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Epoche Franz Joseph I. und Neuösterreich

1848

»Freiheit und Nation« waren die Schlagworte der französischen Revolution auch im Umsturz 1848, ein Doppelziel, unklar zwar, doch um so berauschender. Viele schrien: »Freiheit« und fragten dann einander: »Was ist Freiheit?« Die Massen wußten nicht, um was es ging; sie wissen es niemals. »Die Freiheit geht um wie vor 13 Jahren die Cholera«, spottete der treffsichere Nestroy. »Redefreiheit, Preßfreiheit« war der Ruf der Unzufriedenen, der Intelligenz und mehr noch der Halbintelligenz. Preßfreiheit, die Friedrich Hebbel nachmals die »große Nationalvergiftung« nannte. Doch im unklaren Drang die an sich berechtigte Forderung einer Verfassung. »Konstitution« hieß das Zauberwort der Zeit. Parlamentarische Volksvertretung nach englischem Muster, französisch umgeformt, Freiheit von allen Bindungen, wirtschaftlich, politisch, religiös. Liberalismus. Man übersah das Gute der alten Ordnung: Wohlstand, Frieden, Glück, und tauschte dafür eine Phrase.

Die Bekämpfung dieses Liberalismus hatte der allmächtige Metternich geradezu als seine Lebensaufgabe bezeichnet. Sein Grundsatz war Österreichs staatspolitisches Lebensgesetz: »Die wahre Freiheit ist Ordnung und Gesetz; die wahre Kraft ist das Recht!« Darum stand es immer an der Seite des Schwächeren. Ungeachtet der Untreue Preußens 1805 warf es sein Schwert für die geschlagenen Preußen und Russen in die Waagschale gegen den mächtigen Napoleon. Nicht der König von Preußen, sondern Franz I. und sein großer Kanzler mit den österreichischen Soldaten aller Nationalitäten haben 1813 Europa befreit. Metternich hatte Österreich in den Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt. Er wollte ständische Verfassung auf organischen geschichtlichen Grundlagen, wurde aber nicht fertig damit und kam über den Polizeistaat nicht hinaus. Das war seine Schwäche; die Märztage brachten seinen Sturz.

Die andere Zielrichtung liegt im nationalen Unabhängigkeitsdrang. Das Nationale erwies sich als nie versagender Begeisterungsstoff: Liberalismus, Partei- und Kapitalsinteresse, Freimaurertum verbrämt sich mit Bardenbärten und viel Freiheitsgesang – das ahnungslose Volk merkt nicht den Geist, der dahintersteckt. Liberalismus führt über Nationalismus immer zum Radikalismus, der bald durchschlug: der demokratisch-republikanische in Deutschland und Österreich; der nationale vor allem in Ungarn und Italien, auch in Böhmen und Galizien; die Monarchie war wieder der völligen Auflösung nahe: »Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar«, sagt Grillparzer 1848 im »Bruderzwist«.

Die Februarrevolution in Paris war der Funke ins europäische Pulverfaß: der hymnische Lamartine hatte selbst die Republik in Frankreich ausgerufen! Am 4. März fordert Kossuth in Ungarn nationale Unabhängigkeit; am 6. März verlangt im Gewerbeverein Fabrikant Arthaber den »Anschluß«; es regnet Adressen an den Kaiser und Drohbriefe an Metternich; die niederösterreichischen Stände, der juridisch-politische Leseverein, seit 1841 Sammelpunkt der Intellektuellen, die Wiener Studentenschaft erheben die üblichen Forderungen: Preß-, Rede- und Glaubensfreiheit, allgemeine Volksvertretung. Endlich kommt der 13. März, die Eröffnung der Ständeversammlung im Landhaus in der Herrengasse; der jüdische Arzt Fischhof hält vom Brunnendach im Hof des Landhauses Hetzreden und bringt ein Hoch auf die Ungarn und Italiener aus; Kossuths Rede wird verlesen; Begeisterungssturm und Donnerhall: »Es lebe die Konstitution!« Militär eilt herbei, Straßenkampf – die »Märzgefallenen« 36 an der Zahl. Studenten und Bürger plündern das Zeughaus, bewaffnen sich; Pöbel plündert in den Vorstädten – namens der Freiheit. Inzwischen bewilligt Kaiser Ferdinand I. die dringende Petition: Rücktritt Metternichs, der nach England flieht; Aufhebung der Zensur, Preßfreiheit, Studenten- und Bürgerbewaffnung. Am 15. März Spazierfahrt des Kaisers mit seinem Bruder Franz Karl und dessen Sohn Franz Joseph; unendlicher Jubel, hierauf Zusicherung einer »Konstitution« oder Verfassung, verkündet durch Berittene in der ganzen Stadt; abermals Jubel. In drei Märztagen war alles erreicht; die Revolution hätte von rechtswegen aus sein müssen; doch jetzt tritt sie erst, geschürt von fremden Emissären, in ihr radikales Stadium. Nestroy geißelt in seiner Posse »Freiheit in Krähwinkel« die Revolutionsideale: »Preß- und sonstige Freiheit, Gleichgültigkeit aller Stände, offene Mündlichkeit, freie Wahl nach vorhergegangener Stimmung.«

In Berlin ging die Umwälzung gewaltsam vor sich mit Demütigungen für den König, die geradezu frivole Nachäffungen gewisser Vorfälle in der französischen Revolution sind. In Südwestdeutschland wurde die vorübergehend ausgerufene Republik niedergeworfen: der rasch umgestellte Frankfurter Bundestag erklärte sich in der St. Paulskirche unter dem Vorsitz Gagerns als Vorparlament und berief zur Neugestaltung Deutschlands eine Nationalversammlung ein. Erzherzog Johann wurde als »Reichsverweser« gewählt. Radetzky, der Vater seiner Soldaten, der in der alles stürzenden Zeit den Glauben an Österreich nicht verloren, wird buchstäblich zum Retter. »In deinem Lager ist Österreich«, sagt Grillparzer »an Radetzky«, die Armee ist Symbol und Bürgschaft des Fortbestandes. Die Tage von Santa Lucia, Sona, Custozza, Mortara, Novara sind österreichische Ehren- und Siegesmale. Johann Strauß Vater brachte dem Helden seinen Schwanengesang dar, der in Österreich nimmer verklingt: den Radetzkymarsch.

Der Aufstand der Polen im Freistaat Krakau ist rasch bewältigt; in Prag wird Fürst Windischgrätz, dessen Gemahlin am Fenster ihres Palais durch einen Schuß von außen getötet wurde, Herr der Lage; auch die Unterwerfung der aufständischen Ungarn hat begonnen. In Wien ging es drunter und drüber; der Hof hatte Zuflucht zuerst in Innsbruck bei den allzeit treuen Tirolern genommen, später in Olmütz; ein Strafgericht zieht sich über das undankbare Wien zusammen, wo die besonnenen Kreise der tollen Freiheit müde waren; von Prag her zieht Windischgrätz heran, vom Süden Jellachich mit seinen kaisertreuen Kroaten; die Führer des Aufruhrs, Messenhauser und Blum, büßen mit dem Tod.

Die Wiederherstellung der Monarchie war die nächste große Aufgabe, für die sich Kaiser Ferdinand entschieden zu schwach fühlte; der Sohn seines Bruders übernahm zur allgemeinen Überraschung am 2. Dezember 1848 die Regierung, der 18jährige Franz Joseph I., von dem in Kremsier tagenden Reichstag als der »konstitutionelle« Kaiser begrüßt. In Kremsier wurde die föderative Neugliederung Österreichs beraten. Kudlich sprach über »Bauernbefreiung« in Stilblüten, die unseren Schulbüchern nicht versagt blieben; Adel sollte abgeschafft, die Trikolore Schwarz-Rot-Gold eingeführt werden, Revolutionsideen aus zweiter Hand. Am 4. März 1849 war dieser Spuk verjagt; der junge Monarch ließ durch seinen Kanzler Schwarzenberg eine neue Verfassung proklamieren, wonach Gesamtösterreich einschließlich Ungarn, mit Ausnahme der italienischen Provinzen, als selbständige, unteilbare und unauflösliche Erbmonarchie erklärt wurde. Zugleich ging eine Note an die Nationalversammlung in Frankfurt und verlangte den Eintritt dieses zentralistisch geschlossenen Österreich mit allen seinen Nationen in das Deutsche Reich, an dessen Spitze ein Direktorium von Fürsten unter dem Vorsitz Österreichs stehen sollte. Ein großzügiger Gedanke, der das Aufleben der alten Reichsidee bedeutete.

In Frankfurt war die Stimmung geteilt. Schließlich obsiegten die Kleindeutschen, die über eine Kaiserwahl beraten hatten, und beschlossen, unter Verzicht auf Österreich, dem Preußenkönig eine deutsche Krone anzubieten. Aber Friedrich Wilhelm IV., der katholisch geneigt war, verschmähte diesen »imaginären Reif aus Dreck und Letten mit dem Ludergeruch der Revolution«. Die »deutsche Krone« war eine Idee Napoleons, der 1806 Friedrich Wilhelm III. von Preußen vorschlug, sich eine solche Krone aufzusetzen, nachdem Kaiser Franz die Heilige Römisch-Deutsche Reichskrone niedergelegt hatte. Mit dieser hatte das nationale Kaisertum, das aus dem Kampf der Nationen gegeneinander hervorgeht, nicht das mindeste zu tun. Die eigentliche Reichsidee war christliche Völkerversöhnung. Trotzdem waren schon 1848 die österreichischen Revolutionäre so gedankenlos, einfach »Anschluß« zu schreien und von der Frankfurter Versammlung Schwarz-Rot-Gold zu übernehmen, in völliger Unkenntnis, daß die Farben des alten Reichs Schwarz-Gelb (Schwarz-Gold) waren. Schwarz-Rot-Gold sind die Burschenschafterfarben, die beim Reformationsfest auf der Wartburg 1817 bestimmt wurden. Es sollten die neuen Reichsfarben sein, die von der revolutionären Idee getragen sind. Die leermahlende Nationalversammlung wurde schließlich als Rumpfparlament in Stuttgart mit Bajonetten auseinandergesprengt. Das Jahr 1849 brachte noch die Niederwerfung des ungarischen Aufstandes nach längeren Kämpfen durch General Haynau unter Russenbeihilfe und die siegreiche Beendigung der italienischen Kämpfe unter Radetzky. Mit Franz Joseph beginnt Neuösterreich, durch das Revolutionsjahr 1848 deutlich geschieden von Altösterreich.

siehe Bildunterschrift

Marschall Radetzky auf dem Schlachtfeld von Novara 1849.
(Albrecht Adam. Kunstverlag Wolfrum, Wien.)

Nachmärz

Wie man die Zeit der politischen Spannung, die zur Entladung in den Märztagen 1848 führte, den »Vormärz« nannte, so gab man den Jahren der politischen Entspannung bis zu den Ereignissen von 1866/67 und zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn den Namen »Nachmärz«. Der Name entstand, weil das unumschränkte Regime des Vormärz auch nachher, also im Nachmärz wiederhergestellt wurde, allerdings in schöpferischer Weise. Es ist die Zeit der inneren Sammlung, des Neuaufbaues, der wiederkehrenden Romantik. Der gänzlichen Überwindung des Josephinismus. Der vaterlandsfremde Geist des Liberalismus würde sagen: »Reaktion.« Es gibt aber keinen Grund, sich des Wortes zu schämen. Wenn man sich verirrt hat, kehrt man zum Ausgangspunkt zurück. Das ist eine vernünftige und heilsame Reaktion. Ein Wiederanfangen auf geschichtlichen Grundlagen, aus eigenen Wurzeln, und kulturellen Überlieferungen. Ein Beschneiden der wilden Triebe, um ein besseres Wachstum zu erzielen. Das tut auch der Gärtner. Man hatte grausend den Abgrund der Revolution geschaut und wünschte enttäuscht selbst Metternich zurück, er erschien im gerechteren Licht; als er 1851 nach Wien zurückkehrte, wo er in Zurückgezogenheit mit der Aufzeichnung seiner aufschlußreichen Grundsätze und Erinnerungen beschäftigt 1859 starb, war die öffentliche Meinung mit ihm ausgesöhnt.

Nicht die Politik, sondern Stifters Muse führt in das Herz Österreichs in der Zeit innerer Sammlung, die Nachmärz heißt. »Des Innern stiller Frieden« ist köstliche Errungenschaft auch dieses Dichters, dessen Kunst der Beseelung sich mit der romantischen Formel Beethovens deckt: »Kunst ist Seelenausdruck.« Die Menschen, die durch seine »Studien« und Erzählungen gehen, sind österreichische Charaktere aus dem Nachmärz. Der »Nachsommer« ist feinste Kulturerziehung zu Österreich. Die Romantik singt ihren Schwanengesang in Wien. Donizettis Musik ist noch unverklungen, ebenso Flotows »Martha«; der Wiener Walzer tritt seinen Siegeslauf durch die Welt an; Wagner ist zu Gast, vor allem der gefeierte Liszt, der zur Seele der österreichischen Musik zu rechnen ist; wie einst Beethoven findet Brahms hier seine Genieheimat. Unter Heinrich Laube am Burgtheater feiert der im Vormärz gleichsam lebendig begrabene Grillparzer seine Auferstehung im Nachmärz – der Dichter erscheint märchenhaft »wie ein verwunschener habsburgischer Prinz, der bei Tag zum Archivdirektor verdammt ist, und nachts Erinnerungen an seine glühende Vergangenheit niederschreibt«.

Aus der allgemeinen tiefen Wiederbesinnung, die den Nachmärz kennzeichnet, erwuchs stärker als zuvor österreichisches vaterländisches Bewußtsein. Adalbert Stifter schreibt 1851: »Endlich müssen alle guten Geister zu dem Kaiser stehen, in Wort und Tat ihn als den Mittelpunkt des Wirkens erklären, von dem das Ganze des Baues ausgeht. In der Tat war der feste Zusammenhalt gegeben durch die Armee Radetzkys einerseits: »In deinem Lager ist Österreich«, zum anderen Teil aber durch die Persönlichkeit des jungen Monarchen selbst, der sich zunächst auf den Fürsten Schwarzenberg stützen konnte und nicht zuletzt auf seine ausgezeichnete Mutter, Erzherzogin Sophie, unbeschadet seiner früh ausgeprägten Selbständigkeit und Entschlußfreiheit. Franz Joseph I. war der ritterlichste Kavalier und der treueste Pflichtmensch zugleich. Eine schlanke, elastische Erscheinung von äußerster Diszipliniertheit. Sein Wesen gütig für andere, streng gegen sich. Gewinnende Schlichtheit, verbunden mit der zwingenden Kraft des geborenen Herrschers, der vor allem sich beherrscht und damit andere. Selbst die ungarischen Revolutionäre waren überwältigt. Mehr als eine Armee siegte der Kaiser – – – Anastasius Grün mußte bekennen: »Es liegt doch etwas Unüberwindliches in dem Zusammenhalten all dieser österreichischen Völker, deren jedes einzelne zu schwach zur Selbstexistenz ist, deren Gesamtheit aber eine der ersten Mächte, die Verwirklichung einer der schönsten weltgeschichtlichen Ideen bildet.« Das war der Sinn des Hauses Österreich. Die Revolution hatte alles auseinandergesprengt, und hätte, wie Anastasius Grün nun selbst zugibt: »in zehn Jahren nichts zustandegebracht«, wohl aber »die Errungenschaften an Bildung, Sitte, Wohlstand, Kunst und Wissenschaft« vertan. Um so fester mußten der Kaiser und die ausgezeichneten Männer um ihn: Fürst Schwarzenberg, Graf Leo Thun für Unterricht, K. L. von Bruck für Handel, Freih. Alex. v. Bach für Justiz zusammenfassen.

Politik ist nicht von Politik aus zu beurteilen, sondern von dem aus, was sie bewirkt; sie ist nicht Selbstzweck. Der neue autoritäre Kurs, den die Gegner »Reaktion« nennen, hatte Gutes gezeitigt und wahren Fortschritt gebracht, wirtschaftspolitisch und sozial: die josephinische Bauernbefreiung, die nicht durch die Wortdreschereien Kudlichs, sondern durch die Grundentlastung des Ministers Bach verwirklicht wurde und damit zugleich die Hebung der Landwirtschaft; verkehrspolitisch: der Ausbau des Eisenbahn- und Straßennetzes, ein Verdienst des Ministers Bruck, der die Hindernisse des Donauverkehres durch Regulierungen, unter anderen am Eisernen Tor, beseitigen ließ; nicht am wenigsten war es das grollende Ungarn, das in dieser Weise kulturell gehoben wurde, wie niemals in seinen revolutionären Zeiten. Wenn die Finanzen trotzdem ungünstig standen, so durch die hohen Kosten des Heeres, das nun einmal ein Erfordernis war.

Nicht nur das Wirtschaftsleben, sondern auch die geistige Bildung wurde – trotz »Reaktion« – auf die höchste Stufe gehoben, und mit besonderem Bedacht die nationalen Wesensrüge gepflegt. Graf Leo Thun hat auf diesem Gebiete Vorbildliches geleistet. Das Schulwesen, seit Maria Theresia unverändert, hat er damals schon auf jene moderne Form gebracht, in der es heute noch besteht. Es war üblich geworden, Lehrkräfte und Wissenschaftler aus dem deutschen Norden zu beziehen, wodurch freilich auch die preußische Geschichtsauffassung bei uns zur Geltung kam. Die Kulturpolitik ist damit nicht erschöpft. Franz Joseph ist künstlerisch gesinnt; Schutz der Künste gehört zur Staatspolitik seines Hauses. Er gibt Neuösterreich einen neuen Stil durch die Stadterweiterung vom 20. Dezember 1857. Eine ganz große Tat. Neuwien soll werden als Schönwien.

Eine aufstrebende Zeit ist eine bauende Zeit. Schönes Bauen setzt alle Künste und Gewerbe in Bewegung, bedeutet also wirtschaftlich und kulturell eine Lebensfrage, Arbeit und Wohlstand auf Jahrzehnte. Wien, seit der Barockzeit fast unverändert, wandelt sich gänzlich. Vielleicht zu radikal. Die Basteien, das Entzücken der Altwiener, fallen; Hansen hätte gern einen Teil erhalten für öffentliche Bauten, wie seinen Parlamentsbau als Akropolis. Die Ringstraße entsteht: Prunkbauten mit Baumgrün. Das wiedererwachte romantische Gefühl stärkt sich an den Romanen von Walter Scott, an Victor Hugos » Notre Dame de Paris«, mit dem zärtlichen Rückblick auf die Gotik. Die Altlerchenfelderkirche, noch 1848 begonnen, entsteht in einem gotischen Märchenstil nach Bildern von Schwind, Steinle und Führich, dessen Fresken biblisches Leben atmen. Historienmalerei gewinnt Raum. Kunstgeschichte hat Vorrang im Bildungsstreben der Zeit. Die Stilformen aller Zeiten wandeln vorüber. Die Ringstraße ist eine architektonische Illustration dazu. Ein ungarischer Schneidergeselle verübt Februar 1853 ein Attentat auf den Kaiser – der erste Fall in der Geschichte des Hauses seit Albrecht I. – die glückliche Abwendung ist Anlaß zur gotischen Votivkirche. Die Vermählung des Kaisers mit Elisabeth von Bayern 1854 wird Gedächtnis in der nicht mehr bestehenden Elisabethbrücke. Kunst hat am Tisch des Lebens noch den Ehrensitz. Aber der neue Stil ist kein eigener. Vorderhand ein Stil der Stile aller Zeiten.

Von grundlegender Bedeutung ist die Beseitigung des Josephinismus. Die Aufhebung der Kirchenverstaatlichung. Die Einsetzung der Kirche in ihre früheren Rechte durch das Konkordat von 1855, das ist ein Vertrag mit dem Heiligen Stuhl, darin auch die Fragen der religiösen Erstehung und der Ehegesetzgebung geregelt sind. Der Verfechter, Graf Thun, war von dem Grundgedanken geleitet: der Staat ohne Gott ist von Übel. Staatsallmacht ist Materialismus. »Dem Materialismus ist die sittliche Idee entgegenzustellen durch Erneuerung des christlichen Geistes im Interesse des Staates.« Staat und Kirche sind gleichberechtigt. Durchgeführt wurde das Konkordat von Othmar von Rauscher aus dem Kreise Hofbauers, nachmals Erzieher des Kaisers, seit 1853 Kardinal von Wien. Es erwies sich als das stärkste Band des Völkerstaates. Eine katholische Bewegung entstand mit jährlichen Katholikentagen. Das billige Schlagwort »Ultramontanismus« wurde seither Feldgeschrei der liberalen Gegner.

Schon 1851 verkündet der italienische Hochgradmaurer Mazzini: »Österreich muß zerstört werden.« Und nach dem Konkordat: »Mit Habsburg fällt Rom.« Der Plan ist: Preußen zu stacheln, und die Völker Österreichs gegeneinander aufzuhetzen. Nationalismus ist der Sprengstoff, dessen sich das Freimaurertum bedient. In Italien hat der Staatsminister von Piemont Cavour, ein italienischer Bismarck, die Revolution von 1848 wieder aufgenommen und sucht Anlehnung an Napoleon III., der durch einen Staatsstreich 1854 Kaiser von Frankreich wird und die Schwächung Österreichs als Tradition seines Hauses betrachtet. Orsinibomben zwingen ihn vollends an die Seite der italienischen Erhebung – es kommt zum Krieg 1859. Die Schlacht bei Magenta ist eine Niederlage, der Oberbefehlshaber Gyulai ist eben kein Radetzky – der Vater der Armee ist ein Jahr vorher in Mailand gestorben. Ebensowenig kann ihn Feldzeugmeister Heß ersetzen – so geht infolge mangelhafter Führung auch die blutige Entscheidungsschlacht bei Solferino unter den Augen Franz Josephs verloren. Eigentlich waren es drei Schlachten zugleich, ohne erkennbaren Zusammenhang. Das österreichische Heer ist trotz großer Verluste nach heldenmütigem Kampf ungebrochen – um so überraschender kam der Waffenstillstand von Villafranca, den Franz Joseph schloß, und der die Lombardei kostete. Er hatte zu tief in das Grauen der Schlacht gesehen, die einen Verlust von 20.000 Österreichern an Toten und Verwundeten brachte, und neigte menschlich zur Schonung; er hatte wohl auch seine besonderen Gründe. Der Deutsche Bund wäre allerdings zur Hilfe bereit gewesen, doch Preußen hat es zu verhindern gewußt. Mazzini hat sich in seiner Berechnung nicht geirrt. In einem Manifest »An meine Völker« sprach es Franz Joseph tief verstimmt aus, daß er von seinen natürlichen Bundesgenossen im Stich gelassen worden sei.

Das Unglück von 1859, das als »Sieg des Nationalitätenprinzips« gefeiert wurde, war nur der Vorbote einer Reihe von schwerwiegenden Ereignissen. Innerpolitisch machte sich eine Annäherung an die Nationalitäten und alten Ständeverfassungen notwendig, nicht nur wegen der Steuerbewilligungen, sondern auch zur Festigung des Vertrauensverhältnisses. Unter dem Ministerium Rechberg-Goluchowski wurde der Versuch eines Ständeparlaments unternommen und verfassungsmäßig festgelegt durch das Oktoberdiplom von 1860. Die oktroyierte Verfassung von 1849 war nämlich schon Ende 1851 sistiert worden; die Regierungsform war absolut, der Reichsrat, aus den Landtagen gewählt, hatte nur eine beratende, keine gesetzgebende Stimme. Mit Rücksicht auf regionale und nationale Bedürfnisse wurde der Reichsrat erweitert, aber auch der erweiterte Reichsrat genügte nicht und führte endlich zur Oktoberverfassung auf föderativer Grundlage, wobei den Ständen im Reichsrat ein gewisser Anteil an der Gesetzgebung gegeben werden sollte. Damit war auch eine Durchbrechung des zentralistischen Prinzips gegeben, durch das die Deutschen in Österreich das alleinige Bestimmungsrecht über die nichtdeutschen Völker Österreichs hatten. Somit war die neue Verfassung ein Schritt zur Autonomie der Nationalitäten oder Länder. Das hatte in doppelter Richtung einen Mißerfolg. Die Nationalitäten, voran die Ungarn und dann die Tschechen, waren durch das Zugeständnis nicht befriedigt und die zentralistisch gesinnten Liberalen verstimmt. Unter dem liberalen Minister Schmerling wurde durch das Februarpatent 1861 die Oktoberverfassung wieder mehr im zentralistischen Sinne eingeengt und abgeändert, was zur Folge hatte, daß die Ungarn und Böhmen nun erst recht dem Reichsrat fernblieben. Deak verlangte die Wiederherstellung der 1848er-Gesetze in Ungarn, das heißt die nationale und staatliche Selbständigkeit. Statt der geforderten Anleihe von 117 Mill. hatte der unvollständige Reichsrat nur 13 bewilligt; damit war das liberale Ministerium erledigt, das auch durch seinen Kampf gegen das Konkordat, diesen festesten Kitt der österreichischen Völker, Mißstimmung erregt hatte.

Da sich durch die militärische Intervention in Schleswig-Holstein das Verhältnis zu Preußen in gefährlicher Weise zuspitzte, mußte ein Ausgleich mit Ungarn und Böhmen dringender denn je gesucht werden; die Gesamtverfassung wurde unter Belcredi 1865 sistiert und damit der liberale Zentralismus Schmerlings aufgegeben, der Weg zum deutsch-slawisch-ungarischen Föderalismus beschritten. Zum erstenmal eröffnete der Kaiser persönlich den ungarischen Landtag und versprach, sich in Ungarn krönen zu lassen. Auch den Böhmen stellte er eine Krönung in Prag in Aussicht, die allerdings nie stattgefunden hat. Ehe aber noch der Ausgleich durchgeführt werden konnte, brach die Katastrophe aus: der Endkampf mit Preußen, dessen Vorspiel der Italienische Krieg 1859 war. In gewisser Beziehung ist die geschichtliche Lage ähnlich wie zur Zeit Ferdinand II., nur daß drüben statt Gustav Adolf ein Bismarck steht.

1866

Auch Staaten werden und vergehen nach dem Gesetz, durch das sie entstanden sind. Preußen war Ordensland; durch Glaubensabfall und nicht wieder gutgemachte Wegnahme des Ordenslandes entstand der preußische Staat. Friedrich II. schreitet in diesem Geist fort auf der Bahn der Eroberung und Gewalt ohne Rücksicht auf Völkerrecht und Moral. Sein Ziel ist nicht deutsche Politik, sondern preußische Machtvergrößerung. Der Geist der Potsdamer Garnisonskirche wirkt fort. In dem politischen Programm des Staatsrates Eichhorn, das den Bruch mit Österreich vorsieht, die Vorherrschaft Preußens im Deutschen Bund. Die deutsche Öffentlichkeit wird in der Meinung erzogen, 1813 habe Preußen die deutsche Sache allein gerettet, folglich gebühre ihm die Hegemonie. Der Vollstrecker dieses Programms im Geist Friedrich II. ist Otto von Bismarck. Er erklärt es selbst, daß er nicht deutsche, sondern preußische Politik mache: »Es gibt kein deutsches Volk; unsere Politik ist das Aufgehen Deutschlands in Preußen und damit die Umgestaltung Preußens in Deutschland.« Das österreichische Lebensgesetz ist polar verschieden. Es vertritt die Idee des sittlich religiösen Rechtes, den Schutz der Kirche als höchste Gnaden- und Rechtsquelle, die alte Reichsidee, die noch im Bund fortlebt, das Völkerrecht, und in diesem Sinn nicht die Eroberung, sondern die Verteidigung, nicht Gewalt, sondern Ausgleich. So ziemlich in allem das Gegengewicht zu Preußen, dessen Korrektur und darum auch bester Freund.

Nach dem italienischen Beispiel von 1859 bildet sich in Frankfurt a. M. ein Nationalverein mit kleindeutschem Programm: nicht föderativer Staat, sondern Einheitsstaat unter Preußens Führung. Alle Landesuniversitäten arbeiten gegen das Interesse ihrer eigenen Fürsten für Preußen und behaupten dessen »deutschen Beruf«. Der jüdische Marxist und Freimaurer Ferdinand Lassalle fordert 1859: »Österreich muß zerfetzt, zerstückelt, vernichtet, zermalmt ... seine Asche muß in alle vier Winde zerstreut werden.« Als Bismarck 1862 Staatsminister geworden, tritt er aus der Reserve heraus und erklärt dem österreichischen Botschafter: Österreich müsse seinen Einfluß auf Deutschland aufgeben, sonst würde es mit Preußen zusammenstoßen; er gibt den höhnischen Rat, den Schwerpunkt doch nach Ofen zu verlegen.

Nun nimmt Franz Joseph die so dringend notwendig gewordene Bundesreform selbst in die Hand; die straffe Zentralisation seiner Lande war ja auch mit dem Hinblick auf den Eintritt von Gesamtösterreich in den Bund durchgeführt. In dieser Absicht ladet er 1863 sämtliche deutsche Fürsten zum Fürstentag nach Frankfurt a. M. ein. Auf der Reise begrüßt ihn der Volksjubel überall schon als deutschen Kaiser. Der Einzug in Frankfurt erinnert an den Glanz der Kaiserkrönungen in vergangenen Zeiten. Das Morgenrot einer großen Zukunft schimmert aus der Ansprache des Kaisers: »Ich glaube, daß es an der Zeit sei, den Bund, den unsere Väter schlossen, im Geiste unserer Epoche zu erneuern, ihn durch die Teilnahme unserer Völker mit frischer Lebenskraft zu erfüllen und ihn dadurch zu befähigen, Deutschland in Ehre und Macht, in Sicherheit und Wohlfahrt als ein unzertrennliches Ganzes zusammenzuhalten bis in die spätesten Tage.« Was wäre Österreich, was Deutschland erspart geblieben, wenn der Traum der Wiederherstellung alter unüberwindlicher Größe sich verwirklicht hätte! Er ist zerronnen an dem Widerstand des finsteren Hagen Deutschlands, an Bismarck, der den historischen Anspruch Österreichs auf den Vorsitz unannehmbar fand und seinen Herrn, König Wilhelm I., zu bestimmen wußte, dem Fürstentag fernzubleiben. Es gab eine harte Szene; dem gewalttätigen Bismarck blieb beim Verlassen des Königs die Türklinke zerbrochen in der Hand; in seinem Zimmer mußte er noch ein Gefäß zerschmettern, um auszutoben. Den Eintritt Österreichs in den 1863 erneuerten Zollverein hat er gleichfalls verhindert. Der gemeinsame schleswig-holsteinische Krieg 1864 gegen Dänemark, wobei Tegetthoff bei Helgoland die dänische Seeherrschaft brach und die österreichischen Truppen unter Gablenz die preußischen Waffenbrüder übertrafen, gab Bismarck den erwünschten Anlaß zum offenen Bruch. Österreich konnte den beabsichtigten Annektionen nicht zustimmen; Bismarck antwortete am 21. Juni 1866 mit der Kriegserklärung.

Wenn man von Verratspolitik spricht, so tut man es im Hinblick darauf, daß Bismarck bedenkenlos sich längst mit allen gemeinsamen Feinden gegen Österreich verbunden hatte und auch dessen Nationalitäten zum Aufruhr hetzte. Mit Napoleon III. schloß er einen Geheimvertrag, mit Italien ein Kriegsbündnis, wofür es Venetien und damals schon Südtirol verlangte. Der ungarische Revolutionär Klapka sollte eine ungarische Legion bilden im preußischen Dienst; Garibaldi an der dalmatinischen Küste landen und die Völker Österreichs befreien. Die Ungarn, Slawen, Rumänen schienen als Bundesgenossen gegen Österreich nicht zu schlecht. Die berühmte Stoß-ins-Herz-Depesche Usedoms forderte am 17. Juni die italienische Regierung des Hauses Savoyen auf, an die Donau zu marschieren, und damit den Siegespreis zu sichern. Aber Erzherzog Albrecht, der Sohn des Siegers von Aspern, schlug die Italiener am 24. Juni bei Custozza und rückte in die Lombardei ein. Um so ungünstiger war die Lage am Hauptkriegsschauplatz an der Elbe. Benedek operierte unglücklich und mußte vor dem preußischen Stoß in Böhmen zurückweichen. Allzu pessimistisch depeschierte er um Waffenstillstand um jeden Preis an den Kaiser, der jedoch auf einer Entscheidungsschlacht bestand. Bei dem Dorf Sadowa in der Nähe der Festung Königgrätz siegte indessen das preußische Zündnadelgewehr über die Vorderlader der wie Löwen kämpfenden Österreicher. Der Weg nach Wien war offen. Erzherzog Albrecht sammelte alle Kräfte an der Donau, das Blatt würde sich bald gewendet haben; doch Bismarck fand es geraten, sich mit dem Waffenstillstand in Nikolsburg zu beeilen und nichts zu verlangen als den Austritt Österreichs aus dem Bund und die Preisgabe Venetiens an Napoleon, der es Italien überließ, wogegen Österreich darauf bestand, daß dem sächsischen Bundesgenossen kein Leid widerfahre. Hannover hatte sich zu spät entschlossen und mußte bei Langensalza die Waffen strecken; Bayerns Hilfe für Österreich war zumindest unsicher. Wilhelm I. wollte mehr fordern; tränenden Auges beschwor ihn Bismarck, auf Annektionen zu verzichten; er wußte, daß er Österreich als Bundesgenossen brauchen werde. Trotzdem suchte er durch die Legion Klapka das untätig zuschauende Ungarn aufzuwiegeln aus Besorgnis, Österreich könnte vom Frieden zurücktreten. Auch die Italiener schlugen wieder los und drangen mit Garibaldi in das entblößte Südtirol vor, wo sie alsbald wieder hinausgeworfen wurden. Der Seesieg Tegetthoffs bei Lissa am 20. Juli über die weitaus stärkere italienische Seemacht beschleunigte den Waffenstillstand mit Italien, das den nationalen Einheitsstaat mit Venedig und 1870 mit der Wegnahme des Kirchenstaates vollendete, wie der Freimaurer Mazzini vorausgesagt hatte: »Mit Österreich fällt Rom.«

siehe Bildunterschrift

Seeschlacht bei Lissa 1866.
(Joseph L. B. Püttner.)

Alles Land bis zum Main, mit Ausnahme Hessens, wird preußisch; Frankreich und Rußland zufolge, die mit Einmarsch drohen und höchst bedenkliche Mienen machen, bleibt Süddeutschland autonom mit Bayern, Württemberg und Baden. Das Reich, der föderative Deutsche Bund, ist von der Landkarte verschwunden. An seine Stelle ist Groß-Preußen getreten, der preußisch-deutsche Hegemoniestaat Bismarcks. Im Krieg 1870/71 schlägt er seinen Helfer Napoleon III. und annektiert Elsaß-Lothringen. Im Spiegelsaal von Versailles setzt sich Wilhelm I. eine deutsche Kaiserkrone aufs Haupt, »damit die seit 70 Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern«. Diese Proklamation verstößt gegen die historische Wahrheit. Das preußische Kaisertum hat ebensowenig wie das napoleonische mit der alten deutschen Kaiserwürde, der Heiligen Krone, etwas zu tun; diese ist Symbol des Rechts, jene beiden beruhen auf Gewalt. Die alte Krone ruht in Wien. Was Gustav Adolf erstrebte, hat Bismarck erreicht, durch Gewaltpolitik von »Blut und Eisen«: das protestantische Kaiserreich. Fast zwangsläufig kommt er zum Kulturkampf: »Die Reformation zu vollenden.«

Die blinde Begeisterung für den »Schmied« oder »Erbauer des Reiches«, die sich nicht genugtun kann mit Kolossalfiguren als Roland und Bismarckkopf als Zigarrenabschneider, verhindert lange ein richtiges Werturteil. Der preußische Dichter Fontane vergleicht ihn mit Wallenstein: »Es fehlt ihm etwas zur wahren Größe – er ist Prinzipienverächter, daran ist er auch gestürzt.« 1866 war eine Katastrophe nicht nur für Österreich, auch für Deutschland. Dort Scheinglanz, Talmikultur, Parvenureichtum, Fortschritt und Weltmarktpolitik, nationale Phrase – und dahinter Verproletarisierung des deutschen Volkes. Der großdeutsche Historiker Kaindl erbringt den Nachweis, daß 1866 und 1870/71 zum Weltkrieg 1918 geführt hat.

Franz Joseph I. und seine Epoche

siehe Bildunterschrift

Krönung des Kaisers und Königs Franz Joseph I. in Ofen 1867.
(Engerth-Jenö Doby.)

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie

Der abendländische Kaisertraum eines völkerverbindenden großdeutschen Reiches, den Franz Joseph trug, ist mit den Ereignissen von 1866 ausgeträumt. Im kleineren Umfang ist er Wirklichkeit im österreichischen Kaiserstaat oder, wie er seit dem Siebenundsechziger-Ausgleich mit Ungarn heißt: in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Sie zerfällt in zwei Hälften; Ungarn hat sein Rationalprinzip durchgesetzt und mit einem eigenen Parlament seine geschichtliche Autonomie erlangt. Die Krönung findet noch im selben Jahr in Budapest statt. Der Föderativgedanke liegt eigentlich der Entwicklung zugrunde. So hätte die böhmische Ländergruppe dasselbe Anrecht gehabt wie Ungarn. Dafür waren damals weder Budapest noch Wien zugänglich; hier versteift sich vielmehr der deutschliberale zentralistische Widerstand, so erklären sich zum Teil die großen Schwierigkeiten, die sich in der Folge ergeben haben.

siehe Bildunterschrift

Das alte Burgtheater, von Josef II. zum deutschen Nationaltheater geweiht.
(Museum der Stadt Wien. Bild von Tranquillo-Mollo.)

Österreich, auf sich allein gestellt, geht kulturell einer neuen Blütezeit entgegen. Die Ringstraße vollendet sich, das monumentale Wien. Vier Baubarone teilen sich in die herrliche Aufgabe: der dänische Grieche Hansen mit dem Bau des Parlaments, der Börse, der Akademie der bildenden Künste; der schwäbische Gotiker Dombaumeister Schmidt mit dem Rathaus; der wienerisch gestimmte Ferstel mit Votivkirche und Universität, die dort steht, wo sie Rudolf der Stifter gedacht hatte; der florentinisch angehauchte Hasenauer mit den Hofmuseen und dem Burgtheater, das stark von Gottfried Semper beeinflußt ist, dem Entwerfer eines unausgeführten Platzgebildes mit dem neuen Burgbau. Dazu kommt noch im frühfranzösischen Stil das Operngebäude von Van der Nüll und Siccardsburg; der vom Pöbel 1927 zerstörte Justizpalast von Wielemans, der allerdings die Schwächen dieser Stilarchitekturen am deutlichsten fühlbar macht: die Vernachlässigung des Zweckgedankens hinter der übernommenen historischen Stilform. Alle Städte empfangen in dieser Bauperiode ein neues Architekturkleid dieser Art, das freilich nicht glücklich zum alten Baubild paßt. Aber Wohlstand und Gewerbefleiß heben sich, davon die Weltausstellung 1873 in der neuen Rotunde ein glänzendes Bild zeigen kann, wenngleich zur selben Zeit der »große Krach« die Kehrseite der liberalen Gründerepoche herausstellt.

siehe Bildunterschrift

Eröffnung des neuen Hauses der Kunstakademie 1877.
(Rudolf von Alt.)

Die neue Kaiserzeit lebt förmlich im Makartrausch; der Makartsche Atelierstil, das Makartbukett als Symbol, wird Wohnungsstil dieser großbürgerlichen Kulturzeit. Höhepunkt ist der Makartsche Festzug anläßlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares und der Einweihung der Votivkirche 1879, wo noch einmal die historische Bedeutung der Zünfte und des gediegenen Handwerks vorüberzieht. Die Palette Rubens' lebt in den Bildern Makarts, der Traum der alten historischen Größe, die verführerische Anmut der Frauen Wiens aus der damaligen Gesellschaft, deren Abgott der elfenbeinzarte, schweigsame Künstler im flämischen Samtkostüm war. Rahl und Canon sind neben ihm noch als die bedeutendsten Historienmaler der Zeit zu nennen. Die ganze Atmosphäre war in die graziös beschwingte Musik eines Suppé, Millöcker und Johann Strauß getränkt, die alle Welt beglückt in alle Zukunft hinein, österreichische Politik im Dreivierteltakt, gewiß nicht die schlechteste! Es war die Blüte der klassischen Operette. Gleichzeitig herrschte Brahms und Wagner und litt Hugo Wolf; dann erst konnte die Gottesmusik Bruckners Hörer finden. Gegen 1890 ist die Monumentalbau-Epoche vollendet; Schön-Wien verwandelt sich in Groß-Wien durch Einbeziehung der Vorstädte; der moderne Klassiker Otto Wagner gibt der Stadt den Stempel seiner Sachkunst, die den Zweckgedanken klar herausstellt in seinem Stadtbahnbau, in seinem Postsparkassensaal und vielen anderen Bauten und Projekten; auf dieser Bahn schreiten fort Olbrich mit seinem Sezessionsgebäude, Joseph Hoffmann der Schöpfer der »Wiener Werkstätte« und Erneuerer des Wiener Kunstgewerbes, sowie das jüngere Architektengeschlecht. Mit Groß-Wien versinkt die Anmut der alten Vorstädte unter den aufschießenden Zinskasernen. Mit Recht beklagt Ferdinand von Saar diesen Wandel in feinen »Wiener Elegien«; ebenso die blühende Volksmuse durch den Mund eines ihrer besten Sänger Karl Lorens: »Wie schön war doch Wien in vergangener Zeit ...«

siehe Bildunterschrift

Jugendbildnisse von Franz Joseph I. und Elisabeth.
(Lith. Kriehuber 1849 nach Einsle, Lith. Fr. Hanfstaengl 1853. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien.)

Man darf die Anmut und Lebensfreude, zu der Fiaker und Heuriger gehörten, nicht in dem Bild der Zeit übersehen, die man allzu gern pessimistisch beurteilt. Der politische Hader konnte nicht verhindern, daß ein echt österreichisches Daseinsgefühl erwachte, das sich bis zur Selbstvergötterung steigerte und im Wiener Lied ausspricht: Wien als das Paradies auf Erden. Die Kehrseite davon ist der Parlamentarismus. Schon in den Sechzigerjahren setzt eine liberale Strömung ein, die durch den vormals sächsischen Staatsminister von Beust, der den Kaiser einzunehmen wußte, in der Zeit nach 1867 unter dem Bürgerministerium zum vollen Siege geführt wurde. Die erste Tat des liberalen Parlaments war die Auflösung der alten berühmten Wiener Porzellanfabrik, die durch ihre hohen künstlerischen Leistungen Weltansehen genoß. Die zweite Tat war die Einführung der Gewerbefreiheit, die den gediegenen Handwerksstand ruinierte und zur Schundproduktion führte und zum Gründertum, letzten Endes zum »Krach«. Der Liberalismus war es, der die Wuchergesetze beseitigte und das bäuerliche Erbrecht, infolgedessen das Abstiften von Bauerngütern durch Jagdherren, wie überhaupt der Niedergang der österreichischen Landwirtschaft Platz griff, zusammen mit der Landflucht des Gesindes. Das Hauptziel aber war die Beseitigung des Konkordats, dieses tiefsten und festesten Einigungspunktes der Nationalitäten und somit Österreichs. Das Unfehlbarkeitsdogma 1873 wurde als Anlaß genommen, es zu lösen. Es erfolgen Gesetze, die stark an den gleichzeitigen preußisch-deutschen Kulturkampf anklingen. Dazu gehört das Reichsvolksschulgesetz von 1869, das den Lehrstoff vermehrt und die religiös-erzieherischen Grundlagen entfernt. Während die deutschen Schulen, ob katholisch oder protestantisch, konfessionell bleiben, erhält das katholische Österreich konfessionslose, sogenannte freie Schulen. Am heißesten entbrennt der Kampf um die Zivilehe. Bischof Rudigier in Linz wird wegen seines Protestes zu Kerkerhaft verurteilt, vom Kaiser jedoch begnadigt. Die zentralistischen Deutschliberalen bekämpfen die Autonomiebestrebungen der Nationalitäten, die unter dem Konkordat ihre kulturell-geschichtlichen Rechte besser gewahrt fanden. Die Deutschnationalen unter Schönerer wollen »Los von Rom« und »Los von Österreich« – heim ins »Reich«, ohne zu denken, daß es Preußen ist.

siehe Bildunterschrift

»Nie zurück.« Erste Nordpolexpedition 1872 unter Karl Weyprecht.
(Dr. Julius R. von Payer. Kunstverlag Wolfrum, Wien.)

1877 findet der erste österreichische Katholikentag statt. Gegen den radikalen Nationalismus entwickelt sich nach den Lehren von Baron Vogelsang über die Grundsätze der christlichen Wirtschaftsordnung die christlichsoziale Partei, die unter Lueger zur Macht kommt. Die Ausfälle der liberalen Presse gegen die Kirche rufen eine antisemitische Bewegung hervor. Christlich sind auch die Anfänge der Arbeiterpartei, ehe sie nach links umschwenken. Die Arbeiter-Enzyklika Leo XIII. vermittelt vergebens zwischen den Klassengegensätzen. Allgemeines Wahlrecht, Arbeiterschutz-Gesetze, Koalitionsrecht, Krankenversicherung, kurz soziale Gesetzgebung erfolgt immerhin unter Franz Joseph. Trotz des Liberalismus enthüllt sich am Eucharistischen Kongreß 1912 die Kraft des katholischen Lebens. Auch katholische Literatur erwacht unter dem Rufer Kralik; der Name Enrica Handel-Mazzetti hat bereits Klang. Anzengruber, Ebner-Eschenbach, Rosegger vertreten den Liberalismus, dem damals noch Bahr angehört.

siehe Bildunterschrift

Arbeitszimmer des Kaisers Franz I. in der Wiener Hofburg.
(Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien. Stich von I. Kovatsch nach St. Decker.)

Welche Fülle von Wandlungen und Ereignissen in der Epoche Franz Josephs! Sie beginnt mit dem Sturmjahr 1848 und endet im Weltkrieg. Dazwischen die Tragik von 1859 und von 1866, die Versöhnung im Dreibund und die bosnische Expansion. Viel Glück und mehr noch Leid. Zur geschichtlichen Tragik die persönliche. Man denke an den Selbstmord des Thronfolgers Rudolf 1889; an den Tod Elisabeths durch Mörderhand 1898; an den unglücklichen Kaiser Max von Mexiko; an den verschollenen Johann Orth; an das Attentat gegen Ferdinand d'Este und Gemahlin, das als Hebel den Weltkrieg auslöst! Wahrhaftig, Franz Joseph, der Friedenskaiser, durfte sagen: daß ihm nichts erspart geblieben sei. An seinem Feldbett in der Hofburg erkennt die Nachwelt die stumme Größe von Tugenden, die die seines Hauses sind: persönliche Einfachheit, Pflichttreue und Überwindung. Er war konservativ und ging mit der Zeit; er war gemütreich und beherrscht; er war anspruchslos und ein Herrscher großen Stils; im vollsten Sinne des Wortes ein Gentleman auf dem Thron. Auch der Feind beugte sich vor ihm. Umsturz und Zerreißung Österreichs hat er nicht erlebt und wäre kaum geschehen, wenn er noch gelebt hätte.

Der Weltkrieg 1914 und seine geschichtlichen Ursachen

Die geschichtlichen Ursachen des Weltkrieges 1914 liegen in den Veränderungen, die sich aus 1866 und 1870/71 ergeben haben. Der Nationalismus hatte gesiegt, der die Machtfrage allein zum obersten Prinzip setzt gegen die göttlichen Naturrechte und darum nicht zur Völkerversöhnung, sondern zum Völkerstreit und Völkerhaß führt. Der Liberalismus hatte den schrankenlosen Wirtschaftsegoismus entfesselt und die alten sittlich-religiösen Bindungen gesprengt. Die einzige Macht Europas, die das Richteramt über die Völker der Welt verwaltete und als weltlicher Arm der Kirche, dieser Quelle des göttlichen Rechtes, das religiöse Sittengesetz im Sinn der heiligen Krone verteidigt. Österreich, seit Jahrhunderten Träger dieser Krone, war zurückgedrängt und kämpfte im eigenen Innern einen schweren Kampf gegen Liberalismus und Nationalismus. Es sind die beiden Faktoren, die als »Freiheit« und »Nation« die Grundsätze der Achtundvierziger-Revolution waren und der großen französischen Revolution entstammen. Sie führten zur individualistischen Willkürherrschaft, wie unter Napoleon, und letzten Endes zu Marxismus und Bolschewismus, zur Auflösung der gesellschaftlichen und menschlichen Rechte. Staatsrecht und Völkerrecht beruhten nicht mehr auf göttlichen Geboten, sondern auf Atheismus und materiellen Zweckmäßigkeitsgründen nach den Lehren der französischen Aufklärung. In Paris und in Berlin wurde lang vor dem Weltkrieg ein neues Völkerrecht gelehrt, wonach es eigentlich ein Recht zwischen den Völkern nicht mehr gibt, sondern alles auf Macht und Gewalt steht.

Schon Jahre vor dem Krieg herrschte das bange Vorgefühl einer unvermeidlichen Katastrophe. Dazu das Gerede von dem »Zerfall« Österreichs. Auch daran war das Parlament schuld. Fragte man unsere Völker: »Warum helft Ihr einander nicht, warum streitet Ihr?« so gab es überall die gleiche Antwort: »Das tun doch nicht wir, das tun unsere Abgeordneten.« Europa spaltete sich in zwei Lager: Dreibund und Ententemächte. Dazu Wettrüsten. Das preußisch-protestantische Kaisertum mit seiner wirtschaftlichen und militärischen Expansion, wie Flottenpolitik, Kolonial- und Weltmarktpolitik, die im Handumdrehen einholen wollte, was unter Karl V. schon bestand und seit dem Bruch mit der Kirche versäumt worden war, wirkte beunruhigend auf die alten Mächte, die sich von dem jungen Konkurrenten bedroht fühlten. Die temperamentvollen Reden Wilhelm II. vom »Platz an der Sonne«, gelegentlich untermalt von klirrender Säbelmusik, waren nicht gerade beschwichtigend. Frankreich konnte 1870/71 nicht vergessen, den Verlust von Elsass-Lothringen, und die schwere Kriegsentschädigung von fünf Milliarden, es dachte an Revanchekrieg und war das treibende Element der Entente, so daß der Weltkrieg im letzten Grunde ein Zweikampf zwischen Frankreich und Preußen-Deutschland war. Dieser tiefste Gegensatz ist auch in der Nachkriegspolitik zu spüren. Die Einkreisung Deutschlands war zunächst das Ziel der Entente. Schon 1905 hat König Eduard von England bei seinem Ischler Besuch versucht, Franz Joseph I. vom Dreibund abzuziehen – vergeblich trotz lockender Anerbieten.

Die Bismarcksche Reichsgründung hatte auch eine nationale Expansion hervorgerufen, die alldeutsche Bewegung, die bei uns »Los von Österreich« hieß, obgleich Bismarck die Anschluß-Schreier heimschickte mit dem Bedeuten, daß sie Deutschland am besten dienen, wenn sie gute Österreicher bleiben. Eine Gegenerscheinung dieses Pangermanismus war der Panslawismus, der infolgedessen erstarkte. Er war ähnlich wie der preußische Nationalismus politisch-religiös getragen vom Cäsaropapismus, der den Drang nach Konstantinopel hatte, dem Ursprung der orthodoxen Kirche und Schlüssel Asiens, und alle Slawenvölker zusammenfaßte, vor allem jene des gleichen Bekenntnisses, die in dem Zaren ihren Papst sahen. Auch die Tschechen neigten zu dieser Strömung, ungeachtet des Ausspruches Palackys, des großen alttschechischen Politikers: daß man Österreich erfinden müßte, wenn es nicht existierte; Masaryk, der moderne Völkerrechtslehrer, schien anderer Meinung. Mit der Okkupation Bosniens 1878 hatte Österreich die Orientpolitik Prinz Eugens, Joseph II. und Laudons wieder aufgenommen und in dreißigjähriger Kulturarbeit einen Keil in die russisch-byzantinische Interessensphäre eingetrieben. Die Annexion von 1908, die entscheidende Rolle Österreichs in der Balkankrise 1913, die Bulgarien, das sich vom Zaren unabhängig erklärte, einen Ausgang zum Meere gibt, drängt die russische Hegemonie zurück. Serbien, handelspolitisch eingeengt, arbeitet im Solde Rußlands und wird zum Brandstifter des Weltkrieges, wofür ihm als Lohn das »Großserbische Reich« winkt. Der reisende englisch-schottische Journalist Skotus viator liefert der Entente falsche Berichte über die angebliche Unterdrückung der Südslawen. Die Aufteilung Österreichs scheint beschlossen. 1914 fällt der Thronfolger mit seiner Gemahlin in Sarajevo einer russisch-serbischen Mörderorganisation zum Opfer. Er galt als der kommende starke Mann, der das katholische Österreich erneuert. Darum mußte er fallen. Die Langmut und Friedensliebe Österreichs wurde als Schwäche verhöhnt. Als Österreich von Serbien Sühne verlangte, trat Rußland in den Krieg, und damit war das Zeichen zum Ausbruch des Weltkrieges gegeben.

Es kann hier nicht Aufgabe sein, die Kriegsereignisse zu schildern. Nur die entscheidenden Merkmale seien verzeichnet. Zunächst die stürmische Begeisterung, mit der alle Nationalitäten zur Verteidigung Österreichs in den Krieg zogen. Von einem »Zerfall« war nichts zu sehen. Dankl und Auffenberg siegen bei Krasnik und Komarow. Die Blüte Österreich-Ungarns fällt unter der russischen Dampfwalze, um sie von Berlin und den deutschen Fluren abzulenken. Es erfolgt der Rückzug in die Karpathen, Roths Sieg bei Limanowa, der den Einbruch des russischen Kolosses nach Ungarn verhindert. Der Fall der Festung Przemysl 1915 nach Kusmaneks heldenhafter Verteidigung. Der Erlösungssieg von Gorlice nach dem Plan Conrads von Hötzendorf, dessen Strategie nach militärwissenschaftlichem Urteil der deutschen überlegen gewesen wäre, hätte man sie gewähren lassen wie einst Radetzky in der Völkerschlacht bei Leipzig. Mit der deutschen Marneschlacht ist Ende 1914 eigentlich der Krieg verloren. Er zieht sich noch vier Jahre hin und endet mit dem Ausbluten Österreichs und dem Verrat in eigenen Reihen. Der italienische Bundesgenosse, vom » sacro egoismo« geleitet, wird Kriegsgegner. Boroevic hält ihn am Isonzo fest; am 21. November 1918 stirbt Franz Joseph nach 68jähriger Regierung; sein Großneffe Kaiser Karl I. steht vor der übermenschlichen Aufgabe, den Weltkrieg zu liquidieren. Sein Vermittlungsversuch durch Prinz Sixtus stößt auf Widerstand und wird als »Verrat« gedeutet, obschon 1917 die Lage durch den Kriegseintritt Amerikas kritisch wird. Auch Papst Benedikt XV. hat sich um den Frieden vergeblich bemüht. Nach elf Isonzoschlachten erfolgt der Durchbruch gemeinsam mit deutschen Truppen bei Flitsch-Tolmein bis an die Piave. 1918 scheitert die große Ludendorff-Offensive vor Verdun. Der Juni-Vorstoß an der Piave wird verraten. Daran knüpft sich das Märchen vom »Verrat der Kaiserin Zita«. Um die Zukunft Österreichs besorgt, greift Kaiser Karl in seinem Manifest an seine Völker vom 16. Oktober 1918 den historischen Autonomiegedanken auf; der Abfall der Tschechen und Ungarn, die Wühlereien marxistischer Agitatoren, wie Dr. Deutsch, lösen die Front. Noch halten sich Österreicher am Grappamassiv, als schon der Waffenstillstand erfolgt ist; viele geraten dadurch noch in Gefangenschaft. Die übermenschlichen Leistungen und Heldenopfer der österreichischen Soldaten aller Nationalitäten sind kaum nach Gebühr erkannt und gewürdigt.

siehe Bildunterschrift

Nach der Schlacht bei Leipzig, 18. Oktober 1813. Fürst Karl Schwarzenberg und die alliierten Monarchen.
(Peter Krafft.)

Die Zerschlagung des alten organischen Österreich in nationale Einzelstaaten ist der große politische Fehler Frankreichs im Frieden von Saint Germain 1919. Ruhm und Tragik des Hauses Österreich sind eng verschwistert. Die edle Kaiserfamilie wandert gezwungenermaßen in die Fremde, verfolgt von Lüge und Schmähsucht. In der Verbannung auf Madeira beschließt der junge Martyrerkaiser 1922 sein Leben. In seinem heiligmäßigen Sterben findet er die Worte: »Ich muß soviel leiden, damit meine Völker wieder zusammenfinden.«

Neuösterreich

Vom Umsturz zum christlichen Ständestaat

Nicht der Weltkrieg, sondern nationalistische und sozialrevolutionäre Sprengkräfte haben das sinnvolle historische Gebilde der alten österreichischen Völkermonarchie und Kulturmacht zerbrochen.

»Ohne Dank scheiden wir aus diesem Staate ...« lautete eine Erklärung der provisorischen Nationalversammlung, die am 12. November 1918 unter dem Druck der Sozialdemokraten die Republik ausrief und »Deutsch-Österreich als Bestandteil der deutschen Republik« erklärte, weil in Deutschland das preußisch-protestantische Kaisertum schon nach kaum 50jährigem Bestehen zusammengebrochen und ebenfalls die rote Republik ausgerufen worden war. Der Friede von Saint Germain 1919 machte diese Anschlußerklärung unwirksam. Der erste Verfassungsartikel Neuösterreichs bestimmte: »Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt.« Darin kommt die Grundidee der französischen Revolution und des Umsturzjahres 1848 zum Vorschein mit dem Unterschied, daß darunter nicht mehr die Herrschaft des dritten Standes wie in der Zeit des Liberalismus, sondern die »Herrschaft des Proletariats« und der Sieg des Atheismus verstanden wurde. Es war die völlige Umkehrung des alten sittlich-religiösen Lebensgesetzes, demzufolge alle Macht von Gott kommt. Religion wurde als Privatsache erklärt und zugleich bekämpft. Massenaustritt aus der Kirche parteimäßig organisiert. Die Gottlosenbewegung gefördert. Der Kulturbolschewismus griff verheerend um sich. Wohl wurde der Lebensstandard der Arbeiterschaft gehoben, zugleich aber durch eine einseitige revolutionäre Lohn- und Steuerpolitik die Produktion überlastet und gelähmt und ferner durch Inflationswirtschaft der kaufkräftige Mittelstand verarmt und verproletarisiert. Das Arbeitslosenheer wuchs rapid zu Lasten des Staates, dessen Schwächung, ja Auflösung und Umwandlung in die utopische Weltbeglückungsform des Kommunismus marxistisches Parteiideal ist. Arbeitslosigkeit und Not brachte bolschewistische Erscheinungen hervor, die in der Erstürmung und Zerstörung des Justizpalastes Juli 1927 ihre Höhepunkte überschritten. Es war dies der zweite bolschewistische Putsch in Österreich, der ebenfalls wie der erste nach 1918 an der Standhaftigkeit Seipels scheiterte. Orientierungsziel ist Moskau, wo Weltbeglückung mit Massenmord, Hungersnot, Fünfjahrplan und Weltrevolution betrieben wurde, zugleich mit Ausrottung aller religiösen Instinkte, um in das Nichts den Bolschewismus als Religion zu setzen.

Ohne das Vorhandensein einer konservativen, staatserhaltenden Partei, auf die sich die Kanzlerschaft des Prälaten Ignaz Seipel von 1922 bis 1929 stützen konnte, wäre Österreich verloren gewesen. Seipel wurde zum Retter des Staates, an dessen Lebensfähigkeit selbst die Umsturzpolitiker nicht mehr glaubten und dessen Aufteilung im Völkerbund stillschweigend beschlossen schien. Als Mann der Kirche, Moraltheologe und Staatsmann römischen Formats vermochte er das Vertrauen der Mächte zu gewinnen; seine erste große Tat war die Sanierung der Währung. Er glaubte an die Demokratie, allerdings an eine sittlich und religiös gereinigte, und sprach das Wort von der Seelensanierung, die in der parlamentarischen Demokratie des Parteien- und Klassenstaates keinen Resonanzboden fand. Gegen sein Ende 1932 hat er sich wieder gern als »Altösterreicher« bezeichnet; in dem christlichen Ständegedanken der Enzyklika » Quadragesimo anno« von Papst Pius XI. erkannte er zuletzt den Weg, der aus dem Parteienstaat herausführen sollte.

Die Kontinuität Österreichs erhalten zu haben, bleibt das historische Verdienst Seipels. Trotzdem schien der Bestand Österreichs wirtschaftlich und politisch nach wie vor bedroht. Viele sehen das Heil in der »Diktatur«. Der Austromarxismus gerät immer mehr in den radikalen Kurs von Moskau. Gegen die rote Internationale erhebt sich der radikale Nationalismus. Er hat jene engstirnige völkische Ideologie entwickelt, die das Geschichts-, Kultur- und Staatsvolk Österreichs leugnet, ihm nur Stammescharakter zuerkennt und alle Deutschen in einem nationalen Einheitsstaat vom Geiste eines Fridericus Rex und Bismarck als »Drittes Reich« vereinigen will. Der in Braunau am Inn geborene Adolf Hitler bildet aus den zwei Gegenpolen seine Synthese vom »Nationalsozialismus«, der die radikalen Züge beider Eltern trägt und in Deutschland die Macht an sich reißt, wo er durch seinen Gleichschaltungsterror sich als nationaler Bolschewismus entpuppt, den er als internationale Form zu bekämpfen vorgibt.

Der Nationalsozialismus ist nicht mit dem Faschismus zu verwechseln, den er in gewissen äußeren Zügen nachahmt. Der Faschismus als Schöpfung des genialen Staatsmannes Mussolini ist durchaus italienisches Gewächs und nach dem Ausspruch seines Urhebers kein Exportartikel; als neues Machtinstrument diente er zunächst der Überwindung des Freimaurertums und des Sozialismus sowie des Parlamentarismus, der durch eine ständisch-korporative Vertretung ersetzt wurde. Die Regierung ist autoritär; das Programm ist die wirtschaftliche und kulturelle Hebung des Volkes aus organischen Wurzeln, inneres Gesunden und Gedeihen auf Grund sittlich religiöser Erziehung, weshalb Mussolini vor allem auf Herstellung von Frieden und Eintracht mit der Weltkirche durch befriedigende Lösung der römischen Frage aus 1870 bedacht war. Das Programm des Nationalsozialismus ist aus Hitlers Buch »Mein Kampf« zu entnehmen. Es verrät ungeachtet sozialethischer Grundsätze einen erschreckenden Haßausbruch gegen das alte Österreich und eine Halbbildung, die namentlich ihr verzerrtes Geschichtsbild und ihren Habsburgerhaß aus sozialdemokratischen und deutschnationalen Parteiblättern schöpft und nirgends nach seelischer Vertiefung und objektiver geschichtlicher Wahrheitserkenntnis vordringt. Als Weltanschauung neigt der Nationalsozialismus zum Kulturkampf, zum Heidentum, gemäß seiner geistigen Herkunft, im grundsätzlichen Unterschied zum Faschismus.

Im Gegensatz zum alten Römisch-Deutschen Reich mit seinen föderativen Freiheiten erscheint das »Dritte Reich« mit seinem undeutschen, schier slawisch-zentralistischen Despotismus als Inbegriff der lutherischen Staatslehre und des verabsolutierten Preußenstaates Friedrich II. und Bismarcks. Die ungeistige Aggressivität der Gleichschaltung schien auch nach außen hin bedrohlich und brachte das »Dritte Reich« wirtschaftlich und politisch in die üble Lage der gänzlichen Isolierung und Einkreisung. Auch Österreich, der letzte und einzige Freund Deutschlands, sollte durch nationalsozialistischen Parteiterror, durch Lügen- und Hetzpropaganda, durch Tausend-Mark-Sperre und Bombenanschläge ausgehöhlt und gleichgeschaltet werden als preußische Satrapie, wie etwa Bayern. Die abscheuerregende Gehässigkeit, die allem geschichtlichen Herkommen in dem Bruderverhältnis Deutschlands zu Österreich spottet, ist eine der betrüblichsten Eigentümlichkeiten des Nationalsozialismus, der von außen her an der Unterhöhlung Österreichs als Todfeind arbeitet und darin mit dem Austromarxismus einig ist.

Der Boden war von der Umsturzpartei gut vorbereitet. Das österreichische Geschichtsbewußtsein schien ziemlich erloschen, das leuchtende Bild der Tradition wurde verdunkelt und planmäßig ins Vergessen gebracht. Um das Andenken an das vertriebene Haus Habsburg auszulöschen, wurden die ruhmreichsten Kapitel der österreichischen Geschichte, die unlösbar mit dem Herrscherhause zusammenhängen, aus den Schulbüchern entfernt, ja darin der Name Österreich tunlichst vermieden. Um so mehr betonte man den »Ostmark-Beruf«, als ob seit den Babenbergern nichts gewesen wäre. Geschichte wurde im kleindeutschen, das heißt preußischen, oder bewußt antiösterreichischen Sinn gelehrt; die meisten Schulbücher waren im völkisch alldeutschen oder marxistisch freiheitlichen Sinn »gleichgeschaltet«. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das österreichische Volk schien geschichtslos und vaterlandsfremd geworden: »Anschluß um jeden Preis« war der politischen Weisheit letzter Schluß, ohne Gegenliebe in Berlin zu finden. Es war und blieb eine Bierbankangelegenheit.

Dieser Mentalität entsprachen auch die schmählichen sogenannten »Habsburgergesetze«, die die völlige Entrechtung der kaiserlichen Familie verfügten. Ungeachtet der Drohungen und Versprechungen des roten Umsturzkanzlers Karl Renner blieb Kaiser Karl, nachdem er 18. November 1918 den Staatsgeschäften entsagen mußte und sich auf Schloß Eckartsau zurückgezogen hatte, standhaft in der Weigerung, den Thronverzicht zu erklären. Infolgedessen wurde die kaiserliche Familie des Landes verwiesen, der Heimatrechte, des Privatvermögens und aller sonstigen Rechte beraubt; selbst Kleider und Wäsche wurden zurückbehalten – bettelarm wurde der Herrscher mit den Seinen als Oberhaupt eines ruhmvollen Hauses, dem Österreich in einer glanzvollen Herrschaftsepoche von über 600 Jahren alles zu verdanken hatte, ins Elend der Verbannung hinausgestoßen, obschon er an der Weltkriegskatastrophe vollkommen unschuldig, ja bemüht war, sie für Österreich und Deutschland zu mildern. Aber gerade die Friedensbemühungen wurden ihm, besonders von nationalistischer Seite, als Verrat angekreidet; ein Lügen- und Haßchor überbot sich in Schmähungen und Verleumdungen gegen Karl I. und seine Gemahlin, Kaiserin Zita, die ihr schweres Schicksal mit der Würde der Edlen und im Vertrauen auf die Vorsehung trugen.

Von treuen ungarischen Anhängern gerufen und vom Grafen Andrassy bestürmt, unternahm Kaiser und König Karl von seinem Schweizer Exil aus zweimal den Versuch, nach Ungarn zurückzukehren und seine Rechte in Anspruch zu nehmen, wurde aber von seinem ungarischen Reichsverweser Horthy in Stich gelassen und als Gefangener in Tihany am Plattensee, wo sich heute ein Sühnekalvarienberg erhebt, festgehalten; wieder spielte England den Kerkermeister in der Geschichte und brachte den Dulderkaiser mit seiner Gemahlin auf die Insel Madeira, wo er am 1. April 1922 gebrochenen Herzens sein junges Leben beschloß und vorläufig in der dortigen Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau unter dem Sakramentsaltar beigesetzt wurde. In seinem heiligmäßigen Sterben findet er die Worte: »Ich muß so viel leiden, damit meine Völker wieder zusammenfinden.« Er ist gestorben als unschuldiges Sühneopfer, aus dem die Auferstehung kommt im Sinne seines Vermächtnisses als Völkergedanken, das Hoffnungslicht der Zukunft und der Verheißung, das auf dem jungen Erben Otto liegt, dem nunmehrigen Träger des edlen Hauses, der in der härtesten Schule der Leiden erzogen ist zu dem heroischen Beruf, der immer wieder die tragische Geschichte des Hauses zu neuer Größe emporführt. Entbehrung und Verlassenheit in der Fremde war nach dem Tode Karls noch weiterhin das Geschick der hinterbliebenen Familie. »Unterdrückung von Witwen und Waisen«, sagte mit Bezug darauf Kardinal Frühwirt 1925 zu dem Verfasser in Rom, »ist die himmelschreiende Sünde, durch die Österreich noch viel wird leiden müssen.« Er hatte nur allzu recht gehabt; die schuldigen Parteien und ihre Führer haben später, am 12. Februar 1934 ihre vielfachen Verbrechen an Österreich mit ihrem Untergang gebüßt.

Immer wieder hat sich in der Geschichte gezeigt, daß Österreich just in dem Augenblick, da es verloren schien, wie durch ein Wunder mit Gottes Hilfe neu erstanden ist. Ein solches österreichisches Wunder hatte sich gerade in der Abwehr des roten und braunen Terrors wieder ereignet. Besonders die Anschläge des Nationalsozialismus und seine Verneinung Österreichs haben das schier entschlafene österreichische Bewußtsein erweckt und zur sieghaften Kraft gesteigert. Wieder zeigte sich, daß in der österreichischen Geschichte die Vorsehung mitwirkt, die im rechten Augenblick die rechten Männer schickt. Ein solcher Mann der Vorsehung war Seipel gewesen, der sein Vermächtnis von der Seelensanierung einigen wenigen patriotischen Männern hinterließ, die gleich ihm erkannten, daß Zukunft und Wohlergehen Österreichs auf Sittlichkeit gebaut sein müsse, nicht nur auf Anleihen. Auf den von den Umsturzparteien gewählten Michael Hainisch war als Staatspräsident Wilhelm Miklas gefolgt, eine von katholischem Ethos getragene Persönlichkeit, durchdrungen von dem Beruf Österreichs. In unermüdlich zäher Kleinarbeit hat der Heeresorganisator Carl Baugoin aus ursprünglich revolutionären Söldnern ein wohldiszipliniertes Bundesheer geschaffen, und darum auch unter seinem Nachfolger, dem altbewährten Heerführer Fürsten Schönburg-Hartenstein am 12. Februar 1934 mitgesiegt. Unter Führung des Fürsten Starhemberg und des Theresienritters Fey hat sich der Heimatschutz als Bollwerk gegen die rote Parteiarmee, den sogenannten »Republikanischen Schutzbund«, und gegen die Nazibewegung entwickelt, hin zur betont vaterländisch-österreichischen Einstellung. Seipelsche Seelensanierung bedeuten die Reformen des Unterrichtsministers von Schuschnigg, seine Wiedereinführung der religiösen Erziehung und des vaterländischen Geschichtsunterrichtes in der Schule, und sein Streben, auch als Führer der Ostmärkischen Sturmscharen, Jugend mit katholischem Geist zu erfüllen. In Minister Stockinger ist endlich auch dem österreichischen Handel und Verkehr eine aus dem praktischen Leben neugestaltende schöpferische Kraft erstanden.

Die schier wunderbare innere Wendung Österreichs zur Wiederbesinnung auf sein eigenstes tiefstes Wesen ist unlösbar verbunden mit dem providentiellen Werkzeug dieser Errettung, Kanzler Dollfuß, dem als mutigen Mann der Tat und als Retter der staatlichen Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs ein entscheidendes historisches Verdienst zukommt. Die Selbstausschaltung des Parlaments im Frühjahr 1933, als die Vorsitzenden plötzlich ihre Funktion niederlegten und durch dieses Manöver zum Teil in der Absicht, die Staatspartei zu stürzen, obschon Widerwillen die demokratische Gesetzesmaschine zum Stillstand brachten, erscheint als eine Fügung. Als großer geschichtlicher Wendepunkt. Das parlamentarische Regime, das wenig Segen über Österreich gebracht hat, hatte sich totgelaufen. Was dann kam, ist weder Faschismus noch Nationalismus, überhaupt kein -ismus, sondern autoritärer Kurs Dollfuß; weder links noch rechts, sondern nach einem prachtvollen mutigen Wort des Kanzlers: »Gradaus – mitten durch!« In wenigen Wochen und Monaten waren Dinge zum Heil des Ganzen geleistet, die mit dem Parlament überhaupt nicht durchzusetzen waren. Bankengesetz, Zinsfußherabsetzung, Beseitigung der Defizitwirtschaft, Steigerung der Ausfuhr, Einfuhrkontingentierung, Auflösung des Schutzbundes, der braunen Partei und später der roten, produktive Arbeitslosenfürsorge, freiwilliger Arbeitsdienst, das Konkordat, um nur einige der wichtigsten Leistungen herauszuheben. Sein volkstümlich schlichtes österreichisches Wort in London, Paris und Genf erschien als Offenbarung; im Völkerbund wurde erklärt, man habe eine befreiende Sprache wie diese bisher nicht vernommen. Das verkleinerte, vielgeschmähte Österreich spielte in dem europäischen Konzert schier wieder eine erste Violine. Die Freundschaft mit Italien, das wiedergewonnene Vertrauen der Welt ist der wichtigste Aktivposten für den Aufbau und läßt zugleich die europäische Sendung eines freien, unabhängigen Österreichs erkennen. Von den großen Problemen, die für Österreich zufolge seiner Schlüsselstellung der Lösung harren, ist die Gestaltung des Donauraums eines der wichtigsten. Die römischen Protokolle zwischen Österreich, Italien, Ungarn, bilden das Rahmenwerk für den Zukunftsbau und betonen die staatliche Unabhängigkeit Österreichs. Immer wieder zeigt es sich, daß im Hinblick auf die Länder der alten Monarchie auch wirtschaftlich ein Organgesetz vorliegt, und daß Gesundung und Neuordnung sichtbar nur aus diesen organischen Wurzeln und aus den ewigen Gesetzen gewonnen werden kann, aus denen Österreich geschichtlich geworden ist.

Gerade der von auswärts geleitete braune Terror hat das schier entschlafene österreichische Bewußtsein erweckt und zu sieghaftem Widerstand gesteigert. Diese von Kanzler Dollfuß aufgerufene vaterländische Bewegung ist Ausdruck einer Wiederbesinnung auf das eigene Beste, die innere Heimkehr zu Heimat und Vaterland Österreich. Neuösterreich, das zuerst von Altösterreich nichts wissen wollte, knüpft wieder an den überlieferten ewigen Werten an. Das spürte man aufs deutlichste am Katholikentag in den herrlichen Septemberlagen 1933, der, von Monsignore Fried organisiert, unter Führung des Kardinals Erzbischof Dr. Th. Innitzer, des großen Kinderfreundes, und in Anwesenheit des päpstlichen Legaten, schier die Völker der alten universellen Monarchie aufbot, und mit der 250jährigen Türkenbefreiungsfeier verbunden war. Wenn ich ihn darum Reichstag Gottes nannte, so war damit nicht zuviel gesagt; er erinnerte an die glücklichsten Zeiten Österreichs und war zugleich eine Verheißung für den Neubau der Zukunft. Die vaterländische Bewegung sollte kein Parteigebilde, sondern die Überwindung der Parteien sein, die Einigung aller Österreicher in der Liebe zu Gott und Vaterland, die Grundlage der Neuordnung von Staat und Gesellschaft im Geiste von Quadragessimo anno.

Gegen diesen Genesungsprozeß erhebt sich am 12. Februar 1934 der rote Schutzbund zur dritten letzten marxistischen Revolte. Die Wohnburgen der Wiener Gemeinde entpuppen sich als Festungsgürtel. Der blutige Aufstand scheitert überall an der eisernen Disziplin der Staatsexekutive und sämtlicher Wehrformationen; er scheiterte aber auch an der Pflichttreue von Post, Telegraph und Eisenbahn, an der Besonnenheit der Arbeiterschaft, die ihren Verführern und deren Generalstreikparole widerstand; kurz, er scheiterte an dem wiedererwachten Österreich! Die Langmut der Staatsführung, die wartete, bis sie moralisch im Recht war, hat sich als große überlegene Kraft erwiesen. An jenem 12. Februar 1934 ward der rote Bolschewismus vernichtend geschlagen und indirekt auch der braune. Das befreite Wien und Österreich, wo wieder der Doppeladler als altes ruhmreiches Wappenzeichen seine stolzen Schwingen nach Ätherhöhen breitet, hat wie zur Zeit der Türkennot Europa vor der Barbarei bewahrt und auch für das Deutschtum im Ausland die wahre Führerrolle erwiesen.

Damit ist erst die Bahn frei geworden für den organischen Aufbau Österreichs in berufsständischer Gliederung, für das große neue Verfassungswerk, das vielleicht berufen scheint, dem künftigen Europa ein abendländisch-christliches Gesicht zu geben. Der christliche Ständestaat ist die Abkehr vom unnatürlichen Partei- und Klassensystem; er kennt nur organisch gegliedertes Volk, nicht »Proletarier«, weil der Arbeiter durch Stand und Beruf, durch Mensch- und Arbeitswürde, durch Rechte und Pflichten Teilhaber der werkschaffenden Gemeinschaft und der christlichen Gesellschaftsordnung ist. Organzelle ist wieder die christliche Familie. Ihre göttlichen Rechte gebieten die gleiche Rücksicht auf die erste wie auf die letzte Familie des Landes, die Aufhebung der verwerflichen Habsburgergesetze, die Rückgabe des vorenthaltenen Privateigentums und der Heimatrechte, die Heimkehr des Toten von Madeira in die Gruft seiner Väter. Österreich erscheint damit entsühnt für das, was das prophetische Wort des nun schon in Gott ruhenden Kardinals Frühwirt, dieses treuen Österreichers, in Rom 1925 als Gewissensmahnung verkünden wollte. Wenn auch noch mancher Revolutionsschutt, namentlich in den Seelen, wegzuräumen ist, so ist wieder Hoffnung da, Vertrauen in die Zukunft, ein neuer Frühling in Österreich, nach zwanzigjähriger Nacht und Wüste ein Wiederaufblick großer geschichtlicher Zusammenhänge und höheres Walten, das in den Wandlungen unserer Geschichte immer wieder zu erkennen ist, Auferstehung zu neuer Größe, die vorerst nur zu ahnen ist.


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