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Zuletzt bin ich ihr am Nil begegnet, aber da war ihr ganzes Sinnen nach Norden gerichtet, Ägypten blieb ihr beinahe fremd. Drüben, am Mittelmeer, war sie zu Hause, Meerwind weht durch ihre Geschichte.
Von allen Lebensbildern, die ich entwarf, ist dieses durch das fast völlige Fehlen von Zitaten unterschieden. Die intimen Dokumente, Briefe, Gespräche, Memoiren, die ich sonst häufte, um einen Charakter durch sich selbst oder seine Freunde und Feinde zu erklären, hier fehlen sie vollkommen: die Liebesbriefe der Kleopatra, die meisten Privata des Antonius und Cäsar sind als Dokumente verloren; es existieren noch drei Sätze aus einem einzigen Briefe des Antonius. Aber das öffentliche Leben der Königin ist bis auf eine kurze unbekannte Epoche sicher überliefert, und auch das nur, weil die drei Römer in die Weltgeschichte gehören, um die sich ihr Leben gerankt hat.
Und doch ergibt, was sich an Charakterzügen bei dem halben Dutzend antiker Autoren findet, die ihr rasch folgten, ein lebendiges Bild, dem wenigstens eine echte Büste zu Hilfe kommt. Vor allem ist es Plutarch, mein Meister, dem ich hier zum erstenmal unmittelbar folgen kann; denn obwohl ich nach Rasse, Lebenslauf und Bildung dem Mittelmeer und der Antike angehöre, habe ich griechische Gestalten nur dramatisch geschildert, historisch nie.
Im Anblick jener naiv-raffinierten Berichte der Alten erschienen mir alle modernen Historiker entbehrlich; einzig Ferreros große Römische Geschichte und die schönen Bücher über Kleopatra von Stahr und Weigall (1864 und 1927) habe ich gelesen und benutzt. Denn wäre Plutarch auch nicht moderner als alle Analytiker unserer Zeit, so war er doch seinen Gestalten näher, und wenn er schreibt, sein Großvater habe sich noch vom Küchenchef des Antonius in Alexandria die Geheimnisse seiner Braten erzählen lassen, so spricht mich dieser Bericht frischer an als jede Polemik zwischen zwei Gelehrten von heute, deren einer dem andern vorwirft, er habe dem Sueton zuviel geglaubt oder dem Appian zuwenig.
Dem Mangel psychologischer Dokumente verdanke ich die Freiheit, Stimmungen und Selbstgesprächen stärker nachzuhängen, als ich es bei reicheren Quellen durfte. Als ich 1919 mit »Goethe« eine neue Kunst der Biographie begann, habe ich mir zuweilen mit Selbstgesprächen geholfen, auch noch in »Napoleon«, später nicht mehr. Hier aber, bei dieser vollkommenen Leere an psychologischen Quellen, waren Monologe geboten. Die Handlung ist auch hier überall verbürgt, auf die Gefühle aber konnte schon von Plutarch nur geschlossen werden. Und doch ist keine Schlacht, kein Parteikampf und keine Provinz aus jener Zeit für uns von irgendwelcher Bedeutung; nur die Gefühle sind ewig, sie sind zugleich die unsrigen, durch sie allein können wir uns in den Gestalten spiegeln.
Ist damit die Grenze des historischen Romans erreicht, so ist sie doch nirgends überschritten; denn alle die hundert Dialoge, die historische Gestalten vor den Ohren eines hingegebenen Betrachters tauschen, habe ich hier wie überall verschwiegen und bin auch in der Szenenführung den antiken Autoren exakt so weit gefolgt, wie sie eben gehen. Die wenigen Sätze, die in direkter Rede folgen, stehen in den Quellen.
So ist diese vielbewegte Historie fast ganz der Seelengeschichte der Heldin und ihrer drei Römer gewidmet. Freilich wird man hier nicht mehr die Psyche einer großen Amoureuse finden, als die Kleopatra entgegen sämtlichen Quellen in die Legende kam, sondern eine Geliebte und Mutter, eine Kämpferin und Königin. Jenseits aller Formprobleme mögen meine Leser diese Darstellung als einen Beitrag zur Geschichte des menschlichen Herzens aufnehmen, an der ich seit dreißig Jahren schreibe.