aber nicht – – ihren ersten Brand schleuderte die schwerfällig sich erhebende Demokratie gegen ihre unmittelbaren dienstbeflissenen Geburtshelfer: Lola und deren Freunde ...
Das war die Formel, die der politische Kampf in Bayern gefunden hatte: Lola Montez ...
Ein Weib als Zielscheibe der Revolutionäre! Konnte es eine albernere Revolutionspartei geben, als diese Helden, die mit der roten Fahne gegen ein Weib auszogen?
Aber diese Freiheitsmänner, die das königliche Tanzidyll dem Spott und Gelächter preisgaben, wußten genau, daß sie damit die absolute Monarchie der Verachtung auslieferten – Lola angreifen, bedeutete darum für sie: das System angreifen, den Absolutismus der mächtigsten Stütze berauben, nämlich der abergläubischen Ehrfucht, die dem Pöbel trotz allen fürstenfresserischen Geredes tief in Fleisch und Blut saß; kurz, in Lola Ludwig zu treffen, in Ludwig den Absolutismus: das war die Taktik, der alle sonst so uneinigen Parteien halb unbewußt gehorchten.
Kühner, drohender, wilder werden die öffentlichen Anfeindungen. Täglich bringen die Zeitungen neue Märchen über die schöne Gräfin. Boshafte Karikaturen in Schrift und Zeichnung werden verbreitet, satirische Flugblätter, zuerst heimlich verbreitet, dann offen, die reißenden Absatz finden.
Die Karikatur erweist sich als Sicherheitsventil für die Hochspannung der Volksleidenschaft, man ist befreit, weil man lachen kann. Dabei verfehlt sie nicht die Wirkung als blutige Geißel und Haßerreger – eine gefürchtete Waffe in den Zeiten politischen Kampfes ...
»Die neue Ariadne«, aber nicht auf Naxos sondern auf »Box«, ihrer großen, gefährlichen Dogge, so wird von Zeichnerhand die Gräfin gezeigt, bloß mit einem Spitzenschleier angetan, die Reitpeitsche in der Linken ...
In dem Wust von Karikaturen manches Blatt von Künstlerschaft, wenngleich anonym, doch in Verbindung mit Namen, die dem König nahestehen: Schwind zeichnet und erzählt in den »Fliegenden« ein Märlein von der Katze Mausbeisia mit versteckten Anspielungen auf die Freundin Ludwigs; Wilhelm Kaulbach versteigt sich sogar zu einem satirischen Ölgemälde »Die Zauberin«, einem lebensgroßen Bild, das Lola Montez mit einer Schlange um den üppigen nackten Leib und einem Giftbecher in der Hand zeigt.
Davon hat der König erfahren; er stürzt in das Atelier auf seine bekannte, rasche Art und ruft dem verdutzten Künstler zu:
»Kaulbach, was höre ich, was haben Sie gemacht? Das ist eine Beleidigung gegen mich! Das wird Ihnen die Gräfin gedenken, warten Sie nur!«
Ohne das Bild gesehen zu haben, ist er schon wieder hinaus.
Es währt nicht lange, so wird die Tür von neuem jäh aufgerissen: die Gräfin, die Dogge, der König.
Der Neufundländer des Künstlers schießt hinter der Staffelei hervor, die beiden Bestien verbeißen sich und fahren in den Hof hinaus. Lola saust in Angst und Zorn hinter ihrer Dogge drein, der König ihr nach und hinter ihnen Kaulbach. So findet der bedrohliche Auftritt ein lächerliches Ende. Die beiden Hundebesitzer haben Mühe, ihre Biester auseinander zu bringen, und der Zorn, der auf des Künstlers Haupt niederfahren sollte, hat sich an den Hunden erschöpft.
Dennoch blieb dem Künstler seine Kühnheit unverziehen, obwohl er sein Bild nie an die Öffentlichkeit brachte.
*
Ein Tag, der nichts über die Gräfin vermeldet, ist nicht gelebt. Eine Skandalnotiz über sie gehört zum täglichen Brot, es fehlt sonst etwas zum vollen Behagen und besseren Menschentum.
Im Theater werden ihre Diamanten gezählt und bewertet. Der Schmuck, den sie neulich trug, wird auf sechzigtausend Gulden geschätzt. Dazu ein Feenpalast, schweres Silbergeschirr, die fürstliche Lebensweise – man zeigt mit Fingern – – der Schweiß des ausgesaugten Landes also an Maitressenwirtschaft verschwendet! Weinerlich geht die Jeremiade fort: »Nach ihren Launen müßten Minister, Staatsräte und das ganze Land sich fügen; Gendarmerie und Militär schienen bloß ihretwegen da zu sein; ihretwegen seien die besten katholischen Professoren von der Universität entfernt worden, fürs Volk aber geschehe gar nichts!«
Nun wird schwarz in schwarz gemalt: rückständige Gehälter, um die Tausende von Beamten vergeblich petitionieren; die Not des niederen Gewerbes (zwar durch den Zollverein verursacht, der die Konkurrenz verschärfte auf Kosten der industrielosen, an die vielen Feiertage und an Wohlleben gewöhnten Bayern, die den veränderten Verhältnissen zunächst nicht gewachsen schienen – doch muß es die Gräfin verantworten); die Lasten, die den Bauernstand bedrücken; die kostspielige, immerfort Geldopfer verschlingende Förderung unhaltbarer dynastischer Interessen in Griechenland – der philhellenische Ludwig I. hat den Griechen einen Wittelsbacher Prinzen, seinen zweitgeborenen Sohn, zum Herrscher gegeben, Otto, König der Hellenen –; an allem und jedem ist die Gräfin schuld! Für alles, was faul ist, muß sie herhalten. Sie ist der Inbegriff aller Übel.
»Wenn die Dolores weg sind,« spottet mit Beziehung auf den Namen Maria Dolores Porris y Montez der Kasperlkomödiendichter und Kinderfreund Graf Pocci in den »Fliegenden Blättern«, die damals eine politisch satirische Mission hatten und die kranke Bavaria trösten wollen, »dann hören die Schmerzen von selber auf.«
Bald aber gehen die Sittenwächter auch mit Ludwig ins Verhör, »der es doch sonst immer verstanden habe, sein Herz von seiner Börse und seinem Szepter fern zu halten«. Sein Sündenregister ist voll. »Die Verschwendungen des Königs an Bauwerke, die keine Kunstwerke sind, an Maitressen und tote Sammlungen ständen in grellem Widerspruch mit der widerlichen Knickerei bei allen Gegenständen, die sich auf das Gemeinwohl, auf die Zivil- und Militärbeamten, mit einem Wort auf das wirkliche Leben beziehen.«
Auf die Zivil- und Militärbeamten – das wirkliche Leben!
Minister Berks geht die Sache zu Herzen, er zittert um seine Position. Die Gräfin sieht ihm scharf auf die Finger: sie weiß, daß ihre Kreatur ihr nur zum Schein ergeben ist; sie hält die Zügel fest – er ist bloßes Werkzeug in ihren Händen.
Wieder steht die Karosse vor dem Ministerium, die Gräfin weilt lange im Arbeitszimmer des Kabinettschefs.
Staatsgeschäfte!
Mit heimlicher Perfidie legt er ihr die Zeitungsausschnitte mit den Schmähartikeln vor:
»Der Neid und die Jesuiten!« ruft sie, indem sie die Drucksachen zu einem Haufen übereinander wirft.
Er zuckt die Achseln.
Seine Ermahnungen zur Geduld, zur Klugheit und Zurückhaltung, wenn auch mit List und zarter Vorsicht beigebracht, erfüllen sie mit Unwillen.
»Erfordert ein kleiner Schoßhund, einige Bediente und eine Equipage so viel Aufwand, daß die Leute dem König vorhalten dürfen: Sire, diese Frau ist ein teueres Kabinettstück, um dessentwillen das Land an den Bettelstab kommt?«
Über Volkswirtschaft hat sie die Anschauung einer richtigen Kurtisane, die lebt und leben läßt.
»Der König weiß, daß ich verschwenderisch lebe; ich mache ihm kein Hehl daraus. Er sorgt dafür, daß meine Kasse stets gefüllt bleibt. Hat sich das Land deshalb zu beklagen? Verwende ich nicht den größten Teil des Vermögens für die Armen und Leidenden? Kommt durch meinen Aufwand nicht Geld unter die Menschen? Verdienen nicht alle an mir? Wahrhaftig, eine Atlasrobe und ein Silberservice kann ein Land wie Bayern doch nicht mit Schulden belasten –«
Der Minister will sie beruhigen, sie läßt ihn aber gar nicht zu Wort kommen.
»Ja, wenn ich den König zu überreden versucht hätte, das Heer zu vermehren, damit Bajonette genug zum Schutz gegen Aufruhr vorhanden sind! Aber nichts von alledem! Sie sehen es selbst ein, gut also. Aber dann beweisen Sie doch den treuen Ständen, daß der König einer zweiten Macht Europas, der König des dritten Thrones in Deutschland nicht zu arm ist, um einer Freundin einen Palast zu unterhalten, oder einer Dame die Bedürfnisse ihres Standes oder ihrer Neigung zu gewähren!«
Sein bittersüßes Lächeln reizte sie.
»Wozu sind Sie denn Minister geworden, wenn Sie das nicht können?«
»Pardon!« wollte er sagen, aber sie fuhr ihn schon wieder herrisch an:
»Man hat über Verschwendung geklagt und dem König vorgeworfen, daß er Paläste verschenkt, Pensionen zahlt und Geld nach Griechenland schickt. Und Sie, Herr Minister, wissen nicht, welche Antwort den Lästermäulern gebührt? Ist etwa Ihrer Meinung nach der König seinen Untertanen Rechenschaft schuldig über die Verwendung seines Privatvermögens? Hat er jemals Staatsgelder für seine persönlichen Zwecke verwendet? Nein, Herr Minister, seine Privatschatulle allein hat die Kosten getragen; mit eigenen Mitteln hat er die Stadt in ein Kunstwerk verwandelt und den Bürgern einen ungeheueren Wert geschenkt, den erst die Nachwelt voll ermessen wird. Darum klagt ihr ihn der Verschwendung an?«
Beschwörend erhob der Minister die Hände.
»Warum, Herr Minister, sagen Sie das den Undankbaren nicht? Warum dulden Sie den Schimpf? Die Münchener mögen vor der eigenen Türe kehren: könnte man ihnen nicht ebensogut beweisen, daß die Nationalgarde der Münchener überflüssig und daher Verschwendung ist, und daß die Mittel zu ihrer Unterhaltung besser für andere Dinge angewendet würden? Und was meinen die wackeren Herren, wofür der König sein ansehnliches Einkommen Taler auf Taler legen und bereithalten soll?«
Sie gab selbst gleich die Antwort darauf, indem sie höhnend fragte:
»Für Schmarotzer, die um so unverschämter werden, je mehr sie erhalten?«
Und weil sich dem Minister noch immer nicht recht die Zunge löste:
»Oder – für Nachtmützen, Nationalgarden und Jesuiten?«
Und noch diesen letzten Stoß einem hilflos nach Worten Schmachtenden:
»Oder für bayrisch Bier?«
Nach dieser Lektion, die dem gehorsamen Knecht wieder die Peitsche zu kosten gegeben, verläßt sie das Ministerium, mit dem befriedigten Herrschergefühl, daß für diesmal die politischen Angelegenheiten wieder in Ordnung gebracht sind.
Die Staatsgeschäfte!