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Die versteckten Drohungen des geheimnisvollen Fremden sollten sich bald erfüllen. Die Hölle wurde heiß gemacht für die schöne Sünderin. Ihr Ehrgeiz fand sein Himmelreich; wer aber den Himmel hat, der hat auch die Hölle, so will es die göttliche Komödie dieses Lebens. Die Eifersucht, die bei den Frauen entbrannte und alsbald auf die Männer übergriff, war eine politische Angelegenheit geworden. Denn auch die Kirche ist ein Weib, und die Priester tragen Frauenkleider; sie hatte in den damaligen Zeiten eine Ehe mit dem Königtum geschlossen: der Ehevertrag hieß das Konkordat. Sie ist erbittert über die gottlose Kebsin, die ihre Pläne kreuzt, und entfesselt eine Legion Teufel, die bereits den Spieß glühen ... Die Zeitungen beginnen zu schüren; von versteckten Angriffen gehen sie zu offenen über trotz der strengen Zensurverbote und ungeachtet des ausdrücklichen Befehls des Königs, daß sich die Zeitungen jeder Äußerung über die Person der Tänzerin Lola Montez zu enthalten haben. Nun entbrennt der Kampf auf allen Linien. Man hat freilich vergessen, daß die Tänzerin Lola Montez vor allem auch ein Weib ist, wild und fanatisch und ohne Scheu vor der Öffentlichkeit. Von der Ballettänzerin zur Heroine – sie verdankt diesen Aufstieg ihren Gegnern. Man spricht bald von nichts anderem als von der Lola; die Atmosphäre ist mit Zündstoff geladen, jeden Augenblick kann das Ungewöhnliche eintreten. Schon zieht am politischen Horizont ein Gewitter herauf; die Ereignisse lassen nicht lange auf sich warten.
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Die Klosterfrage, die die Ausbreitung und Befestigung der Jesuitenherrschaft in Bayern bezweckte, wurde im Landtag abgelehnt, obzwar der ultramontane Minister von Abel mit verzweifelter Hartnäckigkeit für die Vorlage seiner Partei arbeitete. Die Vertreter der Landstände erhoben laute Klage, daß die wirtschaftlichen Interessen des Volkes in den Landtagen ganz in den Hintergrund geschoben und die kirchlichen fast allein an der Tagesordnung obenan wären. Die Landwirtschaft liege darnieder, der Bauer verzehre das Getreide, solange es noch Gras ist; die Not treibe ihm ein Stück Vieh nach dem anderen aus dem Stall: was nicht der Metzger hole, nehme sich der Steuerbote. Die Auswanderung nach Amerika nehme in erschreckendem Maße zu, nur die Güter der toten Hand seien immerfort im Wachsen. Die Regierung sei dem Elend gegenüber allzu gleichgültig, taub gegen alle Vorstellungen und dringenden Petitionen, die wirtschaftliche Verbesserungen, Steuerentlastungen, Schulreform und Volksaufklärung verlangen. Was not täte, wären nicht Klöster, sondern Hebung des Handels und Verkehrs durch Verbesserung der Straßen, die in einem trostlosen Zustande wären, durch Schaffung von Eisenbahnlinien mit Anschluß an die großen bestehenden Strecken im mittleren und nördlichen Deutschland, die Erschließung von neuen Absatzgebieten, Beseitigung der Zollschranken, Ausbau des Donau-Main-Kanals, der ins Stocken gekommen war, kurzum Wirtschaftspolitik statt Klosterpolitik. Man wies auf das Treiben der Redemptoristen, einer Jesuitenkongregation, die ganz Bayern in ein Kloster verwandeln wollte. Man erinnerte an ein Wort des Königs, der den Kanzeleiferern Mäßigung gebot. Das sei ein deutlicher Wink der Krone. Mit Beten und Beichten sei es nicht getan, der Volksverdummung müsse endlich Einhalt geboten werden.
Selbst die hochkonservativen Landstände wie Fürst Wrede und Fürst Wallerstein erhoben sich gegen den ultramontanen Minister, indem sie ihn anschuldigten, das Land in eine schlimme Lage gebracht zu haben und den König um die Liebe eines großen Teils der Bevölkerung bringen zu wollen. Gleichzeitig wurde ein Antrag für ein zeitgemäßes Gesetz über Ministerverantwortlichkeit eingebracht, »weil es durchscheine, daß Staatsminister von Abel die Interessen der Krone und des Landes dem hierarchischen Prinzip des Ultramontanismus opfere usw. usw.«
Mit äußerlicher Beherrschung und anscheinender Sachlichkeit verteidigte der angefeindete Minister Abel sich und sein System. Der Mißstand sei durch die schlechten Ernten und Hungersnöte der vorhergehenden Jahre verursacht, sei aber in Bayern immerhin weniger fühlbar gewesen als im übrigen Deutschland, zumal durch seine eigene und seines Königs Initiative, dessen getreuer Diener er sei, die reichen ärarialischen Speicher herangezogen werden konnten und obendrein der Spekulation unzugänglich gemacht wurden; ferner haben gerade die Ausfuhrverbote, insbesondere auch auf Getreide, das Schlimmste abgewendet. Was die Tätigkeit der Redemptoristen betreffe, so sei er diesem Orden zu größtem Dank verpflichtet, weil er die Religion und Sitte im Lande befestigt habe; dem zersetzenden Einfluß gewisser Strömungen der Zeit entgegenzuwirken, seien geistliche Genossenschaften wie diese vor allem berufen. Jesuitische Orden ins Land zu ziehen und anzusiedeln, sei nicht nur sein, sondern seines Königs ausdrücklicher Wunsch. Überdies sei der Landtag als bloß beratende oder vorschlagende Institution nicht berufen, staatliche Notwendigkeiten dieser Art zu entscheiden oder zu verweigern; das ständische Recht als Ausfluß der königlichen Gnade könne von dem Souverän widerrufen werden, wenn verfassungswidrige Übergriffe geschehen sollten.
Darüber fürchterlicher Lärm, der Kirchenstreit stand wieder im Vordergrund, und es endete damit, daß der Landtag unverrichteter Dinge wieder heimgeschickt wurde.
Nun erhob sich ein Adressensturm für und wider die Klöster im ganzen Lande. Kein Dichter hätte in diesen Tagen das Volk so mit sich fortreißen können, wie die aufreizenden Flugschriften jener Tage es taten, die nichts anderes bezweckten, als die Gemüter gegenseitig zu erbittern. Man lebte schon in einer stillen Revolution und fühlte ein leises Erdbeben unter sich. Es war trotz des äußeren breiten Behagens der unheimliche Zustand von Unzufriedenheit und Aufruhr der unteren Schichten gegen die oberen, ein heimlicher Kampf in der Tiefe des öffentlichen Lebens, der in Bayern freilich noch ins Kirchliche gewendet war.
In diesen Wirrnissen bewahrte der König jedoch den richtigen Takt:
»Ich habe es schon in meinen Regierungsgrundsätzen ausgesprochen,« erklärte er seinem vortragenden Minister, »daß ich Übergriffe der geistlichen Gewalt in die weltliche ebensowenig geduldet wissen will wie alle Übertreibung in kirchlichen Dingen. Sagen Sie das den Bischöfen, wenn sie es vergessen haben! Sorgen Sie dafür, daß den Worten Ihres Königs entsprochen wird und nicht etwa eine entgegengesetzte Handlungsweise der Dank für alles wird, was ich für die Kirche getan habe. Vor allem wünsche ich, daß im Sinne der Verfassung alle meine Untertanen, wes Glaubens oder welcher Denkrichtung immer, gleich behandelt werden. Lesen Sie dieses Bittgesuch des Lehrers Thomas Dieter; veranlassen Sie eine strenge Untersuchung: Verweis und Strafe für die Schuldigen, Entschädigung für diesen Mann!«
Der Minister überflog das Schriftstück und nahm sich die Frage heraus:
»Wer wagt es, Eure Majestät mit solchen Anliegen, die dienstlich behandelt werden sollen, zu beschweren?«
»Wer?!« betonte der König scharf, »ein guter Geist, der auf Wahrheit hält und des Glaubens ist, daß zwischen König und Volk kein Aktenpapier, kein Amt und auch nicht immer die Person des Ministers zu stehen braucht. Da gibt es ein gutes Wort. Fénelon schreibt es an Ludwig XIV: Dem König die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfang zu enthüllen, dies heißt Hochverrat an ihm begehen! Jener gute Geist hat es mir neulich vorgelesen, eine reine, schöne Seele ...«
Der König vergaß sich und lächelte im Ansehen eines sehr holden Bildes, das vor seinem inneren Auge stand.
Der Minister war betreten, er stammelte einige Worte, sie blieben ungehört. Nach einer Weile erwachend, schlug sich der König mit der flachen Hand an die Stirn:
»Bin ich verhext? Haben Sie etwas gesagt? Schon gut. Tun Sie, wie ich verlangt habe!«
Des Königs Meinung war nicht mißzuverstehen. Minister von Abel ging mit dem vorgefaßten Entschluß im Herzen, die Klosterfrage um jeden Preis durchzusetzen. In der Gewissensfrage, ob König, ob Kirche, gab es ein Drittes: Volk! Es war der Rösselsprung um die Ecke, um den König: fürs Volk, als die Formel, die auf alles paßte, wobei jeder an sich denken konnte.
Fürs Volk!