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Als sie am andern Tage von einem Spaziergang heimkamen, der über der klippenhaften Küste am Meer entlanggeführt, hatte Wilhelm das Herz des Knaben, Maria aber das seine vollends gewonnen. Denn wie er sich stets ins Abenteuerliche schickte, ja, suchte, was burlesk und seltsam in der Natur und zwischen Menschen sich darbot, so hatte er, in süddeutschen Bergen, mitten im Binnenlande geboren, auf dieser ersten Fahrt Kuriositäten des Seelebens erkannt und, unbestechlich gegen die vorgeschriebene Freude der Seefahrt, an Bord und auf dem Wasser das ihm Gemäße adaptiert. Hatte er einst in einer Meereshistorie von großen Eidechsen gelesen, so mußten sie grade an der Küste wohnen, an die ihn seine erste Reise trieb, und wirklich war's, als teilte ihm ein freundliches Geschick alles nur zu, um seine naive Forderung nicht zu enttäuschen.
Wilhelm war nie enttäuscht. Seine Jugend, die so anspruchslos verlief, weil sie ihre phantastischen Ansprüche nie realisieren mußte, schwankte zwischen Künstlern und Vorübergehenden in der Stadt und den Bauern in seiner Heimat, von denen er stammte. Halb war er Musikant, halb Dichter, so fuhr er immer ohne Geld durch das Leben und durch die Länder, und stand er in Florenz von der Tafel launenhafter Reisender auf, die seine Anmut und eine gewisse heitere Führergabe durch wochenlange Einladungen sich erhielten, so fand er andern Tages in einem Bauernhause von Carreggi Unterkunft, weil er die Kinder die Laute lehrte. Den Frauen huldigte er im Grunde immer, wofern sie hübsch waren und nicht alt, und seine Zartheit konnte in einem Kuß, im Streicheln des Handschuhs auf einer Wagenfahrt Genüge finden, – war aber mit jungen Engländerinnen, die alles haben wollten, ohne Gefahren zu laufen, nicht blöde und zuweilen raffinierter, als er es selber wußte: da dichtete er kleine Lieder mit boshaftem Doppelsinn und trug sie abends vor Eltern und Verehrern der jungen Damen vor. Zurückgekehrt in das Dorf seiner Heimat schlief er dann die Nächte bei den Mädchen, denn er verstand die Sphären wohl zu trennen, denen ihn Geburt und Erziehung zutrieb.
Maria ergriff er, mit sicherem Vorgefühl, halb als ein Kind, doch auch als Jungfrau, und wußte dieses Widerspiel mit leichten Händen zu gestalten, wobei ihm Clemens als Mittelglied diente. Und indem so der Knabe sich mit dem Mädchen an Jahren beinah gleichgesetzt fühlte, wurde er willig, Wilhelms kindliche Vorschläge anzunehmen, die er, nach seiner Erziehung, sonst hätte von sich weisen müssen, um nicht knabenhaft zu scheinen. Maria wiederum, durch solche Spiele in ihre kaum vergangenen Kinderjahre zurückgeführt, erschloß sich gern dem Fremden im Gefühl oder unter dem Vorwande, dies alles sei nur Spaß und seine Huldigung die eines Knaben. Sie krochen in die Grotten am Meer, und Wilhelm wußt' es bei aller Schelmerei so einzurichten, daß man Schuhe und Strümpfe ausziehen mußte und daß er dann das Mädchen mit bloßen Beinen über die glatten Steine führen konnte. Nun wurde Maria doch rot, und das war für Wilhelm schon ein Sieg. Clemens begriff von diesem Spiel nur einen Teil, doch auch genug, um nun auch seinerseits, wie ein Knabe, das Mädchen zu zwicken, durch Verschwinden zu erschrecken, doch blieb er dabei instinktiv nie so lange fort, daß Wilhelm Zeit gehabt hätte, das Mädchen zu küssen, als deren Kavalier sich Clemens, als Schloßerbe und Vetter, in romantischer und zugleich mondäner Vorwegnahme seines Amtes berufen fühlte. –
Diana saß, am gleichen Vormittage, bei Olivia in ihrem großen Wohnraum, einem quadratisch überkuppelten Turmzimmer, das nach drei Seiten aufs Meer hinausblickte, doch nach Olivias Weise meist zum Blinzeln verurteilt war: denn dunkelblaue Holzläden waren vorgeklappt, so daß jene Dämmerung entstand, die sie liebte und die sie, jäh durchschossen von wilden, durch Löcher und Stufen der Läden einsprühenden Strahlen, zu einem Abbild ihrer Seele wie schlafwandelnd zu gestalten liebte.
Olivia, ruhend auf ihrer breiten und schweren Ottomane, lag aufgestützt nach ihrer Art und blickte zu Dianas Sessel mit der Inbrunst ihrer Augen hinüber, die den Passionen nur stärker entgegenbrannten, je länger sie in ihren Tummelplatz zu schauen verurteilt waren. Schnell war das Zufällige ihres Gespräches verstummt.
»Sie sind ganz braun, Diana,« sagte der schöne Alt der liegenden Frau, »und waren doch auch den Winter in der Stadt und sogar in Stuben tätig.«
»Das macht das Meer!« sagte Diana mit leiser, umlichteter Stimme. »Ich bin drei Wochen an Deck gewesen.«
»In zwanzig Jugendjahren, hier an dieser Küste, bin ich stets weiß geblieben.«
»Und ist es nicht schöner, weiß zu sein, mit goldenen Haaren?« fragte Diana.
»Atalanta!« sagte Olivia. Dann ließ sie den Arm sinken und ließ sich vollends rücklings auf den Diwan fallen, wie um, zur Kuppeldecke blickend, Dianas leiblichem Bilde entrückt, sie um so besser wieder in jener Gestalt zu sehn, in der sie ihr den vollsten Ausdruck ihres Wesens gegeben. »In einem Wesen, einer Göttin sich verkörpern können,« murmelte sie, »seine Form zu finden, schon in so jungen Jahren, um sie bis zur Vollendung auszubauen. Begnadete Freiheit …«
– Wie sie strebt und sucht, dachte Diana, und vom Genusse ausgeschlossen bleibt, sobald sie ihre Träume verwirklichen möchte. Aber sie sagte: »Haben Sie indessen nicht an Freiheit gewonnen?«
Mit unerwarteter Schnelle warf sich Olivia auf:
»Nicht als Freiheit!« rief sie leidenschaftlich. »Ihr alle habt ein Heim, Maria ihre Hoffnung, meine Mutter dies Schloß, Scherer seine Zeitungen, der Russe, dieser Doktor, seine Idee, und Gregor – nun der schwankte zwischen Werken und Abenteuern und war in beiden zu Hause. Sie aber haben die Welt gewählt! Ja, Sie, Diana, unter allen, die ich traf, Sie allein mögen die große Kuppel, die ich so oft wie etwas Ödes feindlich anstarre, wie das Dach Ihres Vaterhauses empfinden – und deshalb lieben Sie auch die Sterne so sehr!«
Sie hatte zornig gesprochen, dunkel, den Blick aus dem auf beide Arme gestützten Kopfe erdwärts geheftet.
»Und wären Träume keine Heimat?« fragte Diana leise.
»Ich will heraus, es ist die höchste, letzte Zeit, und ich begreife Herrn Franklins Irrfahrten. Er mag nicht mehr nur formen und phantasieren, und wie er wirken will, sichtbar vor seinem eigenen Blick, obwohl sein geheimstes Innere weiß, daß es Trug ist und weniger als der Traum, – so will ich Liebe als mein Dach und will nach einem letzten Trunk in meine Träume zurücksinken, als hätt' ich sie nie verlassen sollen!«
Sie war aufgestanden und ging umher, wider ihre Gewohnheit. Dann aber blieb sie stehen, überrascht, denn sie hörte Diana lachen. Es war ein leises, kurzes, zweisilbiges Lachen, das von ihren schmalen Lippen drei- und viermal herüberkam. Sie wollte zürnen, doch mit einem Male stutzte sie vor sich selber, der kleine metallene Ton gab ihr Mut, sie trat auf die Sitzende zu, sie sagte:
»Nun lachen Sie, kluge Diana, wie es einer jungen Jägerin gar nicht ziemt!«
Sie stand, auf beide Lehnen ihres Sessels gestützt, vor ihr, das Gesicht dem ihren sehr genähert. Diana blickte sie unerschrocken an, die volle Helle ihrer noch lachenden Züge nicht bergend.
»Sie sprachen, wie ich so lange für Sie erhoffte, schöne Olivia!« Und sie dachte: – Jetzt möchte ich sie küssen, aber dann wird sie wild oder verschlossen –
Olivia hob langsam ihren goldbeschwerten Kopf empor und sagte, vor ihr stehend, in ihrer unvermittelten Art:
»Ich glaube, ich will noch Kinder.«
»Das denk' ich, seit ich Sie wiedersah.«
Olivia, die mit ganz ungewohntem Vertrauen gesprochen wie nie zu einer Frau, denn dies Fehlen von Freundinnen war ihnen beiden gemein, spürte in Dianas ruhiger Antwort etwas wie Überlegenheit und bog das Gespräch zu ihr hinüber:
»Und Sie – weigern sich immer?«
Diana hörte das aufsteigende Mißtrauen heraus und dachte: – Gut, daß ich sie nicht geküßt habe! Aber sie nahm die Anfrage auf und erwiderte:
»Ich habe nie die Natur verletzt, immer fühlt' ich, sie werden mich nicht schwer werden lassen, die dort oben, die mich schützen!«
»Glauben Sie an die Heiligen?« fragte Olivia sehr befangen und trat einen Schritt näher.
»An die Götter,« sagte Diana leise.
»Ist dieser Russe vielleicht fromm?« fragte Olivia ohne Übergang.
»Ich glaube, er liebt nur sich selber.«
»Nur sich selber,« sagte Olivia leise, und Diana fühlte, wie sich Olivia mit ihm im geheimen verglich und diese Worte an sich selbst erprobte.
»Und der Prinz?« forschte Olivia weiter, als hätte sie jetzt Fragen an ein Orakel frei.
»Der Prinz scheint gläubig, auf seine Art. Vielleicht ist er der erste Ritter, der nicht mehr raubt.«
Olivia, zu neuen Gedanken geweckt, weil sie sie zum erstenmal ausgesprochen, hörte dies Wort nicht mehr, sie sagte:
»Wie all diese Menschen Sie umkreisen! Und doch konnten Sie mit allen auf einem Schiffe fahren! Wenn ich nicht wüßte, was Sie an Gregor getan, ich müßte schließen, daß Sie kalt sind wie das Meer!«
Diana stand auf. »Lassen Sie uns klar begegnen. Keiner von diesen Männern ist so in meinem Herzen, daß er nicht, ohne seinen Schlag zu beunruhigen, auf diesem Schlosse bleiben könnte, wenn morgen Excelsior in See geht.«
Die Deutlichkeit, mit der sie dies sagte, ihr selber ungewohnt, hatte sie um Olivias ungeselliger Vorurteile willen bewußt gewählt. Aber Olivia, seit ihrem ersten Ausbruch sturmbewegt, tat wiederum das Unerwartete, indem sie nach ihren Händen griff und sagte:
»Ich weiß nur Eine, die morgen noch nicht auf Excelsior in See gehn soll! Versprechen Sie! Clemens ist auch schon unruhig, Sie und Herr Wilhelm könnten wieder gehn!«
»Clemens wird mich mit Wilhelm rasch vergessen, und Sie mit Clemens! Er ist schön und ritterlich, und wird in kurzem Ihr Anbeter sein!«
Olivia wandte sich fort:
»Eine Stallmagd wird ihn die Liebe lehren, in ein, zwei Jahren!«
Es klopfte und auf ein ärgerliches Herein blieb Eduard auf der Schwelle stehen.
»Es klang nach Zurück! wie in der Zauberflöte! Daher auch dies Tempel-Dunkel!«
»Kommen Sie doch, Prinz!« rief Olivia heftig.
»Ja, kommen Sie,« sagte Diana. »Soeben beklagt sich die Gräfin, weil Clemens in kurzem bei einer Stallmagd die Liebe studieren würde!«
»Gräfin waren ja stets gegen Komtessen,« sagte Eduard. »Wohin soll sich der gehorsame Sproß denn wenden, da sich auf Schlössern doch neben diesen beiden Spezies nur noch Zofen zu finden pflegen?«
»Auf die Nerven kommt es an, Prinz!« sagte Olivia zornig. »Da wäre mir ausnahmsweise sogar der Adel lieber!«
»Aber wenn er Ihnen verspräche,« sagte Eduard neckend, »daß er sie dann auch zum Traualtar führte, diese mehr oder weniger, also weniger reine Stallmagd: dann müßten Sie doch die Bauerntochter umarmen, Gräfin!«
»Ich bin nicht Ihr russischer Freund, Prinz Eduard,« sagte Olivia kalt.
»Auch dieser dürfte sich an erlesene Schüsseln halten,« sagte Eduard in unstörbarer Heiterkeit und wandte, wie unbefangen, den Blick zu Diana hinüber.
»Das Apostroph eines Gourmand, das hier indessen nichts beweist.«
»Über Erziehung«, sagte Eduard nun, »dürfen ja verschworene Junggesellen nicht mitreden; als ob die Vaterschaft plötzlich auch das Talent verbürgen möchte. Sollte ich trotzdem Meinung vor den Damen äußern dürfen: ich als Mutter eines schönen Buben ersuchte in seinem siebzehnten, der Sicherheit halber lieber sechzehnten Jahre meine schönste Freundin, meinen Sohn in den Bacchusdienst einzuführen.«
Olivia wandte sich lebhaft um und rief:
»Wie oft hab' ich das gedacht, aber unsere Gesellschaft nimmt ja den Frauen den Mut, das klar und mit Bedacht zu tun, was sie im Halbdunkel mindestens träumen!« Dann blickte sie nach Dianas Gestalt, die dort, in ihrem weißen kurzen Leinenkleide aus der Dämmerung des Raumes stach. Auch der Prinz sah sie an und gab ihr, durch den Nebel geschützt, in dem sie standen, über den Diwan weg sichtbar zu verstehen, an wen er einzig dachte und daß auch er im Grunde erst sechzehn wäre wie Clemens, Graf von Münsterberg. Diana hatte aus seinen Worten alles gehört, was in ihnen brannte, und wie sie nun, wie ein erwähltes Opfer der Schönheit für die Schönheit, zwischen diesen vier Augen stand, die redeten und schwiegen, fühlte sie eine Unfreiheit sich auf sie senken, die ihrer Bahn Richtungen aufzwingen wollte, statt sie allein den magnetischen Gesetzen ihres Wesens zu überlassen.
Und wie als Antwort auf diese Blicke faßte sie mit plötzlichem Griff den Hebel des Holzladens, an dem sie grade stand, und stieß mit beiden Armen das breite Fenster auf. In Katarakten warf sich das Lacht eines mittäglich überglänzten Meeres in den gekuppelten Raum, Olivia wandte sich ab, Eduard stand blinzelnd, wie erschrocken.
»Es ist Flut!« rief Diana. »Wir haben Nordost, die Brandung ist schwer, es ist noch nicht zu heiß. Kommen Sie, Olivia! Sie haben's versprochen! Wir wollen baden!« –
Eine Stunde später hatte sich Wilhelms heimgekehrte Gruppe, wie auch Scherer und Kyrill dazugefunden, die beide früh noch an Bord geblieben waren, und als man sich nun auf dem geschützten Strande am Fuße des Schloßgartens traf, aus den kleinen Badezellen herunterkletternd, war man im Grunde genierter, als es dem Freimut des einen, der Erziehung des andern Teiles dieser Gesellschaft ziemte. Olivia und Maria waren in ihren etagenreichen Badekostümen weltlicher, als jene zu wollen, diese zu wissen schien. Die Männer in Trikots, alle gut gewachsen, waren Wasser und das Schwimmen gewohnt, und nur Wilhelm machte in dem ihm beinah neuen Meerbad eine etwas ängstliche Figur. Er kauerte sich alle Augenblicke in die unbedenklichsten Stellungen, um Krabben oder Seesterne zu erkunden, rief viel durcheinander und kümmerte sich nicht um die Frauen; nicht einmal nach Maria sah er sich um. Der Prinz schien alles als ironischer Gesellschafter aufzufassen, und zögerte nicht, zu Olivia boshafte Kommentare der Silhouetten der nackten Männer zu geben, wobei er die Frauen meinte, die wenig badeten, mehr im Sande saßen oder lagen, die Nichte immer ängstlich bei Olivia geborgen. Scherer hielt sich galant, ohne die kleinste erotische Anspielung, während er kennerisch die Gräfin in ihrer Fülle neben dem Mädchen abschätzte, das entwickelter war, als er geglaubt hatte, und für dessen volle Lippen er nun eine Bestätigung im Frauenkörper fand. Doch kehrte er immer zur Sturzwelle zurück und hielt sich stark als ein Mann.
Diana, Kyrill und Clemens verschwanden sogleich in der Flut. Unvorgesehen trafen sie sich im ersten Augenblicke, denn Diana war aus der Zelle über die Leiter so schnell den Strand hinab zum Wasser gelaufen, daß sie in ihrem Trikot den Überraschten kaum sichtbar wurde und sich im Wasser mit denen traf, die, wie sie, erst hier im rechten Element schienen. Eduard, kein idealer Schwimmer und von dem erotischen Spiel der Worte und Blicke am Strande gebunden, gab das Nachschwimmen auf, eh' er es begonnen, Scherer bald nachher, und Wilhelm hatte in dieser Stunde nur für Tiere Sinn.
Diana, nach den doppelsinnigen Worten in dem dumpfen Raume, fühlte sich nun doppelt frei, und wie sie heute das Meer von allen Trieben rein empfand, einen Spiegel des Lichtes, so war sie froh, die Spötter hinter sich zu lassen und auch ein wenig stolz. Clemens, tauchend und springend, von der körperlichen Nähe der jungen Frau verwirrt, ward nur immer toller in Vorschlägen zu Wassertänzen, Wellenabwehr, Hochsprüngen und konnte zwischen Salzwasser und Brausen, Schaum und knabenhafter Unruh kaum mehr rufen.
Kyrill überraschte Diana als der vollkommene Schwimmer. Dies war das zweitemal, daß sie ihn exzellieren sah, und sekundenlang dachte sie an jene andere Stunde, wo er das Cello meisterlich handhabte. Denn obwohl ihr immer wacher Geist sich am Geiste der Männer rieb und kämpfend förderte, gingen doch solche mit Sinnen wahrnehmbare Vorzüge mehr in ihr Blut, und darum war ihr vor allem der Körperbau eines Mannes entscheidend, noch eh' er die Lippen öffnete. In strahlendem Nordost bei Flut den Wellen zu stehen, nun standzuhalten, nun auszuweichen; nun im Schwunge des Leibes ohne Schlag auf ihre Höhe getragen, nun wieder niedergelassen werden; wortlos die Hand dem andern zu reichen, wenn er zu fallen droht; nun auf dem Rücken fortzugleiten, nur mit den Beinen steuernd; nun wieder unter diesen Riesenwellen einzutauchen, ihre Schwere zu tragen, ihre Breite vorzuwissen, um nicht zu früh aufs neue aufzutauchen: Diana kannte die Kunst und ehrte den Russen um dieser Meisterschaft willen mehr, als er selbst je geduldet hätte.
Und doch fühlte Kyrill, mit dem Instinkt des Mannes, voraus, beim Baden würde er diesem extravaganten, diesem Luxuswesen Bewunderung abringen, die sie seinen Gedanken stumm zu versagen schien. Schon auf Leukas hatte er deshalb das Meerbad vorgeschlagen, das in Syrakus nicht möglich war, doch hatte damals das drohende Abflauen des Westwindes die Abfahrt beschleunigt, da man zwischen den Ionischen Inseln gern unter Segel bleiben mochte. Aber indem er fühlte, wie er ihr so gefiel, stieg seine eigene Achtung vor dieser Frau, die ihn verwirrte, seit er die Fremde an jenem öffentlichen Abend als Atalanta gesehen und dann als Dame in Scherers Räumen beim ersten Blick wieder erkannt hatte. Sein triebhafter Wille zu ihrer Schönheit war nie erloschen, doch durch den Widerspruch gegen ihr ganzes Wesen verdeckt, und erst in dieser Stunde ging seinem Fanatikerkopfe das Zweckhafte an dieser Schönheit auf: jetzt als er sah, wie dieser Körper, an Bord zu einer Ruhe gezwungen, deren Sinn ihm fremd war, sich sinnvoll zu bewegen, zielsicher zu herrschen wußte. Erst in diesen Augenblicken schlug in Kyrill Dianas harmonischer Doppelsinn zusammen, sein Instinkt und Gedanke, Grundsatz und Mannestrieb warfen sich über ihre bronzenen starken Glieder wie die Flut.
Fast ohne es zu wissen, schwamm er, der Brandung trotzend, weiter und tiefer in die bewegte See, wie um sie zu locken. Clemens war endlich müde geworden, er rief, gestikulierte, es half ihm nichts: die Dame, als deren nasser Ritter er sich fühlte, entschwand ihm doch, immer dem Manne nach, der sie mit seinen starken Rhythmen anzog. Auch wurde er energisch zurückgerufen. Am Strande war man nervös, aber die warnenden Rufe verdoppelten nur Wildheit und Ehrgeiz der beiden Wasserwesen. Eduard wurde unruhig in zweifachem Sinne; wie sehr verwünschte er jetzt, nicht länger am Meere gelebt zu haben! In rasch gesteigerter Eifersucht schärfte er den Blick, mit der Linken das Auge beschattend und suchte die Entfernung beider Köpfe zu berechnen, die auf und nieder tauchten. Scherer stellte zugleich die gleichen Messungen an.
Beide konnten nicht erkennen, wie Kyrill untertauchte, als Diana nur noch ein paar Armlängen von ihm entfernt war, mit offenen Augen unter ihr durchschwamm, sie hob. Nun faßte er stumm die Liegende mit seinen starken Armen um den Leib, tauchte auf, riß sie gewaltsam an sich und setzte mit den Beinen das Schwimmen fort. Seine Zähne glänzten plötzlich, seine Klammer war so eng, sein Wille so wild, sein Auge so brennend, daß er, die Linke auf ihrer linken Brust, nach ihrem ersten erschrockenen Ruf ihren Widerstand in seinem Drucke brach und Diana, vom Meer und von dem Manne getragen, die Locken halb im Feuchten, halb im Wind, in dieser kühnen Umarmung reglos verharrte, bis er umbog, dem Strande wieder zuzusteuern und sie sacht von sich abtrennte, um neben ihr, schweigend, langsam zurückzuschwimmen.