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»Nimmt das Weib von dem Manne etwas an,
so gewinnt sie:
denn wenn sie ihre übrigen Vorzüge
durch Energie erheben kann,
so entsteht ein Weib,
das sich nicht vollkommener erdenken läßt.«
Oben, in der offnen Fensternische, im Schatten der Säulen, sitzt eine elfjährige Prinzessin und blickt über das Meer. Die Hände halb gefaltet zwischen dem braunen Lockenkopf und der Marmorwand, die Beine auf Kinderart angezogen, so daß sie auf den Sandalen sitzt, hockt sie in ihrem gelben Seidenhemd, denn viel mehr hat sie nicht an, und der leise Wind bauscht es ein wenig um die kleinen, spitzen Brüste, sie ist schon eine Jungfrau. Im Norden würde sie für fünfzehn gelten, aber wir sind am Mittelmeer, und der Palast steht in Alexandria an der afrikanischen Küste.
Groß ist sie nicht, aber unglaublich leicht, und wenn sie jetzt von ihrem Wachtposten herunterspränge, würde der Eunuch, der dort auf dem Boden kauert, zu spät kommen, um ihr zu helfen, denn da wäre sie längst bei der Tür, so schlank und behend ist die kleine Prinzessin. Aus seiner Schattenecke kann er sie ansehen und sich einbilden, daß sie es nicht merkt. Ach, sie merkt alles rings um sich her, und während ihr goldbrauner Blick dem großen Segel draußen folgt, das eben am Leuchtturm vorüberzieht, hat sie drinnen das feuchte Auge des kauernden Sklaven erhascht und zugleich das Knistern des Seidenüberzuges unterschieden, an dem er leise den braunen Rücken reibt; was er fühlt, kümmert sie nicht, er ist nur ein Sklave, ein Tier, er ist kein Mann. Zugleich hat sie etwas wie Teer gerochen und geschlossen, daß unter ihrem Fenster im Gewölbe die nassen Taue aufgehängt werden, mit denen man gestern ihre kleine Lustjacht an die Stufen zog.
Unbeweglich, wie eine stumme Klage, ruht der feuchte Blick des zerstörten Menschen auf der Prinzessin. – Sie ist weiß, denkt er. Berenice, die Schwester, ist gelblich, und der Vater, der König, beinah schon braun. Aber so weiß wird sie nicht bleiben, die Liebe und der Wein werden sie schon färben. Warum wohl die Nasenflügel zittern? Jetzt denkt sie sicher nach, wie man die Schwester am leichtesten vergiften könnte. Wenn sie's mir anvertraute, täte ich's gleich: ihre Stimme allein kann einen verrückt machen. Das war mein Vater, der ihren Großonkel damals umgebracht hat. Am Ende ist er dafür geköpft worden. Einmal muß man doch sterben. – Und er starrt auf die Prinzessin.
Unbeweglich sitzt sie, die Hände hinter den Locken halb gefaltet, die kleinen Füße angezogen, so blickt sie über das Meer: wenn sie das Segel des Vaters erkennen wird, dann wird ihre Gefangenschaft enden! Aber vielleicht haben sie ihn längst umgebracht, in Rom oder auf dem Meere? Nun, dann kommt vielleicht morgen ein lateinisches Segel und bringt einen Römer in den Hafen, mit kurzem Wams und kurzem Schwert, mit den scharfen strengen Zügen, um die Teufelsschwester abzusetzen, sie selber aber in ihres Vaters Namen zu befreien.
Von Rom kommt alles Heil und Unheil, denkt sie. Warum von Rom? Geht nicht die halbe Ernte in jedem Frühjahr hier aus dem Hafen auf den langen Seglern nach den italischen Häfen? Die schönsten Gewebe, herrliche Amethyste, die das Geheimnis des Dionysos bergen, das goldgelbe Ambra und Moschus und Weihrauch, alles, was hier im Hafen eingelaufen und hoch bezahlt worden ist, kaum ist es da, wird es umgeladen und geht auf den langen Seglern nach Rom. Was zahlen die dafür? Alle paar Jahre muß der Vater große Barren Gold aus den Gewölben heben lassen – und fort auf die Schiffe, und dann segeln wieder tausend Talente nach Rom. Je mehr sie von uns kaufen, um so mehr müssen wir ihnen bezahlen. Warum?
Jetzt sitzt der Vater schon wieder zwei Jahre drüben in dem Landhause des Pompejus und schachert, wieviel er zahlen muß, damit er die Krone behalten darf. Wer sind sie eigentlich, die immer fordernden, immer drohenden Männer? Auf der Münze sah er recht plebejisch aus, der große Pompejus! Cäsar, der andere, soll besser aussehen, aber von dem gibt's noch keine Münze. Alles heraufgekommene Händler und Krieger! Und wir, die wir von Alexander stammen, dreihundert Jahre aus einem Geschlechte von Königen, Nachkommen der Götter und ihre Stellvertreter auf Erden, wir müssen betteln gehen nach Rom, damit sie uns in unserem Palaste dulden! Da fährt schon wieder ein Kornschiff die Mole entlang, das werden sie wieder nicht bezahlen!
Plötzlich erkennt die Prinzessin den Grund: sie stellt sich das gedunsene Gesicht ihres Vaters vor Augen; wie unköniglich er sich hier in seiner Hauptstadt gebärdet hat, wie er sich zu den Spielleuten setzt, auf der Straße die Flöte spielt und seine Sklaven nach seiner Pfeife tanzen läßt. Gibt es ein Kind in der riesigen Stadt, das den König nicht Auletes nennt, den Flötenspieler? Gibt's einen Vornehmen, der seinen König nicht schon betrunken durch die Straßen wanken sah? Wie viele Weiber haben ihm nicht auf die Finger geschlagen, wenn er nach ihren Brüsten griff! Da ist es kein Wunder, daß sie ihn kurzerhand abgesetzt und Berenice zur Königin erklärt haben, die älteste Tochter, die er, selber ein Bastard, man weiß nicht, mit welcher dunklen Sklavin, gezeugt hat.
Vergiften! denkt die Prinzessin, so wie es andere Ptolemäer gemacht haben. So wie der vierte Ptolemäus Bruder und Schwester erwürgt hat. Immer, wenn ihr Lehrer in der Geschichte ihres Hauses einen plötzlich sterben ließ, war's eine Verschwörung. Sie weiß Bescheid, sie hat noch andere Quellen.
Einen Taschenspieler zum Vater, zum König zu haben, denkt sie weiter. Eine Mutter, verschollen, niemand weiß, wer sie war. Eine Hure zur Schwester und Königin! Können dann die Sklaven, kann das Volk noch glauben, daß der König das lebende Bild des Gottes Amon sei, der Erwählte des Ptah, wenn er im Purpur, die Königsschlange auf der Stirn, zum Tempel fährt? Können die Gelehrten ihn noch in ihren Schriften feiern, seit er den weisen Demetrios, dessen Ruhm durch die Welt hallt, mit dem Tode bedrohte, wenn er sich nicht sofort auf offener Straße besaufe?
Da kommt Demetrios. – Wie tief er die schöne Stirn beugt, fast bis zum Boden! Er spricht das schönste Griechisch in der Stadt, so viel weiß er von den Göttern und den Elementen, und wenn er es mit milder Stimme seiner Schülerin vorträgt, fragt sie sich, ob der Geist nicht wirklich mehr wert sei als die Krone, so wie sie's der jüdische Philosoph gelehrt hat; aber dann lächelt sie heimlich und glaubt es nicht.
Doch man muß lernen, alles, was die Griechen wissen, muß man lernen, damit man einst den Römern gewachsen ist, die nichts wissen und nur kämpfen können! Alle Weisheit und alle Schönheit stammt aus Athen: das lehren sie heute morgen wieder die drei Gelehrten, die in den Palast kommen, denn sie ist unersättlich nach Wissen, lernt mehr, als ihre Väter gelernt haben, und viel mehr, als ihre ältere Schwester und die drei jüngeren lernen. Das ganze Museion weiß es, daß im Palaste nach hundert Jahren wieder einmal eine Prinzessin lebt, die alles wissen möchte, alles im Fluge fängt und behält, was sie sie in dem großen Saal an Zeichnungen und Apparaten lehren: Mechanik und Schiffbau, Skelette und den Körper des Menschen, Münzen, viele Münzen, aus denen sie Gesichter verstehen lernt, dazu ein halbes Dutzend Sprachen vom Mittelmeer. Am liebsten steht sie vor der großen Karte, und wenn ihre feste Hand, die nie zittert, mit dem Nagel eine Linie vom Nildelta nach Osten zieht, und das macht sie oft und preßt dabei die Lippen aufeinander, so umreißt sie Syrien, Kappadozien, Epirus, wohl auch noch Brindisi, aber dann krallt der Nagel sich quer durch Italien und schnellt südlich direkt nach Hause, als fordere sie das ganze östliche Mittelmeer mit ihrer Heimat verbunden: alle Küsten unter Ägypten! Nur Rom umkreist ihr Finger nie.
Und doch ist ihr Ägypten nur ein Name: sie kennt das Land dort oben am Nil sowenig, wie ihre Väter es kannten, sie lebt nicht in seinem Kultus, in seinen Göttern, der Nil ist ein fremdes Gewässer, das man hier draußen auf der Lagune vor dem weiten Mörissee nicht mehr sieht. Denn Alexandria liegt nicht mehr am Nil wie Memphis; es liegt am Meere der Griechen. Was sie fühlt, die Sprache, in der sie träumt, was sie lernt und wie sie's deutet, die Väter, die Bauten, der Trubel des Hafens mit seinen hundert Sprachen und Rassen, alles ist griechisch geleitet, und wenn sie durch die hallenden Säle des Palastes läuft, mit ihren leichten, hingetupften Schritten, dann blicken sie die Büsten der Ptolemäer an, zwar nicht mehr mit der klassischen Nase, aber in athenischer Form, in Haltung und Stil nachahmend den Großen Alexander, der damals an dem wüsten Strande landete, sich umsah und beschloß, hier die Hauptstadt der Welt zu begründen. War sie es nicht heute noch?
Abends ist die Prinzessin auf das flache Dach des Palastes gestiegen: dort kann man fast so weit Umschau halten, wie es der Leuchtturm tut, vielleicht bis nach Zypern, bis nach Griechenland, vielleicht bis nach Rom! Jetzt träumen die verankerten Schiffe. Sie träumen von ihrer Ladung, vielleicht ist es Glas und Papyrus, von ihrer Fahrt durch das blaue Meer, vom nächsten Hafen und den rauhen Händen, die sie an Tauen fassen und dann mit Gepolter löschen werden; sie träumen von ihrer ungewissen Zukunft, der großen Frage der Stürme, die schon warten, um sie zu vernichten, die Schiffe, Boten von einer Rasse zur andern, Träger des Handels, des Krieges und der Macht, immer der Gefahr entgegensegelnd, denn wenn sie je lange im Hafen verbringen, müßten sie faulen und sterben.
Ihrem Wasserpfade folgt die Prinzessin auf dem Dache des Palastes, aber sie träumt nicht mit ihnen. – Einst, so spricht ihr heißes Herz, einst, so sagt ihr heller Verstand, will ich auf einem dieser schnellen Segler an die Küste von Syrien und Kappadozien fahren, gefolgt von 600 dreideckigen Galeeren, nach Ephesus, Korinth und nach Athen! Alle Inseln in den großen Buchten werden mein sein! Berenice wird bei den Schatten sein, und ich werde die Krone mit der Königsschlange tragen, Aphrodite und Isis, und auf meinem Ring das Siegel wird sagen: Kleopatra die Siebente, Königin von Ägypten. Dann wird nur noch Rom in der Welt sein neben mir – und dann wollen wir einmal sehen, ob das Korn Ägyptens weiter diesen Italikern zusegeln soll, und wenn es segelt, ob sie nicht Gold dafür nach Alexandria senden werden, statt es zu holen, Gold und große Huldigung aus dem binnenländischen Rom in die strömende Hauptstadt der Erde!
Nächtlich versinken solche Zukunftsbilder des Ostens mit der Abendsonne im westlichen Meere.
Was sie aus Rom erfährt, bald durch die Philosophen, bald durch den Hauptmann, durch einen Eunuchen, ist dunkel und verworren, so wie die Vergangenheit ihres Vaters, so wie die Gegenwart der römischen Republik, die eben untergeht.
Sie wußte, was in den zehn Jahren ihres jungen Lebens vorgegangen war: Ein Ptolemäer hatte, dreizehn Jahre vor ihrer Geburt, Ägypten dem römischen Volke vermacht, aber der Senat hatte die Erbschaft nicht antreten wollen: so groß war die Eifersucht aller gegen alle, die dieses reichste Land zu verwalten berufen werden konnten. War nicht ein schwaches Königreich am Nildelta ungefährlicher als ein starker römischer Prokonsul? So hatte man lieber zwei illegitimen Söhnen jenes königlichen Erblassers Ägypten und Zypern übergeben, auf ihre Wüstheit vertrauend: je mehr man von ihnen erpreßte, um so schwächer würden sie werden. Jeder der drei oder vier Machthaber in Rom wartete heimlich auf den Tag, der ihn stark genug finden würde, das wunderbare Land zu fassen und zu halten, von dem sich Rom in Fabeln mehr als in Rechnungen zu unterhalten liebte.
Dann hatten die großen römischen Herren den flötespielenden König alle paar Jahre erwischt und, gleich den Katzen, wieder laufen lassen, dann wieder Gold aus dem sagenhaften Schatze der Ptolemäer holen, ihn wieder zahlen lassen, bis ihn schließlich zur Belohnung Volk und Senat von Rom endgültig anerkannten. Man schrieb das Jahr der Stadt, das dem Jahr 59 entsprach; Cäsar war Konsul. Aber er war noch lange nicht mächtig genug, um einen andern Machthaber, Clodius, seinen Feind und Rivalen, zu hindern, daß er, unzufrieden mit einer Bestechung, den König von Zypern absetzt, Bruder und Vasall des Ägypters. Sein Schatz wurde eingezogen, Zypern römische Provinz, aber der ägyptische König tat, als ginge ihn Zypern nichts an. Vielmehr suchte er gerade jetzt dem Lande 30 Millionen Goldfranken auszupressen, um damit Cäsars Partei in Rom zu bezahlen, ohne den Schatz seines Hauses anzugreifen.
Da brach ein Aufstand los in Alexandria: jetzt konnten die Großen des Palastes und der Stadt, Priester und Junker, Grundbesitzer und Hofbeamte, jetzt konnten sie leicht das immer labile, neuerungslustige Volk der Weltstadt von der Verächtlichkeit ihres Königs überzeugen. Er flieht nach Rom, Berenice, die älteste Tochter, wird von ihrer Partei zur Königin erhoben. Sein Bruder aber, jener König von Zypern, nimmt Gift und stirbt.
Staunend hatte die zehnjährige Kleopatra vor dieser Nachricht innegehalten. Viel Blutiges hatte sich in der Geschichte ihres Hauses zugetragen, durch 250 Jahre waren einander dreizehn Ptolemäer gefolgt, beherrscht oder verfolgt von ihren Frauen und Kindern, ganz wie die Pharaonen, ihre Vorgänger am Nil. Gift und Dolch hatte sie in den Schicksalen ihrer Väter wüten sehen, wie Brüder ihre Schwestern aus dem Leben rissen, Prinzen ihre Väter, Königinnen ihre Gatten, die zugleich ihre Brüder waren: alles um Macht, alles um ein gesteigertes Leben, oft nur, um nicht selber erschlagen zu werden. Von eigener Hand aber war noch keiner gefallen! Nun hob ein später Erbe dieses in Schande versinkenden Geschlechtes noch einmal das Zeichen des Stolzes empor. Aus einer verfallenden Dynastie erhob sich noch einmal ein männlicher Nachfolger jener Griechen, die die Legende verherrlicht hatte und deren Verse dem entthronten Inselkönig nachklangen, als er den Giftbecher nahm. Betroffen stand die Prinzessin. Hatte sie ihren Vater verachten gelernt, der sich die Macht von einem Lustrum zum andern in Rom erschacherte, nun mußte sie seinen Bruder verehren. Es war also doch wahr, was sie die Philosophen des Museion lehrten, noch heute gab es etwas über der Krone und über dem Golde. Die zehnjährige Kleopatra erkannte, daß der Stolz eines Königs noch schöner sei als die Macht; tief in ihre junge Seele senkte sich und verharrte für immer diese große Erfahrung, daß Knechtschaft, wie die ihres Vaters, unwürdig sei und Gift eine schnelle Erlösung.
Sie aber, in ihrer jungen Lebenskraft, war entschlossen, die Knechtschaft zu überwinden, in der sie ihre Schwester hielt. War Berenice glücklich? Der erste Mann, der bei ihr schlief, irgendein Vetter, den man ausgewählt, damit er König hieße und für Kinder sorgte, war so verdorben, daß er, dem Willen des Hofes gemäß, bald getötet werden mußte. Der zweite, den sie nehmen mußte, war besser, aber war dieser vorgebliche Sohn des Perserkönigs nicht doch vielleicht ein Abenteurer? Wer waren überhaupt diese Perser, die immer in engen Hosen herumgingen, gut reiten konnten, aber von griechischem Geist, von den Feinheiten des Lebens nichts verstanden? Und war er frei und nicht von den Eunuchen abhängig, die den Palast regierten? Liebte oder verachtete er seine Frau? Lebten sie einen Tag ohne Furcht vor Rom? Fordernd und frech lag das unsichtbare Rom im Norden, jeden Tag konnte es kommen, sie töten, alles rauben, alles zerstören.
Es war der Weg der Schmach, den ihr Vater ging; aber da man nicht gegen Rom regieren konnte, so mußte man sich mit ihm vertragen, das fühlte die Prinzessin. Das fühlten auch die Alexandriner und ihr Königspaar. Deshalb sandten sie dem abgesetzten König hundert vornehme Bürger nach, um Rom zu einem Bündnis mit ihrer Partei zu bewegen. Monat um Monat verstrich, nichts hört man von der Gesandtschaft; die einsame Prinzessin ist beinahe die einzige in Alexandria, die auf Abweisung jener Gesandten hofft; denn nur, wenn ihr verachteter Vater in Rom siegt, kann sie selber der Krone entgegenhoffen.
Als dann nach dem schiffelosen Winter die ersten Segler wieder am Pharos herangleiten, erfährt sie mit der ganzen Stadt, Auletes habe die Gesandten in Italien einzeln töten lassen. Doch die ungeduldige Prinzessin hat schon ihren eigenen Späher, sie hört noch manches, was andern verschlossen bleibt: ihr Vater habe 6000 Talente aus seinem Schatze geboten, wenn man ihn wieder einsetzte, Rom sei jetzt arm nach seinen verlorenen Perserkriegen, Cäsar und Crassus, Crassus und Pompejus intrigierten gegeneinander, wer wohl Ägypten nehmen sollte und den Schatz der Ptolemäer, um damit Herr über seine Rivalen zu werden. Alles kommt darauf an, daß jetzt ihr Vater so viel zahlt, um nicht als unterworfener, sondern als verbündeter König aus Rom zu scheiden.
Da kommt schon neue Kunde über das Meer! Jetzt, heißt es, steigert sich in Rom der Endkampf zum politischen Kernstück; Cäsar, aus Gallien zurück, habe durch sein »Julisches Gesetz« den flötespielenden König zum »Verbündeten und Freunde des römischen Volkes« erklären lassen. Doch zugleich haben die schlauen Herren ihren neuen Freund und Verbündeten in Millionenschulden bei römischen Wucherern gestürzt, damit er sie am Ende nicht bezahlen und schließlich doch erliegen soll.
Schon bildet sich um die unterdrückte kleine Prinzessin ein Kreis von Schlecht-Weggekommenen, die einen neuen Umsturz wünschen, Auletes läßt geheime Weisung geben, man solle der kleinen Kleopatra folgen, und während der schlaue und feige Ptolemäer in Rom seinen Thron zurückerbettelt, rüstet sich hier im Palaste der Königin ihre schweigende Schwester und denkt nach, wie man die Römer benutzt, um aufzusteigen.
Eines Tages ist es soweit. Irgendein römischer Feldherr in Syrien, der seine Kohorten nicht mehr bezahlen kann, bricht auf, um sich 12 000 Talente zu holen, den Preis, den der Flötenspieler für seinen Thron zuletzt aussetzen mußte. Von Gaza marschieren ein paar tausend Soldaten durch die Wüste nach Pelusium im östlichen Delta, dort, wo drei Jahrhunderte zuvor Alexander und wo in früheren Jahrtausenden manch persischer, hebräischer, assyrischer Feldherr an den Nil gezogen kam.
Endlich war die Erlösung da – wenn auch durch verhaßte Römer. Die Pulse der Prinzessin schlugen, wie sie sich bald vor der mächtigen Schwester versteckte, bald zwischen der neuen Partei fordernd erschien. Nun hörte Alexandria den Kampf der heranreitenden Fremden immer näher dröhnen, die Tore der Weltstadt springen auf, die Fliehenden verstecken oder ergeben sich. Jetzt sah Kleopatra das verwüstete Gesicht ihres Vaters wieder, wie er, geschützt von fremden Legionen, sich Thron und Heimat wiedernahm; sie sah den entstellten Leichnam des jungen Königs, die Unterwerfung der Vornehmen und der Priester, die wehrlose Haltung der ewig neugierigen Alexandriner und wie sie dem einst verjagten, alten König schon wieder ihre Treue versicherten. Endlich sah sie auch den Kopf der verhaßten Schwester, vom Vater verurteilt, in den Sand rollen: Bedingung ihrer eignen künftigen Macht! Niemand stand mehr zwischen ihr und der Macht als ein alter, erschlaffter Verbrecher, den sie ihren Vater nennen mußte. Ein Tag des schweigenden Triumphes, als ihre Schwester umkam.
Noch höher schlägt das stolze Herz der kleinen Prinzessin, als sie die fremden Soldaten genau ins Auge faßt. Dies also sind die Römer? Dies das römische Heer? Blonde, wüste Germanengesichter, Männer, die ihr in keiner Zunge Antwort geben, kleine, wildblickende Asiaten, großäugige Juden, niederstirnige Byzantiner: so zerrüttet erschien das römische Heer in Afrika. Die schlechtesten Römer, nicht die besten bekam die Prinzessin zu sehen, die Rom so sehr mißtraute – und ihre alte Furcht begann zu weichen.
Und doch, zugleich stieg ihr Erstaunen. Ein Reiteroberst, derselbe, der Pelusium genommen und auch den Schlag vor der Hauptstadt geführt hatte, saß nun bei ihrem Vater im Palaste zum Mahle. Geehrt wie der Feldherr, schien er diesen in jedem Zuge zu übertreffen. War dies ein Römer, nun, das war ein Mann! Die weite Tunika sehr tief gegürtet, das große Schwert noch immer neben sich, halb saß, halb lag er da, mit seinem Herkuleskopf, dem kurzen Bart, der großen Adlernase. Schweigend revidierte die forschende Prinzessin ihr Vorurteil gegen die Römer.
Der Reiteroberst merkte die Unruhe der schönen Prinzessin nicht. Kleopatra war vierzehn Jahre, er siebenundzwanzig, als sie sich an diesem solennen Königsfeste zum ersten Male begegneten. Berge und Ströme, Meere und Städte mußten in Aufruhr geraten, das Schicksal eines Helden mußte sich steigern und erfüllen, bevor sich diese beiden Menschen nach dreizehn Jahren wieder treffen sollten. Vielleicht wäre es nie geschehen, hätten sie jetzt mehr miteinander getauscht als Worte und Blicke; vielleicht hätte die Begierde, zu blühen, Früchte zu tragen, später, zur Zeit ihres Sommers, sie nicht ineinandergeworfen, wenn sie schon damals, bei diesem kurzen Besuche, ein Frühlingswind zueinanderwehte. Dort saßen sie bei Tische, Aphrodite gleich der Mondsichel, der frische Herkules mit Jünglingszügen, beide gleich fern den reifen Göttern, die sie einst darstellen und spielen sollten: eine zarte griechische Jungfrau, ein römischer Offizier, Antonius und Kleopatra.
Drei Jahre später war sie Königin.
Kleopatra übernahm Ägypten im Zustande der Auflösung. Auch diese letzten Jahre hatte der königliche Flötenspieler in ständigen Schiebungen verlebt. Ein römischer Finanzminister hatte de facto alles beschlagnahmt, und als ihn der König wegjagen mußte, war die Losung in Rom, jetzt endlich müßte das Reich Ägypten, so wie die meisten andern Küsten des Mittelmeeres, annektiert werden. Damals wäre es römische Provinz geworden, wäre nicht in demselben Jahre Crassus auf seinem persischen Feldzuge mit dem ganzen Heere vernichtet worden. Rettete sich durch diesen Zufall das Land vor Unterwerfung, so war es doch in jedem Betracht zerrüttet, als der ruhmlose König starb.
In feierlichen Anrufen hatte er das römische Volk zum Vollstrecker seines Letzten Willens ernannt, denn als er die siebzehnjährige Kleopatra und den zehnjährigen Ptolemäus zur gemeinsamen Herrschaft einsetzte, zugleich nach pharaonischem Brauche die Ehe beider Geschwister fordernd, mußte er nach den Sitten dieses Palastes die Intrigen fürchten, die sich um seine beiden jüngeren Kinder gruppieren würden: die dreizehnjährige Arsinoe und einen zweiten, kleinen Ptolemäus. Wer von den vieren würde den andern unterdrücken, verbannen oder ermorden? Welche Partei würde solche Taten vorbereiten? Wie einen Gott, so flehte dieser Ägypter den römischen Senat an, er möge für Frieden und Ordnung sorgen, Rom, die große Schicksalsmacht, die über kurz oder lang Ägypten besiegen mußte oder ihm die Weltherrschaft lassen.
Die Ehe mit dem kleinen Bruder hat Kleopatra nicht vollzogen. Was sie zwischen siebzehn und einundzwanzig getan, ist unbekannt; es ist die einzige Lücke in der Geschichte ihres Lebens. Und doch geschah nichts weniger, als daß man sie vom Throne stieß und daß sie auszog, ihn wieder zu erlangen. Aus einer einzigen Begebenheit, die uns ein antiker Autor erhalten, läßt sich auf ihre Regentengefühle schließen:
In ihrer frühesten Regierungszeit hatte ein römischer Prokonsul von Syrien seinen Sohn nach Alexandria gesandt, um die Truppen zu holen, die noch aus der Zeit des Antonius als römische Besatzung dort geblieben waren; er fand statt geordneter Verbände verwilderte Horden, meist von Germanen und Kelten, vor, die dort mit ihren ägyptischen Frauen sich's wohl sein ließen und keine Neigung hatten, sich im nächsten Perserkriege töten zu lassen. Statt dessen schlugen sie jenen Offizier tot und verjagten seine Begleiter. Was tat die Königin? Mußte sie in ihrem Stolze nicht froh sein, den hochmütigen Befehl des fernen Römers von diesen ihren Halbuntertanen durchkreuzt zu sehen? Kleopatra war nicht die Herrscherin, die ihren Gefühlen nachlebte; sie ließ vielmehr die Mörder fangen und schickte sie in Ketten dem römischen Prokonsul, dem Vater des Ermordeten, nach Syrien zu.
Aber was muß sie erleben! Der mächtige Römer lebt auch nicht nach seinen Gefühlen. Statt sich an den Mördern seines Sohnes grausam zu rächen, schickt er sie wieder zurück und läßt der Königin sagen: Römer zu verhaften hätten nur der römische Senat oder seine Beamten ein Recht. Eine bedeutende Lehre für die stolze Kleopatra. Was wird sie daraus lernen?
Nicht lange, und aufs neue landet ein römisches Schiff, Gnaeus Pompejus steigt heraus, der Sohn des Diktators, mit dem Auftrage, dieselben Truppen für seinen Vater abzuholen. Jetzt sind die Horden gleich bereit: diesmal sollen sie unter dem größten Feldherrn ihrer Zeit und nun gar gegen Cäsar kämpfen! In diesem großen Endkampf um die Macht muß man sich eilen, auf die Seite des Pompejus zu treten. Kleopatra hört es, sie läßt die Truppen frei, ja schenkt dem Römer fünfzig Schiffe, um die Mannschaft fortzuführen. Freilich, Pompejus hat als Boten einen Sohn geschickt, jünger und noch eleganter, als damals jener Antonius gewesen ist. Wenn alle Römer wären wie dieser! Siegt jetzt der Vater, so hat sie einem alten Freund ihres Hauses sich gefällig erwiesen.
Von Pompejus' Rivalen dagegen, von Cäsar, hatte der Flötenspieler zur Tochter immer nur zweideutig gesprochen. Was von Cäsar als Legende über das Meer gedrungen war, schien fesselnder, als was sich von Pompejus die Welt erzählte; aber sie hatte keine Münzen von ihm gesehen, während der andere ihr doch das schönste Abbild, einen verjüngten Pompejus, zugeführt hatte. Das war, wo nicht Klugheit, doch ein guter Zufall, denn als Zuschauerin des großen Wettkampfes sah Kleopatra in beiden Feldherrn zunächst nichts als zwei alte Herren vor sich.
Der sonderbare Besuch dieses jungen Römers war ein willkommener Vorwand für den Palast, die junge Königin anzuschwärzen. Sie war also mit den Römern im Bunde und lieferte ihnen Ägyptens Flotte aus! Ein paar elegante Offiziersbeine hatten es ihr angetan! Was mußte man nicht von einer solchen Herrscherin fürchten! In Wahrheit war der Kamarilla diese Jungfrau zu stark, zu denkend und viel zu selbständig. Den Knaben, der mit ihr regierte, konnte man lenken, er war mit seinen zwölf Jahren eher zurückgeblieben. Was war leichter, als ihm zu zeigen, wie ihn die Schwester verachtete! Versagte sie sich nicht trotzig der Ehe? Ließ sie diesen jungen Gatten nicht mit heißem Kopfe vor ihrem verriegelten Schlafzimmer stehen? Der Palast wußte alles. In kurzem gelang es seinen drei Mentoren: einem Eunuchen, einem Philosophen und einem General, Palast und Armee, die Vornehmen und das Volk zum Aufstande gegen eine Königin zu reizen, die das Land an die Römer verkaufte.
Wie es geschah, weiß niemand mehr zu sagen; nur daß eines Tages die zwanzigjährige Königin entfliehen mußte. Nach Rom? Senat und Volk von Rom waren ja als Garanten jenes Testamentes angerufen, das sie zur Mitherrschaft bestimmte. Aber die junge Kleopatra, die ihren Gefühlen nicht nachlebte, wenn es Interessen galt, war nicht das Wesen, Interessen dort nachzuleben, wo ihre Gefühle beleidigt wurden. Sollte sie die Römer anrufen, sie heimzuführen wie ihren Vater, den sie darum verachtete? Lieber durch Gift sterben wie sein Bruder, wenn alles verloren war!
Kleopatra floh mit wenigen Truppen zum Roten Meer. Dort waren Araber und andere Stämme, deren Sprachen, deren Parteien und Eigenheiten sie studiert hatte. Dort hat sie auf eigene Faust ein Heer gesammelt, entschlossen, dem Heer ihres Bruders und seiner Einbläser entgegenzutreten. Kannte sie nicht die Schwäche dieser Truppen? Die Unbeständigkeit jenes Generals Achillas, der die Macht in der Hauptstadt hatte? So, eine neue Amazone, zog sie mit ihren eigenen Truppen gegen Pelusium, ein Stück am Nil entlang, ein Stück durch die Wüste. Vom Westen zog ihr Achillas entgegen. Dort, am östlichen Ende Ägyptens, sollte eine Schlacht die Herrschaft über das älteste Reich entscheiden.
Und doch blickte die Welt damals nicht nach dem Nil. Sie blickte nach Griechenland, denn dort standen sich zwei weit gewaltigere Heere gegenüber, auch sie zur Schlacht gerüstet, nur um einen größeren Preis! Nicht eine Amazone und ein Rudel Abenteurer, dort stellten sich die beiden größten Feldherrn ihrer Zeit auf, um die Weltherrschaft zu gewinnen; denn eine dritte Macht war damals nicht zu sehen. Während sich die ptolemäischen Geschwister am Nildelta rüsteten und ausspionierten, schlug Cäsar den Pompejus bei Pharsalus. Er schlug ihn ganz und gar, und diese Kunde flog an den Küsten des Mittelmeeres entlang, daß alle erbebten, denn bis gestern hatte Pompejus für unbesiegbar gegolten. Sie drang zum Nil. Die beiden feindlichen Königskinder erschraken und warteten. Dicht auf die erste Kunde folgte die zweite, fast noch erstaunlicher, sie traf zuerst bei der legitimen Regierung ein. Der gewaltige Römer, noch vor ein paar Jahren mächtig genug, den König von Ägypten ein- oder abzusetzen, war als ein Flüchtling im Anzug, um mit 2000 Soldaten, den armen Resten seiner glänzenden Armee, beim Sohne des Flötenspielers Asyl und Hilfe zu suchen. Einen Monat nach der verlorenen Schlacht ging Pompejus in Pelusium an Land.
Er wollte an Land gehen, aber im Kriegsrate der Götter und der Menschen war es anders beschlossen, Pothinus, der Eunuch, der in Wahrheit gegen Kleopatra die Regierung führte, beschloß, den geschlagenen Römer gleich zu ermorden: damit verbinde man sich Cäsar, dem neuen Herrn der Welt, und brauche keine fremden Heere auf heimischem Boden kämpfen zu sehen. Dicht vor der Küste kommt dem Pompejus auf einem schnellen Boote der ägyptische Feldherr entgegen, mit ihm gedungene Mörder.
Der Strand ist seicht, man kann nicht landen, heißt es. Die Frau, Cornelia, in Vorgefühlen, erschrickt und warnt ihren Mann. Pompejus aber sieht das Ufer voll römischer Soldaten, steigt in das Boot, nicht leicht, denn das Meer geht hoch, das Boot ist klein, und er ist sechzig. Beim Landen wird er von hinten erdolcht. Seine Frau sieht es vom Deck der Galeere, sie sieht auch noch, wie ihm der Kopf vom Leibe geschlagen wird, sie schreit und flieht. Kopf und Ring werden aufbewahrt, der Körper wird ins Meer geworfen.
Drei Tage später landete Cäsar, Pompejus' Feind und Besieger, in Alexandria. Er forderte durch Boten das streitende Königspaar in seinen feindlichen Lagern auf, sogleich zurückzukehren: er sei gekommen, um in Ägypten Ordnung zu machen.
Ordnung? dachte Kleopatra in ihrem Zelte. Sie warf sich auf die letzten Kissen, die in dem kriegerischen Durcheinander schmucklos und nicht gerade weich auf die Erde gebreitet waren. Nach ihrer Gewohnheit, wenn sie vor einem Entschlüsse stand, blieb sie lange auf dem Bauch und unbeweglich liegen, nur Brust und Kopf durch aufgestützte Ellbogen erhebend, um frei zu atmen, zu denken. Es war ein fliegendes Heerlagers, mit dem sie wochenlang ihre geringen Truppen den Bewegungen des feindlichen Bruders hatte anpassen müssen, immer am Rande der Wüste; dieses Soldatenleben hatte die Amazone nur gestärkt.
Ob sie nach heißen, gefährlichen Tagen des Nachts in ihrem Zelt einen Liebhaber hatte, wissen wir nicht; die antiken Historiker und Dichter, fast alle von der Partei ihrer Gegner und deshalb voll von Bosheiten, berichten bis zu jener Zeit keine Liebesgeschichte der Kleopatra. Doch mögen sie ihr damit Unrecht tun: ihre einsame Lage, Klima und Abenteuer, ihre Reife und ihr Mund machen Aphrodite als einundzwanzigjährige Jungfrau unwahrscheinlich. Aber das kriegerisch Jünglinghafte ihres Wesens drängte in der Jugend alle Wollust in die Ecke: rasch griff sie nach dem, was ihr Blut begehrte, um es wieder abzuschütteln, Herz und Kopf blieben kühl. Da lag sie nun in ihrem Zelt, entschlossen, das große Ereignis durchzudenken: ihre Hauptstadt besetzt von einem Römer, dessen erste Bewegungen die Späher ihr seit ein paar Tagen hinterbrachten; ihr Mitregent, Bruder und Gatte, nur ein paar tausend Schritte entfernt, im befestigten Lager am Nil, mit Wasser und einem fruchtbaren Hinterland im Rücken, ihr weit überlegen; sie selber von ein paar tausend Wilden umgeben, deren Speere und Pfeile sie so lange schützten, bis ein reicher Heerführer kam und ihnen Geld bot, die flüchtige Königin in ihrer Mitte auszuliefern oder umzubringen. Ihr Bruder würde dem Rufe des Römers folgen; denn wie konnten seine Ratgeber wagen, dem mächtigsten Feldherrn, der jetzt ohne Rivalen das Weltreich darstellte, ein Heer von Abenteurern vor die Stirn zu stellen, die selber zur Hälfte römische Soldaten waren! Er wird nach der Hauptstadt eilen, den Fußfall tun wie sein Vater, Gold zahlen, und seine Truppen unter dem Befehle des Römers werden die ungehorsame Königin mit einem Handstreich nehmen.
Wie aber, wenn das nervöse Volk von Alexandria sich gegen den Fremden erhob? Nur mit 34 Schiffen soll er gelandet sein, konnte also keine 4000 Mann mit sich führen, und ihr Bruder hat 20 000! Hielt man den Römer nur eine Weile hin, so konnte man seine Verstärkungen aus dem römischen Syrien zurückhalten. Hätten sie ihn nur gehindert, zu landen, die Schurken, die ihr König zum Schutze zurückgelassen! Aber er kam, so sagt der Bericht, stellte mit echt römischem Hochmut seine Liktoren auf mit Beil und Rutenbündel und zog durch die Hauptstraße ein, alles mit einer barschen Musik, mit finsteren Mienen, gleich hinter der Spitze der Feldherr selber mit einem goldenen Helm. Dann aber kam der Tumult.
Wie mag der Lärm begonnen haben? denkt Kleopatra und erinnert sich, was sie zu Hause früher gesehen. – Sicher hat irgendein römischer Emigrant zuerst gepfiffen, drei andere haben ein Schimpfwort hinübergerufen, dann haben sich dreißig aufgemacht, eine kleine Truppe abgetrennt und einen von diesen frechen Römern erschlagen. Dann haben sie zu schießen angefangen, der Pöbel wirft mit Steinen zurück, der Aufstand wächst, und der großmächtige Römer ist froh, den Palast zu erreichen. Nicht allzu schwer, von dort mit regulären Truppen die Bürger niederzuschlagen und zugleich zu versöhnen: Friede sei mit euch! Wir kommen als Verbündete des großen Ägypten! – Ah, wie sie alle Schliche kennt, in denen sich ein erschrockener Eroberer gefällt! Am Ende war es doch eine riesige Blamage für den großen Cäsar, daß er drei Tage nach seinem finsteren Einzug klein beigeben mußte!
Wenn sie jetzt im Palast säße, allein regierend, wie lange könnte sie Ägypten halten? Selbst wenn es ihr gelänge, den fremden Feldherrn zu ermorden, seine Flotte ins Meer zurückzustoßen – würden sie nicht mit all ihrer Macht herüberkommen und das Land ihrer Väter zur Provinz degradieren, wie es der Senat schon zweimal beschlossen hatte?
Da, wie um sie aufs neue zu versuchen, tritt ein neuer Bote in ihre Gedanken, in ihr Zelt. Sie ist aufgesprungen, sie reißt ihm seine Nachricht aus den Zähnen: der kleine König ist dem Rufe des Römers nachgeeilt, mit ihm General, Eunuch und Philosoph, das erbärmliche Kleeblatt; mit vielen Bücklingen haben sie dort den Einbrecher begrüßt, der den Wirt spielte und sie ganz höflich einlud, in ihrem eigenen Palaste zu wohnen, soweit er die Räume nicht selber brauche. Ordnung!, so hat der große Herr wiederholt gepredigt. Das Testament des verstorbenen Königs soll erfüllt werden! Die Armee sei natürlich zu entlassen, dagegen erinnere er an die Schulden des verstorbenen Königs, die dem Diktator Roms in barem Golde auszuzahlen wären. Wenn all dies geschehen ist, dann solle Frieden zwischen beiden Völkern herrschen, denn niemand denkt daran, Ägyptens Freiheit anzutasten.
Töten! Vergiften! denkt die vertriebene Königin, winkt dem Boten ab und fängt an, im engen Zirkel ihres Zeltes auf und ab zu gehen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf halb gesenkt, bald nach oben geworfen, wie es der Lauf ihrer Gedanken fügt. Ist denn kein Ausweg mehr? – Ah, wenn man die 20 000 hätte, die die Schurken drüben befehligen! – Pothinus? Dieser Verbrecher – und sollte nicht auf Mord an dem Römer sinnen? Hat er nicht eben den Pompejus umbringen lassen? Warum nicht Cäsar? Sicher verneigt er sich nur so tief, um seinen listigen Blick dem Fremden zu entziehen. Gewiß, sie täuschen den Fremden, sie komplottieren! Eine erste Schlacht, einen Erfolg, und sei es für ein paar Wochen, könnte Achillas leicht erzwingen, dagegen sind die Römer zu schwach an Zahl, man kann ihnen auch das Wasser absperren.
Dann aber ist sie selber verloren! Dann wird sich ganz Alexandria erheben, um mit dem tapferen Sieger die feige Königin aus ihrem Hinterhalte hervorzuholen: dann ist es aus. Und sie erkennt, daß es nur eine Rettung gibt: mit dem Römer! Wer aber ist dieser Römer? Wer ist Cäsar?
Nun tritt sie aus dem Zelt, als suchte sie Luft und Licht, doch draußen ist plötzlich alles dunkel geworden, und der Nordwestwind, der im Herbst übers Meer kommt, ist kalt, sie friert, beinahe ist sie erschrocken vor dem Wind. Leise knurrend wie Wachhunde vor ihrem Herren, so liegen und rühren sich die Wachen an ihren Feuern im Kreise. – Was für ein Hundeleben muß man führen – denkt sie durch all die Monate! Dort drüben im Westen des Deltas liegt ihr Palast, und in den zartfarbigen, seidenen Betten wälzen sich jetzt die Barbaren des Nordens. Sie aber, die Königin, fühlt den Sand in den Sandalen und weiß nicht einmal, ob nicht ein Verschworener hier beim Feuer liegt, um mit seinem Messer an ihrem Halse ein paar Goldstücke zu gewinnen. – Das Leuchtfeuer des Pharos sieht sie nicht, Palmen und Hügel versperren ihr den Blick, es ist ja auch zu weit bis zur Hauptstadt. Sie friert und kehrt in ihr Zelt zurück. Dort liegt sie jetzt mit aufgestütztem Arm, die Knie angezogen, nachdenkend, was morgen zu tun sei.
Wenn sie, wie es der Römer fordert, mit ihren Truppen nach der Hauptstadt rückte, was für ein klägliches Bild! Was wird es für Epigramme regnen unter den zynischen Alexandrinern, wenn ihre sagenhafte Armee vom Roten Meer ins Tageslicht moderner Mauern und Geschütze rückt! Die Römer werden lachen. Cäsar? Man sagt, er lächelt nur.
Aufs neue beginnt ihr Geist den Fremden zu umkreisen, der noch vor ein paar Monaten für einen Abenteurer galt, heute für den Herrn der Welt, vor dem Ägypten zittert und dessen Züge sie doch nie gesehen hat. Aus allem, was ihr Vater in seinen nüchternen Stunden ihr erzählt, was Agenten berichtet haben, hatte sie sich längst ein Bild gemacht, dem doch der Schlüssel fehlte, das Porträt, und wäre es nur auf einer armen Drachmen-Münze gewesen, die ihrem weiblichen Instinkte die Wege wies. Denn alles, was sie in dieser Nacht bei sich erwägt, geht auf Grad und Form, auf die Natur und Suggestionskraft: einer Männlichkeit aus, an deren Eroberung jetzt ihr Leben hängt.
Aber was Freunde und Frauen, was Legenden, Partei und Verleumdung von Cäsar erzählten, ergab nichts als Widersprüche: großer Kenner der Frauen, doch schon Mitte Fünfzig; drei- oder viermal vermählt, doch immer ohne Söhne gewesen; sein Liebesleben stets sorgsam verhüllend und doch der erste Römer, der beim Tode seiner Frau die öffentliche Leichenrede hielt; ganz männlich und doch einem alten Klatsch in immer neuen Epigrammen ausgesetzt, als Jüngling habe er beim König Nikomedes geschlafen. Einmal, heißt es, ist er selber betrogen worden: Pompeja habe beim Dionysosfest mit einem frechen Kerl gebuhlt, der sich in Frauenkleidern zu den Priesterinnen schlich. Bei der Anklage erklärte Cäsar feierlich, an keine Anschuldigung zu glauben, aber er ließ sich trotzdem scheiden: Cäsars Gattin dürfe keinem Verdacht ausgesetzt werden.
Was für ein rätselhafter Mann! denkt Kleopatra weiter. – Groß ist er, das ist sicher, auch soll er eine sehr weiße Haut haben, so wie sie selber, sich viel waschen, sogar in der Schlacht, immer locker und nur oberhalb des Purpurstreifens gegürtet sein, und doch entschieden elegant; auf seinen Feldzügen soll er Marmorfliesen und Mosaikböden mitnehmen, überall vornehm wohnen, und doch ist er beim niedrigen Volke beliebt. Während die letzten römischen Matronen alter Schule ihre Töchter vor diesem Verführer warnen, umgibt er sich beständig mit schönen Jünglingen und soll für schlanke Sklaven so hohe Preise zahlen, daß er sie nicht ins Kontobuch einschreiben läßt.
Was für ein Mann ist also dieser Cäsar? Wer liebt ihn? Sonderbar: der Pöbel liebt ihn, Freigelassene und Handwerker, die kleinen Leute, denen er Korn schenkt und Gladiatoren vorführt. Einmal hat er sogar jeden Plebejer vor dem Fest umsonst rasieren lassen, womit er wieder ein paar tausend Wähler fing. Im Felde sitzt er bei den Soldaten, ißt ihre Grütze und redet sie wie Kameraden an. Wie er spricht? Mit einem tiefen, vollen Ton, nicht witzig wie die Tribunen, nicht glänzend wie Cicero, nur klar und natürlich. Was aber alle rühmen und was niemand versteht, das ist die Schnelligkeit, mit der er überall erscheint, die rasche Nachricht, für die er überall am Mittelmeer Läufer und Sklaven bestellt hat, das kurze Wort, das er durch die Lüfte zu werfen scheint: so schnell erreicht es seinen Ort und wird Befehl. Sie sagen, Cäsar sei der schnellste aller Menschen.
Was es ihn kostet? Danach fragt er nicht. Hat ihn die Fama nicht so freigebig als rasch, so reich als großmütig gepriesen? Was für ein sonderbarer Konsul!
Als junger Mann soll er so viel verschwendet haben, daß ihn die Gläubiger nicht nach Spanien abziehen ließen, bis sich ein reicher Bürge fand. Dann wieder beraubte er die gallischen Tempel, um seine Schulden loszuwerden, ja, später, schon als Konsul, soll er Gold in Höhe von 80 000 Goldfranken aus dem Staatsschatz auf dem Kapitol gestohlen und vergoldetes Erz an seine Stelle gelegt haben. Dann freilich kann man seinen Kohorten doppelte Löhnung zahlen, Hunderte von seinen eigenen Sklaven befreien und den Leichenschmaus beim Tode seiner Tochter zum Volksfest gestalten, wie Rom es nie gesehen.
Warum, denkt Kleopatra weiter, warum ist er so sehr auf Kinder versessen? Den kinderreichen Bürgern hat er als Konsul Land geschenkt und die Pachtsumme gestrichen. Wenn ihm die eine Julia, die er gewiß schon mit zwanzig erzeugte, Gewähr für seine Fruchtbarkeit gab, so hat er nachher seine Frauen vielleicht verstoßen, weil sie ihm keine Kinder gebaren. Hat er die Servilia mit Gutem und Perlen überhäuft – vielleicht bloß, weil er Brutus, ihren Sohn, für seinen eigenen hielt? Die soll ihn länger gefesselt haben als alle andern, bis sie ihm schließlich ihre eigene Tochter verkuppelte.
Diese Affäre Cäsars mit Servilia, vor Jahr und Tag ein Hauptskandal in den großen Salons am Mittelmeer, heute längst vergangen, taucht in Kleopatras spürsamen Berechnungen immer wieder auf: die ältere Frau, daneben die schönen Knaben als Sklaven, die er verschwenderisch anzieht, sein Ruf, in der Jugend Päderast gewesen zu sein, kein Sohn und doch der Wunsch nach einem Sohn: dies alles läßt vor ihren erregten Sinnen einen älteren Mann erstehen, der durch Raffinement zu fangen wäre? Und eben dieses sollte der Königin von Ägypten nicht gelingen? Besaß sie nicht an Marmor und Seide, an goldnen Bechern und schmelzenden Geweben, was diese Barbarensinne nie erlebten? Welche geheimen Lüste eines alternden Patriziers konnte sie nicht befriedigen an einem Hofe, der seit drei Jahrhunderten die erotischen Geheimnisse des Morgenlandes pflegte! Sklaven in allen Schattierungen der Haut, Sklavinnen, die noch Kinder waren, Tänzer und Buhlerinnen, denen zuzuschauen so aufreizend wirkte, wie die kapriziösen Menüs, die sie schon zu entwerfen begann.
Wie aber, wenn er nichts von alldem erwartete und hätte nur von ihr selber gehört. Vielleicht liegt er in dieser Abendstunde in ihrem Bett und hält ein Bild von ihr in Händen, das er sich aus den Gewölben bringen ließ, denn sicher haben sie ihre Bilder längst vergraben. Vielleicht hat er, Cäsar, der rasche, freigebige, der seinen Feinden verzieh und ihnen hohe Stellen gab, er, Römer, Diktator und heute Herr der Welt: vielleicht hat er sich's in den Kopf gesetzt, die junge Königin am Delta des Nils aufzusuchen, von deren Hochmut man sich in Rom Geschichten erzählte?
Schon zweifelt sie nicht mehr, daß sie es war und nicht bloß der verfolgte Pompejus, die Cäsar an diesem Strande suchte, und war sie's nicht, so ist sie's jetzt: warum sonst schickte er nach ihr? Das Gold liegt nicht am Wüstenrande, es liegt im Schatze von Alexandria, in Korn, Geweben und Steuern: dort eben, wo er ist und wo sie nicht ist, liegt das Gold – und doch hat er ein zweites Mal nach ihr geschickt! Jetzt sieht sie es deutlich: er erwartet sie! Alles kommt darauf an, diesem verwöhntesten Manne der Welt auf eine neue Art, als Überraschung ohnegleichen zu erscheinen! Dies fordert zugleich die Vorsicht von ihr, denn sicher hat die feindliche Partei zu Hause mehr Späher als Fremde und könnte sie zwischen den Kanälen, im Schatten einiger Dattelpalmen leicht verschwinden lassen.
Kleopatra ist aufgestanden: jetzt hat sie ihren Plan gemacht, auf welche Art man Cäsar überrumpeln müsse.
Zwei Tage später, zur gleichen Abendstunde, lag Cäsar auf einem der luxuriösen Ruhebetten im Palaste von Alexandria, eine Rolle in Händen, die ihm einer der Gelehrten überreicht, ein Techniker, der einen Automaten konstruiert hatte. Unruhig wie er war, durch nichts zu fesseln, hin und her geworfen von einer gewissen Nervosität, die er früher im Felde, fern von den Frauen oft, jetzt seltener erfahren, ließ er die Rolle fallen und griff nach einer andern. Es waren Stücke aus den Schriften der Juden, gestern von einem ihrer Gelehrten übergeben, der griechischen Übersetzung entnommen, die seit langer Zeit von den Schriftgelehrten hier gefördert wurde.
Schon zweimal war er im Museion gewesen, die hohe zweistöckige Halle mit ihren modernen Fenstern bewundernd, Licht von oben, der Boden grün, alles bestellt mit offenen Schränken, mit jenen hunderttausend Bücherrollen, um die diese größte Bibliothek berühmt war. Wie praktisch hatte er alles gefunden, wie die Titel auswärts an Zetteln hingen, wie die Materien gesondert und alle Dinge rasch zu finden waren. Auch den Pharos, den höchsten Leuchtturm der Welt mit seinem riesenhaften Brennspiegel, der das Leuchtfeuer vergrößerte, den großen Poseidon oben auf dem Turm und diese Paläste, die geraden Straßen, die sich im rechten Winkel kreuzten, alles hatte er in schweigendem Staunen mit dem Wirrwarr seines alten Rom verglichen. Vieles hatte er in diesen zwei Wochen gelernt, seit er hier gelandet war.
Aber das Größte, was er gesehen, das war der tote Alexander gewesen. Den goldenen Sarg hatten sie ihm lange gestohlen, doch als Cäsar in den Tempel trat und man den erzenen Deckel für ihn öffnete, sah er in einem kristallenen Sarge die Gestalt, nur halb zerfallen, durch Tücher und Binden, durch den grausilbernen Reflex des alten Glases in wohltätige Unkenntlichkeit gehüllt, begraben hier in seiner eigenen Stadt, und doch nach drei Jahrhunderten noch stark genug, um einem Römer als Vorbild vorzuleuchten. Ihn einmal mit Augen gesehen zu haben, das lohnte dem Cäsar die Fahrt.
Seit Tagen fragte er sich, warum er nicht zur Abfahrt rüstete. Die Blicke des kleinen Königs, halb ängstlich, halb lauernd, die schlauen seiner Mentoren, manch Flüsterwort, wenn er die Stufen herabkam, die Neugier selbst der Sklavenaugen hatten ihm gezeigt, daß alle Welt es wußte, wie schwach er mit all seinem Ruhm jetzt und hier an dieser Küste war. Wie, wenn sich hinter seinem Rücken ein Überfall in dem großen Heere des Ptolemäers vorbereitete! Den Hafen hatte er in Händen, doch wer stand ihm dafür, daß nicht in Pelusium die fremde Flotte, die so freundlich tat, unter den Winken des Eunuchen sich bereitete, ihn zwischen Leuchtturm und Palast zu blockieren? Wo war hier Sicherheit mit einer Handvoll Schiffen und einer einzigen Legion! Warum fuhr er nicht ab? Was wollte er noch an diesem Strande?
Gold, das war's! Die achtzehn Millionen, die der verstorbene König einem Konsortium von reichen Römern schuldig geblieben war, hatte er im Kopfe schon auf zehn ermäßigt. Die aber brauchte er, denn so groß sein Sieg über Pompejus gewesen, Gold hatte er in seinem Lager auch nicht gefunden, und eben das brauchte er, um seine Truppen hier und in Italien zu bezahlen, die mit der Ehre allein erst recht nichts anzufangen wußten. Cäsar war geneigt, sein Bleiben mit der Erwartung des Goldes zu begründen, sogar vor sich selber.
Und doch schüttelten seine Unterführer die Köpfe: das hatte er mit seinem raschen Blick, mit seinem scharfen Ohr längst erkannt. Wie! War er dazu Herr über seinen letzten Feind geworden? Hatte dazu Pompejus' faulendes Haupt, von den Ägyptern ihm feierlich übergeben, in seinen Händen gelegen? Den Siegelring hatte er mit dem schnellsten seiner Leute über das winterliche Meer geschickt, damit der Zeuge jenes furchtbaren Endes im Senat von Hand zu Hand gehen und alle mahnen sollte, sich mit dem mächtigen Sieger gut zu stellen. Das Haupt des Feindes, der älter, aber zugleich, einmal sein Schwiegersohn gewesen, hatte Cäsar in einer Kapelle beigesetzt, die er der Nemesis weihte. Hierher war er ihm auf seiner Flucht gefolgt, hier suchte er ihn und, da er ihn erschlagen fand, brauchte er nur noch das Gold zu nehmen – und damit nach Rom!
Konnte jemand, konnte er selber begreifen, warum er von einem Tag auf den andern blieb? Die Erbfolge des verstorbenen Königs mußte geregelt, Friede zwischen den Geschwistern gestiftet werden. Hätte er es aber damit so ernst genommen, wenn jener zweite Erbe ein Bruder des ersten gewesen wäre? Cäsar war ruhelos, an diesem Abend wie seit Tagen, weil ihm die Frauen fehlten und, was sich ihm etwa an diesem Hofe zeigte, ihn eher spöttisch machte und kalt. Im Felde, diesmal wie früher, hatte er wohl genommen, was sich bot, aber was bot sich denn? Er hatte alles genossen. Um diesen Mann von Mitte Fünfzig zu reizen, mußte etwas Neues, das Außerordentliche mußte Wirklichkeit werden. Wo war es?
Jetzt dachte er an das Gespräch mit dem Epikureer, das er gestern hier geführt. Dem Augenblicke sich hinzugeben, das Geschenkte zu schlürfen, die Stunden des Glückes zu vermehren und doch den Tod nicht zu fürchten! Er hatte ihn nie gefürchtet. Aber das Leben? War es ihm mit all diesen Kriegen nicht durch die Finger gerieselt? Wo war es? Zehn Jahre zwischen Barbaren, in Gallien und in Germanien, mit ein paar Dutzend Stämmen teils verhandelt, teils gekriegt, immer neue Überfälle abgewehrt, immer neue Festungen angelegt, so viele Brücken, so viele Straßen, so viele Proklamationen, Reden und immer wieder eine neue Schlacht! Was war das Ziel? Sich in der Kolonie die Macht zu gewinnen, die man in Rom erstrebt. Mit immer neuen Volksfesten und nie endenden Bestechungen Ädilen und Prätoren, den gemeinen Mann und den Senator zu gewinnen – bis schließlich nur noch ein Gegner übrig war. Dann kam der letzte Kampf, dann fiel Pompejus. Das Ziel war erreicht.
Cäsar fühlte die Trauer der Erfüllung. Er fragte sich, ob sich die Hingabe eines Lebens wahrhaft gelohnt, ob nicht der Gelehrte, der Dichter von gestern das bessere Los gezogen habe. Er fragte sich, was nun in Rom im Chor der Schmeichler, im Getümmel des Triumphzuges sein Herz noch Neues, Unerhörtes finden könnte. Taedium vitae, zynische Gedanken über die Käuflichkeit der Menschen, über die Raschheit des Schicksals, wie es der faulende Kopf des großen Pompejus ihm gezeigt: eine ratlose Frage war in diesem Sieger aufgestiegen: Was nun? – Aber da war dort draußen am Wüstenrande ein junges Weib, das wieder zur Königin zu machen nicht unbelohnt bleiben konnte. Die Neugier auf die schöne Amazone gestand er sich nicht, aber als Kenner der Liebe spürte er die halb ermattenden, halb aufreizenden Vorzeichen in seinen alternden Gliedern. Cäsar war genau in der Stimmung, die der Instinkt des jungen Weibes berechnet hatte, als er dort lag, in Zweifel, Unruhe und Langeweile.
Nun aber öffnet sich die Tür. Ein hochgewachsener Sklave, vielleicht auch ein Soldat, wird eingelassen, er verharrt auf der Schwelle. Geschultert trägt er ein großes Bündel. Was gibt's? Ein Bote sei da, meldet der Adjutant, er brächte einen kostbaren Teppich, Geschenk des Königs Ptolemäus. Ein Blick seines Herrn, ob keine Gefahr bestehe, findet die stumme Antwort. Cäsar heißt den Mann herantreten, seinen Teppich aufschnüren. Er sieht mit halber Erwartung zu. Der Teppich wird vor ihm aufgerollt. Dem Teppich entsteigt Kleopatra.
Es ist kein Märchen, das wir dem Leser erzählen. So hat es Plutarch der Nachwelt berichtet. – Es ist kein Märchen, sagt sich Cäsar, der aufgesprungen ist, um der liegenden Erscheinung auf die Füße zu helfen. Daß er sie gleich erkennt, kommt von dem ruhelosen Traum, den sie berechnet hatte. Daß er sie fragt, nach wie und wo, mit der lächelnden Neugier des Weltmannes, erstaunt sie nicht. Jetzt hebt sie die Stimme und erzählt, wie dieser treue Sklave, Apollodorus heißt er, auf einem Boot um das Delta gerudert, dann quer durch die Flotte sich durchgelistet, dann in den Teppich sie eingerollt habe und endlich auf den starken Schultern die Stufen vom Kai in den Palast, durchs Tor an den Wachen vorüber und bis hierher getragen hat. Da ist sie nun. Und lächelt und entläßt den gehorsamen Sklaven.
Cäsar hat nicht alles gehört, nur den Klang ihrer Stimme. Er hat auch nicht gleich als Offizier gedacht, wie schlecht er vor Mördern geschützt sei. Nur den Traum sieht er verkörpert, Anmut und Geist, das Lächeln und den Wohlklang, Kühnheit und Phantasie und überdies den schönsten Mund, den er gesehen. Ein Knabe ist sie nicht, das zeigt ihr Busen unter der Seide, doch daß sie's sein könnte, verdoppelt ihren Reiz. Denn wie sie nun die Locken schüttelt, wie sie sich ganz wenig dehnt, um die Ermüdung ihrer eingezwängten Glieder auszugleichen, da scheint ihm Aphrodite erschienen, in einer späten alexandrinischen Gestalt, eine kleine Göttin, die sicher um alle Zärtlichkeiten der Erde weiß.
Vielleicht hat sie in dieser Stunde so rasch gesiegt, weil sie sich selbst vergaß. Denn all ihr Wissen um Verführung, ihr auf geheime Weise innewohnend, hat ausgesetzt, als sie den Mann vor sich erblickte. Keine Stellung oder Geste, die sie sich auf der Fahrt im Boot ausgedacht, hat sie ausführen können. Ja, sie vergaß im ersten Augenblick, wie unfrisiert sie aus dem Teppich stieg: So groß war ihre Überraschung. Zwar, daß er wenig Haare hatte, nahm sie gleich wahr, aber davon blickte sie weg. So herrisch war die Bewegung, die aus diesen schwarzen Augen sprach, so männlich der schmale, stumm gebietende Mund, so fest waren die sonnengebrannten Wangen und darunter ein Hals, der stolz darauf schien, Cäsars Kopf zu tragen. Alles an diesem Manne zog sie an, das sehnig Feste seiner hageren Höhe, die schmale, lange Hand, die er ihr reichte, das fordernd Forschende in seinem Blick, der feine Geruch einer gepflegten Haut, und als sie nun nebeneinander saßen und nach den ersten, hingestammelten Blicken einander auszuforschen Ruhe fanden, da lächelten beide: Kleopatra zwischen Kühnheit und Furcht, Cäsar als Sieger.
Zugleich erstaunten beide über die schönen Zähne des andern.
Als Cäsar am nächsten Vormittag den jungen König rufen ließ, trug der sein Diadem im Haar, stampfte wütend auf, beschimpfte seine Schwester, die ihn aus dem Schatten des hohen Raumes spöttisch anlächelte, und schrie sehr laut: »Verrat!« Das alles hatte ihm Pothinus einstudiert, denn am Ende jener langen Nacht wußte der ganze Palast, es wußte schon der letzte Lastträger unter den Kolonnaden, was geschehen und vielleicht mehr, als was geschehen war. Die Wut zu spielen fiel dem Jüngling leicht, der sich liebesfähig und doch beständig abgewiesen fühlte, solange sie im Palaste zusammen lebten. Jetzt sah er seine legitime Frau in zweifelloser Situation bei einem Manne, der sein Großvater sein konnte und überdies ein fremder Eroberer war. Seine aufspringende Geschlechtswut brauchte nicht den Rat eines Eunuchen, daß er am Ende dieser kurzen Begegnung als ein Verzweifelter das Diadem zu Boden warf und aus der Tür stürzte.
Sie lächelten noch in ihrem hohen Gemach, Cäsar und Kleopatra, als sich draußen die Rufe der ewigen Stimmführer des Volkes erhoben, rasch anschwellend, um in einem Auflaufe die Volkswut zu demonstrieren. Cäsar winkt, er läßt sich bewaffnen, dann tritt er an das erhöhte Fenster des Palastes und lädt das Volk für morgen ins Gymnasion. Kleopatra hört es vom Fenster, sie lauscht seiner Stimme, sie staunt über den gelassenen Tonfall. Sie fragt ihn, als er wiederkommt, nicht aus, was er beschlossen habe; diesen Mann, fühlt sie, darf man nicht fragen. Auch sieht sie ihn nur das nächste befehlen: ihre Räume zu bewachen, ihren Bruder in den Palast zurückzuführen, nach Pothinus zu schicken. Was hat er im Sinn, fragt sie sich. Es geht um die Krone, und für morgen hat er das Volk versammelt!
Inzwischen geht sie langsam in den Hallen umher, die sie ein halbes Jahr lang mit einem kalten Zelt vertauschen mußte, sie streicht an seidenen Kissen vorbei, deren Wärme, an Alabasterplatten, deren Kühle sie vorwegfühlt; sie riecht am Ebenholz der Türen, umkrallt die Vorsprünge der eingelegten Smaragde, fährt mit dem Handrücken an den Griffen von Elfenbein entlang, alles mit einer katzenhaft langsamen Lust. Nun nimmt sie eine Statuette der Aphrodite in die Hände, die sie seit langem liebt, fährt über die bronzenen Linien hin; dann gleitet ihre Hand lustvoll an ihrem eigenen Leibe nieder: Es scheint, sie ist zufrieden mit dem Vergleich, denn sie lächelt. An diesem Morgen entdeckt sie manches an sich selber, was ihr vor der Berührung des Römers im Halbdunkel geblieben war. Sehr erfahren hat sie ihn gefunden, aber gar nicht alt, männlich und sicher, wie seine Stimme soeben draußen zum Volke klang, zart, doch nicht zärtlich, herrisch, doch nicht fordernd, schweigsam und doch galant, am Ende überraschend dankbar.
Was für ein Abenteuer, denkt sie später und dehnt sich in ihrem Bade. Plötzlich fängt sie an zu lachen: Wie sie in einen Teppich gerollt in den Palast ihrer Väter zurückgetragen wurde, wie sie den einsamen Herrn der Welt in ihrer Halle traf und erweckte – alles erstaunt sie aufs neue, sie lacht, obwohl sie allein ist, dafür ist sie jung und neugierig. Aber sogleich verstummt sie, schärft wieder ihre Gedanken, fragt sich, was morgen geschehen soll. Wie, wenn der Fremde wieder sein Schiff besteigt, und vielleicht kommt er nie wieder? Wenn er aber hier bleibt, wer wird in Wahrheit herrschen? Warum läßt er den unbequemen Bruder nicht beiseite schaffen? Es geht um die Macht, das heißt in diesem Lande um das Leben. Kleopatra ist entschlossen, ihre Gefühle zu bewachen.
Sie schmückt sich. Zwar ist es noch nicht Zeit, ein Fest zu geben, für heute stellt Cäsar nur seine Offiziere der Königin von Ägypten vor: Römer, die zuerst bei ihr einbrachen und die ihr dann in ihrem eigenen Palaste huldigen. Alle scheinen ihr zugleich neugierig und verwirrt, denn an diesem Tage weiß niemand in Alexandria, wer von den drei Mächten regiert; nicht einmal die Römer wissen es genau. Alles, was in der Dämmerung gestern so phantastisch begann, sieht heute im Mittagslichte steif und sinnlos aus, und sie fragt sich, wie viele wohl im stillen darüber lachen mögen.
Abends – sie hat ihn allein zu Tische geladen – findet sie Cäsar galant und aufgeschlossen, und nur wie im Vorübergehen teilt er ihr mit, er werde morgen das Testament des Königs dem Volke vorlesen und die Geschwister aufs neue einsetzen; damit keine neuen Parteien im Palaste entständen, wird er zugleich den beiden Jüngsten Zypern zurückgeben und mit diesem Geschenk Roms Freundschaft den Ägyptern beweisen. Dies sei alles, und er kehrt zur Bewunderung ihrer sidonischen Seide zurück.
Sie staunt und schweigt: Wann ist ihrem herrischen Willen dergleichen begegnet! Ihr Vater blieb ohne Gewalt, ihn hat sie verachtet. Ihre Minister hat sie zuerst angehört, doch als sie sah, daß sie dümmer waren, hat sie nach eigenem Willen entschieden. Der Römer aber ihr gegenüber, der seinen schwarzen Blick von dem goldenen Teller beständig forschend zu ihr herüberschickt, dieser Fremde, dessen Gemüt ihr noch verschlossen ist, er, Cäsar, kündigt ihr ein Schicksal an – als wäre er ihr Herr. Nimmt er dies Vorrecht aus seiner armen, einzigen Legion, die draußen Palast und Hafen bewacht? Nimmt er es aus seinem Weltruhm oder aus ihrer Hingabe? Sie schweigt noch immer, er bemerkt es wohl und unterbricht nicht ihre Gedanken. Vergleicht sie seinen Entschluß mit ihren Berechnungen, so sieht auch sie fürs erste keinen andern als möglich an. Nur daß er ihr dies alles mitteilt, statt sie zu fragen, das kann sie kaum ertragen: Zweimal setzt sie zu einer Frage an, zweimal erlischt der Ton in ihrer Kehle, und als sich die Lippen schließlich dennoch öffnen, lächelt sie nur in seinen forschenden Blick.
Mit Getöse fuhr der Feind in ihre Idylle. Die kalte Proklamation im Gymnasion war kaum verklungen, so war schon der Palast in Bewegung, alles zu hintertreiben. Pothinus rächt sich nach Eunuchenart für sein entmanntes Schicksal durch die heimliche Anklage, die Königin sei eine Hure, die ihrem römischen Liebhaber alle Macht überlasse; der hochberühmte Cäsar sei stark im Bette, aber schwach im Felde, denn seine Truppen seien schmal und verdrossen. Nur ein Schlag, und Ägypten sei für ewig von Rom befreit!
Da Cäsar keinen Angriff auf das Heer des Achillas am Ostende des Deltas wagen konnte, auch in der Hauptstadt sich nicht stark genug fühlte, um den Schatz zu nehmen, ließ er nach Pelusium im Namen des jungen Königs den Befehl ergehen, das Heer sofort aufzulösen. Die Antwort war, daß Achillas die beiden ägyptischen Boten erschlug und auf Alexandria marschierte. 20 000 Mann und 2000 Reiter standen eines Morgens vor den Toren und bald in den äußeren Teilen der Weltstadt. Jetzt mußte der Herr der Welt, von seinen Quellen abgeschnitten, an einem fernen Strande den Krieg annehmen, den man ihm aufdrang, gegen einen fünffach überlegenen Feind, in seiner Hand nichts haltend als das Viertel des Palastes, den Hafen, eine kleine Flotte, dazu als Feind den jungen König und den Eunuchen. Dieser setzte seine Intrigen im Volk und Palaste fort, eines Tages ließ er hölzerne Teller und Becher auf Cäsars Tafel setzen; gegen den fragenden Blick zuckte er die Achseln: Alles Gold in der Stadt wäre von römischen Beamten eingezogen worden. Als er dann Cäsar bei einem Fest vergiften wollte und dieser durch seinen Barbier gewarnt war, ließ Cäsar den Eunuchen kurzerhand töten, den jungen König bewachen; zugleich schickte er einen Boten nach dem andern an die Küsten um Entsatz.
Bald saß er gänzlich in der Falle. Vom Lande sperrte ihm das belagernde Heer das Wasser ab, von der See aus sperrten sie ihm den schmalen Eingang zum Hafen, und als er durchbrechen wollte, verlor er zu viele von seinen wenigen Leuten. Doch jetzt, in der Gefahr, verjüngt sich Cäsar. Werft Feuer in die Schiffe! Und neunzig ägyptische Schiffe verbrennen am Fuße des Leuchtturms, Getreideschiffe brennen mit, ein Magazin, ein zweites, drittes brennt, am Nachmittage brennt die Bibliothek.
Da brennt, was Staat und Geist von Rom aus ihrem größeren Vorbilde gelernt; es brennt der Ursprung aller Lehren von Weisheit und Schönheit, die das Mittelmeer noch über Jahrtausende hinweg zum Bildner der Rassen und Länder machen sollte. Aber der es zerstört, ist es ein barbarischer Soldat, der durch die Dummheit der Gewalt allein zur Herrschaft kam? Ist es der dumpfe, geistfremde Führer einer Partei? Nein, es ist Cäsar, der klügste aller Römer, Cäsar, der aus den Brüsten griechischen Geistes die Nahrung sog, um sich über die Menschen so zu erheben, daß sich sein Name als Sinnbild aller Macht für immer verewigen sollte. Ja, er ist es, unbewußt vernichtet er das Piedestal, auf dem er steht.
Mit entsetzt erhobenen Armen stehen die Gelehrten, die Dichter auf dem Hügel hinter dem Palaste: 400 000 Rollen, die größte Bibliothek der Erde, das ewige Palladium ihres Wissens, die Güter ihres inneren Lebens, sehen sie in Flammen aufgehen und können nichts dawider tun. Cäsar hat keine Zeit, darüber nachzudenken.
Denn Cäsar ist überall. Es kommt zum Seegefecht im äußeren Hafen. Er steht auf der Galeere und leitet die Schlacht. Die Galeere wird getroffen, alles flüchtet sich in die Boote. Cäsars Boot ist überfüllt und sinkt. Jetzt schwimmt er, um ein anderes zu erreichen. Den Purpurmantel hat er mit den Zähnen gefaßt, in der Linken hält er ein paar Rollen empor, die er um jeden Preis retten möchte: Mit der Rechten schwimmend, vom Mantel gehemmt, alle Augenblicke vor einem herfliegenden Geschosse untertauchend, sucht er sich durchzuschlagen. Schließlich muß er den Mantel preisgeben, aber die Rollen rettet er, als er an Bord eines andern Bootes klettert, ein Mann von Mitte Fünfzig, der nun aus dem Hafen nach dem Palaste flieht. 400 seiner Leute sind ertrunken, die Schlacht ist verloren. Sein Purpurmantel ist aufgefischt und von den höhnenden Alexandrinern an eine Ruderstange gesteckt worden.
Zugleich mehren sich drohende Berichte, daß sich die Pompejaner nach dem ersten Schrecken, nun, da sie den siegreichen Cäsar in der Klemme wissen, aufs neue unter den Söhnen des Pompejus überall sammeln. Statt nach dem Siege die Reste des einzigen Rivalen zu schlagen, muß sich der große Diktator an Wüstenrändern, auf Nilkanälen, in Straßenkämpfen gegen einen Feind aufreiben, den er sich selber geschaffen, den er verwünscht und dem er doch nicht entfliehen kann.
Da ist Arsinoë plötzlich eines Morgens verschwunden. Sie, die jüngere Schwester, zur Herrin von Zypern bestimmt, hat sich mit Ganymedes, ihrem Gouverneur und Geliebten, bei Nacht davongemacht, jetzt stößt er drüben zum Heer, tötet Achillas. Verhandlung, beiden Parteien willkommen, um Zeit zu gewinnen. Neue Nachricht verheißt endlich Entsatz durch Perser und Juden.
Noch ein wenig Geduld, die Hilfe ist nahe: dann endlich kann Cäsar das Heer der Ägypter von zwei Seiten einschließen! Jetzt siegen die Römer auf den Kanälen des Nils, in den Buchten der Mündung, durch alle Schlupfwinkel des Deltas; Schiffe mit gelöschten Lichtern, die den Feind in ihrer Richtung täuschen, neue Schiffe, zwischen den beiden Mündungen in den Sümpfen landend. In diesem Vorgelände Ägyptens, das nicht mehr dem Strom gehört und doch nicht dem Meere, wird diese tagelange, verworrene Schlacht geschlagen, und so, im Labyrinth ihrer eignen Moraste, sinkt die müde Macht der Ägypter dahin, geschlagen von den Schwertern und Rudern des jüngeren Volkes. Der kleine König, der im letzten Augenblicke sich tapfer bewährte, ertrinkt im Nil, weil ihn die goldene Rüstung niederzieht. Arsinoe kehrt als Gefangene in den Palast zurück. Der Rest ihrer Ratgeber wird getötet. Zum zweiten Male zieht Cäsar in Alexandria ein: Diesmal werfen sich die Bürger, Trauerkleider tragend, vor seinen Adlern und Ruten nieder. Der Krieg ist aus, den ganzen Winter hat er gedauert. Es ist Frühling geworden.
In diesem Winter erkannten einander Cäsar und Kleopatra. Daß sie bei ihm lebte, hat er in dem einzigen Satze der Nachwelt gesagt, in dem er ihren Namen niederschrieb; er steht in seinem »Bellum Alexandrinum«: »Cäsar setzte die Königin Kleopatra wieder ein, weil sie treu zu ihm gehalten hat und stets bei ihm im Hauptquartier geblieben ist.«
In diesen kalten Worten, geschrieben von einer Hand, die die Feder führte, als wäre sie ein Schwert, in diesem Berichte für Senat, Volk und Geschichte, worin der Autor den Feldherrn verewigt, ist der erste Teil eines Romans enthalten, aus dem sich eine neue Welt erheben sollte.
Cäsar hatte der Frauen viel gesehen: die schöne Cornelia, die man die einzige Liebe seiner Jugend nannte, die er mit siebzehn fand und mit dreiundzwanzig verlor. Die blühende Pompeja, Sullas Enkeltochter, dieselbe, die ihn mit Clodius betrog; die unersättliche Servilia, die seine Kräfte bis zur Gefahr des Verfalles ausgesogen; die vornehme Calpurnia, mit der er seit einem Jahrzehnte Haus und Ehren teilte; dazwischen Senatorenfrauen, fremde Fürstinnen, Lagerdirnen, nach Gelegenheit und nach Gefallen. Die eine hatte ihn gereizt durch Künste der Wollust, die andere durch Heiterkeit, die dritte durch Tanz, jene durch Verstand, diese durch Mut: Er hatte mit den Frauen so oft gewechselt, weil sich erst ihr Mosaik dem Traumbilde des Jünglings anzunähern schickte.
Aber erst hier, erst jetzt war Cäsar, am Ende seiner Manneszeit, einer Erscheinung begegnet, zu überraschend, als daß er sie vorgeträumt hätte: Diese schien alle Gegensätze durch die Kraft ihres Geschlechtes zu vereinen. So mutig wie erfinderisch, zugleich kühn und verschlagen, für jeden überholten Plan drei neue in petto, sachlich und ohne Gefühle in Kampf und Gefahr – und dennoch zwischen Tag und Nacht so sehr verwandelt, als wäre sie nicht dieselbe, als hätte sie mit Pferd und Helm auch das Geschlecht gewechselt. Brauchte er Kunde von einem Kanal, um einen Nilarm zu erreichen, sie wußte ihn. Fiel sein Pferd und paßte ihm ein zweites, drittes nicht, sie fand ein viertes, das das Leibpferd übertraf. Fragte der Kapitän, wohin mit den schweren Segeln, gleich hatte sie ein Gewölbe bereit. Zweifelte der Kriegsrat, ob einem Manne zu trauen sei, der Hilfe anbot, sie kannte seinen Charakter. Am Wüstenrande konnte sie einen Kamelreiter erkennen, bevor ein einziger Römer ihn unterschied. Auf tausend Schritte roch sie, ob ein Segel römisch geteert war oder griechisch, und warf sich platt auf den Boden, um an der Erschütterung die Menge der feindlichen Reiterei zu erraten. Nach ein paar Tagen Krieg war er schon gewohnt, sich umzusehen, als suchte er die Stimme eines heldenhaften Sohnes; nach ein paar Wochen war sie Adjutant, Minister, Richter, Spion, sogar Berater des Feldherrn geworden.
Kamen dann ruhigere Tage, so fand er in der Verwandelten eine Schloßherrin, die ihre hundert Sklaven im Hause mit Festigkeit regierte, ganz wie die Million Untertanen, die damals Alexandria erfüllte. Dann sah er ihr von ferne zu, wie sie entschied, rasch, auch gerecht, soweit es ihre Rachelust zuließ – nie müde, immer in jener Bereitschaft, die den Preis einer täglichen Allmacht bedeutet. Dann war aus seinem jünglinghaften Sohn eine Königin geworden, kalt wie die Frau eines Pharaos.
Doch in den Nächten war sie beides nicht mehr. Ein Zelt, wie sie es gegen Ende des Krieges zuweilen bewohnten, vor allem den Palast, der noch vor ein paar Stunden als schwer belagerte Festung diente, wußte sie mit ein paar Lampen, ein paar Teppichen in ein Gemach des Vergessens zu verwandeln, immer mit eigener Hand die Zurüstung der Sklaven korrigierend. Dann fühlte Cäsar sein julisches Geschlecht, das sich von Venus herschrieb, wie vertauscht, denn nun war er durchaus der Sohn des Mars, und Venus schnallte ihm das Schwert vom Leibe. Mit schnellem Instinkte hatte ihr Körper begriffen, was der verwöhnte Mann sich wünschte, und übertraf ihn rasch an Lust. Dann fuhr in ihre Nächte wohl ein Ruf, ein Dröhnen, sei's nur ein Klopfen, denn in den schlimmsten Wochen, als der Feind nur ein paar hundert Schritte vom Palaste stand, war keine Sicherheit.
Dies eben war es, was sie zusammenschmiedete: die tägliche Gefahr, Gedanken an die Macht, die hier und die in Rom sie beide verteidigten. Ein drohendes Schicksal, das nur mit entzücktem Mute zu bannen war und vielleicht doch zum Untergange führte; beständig ein Lauschen auf den heranrasselnden Feind, auf ersehnte Hilfe; das Flackerlicht dieser nie strahlenden, nie windstillen Lebenslichter, immer nahe daran, im Sturm zu verlöschen, um dann mit doppelter Leidenschaft emporzuflammen: ja, es war der Atem des Krieges, der den größten Feldherrn und die erstaunlichste Frau ihrer Zeit zusammenwehte, so wie es der alternde Mann zuvor nie erlebt hatte, die junge Frau nicht wieder erleben sollte.
Aus dieser Entzückung der Geister, die die der Körper immerfort begleitete, aus diesem Zusammenstürzen zweier kühner, immer neu erstaunter Seelen erhoben sich in beiden tiefe Gedanken über die Reiche, die sie beherrschten, und wie sie sich gleich ihren Herrschern vereinigen ließen. Wortlos fühlte Cäsar, wie sich der Alexander-Traum, vor dessen Möglichkeit er jetzt eine Art erschrockene Pause gesetzt hatte, wie er sich hier in Alexanders Stadt zu verwirklichen begann, im Bunde mit dieser wunderbaren Jugend, die ihm wie eine letzte Königin aus griechischem Blute entgegentrat. Wortlos begriff sie, was in ihm vorging, und knüpfte mit begieriger Phantasie auf eine neue Art die Fäden fester, die sie an Rom, oft mit Mißtrauen, oft mit Haß, doch immer instinktiv mit Rom verbunden hielten – bis aus dem Liebestraum zweier Menschen, Herr und Herrin des Lebens, sich das Bild eines Weltreiches erhob.
Und doch wuchs ihre Neigung wie die seine, entfernt vom Ehrgeiz beider, von jedem Zwecke genesen, sie wuchs in jenen selbstvergessenen Augenblicken erfüllter Lust, wo Haß und Liebe aneinander grenzen und sich's entscheidet, was die Seele wollte. Nur wie ein junges wildes Pferd hatte Kleopatra bis dahin den Reiter ertragen, in raffiniertem Spiel, sekundenweise, um ihn abzuwerfen, mit rascher Flucht zurück zu Luft und Freiheit ihn zu vergessen. Jetzt weckte sein träumender Blick, in den sich der forschende verwandelte, jetzt weckte der langsame Atem, die stumm genießende Entspannung des alternden Mannes unbekannte Gefühle in ihrem Herzen; Minuten, in denen dieser Abkömmling der Götter bewegungslos bei ihr verharrte, machten sie plötzlich um Jahre reifer, und ihre träumenden Gedanken fragten, ob sie wohl seine Tochter sei.
Und so, wie sie die späte Lust einer erfahrenen Frau in seinen Armen vorwegnahm, weil sie zu jung war, so fühlte er sich durch ihre knabenhafte Schnelligkeit in seine frühesten Entzückungen versetzt, als er so jung war wie sie heute. Auf einer schwebenden Ebene, wie von Wolken getragen, im Zwielichte der Geschlechter und der Generationen spielten sich diese verhüllten Ekstasen ab, zeugende Träume eines Kriegerpaares, zugleich Vorgefühle weltumfassender Pläne.
Am Ende des Winters sagte sie ihm, im Sommer würde sie ihm einen Sohn gebären. Cäsar lauschte ergriffen, doch aus Verlegenheit lächelte er und fragte, woher sie das Geschlecht des Kindes kenne. Sie sah ihn ernsthaft an und wiederholte es mit Festigkeit.
Damals, am Ende des Krieges, setzte Cäsar sie nochmals zur Königin ein, um sie gemeinsam mit ihrem jüngsten Bruder regieren zu lassen, ein Kind ohne alle Gaben, das zugleich nach pharaonischer Sitte zu ihrem Gatten ernannt wurde. Arsinoë war Cäsars Gefangene, verfolgt von Kleopatras ganzem Haß, denn sie hatte gewagt, sich einzubilden, an ihrer Stelle könnte man Königin werden. Die Millionen in Gold lagen vorbereitet, Ägypten, das der Diktator zur römischen Provinz hätte erklären können, blieb selbständig und doch in Wahrheit verbundener mit Rom, als es der stolzeste Bürger träumte: denn aus der Liebe des römischen Diktators zu der ägyptischen Königin sollte ein Sohn erwachsen.
Nun kamen auf dem vom Winter befreiten Meere die Boote angesegelt, um ihm zu berichten. Was erfuhr er?
Die Welt erwartete Cäsar. Rom und Italien, Athen und die Inseln, alle Städte des Mittelmeeres warteten auf ihn, wünschend oder fürchtend. Unbesetzt standen die kurulischen Sessel, aus denen die Pompejaner geflohen waren, verödet lag der Senat, Hunderte hoher Beamter und Senatoren verbargen sich in kleinen Küstenstädten bei ihren Freunden. Die letzte Sicherheit schien in Italien geschwunden, da niemand wußte, wer die Macht in Händen hielt und wie der, dem sie zugefallen, sie zu gebrauchen willens wäre. War Rom noch Republik? Welche neuen Gewalten würde der Diktator nach seinem überwältigenden Siege fordern? Zwar Antonius, sein Stellvertreter, suchte gewaltsam Ordnung zu machen, aber wer wußte, ob seine Dekrete wirklich von seinem verschwundenen Herrn kamen? Auch schienen die Reichen noch stark genug und die Aristokraten entschlossen, die Spaltung in Cäsars Volkspartei zu benutzen, solange er fort war.
Da saß Cäsar in dem fremden Palaste, vor ihm stand wieder ein Bote mit Briefen, ein anderer, der seine Reise beschrieb, und mit gelassenen Zügen, die schmalen Lippen selten zu einer Frage öffnend, hörte er sie an: wie sich Antonius und Dolabella, seine vertrautesten Diener, auf dem Forum eine Schlacht geliefert hätten, weil einer des andern Frau gestohlen hatte; wie in ganz Italien seine Bildsäulen sich erhoben und doch zugleich die Söhne des Pompejus und mit ihnen Cato, der Bruder seiner einstigen Geliebten, sich zur Rache für Pharsalus rüsteten; wie Tausende von marodierenden Soldaten Cäsars sich vom Feinde anwerben ließen, da sie an dem geschuldeten Solde, an den versprochenen Landlosen verzweifelten, denn der, der sie schuldete, schien verschwunden. Die Welt schien führerlos. Am fremden Strande saß der alternde Cäsar und mochte sich vorkommen wie Zeus, der die Europa verlassen und dem nun Eros erzählt, wie ratlos sie dort unten säße, von seinen Blitzen erschreckt, furchtvoll und gelähmt.
Und doch, wie lange hatte er als kämpfender Mensch um dieses Weib gerungen, um die Macht! Um dieses Forum, dort, um das Haus des Obersten Pontifex schweiften seine Blicke, seit Alexanders früher Ruhm wie ein Polarstern am Himmel seiner Jugend erschienen war. Dort Herr zu sein, allein, ohne mit einem zweiten Konsul zu teilen, ohne Quästoren und Ädilen, 200 Senatoren und zahllose Advokaten die Rechenschaft der Republik zu schulden: das war das Ziel gewesen. Jetzt lag es frei, der Sessel wartete auf ihn, dem zur Königsgewalt nur der Name des Thrones fehlte. Warum zögerte er? Warum kehrte Cäsar nicht mit dem schnellsten seiner Segler heim?
In den Mittagsstrahlen seines Weltruhmes, dicht nach dem Siege bei Pharsalus, hatte dieser mächtigste Mann seiner Zeit sich wie ein Abenteurer mit einer einzigen Legion im fremden Erdteil herumgeschlagen, gar leicht konnte er darin umkommen, und von Cäsar wäre nichts geblieben als der Torso eines Ruhmes. Er war geblieben, aus Unruhe und Neugier erst, dann aus Notwendigkeit, zugleich aus Liebe.
Doch jetzt! Was konnte ihn noch hemmen, die Ernte einzubringen in jenes Rom, das einzig Ruhm und Macht bedeutete? Kleopatra? Die Frau, durch gute Hoffnung um die Hälfte ihrer Reize gebracht, von einem Monat zum andern unbeweglicher – mußte ein verwöhnter Frauenkenner sie nicht eher fliehen, um sich das Bild der Aphrodite zu erhalten? Was also hielt ihn auf, den größten Erfüllungen seines Lebens zuzueilen?
Nichts als die Erwartung des Erben. Cäsar war entschlossen, den ihm verheißenen Sohn mit Augen zu prüfen, bevor er den fremden Strand verließ.
Sie aber, immer erfindungsreich, hatte sich ein Mittel ausgedacht, daß er sich auch in diesen drei Monaten mit einer schwerfüßig werdenden Frau nicht langweilen sollte. Sie rüstete ein Schiff und lud den Herrn der Welt ein, auf dem Nil mit ihr spazierenzufahren.
Thalameyos, das Königsschiff, eine Jacht, wie sie kein Pharao besessen, war ein schwimmendes Schloß. In dem ägyptischen Bankettsaal erinnerten die Schnitzereien aus Zedern- und Zypressenholz an die Vorbilder an den Ufern hier, am ältesten Strom der Geschichte. Sonst hatte der Geschmack der Königin alles griechisch gehalten, so wie ja auch das Leben ihres griechischen Stammes nur an ein paar strengen Festtagen sich pharaonisch stilisierte, Aphrodite und Dionysos standen in einer Kapelle aus Mosaik, und an den Wänden seines Schlafzimmers sollte ein Fries mit Szenen aus der Ilias den alternden Helden zu neuen Taten reizen. Verschwenderische Decks für alle Tageszeiten, ein ganzes System von leinenen Planen, ein kleiner Garten schützten die Reisenden vor der Sonne, die in dem regenlosen Lande im Frühling und mit jedem Tage nilaufwärts stärker niederbrannte. Sklaven und Tänzerinnen, Komödianten und tragische Schauspieler, die erfahrensten Köche und die kapriziösesten Instrumente begleiteten hier und auf kleinen Booten das segelnde und geruderte Nilschloß; alles, was die Sinne ihres verwöhnten Freundes erheben, was sie erregen oder sänftigen konnte, hatte die Königin heranbefohlen, um seine Muße zu einem Feste zu erheben.
Denn daß sich Cäsar Muße gönnte, das erste Mal nach zwanzig atemlosen Jahren, war ihr Triumph; Instinkt und Klugheit hießen sie die Mittel finden, einen beständig tätigen Geist, entfernt von den Sitten und Interessen seiner Gewohnheiten und Erinnerungen, so zu beleben, daß er die Muße ein paar Monate ertrug. Zugleich ernährte sie diesen immer beweglichen Geist, indem sie Gelehrte und Inspektoren dem Schiffe folgen oder in den kleinen Städten des oberen Nils heranrudern ließ, um diesem Römer Ägypten zu erklären.
Denn der alternde Cäsar konnte keine drei Tage in jener gefälligen Faulheit verbringen, in der er seine Jugendjahre spazierengeführt hatte; ein Tag, an dem er nicht befahl, gehörte nicht mehr in sein Leben. Auf 400 Nilbooten folgten dem Feldherrn ein paar tausend Legionäre. Angreifen wollte er niemand und nichts erobern; aber wer wußte im voraus, welche Überraschungen sich aus den Klüften der arabischen Wüstenberge erheben konnten, um sich dieser erstaunlichen Nilfahrer zu bemächtigen? Die Sicherheit im oberen Ägypten war weit geringer als tausend Jahre zuvor, da man in Theben regierte. Cäsar konnte auf der Fahrt von der modernen Alexanderstadt bis zur nubischen Grenze die Geschichte Ägyptens sich aufrollen sehen, indem er den Strom hinauffuhr, der das Land bedeutet.
Mit dem Staunen des genialen, das heißt unbefangenen Menschen, zugleich mit der Kritik des erfahrenen Organisators sah er den sagenhaften Strom und wie sein Steigen und Sinken, seine Breite und Stärke, wie die wechselnde Höhe der Uferschwelle bis in die letzten Winkel die Menge des Korns bestimmte, aus dessen Steuern und Verkauf der Reichtum des Landes gestiegen war. Sein Auge, wenn er an der Spitze des Schiffes stand, erkannte einen verschlammten Kanal, aber er wußte vor der Königin des Landes das Schmunzeln zu verstecken, das ihm die Nachlässigkeit der Beamten auch in diesen Himmelsstrichen entlockte, während sie mit einem Soldatenfluch den Hauptmann absetzte, der den Kanal zu hüten hatte. Hoch im Norden, bis ins Britannische, hatte Cäsar auf seinen Feldzügen zu viele Brücken und Dämme gebaut, als daß ihn die Frage der Schleusen, Schrauben und Wasserräder nicht gefesselt hätte. Da kein Land der Erde vom Geist und Witz seines Herrschers so stark abhing wie dieses Land ohne Regen, übten und schliffen die konstruktiven Geister von Ramses und Joseph an ihre Erfindungsgabe an diesem Problem, und Cäsar war nicht der letzte.
Und er empfand, daß er's nicht war. Als er am Fuß der Pyramiden die Straße münden sah, auf der Alexander vom Heiligtum des Amon zum Nil zurückgekehrt war, da fühlte sich Cäsar in den Kreislauf von vier Jahrtausenden gestellt und staunte, wie nahe er dem großen Alexander gerückt war; auf dem Fuße schien er ihm zu folgen. Anstatt mit dem Verlassen seiner Stadt sich zu verringern, stieg Alexanders magischer Einfluß auf Cäsar mit jedem Tag am Nil. Vor den riesenhaften Säulen des Amon und Osiris stand er nur mit dem Staunen eines Pionieroffiziers, der sich fragt, wie sie so hohe Pfeiler ohne Maschinen aufrichten konnten. Dort aber, wo die Ptolemäer griechischer Form sich näherten, im Tempel von Edfu und oben in Philae, erkannte der Römer sein großes Vorbild wieder und fühlte sich ahnungsvoll getroffen.
Getroffen fühlte sich Cäsar durch alles, was ihm Priester auf griechisch, was ihm herbeigeholte Bauern durch Interpreten erklärten. Beständig fragte er sich, wie er selber hier regiert hätte und was er verbessern würde, wenn er morgen hier regierte. Die Namen der Völkerschaften, die durch die beiden antiken Hauptwege vom Nil zum Roten Meere zu wandern pflegten, führten seinen Geist auf den Weg nach Indien, und wieder stand der persische Alexander vor ihm und dann gleich wieder Persien als Roms Erbfeind und Crassus, der sich dort hatte schlagen lassen, und das ganze persische Rätsel. Dann aber wandte er sich zurück zur Form ägyptischen Handels, zur Höhe ihres Verdienstes; alle Fülle sachlicher Details belebte an jedem Reisetage neu das Gehirn dieses modernen Pharaos, und der Gurt einer Satteldecke, den er an seinem Kamel untersuchte, war ihm so merkwürdig wie die Töpferscheibe, auf der in einem Dorf oberhalb Thebens die Krüge entstanden, die bestimmt waren, das Wasser zu heben.
Als eine große Schule orientalischen Lebens entwickelte sich diese Nilfahrt vor dem aus seinen Geschäften völlig gehobenen, in Muße reisenden, doch nie müßigen Feldherrn und Diktator.
Doch Cäsar war zugleich Gast in diesem Lande und wußte, was er der Herrin des schwimmenden Schlosses schuldete, wenn sie nach einem raffinierten Mahle mit den Offizieren nun auf der rechten Schiffsseite in ihren Kissen neben ihm saß und in die Stufungen des Sonnenunterganges in der Libyschen Wüste blickte, wie sich der heiße Tag verfärbte und leise abzukühlen begann. Nun lag sie da in einer Flut von Schals, mit denen behutsame Hände ihrer Sklavinnen sie zu verhüllen verstanden, wieder in der Haltung ihrer Kinderjahre, und wandte das aufgestützte Kinn und das falkenbraune Auge dem schweigenden Manne zu, der neben ihr auf seinen Kissen saß und durch eine Hebung des Kopfes die Kahlheit vor ihr zu verstecken suchte, mit der er nicht fertig wurde. Dann wußte er, sie wartete auf eine Erzählung.
Vielleicht hat er im Laufe dieser Abende sein ganzes Leben erzählt – mit Auswahl, wohlverstanden, denn ganze Provinzen seines Innern blieben jedem, sie blieben auch dieser Frau verschlossen, zu der ihn ein so tiefes Vertrauen erfüllte. Hatte er sie nach einer delikaten Speise gefragt, die man ihnen heute abend aufgetischt, so erzählte er wohl, wie er noch kürzlich, im Bürgerkriege, mit seinen Leuten Wurzeln gegessen und tagelang kein Wasser hatte, weil ihnen Pompejus alles abzuschneiden wußte. Das war kurz vor Dyrrhachium, der einzigen Schlacht, die er im Leben verloren hat. Da mußte man die Legionen sehen, wie ihre Führer ans Zelt kamen und baten, man möge sie bestrafen! Die ganze 9. Legion wurde zur Strafe aufgelöst! Ob es oft Meuterei gab? Zuweilen. Einmal, es war in Gallien, da trat er unter sie und schrie sie an: »Quiriten!« Sie aber schrien zurück: »Wir sind Soldaten!«
Ob sie ihn lieben? Nun ja, so lange er siegt. Ob er sie liebt? Den einzelnen Mann, der zu ihm trat und ihm reines Wasser in seinem Helm brachte. Ja, dort, im wüsten Norden, zeigte der römische Soldat, was er kann! Zehn Jahre mit ihm in Gallien, und nie geschlagen, selten murrend, wenig zu strafen und, wenn man nur für Brot sorgte, für feste Schuhe und gelegentlich für Weiber, dann waren sie zufrieden und vertrauten ihrem Führer. Nur müssen sie in der Gefahr den Feldherrn selber kämpfen sehen, wie damals in der Waldschlacht gegen die Nervier oder zuletzt im Epirus.
Immer kehrt Cäsars Erinnerung zu Pompejus zurück. Damals verstand er nicht, seinen Sieg zu benutzen. War er zu alt geworden, zu bequem? Sollte man mit fünfzig den Kriegsdienst quittieren? Aus diesem Siege konnte er alles entwickeln, in diesem schlachtenlosen Kriege war selbst Pharsalus für ihn zu vermeiden. War Pompejus vielleicht vom Glück zu sehr verwöhnt? Immer reich, immer berühmt, vornehm unter den Vornehmen: so war ihm alles zugefallen. Er selbst dagegen, Cäsar – so fährt er in seinem Selbstgespräche vor ihr fort –, immer in Mißgunst, bei jedem Schritte nach oben von der Gesellschaft gehemmt und eben deshalb auf das Volk sich stützend, in mühsam stufenweisem Aufstiege sich erhebend, mit vierzig erst Herr einer Provinz, und was für einer armseligen bei den Barbaren! Warum war nur Pompejus Liebling der Götter und der Senatoren? Das ging ihm nach bis in die Nächte, der Groll, schon alt und doch nicht Herr zu werden, im Parteigezänk das Leben zu enden, wie diese Advokaten, diese Abenteurer: dies alles und der Gedanke an Alexander, der so viel jünger triumphierte, hatten sein Herz bewegt, als er an jenem Abend – sind das erst drei Jahre? – in Rimini saß, am Rubikon, und eine nächtliche halbe Stunde schwankte, ob er es wagen sollte, auf Rom zu ziehen.
Da wurde man zum Feinde des Vaterlandes erklärt – doch, doch! Auch wenn sie nicht abgestimmt haben! Wie der Senat ihn verspottet! Den großen Pompejus hoffte Cäsar zu besiegen? Das ist kein Häuptling der Ambianer, kein Suessone, der in Eichenwäldern haust!
Ob er damals zuvor ein Orakel befragte, möchte sie wissen? – Er lächelt. – Die Zahl seiner Reiter, die Stärke seiner Geschütze, Nachtrab und Proviant, das waren seine Orakel. Ein paar heldenhafte Oberste, das waren seine Priester. Antonius? Das ist der beste! Damals, als er in Sklaventracht aus Rom zu ihm geritten kam, dicht hinter den Rubikon, da führte er ihn den Kohorten vor, um sie mit Empörung gegen diese Parteiregierung zu erfüllen, die solche Flucht eines tapferen Bauern notwendig machte!
Kleopatra lauscht. Seine Stimme hatte zuletzt einen metallnen Klang; sein alter Groll, der Widerwille gegen die Parteien ist in ihm hochgestiegen, dessen er nicht Herr werden kann, weil er sie braucht. Nach Antonius hat sie schon früher gefragt, und immer ging ein Licht über Cäsars Züge: es scheint, er mag seine Schwächen leiden, weil sie von seinen Stärken nicht zu trennen sind. Da er einer von den zwei Römern war, die sie früher in der Nähe gesehen – sie hütet sich wohl, vom andern, von Pompejus' Sohn zu sprechen –, da jener Reiteroberst Antonius der vierzehnjährigen Kleopatra so gut gefallen hatte, möchte sie mehr, das Intime möchte sie von ihm wissen. Immer spricht Cäsar von ihm wie von einem tollen Sohne, dem man für Treue und Tapferkeit sein wildes Leben zugute hält, und während er sonst karg ist mit Lob, dem Antonius läßt er alles Gute.
Nur als sie fragt, ob Antonius auch ein König sein könnte, verneint er lebhaft: Als Zweiter, unter einem stärkeren Führer sei Antonius unvergleichbar; der Erste zu sein, dafür fehle ihm Geduld und Kälte. Daß er kein Maß hält, kostet ihn schon heute das Vertrauen des Volkes; sicher wütet er jetzt in Rom herum, begnadigt und verbannt in Cäsars Namen, wie ihm der Kopf steht oder die pikante Cytheria es ihm einbläst, mit der er in derselben Sänfte sich durch die Straßen tragen läßt, gezogen von zwei gezähmten Löwen.
Kleopatra lauscht. Cäsars Stimme ist heiter geworden, das ist selten. Sie aber sieht in diesem Augenblicke nicht Cäsar vor sich, sondern jenen Zweiten, der sie mit seinem bacchischen Kopfe damals beunruhigt hat und der nun nach der Laune einer Sängerin Rom zu regieren scheint. Von zwei Löwen? In der Sänfte? Was für Tollheiten sie erfinden in Rom! Was mag das Leben alles verborgen halten, was Cäsars Alter nicht mehr braucht? Ihr aber sollte alles doch einmal zufallen, da sie so jung ist. Es hat ja erst angefangen, das Leben, und wenn sie von dem Knaben befreit sein wird, dann soll es ein zweites Mal anfangen! Dort drüben, in der Felsengräbern, wo vorhin noch die letzte Sonne glühte, dort am Rande der Wüste liegen, gehüllt in ihre Mumientücher, die Königinnen dieses Landes. Vielleicht hat sich einst auch Hatschepsut in einer gedeckten Sänfte mit ihrem Oberpriester zusammen von zwei gezähmten Löwen durchs Niltal ziehen lassen, und während das Volk vor der wiedererstandenen Isis zu Boden fiel, strich ihr heiliger Liebhaber ihr das Knie, aber sie bezwang ihr Gesicht und lachte nicht.
Cäsar weiß nicht, wohin die plötzlich erhitzte Phantasie die schwangere Frau geführt hat: Er spürt nur, daß sie abwesend ist, und fragt sich, ob vielleicht doch Antonius damals bei ihr durchs Ziel gegangen sei. – Warum erkundigte sie sich zum dritten Male nach ihm? Jünger – das ist er freilich: um zwanzig Jahre jünger!
Cäsar steht auf, geht an die Spitze des Schiffes und sucht am Himmel seinen Stern, Venus, von der er stammt.
Unheimlich, denkt sie allein, sich ausstreckend. Es ist, als bewegten sich künftige Schicksale in ihm, wie in mir dieses Kind.
Hat sie auch alle Götter angefleht, daß es ein Sohn wird, denkt sie weiter. – Vielleicht sollte man auch noch die persischen Bräuche befragen, Cäsar beschäftigt sich so viel mit Persien. Seit einigen Tagen ist er sehr still. Zuweilen glaubte man, er spüre hier nichts von der fernen Last und Macht, die auf ihn warten: da ist er heiter, es scheint, er fühlt sich verjüngt. Dann verdüstert er sich wieder, ißt wenig und trinkt nichts, die Wangen wirken eingefallen, es scheint, er fürchtet seine Krankheit. Sechs Monate und nicht ein einziger Anfall, vielleicht ist das Ganze auch nur eine Sage. Aber dann – oft weiß man nicht, ob er rechnet oder träumt. Manchmal murmelt er Zahlen leise vor sich hin. Zu andern Malen kann er eine halbe Stunde schweigen, ohne doch die Ufer zu beobachten. Was geht dann in ihm vor?
Gestern nacht, als er unter einem Albdruck stöhnte, bis er von meinem leisen Schütteln auffuhr, wandte er einen großen Blick herüber, und wie er sich faßte und zurechtfand, murmelte er etwas. Es war nicht bloße Höflichkeit, als er den Arzt nach dem Datum fragte, darauf die Nilfahrt verlängerte. Den Sohn will er mit eigenen Händen fassen, denn er hat große Dinge mit ihm vor.
Hat man gehört, daß Söhne älterer Männer schwächer werden, denkt sie weiter. – Die erste Geburt soll schwierig sein, man kann daran sterben. Der Arzt wird das Übermenschliche leisten, er weiß, daß sie ihn töten, wenn ich sterbe. Was werden Cäsars Neffen in Rom anstellen, wenn plötzlich ein echter Erbe erscheint? Geht er fort und kommt nicht wieder, so müßte ein Vater für das Kind gefunden werden. – Was für Angstgesichte! Cäsar wünscht sich den Sohn: Wie könnte er ihn und die Mutter verlassen! Seit tausend Jahren hat kein Kind im Mutterleibe solch eine Zukunft gehabt!
Unheimlich, denkt Cäsar gleichzeitig, an der Spitze des Schiffes stehend. – Zuweilen hat sie eine Bewegung der Hand, ganz wie Cornelia vor dreißig Jahren; dann sieht man plötzlich, wie jung sie ist. Als Cornelia die Julia zur Welt brachte, war sie nicht älter, auch Alexanders Frau war sicher nicht älter. Ob diese Frauen zu jung sind, um starke Kinder zu gebären? Hätte Julia als Pompejus' Frau länger gelebt, es wäre nie zum Bürgerkriege gekommen. Sollte man das wünschen?
Er war lange genug glücklich, noch sein plötzlicher Tod ist beneidenswert. Nur ein paar Wochen vorher, mitten in der Macht, hätte ihn einer erstechen sollen. Dann freilich hätte es kein Pharsalus gegeben. Was also soll man wünschen? – In einer großen Lage geboren zu werden! Keine zwanzig Jahre herumzulaufen, den Pöbel kaufen, Senatoren kaufen, Soldaten kaufen, Frauen kaufen, um schließlich müde oben anzukommen, mit einem Kahlkopf und gealterten Gliedern! Vor allem nicht in dieser gedankenlosesten von allen Städten! Da wird Germanien und Gallien erobert, da kämpft man sich durch dreißig Schlachten, und kehrt man nach neun Jahren siegreich heim, wovon spricht Rom? Von der Verbannung des Cicero! Mit einer Krone geboren zu werden! Mit achtzehn Jahren König zu sein! Dann freilich kann ein dreißigjähriger Alexander die Welt zu Füßen haben!
Und Cäsar, an der Spitze des Schiffes ins Dunkel starrend, sinnt weiter: Es scheint, sie sieht's nicht mehr, daß jeder seine Stirn vor ihr zur Erde beugt. Die angeborene Hoheit, wenn sie Hoheit ist wie ihre, kann keine eigene Laufbahn von unten her ersetzen. Sind diese tropischen Königreiche nicht glücklicher als unsere kalten Republiken? Und doch ist ihr Vorvater, der sich hier selbst gekrönt hat, nur so ein mittelmäßiger Oberst bei Alexander gewesen. Hat je ein Schulkind eine Schlacht von ihm gelernt? Und doch sitzt seine Enkelin dreihundert Jahre später noch auf demselben Thron!
Man muß ein Ende machen. Vergötterung ist billig und banal, sie bindet niemand; das alles spielt in einem unbekannten Himmel, hört auf, wenn einer mag, selbst die Söhne der Götter sind keiner Verehrung sicher. Es hat noch kein vergöttlichter General ein Haus gegründet. Bei der Krone aber fällt den Leuten etwas Bestimmtes ein: Erbschaft von Sohn zu Sohn, die regelmäßige Wiederkehr, die ewige Kette. Hat sie mir nicht geschworen, daß es ein Sohn ist? Wenn sie auch das zustande bringt: wo ist dann in der Welt noch eine Königin von älterem Geschlechte, von strahlenderem Ruhm der Dynastie als diese Griechin, die nach Ägypten verschlagen wurde und dadurch doppelt reich! Sollen wir die Mutter unserer Söhne vielleicht unter den zottigen Sigambrern suchen oder bei den vernebelten Pikten? Aus östlichem Blute, aus Alexanders Erbschaft muß man den neuen Herrn der Welt gewinnen! Er trägt die römische Macht nach Osten zurück! Mit einem Kronreif muß man sie alle zusammenfassen, und wenn er aus Eisen wäre! In einem Sohne muß man die Vergänglichkeit des Abenteuers bannen! Noch ein Jahrzehnt, um ihn zu erziehen, mehr braucht es nicht. Venus glänzt milde über diesem Lande, Abend für Abend. Wir Julier stammen nur von den Göttern. Mein Sohn soll schon von einem König stammen. Man muß ein Ende machen.
Zwei Wochen nach der Heimkehr des schwimmenden Schlosses nach Alexandria brachte die zweiundzwanzigjährige Kleopatra im Palast ihrer Väter den Sohn zur Welt, den sie ihrem Geliebten versprochen hatte. Sie nannten ihn Cäsar, aber die Alexandriner nannten ihn Caesarion, kleiner Cäsar, und auf den Inschriften hieß er Ptolemäus Cäsar. An den Tempelmauern ließ Kleopatra, ganz wie die Pharaonen vor anderthalb Jahrtausenden, darstellen, wie Gott Amon ihr als zeugende Kraft erscheint, dann wie die Götter sich des neuen Göttersohnes freuen, und die Priester sagten dem Volke, in dem großen Römer Cäsar, dessen Geschlecht von Aphrodite stamme, habe sich Amon die menschliche Gestalt gegeben, um die göttliche Königin zu beschatten. Die skeptischen Alexandriner lachten, aber Kinder und alte Frauen mochten dran glauben.
Vielleicht lächelten die beiden sterblichen Eltern, als sie die Verkündigungen der Priester zur Unterschrift erhielten. Als sein Sohn zur Welt kam, lächelte Cäsar nicht, denn das Planen eines halben Jahres hing am Geschlecht und am Gelingen der Geburt. Er blieb, bis er sie außer Gefahr fand. Immer dringendere Botschaften riefen ihn nach Rom, wo sich Antonius in Tollheiten zu überbieten, wo alles in Auflösung begriffen schien. Doch zuvor hieß es, den Perser in Kleinasien zu fassen, der dort die römischen Feldherrn wie einst sein Vater schlug. Die gefangene Arsinoë wurde nach Rom geschickt, wo sie auf den Triumphzug warten sollte. Drei römische Legionen blieben in Ägypten. Um keinem hohen Offizier Ägypten zu überlassen, stellte Cäsar einen Freigelassenen an die Spitze dieser Truppen. Ob sie zum Schutze oder zur Aufsicht blieben, Verbündete oder Bedrücker, hing einzig ab von dem Gefühle der Königin für Rom.
Als Cäsar sie verließ, erschien sie ihm wieder so jung wie damals, da sie aus dem aufgerollten Teppich stieg. Nun ließ er als Pfand den Sohn zurück. Es ward verabredet, daß sie im folgenden Jahre nach Rom zu ihm käme, um mit Volk und Senat ein feierliches Bündnis abzuschließen, zusammen mit ihrem legitimen Gatten, dem Knaben Ptolemäus. Vor den ägyptischen Priestern war auch Cäsar ihr Gemahl, wenn auch zungenfertige Alexandriner Epigramme über den römischen Amon an die Mauern schrieben. Manche sagten, mit diesem Sohne Cäsars sei Ägypten endgültig zur römischen Kolonie herabgesunken, andere sahen in diesem Kinde das Symbol eines Bündnisses, wieder andere bangten für Ägyptens Schicksal, wenn Cäsar irgendein Unfall traf.
Kleopatra hockte bei Cäsars Abfahrt in ihrer alten Fensternische. Dort flogen die Segel zum Hafen hinaus, und unter dem größten wußte sie Cäsar. Sie wußte auch, was er in diesem Augenblicke dachte, denn sie dachte das gleiche; so wie ihre Augen mühten sich die seinen, ihre Gestalt am Fenster des Palastes zu erkennen. Beide dachten dem Abenteuer des andern nach, das sich zum Weltschicksal zu weiten schien:
Eine vertriebene Königin war durch ihr Genie und die Verführung ihres Wesens gerettet, sie war zugleich in die Gefühle der Geliebten, der Kameradin und der Mutter eingeführt worden, alles in ein paar Monaten, von einem Manne, der beinahe dreimal so alt war wie sie. Ein siegreicher Feldherr war aus Gefahr für Macht und Leben durch eine Liebe verjüngt, war Vater eines Sohnes geworden. Beide aber strebten im Großen und Weiten die nämliche Verschmelzung an, um ihrem Sohne die Welt zu vererben.
Von den kühnen Gedanken, mit denen sie das Mittelmeer umgaben, zogen die Gefühle der beiden Menschen zurück zu den geheimen Stunden ihrer ersten Entzückung, und eine große Trauer faßte den langen, hageren Mann unter dem Segel, faßte die kleine Königin am Fenster an, als sie den Abstand so rasch wachsen sahen, bis beide vor dem Schicksal bangten, das ihre Vereinigung für immer enden konnte. Schweigend und mit düsteren Blicken blickte er vom Bug des Schiffes zurück zu dem Zimmer im Palaste, ungewiß der Zukunft.
Sie aber saß in ihrem großen Fenster, die Beine untergeschlagen, die Hände halb gefaltet zwischen der Marmorwand und den braunen Locken. Sie war des Sieges, war der Zukunft sicher und lächelte.