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V

Thanatos

 

»Wer zum Herrscher geboren ist,
wer's hergebracht hat, daß jeden Tag
das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt,
steigt vom Thron wie ins Grab.«

Goethe

 

1

Wenn sich die Schicksale kühner Menschen zu verwirren beginnen, verdoppelt sich die Schönheit ihres Anblicks.

Dort, wo der Schwache zusammenbricht oder sich in den Schlingen des Selbstbetruges fängt, erhebt sich der Starke, um nach vielen Kämpfen mit Menschen endlich dem Schicksal selber entgegenzustehn. Er tut es gerüstet. Nach heißen Tagen ohne Zahl hat sein Kampfesmut ihn in traumlosen Nächten erfrischt, jeder neue Morgen ihn wieder am Werke gefunden, die Gedanken in hundert Facetten, die Kraft in hundert Stellungen spielen zu lassen, um immer neue Schwierigkeiten zu berennen, zu überwinden. Als er sich beständig aufs greifbar einzelne warf, stets in der Enge kämpfend, dem Feind in Menschen- oder Sachgestalt so nahe, daß sie ihn fühlen, riechen konnten, war er in kurzen Stößen täglich vorgerückt, und wurde er zurückgedrängt, so war es doch nur, um mit neuem Anlauf anzuspringen.

Dann aber kommt eine Stunde, da er durch die gewohnten feindlichen Geräusche ein Rauschen außerirdischer Natur vernimmt. In großer Weite fängt es an, sich zu verdunkeln, leises Dröhnen verkündet fremde Gewalten, und zwischen die Bilder und Töne des täglichen Gegners drängen sich Schatten und Dunkel von fernen Gebirgen. Da wappnet sich der Kühne, entschlossen, seinen Endkampf zu bestehn. Zuerst schreckt ihn der Feind, den er nicht fassen kann, und wenn er logisch dächte, gäbe er sich vor den herrollenden Elementen verloren. Ihm kann er keine Pause ablisten. Aber da rafft er sich auf, er will sich verdoppeln, um seine Kraft ins Übermenschliche zu heben, in dem geheimen Wunsche, das Schicksal vielleicht doch noch abzuwenden.

Solchen todesmutigen Anblick bieten selten die Frauen, denn auch unter den Kühnen braucht es eine geniale Natur, um die Erschütterung von Glanz und Macht zu bestehen. Von ihrem angeborenen Instinkt früher gewarnt als die Männer, suchen sie sich gern dem Unentrinnbaren schlangenhaft zu entwinden und gewinnen dabei manchen Aufschub, oft eine letzte Epoche, die dem Pathos des männlichen Kämpfers entfällt. Vorzeichen, die solche suggestiblen Wesen suchen, lassen zwischen ihren Schatten das Licht wieder aufblitzen und erlauben jede Deutung, die das Selbstgefühl fordert. All die Schwebungen und Zärtlichkeiten der weiblichen Natur, dazu der Drang von Müttern, ihre Kinder entschiedener als ihre Ziele zu schützen, die Hoffnung, zu paktieren, zeigt ihnen bis zuletzt Wege an, den großen Schlägen auszuweichen.

Kleopatra, der jetzt das Schicksal gegenübertritt, wird sich im letzten Kampfe heldenhaft bewähren. Alle Listen und Auswege, alle Verführungen und Überredungen des Weibes wird sie im einzelnen suchen, doch zugleich mit männlichem Mute dem Ganzen sich entgegenstellen, hoffend von einer Phase zur andern, doch furchtlos im Anblick der heranrauschenden Tragödie, um am Ende königlich zu sterben. Reich an Vorgefühlen, die von ihrem Glauben an Zeichen kamen und diesen zugleich stärkten, mußte sie den Chor der Schicksalsstimmen schon vernommen haben, als er noch leise hinter den Fanfaren der Krieger erklang. Ihr Jägerblick und schneller Verstand hatten zudem die Schwächen ihres Gefährten längst erfaßt, und wenn sie nun in ihren zwei letzten Lebensjahren versuchte, das halbe Spiel des Antonius in ein ganzes zu verwandeln, so gab sie es doch in ihrem Innern auf, ihn aus der halben Kraft zugleich zur vollen zu beleben.

Dies kühne Weib tat, was nur wenige Männer vollbrachten: Das tragische Ende fühlte sie kommen und stellte sich ihm dennoch entgegen.

2

Ephesus, schon damals eine jahrhundertealte Stätte griechischer Kultur, von den Persern erobert, von Alexander wieder befreit, aufs neue von den Römern genommen, ähnelte an Lage zwischen See und reichem Hinterlande Alexandria. Den Eroberer aus den Gebirgen Kleinasiens führte eine uralte Straße dorthin an das Mittelmeer, wo heute Smyrna liegt und wo der Fluß nur noch ein weniges braucht, um zu münden; dem Eroberer, der von Westen kam, öffnete sich dieselbe Heerstraße in die Gebirge Kleinasiens. Es war der große Waffenhafen, und wenn von zwei Eroberern einer die östliche Welt besaß und sich hier verschanzte, so lockte er den Rivalen von seiner westlichen Basis ab, und das war klug getan.

Aber solange die berühmte Artemis von Ephesus in ihrem schimmernden Tempel regierte, ein Heerlager von solchem Lärm und solchem Reichtum hatte sie nicht erlebt, wie es im Frühling 32 hier zwischen Meer und Gebirge sich tummelte. Denn Antonius, der hier seine Macht zusammenzog, war zu diesem Zeitpunkt wirklich Herr der östlichen Welt: Seine Macht reichte vom Euphrat und von Armenien bis zur Jonischen See und Illyrien, das ist der heutige Balkan, doch zugleich in die Länder von Cyrene bis nach Äthiopien. So gebot er mit 100 000 Mann Fußvolk und 12 000 Reiterei, mit 500 Schiffen, darunter Galeeren für acht und zehn Ruderbänke, über ein Heer, wie es weder Alexander noch Cäsar besessen. Antonius war, von römischen Nachrichten getrieben, nach diesem Hafen auf einem neuen armenischen Zuge umgekehrt, über den uns die Quellen nichts oder Widerstreitendes melden. Hier lagerte er nun, um Kleopatra zu erwarten, die sich und ihren Reichtum aufs neue herüberbringen sollte.

Als sie diesmal ihre Heimat verließ, hatte sie zwischen Vorgefühlen alles bedacht, was geschehen könnte; es lag wohl auch schon in ihren Plänen, ein Jahr oder länger auszubleiben. Wo und wohin? Niemand wußte genau, für wen der riesenhafte Troß bestimmt war. Die Völker Asiens zitterten, die Soldaten sangen Rachelieder gegen die Perser, die endlich vernichtet werden sollten, ihre Verbündeten schworen ihnen beim Weine zu, mit ihnen an das Ende der Welt zu marschieren, aber zugleich sprach die ganze östliche Welt vom drohenden Bürgerkriege gegen Oktavian.

Beide, Antonius und Kleopatra, wußten es nicht genau: Er hoffte noch, sie fürchtete noch, daß es am Ende doch gegen die Perser gehen könnte. Denn da er sich beständig als römischer Triumvir, sie ihn beständig als König von Ägypten auffaßte, waren ihre Ziele verschieden, und es blieb schließlich dem großen Feind in Rom überlassen, ob er den Bürgerkrieg jetzt oder wann er ihn wollte. Nach einer Epoche dauernder Provokationen, in einem Nebel von Mißverständnissen und Herausforderungen war die Sicht über dem Meer zu dunstig geworden, um klar zu sehen, ob die Schiffe des Feindes schon herüberkamen.

Als sie dies vierte Mal über das Mittelmeer fuhr, mußte Kleopatra ihrer früheren Fahrten gedenken, der ersten als Aphrodite nach Tarsus, der zweiten als Königin nach Antiochia, der dritten als Kriegsgöttin nach dem Weißen Dorf. Jetzt war sie alles in einem, denn eine Reihe von Jahren nach ihrem letzten Kinde hatte sie trotz Macht und Waffen auch wieder die Schlankheit ihrer Jugend zurückgewonnen. Jetzt aber brachte sie auf 200 Schiffen Korn, Metalle, Stoffe und einen Schatz von 20 000 Talenten; zugleich die halbe Hofhaltung, Eunuchen und Sklaven: alle Verschwendung, die die antike Welt besaß.

Wenn sie morgens nach ihrer Gewohnheit an der Spitze ihres Schiffes stand, zitterten widerstreitende Gefühle in ihrer Brust. Zwar nur noch selten fürchtete sie jetzt einen neuen Perserzug; meist fühlte sie sich sicher, Antonius zum Bruch und Oktavian zum Schlagen zu bringen. Mit ihm ging die Zeit: Jetzt waren sie stärker als er, jetzt mußten sie ihn reizen und besiegen! Die Spannung mit Rom, die von einem Jahr zum andern nur immer gestiegen war, wollte sie, ganz Weib, wie eine Spannung zwischen den Geschlechtern endlich lösen: Sie war ihr unerträglich geworden. Friedlich in zwei Hälften der Welt zu sitzen, das machte beiden Männern schon das Gesetz der Diktatur unmöglich, dazu die Sensationssucht der Massen in beiden Weltstädten, die Unruhe und Intrige der vielen Fürsten am Mittelmeer und der drohende Ablauf des Triumvirats.

Oder konnte man es noch einmal erneuern? Dazu wäre die Versöhnung des Antonius mit seiner römischen Frau geboten gewesen: Dann aber, gegen beide vereinten Männer und die Frau, die ihre Schwester und Gattin war, gegen ein solches Triumvirat war die Königin verloren. So ging Kleopatras Politik jetzt direkt auf die Scheidung des Antonius von der Oktavia zu, um ihn ganz für sich zu behalten. Diese Scheidung aber bedeutete den Krieg, den Krieg, die große Frage zwischen Alexandria und Rom, und da es eine Griechin war, die drüben herrschte, war es im Grande noch ein letztes Mal der alte Wettkampf zwischen Athen und Rom, der hier zur Entscheidung reifte. Wie aber würde dieses Wagnis enden? War es bei kalter Überlegung auch nur zu wünschen?

Und wer konnte hier überhaupt noch wünschen? Die Wahl war nicht mehr frei.

So wurde die klügste Frau ihrer Epoche, obwohl sie des Antonius Mängel kannte, obwohl sie fühlte, daß ihn der spieleirische Teil seiner Natur von der Weltherrschaft für immer ausschloß, in den labyrinthischen Schleifen und Wandlungen dieses Schicksals gezwungen, ihn einem Endkampfe zuzuführen, dem ein Cäsar gewachsen war, doch kein Antonius. Daher ihre dumpfen Vorgefühle, als sie erfuhr, Pisaura, eine Kolonie, die Antonius gegründet, wäre von einem Erdbeben verschlungen worden; daher ihr Erblassen, als sie erfuhr, von seiner Statue in Alba wären mehrere Tage lang Tropfen gefallen und wären nicht zu trocknen.

Dann aber warf sie alle düsteren Stimmungen hinter sich, wieder stand eine verjüngte Kriegerin morgens am Bug ihres Schiffes und spannte alle Kräfte der Seele und des Geistes, um in dem kommenden Kampfe das zu leisten, was ihrem Manne fehlte.

Ihr selber fehlte der Sohn. Caesarion war jetzt zu groß, um wie ein Page sie noch zu begleiten; in seiner Hauptstadt sollte er statt dessen, von alten Dienern unterstützt, regieren. Es war ein Wagnis, und es war ein Verzicht. Dennoch trennte sich Kleopatra von ihm, weil sie nur ihm auf lange Zeit die Macht vertrauen konnte, zugleich, weil jetzt die große Schule für ihn gegeben war, sich zu bewähren. Ging er mit ihr außer Landes, wie leicht konnten Verschworene im Palast ihre drei kleinen Kinder morden, wie dergleichen die Geschichte ihres Hauses wiederholt erzählte. Gründe der Vernunft führten sie zum Entschluß, Caesarion zu Hause zu lassen.

Doch tief unten, in den Dämmerungen ihrer Seele, rief ihr eine leise Stimme zu, sie möge den Sohn und Erben nicht der Gefahr der Gefangenschaft aussetzen, wenn das Glück mit Oktavian ginge. Da sie in diesem entscheidenden Schlußakte sich zuweilen verzagt oder verdüstert fühlte, mußte sie Niederlage und Flucht für möglich halten und ihren jungen Mitregenten dann mit unversehrten Kräften vorzufinden wünschen, um sich an ihm zu stärken. Dies aber gestand sie sich selber nur selten ein und dem Antonius nie.

3

In einer Flut von Propaganda, mit der Furcht und Ungeist ihre Schwächen zu verbergen trachten, suchte Oktavian den volkstümlichen Namen seines Gegners zu ertränken, und seine Leute fügten zu dem, wodurch Antonius die Römer schockiert hatte, hundert Lügen über ihn und über Kleopatra.

Antonius' Triumphzug durch die Straßen Alexandrias war Oktavians stärkste Anklage; auch daß er dann den gefangenen König von Armenien nicht getötet habe, zeige seine Verweichlichung an. Daß er die Bibliothek von Pergamon gestohlen und in seine neue Hauptstadt geschafft habe, war richtig; so tat er es auch mit der berühmten Zeus-Statue des Myron, einem Herkules aus Samos, einem Ajax, die alle als Beutestücke für Rom galten, nicht für Ägypten. Dann aber schoß Oktavian, gegen Abwesende immer tapfer, die giftigen Pfeile gegen die Königin, einige selbst vor versammeltem Senat, andere durch seine hundert Agitatoren. Denn nur, wenn er Kleopatra unmöglich machte, konnte er den heraufziehenden Bürgerkrieg als Krieg gegen ein feindliches Reich dem römischen Bürger erklären.

Ja, es war klar: Sie hatte Zauberkräfte, denn sie war eine Ägypterin, dem Volk entstammend, das die Tiere anbetete; mit magischem Liebestrank hatte sie dem edlen Römer die Sinne verwirrt, so daß er bei einem großen Festmahl aufstand, um ihr den nackten Fuß zu küssen. An der Spitze ihrer Eunuchen begleitet er auf der Straße ihre Sänfte. Sitzt er auf dem ägyptischen Richterstuhle, so wird er durch zärtliche Botschaften unterbrochen, die sie ihm auf Täfelchen von Onyx zuschickt, und einmal, als er sie vorüberfahren sah, verließ er plötzlich mitten in der Rede das Gericht. Man sieht, er ist behext: wie könnte sich sonst ein Römer für ein afrikanisches Weib so erniedrigen! Ihre Kinder sind alle Bastarde, denn des Antonius legitime Gattin heißt Oktavia, und jener älteste, den sie Caesarion zu nennen wagte, kann nicht von Cäsar stammen, denn wo sind die Papiere, in denen er ihn anerkannte! Nichts als Verschwendung des ererbten Gutes: Antonius hat ein goldenes Nachtgeschirr; die Königin aber hat neulich bei einem Festmahl eine Perle im Werte von sechs Millionen in Wein aufgelöst und dann mit einem Zuge den Becher geleert. Sie selber aber bleibt bei allen Gelagen nüchtern, das tut die Kraft ihres Zauberringes von Amethysten!

Die Wirkung solcher Verleumdungen war nicht gering, doch noch nicht groß genug, um Antonius zu schädigen, weil sie von dem unpopulären Triumvirn gegen den populären geschleudert wurden. Da er sich ungeliebt fühlte, griff Oktavian um diese Zeit zur zwangsweisen Vereidigung aller Bürger auf seinen Namen: einem Mittel, völlig neu den Römern, verhaßt, weil es nun auch formell das Ende der Republik verdeutlichte. Und als Bologna sich weigerte zu schwören, stellte er sich taub und erklärte im Senat, ganz Italien habe sich zu, ihm bekannt. Der Terror ging so weit, daß beide Konsuln und 400 Männer des Senatorenstandes sich auf verschwiegenen Wegen aufmachten, um vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges zu Antonius zu stoßen, denn dieser, sagten seine Freunde, werde die Republik wiederherstellen.

Welche Enttäuschung, als diese besorgten Römer in Ephesus landeten! Ein Jahrmarkt von Völkern und Trachten, Ägypter und Araber, Armenier und Meder, Griechen, Juden und Syrer, wälzte sich dort von den Schiffen zum Flusse, dann stromaufwärts zum Lager. Im Tempel der Artemis dröhnte es von den Marmorwänden und den Galerien aus Zedernholz wider, im Lärm von hundert Sprachen! Wo war hier noch Rom? Die alten Legionen, halb orientalisiert, halb verwildert, begrüßten ihre Konsuln mit der ironischen Herablassung von Soldaten, die diese Garanten der Freiheit längst samt der Heimat vergessen haben mochten.

Dann aber – wer empfing die Senatoren Roms dort auf einer Art von Thron? War das ein Schauspieler? War es noch Antonius? Über dem römischen Wams den Purpurmantel, doch an den Füßen weiße Schuhe, auf dem Kopf den Filzhut der Mazedonier! Und neben ihm, in grüner Syrerseide, Isis, die Göttin Ägyptens, mit der Doppelkrone! Rings um sie her aber standen in der Haltung von Vasallen die Könige von Thrazien und Paphlagonien, vom Libanon und von Galatien, alles getaucht in die Farben einer östlichen Welt. Doch! Da war auch noch Rom! Als sich die Königin erhob und fortfuhr, umgaben sie römische Legionäre, aber die hatten auf ihren Schildern statt der vier großen lateinischen Lettern die Initialen C und A in zierlicher Verschmelzung eingeritzt.

Rasch bildete sich eine neue römische Partei im Lager, der viele Offiziere zuströmten, und als die Königin auch im Kriegsrat erschienen und ihre Meinung von Antonius aufmerksam angehört war, taten sich bald ein paar alte Freunde zusammen, nahmen ihn in ihre Mitte und beschworen ihn, sie nach Hause zu schicken, wenn er nicht alle Sympathien Roms verlieren wollte. Ein leichtes für Kleopatra, dies zu erfahren, ein leichtes, es abzuschlagen: – Hatte sie nicht anderthalb Jahrzehnte regiert? War sie dümmer als diese Männer? Wer konnte überhaupt wagen, Einfluß und Ruhm derjenigen zu rauben, die dies alles hier bezahlte? Wer waren denn diese Plebejer, diese schlecht angezogenen Konsuln, die sie hier zu verleumden wagten! Es war Zeit, die Szene zu wechseln.

Und mit geschickter Hand verstand sie den Feldherrn wieder zum Bacchanten zu verwandeln, wozu die Insel Samos dort drüben die beste Kulisse abgab. Man hatte ja Zeit, noch war kein Krieg, es war Frühling, es war Frieden, das Leben glühte über Meer und Land. »Und während die ganze Welt« – schreibt Plutarch – »voll Angst und Klage war, schien nur eine Insel für kurze Zeit von Flöten und Harfen widerzuhallen, von Komödianten und Chören, daß man sich fragte, wie Antonius wohl seinen Sieg feiern würde, wenn er schon die Aussicht auf Krieg mit solchen Festen umgab.«

Da überboten sich die Trabanten in Festen und in Verschwendung. Aus dem drohenden Chaos hatten sich ein paar hundert Menschen auf diese Insel gerettet, um im Wein und mit den Frauen der Zukunft ihre Drohung abzuschmeicheln: allen voran der neue Dionysos von Alexandria, der zugleich spielte und spielen ließ. Als ihm sein Koch ein Festmahl vorführte, das diesen raffinierten Fresser und Säufer noch zu entzücken wußte, schenkte er ihm ein Haus, und als die Schauspieler ihn befriedigten, schenkte er ihnen die Stadt Priene. Dann segelte er mit seinem Hofstaat weiter nach Athen. Er wußte kaum, wer ihn behutsam lenkte.

Denn in Athen einmal Königin zu sein, das war einer der wenigen noch unerfüllten Wünsche dieser Griechin gewesen. Diese Stätte von tausend Gedanken hatte sie nie betreten. Hier erfaßten Kleopatra mythische Gefühle, denn alle Bildung ihres Geistes war von Athen ausgegangen; hier folgte sie dem Alexander und dem Aristoteles, und jeder Tempel sprach zu ihr bedeutsamer, als einer in Ägypten je getan. Aber aus allen höheren Gefühlen stieß immer wieder die Eifersucht auf des Antonius Frauen hervor, mit denen beiden er hier gelebt hatte. In seiner unbefangenen Art zeigte er ihr auch gleich das Haus, wo er sich mit der Fulvia geprügelt, und jenes, wo die vornehme Oktavia zuletzt mit ihm gewohnt hatte.

Oktavia aus dem Gedächtnis der Athener zu vertreiben, war jetzt Kleopatras Begehren. Nichts leichter! Warum hatte sie denn den liebenswürdigsten von allen Kavalieren zum Manne? Er war recht froh, eine neue Rolle zu bekommen, und als eine Abordnung der vornehmsten Frauen und Männer Athens beschloß, sie zu begrüßen, führte Antonius selber sie ein, er war ja auch »Bürger von Athen«, und hielt die feierliche Anrede an seine Frau. Dann ließ er ein riesiges Bacchusfest im Theater des Dionysos herrichten, eine Orgie, die ganz Athen anstaunte, und zuletzt fuhr er im Wagen des Gottes auf die illuminierte Akropolis. Die Athener aber, immer bereit, mit der Macht zu gehen, verehrten jetzt die Königin als Nachfolgerin Alexanders und stellten ihre Statue im Parthenon auf.

Seltsame Gefühle strömten durch Kleopatras Herz. Nun stand ihr Bild zu Rom im Tempel der Venus, zu Athen im Tempel der Athene! War es vielleicht der Wille der Götter, zwei Kulte und Kulturen durch sie zu vereinen, Schönheit durch Macht, Macht wieder durch Weisheit zu überbieten? Oder siegte durch ihre symbolische Person an diesem Tage Athen über Rom? Kürzlich war ihre römische Bronzestatue, die Cäsar vor zwölf Jahren aufgestellt hatte, aus dem Tempel getragen und zertrümmert worden, und aus ihren Beinen ließ sich vielleicht gerade jetzt ein reichgewordener Plebejer ein Waschbecken gießen. So ward das Gleichnis nur noch klarer: Hier in Athen, bei Alexander, von dem ihre Ahnen ausgegangen, war sie zu Hause; in Rom gab es nur noch Feinde! Rom war ihr Feind geworden, denn es gehörte Cäsars falschem Sohne, der den echten haßte. Von Rom ihren Gatten ganz zu trennen, war ihre nächste Aufgabe. Alles kam darauf an, ihn zur Scheidung von seiner römischen Frau zu bewegen.

4

Unerwartet half ihr gegen seine zweite Frau die erste. Antyllus, Fulvias Sohn mit Antonius, war nach Athen gekommen, der Vierzehnjährige gefiel seinem Vater sehr. Zwar, er war kleiner als Caesarion, und nach Kleopatras Urteil diesem in nichts gewachsen. Er kam aus Oktavias Hause, die ihn mit den andern Sprossen des Antonius erzog, und so erzählte er nur freundliche Dinge von der guten Mutter.

Was erzählte er? Was ging hier vor? Da kam gar noch ein zweiter ihr in den Weg! Geminius, ein alter Waffengefährte, war mit dem redlichen Vorsatz gekommen, Antonius vor dem Bruch mit Rom zu warnen. Die Königin sieht ihm sogleich den Gegner an und gibt ihm den schlechtesten Platz an der Tafel. Dann fordert sie ihn von der Spitze heraus, was er denn wolle; er zögert, er müsse mit Antonius allein sprechen, und als er noch einmal gefragt wird, was seine Sendung sei, erwidert er ruhig, es wäre für Antonius besser, sie kehrte nach Ägypten zurück: sonst würde man ihn in Rom zum Feinde des Vaterlandes erklären. Da schlägt – so berichtet Plutarch – Antonius mit der Faust auf den Tisch, die Königin aber sagt ganz kalt: »Das war klug, Geminius, daß du dein Geheimnis sagtest, statt dich erst foltern zu lassen.«

Am nächsten Tag ist der Römer entflohen; bald nach ihm Plancus, jener Sekretär und Hofnarr des Antonius, und noch ein zweiter seiner Freunde; auch ein Teil der Senatoren eilt nach Italien zurück. Antonius hört es, stutzt und lacht, sie aber ist der Rache voll! Das aufgestaute Element des Zornes, wie es noch durch die Spalten jener öffentlichen Antwort an den Römer quillt, will sich entfesseln. Wie? Ist sie darum die Königin Kleopatra, die dem Antonius drei Kinder geboren hat, um sich mit Schatten abgelebter Frauen herumzuschlagen? Viel hat sie indessen von diesem Römer erlauscht. Daß Oktavian dem Antonius einen Brief geschickt hat, mit Anklagen gegen sie selbst, das hat er ihr erzählt; aber nur Späher haben ihr seine Antwort an den Schwager mitteilen können. Wenn sie darüber kaum erstaunte, so lauscht doch die Nachwelt, denn es ist der einzige Privatbrief, der sich von einem dieser vier Menschen erhalten hat, nur ein kleines Stück daraus, zitiert von Sueton, der ihn in einem Archiv gefunden hat. Das schreibt Antonius an Oktavian:

»Was hat dich gegen mich gestimmt? Daß ich bei der Königin schlafe? Sie ist meine Frau. Ist das vielleicht was Neues? Das geht doch schon neun Jahre lang. Und du? Schläfst du immer bei der Drusilla? Ich wette dein Leben und deine Gesundheit, daß du, wenn du dies liest, schon längst die Tertullia gehabt hast oder die Terentilla oder die Eufilia oder die Salvia Titiscemmia oder alle zusammen! Was liegt überhaupt daran, bei welcher Frau man seine Lust befriedigt!«

Hört man einen Soldaten zum andern reden? Ist hier nicht der ganze Antonius: Krieger, Bacchant und Plebejer.

Jetzt weiß Kleopatra genug, jetzt tritt sie auf ihn zu und fordert seine Scheidung. Eine Fülle von Gründen konnte sie über ihn ausschütten:

Hat nicht Fulvias Sohn von Oktavia zu schwärmen, jener Römer zu drohen, irgendein Senator zu warnen gewagt? Hat nicht Antonius selber mit der Faust auf den Tisch geschlagen? Er will also, daß sie entehrt im Munde der Römer lebe, denen die Entflohenen alles erzählen werden, was hier vor ihren Augen geschah! Ein zweites Mal soll sie geopfert werden! Wie damals, als er hier im selbigen Athen mit Oktavia Flitterwochen feierte! Der Krieg ist nah, Oktavian hat noch nicht Geld genug, ihn zu führen, neue Steuern haben ihn vollends im Volke verhaßt gemacht: Jetzt ist der Augenblick, Oktavian zu stellen, da doch das ungeheure Heer in Ephesus auf den Befehl nur wartet! Vorwärts! Die Scheidung von Oktavia: das ist die Kriegserklärung an ihren Bruder!

Als aber ihr Antonius immer noch schweigt und zögert – welch ein Register hat sie da! Stolz, Gekränktheit, Macht über ihre Schiffe, über ihr Gold – und wiederum den Zauber ihrer Stimme, und was sie nächtlich zu entfalten weiß! Nach wenigen Tagen hatte Antonius Generale und einige Senatoren zusammengerufen, und da jeder fühlte, es ginge nicht weiter, so stimmten alle für das, was seit Jahren kommen mußte und heute besser als morgen kam; einige Unsichere hatte die Königin vorher mit ihrem Gold allen Zweifeln entrissen. Antonius sprach die Scheidung in einem Briefe aus und befahl darin seiner Frau in Rom, sein Haus sofort zu verlassen. Es war der unbezahlte Palast des Pompejus.

Das war ein großer Tag für Oktavian, als ganz Rom die Schwester des einen Triumvirn mit vier Kindern des andern das Haus verlassen sah, in das sie der Mann acht Jahre zuvor vor allem Volk als seine Frau geleitet hatte! Das war ein Schlag gegen Antonius' Namen, wie ihn sein Gegner nicht besser träumen konnte! Doch sollte es noch stärker kommen. Alles drängte sich um die aus Athen heimkehrenden Senatoren, denen man ihren doppelten Abfall gern verzieh. Der eine erzählt, Antonius gäbe seinen Gästen sauren Wein, er selber trinke Falerner, der andere erzählt, Kleopatra riefe bei jeder Gelegenheit aus: »So wahr ich dereinst auf dem Kapitol Recht sprechen werde!«

Plancus aber, der blaugrüne Meergott, und sein Freund verraten noch ein größeres Pfand ihrer Freundschaft mit Antonius, um sich dem Oktavian zu empfehlen. Einst haben sie als Zeugen jenes Testament mitunterzeichnet, das Antonius in Rom schrieb, als er die Oktavia heiratete. Nun verraten sie dem neuen Gebieter, wo es liegt und was darin steht. Nichts Heiligeres gab es in Rom als den Tempel der Vesta, und die römische Geschichte, vieler Verbrechen voll, erzählt, soweit wir sie kennen, vorher von keinem Raub der Papiere, die dort bei den Göttern niedergelegt wurden. Oktavian wägt kalt den Schaden ab, der ihm aus diesem Bruch erwächst, gegen den Nutzen, der ihm aus der Verbreitung jenes Testamentes entstehen wird. Er wagt's und schickt zur Obersten Vestalin. Sie erwidert, ihre Papiere wären bis zum Tode des Antonius unantastbar, der Triumvir könnte sie nur mit Gewalt holen. Oktavian macht sich auf, tritt ein und holt sich das Testament des Antonius.

Mit solchen Mitteln, wie einem gestohlenen Testament, weiß Oktavian noch meisterhafter umzugehen, als Fulvia mit Cäsars gefälschten Papieren schon getan. Er weiß auch, daß Plancus den Antonius bestohlen hat, alle Welt weiß es, und schließt, dieser sei aus Furcht vor Entdeckung geflohen. Jetzt läßt er ihn zuerst im Senat einen sensationellen Bericht über das Leben des Antonius erstatten, so voll von Übertreibungen, daß ein alter Senator ihm zurief: »Beim Herkules! Antonius muß an diesem einen Tage viel gemacht haben!« Aber das war nur die Introduktion.

Nun tritt er selbst auf die Tribüne, Oktavian, erklärt, Antonius sei durch Zaubertrank um den Verstand gebracht. Sein Heer wird befehligt von einem ägyptischen Eunuchen, die oberste Leitung haben in Wahrheit in Händen Charmion, die Kammerfrau Kleopatras, und Iras, ihre Friseurin. In solcher Gefahr für Rom, nach dessen Herrschaft die Ägypterin strebe, habe er sich entschließen müssen, die heiligen Siegel eines Testamentes zu brechen – und er verliest das Testament. Antonius erkennt darin Caesarion, und wer ihm selber von Kleopatra geboren würde, als seine gesetzlichen Erben an und verteilt an diese Provinzen. Stirbt er, so möge sein Leichnam in feierlichem Zuge über das Forum geleitet, dann aber nach Alexandria verschifft werden, um dort später an der Seite der Königin Kleopatra zu ruhen.

Antonius, der sowenig aufgeschrieben, hat keinen schöneren Gedanken hinterlassen; der Raub durch Oktavian war nur ein Schurkenstreich. Und doch hatte er die Wirkung richtig berechnet. Wieviel hatte man dem Antonius nicht schon verziehen in Rom! War er nicht ein immer heiterer Zecher, war er nicht treuester Gehilfe Cäsars gewesen, dann siegreicher Feldherr gegen dessen Mörder? Nachher freilich hat er einen Triumph, den Sieg römischer Waffen in einem fremden Lande gefeiert. Jetzt aber, jetzt trat seine ganz unrömische Seele ans Licht: Im Angesichte des Todes hatte er Rom verschmäht und wollte in fremder Erde ruhen! So treulos konnte nur ein Verzauberter werden! So war es also wahr, daß ihn die Frau behexte! Sogleich wurde ihm das schon bestimmte Konsulat für das nächste Jahr wieder abgesprochen, alle Ämter wurden ihm genommen, aber noch immer war sein Name zu stark, als daß man ihn zum Feinde des Vaterlandes erklärt hätte.

Oktavian brauchte diese Geste nicht mehr: Er erklärte nur der Königin von Ägypten den Krieg. Beim Tempel der Bellona warf er den Speer über die symbolische Grenze ins Gebiet des Feindes.

5

Die Zeichen häuften sich. Als sich Antonius in Patras befand, schlug der Blitz in den Tempel des Herkules, seines Ahnherrn. In Athen wurde aus dem Fries der Gigantenschlacht die Bacchusfigur vom Sturm herausgebrochen, an der südlichen Mauer der Akropolis, gerade über dem Dionysos-Theater. Derselbe Sturm fegte zwei Kolossalfiguren fort, auf denen sein Name eingeschrieben war. In Kleopatras Admiralsschiff, das »Antonia« heißt, hatten fremde Vögel ein Nest zerstört, das sich die Schwalben im Stern gemacht hatten. Bei den Berichten von solchen Vorzeichen lachte Antonius, die Königin aber schwieg.

Sie waren beide nach Ephesus zurückgekehrt, als Oktavian ein sonderbares Angebot übersandte: Sein Gegner möge ihn in Griechenland landen lassen und ihm ein Stück freigeben, nicht größer, als es ein Pferd in einem Tage umlaufen könnte; fünf Tage später wäre er zur Schlacht bereit. Antonius warf den Brief beiseite, er durchschaute den Plan: Oktavian scheute zurück vor den mazedonischen Schlachtfeldern, auf denen der natürliche Treffpunkt beider Heere lag, denn dort, bei Pharsalus hatte der junge Antonius einst unter Cäsar gesiegt. Deshalb schlug Antonius dem Oktavian durch denselben Boten Pharsalus zum Kampfplatze vor; wo nicht, so böte er dem zwanzig Jahre Jüngeren einen Zweikampf an. Niemand hat das leise Gelächter des klugen Oktavian über diesen Antrag vernommen.

Der warf sich nun auf die Bemannung seiner Schiffe, denn niemand wußte, ob zur See oder zu Lande oder in beiden Elementen der Kampf entschieden würde; Oktavian nahm aber an, sein Gegner würde ihn zur Schlacht auf dem Balkan zwingen. Deshalb ließ er dem Getenkönig, dessen Hilfe dort oben entscheidend werden konnte, seine Tochter Julia zur Frau anbieten, ja, er versprach, später selber die Tochter des Königs zu heiraten: alles um jener Hilfstruppen willen. Heer und Flotte waren etwas kleiner als die des Antonius, aber er hatte doch 92 000 Mann und 250 Schiffe. Sein Plan war, den Feind mit 20 Legionen im Epirus aufzuhalten, da er das Schlachtfeld von Pharsalus fürchtete. Antonius wiederum hatte, meist durch Krankheiten, Drittel seiner Schiffsmannschaft verloren und zum Ersatz in Griechenland alle jungen Leute gewaltsam ausgehoben, gleichviel, was sie konnten; man sprach von Hunderten von Eseljungen aus den Bergen, die nie ein Ruder gesehen hatten.

Allein, es waren nicht die Eseljungen, es war auch nicht der Getenkönig, der die Entscheidung brachte, nicht einmal das Testament mit seinen Folgen. Es war das Herz des Antonius und das der Kleopatra, die hier, wie in allen Tragödien der Geschichte, das Schicksal bestimmten.

In den Monaten vor der Entscheidung hatte die Frau den Mann auf Samos, in Athen, nun wieder in Ephesus oft schweigend beobachtet, wenn er, frei von allen Rollen, allein über die Straße durch die Sonne ging oder des Nachts vom Fenster seines Zimmers in die Sterne blickte oder wenn er auf der Straße einer drallen, jungen Person nachsah oder auch nur einen stillen Abend neben ihr in seinen Becher starrte: der unbeobachtete Antonius. Da waren ihr Haltung und Ausdruck des Fünfzigjährigen zum Erschrecken aufgefallen: vorgeschobener Bauch über schlaffen Knien, hängende Wangen, doppeltes Kinn, über allem ein glasiger Blick, der stumpf hinstarrte und nichts zu erkennen, noch weniger zu suchen schien. Manches Geflüster aus seinem Stabe, daß er zu spät zur Beratung erschien, oft nicht zuhörte, zuweilen für Minuten einduselte, hatte ihr bestätigt, was dann sein vom Wein und von der Liebe befeuertes Temperament in guten Stunden zu widerlegen schien.

Da hatte sie gelernt, an seiner Siegeskraft zu zweifeln und deshalb Zeichen und Orakeln getraut, die Böses verrieten. Würde er in entscheidender Stunde stark sein? Würde ihn Cäsars Geist begnaden, bloß weil er auf Cäsars Schlachtfeld stände? Was war von der Zucht eines zerwürfelten, ein Jahr im Lager herumkampierenden Heer zu halten, was von Offizieren, unter denen viele ihre Zweifel teilten und deshalb schon mit einem Auge nach dem andern Römer schielten? Konnte dieser Mann mit dem gedunsenen Gesicht noch eine Schlacht um die Welt gegen einen kalten Dreißigjährigen wagen, dem zwei erlesene Strategen dienten?

Sie wußte genau, was ihre Gegner im Lager dem Feldherrn schon seit Wochen rieten, wenn einer ihn allein hatte und kein Zeuge den Chef zu einer offiziellen Geste nötigte. Da war Canidius, der bisher, vielleicht nur ihrem Golde folgend, ihr gedient und seinen großen Einfluß bei Antonius für ihre Partei eingesetzt hatte. Da waren noch immer einige Senatoren, und alle drängten ihn in Respekt und Kameradschaft zur Landschlacht statt zur Seeschlacht: die Königin mit ihren schnellen Galeeren sollte er nach Hause schicken, nach Mazedonien marschieren, wo ein Teil seiner Truppen schon stand, den Getenkönig zum Verbündeten gewinnen, dann in den Feldern von Pharsalus oder nicht weit davon den schwächern Feind zur Schlacht zwingen; ihm, dem größten Feldherrn zu Lande, sei dann der Sieg gewiß!

Und warum nicht mit ihr? – Weil sie die Seeschlacht wollte, auch zu Lande, mit ihrem ganzen Hofe, ein Hindernis wäre.

Dies war die Wahrheit, aber nicht die ganze. Nur einmal sagte der alte, vornehme Ahenobarbus seinem Freunde die ganze: Mit ihr, der der Groll Italiens gälte, könnte er auch als Sieger niemals in Rom einziehen; ohne sie aber könnte er, volkstümlich, wie er zwanzig Jahre gewesen, alle üblen Nachreden vergessen machen, die Oktavian und die das Testament ihm angehängt. Er gälte als der letzte Mann der Republik – ihn allein verstünde das Volk, nur er und nicht seine Gegner habe den Legionen die Herstellung der alten Freiheiten Roms nach dem Siege verheißen.

Mit kurzem Stöhnen folgte der schwere Mann mit den glasigen Augen diesem letzten Anruf eines Römers, er möge wieder ein Römer werden. Aber er schwieg.

Ein paar Stunden, und sie wußte alles, auch daß er gestöhnt hatte. Was jene römischen Freunde ihm rieten, auch wenn sie ihrer eigenen Rolle gar nicht gedacht, war gerade, was sie ihm widerriet. Aufs neue mußte die Frau, die diesen Mann in ihre Kreise gezogen, ihm Ehre und Genüsse ohne Beispiel gezeigt, die ihm drei Kinder geboren hatte – aufs neue mußte Kleopatra, die doch im Felde groß geworden und nie mutlos gewesen, ihren Gatten und Freund verhindern zu siegen, so wie sie schon beim Perserzug seinen Sieg eher gefürchtet hatte. Diesmal aber durfte er nicht geschlagen werden! Weil dieser Fall ihr in einer großen Landschlacht bei seiner reduzierten Spannung möglich erschien, mußte sie die Landschlacht ganz vermeiden; sie mußte es doppelt, weil dann ihre Hilfe, die ägyptische Flotte, ganz ausfiel, die beinahe die Hälfte seiner Flotte ausmachte. Auch schien ein Krieg dort oben in Mazedonien ihrem Einfluß entrückt, der hier an den Küsten des Mittelmeeres bestimmend blieb. Weil sie seinem Körper die stählerne Kraft der Sehnen sowenig mehr zutraute wie dem Wankelmütigen die Beharrlichkeit, mußte sie ihn und sich vor letzten Entscheidungen bewahren. Besiegt von Oktavian, war er verloren und sie mit ihm. Als Sieger über Oktavian war er Rom verfallen, doch nicht als König neben seiner Königin, wie sie es von Cäsar einst erwarten durfte; dazu fehlte ihm aller Schwung der Seele, der Cäsar im selben Lebensalter beflügelte.

In solchem Dilemma erdachte die erfindungsreiche Frau einen dritten Weg, einen Ausweg: durch eine Scheinschlacht dem Schicksal noch einmal auszuweichen. Solche Gedanken kann nur ein verdunkeltes Gemüt ersonnen haben, das durch die vielen Vorzeichen angegriffen war; aber die Rettung schien ihr doch noch immer möglich, sonst hätte sie fatalistisch geschwiegen. Er wiederum, Antonius, der in Athen bei jenem Bruch mit Rom weit mehr gewagt hatte, als sein schwacher Charakter vertrug, war jetzt froh, eine Entscheidung aufs neue umgehen zu können, der er ja schon seit langen Jahren, seit dem Vertrage von Antiochia, auswich. Kein Zaubertrank – die eigene Natur ließ ihn der Führerin seiner Geschicke folgen.

Doch während bisher eine große Frau einen Mann von mittleren Gaben beständig in ihre trockene Klarheit heraufgezogen hatte, stieg sie jetzt in den feuchten Dunst seiner bacchischen Natur hinunter. Jetzt, da ihre Kühnheit sinkt, zum ersten Male, seit sie handelt und denkt, beginnt sich die Geschichte der Kleopatra zu verwirren.

6

Agrippa, der Feldherr, durch den Oktavian zu siegen pflegte, hatte durch viele Boten die Verworrenheit im Lager und im Herzen des Feindes festgestellt. In Eilmärschen ließ er nun die Truppen seines Herrn zur Südküste Italiens, in eiligen Schiffen an die nordgriechische Küste bringen, während ein anderer Teil seinen Marsch zu Lande nach Mazedonien fortsetzte, so zwar, daß alle Kräfte in südöstlicher Richtung gegen den Feind vorrückten. Alles war hier in rasche Bewegung gekommen, denn durch magische Übertragung pflegt die sinkende Kraft des Zögernden sich der des Entschlossenen als ein Plus anzuhängen.

Doch auch Antonius war noch ein Mann und ein Feldherr. Auf die Nachricht von Oktavians Vormarsch setzte er mit einem Schlage sein riesiges Heer in Bewegung, ganz wie jener zu Wasser und zu Lande, indem er einen Teil seines griechischen Heeres am Meerbusen von Patras vorwärts schickte, einen andern auf die Flotte packte, alles in westlicher Richtung. Da er den Feind zur See zu erfassen hoffte, dazu aber die ganze Landarmee gleichsam als wartenden Chor zum Einsatz oder zur Deckung eines Rückzuges brauchte, so dachte er die Schlacht an der Westküste Griechenlands zu liefern. Wer heute von Smyrna nach Korfu fährt, durchschifft den Kanal von Korinth; da aber Cäsars Plan, ihn zu durchstechen, unausgeführt geblieben, mußte Antonius Flotte den Peloponnes südwestlich umfahren, um dann nördlich auf die Inseln zuzusteuern, die Griechenland mit Italien verbinden, dort, wo die Grenze der beiden römischen Westhälften zwischen den Triumvirn zuletzt gelaufen war. Da Oktavians Seeweg kürzer war, traf er den Feind schon etwas südlich von Korfu, bei der Insel Leukas.

An diesem golf- und schluchtenreichen Strande des heutigen Nordgriechenland hat die Gewalt des Meeres sich an einer Stelle durch das Gestein der Vorgebirge gekämpft und eine Bucht von fünfzig zu zwanzig Kilometer Länge und Breite geschaffen, deren schmaler Eingang nur einen Kilometer hat. Dieser Golf von Ambracia, heute Arta genannt, ist als natürlicher Hafen unschätzbar für den, der Schutz vor Winden sucht, gefährlich aber im Kriege für den, der verfolgt wird, denn er ist leichter abzuschneiden als die Dardanellen, deren Eingang zehnmal so breit ist. Ringsum liegt Schwemmland, auf dem Nachschub schlecht vorwärts kommt, dahinter steigt der Pindus empor, der jetzt, wir sind Anfang August, kaum noch Schnee tragen mag. Hier, am Vorgebirge Aktium, genau in der Mitte des Römischen Reiches, trafen sich die beiden Heere des Römischen Reiches zur weltgeschichtlichen Entscheidung.

Auf den Hügeln der Nordseite stand nun Oktavian, zu seiner Rechten das Ionische Meer, das bis zu seinen heimatlichen Küsten von Brindisi, Tarent und Messina reichte, in der Stellung des Wachhundes, der das Tor nicht aus den Augen läßt. Denn drinnen in der Bucht lag des Antonius gesamte Flotte, verbunden mit dem größten Teile seines Heeres, das weit ins Land hineinreichte. Da ihm der Feind zur See die Zufuhr abschnitt, brachten lange, Tag und Nacht nie ruhende Kolonnen auf ihren Mauleseln und auf ihren Schultern vom Lande her allen Proviant nach der Bucht. Das enge Tor war von vielen Galeeren des Antonius dicht verschlossen, es war unangreifbar, doch nur in der Stellung eines Verteidigers. Wenn Antonius von der Spitze der Küste, dort, wo sich eine große Statue des Apoll erhob, wenn er dort Ausschau hielt auf seinen Feind, der keine zweitausend Schritte entfernt auf dem Hügel lag, so sah er ihn untätig, wie er selber war, und wartend liegen, aber er sah auch, wie unübersehbar weit die Schiffe dahinter lagen, bereit, seiner auslaufenden Flotte sich entgegenzuwerfen. Dieser Feind hatte beim Ankommen dem Oktavian ein gewaltiges Landheer vorgespiegelt, indem er seine Matrosen als Legionäre verkleidet auf den Decks antreten ließ.

Mußten sich beide Feldherrn nicht jener andern beiden Schlachten erinnern, die zuvor die Herrschaft über Rom entschieden hatten? Denn dies war schon der dritte Bürgerkrieg in derselben Generation. Genauso lagen sich im Jahre 48 Cäsar und Pompejus, im Jahre 42 die Rächer Cäsars und die Verschworenen gegenüber. Beide Male war Antonius Sieger gewesen; bei Pharsalus hatte er unter Cäsar, bei Philippi allein gesiegt. Oktavian dagegen war während der ersten Schlacht noch ein Schüler gewesen, aus der zweiten war er davongelaufen.

Auch die Seelenstimmung war ähnlich: Hatte nicht Cäsar selber seinen Krieg gegen Pompejus einen Krieg ohne Schlachten genannt? Wochenlang lagen sie sich gegenüber, und wenn keiner die Geduld verlor, konnte die Schlacht ungeschlagen bleiben. Genauso lagen sich Oktavian und Brutus bei Philippi wochenlang gegenüber und brauchten sich nicht zu schlagen. Immer war es das Zögern eines Römers vor seinem Mitbürger, das nicht aus moralischer Scheu, doch aus der Ungewißheit über die Parteien stammte und jeden von einer Entscheidung abhielt, die sich doch, vielleicht klüger durch einen Vertrag herbeiführen ließ. Damals war es Antonius gewesen, der in beiden Schlachten glänzte, erst unter Cäsar, dann allein; jetzt hätte er ein drittes Mal losbrechen können. Doch jetzt war er in Herz und Hirn geschwächt. Damals, vor siebzehn Jahren, als Cäsars junger Unterfeldherr, ohne politische Verantwortung, gab es nur ein Vorwärts für ihn, da Cäsar es befahl; das zweite Mal ließ der Wille zur Rache an Cäsars Mördern keinem Vertrage Raum. Auch jetzt kämpfte hier nach außen ein Römer gegen einen Römer, im Innern aber, im Herzen des Antonius, kämpfte ein Römer gegen einen Orientalen, und der suchte der Entscheidung auszuweichen.

In den Wochen der Überfahrt, an Bord, hatte er den Rat seiner Frau begriffen und zum Entschluß erhoben: Die Seeschlacht war die Lösung, doch keine Seeschlacht, die auf Vernichtung der feindlichen Flotte, nur eine, die auf Rettung der eigenen ausging. Dabei ließ er vor sich selber das Pessimum im Dunkel. Was wurde eigentlich aus seinem Landheer, soweit es hier bereitstand? Vier Legionen hatte er auf Schiffen in Cyrene gelassen, vier in Ägypten, vier in Syrien; niemand in seinem Stabe verstand, warum der Feldherr diese 30 000 Mann nicht hier zusammenzog, denn immer noch glaubten sie an die Landschlacht; er selber kalkulierte im geheimen mit diesen Truppen für die Zukunft. Jedenfalls wollte er aus dem Zusammenstoß mit dem Feinde ungekränkt nach Süden fahren – er sagte sich niemals: nach Ägypten fliehen. Hatte Kleopatra von Flucht gesprochen? Sie hatte nicht einmal daran gedacht. Es war der Ausweg halb gelähmter Menschen, die sich nicht mehr trauen, die Dinge bei Namen zu nennen.

Der erste Teil dieses Planes, die Seeschlacht, war auf die Dauer nicht mehr zu verschleiern: Man mußte sie vorbereiten. War der Chef toll? dachten seine Offiziere. Der größte Feldherr über Reiter und Fußvolk wollte sein Schicksal zur See suchen? Bedachte er nicht, wie schlecht viele Schiffe bemannt waren? Vergaß er, daß Agrippas Flotte den jüngeren Pompejus vernichtet hatte? Sogleich bilden sich im Hauptquartier Parteien. Wieder verlassen ihn einige Männer, an seinem Glücke verzweifelnd, wenige Tage hintereinander, und Antonius erfährt von der Flucht zuerst zweier verbündeter Könige, dann des Römers Domilius. Es ist so leicht, zu fliehen, mit ein paar hundert Ruderschlägen erreicht man drüben den Feind. Da lacht Antonius mit seinem herkulischen Baß, dem Römer schickt er seine Diener und Sachen nach und hört vielleicht mit Genugtuung, daß er gleich darauf plötzlich tot umgefallen sei, vielleicht vor Seelenqual. Bald heißt es, Ahenobarbus habe in den sommerlichen Lagunen das Fieber ergriffen, er wolle sich auf einer Fahrt draußen im Meerwind erfrischen. Eine halbe Stunde später war er bei Oktavian.

Da ergrimmt Antonius! Ein Edelmann und Freund, auf den er gesetzt, was konnte der nicht alles dem Feinde hinterbringen! Und als man ihm jetzt von einem andern Senator spricht, der verdächtig sei, läßt er ihn kurzerhand töten, und dann erschrickt er über sein Blutgericht. Vielleicht war es an diesem Abend, daß er, angesichts all der Überläufer, nach Art schwacher Naturen seine Wut auf einen andern entlud; natürlich auf seine Frau.

In der Enge dieses Feldlagers, das sich nun nicht mehr an eine große Stadt lehnen konnte, im täglichen Anblick des Feindes, in der Erwartung naher Taten, hatte Kleopatra ihre frühere Spannung wiedergefunden. Da die Schlacht bevorstand, fiel ihr ein, daß sie seit Cäsars Kampf in Alexandria keine Schlacht mehr erlebte; das war siebzehn Jahre her, geradeso lange wie Pharsalus. Wieder lag sie in ihrem Zelte, aber nun war es von hundert Seiden in ein Gemach verwandelt, dem die Schwüle der abgesperrten Bucht, umgeben von morastigen Flächen, eine feuchte Hitze einhauchte, während damals, an der ägyptischen Grenze, die Trockenheit der Wüste den Geist erhellt hatte. War es erstaunlich, daß eine ihr sonst fremde Melancholie sie ergriff?

Jetzt hielt sie ihre Toiletten-Sklavinnen bei sich, dieselben, deren Namen Oktavian im römischen Senat zu heimlichen Regierern Ägyptens erhoben hatte. Oft hielt sie sie wie Freundinnen, aber niemand wußte, wie lange; es war ein Spiel wie mit treuen Tieren, denn weder die Epoche noch ihr Charakter erlaubten eine Freundschaft mit dem Sklaven. Sie lag auf ihre Art, mit angezogenen Beinen, auf ihren Kissen, vor sich einen Haufen von Ketten und Gürteln, Ohrgehängen und Haarspangen, die von den rings aufgehängten Kerzen erglänzten, von edlen und halbedlen Steinen, daß sich die Frau wohl eine Weile stumm daran ergötzen konnte. Wie sie dalag, war sie ganz Orientalin, mit langen Fingern in den Steinen wühlend, Farben kombinierend, die ihrer Stimmung entsprachen, immer leise summend, während die beiden Frauen, die eine vor ihr kauernd, die andere hinter ihr auf dem Bauche liegend vor der goldbeschlagenen Kassette, nahmen und reichten, was ihre Herrin fallen ließ oder begehrte. Es mochte eine Viertelstunde in diesem schweigenden Spiele vergangen sein, in dem ihre schöne Stimme leise sang, fast immer in tiefen Molltönen, wie unter einem Druck.

Plötzlich klirrte es draußen heran von schweren Tritten und Waffen, Antonius trat ein, die beiden Sklavinnen huschten fort, sie waren verschwunden. Mit polternder Stimme brach er gleich los: Die besten Freunde verließen ihn, Könige und Senatoren, Römer und Fremde, jetzt hat er vielleicht sogar einen treuen Mann töten lassen; nur mit gepreßten Lippen nähmen seine Obersten Befehle entgegen, um nicht zu einem Nein verführt zu werden: alles, weil sie den verrückten Einfall einer Seeschlacht hatte! Ja, sie! Weil sie ihm immer im Ohr gelegen, Mazedonien zu meiden, wohin doch die Erinnerung an Pharsalus und jede vernünftige Kalkulation ihn zog! Das ist der Fluch, wenn man eine Fremde zur Frau nimmt! So rächt es sich, wenn ein Römer sein Vaterland vergißt! Jetzt ist es zu spät, und alles geht zugrunde!

Mit klirrenden Tritten lief er das enge Zelt bald quer, bald halb im Kreise durch, nur manchmal blieb er vor ihr stehen, um ihr seine Flüche an den Kopf zu werfen. Sie hatte sich zuerst aus ihrer Lage auf die Knie erhoben, eine lange Kette von Saphiren in den Händen; wie er aber fortfuhr, nahm sie sie auf, zog sie durch die Finger und ließ sie leise hin- und herschweben, faßte sie unten mit der leeren Hand, schlang sie nun doppelt und schien sich am Lichtspiel zu erfreuen. War sie zu Anfang aufgeschreckt, so wurde ihr Ausdruck bei seinem blind gesteigerten Zorn immer kälter. Das machte ihn wütend, und schließlich stand er nur noch stammelnd und stampfend dicht vor ihr. Mit einer mütterlichen Bewegung schob sie die Edelsteine an sich heran, um sie vor seinem Fuß zu schützen. Er aber folgte ihnen mit einem seiner Riesenstiefel und zertrat die letzten Kettenglieder, die er noch erreichen konnte, daß es knirschte und sie plötzlich aufsprang.

Jetzt stand sie dicht vor ihm und sandte ihre goldbraunen Pfeile in sein gerötetes Gesicht. Sie schwieg. Dann ging sie scharf an ihm vorbei und nahm nun seine Wanderung durch das enge Zell: auf, nur viel ruhigeren Schrittes. Er fiel indessen schwer auf das Fell, das vor ihrem Ruhebette lag.

Plötzlich fing sie zu lachen an: Schade, daß er jetzt eine Galeere weniger habe! Die Kette, die er dort zerstampft, sei mindestens eine Galeere wert! Und was das Heilige Rom betrifft, so solle er morgen mit Oktavia seinen Frieden machen. Sie selber fordere nichts als freie Ausfahrt mit allen ihren sechzig Schiffen aus der Bucht.

Er lachte und warf ihr eine Grobheit zu. Das machte sie plötzlich wütend, sie riß einen Dolch von der Zeltwand, an der er immer über ihrem Bette hing; den Dolch nach unten haltend, blieb sie dicht vor ihm stehen, wies mit der Linken nach dem Ausgang des Zeltes.

Er war, als sie zur Waffe griff, schneller aufgesprungen, als man es seiner Schwere zutrauen mochte, sofort hatte er nach seinem Schwert gegriffen. Jetzt aber, da sie den Dolch nach unten hielt, fühlte er sich nur noch von ihrer befehlenden Linken bedroht. Der Krieger in ihm schwieg, der Weltmann begriff die Szene als einen nervösen Ausbruch, wie er dergleichen bei den Weibern zuweilen erlebt; er lachte kurz auf, knurrte ein ordinäres Wort vor sich hin und verließ mit langsamen Schritten das Zelt, unter einem dumpfen Lachen, das er als alter Komödiant draußen, vor dem Eingang stehend, für ihre Ohren noch einige Sekunden lang fortsetzte.

Als er spät nachts die Königin wieder besuchte, sprach keiner ein Wort von dem, was vorgefallen war. Sie hielt ihm nur die zertretene Kette unter die Nase und lachte.

7

Am nächsten Abend war alles zur Schlacht gerüstet. Bei solcher Nähe der Heere sah jeder die Vorbereitung des Feindes, was dem antiken Brauch entsprach, eine große Schlacht offen und auf beiden Seiten für morgen zu bestimmen. Um dem spähenden Feinde Siegesgewißheit vorzutäuschen, gab Antonius bei Sonnenuntergang ein Gastmahl. Er hatte Befehle erteilt, jede Schüssel der Königin zuerst zu reichen, bevor man sie ihm auftrug: So groß war das Mißtrauen, das auf dem Grunde seines Herzens weiterlebte, trotz Versöhnung und trotz Gelächters. Sie hatte es vorher erfahren, die Blumen, die sie in den Haaren trug, vor der Frisur vergiften lassen, und als sie nun, umgeben von zechenden Offizieren, neben dem vom Wein erhitzten Feldherrn beim Mahle saß, nahm sie plötzlich die Blumen vom Kopfe, warf sie in den Becher, der vor ihr stand, rief ihn an als Dionysos, er möge mit ihr zusammen Wein und Blumen trinken. Er greift nach dem Becher, führt ihn an den Mund: da fällt sie ihm in den Arm und ruft:

»Siehst du, Antonius! Ich soll deine Speisen vorkosten, ich? Vor mir willst du dich schützen? Wollte ich dich töten, da sieh, wie leicht ich es vermöchte!« Und sie ließ einen Verbrecher, den sie für diesen Versuch hatte kommen lassen, vor der ganzen Tafel den Wein mit den vergifteten Blumen trinken, daß er sich bald am Boden wälzte und umkam.

Diese Szene, in ihrer antiken Grausamkeit von Plutarch überliefert, würde allein genügen, Kleopatras Überlegenheit zu beweisen; denn indem sie sein Mißtrauen den zuschauenden Offizieren und durch diese dem ganzen Heere kundgibt, setzt sie ihren Mann nicht bloß ins Unrecht vor den Seinen, sie kommt ihm auch zuvor, wenn er daran denken sollte, sie zu vergiften, und dies alles bei Tische, mit geschmücktem Haar, zwischen einem Becher Weines und dem andern, dicht vor einer Entscheidung, die sie doch erst recht zusammenschmieden muß.

Als er am nächsten Morgen sein Flaggschiff bestieg, sah Antonius, wie es von einem kleinen Fische, Echeneis, dem sogenannten »Schiff-Aufhalter« verfolgt ward, und so verließ er es, nach einem alten Aberglauben der Seeleute, und stieg auf ein anderes. Zornig befahl er seinen Leuten zu schweigen, aber Kleopatra erfuhr es doch, und sie erbleichte. Antonius nahm bei diesem Vorzeichen alle vornehmen Römer auf sein Schiff, so sehr mißtraute er ihnen. Zur gleichen Morgenstunde soll Oktavian auf der andern Seite einem Eseltreiber begegnet sein, der, um seinen Namen befragt, schlau genug war, zu erwidern: »Ich heiße Fortunatas, und mein Esel heißt der Eroberer.« Und wiederum zu gleicher Zeit soll ein alter Soldat den Antonius angerufen haben:

»Hast du zu unseren Wunden und Schwüren so wenig Vertrauen, General, daß du uns diesen alten Holzkästen auslieferst? Laß die Ägypter auf die See, uns führ aufs Land, da wissen wir zu sterben und zu siegen!«

Beinahe hätte einer der beiden Feldherrn den andern hören können, denn Agrippa, der in Wahrheit den Oktavian führte, war in drei Geschwadern bis auf fünfzehnhundert Meter an die feindliche Flotte herangefahren. Alles wartete auf den Seewind, denn des Antonius große Schiffe, Fünf- bis Zehnruderer, gleichfalls in drei Geschwadern aufgereiht, standen unbeweglich vor dem Eingang zum Golf. Von ihnen gedeckt und faktisch unsichtbar, im Schatten teils der großen Schiffe, teils der Berge, lagen die ägyptischen sechzig Schiffe noch ruhig im Golf, unter Kleopatras Kommando, das hatte sie sich ausbedungen. Noch immer wagte sich keiner der beiden Römer an den andern heran, und vielleicht wären sie aufs neue stehengeblieben, hätte nicht nachmittags der aufkommende Seewind die starre Mauer des Antonius auseinandergetrieben. Es schien, die Götter waren mutiger als die Menschen; sie hatten es auch leichter, da sie nur Zuschauer blieben.

Aber in die Soldaten des Antonius war ein Zweifel gefahren. Denn als sie, zehn Legionen stark, auf 150 Schiffe verbracht wurden, daß jedes Schiff mit etwa 1500 Mann schon viel zu schwer beladen war, mußten sie auch noch die schweren Segel auf die Schiffe heben – warum? Um den geschlagenen Feind zu verfolgen? Sonderbar. Dazu ging das Gerücht, die Ägypterin habe in den letzten zwei Nächten ihren ganzen Schatz von Sklaven heimlich auf ihre Schiffe packen lassen. So war es auch, und all dies wußte zur gleichen Stunde drüben der Feind, denn in der kurzen Nacht waren zwei Oberste des Antonius mit 2000 Mann zu Oktavian übergegangen, worauf dieser in einem Kriegsrate beschloß, die Flotte der Kleopatra frei durchzulassen, wenn sie fliehen wollte.

Die Schlacht, die zwischen den beiden zaudernden Feldherrn schließlich der Windgott anfachte, fand vor den Augen zweier Heere statt, die von den Hügeln zuschauten wie in der Arena und ihren Leuten Mut und Vorwärts zubrüllten. »Der Kampf war mehr einem Landkampf ähnlich« – berichtet Plutarch –, »ein Sturm gegen Festungsmauern, indem drei oder vier Schiffe ein Schiff des Antonius umschwärmten und es mit Speeren und Wurfspießen, Stangen und Feuerbränden angriffen und beschossen, während die Gegner die Wurfgeschosse von ihren Türmen herunterschleuderten.« »Mit rauschenden Ruderschlägen« – schreibt Dio Cassius – »stürmten die kleinen schmalen Galeeren des Oktavian heran, immer bedacht, sich gegen das feindliche Geschütz zu decken. Hier und da gelang es ihnen, ein Schiff leck zu machen; mißlang es, so eilten sie wieder davon, bevor es zum Entern kam, fielen bald darauf dasselbe Schiff wieder an oder ein anderes, das schon verwickelt war. Oktavians Schiffe glichen Reitern, bald heransprengend, bald zurückjagend, die Antonianer dagegen glichen schwerbewaffneter Infanterie, die sich zu decken und möglichst zu halten suchte.«

Kleopatra erlebte in diesen Stunden nach siebzehn Jahren die erste Schlacht. Alles, was damals die Amazone so beflügelte, daß sie des großen Cäsars Herz gewann, Jugend und Liebe, Ehrgeiz und der Kampf um ihren Thron, ja um ihr Leben, war jetzt verstummt. Manches verkehrt ins Gegenteil. Mit ihren sechzig Schiffen war sie in die schmale Bucht gebannt, und während die andern sich am Kampfe selbst erhitzten, sah und hörte sie nur Fremde ihr Schicksal ausfechten. Die Ruhe, zu der sie verdammt war, machte sie vollends ruhelos: seit den Iden des März hatte sie einen Tag wie diesen nicht erlebt.

Sie dachte daran und verglich. Damals war sie von einem vollendeten Schicksal ergriffen, sie war gezwungen worden, alle Pläne, Macht und Sicherheit neu zu ordnen und so nach dem Schlage sich zur höchsten Spannung zu steigern. Heute ging sie ruhelos auf Deck ihres Flaggschiffes auf und nieder, blickte aus, schickte Boten, und wenn das Geschrei der Oktavianer ihr wieder ein verbranntes Schiff auf des Antonius Seite meldete, hielt sie die Schlacht für verloren. Warum also gab sie am Nachmittage nicht Befehl, anzugreifen und mit der Kraft ihrer frischen Ruderer und Soldaten den Freund zu stützen, der da draußen in fiebernder Bewegung kämpfte, befahl und immer aufs neue mit seinen eigenen Armen schoß und warf?

Denn jener Plan der Scheinschlacht war doch von beiden Menschen nicht wie ein Vertrag beschworen, auch nicht wie ein Feldzugsplan aufgezeichnet, er war sogar nie voll eingestanden worden. Als sie sich in den letzten Wochen über die Gefahren eines Sieges klargeworden, mußte Kleopatra als Weib eines Kriegers, als Königin, als die Geliebte Cäsars in der Schlacht, sich gegen alle Klugheit, im strömenden Gefühl ihrer kühnen Natur, den Sieg doch als möglich vorgestellt haben und wäre ihm sowenig ausgewichen, wie irgendein Sterblicher die Geschenke der Götter nach einem Plane ausschlägt. Nur mit diesem geheimen Vorbehalte hatte Antonius ihren Vorschlag übernommen, und was er jetzt da draußen kämpfend tat, war nichts als eine Widerlegung dieses Planes, nämlich der Wille des erhitzten Kriegers, den Feind zu besiegen; ob man ihn dann laufen ließ und nach Ägypten segelte, war eine andere Frage.

Sie aber, eingeschlossen in der Bucht, dem Kampfe fern, doch nah genug, um ihn zu hören, in einer Lage, die die Kriegsgeschichte vielleicht für keinen andern Kommandierenden kennt – mußte sie sich nicht von einer Stunde zur andern vorstellen, was geschah, wenn diese Seeschlacht für Oktavian endete und gegen Antonius? Hing nicht ihr Schicksal am Mut eines feindlichen Kapitäns, der nahe genug zu kommen wagte, um ein Hauptschiff des Feindes in Brand zu stecken? War nicht die Zukunft Ägyptens, das Leben ihrer Kinder in diesen Stunden abhängig von der Furcht eines bedrängten Wachtturmwächters, der vielleicht seinen Posten verließ, um sich zu retten? Was würde denn aus ihr, wenn jetzt Agrippa das Flaggschiff beschoß und Antonius zuletzt als heldenhafter Römer fiel? In den Ketten der Arsinoe, umheult vom Pöbel Roms würde sie vor dem Wagen des Siegers, unter seinen kalt begehrenden Blicken, durch die Straßen bis aufs Kapitol geführt werden, und neben ihr Caesario, an dem der andere Erbe Cäsars endlich seine Rache nahm!

Unter solchen Visionen fing ihre kalte Erwägung aus den letzten Wochen in der entscheidenden Stunde an zu erglühen. Sie hielt es nicht mehr aus in ihrer Starre, sie rief nach Luft, nach Freiheit: Kleopatra gab den Befehl zur Ausfahrt ihrer Flotte.

8

Keine Stunde – und die »Antonia«, begleitet von der gesamten ägyptischen Flotte, segelte mit südlichem Kurs ins Ionische Meer hinaus, den Wind in allen hastig gesetzten Segeln. Als ihre Schiffe plötzlich im schmalen Eingang der Bucht erschienen waren, verfolgte sie nach dem Beschlusse des Oktavian niemand, und wie durch eine Gasse fuhren diese glänzend unberührten Drei- und Fünfruderer zwischen den rauchenden, brüllenden, kämpfenden Schiffen hindurch, aufs offene Meer. Antonius, der sie erkannt und das vorbereitete Signal gesehen hatte – darin sind alle Berichte einig –, hatte keinen Augenblick gezögert, sich sogleich auf einem Boot zu ihrem Flaggschiff rudern zu lassen, das er bestieg, begleitet wohl nur von seinem Sohn Antyllus und zwei Freunden.

Bald aber waren ihnen dennoch ein paar feindliche Schiffe nachgesetzt, Antonius, der sogleich das Kommando übernahm, verjagte sie, nur ein einzelner Mann drängte sich in einem Boot ganz nahe heran, er warf seine Lanze nach dem Feldherrn. Der rief ihm zu vom niedrigen Deck: »Wer bist du, der den Antonius verfolgt?«

»Ich bin Eurycles«, rief die Stimme von unten, »Sohn des Lacharis. Ich bin bewaffnet mit Oktavians Glück, um meinen Vater zu rächen!« So war es, denn diesen hatte Antonius einst töten lassen. Man schlug nach ihm, er wich aus, aber es gelang ihm mit einigen Schiffen, ein zweites Hauptschiff der Ägypter, das folgte, zu erobern und darin viel Gold.

Nach diesem letzten, kurzen Kampfe brach der Feldherr zusammen. Die Spannungen der letzten Tage lösten sich, das Ungeheure, was er gewagt und was er nicht gewagt, senkte sich lastend auf seine Seele. Drei Tage lang, so schreibt Plutarch, saß er am Bug von Kleopatras Schiff, schweigend, nicht essend und nicht trinkend, den Kopf oft stundenlang in die Hände vergraben. Dann erst gelang es ihren Sklavinnen, ihn zu ihr zurückzuführen, um »wieder zusammen zu essen und zu schlafen«.

Als sie nach einigen Tagen bei Tenaron die Südküste des Peloponnes anliefen, hatte Antonius sich wieder gefunden. Er erfuhr, was geschehen war; niemand von den Seinen hatte zuerst seine Flucht bemerkt; Canidius, als er es erfuhr, nicht gewagt, es zu verkünden; erst als der Feldherr tagelang unsichtbar blieb, als auch die übrigen Senatoren zum Feinde übergingen und Agrippa die Flucht verbreiten ließ, fingen die verlassenen Truppen an, daran zu glauben, aber das Landheer ergab sich in den ersten Tagen dennoch nicht.

Die Flotte war zerstört, soviel war klar, das Landheer aber schien noch zusammenzustehen, weshalb Antonius dem Canidius befahl, durch Mazedonien nach Kleinasien zu marschieren. Wenn er dabei immer neue Berechnungen anstellte, so mußten neunzehn Legionen und 10 000 Reiter zu retten sein, auf die er sich stützen konnte. Verloren gab er sich noch lange nicht, er gab sich so verschwenderisch wie immer; flüchtenden Freunden, die ihm auf abenteuerlichen Wegen gefolgt waren, schenkte er eins von den ägyptischen Schiffen, mit vielem Golde beladen; auch Briefe gab er ihnen mit an seine Leute in Korinth und Athen. Dann fuhr man weiter, Ägypten entgegen.

Der Mann, der am längsten brauchte, um an den Sieg zu glauben, war Oktavian. Wie? Mit einer einzigen Schlacht, die ihm Agrippa kaum halb gewonnen hatte, wäre er vom Schicksal plötzlich aufgerufen, sich als Herr der römischen Welt zu fühlen? Er, der nur klug und kalt und kombinierend sich zwischen Kräften und Parteien durchgewunden hatte, dreizehn Jahre lang, vor ein paar Jahren noch vom jüngeren Pompejus geschlagen, gestern noch ein Triumvir, den kein Römer liebte, den man nur ertrug, weil Cäsar ihn zum Sohn erhoben hatte! Und er, ein dreißigjähriger Diktator, der sein Glück nur dem ererbten Reichtum seines Vaters, einem glänzenden Feldherrn und der Tollheit seines stärkeren Rivalen verdankte, er, der Enkel des Wucherers, war plötzlich einziger Herr der westlichen Erde!

Da dem Oktavian alles fehlte, was ihn zu solcher Sendung beflügelt hätte, Vorbilder, Phantasie und Pathos, fiel ihm zunächst nichts anderes auf, als daß ihn die Menge der neuen Soldaten in schwere Verlegenheit setzte, denn die halbe Armee des Feindes war schließlich übergelaufen, und er konnte schon seine eigenen, alten Legionen nicht bezahlen. Das einzige, was seine Natur in dieser Lage erfreute, war die Gelegenheit zur Rache. Doch da er selten wagte, sich zu den Urgefühlen seines Innern zu bekennen und immer gern den edlen Stoiker spielte, schickte er auch diesmal andere vor, um Antonius' Unterführer zu töten. Nach solchem Siege hatte er Zeit und Stimmung, alte persönliche Kränkungen zu rächen, wie etwa an einem längst verschollenen Rivalen, dem Curio, der einst als Fulvias erster Mann den Knaben Oktavian nicht leiden konnte: Jetzt ließ er dessen Sohn umbringen, der auf der Seite des Antonius gekämpft hatte.

Dann schwelgte er lange in Festen und Ehren, die ihm das zitternde Rom bereitete. Dieselben Vestalinnen, die er noch vor ein paar Monaten durch den Raub jenes Testamentes entehrt hatte, mußten ihm jetzt vor die Stadt entgegenziehen, am Tempel Cäsars wurden Schiffsschnäbel des Antonius angeschlagen, auf dem Forum Triumphbogen errichtet, ganz Italien überbot sich in Standbildern: Niemand wollte jemals Antonianer gewesen sein. Antonius' Geburtstag wurde im Senat zum Unglückstag erklärt. Ganz Rom forderte die Eroberung Ägyptens.

Hier allein fühlte Oktavians Gefühl sich getroffen. Drei Monate nach der Schlacht bei Aktium machte der Sieger sich nach Kleinasien auf, um gegen Ägypten zu rüsten. Denn dort, an der Mündung des Nils, lebte noch immer der einzige, den er zu fürchten hatte: Cäsars echten Sohn galt es endlich zu vernichten.

9

Mit Kränzen geschmückt, von hundert bunten Tüchern umweht, näherte sich die ägyptische Flotte dem großen Leuchtturm: Ganz Alexandria sollte glauben, daß sie von einem Siege heimkehrte. Was tat es, wenn das Gerücht der Flucht ihr trotz der schnellen Sommerfahrt auf den Lippen der Menschen vorausgeflogen war, oder daß morgen ihre Matrosen die Wahrheit erzählten? Was war denn die Wahrheit? Von niemand geschlagen, kehrte die Flotte nach einem Jahr heim, fast vollzählig, kein Schiff zeigte eine Wunde. War es nicht ein Sieg von Kleopatras Politik, daß sie die Flotte durch den Bürgerkrieg zweier Römer gesteuert hatte, ohne einen Schuß zu empfangen? Wer drin in der Stadt etwa wagen sollte, es anders zu erzählen, würde es büßen.

Die große Gefahr hatte Kleopatra verjüngt, der Boden ihrer Väter ließ sie vollends erstarken. In einer Lebensfülle, wie sie einst die zwanzigjährige, vom Thron vertriebene Amazone durchströmte, daß sich der alternde Cäsar von ihrem Feuerhauch angeweht fühlte, so warf sie sich jetzt noch einmal ins Getümmel. Waren die Mittel der Gewalt vermindert, sie warf sich in die List; war sie zum ersten Male seit fünfzehn Jahren der römischen Hilfe beraubt, sie griff zum Golde der Ptolemäer. Und an der Stelle ihres Mannes war ihr ein Sohn erwachsen.

Denn seit Caesarion ein Mann geworden, fast siebzehn, als König allein über Ägypten waltend, seitdem hieß er Cäsar Ptolemäus, und daß die Alexandriner den Kosenamen Caesarion inzwischen vergessen hatten, war die größte Belohnung der Mutter für ihr erziehendes Werk. Jener dort überm Meer, Oktavian, nannte sich nur noch Cäsar, dieser hier führte den Namen mit tieferem Rechte. Im Jahre 30 gab es zwei Cäsar in der Welt.

Ja, als sich ihr geschmücktes Flaggschiff dem Leuchtturm näherte und in einem Boote der Sohn sich ihr entgegenrudern ließ, hoch und hager, den schwarzen Blick unter seiner kaum entrunzelten Stirn zu ihr sendend, hatten sich alle Schatten der letzten Zeit gelöst. Träumte sie nicht? Fuhr sie ein anderes Mal in den Hafen ihrer Väter, und Cäsar kam ihr entgegen, kühn in neuen Plänen, begierig, mit ihr gemeinsam zu raten und zu kämpfen?

So blieb es nun durch Wochen und Zeiten. Die Menschen fühlten es. Hatte es je ein brüderlich festeres Herrscherpaar unter den Ptolemäern gegeben? Schwung und Rache steigerten sich im Herzen des Sohnes, den großen Ernst der Jugend trug er dazu, und wenn ihr eine zwanzigjährige Erfahrung, wenn Augenblicke weiblicher Furcht ihr plötzlich zu allzu großer Vorsicht rieten, so stand ein junger Ritter neben ihr, um sie zu stärken.

Wann hatte sie früher einen Geliebten oder Gatten, einen Freund oder Diener besessen, dem sie in der schwülen Luft dieses Palastes vertrauen durfte? Wer von all ihren Ministern harte sich bis zuletzt bewährt? War zuweilen ein Dichter, ein Gelehrter aus dem Museion gekommen, um ihr zu raten, so war es doch nur wie ein Gruß aus einer andern Welt gewesen; sie lächelte und ließ ihn laufen. Und war Antonius von seiner Schwäche nicht oft zu Lügen getrieben worden, zu Schlichen des Trinkers, ja auch des Römers, hinter die sie schnell gekommen war? Cäsar war der einzige gewesen, dem sie vertraute, doch Cäsar verschwieg immer einen Teil seiner Pläne, und wenn damals zwei Menschen zusammen einen Weltplan entwarfen, so war das nur möglich, weil einer ihn träumte, der zweite ihn ausführte, wobei er dann allein befahl und der erste gehorchte.

Jetzt aber, im vierzigsten und letzten Jahr ihres Lebens, erfuhr Kleopatras weibliche Natur zum ersten Male seit Cäsars Tode, was Rat und Stütze eines männlichen Freundes bedeutet, und da es ihr Sohn war, der sie ihr gab, verwirrten weder Geschlecht noch Eifersucht die neue Verbindung; ja, sie vermochte in die Schönheit dieses neuen Lebenskreises einzudringen, inmitten des Trubels, den sie selbst erregte.

Denn alle Mittel und Menschen, die zu brauchen waren, begann sie vom ersten Tag ihrer Heimkehr an zugleich zu bewegen, alle Fälle, jeden möglichen Ausgang der Krise zugleich vorzubereiten. Der Winter, in dem der Feind nicht übers Meer kommen kann, schenkte ihr Zeit; sie nützte sie. Wer in der Hauptstadt verdächtig war, wurde gefangen oder getötet: Schrecken, nicht Liebe ihrer Untertanen war jetzt geboten. Rückte im Frühjahr Oktavian heran, dann mußten Verbündete gewonnen sein, Ägypten zu schützen. Wer aber war noch, der seit der Schlacht von Aktium nicht vor dem Weltherrscher zitterte? Der Mederkönig, dessen Tochter hier am Hof als Braut des kleinen Alexander lebte, wie war er vollends zu gewinnen? Indem man ihm Armenien garantierte. Was war zu tun? Der gefangene Armenierkönig, dem sie damals um seines Dichtertrotzes willen nach dem Triumphzuge das Leben geschenkt, war jetzt zu töten, sein Kopf dem Mederkönig zu senden, so daß er dessen Wiederherstellung durch einen vielleicht siegreichen Oktavian nicht mehr zu fürchten hatte.

Vielleicht Herodes? Damals, auf ihrer Reise durch sein Land, hatte er sich an Ritterlichkeit überboten, während er ihr, sie wußte es wohl, nach dem Leben trachtete. Wen schickt man zu Herodes? Sie wählt Alexas, dem sie bisher viel vertraut, den sie oft bei Antonius benutzt hat. Lange bleibt alles stumm. Auch alle andern Gesandtschaften zu den Fürsten des Mittelmeeres bleiben stumm, denn alles will mit dem Sieger von Aktium gehen.

Um so mehr muß man für Gold sorgen, wenn es an Truppen fehlt! Der Schatz, der soviel für die Römer abgegeben; muß wieder voll zum Überlaufen sein! Und sie läßt reiche Bürger töten, um ihnen das Geld wegzunehmen, läßt alte Tempel plündern, um Weihegeschenke einzuschmelzen. Doch wohin mit dem Schatz – wohin mit sich selber, wenn die Römer kommen? Wohin vor allem mit den Kindern? Sie denkt nach Nordwesten und nach Südosten. Nach Spanien und Gallien gehen Gesandte, um zu horchen, ob dort nicht Feinde des Oktavian sitzen, die sie mit ihrem Golde bewaffnen könnte. Zugleich läßt sie einen Teil der Flotte von Pelusium zur Landenge von Suez fahren und nun die Schiffe über Land auf Wagen nach dem Roten Meer ziehen. So hatte es ihr Cäsar auf dem schwimmenden Nilschloß erklärt. Es glückt mit dem ersten, aber da ist wieder ein römischer Feldherr, Didius, der lieber übergegangen ist, der peitscht die Araber auf, die plündern und verbrennen die Schiffe.

Sie gibt nicht nach. Auf welchem andern Wege kann man die Kinder retten? Sie läßt die beiden Karawanenstraßen vom Nil nach dem Roten Meer untersuchen, denn Indien, von dem sie seit der Kindheit Wunder erfahren, in dem sie Handelsfreunde hat, Indien liegt doch vielleicht weit genug, damit der Arm des Feindes Caesarion nicht erreiche! Die Welt ist weit! Warum verzweifeln! Hatte der mächtige Oktavian nicht Feinde genug, daß er an jedem Tag, an jedem Ort ermordet werden könnte, wie einst Cäsar? Kleopatra kämpfte. Sie glühte, wie in der Jugend.

10

Antonius war zusammengebrochen. Mit zwei Freunden und wenigen Leuten war er am Ende der Heimfahrt nach Paretonium gesegelt, einem kleinen Hafen westlich von Alexandria, aus Furcht, die Weltstadt zu betreten, die Menschen wiederzusehen. Sicher hat sie ihn in diesem Zustande gern scheiden lassen; sie kannte seine Depressionen nach ausschweifenden Nächten: Dies war nur eine verhundertfachte. Dort saß er nun mit stumpfen Sinnen am Strande, noch eben Herr über die größte Streitmacht der Erde, noch eben Herr über das halbe römische Reich: ein dumpf hinstierender Mann, der keinen Ausweg sah, zwischen dem griechischen Rhetor Aristokrates, der ihn mit historischen Beispielen über den Wechsel von Glück und Unglück harangierte, und seinem Freunde Lucilius, der damals, bei Philippi, sich für den geschlagenen Brutus ausgegeben, und der dann, begnadigt und erhöht, ihm durch zwölf Jahre beständig treu und nahe geblieben war.

Doch eines Tages, als neue Botschaft über das Meer kam, daß sich der Rest seines in Griechenland stehenden Heeres zu Oktavian geschlagen habe, wollte Antonius sich töten. Da trat Lucilius zu ihm und sprach ihm von Philippi: wie er allein die Schlacht gewonnen und wie der feige Oktavian, sein Verbündeter, sich ins Schilfrohr verkrochen habe. Mit dieser Erinnerung an den Sieg, die niemand besser als der damalige Freund des Brutus ihm erregen konnte, rief er ihn zur Handlung zurück.

Doch als Antonius sich nun entschloß heimzukehren, und sich mit den beiden Freunden der Weltstadt näherte, gewann in ihm der Komödiant die Oberhand. Wie sollte er den Alexandrinern erscheinen? Wie vor allem der Frau, die ihn zu übersehen schien, statt kniend seine Gnade zu erflehn? Hatte sich nicht die Rolle des Verführers und die des Verführten umgedreht? Mit einem Trick, so schien es ihm, war sie, die Schuldige, vor ihrer Welt als schuldlos und als Siegerin erschienen! Er sah nicht, daß ihr Trick darin bestand, zu handeln. Er mußte etwas anderes tun als handeln – er mußte philosophieren, aber so, daß die Welt es erfuhr, daß Alexandria es mit Augen sah, wie er philosophierte.

Westlich der kleinen Insel, die vor dem Palast liegt, führt die lange Mole ins Meer hinaus bis zu einer schmalen Halbinsel, wo sich ein altes Lusthäuschen der Ptolemäer erhebt. Rasch wird es hergerichtet, und nun bezieht es der leidende Feldherr mit seinen beiden Freunden. Nach Timon, dem griechischen Menschenfeinde, nennt er sein Haus das Timoneum. Dort sitzt er, vom Pharos abwechselnd bestrahlt und verdunkelt, von der Neugier, bald auch von Epigrammen der boshaften Alexandriner umgeben, ihre Boote sieht er seine Halbinsel umfahren und zieht, wenn ihn die fremden Blicke am Fenster lesend erkennen, die Stirn kraus, um noch ein bißchen tragischer zu erscheinen.

Nie war dieser natürlichste von allen Menschen so verworren wie in diesen Wochen, da er eine echte Verzweiflung durch eine Komödie statt durch Taten zu heilen suchte. Denn wie Antonius in all seinen bunten Kostümen immer ein gutgelaunter Dilettant geblieben war, der sich aus Laune zu verstellen liebt, so mußte es ihm ohne diese Laune ganz und gar mißlingen. Da saß er nun und las im Platon, den er seit seinen Athener Studien nicht aufgeschlagen. In alten Legenden suchte er sich zu spiegeln: wie Timon die Leute auffordert, sich an seinem Feigenbaum, bevor er ihn fällen läßt, noch rasch zu erhängen. Oder wie er einzig den Alkibiades umarmt und seinem Genossen Apemantus zur Erklärung sagt: Dieser Jüngling wird eines Tages den Athenern Unheil bringen!

Denn mit Groll und Haß gegen Rom suchte er seine niedergetretene Liebe zu Rom zu übertäuben. Dies war vielleicht der Grund vielleicht war es auch nur Langeweile und der Wunsch nach Lärm und Wein, die den Talmi-Timon nach wenigen Wochen zum Abbruch seiner öffentlichen Einsiedelei trieb, zur Rückkehr in den Palast.

Mit Takt wußte Kleopatra das heimliche Gelächter der Leute unhörbar zu machen, indem sie ein Fest des Lachens und des Weines gab und so zugleich den erschütterten Mann und die kritischen Großstädter in ihre gewohnte Sphäre rückte. Cäsar sollte mit siebzehn Jahren großjährig heißen und damit alle Macht versammeln, wenn sie stürbe; doch zugleich ließ sie den sechzehnjährigen Antyllus mündig machen, Antonius' Sohn mit der Fulvia, der seit Aktium bei ihr war, diesen zwar ohne Macht, doch zur Freude und Täuschung seines Vaters. So verstand sie die hohe Politik mit der öffentlichen Meinung und dadurch wiederum die Geister ihres Mannes zu beleben, dessen Haltlosigkeit sich durch ein paar Stöße wieder in Aktivität verwandeln ließ.

Mit großen Festen umgab sie diese Proklamation und gab den Alexandrinern dabei Gelegenheit, dem Antonius zu applaudieren, als Vater des einen der beiden Jünglinge, die das Männerkleid empfingen, und als Gatte der Königin. Sie tat für seinen Namen, was sie konnte, ließ seinen Geburtstag mit großen Festen feiern, ihren eigenen Tag übergehen. Sie ließ ihn auch auf seine Art mit dem Tode kokettieren; denn um die alten Feste aus seiner Epoche des Dionysos zu erneuern und doch den Ernst des fünften Aktes darzustellen, war Antonius auf die Idee verfallen, den alten »Club der Unnachahmlichen« als »Club der Todesmutigen« zu erneuern. So fanden sich für ihn Wein und Gelage mit der gebotenen Düsterkeit der Lage zusammen.

Vielleicht lächelte die Königin, allein sie ließ ihn gewähren: warum ihm jetzt die wiederkehrenden Lebenskräfte rauben? Sie liebte ihn ja, und wenn sie nicht an Cäsar dachte, hatte sie ihn immer geliebt. Bezeugten nicht die Zwillinge, die jetzt, elfjährig, halberwachsen schienen, daß ihre Mutter einst ohne alle Zwecke, ohne Sicherheiten und Pfänder sich diesem Manne geschenkt und erst nach Jahren, in den verwickelten Zuständen ihres Reiches, sich die Ehe von ihm eingefordert hatte, die mindere Frauen als eine Bedingung ihrer Hingabe begehrten? Von Rom hatte sie ihn hinweggelockt – das war die Wahrheit –, aber sie war bereit, zu dieser Politik ihres Herzens und ihres Reiches zu stehen. Ja, sie liebte ihn, und kein Bericht der ihr sämtlich feindlichen alten Autoren deutet an, daß sie in ihrer Ehe je einen Liebhaber hatte.

Daß er sie dafür zu gewissen Stunden haßte, wie in jener Stunde kurz vor der Schlacht, sagt gegen seine Neigung nichts. Durchaus ans Physische gebunden, in diesem Felde stets von ihr entzückt und nun, ein schwerer Mann von Anfang Fünfzig, vollends gewöhnt an einen wohlgeübten Partner, schloß sich Antonius als Realist in seiner heutigen Lage erst recht an die unermüdliche Gefährtin an, nachdem er seinen Exkurs ins Platonische quittiert hatte, denn offenbar taugte die Philosophie nicht viel.

Ob sie sich liebten, hatten beide Menschen bald vor sich selbst zu beweisen.

Denn voll von drohenden Nachrichten kam Herodes nach Alexandria, anscheinend, um über ein Bündnis zu verhandeln. Von ihm erfuhren die Gatten, welche Truppenmengen und Mittel Oktavian heranschleppte, und daß er seine Schiffe auf Lastwagen über die Landenge von Korinth schaffen ließ, genau zur gleichen Zeit, als Kleopatra die ihren über die Landenge von Suez zu ziehen suchte.

Dann aber, als er mit Antonius allein blieb, gab ihm Herodes einen heimlichen Rat: Mit einem Schlage könnte er Ägypten zur römischen Provinz machen, dadurch die Herzen aller Römer wiedergewinnen, Oktavian zu einem neuen Triumvirat zwingen: Er brauchte nur die Königin zu töten.

Das war derselbe Mann, der jenen Mord an ihr im Jordantale nur aus Furcht verworfen hatte. Vielleicht haben selbst Kleopatras Spürhunde diese geflüsterten Worte diesmal nicht vernommen. Gewiß ist, daß Antonius den Mann zurückstieß. So vollkommen war seine Hingabe an die Frau, die sein Schicksal bedeutet hatte, daß sich Herodes eilig aufmachen mußte, denn er fühlte, seit gestern war er bei einem Feinde zu Gast. Er fuhr sogleich nach Rhodos, wo Oktavian gelandet war, huldigte ihm mit goldenen Geschenken, verriet, was er bei Antonius etwa gehört, und durfte zur Belohnung sein Königreich behalten.

Antonius aber, durch den Verräter zu trotziger Stimmung erfrischt, warf sich nun mit einemmal in die Aktion und wirkte wieder mit der Königin und ihrem Sohn zusammen. Elf Legionen, die noch immer halb führerlos in Syrien und Kleinasien standen, gehörten jedem, der sie bezahlte. Vielleicht konnte er besser zahlen als Oktavian? Antonius brach auf, um diese Truppen auch gegen ihre Unterführer wiederzugewinnen; es scheint, daß er zuerst gegen seinen eigenen General Gallus zu kämpfen hatte. Als er aber an seine alten Soldaten herankam und sie mit seinem Baß andröhnen konnte, ließ jener laut die Trompeten blasen, um seine Worte zuzudecken – und so erfuhr der alternde Antonius noch einmal, was ihm einst unter Lepidus begegnet war.

Dann fielen ihm ein paar tausend Gladiatoren ein, die er, zu einer Legion zusammengeschlossen, in Syrien hatte stehen lassen; er hatte sie eingeübt, nachher sein Siegesfest mit ihnen zu feiern. Diese Soldaten, die er durch einen Boten rufen ließ, brachen gleich nach Ägypten auf. Aber da stellt sich ein anderer seiner Generale, derselbe Didius, der die Schiffe der Königin den Arabern ausgeliefert, ihnen in den Weg, und alles geht verloren, denn schon nähert sich Oktavian mit seinem Heere. Antonius kehrt in die Hauptstadt zurück: Sie muß bewaffnet werden.

Damals hat in einer furchtbaren Szene Kleopatra ihrem Sohne befohlen, das Land zu verlassen, um ihn zu retten. Alles, was sie als Königin an Kraft der Blicke und an Verführung der Stimme, was sie als Mutter an Autorität besitzt, setzt sie ein, denn der, dem sie befiehlt, hat sich in den letzten zwei Jahren gewöhnt, mit ihr und ohne sie König zu sein. Nur weil sie ihm den Untergang aller darstellt, wenn er bliebe, und wie er einst sie zu retten oder zu rächen kommen werde, gelingt es ihr, seinen Jünglingsmut zu besiegen. Auf ein paar Schiffen, in denen sie Waffen, vor allem aber Goldsäcke verborgen, schickte sie ihm alles nach, was er brauchte, um sich nach Indien durchzuschlagen. Sein alter Lehrer soll ihn begleiten, zunächst durch die Wüste nach Coptos am Nil, später nach dem Hafen Berenice, sich dann mit Indienfahrern zusammentun für die große Seefahrt. Dort sollte er Soldaten aus den Völkern heben, die die Ägypter durch ihren Handel kennen, und wiederkommen, um hier die Kämpfenden zu entsetzen.

Ein so phantastischer Plan konnte im Kopfe der Kleopatra nicht leben; es war nichts als ein Vorwand, den Jüngling zu entfernen und zu retten. Sicher hat er es leicht verstanden und seinen eigenen, geheimen Plan dagegengestellt. Wenn alles hier zusammenbräche, könnte er hier nichts retten. Lebte er aber, so kam der Tag, an dem er eine römische Partei gegen Oktavian anführen konnte, denn er war Cäsars Sohn. Das Abenteuer, dem er entgegenging, war größer als ein verzweifelter Endkampf. Er wollte es bestehen.

Die Flucht des Königs mußte geheim geschehen. Als sich der kleine, nächtliche Reiterzug mit dem vermummten Cäsar gleich hinter der Stadt in die Wüste verlor, wußte Kleopatra, sie würde ihn nicht wiedersehen. Den Zeugen jenes großen Traumes zu retten, mochten die Götter ihr vergönnen. Ihre eigene Geschichte – sie fühlte es – war zu Ende. Sie selber konnte nur noch in Stolz und in Schönheit sterben, so wie sie gelebt hatte.

11

Fast ohne Gegenwehr betrat Oktavian Ägypten an seinem östlichen Tore, er nahm Pelusium. Kleopatra in ihrem Palast mußte der Jugend gedenken: Wieder im selben Hause, wieder die Stadt verschanzt gegen ein Heer, das durch das Delta des Nils ihr entgegenzog, wieder ein Römer neben ihr, nur ist es nicht Cäsar. Kämpfen, nicht sich erinnern, das nächste tun, Zeit gewinnen! Ein Bote Oktavians soll unterwegs sein? Er soll nur kommen!

Und Thyrsos, ein vornehmer Römer, tritt bei ihr ein: Oktavian entbiete ihr seinen Gruß! Er liebe sie seit langem aus der Ferne! Ihr ließe er gern das Land, die Krone und die Kinder! Nur den Antonius brauchte sie beiseite zu schaffen, und alles endete in Frieden und Glück!

Wie dumm er ist! denkt Kleopatra. – Wie grob! – Dann wird er als Rächer des Römers Antonius hier einziehen und uns vernichten! Was für ein erbärmlicher Plebejersproß, der Cäsars Namen schändet!

Aber das alles sagt sie dem Boten nicht, sie sagt auch nicht nein, sie behält den Römer da, an langen Abenden weiß sie ihm manches zu entlocken, was er besser verschwiege. Doch da werden beide überrascht: Antonius ist eifersüchtig geworden, man weiß nicht, ob auf den Boten oder auf seinen Herrn. Denkt er an die giftigen Blumen in ihrem Haar? Plötzlich tritt er ein und prügelt den Römer, dann jagt er ihn fort und gibt ihm einen Brief mit an Oktavian: Thyrsos wäre unverschämt gewesen; wenn Oktavian sich aber beleidigt fühle, so hätte er ja seinen Hipparchus dort als Geisel, den möge er hängen, soviel er wolle!

Die Königin aber, da nun doch nichts mehr zu erlauschen oder zu gewinnen ist, dreht plötzlich ihre Taktik um und heißt den entsetzten Römer seinem Herrn ausrichten: Wenn er das Haupt des Antonius begehre, er möge nur kommen, die Stadt einnehmen und es sich abholen! Durch diesen wilden Ausruf erfuhr Antonius das mißglückte Komplott, und er hat seiner Frau vielleicht jetzt mit seinem lachenden Basse von derselben Aufforderung erzählt, die er kürzlich von Herodes gegen sie empfangen.

Es ist Zeit, sich zu rüsten. Alles, was sie besitzt an Gold und Edelsteinen, auch an Elfenbein, Stoffen und fremden Gewürzen läßt nun Kleopatra in ihr ägyptisches Grabgewölbe bringen, das sie seit langem im Stil und nach dem Brauche ihrer Vorfahren gebaut hat; es liegt ganz nahe am Palast, östlich vom Vorgebirge Lochias dicht am Meer, und gehört zum Isis-Tempel, der auch nach Aphrodite heißt; als sie es in glücklichen Jahren dort baute, fühlte sie sich in dieser Doppelrolle. Tagelang muß sie jetzt einen Teil ihrer Kraft, die der Verteidigung gilt, in diesen Raum ableiten, die Überführung aller Schätze bewachen, die sie und ihre Väter gesammelt haben. Denn wenn der Feind kommt, will sie sich mit allen Schätzen, die er sucht, in dieser Gruft verbrennen.

Es ist Juli, aber in dem fensterlosen Kuppelraum, dem oben nur noch ein kleines Stück Dach fehlt, ist es kühl; eigentlich sind es zwei Räume, doch die Tür ist zum Versenken eingerichtet: Wer drin ist, bleibt gefangen. Wer also wird das Ganze anzünden? Wird man nicht ihre Sklaven daran hindern? Ihre zwei treuen Frauen sind gut, mit verbrannt zu werden, aber zu schwach, es selber zu tun. In solchen Zweifeln fragt sie ihren Arzt Olympos – sein Bericht durch Plutarch ist auf uns gekommen –, er rät ihr, wie man sich am sichersten tötet: durch Schlangen.

Doch welche Schlange, das ist die Frage. Wenig Schmerzen, rasch wirksam und im Tode nicht entstellend: diese drei Dinge fordert Kleopatra von einem Schlangenbiß. Man bringt einen Verbrecher in den Palast, sie liegt auf ihren Kissen, der Gefesselte kniet in der Mitte des Raumes, ein Sklave legt ihm die Giftschlange an: Er windet sich in Schmerzen und stirbt. So geht es nicht. Morgen ein anderer. Dieselbe Szene mit einer andern Schlangenart. Jetzt schiebt sie sich dicht neben den Sterbenden, mit Gier will sie erraten, was er fühlt. Dieser scheint schmerzlos, aber es dauert eine Stunde. Schließlich findet man die richtige Sorte, denn diesmal schläfert der Biß den Mann rasch ein, kein Kampf, ein heiterer Ausdruck auf seinen Zügen, und als sie ihn dicht neben seinem Kopf mit Namen anruft, macht der Sterbende ein leises Zeichen der Abwehr wie einer, der aus ruhigem Schlafe nicht geweckt sein will. Dies ist es, und sie trifft Vorsorge.

Wenn sie in die Geschichte ihrer Epoche blickt, findet sie manches Beispiel: Die Römer liebten den Selbstmord in äußersten Gefahren, sie glaubten, nur ein Römer vermöchte soviel über sich. Von den Männern, die Cäsar ermordet hatten, stürzten sich vier oder fünf in ihr Schwert. Von Cato hat sie vernommen, wie er, von Cäsar besiegt, eines Abends im Bett lange in Platons Phaidon las, ganz allein, dann stieß er sich den Dolch in die Brust. Jeder kannte zu jener Zeit das schöne Wort der Arria, die sich neben ihrem zum Tode verurteilten Gatten einen Dolch in die Brust stach, seine Hand faßte und lächelnd sagte: »Paete: non dole!« Doch tiefer als dies alles spricht zu ihr die Kindererinnerung an den Oheim, der sich tötete, um der Schande zu entgehen.

Kleopatra ist bereit zu zeigen, daß man kein Römer sein muß und keine Römerin, um zu sterben; aber zugleich ist sie entschlossen, so lange zu kämpfen, als Hoffnung lebt. Auch Antonius ist nun bereit und sucht ersichtlich in der Schlacht den Tod. Denn nun ist Oktavian vor der Stadt erschienen. Antonius findet seine Jugend wieder, heute ist er wieder Reiteroberst, und wie er einst für Oktavian die Schlacht gewann, heute schlägt er seine Reiterei beim Hippodrom in die Flucht. Jetzt strahlt sein altes Wesen auf, mit wahrhaft trunkenen Tönen tritt er bei der Königin ein. Er findet sie, so schreibt Plutarch, bewaffnet: Er küßt sie und führt ihr einen Offizier zu, der sich glänzend geschlagen hat. Sie strahlt ihn an und gibt ihm eine goldene Rüstung. In derselben Nacht entfloh der Offizier zum Feinde.

In solchen wankenden Stimmungen, zwischen dröhnenden Schlägen des Feindes an der Mauer, zwischen dem Gewimmel der teils noch kämpfenden, teils schon um Gnade flehenden Bürger, in der sengenden Hitze des Juli, in jedem Augenblick von einem verraten, vom andern mit drohenden Nachrichten erschreckt, fühlen sie beide, morgen wird die Stadt fallen. Jetzt fordert Antonius seinen Gegner aufs neue zum Zweikampf heraus. Der läßt ihm zynisch erwidern, Antonius würde noch andere Mittel finden, um zu sterben. Nachts sitzt Antonius beim Mahle zwischen den Seinen, er trinkt und sagt: Morgen suche er nicht den Sieg, sondern den Tod. Morgen werden sie alle einen neuen Herrn über sich haben.

In derselben Nacht glaubten viele Bürger, Lärm von Stimmen und Instrumenten zu hören, wie von Bacchanten, die in einem unsichtbaren Zug aus der Stadt heraustanzten, dem Lager des Feindes entgegen.

Antonius wollte sich zu Wasser und zu Lande schlagen. Am andern Morgen fühlt er sich auf beiden Seiten betrogen: Die Schiffe, die er vom Hafen aus gegen den Feind geschickt hat, sieht er, von seiner Anhöhe aus, den Feind mit ihren Rudern begrüßen, jene antworten, alle verbrüdern sich: Römer mit Römern. Als er jetzt seine Reiter durch das östliche Stadttor führen will, um die des Oktavian nochmals zu schlagen, sieht Antonius, wie seine ganze Reiterei zum Feind hinübereilt. Wie ein getroffener Stier brüllt er auf, durch tausend fliehende Bürger reitet er bis zum Palast, bricht in die Tür, gefolgt nur noch von zwei oder drei Soldaten, er brüllt: »Verrat! Sie hat mich verraten! Die Königin ist mit dem Feind im Bündnis!«

Aber da tritt ihm ein Bote entgegen: Die Königin sei tot.

12

Sie war es nicht, doch glaubte sie, in der Gruft würde kein Bote ihr mehr erreichbar sein. Mit ihren beiden Sklavinnen ist sie in der Stunde der Übergabe in ihr Mausoleum geeilt, dort haben die drei Frauen die schwere Tür an Stricken niedergelassen: dort waren sie mit ihren Schätzen allein. Ein Dolch zum mindesten war ihr dort sicher. Niemand konnte herein, sie mochte eine Stunde dort drinnen sein, als ihre Botschaft den Antonius erreichte.

Dieser, allein im Palast, denn alle Diener sind zum Sieger geflohen, hat keinen Dolch, er hat nur sein Schwert, und es ist schwer, sich ohne Hilfe in ein langes Schwert zu stürzen, das haben manche Römer im Tode erfahren. Aber Antonius hat noch seinen Schildträger bei sich, und wie er auf dem Rückzug am Araxes den Knaben beschworen, ihn zu töten, wenn er es befehle, so ruft er es jetzt einem andern zu: Dieser heißt Eros, und von Eros' Hand zu fallen, ist ganz nach des Antonius Sinn. Der aber wagt es nicht, er dreht sich weg und tötet sich selber mit dem großen Schwert. Da ist Antonius entschlossen, nun stürzt er sich in sein Schwert. Er fällt, ist aber nicht tot, er ruft, man möge ihn töten.

Inzwischen sind ein paar Sklaven gekommen, sie finden ihn, sagen, wo die Königin sich befindet und daß sie lebt: Mit schwacher Stimme winkt er, ihn zu ihr zu tragen. Sie tun es, klopfen, geben Zeichen. Kleopatra, die nie verzweifelt, erfindet auch jetzt noch ein Mittel: An das Loch im Dache heißt sie ihre Leute Leitern legen – alles im halb verhallenden Geschrei der eingemauerten Stimmen –, dann bindet sie Stricke an die Bahre, und die drei Frauen ziehen den Sterbenden hinunter und hinein.

Diese Berichte der alten Autoren sind kaum Erfindungen, denn der Arzt Olympos, der Kleopatra noch zuletzt gesehen, hat alles berichtet und konnte, was sie erzählen, nicht wahrer erfunden haben. Was erbittet wohl der sterbende Antonius? Während sie jammert, will er Wein! So, für einen Augenblick gekräftigt, berät er sie: Sie möge nur dem Proculeius trauen, von allen, die Oktavian umgeben. Und so ist es auch der ganze, lebensfrohe Mann, den Plutarch zuletzt sagen läßt:

»Weine nicht über dies Ende. Denke doch an die glücklichen Tage, als ich der mächtigste Mann gewesen bin! Zum Schlusse bin ich ehrenvoll als Römer von einem Römer überwunden worden.«

Kaum ist er tot, so erscheint auf der Leiter oben der Kopf jenes Proculeius: Oktavian entbiete der Königin Ehre und Gruß! Sie möge sich nicht fürchten, ihr würde nichts geschehen! Sie öffne nur – erwidert sie –, wenn Oktavian ihrem Sohn Cäsar die Krone Ägyptens verspräche. Unvergleichbare Szene, ans Komische grenzend, denn diese Verhandlung findet in einer halsbrecherischen Pose statt. Aber da machen die Römer kurzen Prozeß: Sie lassen sich an Stricken ins Gewölbe nieder, Männerfäuste heben das versenkte Tor; das Grabmal ist wieder ein Tempel geworden, in den jeder eintreten kann.

Alles ist viel rascher gekommen, als Kleopatra es sich ausgedacht: Wer würde ihr jetzt noch die Schlange bringen! Aber sie hat noch den Dolch. Sie greift nach ihm. Der Römer fällt ihr in den Arm. Im Ringkampf verliert die Amazone ihre Waffe. Ein zweiter, ein dritter mit neuen Befehlen, sie möge sich ergeben, erscheinen im Raum, in deren Mitte die Königin steht, waffenlos, schutzlos, zwischen ihrem toten Mann und zwei am Boden weinenden Frauen. Jetzt befiehlt der Offizier seinen Soldaten, sie auf Waffen zu untersuchen. Furchtbarer Augenblick! Sechs Hände von Plebejern tasten an ihrem Leibe herum, niemand weiß, was sie sich dabei erlauben. Sie steht mit gewaltsam hochgehaltenen Armen da. Dies war die einzige Erniedrigung in Kleopatras Leben.

13

Als Cäsar das blutige Haupt des Pompejus empfing, soll er geweint haben und geschwiegen. Oktavian im gleichen Falle läßt Freunde und Offiziere holen, öffnet ein Dossier, das er immer bei sich führte, und liest ihnen einige hochmütige Briefe des Antonius vor und die Kopien seiner maßvollen Antworten. So zeigt er der Welt, wer von den beiden Männern der bessere war, dann vergießt er noch »einige Tränen«. Sogleich schickt er den Proculeius ab, um die Königin lebend zu fangen: »Denn er fürchtete« – sagt Plutarch – »den großen Schatz zu verlieren, und nebenbei wäre sie ja auch selbst ein Stück seines Ruhmes geworden.«

Am Nachmittage hält er seinen Einzug in die Stadt. Tausende werfen sich zu Boden, die als junge Leute, vor achtzehn Jahren, Cäsar und Kleopatra hier einziehen sahen. Und all die Hunderttausende standen noch vor zwei Jahren auf demselben freien Platz, als der zum Dionysos erhobene Antonius hier neben der Göttin Isis stand. Nun liegen sie in ihrem Grabmal, er tot, sie gefangen, entehrt. Aber der kalte Charakter ist immer klüger, als glühende Menschen gewesen sind: Er heißt die Bürger sich alle erheben, niemand würde gekränkt werden, denn dies sei die Stadt des großen Alexander, und neben ihm stände ein großer Philosoph. Es ist der Stoiker Arios, der ihm die griechische Rede gemacht hat. Dann geht der Zug, immer Cäsars Beispiel folgend, zu Alexanders Grab, er läßt es öffnen, doch statt ihn zu verehren, betastet Oktavian den Toten, so daß ihm ein Stück von der Nase in der Hand bleibt. Entsetzt verzichtet er auf den Besuch der toten Ptolemäer.

Kleopatra scheint einen Augenblick geschwankt zu haben, vielleicht sind es auch drei Tage gewesen. War es möglich, das Land ihren Kindern zu erhalten, so wollte sie alles ertragen – alles außer dem einen! Erfuhr sie aber sicher, was sie nur ahnt, daß Oktavian sie betrügt, daß er sie nur nach Rom schleppen, im Triumphe dem Volke vorführen will, so wußte sie, was zu tun sei. Die Boten drängen sich, sie möge herauskommen, sie werde als Königin empfangen werden. Sie bleibt, denn sie mißtraut. Ein neuer Bote kommt: Oktavian warne sie, sich zu töten, dann würde er ihre Zwillinge töten. Trauer, Hitze, Hunger, Furcht, alles zusammen wirft sie in ein Fieber; niemand weiß, was sie in dieser Schwäche zugestanden, was sie dem verhaßten Menschen geglaubt hätte, um ihre Kinder zu retten. Doch da kam ihr zuletzt vor dem Tode noch einmal ihre Schönheit zu Hilfe, durch deren Reize sie gelebt hatte.

Dolabella, ein junger Offizier, hatte die schöne Kleopatra in der Ferne verehren gelernt, und obwohl er sie nie gesehen, entschloß er sich, für sie zu handeln, da es kein anderer tat. Da er in der Nähe des Oktavian lebte, kannte er dessen Beschlüsse: in drei Tagen in See zu stechen, die Königin und ihre drei Kinder mit sich nach Rom zu bringen. Mit Gefahr seines Lebens versteht er es, sie im Mausoleum aufzusuchen, von ihren Wachen abzutrennen, ihr zuzuflüstern, was er weiß. Er war der letzte Anbeter der Kleopatra.

Nun weiß sie genug: Arsinoe erscheint vor ihrem Geiste, mit dem gesenkten Blick vor den vier Pferden des Triumphators, in Ketten klirrend, so schritt sie damals dem Kapitol zu, und sie, Kleopatra, sog alle Wonnen der Rache ein. So werden hunderttausend Römer sie selber im Triumphzug sehn, alle verhaßt, alle Plebejer – wie sie neulich ihren Leib abgetastet haben –, keiner aber verhaßter als der, der auf dem Wagen stehen und seine große Rache haben wird. Ihr Entschluß ist gefaßt. Ihre Klarheit ist zurückgekehrt. Alles kommt darauf an, Oktavian durch ihren Lebenswillen zu täuschen.

Sogleich ein Brief, er möge ihr vergönnen, Antonius königlich zu bestatten. Er tut es, und sie, die an diesem Grabe nach ihrer Art geschwiegen hätte, führt für die Zeugen eine Szene auf: »O mein Antonius!« ruft sie im Stile der Tragödin für die, die es Oktavian erzählen werden. »Wie kurze Zeit, daß meine Hände noch frei waren! Jetzt sind sie die einer Gefangenen! Der Tod trennt uns! Du als ein Römer ruhst in ägyptischer Erde! Ich suche mein Ende in deinem Lande! Wenn die Götter der Unterwelt etwas vermögen, flehe sie an, da mich die oberen verlassen haben: bitte sie, daß ich nicht im Triumphe zu deiner Schande gehen muß!«

Andern Tages kündigt man ihr den Besuch des Siegers im Mausoleum an. Sich herzurichten hat sie keine Kraft und keine Stimmung, sie bleibt in ihrem Bett, unfrisiert, in einem langen Hemd, entstellt durch Leiden und Tränen. Jetzt tritt Oktavian ein, mit der höflichen Verbeugung eines Weltmannes. Dann aber stechen die kalten Augen des Feindes nach ihr. Cäsar, der Feind des Cäsar! Ihre Augen finden nur den Feind ihres Sohnes, seine suchen vergeblich nach einem Reiz der berühmten Kleopatra.

Doch nun heißt es, die Rolle gut zu Ende zu spielen: Lebenswillen und Lebenslust, das ist es, woran er glauben muß, wenn sie Zeit gewinnen will, einen Vertrauten und die Schlange. Was haben alle jene getan all die Jahrzehnte, die sie, die mächtige Königin, um Gnade anflehten? Sie warfen sich nieder. Kleopatra steht von ihrem Fieberlager auf und wirft sich in ihrem Hemd dem Römer zu Füßen: das einzige Mal in ihrem Leben, daß sie dies getan. Er rät ihr höflich, sich seiner Milde anzuvertrauen. Da sie weiß, was er in Wahrheit hier sucht, läßt sie eine Liste ihrer Schätze bringen. Oktavian, dem an den Schätzen mehr liegt als an ihr, greift interessiert nach der Liste, und als ihr Verwalter plötzlich erklärt, sie sei nicht vollständig, lacht er. Sie aber, ihren Lebenswillen zu beweisen, stürzt sich auf den Verwalter, bis sie, ermattet, in ihr Bett zurücksinkt.

»Schändlich!« ruft sie aus. »Da klagt mich ein Diener an, ich hätte ein paar Schmuckstücke verborgen! Sie waren für Ihre Schwester Oktavia, für Livia, Ihre Gemahlin, bestimmt, damit diese Frauen Sie gnädig gegen mich stimmen!«

Er versichert sie seiner vollkommenen Hochschätzung, verbeugt sich, geht. Jetzt fühlt er sich seines Triumphzuges gewiß, denn sie will leben, um jeden Preis!

Sie aber hat ein wenig Freiheit gewonnen; wenn nicht die beiden Frauen, so hat der Arzt ihr geholfen. Ein Bauer, so schien es den Wachen, brachte andern Tages Feigen in einem Korbe zu der kranken Königin, und als sie ihn untersuchten, zeigte er ihnen die Früchte oben, nicht die Schlange unten. Sie sieht den Korb, sie ist entschlossen. Jetzt läßt sie sich ein Bad machen, dann von den beiden Frauen mit allen Edelsteinen schmücken, die sie auf ihren großen Festen getragen; die große ägyptische Doppelkrone wird ihr im Haar befestigt. Ein üppiges Mahl wird serviert, es gibt auch süßen Wein. Dann schreibt sie dem Oktavian, er möge sie neben dem Antonius bestatten.

Ihr letzter Gedanke kann nur Caesarion gegolten haben: Ihn wußte sie in Sicherheit, heimlich in seinem Hafen, bald unterwegs nach Indien. Da sich in ihm der Geist des Cäsar und ihr eigener mischten, was konnte dem Jüngling mißlingen! Sein Bild im Herzen griff sie nach der Schlange.

Als Oktavian den Brief gelesen, wollte er zum Mausoleum eilen, bedachte aber seine Würde, kehrte um und schickte einen Offizier. Dieser fand die Wachen in voller Ruhe. Als er eintrat, sah er die tote Königin in allem Glanze liegen, die Krone der Ptolemäer auf dem Haupte. Eine Dienerin war tot, die andere sterbend. Er rief:

»Da habt ihr was Schönes angerichtet!« Das Mädchen erwiderte: »Etwas sehr Schönes, denn sie stammte von Königen.«

Oktavian erlaubte, daß Alexandria sie königlich bestattete an der Seite des Antonius, aber er selber war nicht dabei.

Er hatte nur einen Gedanken: Rasch ließ er den Schatz der Ptolemäer aus den Gewölben holen, packte alles Gold und alle Edelsteine auf sein Schiff. Das hätte sein Großvater, der Wucherer, erleben sollen! Jetzt konnte er alle seine Legionen bezahlen!

Ägypten wurde römische Provinz, die größte Eroberung, seit vor 170 Jahren Karthago fiel. Die drei Kinder nahm er nach Rom. Dort zog sie seine Schwester mit den andern auf; sieben Kinder des Antonius wuchsen unter den stillen Händen der Oktavia auf, die von drei Frauen stammten.

Wo aber war Caesarion? Daß ihm die Königin im Triumph entging, das konnte Oktavian verschmerzen. Der Jüngling aber, jener einzige, der noch in dieser Welt atmete, ihm die Macht zu bestreiten, der mußte fort. Wo war er? Nach allen Seiten, beflügelt von den höchsten Versprechungen, waren seit dem Tage der Einnahme die Boten des Oktavian geschwärmt, die kostbare Beute zu suchen. War es ein Wunder, daß sie ihn schließlich fanden? Er war noch im Hafen Berenice. Dort versicherte ihm ein höflicher Offizier, wie freundlich ihn Oktavian empfangen würde. Er wollte ihn nur vor seiner Abfahrt als König von Ägypten bestätigen: sonst nichts. Sein Lehrer, der Philosoph – war er gutgläubig, war er im Spiele? –, überredete ihn zu folgen. Er tut es und wird von der Flotte vor Alexandria mit Königsehren begrüßt.

Drinnen im Palaste fragt Oktavian, der immer einen Verantwortlichen braucht, den Philosophen Arios, ob er ein Recht habe, Caesarion zu töten. Dieser weiß, was er seinem neuen Herrn schuldig ist, und parodiert den Homer mit den Worten: »Zu viel Cäsaren sind nicht gut!«

Oktavian winkt, und der Jüngling, noch ehe er den Fuß auf den Boden gesetzt hat, auf dem er König ist, wird von gedungenen Mördern erwürgt. Da sinkt es hin, das Pfand des großen Traumes, den einst an diesem Strande ein königliches Paar im Angedenken an den schönsten aller Menschen träumte; es sinkt in klüftereiche Nacht, der letzte Bote Alexanders, den der alternde Cäsar im Schoß der jungen Königin erschuf, um ihm die Erde zu gewinnen.

Jetzt ist alles in Ordnung: Morgen will Oktavian das Land verlassen. Noch ein Befehl: Alle Statuen des Antonius und der Kleopatra sind umzustürzen.

Da läßt sich ein reicher Patrizier melden, Archibius mit Namen: Er bittet, man möge die Statuen der Königin stehen lassen. Auf des Römers zornigen Blick hin winkt der Alexandriner und läßt zehn Säcke mit tausend Talenten in Gold auf den Boden setzen. Diese Sprache versteht der Herr der Welt; er nickt, und der Befehl wird nur an Antonius vollzogen.

Als Oktavian am andern Morgen absegelnd nach der ägyptischen Küste zurückblickt, die ihm soviel Gold gegeben, strahlte ihm vom Vorgebirge Lochias die Bronzestatue der letzten Ptolemäerin entgegen. Er starrte sie an, sie aber sah ihn nicht.

Kleopatra blickte über das Meer, in der Richtung nach Rom.

 

Zeittafel

v. Chr.

 

n. Chr.


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