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Achtundzwanzigstes Kapitel

Als Scherer am Morgen in Venedig erwähnte, er hoffte mit der Entlassung der Jacht, mit Hafenpapieren und Gepäck bis zum Abendzuge fertig zu werden, wunderte er sich nicht, daß Diana einen Tag länger zu bleiben wünschte. Die Nähe einer langen Bahnfahrt wäre beiden peinlich gewesen, und sie konnte ihren Vater glaubhaft genug als Grund vorschieben. Ihr Gepäck ließ sie zur Bahn schaffen, nur zwei kleine Stücke sollte Mary zum Palazzo Tiepoletto bringen, denn ein Wunsch nach Schutz, sonst selten in ihr, ließ sie vor einem Hotel zurückscheuen.

Als alles geordnet war und die Gondel wartend am Fallreep stand, suchte sie Scherer, um ihm für achtundvierzig Stunden Adieu zu bieten. Der Matrose lief, er suchte, fand ihn nicht, kam wieder, Diana schloß, er hätte sich zu diesem Abschied in seine Kabine zurückgezogen, sie schickte Mary ins Boot und ging unerschrocken, um ihn zu suchen. Er stand in der Kapitänskajüte, allein, wartend, auf sie wartend. Sie trat in die Tür, in ihrem Reisekleid, kleinem Hut, wehendem Schleier.

»Auf Wiedersehn! Freitag um Neun im Bureau!«

Ihre Stimme klang frisch wie nach einem Seebade. Er schwieg, er bat sie mit den Augen näher. Sie kam. Sie sah ihn unruhiger atmen, obwohl er's versteckte.

»Diana?«

»Nun!«

»Sie verlassen mich. In wenigen Minuten bin ich allein. Streuen Sie mir doch noch ein freundliches Wort auf dies Deck!«

»Excelsior war schön!« sagte sie leise, mit verwandelter Stimme. »Haben Sie Dank für die Fahrt! Ich will sie nie vergessen!«

Die Einfachheit ihrer Worte, der Ton, die kinderhafte Haltung des halb gesenkten Kopfes rührte ihn übers Maß, schon wollten seine Hände dies sehr geliebte Haupt erfassen, doch da stockte er.

»Wollen wir – nicht weiterfahren?« fragte er, und es gelang ihm ganz, seine Stimme zu meistern.

»Die Kohle ist ja aus!« sagte sie lächelnd. »Heut abend werden die Kessel kalt sein.«

»Diana?«

»Nun?«

»Sprich noch ein anderes Wort!«

Sie zögerte, dann sagte sie leise:

»Sie waren gut.«

Er wollte sie erfassen, aber sie war so schnell, wie sein Gedanke brauchte, dem Arm zu befehlen. Bevor er erwidern konnte, schwankte das Fallreep von ihren leichten Füßen. – Verloren, dachte Scherer, als er der Gondel nachsah, aus der kein Gruß mehr winkte, und als er langsam die Stufen zu den Kabinen hinabschritt: – Nie hätte ich sie nehmen dürfen. Dann hätte ich sie vielleicht gehalten … Sie waren gut …

Er trat in seine Kabine, nahm Strohhut und Stock, blickte in den Spiegel. Dann streckte er sich wie ein Mann. – Und doch! Es lohnte. Sie halten mich alle für einen Asketen. Diese täglichen Fresser. Ich kann von heut fünf Jahre fasten.

– Lebe wohl, weißes Schiff! dachte Diana, als sie in einer Entfernung sich umwandte, die keinen Gruß mehr gebot. – War Excelsior dein Name auch für mich? Trugst du mich denen zu, die für mich sind? Zwei Freunde hab' ich hier verloren, weil ich sie zu sehr umarmte, aber der, den ich liebte, küßte mich nur ein einziges Mal …

Als sie bei ihrem Vater eintrat, blickte er überrascht von seinem Frühstück auf. Wie sie aber diesen geistigen alten Kopf vor sich sah, war es, als wollte die Spannung der letzten Tage gelöst sein, sie warf sich ihm zu Füßen, sie weinte. Der alte Herr, der sie, nach wenig Tagen, so allein, so bewegt wiedersah, mußte an Streit und Bruch und wilde Dinge denken und suchte sie im allgemeinen zu sänftigen:

»Sei gut, Diana! Ich will dir helfen! Es ist nie so schlimm, als man zuerst meint! Steh auf, mein Kind!«

Sie merkte, daß er sie für eine Hilfesuchende hielt, sie stutzte plötzlich und lachte. Sie sprang auf, setzte sich zu ihm und rief, indem sie sich putzte und trocknete:

»Nicht doch! Verzeih mir nur! Die Freude! Mary ist auch da! Können wir bei dir wohnen? Eine einzige Nacht! Morgen muß ich fort! Lieber Vater! Was frühstückst du hier! Ist auch alles gut? Du bist doch warmes Fleisch gewohnt von London? Zieht es dir nicht vom Balkon? Ach, lieber Vater!« Und sie stand auf und ließ sich die Locken streicheln.

»Niemand tut das! Das hat niemand getan! Sie reißen einen an sich, sie hetzen, hasten, sie wildern so sehr! Ich möchte leise um dich sein und dir süße Worte sagen!«

Er staunte über die ungehemmte Wildheit ihrer Worte, er hieß sie erzählen. Sie fuhren nach der Piazzetta, im Palazzo Ducale blieb sie nirgend stehen, gradenwegs ging sie zu den Bildern des Tintoretto, die sie liebte, und schweigend bat sie den Vater, ihr zu folgen. Erst vor der Ariadne blieb sie stehn.

»Nein, ich gleiche ihr nicht,« sagte sie leise. »Ihre Knie sind weicher und ihre Brüste. Aber der Gott ist ein Knabe! Sieh doch, lieber Vater, wie er wirbt, wie zart er bittet, statt zu befehlen! Hymen hat er herbeigerufen, damit er seine Hand in die ihre legen soll – und konnte sie doch rauben! Sicher wird er ihr die Locken streicheln, wenn sie allein sind, dort draußen auf dem schönen Segelschiffe! So ist Eros, ja, nicht wie – wie – diese andern –! Wie ist Eros, Vater, sag' es mir!«

Eine melodische Süße war in ihre Stimme gedrungen, er fühlte sie beschwingt, und indem sie sich zu ihm umwandte, fragend, mit gefeuchteten Lidern, sagte er:

»– Helena! So war auch deine Mutter zuweilen, wenn auch sehr selten …«

Sie nahm seinen Arm und fing eine Promenade durch die Prunksäle des Palastes an, immer hin und her.

»Vater?«

»Diana?«

»Rate mir, hilf mir!« sagte sie, rasch, leise, beinahe heiter, immer im langsamen Schritt. Zwei alte Damen kamen vorbei, sie suchten in ihren roten Büchern.

»Der Prinz, weißt du, Prinz Eduard, der damals, in San Lazzaro, solchen Unsinn über Lord Byron als Edelmann gesprochen hat – nun, der ist also unerwartet Thronfolger geworden. Du hattest es ja gelesen. Ich liebe ihn, aber er will mich zur Frau, und ich tauge doch einmal nicht zur Ehe. Er ist zart und gut und klug, aber meine Freiheit, weißt du, ist metallen, hart und sie glänzt wie Bronze. Dort aber ist ein Schloß, kälter wie dieses, Säle, viel zu steil für mich, Leute mit kleinen Gesichtern und störrischen Händen, die Komödie der Pflichten – o! Wie soll ich das möglich machen!«

Der Vater hörte sie ruhig an. Nun blieb er an einem Fenster stehn, er trat zur Nische, lehnte sich hinein, faßte den Stock von Elfenbein in beide Hände:

»Du liebst ihn – und willst doch nicht … Liebst du noch einen andern?«

Sie sah überrascht zu ihm auf:

»Nein, nein! Jetzt nicht!«

»Aber du fürchtest, später …«

»Ich muß immer frei sein!«

»Und sagst das ganz allgemein?«

Sie stockte.

»Ich glaube – ja.«

»Mir schien, dir gefiele auch dieser Russe?«

»Ich hass' ihn!«

»Ja eben!«

»Laß den aus dem Spiele!«

»Nicht doch. Ziehen wir ihn zu unserem Konzilium hinzu.«

»Warum?«

»Weil du ihn hassest.«

»Was soll ich tun?«

»Dem Herzen folgen.«

»Das schließt nur Eduard ein!«

»Dann werde sein!«

»Aber er fordert die Ehe, Gemeinschaft der Arbeit, Rat und Gedanken für zweimalhunderttausend Menschen! Sonst will er's nicht wagen! Begreifst du nun?«

Er schwieg, sie setzten die Wanderung fort. Nach einer Weile nahm der alte Herr auf einem hohen Sessel Platz, der Fensterwand gegenüber, vom Lichte des Hofes beleuchtet. Diana stand vor ihm, wie im Beichtstuhl. Er sagte:

»Wenn du es abschlägst, was tust du dann? Bleibt alles beim alten, wie du mir's geschildert hast? Dein Bureau bei Herrn Scherer, sein Vertrauen, seine Freundschaft?«

Diana zuckte. Dann sagte sie, und ihre Stimme, bisher ganz in schmelzende Töne gelöst, wurde plötzlich hart:

»Nein, das hört auf.«

»Und was denkst du zu tun?«

»Irgend etwas.«

»Und wird dabei dein Herz den Prinzen entbehren?«

»Es liebt ihn ja!«

Er blickte sie an, dann stand er auf und sagte leise, bestimmt:

»Alle Bedingungen sind ohne Wichtigkeit. Nur das Herz solltest du fragen!«


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