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Schlußwort

Was österreichische Geschichte lehrt:

Ideen sterben nicht

Geschichte wäre bloßer Materialismus, ein sinnloses Auf und Ab, ein Werden und Vergehen oder Verrinnen, wie Meereswellen im Schicksalssturm, in Ebbe und Flut, wenn nicht die unsterbliche Idee in den sonst allzu vergänglichen Erscheinungen ausleuchtete: das moralische Gesetz im Weltgeschehen.

Vom Ewigen her wird Geschichte Sinn, und Weltgeschichte Weltgericht. Eine himmlische Klio wird immer den unbestechlichen Griffel führen; über allen Meinungen der Zeit wird die geschichtsdeutende Urania über den Sternen die oft mißhandelte Wahrheit herstellen; Schuld und Sühne werden auf Waagschalen Gottes gewogen, die im menschlichen Gewissen auf- und niederschwanken.

Zwischen zwei Polen webt das bunte Weltbild der Geschichte, Mischen dem ewigen Seinsgrund und dem materiellen Gestaltwandel. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen beiden: Geist und Stoff, ihrem Polaritätsgesetz, ergibt sich Schicksal, Krise, Wende oder, was im Griechischen dasselbe ist: Geschichte.

Im Geistesraum der abendländischen Geschichte haben sich beide als konstante Größen verkörpert: als Kirche und Staat, als geistliches und weltliches Prinzip. Je nachdem die Dämonie des einen mit dem Seinsgedanken des andern in Widerspruch gerät, entsteht die unvermeidliche geschichtliche Tragik. In harmonischer Verbindung stellen sich beide Prinzipien, das himmlische und irdische, als Glaube und Vaterland dar, als Doppelpfeiler aller inneren und äußeren menschlichen Ordnung. Aus dieser Verbindung ergibt sich die österreichische Geschichtsidee und Geschichtsauffassung, die einen bleibenden Sinn enthüllt, ein durch die Zeiten wirkendes, erhaltendes geschichtliches Zwangsgesetz Österreichs.

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In der Tiefe der Zeilen erscheint uns als erste und historisch älteste Grundlage, noch immer durchschimmernd in dem geschichtlichen Aufbau Österreichs, das norische Reich im Ausmaß etwa unseres heutigen Ländergebietes, Jahrhunderte vor Christi Geburt, bewohnt von dem gewerbetüchtigen, künstlerisch begabten indogermanischen Volk der Kelten, davon heute noch Reste in der Bretagne, in Schottland, Irland und Wales vorhanden sind. Der keltische Einschlag zugleich mit dem römischen ist in unserem Alpengebiet in Namengebung, Kultur und Volkstum noch immer irgendwie spürbar. Zur Sicherung der Militärgrenze an der Donau bis zum Rhein wird unter Kaiser Augustus zu Beginn unserer Zeitrechnung Norikum dem römischen Weltreich angegliedert. Klassische Kultur erblüht auch hierzulande in frühester Zeit, davon heute noch Römersteine und Römerstraßen zeugen. Das Weltreich zerbricht im Sturm der Völkerwanderung; »wie ein heller Stern aus dem Gewölk« tritt der heilige Severin hervor und stärkt mit dem Glaubenslicht die verzagten Seelen in der sinkenden kelto-römischen Kultur.

Das römische Weltreich erneuert sich geistig als Reichgottesidee in der römischen Kaiserkrone, die Papst Leo III. dem Frankenkönig Karl dem Großen zu Weihnachten 800 aufs Haupt setzt. Damit ist der Bund besiegelt, der dem römischen Kaiser kirchliche Weihen gibt und ihn zum Schirmvogt der Kirche bestellt, zum weltlichen Hüter des göttlichen Rechtes und des höchsten sittlich-religiösen Gesetzes, zum »Richter auf Erden«. Wie der Statthalter Christi über alle Völker der Welt gesetzt ist, auch über die Heiden, so hat der von ihm geweihte römische Kaiser den Anspruch auf die Herrschaft über die Welt, das » Imperium mundi«, das im Zeichen des Kreuzes Friedenregiment bedeutet. Imperator pacificus ist der älteste Titel. Ihm allein gebührt die Anrede »Majestät« und somit der Vorrang über alle Souveräne. So stand Leopold I. über dem »Sonnenkönig« Ludwig XIV. Daraus erklärt sich auch das Ringen der französischen Könige um die römische Kaiserkrone; sie fühlen sich als Erbberechtigte Karls des Großen. Gnaden und Titelverleihung stand in Europa dem römischen Kaiser allein zu; er allein konnte die Königswürde erteilen, was zuletzt 1701 geschah, als Leopold I. den Königstitel an Preußen verlieh. Erst nach dem Ruhen der römischen Kaiserwürde 1806 haben die Könige auf dem Wiener Kongreß den Titel Majestät angenommen, ihre Gleichstellung mit den damaligen Kaisern, die nicht mehr diese heilige Würde hatten, zu betonen. Der römische Kaiser war das Reich als weltlicher Arm der Herrschaft Christi, dessen geistliches Haupt auf Erden der Papst ist.

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Die karolingische Ostmark als Eckstein des Reichs hat nur vorübergehend bestanden. Erst nach Zurückdrängung der Magyaren gewinnt sie unter dem Geschlecht der Babenberger 976 festen Bestand, ursprünglich »Ostland« genannt. Die Benennung Ostarrichi: Österreich kommt schon 20 Jahre später auf. Die Kolonisation aus Bayern, Franken, Schwaben, vom Rhein und von der Mosel, ein Prozeß der Völkerbewegung und Völkervermischung, der eigentlich nie stillgestanden, saugt die slawische Bevölkerung und die älteren Volksreste in unseren Landen auf; neues Leben blüht auf den klassischen Ruinen, christliche Kultur, von Salzburg und Passau vorgetragen, benediktinische Erziehermission. Aus den Fundamenten antiker Tempel erstehen Kirchen und Klöster. Kunst und Dichtung entfalten sich und finden eine Pflege wie nirgends an den frommen Stätten und am Hof der Babenberger. Die deutschen Sagenschätze und Heldenüberlieferungen, wie das Nibelungenlied und sein Stoffkreis, die an der Donau Erlebnis waren, werden hier dichterische Gestalt. Das verwüstete öde Land, bedeckt von Wäldern und Sümpfen, ist wieder ein »wohlbestellter Garten« wie in der Glanzzeit kelto-römischer Bildung.

Die große Selbständigkeit und Sonderrechte, wie das Erbrecht, mit denen die Babenberger von Anfang an ausgestaltet waren, wurden von Kaiser Friedrich Barbarossa bestätigt und erweitert in dem Privilegium Austriacum minus vom 17. September 1156, der ältesten Staatsurkunde, auf der die weitere Geschichte Österreichs aufgebaut ist. Sie bestimmt nicht nur die Erhebung zum Herzogtum und die Aufhebung des losen Verbandes mit Bayern, das vorübergehend mit unter der Herrschaft Babenbergs stand, sondern sie spricht auch die weibliche Erbfolge aus, die erst mit Maria Theresia Tatsache wird und grundlegend ist für die Pragmatische Sanktion. Nach jenem Privilegium minus ist niemand mehr in Österreich reichsunmittelbar; auch die Gerichtsbarkeit untersteht dem Landesfürsten. Das später von Rudolf dem Stifter verfertigte und nachher von Friedrich III. 1440 bestätigte Privilegium majus ist nicht so sehr Fälschung gewesen als vielmehr ein erweiterndes Kommentar, das mit dem Erzherzogtitel der Tatsache einer vorhandenen staatlichen Selbständigkeit und eines geschichtlich begründeten Vorranges über die deutschen Fürsten Rechnung trägt. Aus dem Privilegium majus, dieser Grundlage der Pragmatischen Sanktion, hat Friedrich III., und zwar aus dem darin vorkommenden lateinischen Ausspruch über Österreich, als des »Reiches Herz und Schild« seinen Initialspruch A. E. I. O. U. geschöpft: Austria erit in orbe ultima. – alles Erdreich ist Österreich untertan oder aller Ehren ist Österreich voll.

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Die Hohenstaufen gingen in dem Bestreben zugrunde, die Kirche unter das Kaisertum zu beugen. Sie sind damit dem Cäsaropapismus der späteren Zeiten vorangegangen und den ähnlichen Bestrebungen in Frankreich. Als Oberhaupt der Christenheit aber konnte der Papst nicht der Diener eines einzelnen Herrschers sein. Aus diesem Weltkampf ergibt sich die Tragik der Reichsgeschichte und zugleich die besondere Stellung Österreichs. Die Babenberger haben sich in richtiger Erkenntnis dieser Sendung von den Konflikten der staufischen Kaiser möglichst ferngehalten: ihre Stellungnahme ist in den Worten des heiligen Leopold Wahlspruch geworden: Österreich gehorcht nur Gott und dem Heiligen Vater. Sie betrachteten ihr Land als Lehen Gottes und wußten wohl, daß sie damit die Unabhängigkeit und staatliche Selbständigkeit Österreichs am besten begründen und sichern. Hierin liegt das, was wir das geschichtliche Zwangsgesetz Österreichs nennen, das aus dem geschilderten Geschichtsgang mit unwiderlegbarer Deutlichkeit hervortritt. Es entspricht dieser Auffassung, daß selbst der letzte, schier entartete Sproß, Friedrich der Streitbare, in seinem Testament Österreich als Lehen nicht dem Staufenkaiser, sondern dem Papst anheimstellte. Er tat dies auch unter dem Eindruck, daß Friedrich II. wohl geneigt war, die Babenbergischen Länder zum Königreich zu erheben, aber nur in der Absicht, es nach dem kinderlosen Herzog als Lehen einzuziehen und für sich als Hausmacht in Anspruch zu nehmen, um darauf seine kaiserliche Macht zu stützen. Dieser Plan ist es, den später die Habsburger verwirklicht haben. Da nach der damaligen Auffassung der römische Kaiser kein eigenes Reichslehen besitzen konnte, belehnte Rudolf von Habsburg 1282 seine Söhne mit dem eroberten Land, das ein Jahr später 1283 von Albrecht allein regiert wurde. Damit war »Haus Österreich« begründet. Vergebens haben die ersten Habsburger, namentlich Albrecht, versucht, die Erblichkeit der deutschen Königswürde, mit der ja der Anspruch auf die römische Kaiserkrone verbunden war, wiederherzustellen; sie war durch die Staufenwirren verlorengegangen; Deutschland war ein Wahlreich geworden und mit der zunehmenden Fürstensouveränität schwindet die Kraft des Reiches, das mit der Reformation und mit dem Westfälischen Frieden eigentlich als Römisch-Deutsches Reich zu bestehen aufgehört hat. Sein Bestand beruht faktisch auf der habsburgischen Hausmacht, auf Österreich als der neuen Grundlage. Wenn die deutsche Kaiserwürde von Albrecht II. und Friedrich III. an unwidersprochen und fast erblich erscheint, so darum, weil Haus Österreich als das einzige und feste Bollwerk Deutschlands zur Abwehr des unausgesetzten türkischen Vernichtungssturms erscheint, Kraft der Sendung des Kaisers als Schutzherr der Christenheit.

Daß Kaiser Maximilian, der sich in seinem Staatsgedicht »Weißkunig« als den providentiellen Osmanenbesieger ankündigt, seinen burgundisch-flandrischen Neffen empfiehlt, der als Karl V. auch die Kaiserwürde empfängt, hat seinen besonderen Grund in dem Besitz Spaniens, das mitkämpft, wie alle Nationalitäten Österreichs zum Schutz des Reiches, darin »die Sonne nicht untergeht«. Spanier kämpfen mit auf den Mauern Wiens in der ersten Türkenbelagerung. Trotzdem muß schließlich Karl V., der sagte, wenn Straßburg und Wien zugleich bedroht wären, würde er zuerst Straßburg retten, dem konzentrischen Angriff Franz I. von Frankreich, der Türken und der deutschen Reformation weichen. Seinem Bruder Ferdinand I., dem er bei Antritt der Kaiserwürde die Herrschaft in Österreich am Wormser Reichstag übergeben, war durch Erbrecht nach dem Tode Ludwigs in der Schlacht bei Mohacs 1526 Ungarn und Böhmen anheimgefallen, die schon 1438 unter Albrecht II. vorübergehend mit Österreich vereinigt waren; die österreichische Monarchie tritt bleibend in Erscheinung. 170 Jahre dauert das unnatürliche Bündnis Frankreichs mit den Türken, daran auch die Protestanten beteiligt sind. Die Politik Frankreichs spielt in der zweiten Türkenbelagerung eine Rolle ebenso wie im Dreißigjährigen Krieg.

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Der revolutionäre Umsturz der Reformation hatte die herrliche Idee des römischen Kaisertums an der Wurzel getroffen und die Rechtsbegriffe derart verwirrt, daß alles, was zur Schädigung des Rechtes und der alten Freiheit geschah, als Akt religiöser Befreiung (und heute als »nationale Befreiung«) angesehen wurde. Der Kampf Karl V. und später Ferdinand II. zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit, die noch Leopold I. anstrebte, ist in doppelter Hinsicht verständlich aus der Verpflichtung des Kaisertums zum Schutz der Kirche und aus der Sorge um den Bestand des Reiches und des christlichen Abendlandes. Auch im Innern Österreichs erstrebten die Herren und Stände nach dem Beispiel der Reichsfürsten, die sich die Türkennot zunutze machten, die Herrschaft über das Kirchenwesen. Indem Ferdinand II. die Bestimmung des Augsburger Religionsfriedens, wonach die Landesfürsten entscheiden, welches Bekenntnis in ihren Ländern gilt, auch für die katholische Kirche in Anspruch nahm, vermochte er seine Länder, und nach der Schlacht am Weißen Berge auch das aufständische Böhmen, zur katholischen Kirche zurückzuführen und den Traum Gustav Adolfs einer mitteleuropäischen Militärmonarchie zu zerstören, den nachmals Friedrich II. von Preußen aufnahm.

Nur die religiös erneuerte Kraft der Monarchie konnte gegen Franzosen, Schweden und Türken standhalten; es geschah mit vereinten Kräften aller Nationalitäten. So ging Österreich aus dem Dreißigjährigen Krieg als die triumphierende lateinische Weltmonarchie hervor, die nach den großen Siegen Prinz Eugens als österreichische Monarchie ihre höchste Machtfülle erreicht hatte und den künstlerischen Einflüssen des Südens aufgeschlossen in der Barockkunst und in seinen Kaiserspielen ein katholisches Kulturideal als Gesamtkunstwerk verwirklichte. Etwas umwälzend Neuartiges war eingetreten, das freilich in der Geschichtsschreibung bisher unausgesprochen und anonym geblieben ist: die Monarchia austriaca war mit ihrem vielfachen Länderbesitz und ihren Nationen das eigentliche Römische Heilige Reich, die » monarchia latina trionfante« im Sinne der Krone Karls des Großen geworden.

Die Pragmatische Sanktion Karl VI. gab dem Länderverband Österreichs das gemeinsame Staatsgrundgesetz, wonach die österreichischen Länder mit Ungarn und Böhmen als unteilbares Ganzes – indivisibiliter ac inseparabiliter – gesetzlich und rechtlich zu einem Reiche gesamtstaatlichen Charakters geworden sind, während sie früher nur in der Person des Herrschers verbunden waren. Damit ist erfüllt, was auf Grund des friderizianischen Freiheitsbriefes von 1156 in dem Privilegium majus von Rudolf dem Stifter 1359 vorgedacht war. Es ist bezeichnend, daß die Durchführung auf rechtlicher Grundlage durch Verträge erfolgte, im echt österreichischen legitimen Sinn und nicht durch Gewaltpolitik, obgleich Prinz Eugen erklärte, daß 20.000 Mann Soldaten besser wären als alle Verträge. Sämtliche Staaten Europas haben die Pragmatische Sanktion feierlich und bindend anerkannt.

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Den Kampf gegen Reich und Kaiser führt trotzdem Preußen weiter im Solde Frankreichs. Ohne den Raub Schlesiens durch Friedrich II., der die Wiedergewinnung des Elsaß verhindert; ohne den Basler Schmachfrieden wäre eine napoleonische Herrschaft in Deutschland undenkbar gewesen. Daß Franz I. nach dem Befreiungskrieg die römische Kaiserwürde nicht erneuert hat, wird geschichtlich als Versäumnis beurteilt. Nicht minder als Versäumnis muß bezeichnet werden, daß er auch als Kaiser von Österreich die Weihe einer Krönung unterlassen hat, die in gewissem Sinne die Symbolkraft der Heiligen Krone wiederhergestellt hätte. Daran ist der Josephinismus schuld, das Abweichen von dem österreichischen Lebensgesetz als der erste Schritt auf dem Wege, an dessen Ende der Umsturz steht. Gleichwohl ruht ein Abglanz der Heiligen Krone auf dem katholischen Österreich, wo sowohl der alte Reichsgedanke als auch die historischen Aufgaben im Donauraum, zusammen mit dem Begriff der Legitimität, ein heiliges Vermächtnis auch für die Zukunft bleibt im Geist der geschichtlich überlieferten universellen Sendung Österreichs.

Die Heilige Allianz und der Deutsche Bund erscheinen, wenn auch in schwacher Form, als eine Fortsetzung der Idee des Heiligen Reiches; Kaiser Franz Joseph I. schien mit dem beabsichtigten Eintritt von Gesamtösterreich am Fürstentag 1863 die alte Kaiserwürde erneuern zu wollen; verhindert hat es Preußen, zuletzt durch den Bruderkrieg; das preußische Kaisertum, das an seiner eigenen Auswirkung, dem Weltkrieg, gescheitert ist, hat nichts mit der Friedensidee der alten Krone Karls des Großen zu tun. Als Treuhänder der Friedensverträge erscheint der Völkerbund entfernt verwandt mit der Heiligen Allianz, ohne den wahren Frieden Christi bringen zu können. Der Appell des Präsidenten Henderson an die Christen läßt erkennen, woran es fehlt. Ebenso wie beim Westfälischen Frieden und beim Wiener Kongreß war auch beim Völkerbund das Oberhaupt der Christenheit, der Heilige Vater, vergessen worden, darum mußte alles im materiellen Bruchstück enden. Die unvermeidliche Reform und Geisteserneuerung kann nur in einem bestehen: in der Erfüllung des Willens des Statthalters Christi, dem eine entscheidende Stimme gebührt, zumal sein Schirmvogt, der römische Kaiser, nicht mehr ist. Von hier aus wird es verständlich, warum Kanzler Dollfuß eine so überwältigende Wirkung im Völkerbund hervorbringen konnte. Gerade das gereicht ihm zum unvergänglichen Ruhm, daß er mit der Selbstverständlichkeit eines habsburgischen Prinzen den Wiederaufbau Österreichs auf das innerste metaphysische Lebensgesetz stellte, auf die christliche Verfassung, die in » Quadragesimo anno« vorgezeichnet ist und zutiefst auf der Verfassung der Weltkirche beruht.

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Österreichische Geschichte lehrt mit eindringlicher Deutlichkeit, daß sich in wechselvollen Geschicken seit Anbeginn unserer Zeitrechnung in konstanter Linie ein charaktervolles Staatswesen und eine Kulturnation herausgebildet hat, die mit dem Besten aller Welt in Einklang lebt als das Herzstück der allseitig menschlichen, also katholischen Kultur, die nicht das Heil im bloß technischen Fortschritt sucht, sondern im Metaphysischen, in der Gottverbundenheit und in der Würde und Schönheit der Qualitätsarbeit, die allein ihre wirtschaftliche und seelische Wohlfahrt bedeuten.

Vaterländisch österreichische Geschichte lehrt, daß es ein österreichisches Staatsvolk gibt, eine österreichische Kulturnation und einen österreichischen Menschen, wie sehr ihn auch eine alldeutsche völkische Ideologie leugnen möchte. Aus dem Zusammenleben mit vielen Völkern, ihren Mischungen und Legierungen seit der kelto-romanischen Zeit mit dem deutschen Wesen in Österreich hat sich ein konstanter musischer Typus herausentwickelt, daß man mit Fug und Recht von einer österreichischen Rasse, zumindest von einer österreichischen Nation reden kann. In seinem Idealtypus kann man eine glückliche Vereinigung aller Kultureigentümlichkeiten Europas vereinigt finden: die persönliche Freiheit Englands, die leichte, heitere Grazie Frankreichs, sogar die Etiquette Spaniens, den musikalischen und architektonischen Genius, der schier italienisch anmutet, das feurige Temperament der Ungarn, die Talente und Musikalität der Slawen, auch ihre Melancholie, dies alles harmonisiert und vertieft durch den deutschen Grundton.

siehe Bildunterschrift

Der betende Kaiser Franz Joseph I.
(Phot. Atelier Ch. Scolik, Wien, 7., Neubaugasse 11. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien.)

Vaterländisch österreichische Geschichte lehrt, daß es eine österreichische Idee als begründete Geschichtsauffassung gibt, die die gesamtdeutsche Kultur mit einschließt, ja deren Herz ist, aber mit dem viel zu eng gefaßten sogenannten »Ostmarkberuf« nicht erschöpft ist. Der österreichische Beruf ist kultureller und völkerverbindender Art, er entspringt eigenen Wurzeln aus blutmäßiger, vielseitiger Veranlagung seines geschichtlich gewordenen Volkstums; er ist um seiner selbst willen da und unbegrenzt.

Österreichische Geschichte lehrt vor allem, daß es ein geschichtliches Zwangsgesetz gibt, das ein völkerverbindendes, friedenstiftendes, ausgleichendes Liebesgesetz ist, durch das Österreich groß und schön geworden ist, deswegen es immer wieder geliebt, gehaßt und umkämpft war. Die Weltsäulen, auf denen Österreich beruht, ragen aus dem ewigen Seinsgrund auf als der Doppelpfeiler von Glaube und Vaterland. Aus dem Seinsgrund schöpft es seine geheimnisvolle Lebenskraft, seine Wunder, seine ewigen Werte, aus denen es aufgebaut ist. Davon künden seine Kunstmäler, seine Helden und Heiligen, seine großen geschichtlichen Augenblicke, die immer vaterländische, religiöse Augenblicke sind. In diesem ewigen Grund wurzelt sein metaphysisches und geschichtliches Zwangsgesetz, seine Kulturmacht und seine Unabhängigkeit und Freiheit als Lehen Gottes nach dem Weihewort des Schutzheiligen Leopold, das Bekenntnis der babenbergischen und habsburgischen Herrscher und seiner großen Männer bleibt, und Unterpfand seiner Größe und universellen Sendung auch in der Zukunft ist:

Österreich gehorcht Gott und dem Heiligen Vater und sonst niemandem auf der Welt!


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