Lukian von Samosata
Lügengeschichten und Dialoge
Lukian von Samosata

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Der Freund. Ungereimt genug, daß Leute, die sich für Sachverständige ausgeben, einander widersprechen, und von einerley Dingen nicht einerley Begriffe haben sollen.

Menippus. Wie lächerlich würden sie dir erst vorkommen, Freund, wenn du ihren Übermuth und ihre Großsprechereyen selbst mit anhörtest; wenn du hörtest, wie diese Leute, die am Ende doch auf der Erde gehen, wie wir andern, und anstatt schärfer zu sehen als wir, zum Theil vor Alter und Faulheit stumpf und übersichtig sind, demungeachtet die Grenzen des Himmels zu durchschauen vorgeben, die Sonne ausmessen, unter den Dingen überm Mond einherwandeln, und, nicht anders als ob sie aus den Sternen herabgefallen wären, von ihrer Größe und Beschaffenheit dissertieren, die Höhe der Luft, die Tiefe des Meeres und den Umfang der Erde ganz genau angeben, kurz vermittelst Gott weiß welcher Zirkel, Dreyecke, Vierecke und Sfären, den Himmel selbst wie ein Stück Feld in den Grund legen, und sich unterstehen zu sagen, wie viel Ellen der Mond von der Sonne entfernt sey, da sie doch öfters nicht wissen, wie viel Stadien sie von Megarä nach Athen zu gehen hätten.Ich wage es nicht den Menippus wegen dieses Ausfalles gegen die Naturkündiger und Astronomen seiner Zeit entschuldigen zu wollen; und ich besorge sehr, daß ein ziemlicher Theil der Verachtung, die er sich von den unsrigen deswegen zuziehen wird, auch auf den guten Lukian fallen werde. Wenigstens dürfte er dem Vorwurf schwerlich entgehen, daß er es bequemer gefunden habe, über Dinge, die er nicht verstand, zu spotten, als sich mit großer Mühe die Kenntnisse zu erwerben, die einen Parmenides, Eudoxus, Philolaus, Anaxagoras, u. a. auf manche Meynung brachten, die, so widersinnisch sie auch einem Menippus und seines gleichen vorkam, in unsern Zeiten durch Beobachtung und Demonstration zum Rang unläugbarer Wahrheiten erhoben worden ist. Indessen ist doch auch nicht zu läugnen, daß die Philosophen, über die er hier spottet, so viele Blößen gaben, und mit allen ihren großen Ansprüchen und Anstalten so wenig befriedigendes über die unzugangbaren Dinge zu sagen hatten, daß es solchen Spöttern wie Menipp und Lukian, (die ohnehin dem alten Sokratischen Glauben, quae supra nos nihil ad nos zugethan waren) eben nicht sehr übel zu nehmen ist, wenn sie sich ein wenig lustig über sie machten. Und wie unverständig und unerträglich hoffärtig ist es vollends, wenn sie von so ungewissen und unzugangbaren Dingen handeln, nichts als Vermuthung oder Wahrscheinlichkeit vorzutragen, sondern alles so weit zu treiben, daß sie andern Leuten keine Möglichkeit sie zu überbieten übrig lassen, und uns nur nicht gar endlich zuschwören, die Sonne sey eine glühende Masseμύδρος, dieß soll Anaxagoras unter den Griechen zuerst behauptet haben., der Mond habe EinwohnerEine Pythagorische Meynung., die Sterne tränken Wasser, indem die Sonne die Dünste wie an einem Brunnenseil emporzieheEine Menippische Buffonnerie über eine vielleicht mißverstandene Lehre des Heraklitus. S.  Plutarch. de Plac. Philos. II. 17., und sodann jedem der Ordnung nach seine Portion zumesse. Wie sehr aber diese Herren in ihren Behauptungen einander entgegen sind, davon will ich dich selbst nur aus etlichen Beyspielen urtheilen lassen. Gleich anfangs können sie sich in ihrer Meynung von der Welt nicht vergleichen; denn die einen behaupten sie habe nie angefangen und werde nie aufhören: die andern hingegen erkühnen sich so gar ihren Baumeister zu nennen und ganz genau anzugeben wie er dabey zu Werke gegangenDieß gilt dem göttlichen Plato, und bes. seinem Timäus.. Diese letztern finde ich besonders darin bewundernswürdig, daß es ihnen, da sie doch einen Gott zum Kunstmeister des Ganzen bestellen wollten, nicht einfiel sich auf eine Antwort gefaßt zu machen, wenn man fragte wo er hergekommen, oder wo er gestanden da er zu arbeiten angefangen; indem vor dem Daseyn des Ganzen schlechterdings weder Zeit noch Ort sich denken läßt.

Der Freund. Die Leute von denen du sprichst müssen entsetzliche Windbeutel und Luftspringer seyn!

Menippus. Wenn du sie nun vollends erst von den Ideen und unkörperlichen Dingen und vom Endlichen und Unendlichen disputiren hörtest! Denn auch darüber balgen sie sich unter einander wie die Gassenjungen; indem einige das Ganze ringsum mit Grenzen umzäunen, andere hingegen meynen, daß es ohne Ende sey. Ja es fehlt nicht an einer dritten Parthey, welche behauptet daß es der Welten eine große Menge gebe, und es denjenigen sehr übel nimmt, die von der Welt in der einzelnen Zahl sprechen. Noch ein andrer, der wohl kein friedfertiger Mann seyn mochte, setzte sich in den Kopf den Krieg zum Urheber aller Dinge zu machenWieder eine mauvaise über einen sehr wahren Satz des von seinen Landesleuten so oft mißverstandenen Heraklitus.. Was ihre Meynungen von den Göttern betrifft, davon ist vollends gar nicht zu reden: da dem einen eine gewisse Zahl Gott istPythagoras., andere bey Hunden, Gänsen und Platanen schwörenSokrates., wieder andere die übrigen Götter sammt und sonders ihrer Ämter entsetzen um die Regierung einem einzigen zuzuwendendie Pythagoräer und Anaxagoras.: so daß es mir oft recht erbärmlich vorkam, daß die arme Welt sich in einem solchen Göttermangel befinden sollte: da hingegen andere desto verschwenderischer sind und ihrer eine unendliche Menge aufstellen, und sie dann sortieren, so daß einer der erste ist, die übrigen aber an dem zweyten und dritten Rang sich begnügen müssen.die Platoniker und Stoiker. Überdies behaupteten einige, die Gottheit sey ohne Körper und ohne GestaltPlato, Aristoteles, u. a.; andere hingegen dachten sich dieselbe als etwas körperlichesParmenides, die Stoiker, u. a.. Ferner wollte es auch nicht allen einleuchten, daß die Götter sich mit der Vorsorge für unsre Angelegenheiten abgeben sollten, sondern es gab einige, die ihnen alle solche Sorgen abnahmen, und (wie wir's mit alten Bedienten zu machen pflegen) sie gleichsam zur Ruhe setztenDemokritus und Epikur.; so daß die Götter dieser Herren in der Weltkomödie, so zu sagen, die Statisten machen. Endlich fanden sich auch einige die über das Alles hinausgiengen, und geradezu gar keine Götter glaubtenTheodorus, Diagoras Melius, u. a., sondern die Welt ohne Herren und ohne Regierung gehen ließen so gut sie konnte. – Wie ich nun das alles hörte, unterstand ich mich zwar nicht gegen diese hochbrausendenein poetisches Beywort des Jupiter (υψιβρεμέτης) das in der Anwendung auf die Philosophen eine sehr komische Wirkung thut. und wohlbebarteten Männer den Unglaubigen zu machen, konnte aber doch auch, wie ich mich wenden und drehen mochte, unter allen ihren Behauptungen keine finden, wogegen sich nicht vieles einwenden ließe, und die nicht von irgend einem aus ihrem eigenen Mittel wäre umgeworfen worden. Es ergieng mir also mit ihnen wie dem homerischen Ulysses: der Gedanke stieg mir wohl zuweilen auf, mich mit geschloßnen Augen in den Glauben an einen von ihnen hineinzustürzen,

aber mich zog so gleich ein andrer Gedanke zurückeOdyss. IX. 302..

Da ich mir nun bey so bewandten Umständen nicht zu helfen wußte, und alle Hoffnung verlohr auf Erden etwas wahres von allen diesen Dingen zu erfahren: so schien mir nur ein einziges Mittel aus meiner Verlegenheit zu kommen übrig zu seyn, und das wäre: wenn ich mir auf die eine oder andere Art Flügel verschaffen, und mit ihrer Hülfe in eigener Person zum Himmel aufsteigen könnte.Dieß wäre freylich das kürzeste Mittel aus allen unsern metaphysischen und hyperphysischen Verlegenheiten zu kommen. Die Hoffnung etwas dergleichen bewerkstelligen zu können, machte mir – theils mein heftiges Verlangen – theils der Fabeldichter Äsop, der uns von Adlern und Käfern, ja sogar von Kamelen, die den Himmel erstiegen haben sollen, spricht. Daß mir jemals Federn und Flügel wachsen könnten, das däuchte mir auf alle Weise eine pure Unmöglichkeit zu seyn: wenn ich mir aber Adlers- oder Geyersflügel anzusetzen wüßte, die mit der Größe des menschlichen Körpers in gehörigem Verhältnis zu seyn schienen, so zweifelte ich nicht, daß mir der Versuch gelingen möchte. Ich fieng also ein paar solche Vögel, lösete gar zierlich dem Adler den rechten und dem Geyer den linken Flügel ab, band sie mir sodann mit tüchtigen Riemen um die Schultern, und befestigte an die Spitzen der Schwingfedern eine Art von Henkeln, womit ich die Flügel zu regieren gedachte.Eine Erfindung im Geschmack des Aristophanes, die der physicalischen und mathematischen Kenntnisse unsers Menippus nicht unwürdig ist. Ich machte hierauf die Probe, indem ich einen Satz in die Höhe that, mit meinen geflügelten Armen zu rudern anfieng, und mich nach Art der Gänse allmählich über den Boden erhob, indem ich durch Emporstreben aller Muskeln dem Flug nachzuhelfen suchte. Wie ich merkte daß mir das Ding von statten gieng, wagte ich schon ein mehreres und stürzte mich von der äussersten Spitze der Burg gerade ins Theater herab. Da es auch diesmal ohne Gefahr abgegangen war, fieng ich nun an höhere und überirdische Gedanken zu fassen; ich erhob mich vom Hymettus, und flog bis nach Gerania; von da auf die Spitze des Schlosses zu Korinth, sodann über die Berge Pholoe und Erymanthus bis an den Taygetus: und da mein Muth mit meiner Fertigkeit zunahm, und ich nunmehr für einen ausgemachten Meister in der Kunst zu fliegen gelten konnte, wollte ich mich nicht länger mit Versuchen abgeben, die sich nur für gelbschnäblichte Anfänger schickten, sondern bestieg den Olympusder für den höchsten Berg in Griechenland gehalten wurde., und, nachdem ich mich so leicht als möglich verproviantiert hatte, richtete ich meinen Lauf gerade dem Himmel zu. Anfangs schwindelte mir ein wenig, wenn ich in die Tiefe hinabsah; doch ward ich auch dessen bald gewohnt. Als ich nun bereits eine unendliche Menge Wolken unter mir gelassen hatte, und dem Monde ganz nahe gekommen war, fühlte ich mich von der langen Anstrengung, besonders am linken Geyersflügel, ziemlich abgemattet. Ich landete also dort an, setzte mich, um ein wenig auszuruhen, nieder, und belustigte mich, von dieser Höhe auf die Erde herab zu sehen, und gleich dem Homerischen Jupiter, meine Augen bald

– auf das Land der rossenährenden Thräker
und der streitbaren Myser und wackern Pferdemelker,Ilias XIII. 4. 5.

bald auf Griechenland, Persien, Indien, und worauf es mir beliebte, zu heften; ein Anblick der mir großes und mannigfaltiges Vergnügen gewährte.


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